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879 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 11 Anwendungen von einlagigen, mechanisch vorgespannten und seilgestützten ETFE-Folien als Wetterhäute im Hochbau sind kaum bekannt – es gibt, wenn überhaupt, wohl erst sehr wenige Konstruktionen dieser Art. Das Interesse verdienen sie vor allem aufgrund der Verbindung der besonderen physikalischen Eigen- schaften der Folie (Durchlässigkeit für ein sehr weites Wellenlän- genspektrum, geringes Gewicht, „selbstreinigend“) mit den be- kannten Möglichkeiten und Eigenschaften mechanisch gespann- ter Membranen. Die beschriebenen Trichterschirme stehen hierfür exemplarisch: Zum einen kann die antiklastische Fläche der Trichter nur über eine mechanische Vorspannung realisiert werden, zum anderen wird für den Innenhof und die angrenzenden Büroräume eine maximale Bandbreite des natürlichen Lichtes bereitgestellt. Die architektonische Qualität erreicht die Konstruktion im Zusam- menspiel von Folie, Seilen und Stahl. Die Stützen sind so schlank wie möglich gehalten – geplant mit aufwendigem ingeniösem Handwerkszeug; die Fügungen möglichst einfach und klar – meist einfache Lasche-Bolzen-Verbindungen; Folie und Seile kaum sichtbar und die Funktion zuverlässig und robust. Transparent blooms: The new roof above the courtgard of the IHK at Würzburg. To use single layer ETFE-foils, prestressed by me- chanical tensioning and supported by ropes are not very common – up to now very few constructions of this type are known. They earn our interest because of the combination of very interesting physical properties (perviousity to a wide range of visible and non-visible light, very little weight, „self-cleaning“) and the good known possibilities of membrane constructions which are pre- stressed by mechanical tension. The umbrella constructions are standing therefor exemplary: the anticlastic figure of the structure needs mechanical pretension and the working conditions of the nearby offices can be impro- ved by providing an optimal range of natural light. The architectural quality of the construction is achieved by the specific way of combining foil, ropes and steel components. The pillars are as slim as possible, the details are very simple, foil and ropes are nearly non-visible and the function is reliable and durable. 1 Architektur und Werkstoffe Im Zuge der Errichtung eines Weiterbildungszentrums wurde am Standort der IHK Würzburg-Schweinfurt in Würzburg ein Bauwerk errichtet, welches das bestehende Ensemble derart ergänzt, daß ein dreiseitig umschlossener Innenhof entstand. Für dessen Überdachung favorisierten die Architekten eine freie Form, die im Gegensatz zu den Kuben der Büro-, Verwaltungsgebäude stehen sollte. 1.1 Entwurf Nach ersten Varianten, die eine Segelverspannung mit An- schluß an die bestehenden Gebäude vorsahen, lief der Ent- wurf sehr schnell auf die Trichterschirme zu. Neben architektonischen Kriterien sprach für den Einsatz einzelner Schirme der große konstruktive Vorteil, daß sie geschlossene Systeme bilden, die keine Auflage- rung an bestehenden Gebäuden benötigen, was im Regel- fall zu erheblichen Problemen bei der Lastweiterleitung führt. Darüber hinaus hätten bei einer vollflächigen Über- dachung die Hoffassaden der Brandschutzklasse F 90 zu- geordnet und dafür umgebaut werden müssen. Die vorge- sehenen PKW-Stellplätze im Hof hätten zusätzlich eine feuerbeständige Ausführung der Hofüberdachung erfor- dert. Als Trichterschirm wird im Textilen Bauen eine Struk- tur bezeichnet, deren Membran von einem, meist auf einer Mittelstütze fußenden, zentralen Punkt auf einen kreisför- migen oder rechteckigen relativ höher liegenden Rand spannt. Neben der sehr eleganten, oftmals floral anmuten- den Form zeichnen sich die Schirme dadurch aus, daß sie nach innen, sinnvollerweise innerhalb der Stütze, entwäs- sern und damit die Konstruktion im wesentlichen auf die tragenden Bauteile reduziert werden kann. Die drei Schirme haben Größen von 11 m × 11 m, 12,5 m × 12,5 m und 14 m × 14 m bei Höhen von 10,5 m, 12 m bzw. 13,5 m über OK Gelände, die es erlauben, daß sie sich im Grundriß teilweise überschneiden und so je- weils parallel zu einer Gebäudekante ausgerichtet werden konnten (Bilder 1 und 2). Für die jeweils gleichartigen Bau- teile der Schirme einigten sich Architekt und Ingenieur jeweils auf „Querschnittsfamilien“, die je nach Bauteil eine kontinuierlich lineare oder quadratische Steigerung der Querschnittsfestigkeiten vorsahen (Bild 3). Die Überdachung soll natürlich vor der Witterung schützen, architektonisch den Raum nach oben öffnen und Spannung durch die Leichtigkeit der Konstruktion erzeu- gen. Dabei mußte gewährleistet bleiben, daß die Brauch- barkeit der dem Innenhof zugewandten Büros nicht durch einen Mangel an Lichtausbeute aus Außenlicht oder stö- renden Nachhall beeinträchtigt wird. Florale Transparenz: Das neue Dach über dem Innenhof der IHK in Würzburg Lutz Schöne Fachthemen

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879© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 11

Anwendungen von einlagigen, mechanisch vorgespannten undseilgestützten ETFE-Folien als Wetterhäute im Hochbau sindkaum bekannt – es gibt, wenn überhaupt, wohl erst sehr wenigeKonstruktionen dieser Art. Das Interesse verdienen sie vor allemaufgrund der Verbindung der besonderen physikalischen Eigen-schaften der Folie (Durchlässigkeit für ein sehr weites Wellenlän-genspektrum, geringes Gewicht, „selbstreinigend“) mit den be-kannten Möglichkeiten und Eigenschaften mechanisch gespann-ter Membranen.Die beschriebenen Trichterschirme stehen hierfür exemplarisch:Zum einen kann die antiklastische Fläche der Trichter nur übereine mechanische Vorspannung realisiert werden, zum anderenwird für den Innenhof und die angrenzenden Büroräume einemaximale Bandbreite des natürlichen Lichtes bereitgestellt.Die architektonische Qualität erreicht die Konstruktion im Zusam-menspiel von Folie, Seilen und Stahl. Die Stützen sind so schlankwie möglich gehalten – geplant mit aufwendigem ingeniösemHandwerkszeug; die Fügungen möglichst einfach und klar – meisteinfache Lasche-Bolzen-Verbindungen; Folie und Seile kaumsichtbar und die Funktion zuverlässig und robust.

Transparent blooms: The new roof above the courtgard of the IHKat Würzburg. To use single layer ETFE-foils, prestressed by me-chanical tensioning and supported by ropes are not very common –up to now very few constructions of this type are known. Theyearn our interest because of the combination of very interestingphysical properties (perviousity to a wide range of visible andnon-visible light, very little weight, „self-cleaning“) and the goodknown possibilities of membrane constructions which are pre-stressed by mechanical tension.The umbrella constructions are standing therefor exemplary: theanticlastic figure of the structure needs mechanical pretensionand the working conditions of the nearby offices can be impro-ved by providing an optimal range of natural light.The architectural quality of the construction is achieved by thespecific way of combining foil, ropes and steel components. Thepillars are as slim as possible, the details are very simple, foil and ropes are nearly non-visible and the function is reliable anddurable.

1 Architektur und Werkstoffe

Im Zuge der Errichtung eines Weiterbildungszentrumswurde am Standort der IHK Würzburg-Schweinfurt inWürzburg ein Bauwerk errichtet, welches das bestehendeEnsemble derart ergänzt, daß ein dreiseitig umschlossener

Innenhof entstand. Für dessen Überdachung favorisiertendie Architekten eine freie Form, die im Gegensatz zu denKuben der Büro-, Verwaltungsgebäude stehen sollte.

1.1 Entwurf

Nach ersten Varianten, die eine Segelverspannung mit An-schluß an die bestehenden Gebäude vorsahen, lief der Ent-wurf sehr schnell auf die Trichterschirme zu.

Neben architektonischen Kriterien sprach für denEinsatz einzelner Schirme der große konstruktive Vorteil,daß sie geschlossene Systeme bilden, die keine Auflage-rung an bestehenden Gebäuden benötigen, was im Regel-fall zu erheblichen Problemen bei der Lastweiterleitungführt. Darüber hinaus hätten bei einer vollflächigen Über-dachung die Hoffassaden der Brandschutzklasse F 90 zu-geordnet und dafür umgebaut werden müssen. Die vorge-sehenen PKW-Stellplätze im Hof hätten zusätzlich einefeuerbeständige Ausführung der Hofüberdachung erfor-dert.

Als Trichterschirm wird im Textilen Bauen eine Struk-tur bezeichnet, deren Membran von einem, meist auf einerMittelstütze fußenden, zentralen Punkt auf einen kreisför-migen oder rechteckigen relativ höher liegenden Randspannt. Neben der sehr eleganten, oftmals floral anmuten-den Form zeichnen sich die Schirme dadurch aus, daß sienach innen, sinnvollerweise innerhalb der Stütze, entwäs-sern und damit die Konstruktion im wesentlichen auf dietragenden Bauteile reduziert werden kann.

Die drei Schirme haben Größen von 11 m × 11 m,12,5 m × 12,5 m und 14 m × 14 m bei Höhen von 10,5 m,12 m bzw. 13,5 m über OK Gelände, die es erlauben, daßsie sich im Grundriß teilweise überschneiden und so je-weils parallel zu einer Gebäudekante ausgerichtet werdenkonnten (Bilder 1 und 2). Für die jeweils gleichartigen Bau-teile der Schirme einigten sich Architekt und Ingenieurjeweils auf „Querschnittsfamilien“, die je nach Bauteil einekontinuierlich lineare oder quadratische Steigerung derQuerschnittsfestigkeiten vorsahen (Bild 3).

Die Überdachung soll natürlich vor der Witterungschützen, architektonisch den Raum nach oben öffnen undSpannung durch die Leichtigkeit der Konstruktion erzeu-gen. Dabei mußte gewährleistet bleiben, daß die Brauch-barkeit der dem Innenhof zugewandten Büros nicht durcheinen Mangel an Lichtausbeute aus Außenlicht oder stö-renden Nachhall beeinträchtigt wird.

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1.2 Das ETFE

Die ETFE-Folie ist der optimale Werkstoff, um diese An-forderungen zu erfüllen: Ethylen-Tetrafluorethylen ist bei-nahe vollständig lichtdurchlässig, zu ca. 97 %, worin es sichvom Glas unterscheidet, das „nur“ eine ca. 90%ige Licht-durchlässigkeit aufweist. Im Gegensatz zur Folie absor-

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biert das Glas zu großen Teilen das beispielsweise für dasPflanzenwachstum wichtige kurzwellige UV-Licht.

Bezüglich des Schallverhaltens sind für die Folie sehrgeringe Nachhallwerte charakteristisch, d. h., die Schall-wellen können den Werkstoff praktisch ungehindert durch-dringen, woraus allerdings auch sehr schlechte Schall-dämmwerte resultieren.

Der Brandschutz, der für die vorgestellten Trichter-schirme nur eine untergeordnete Rolle spielte, soll hier,um die Möglichkeiten des noch weitgehend unbekanntenWerkstoffes aufzuzeigen, ergänzend thematisiert werden:Die ETFE-Folien sind der Baustoffklasse B1 nach DIN4102 zugeordnet. Im konkreten Projekt erweist sich dieFolie oftmals als gerade im Brandfall von entscheidendemVorteil, da sie infolge des frühzeitigen Schmelzens für ei-nen guten Rauchabzug sorgt und dadurch außerdem dieTemperaturen im Bereich des stählernen Primärtragwer-kes verringert (das oft genug den eigentlichen Schwach-punkt im Brandfall darstellt).

Das sehr geringe Gewicht der Folie von 650 g/m2 er-laubt gegenüber schwereren Dachdeckungen (bspw. ausGlas) eine wirtschaftlichere Dimensionierung des Primär-tragwerkes und ist ein zusätzlicherVorteil im Brandfall, dasie keine Gefahr in Form herabfallender Tragwerksteile(insbesondere für die Feuerwehr) darstellt.

Der größte Feind einer langen Lebensdauer scheinenbis dato hauptsächlich zerstörende menschliche Eingriffezu sein, eine signifikante Änderung der chemischen undphysikalischen Eigenschaften ist bei den ältesten, ca.25 Jahre alten Konstruktionen nicht feststellbar.

Mit einlagigen, seilverstärkten ETFE-Folien erreichtman die gleiche formale Vielfalt wie mit textilen Membran-tragwerken und eröffnet den Folien damit ein neues, dieMöglichkeiten der luftgestützten Pneus ergänzendes Feldfür den Einsatz im Bauwesen.

2 Der Weg und das Ziel – Engineering und Tragwerk2.1 Lastannahmen

Schneelasten wurden nach EC 1, Teil 2-3 mit gleichmäßi-ger Verteilung und, als maßgebende Last für die unterenRingseile, mit einer Anhäufung von 1,5 so im mittleren Be-

Bild 1. Räumliche Anordnung der Schirme im HofFig. 1. Spatial arrangement of the umbrellas

Bild 2. Ansicht der Schirme in Höhe der RandträgerFig. 2. View in the height of the beams

Bild 3. Visualisierung eines Randträgeranschlusses in einerfrühen ProjektphaseFig. 3. Visualisation of an key detail in a early stage

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reich berücksichtigt. Windlasten wurden entsprechendDIN 1055, Teil 4 auf die Stütze und additiv auf die Mem-bran als Winddruck oder resultierende Windkraft ange-setzt.

2.2 Die Folie

Die Folie, einlagig gespannt, erreicht, da ihr bei der gerin-gen spezifischen Festigkeit ein ausreichendes Stich-Spann-weiten-Verhältnis fehlt, nur eine geringe Spannweite – biszu 1,2 m ist unter hiesigen Witterungsbedingungen ver-nünftig und wurde als max. Abstand der Seile am Randträ-ger gewählt. Der Konkurrent der einlagigen Konstruktion,der Pneu, ist diesbezüglich leistungsstärker: Die Innenluft-stützung erlaubt beinahe beliebige Stich-Spannweiten-Ver-hältnisse und führt zu Spannweiten, die je nach Randgeo-metrie das Vierfache und mehr dieser einlagigen Konstruk-tion erreichen können.

Für die Trichterschirme wurde mit dem relativ eng-maschigen Seilnetz aber eine ausreichend kleinteilige Un-terstützung gefunden, die architektonisch und technischbefriedigte. Zur Analyse wurden die einzelnen Elementedes hybriden räumlichen Flächentragwerks (Folie, Seileund Stahlbauteile) gemeinsam modelliert und geometrischnichtlinear analysiert. Die Schnittkraftermittlung sowie dievorgelagerte Formfindung und abschließende Zuschnitts-ermittlung erfolgten mit Hilfe der Software EASY, Light-weight structure design.

Neben der strukturellen Analyse muß der ingeniöseFokus auf die Materialeigenschaften gerichtet sein. DasSpannungs-Dehnungs-Diagramm (Bild 4) zeigt, daß im ela-stischen Bereich bei ausreichender Genauigkeit mit einemSekantenmodul gerechnet werden kann, insbesondere vordem Hintergrund, daß i. allg. die Spannungen weniger vomE-Modul als von der Höhe derVorspannkraft abhängen.

Als Bemessungskriterium ist ein ausreichender Ab-stand zur „Fließgrenze“, die bei ca. 21 N/mm2 liegt, sinn-voll. Für die Sicherheitsbetrachtung von Bauteilen ausETFE-Folien ist aber, auch wenn diese planmäßig nicht

ins Kalkül gezogen wird, insbesondere deren außerordent-lich hohe Bruchdehnung bemerkenswert. Der Wert vonca. 800 % ist dabei natürlich nur von theoretischer Bedeu-tung, der beanspruchungsverringernde, sehr gutmütigeEinfluß von Verformungen bei dem zugbeanspruchtenBauteil war aber ein sehr vorteilhaftes Merkmal in der Dis-kussion um Relaxation und Alterung, mithin der Höhe desSicherheitsniveaus als Funktion der Zeit.

Obwohl ein weitgehend schwarzes Loch bezüglichdes Langzeitverhaltens noch erheblichen Forschungsspiel-raum bietet, scheint die Relaxation bei genügend niedri-gem Grundspannungsniveau beherrschbar zu sein. Außer-dem sind die mechanischen Eigenschaften der Folie bisca. 150 °C weitgehend temperaturunabhängig.

2.3 Die Seile

Die Seile bilden das „Hauptträgersystem“ für die Folie.Ihre Biegeweichheit verringert Spannungsspitzen in derFolie und korrespondiert hervorragend mit den Folien-eigenschaften.

Das Netz ist zweischarig mit Meridian- und Ringsei-len in Dicken von 8 mm bis 10 mm aufgebaut (Bilder 1und 2). Da die Kreuzungswinkel von 70° bis 85° variieren,sind die Seile mit eigens modifizierten und verstellbarenSeilklemmen verbunden. Deren Reibungsbeiwerte wurdenmit Hilfe einer erhöhten Oberflächenrauhigkeit verbes-sert. Die Tragfähigkeit, es müssen immerhin Differenz-kräfte in den Meridianseilen von ∆fD = 3 kN übertragenwerden, wurde in mehreren Versuchsreihen verifiziert.

Um die Kopplung von Folie und Seil für Sog- wieDruckbeanspruchung zu erreichen, werden die Meridian-seile in einer Tasche geführt, die in das Flächennahtdetailintegriert ist (Bild 5). Die Ringseile verlaufen frei unter-halb der Folienfläche. Sie sind derart längsverstellbar ge-plant, daß beidseitig aufgewalzte Gewindeterminals ineinen Verbindungsbeschlag münden. Im Drucklastfall(Schnee und Winddruck) ergibt sich eine vierseitige Lage-rung, da die Folie neben den Meridianseilen auch die

Bild 4. Typische Spannungs-Dehnungslinie eines ETFE-WerkstoffesFig. 4. Typical graph of a stress strain relation of the ETFE-material

Bild 5. Folie mit einkonfektionierten MeridianseilenFig. 5. Foil with rope

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Ringseile als Auflager aktiviert, im Soglastfall (Windsog)eine zweiseitige Lagerung der Folie nur auf den Meridian-seilen.

Der Anschluß der Seile an den Stahlbau erfolgt amoberen Randträger mit einem aufgewalzten Gabeltermi-nal, das auf ein um die horizontale Achse schwenkbaresBlech aufgeschoben wird (Bild 2), am unteren Ende miteinem aufgewalzten Gewindeterminal zur Längsjustierungder Meridianseile (Bild 9).

2.4 Der Stahlbau des Schirmes

Um den Stahlbau visuell möglichst gering zu wichten,sollte das stählerne Tragwerk ausschließlich oberhalb derFolienfläche liegen. Einem möglichst direkten Kraftflußverpflichtet, folgen Streben und Spreizen dem Verlauf derFlächenmeridiane (Bild 7).

Folie und Seile schließen am oberen Trichterrandüber ein sich entsprechend den Einlaufwinkeln der an-schließenden Membran- und Seiltangenten verschwen-kendes Anschlagblech an den Druckring aus Rohrprofilenan (Bild 2). Da die gevouteten Schirmspreizen aus geome-trischen Gründen außermittig angeschlossen sind (Bild 2;dies ist in der Visualisierung nach Bild 3 noch nicht be-rücksichtigt), wird der Druckring durch zweiachsige Bie-gung, Normalkräfte und Torsion beansprucht. Dies erfor-derte für den biegesteifen Stirnplattenstoß (Montagestoß)im Druckring, der unsichtbar mit Rohrhalbschalen ver-deckt werden sollte und daher im Rohrquerschnitt Platzfinden mußte, eine aufwendige Detaillierung (Bild 6).

Die Spreizen werden mittels Druckrohren am Schaftabgestützt, filigrane Seilauskreuzungen (∅ 6 mm)verhinderndas Rotieren des auskragenden Stahlstabwerkes (Bild 7).

Als Anschlußdetails genügen meist einfache Lasche-Bolzen-Verbindungen. Um dies auch für den Anschluß derSpreizen an die Stütze zu ermöglichen, wurde hier additivein „Sichelkranz“ angeordnet, der die Spreizen am Auf-lager miteinander verbindet (Bild 7). Dies war notwendig,um die Spreizen um deren lokale w-Achsen einzuspannenund damit das Gesamtsystem auszusteifen.

Zur Positionierung der auf den Grundbauteilen teil-weise sehr komplex verschneidenden Laschen wurden ei-

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gens die Abwicklungen auf den Rohren konstruiert unddem Stahlbauer als 1:1-Schablonen, die zur Markierungdes Einschnittes direkt aufgelegt werden konnten, zurVer-fügung gestellt (Bild 8).

Die Stützen wurden mit einem Montagestoß, der sichim Einlauftrichter befindet, hergestellt (Bild 9). Der obereQuerschnitt konnte entsprechend dem Momentenverlaufin einer Kragstütze kleiner gewählt werden.

Sämtliche Stahlbauteile sind aus S 355 J0 hergestelltund wurden feuerverzinkt.

2.5 Der Einlauftrichter

Neben dem Stützenstoß sind im Trichter die unteren Fo-lien- und Seilanschlüsse, deren Lagerkonstruktion sowiedie Sammelschürze für das Regenwasser und die Rinnen-heizung untergebracht (Bild 9).

Um zur Befestigung der sehr dicht einlaufenden Seilemehr Raum bereitstellen zu können, laufen Seil- und Fo-

Bild 7. Gevoutete Spreizen, Druckstreben und oberer Stüt-zenabschnittFig. 7. Beams, Struts and upper section of the main pillar

Bild 8. Schablone für die Verschnittkurve am Randträgerund das Markieren in der WerkstattFig. 8. Negative to mark the connection of a plate and thebeam

Bild 6. Montagestoß im RandträgerFig. 6. Assembling detail in a beam

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lienebene am Anschlußkranz geringfügig um ca. 20 mmgegeneinander versetzt in den Trichter ein. Bei vertikal un-verschieblicher Ausbildung dieser Anschlüsse wären beiSchneebelastung die unteren Meridianseile ausgefallen, undneben der eingeschränkten optischen Gebrauchstauglich-keit hätten Seile und Folie einander beim gegenseitigenVerkanten beschädigen können. Also wurde der Anschluß-kranz verschieblich mit einer Federvorspannung geplant.Bei voller Schneelast gewährleistet diese einen Verschie-bungsweg nach unten von bis zu 90 mm aus der Nullageund damit eine stete Spannung in den Meridianseilen undder Membran. Unter Windsoglasten hingegen beschränktein oberer Anschlag den Ausschlag, da die Federkräfte fürdiesen Fall nicht zur Lagesicherung des Anschlagringesausreichen würden.

Neben der Stütze und der Folie ist die Kegelstumpf-Schale des Trichters (beim 14-m-Schirm hat sie eine Höhevon ca. 1,2 m) das architektonisch wichtigste Element(Bild 10). Es war sehr schwierig, ein Unternehmen zu finden,das den Konus mit der geforderten Genauigkeit walzenkonnte. Schließlich wurde die Schale von einem Stahlbauer,der auf die Herstellung von Rohren spezialisiert ist, geliefert.

Der Regenwasserablauf erfolgt von der ETFE-Folie indie Regenschürze des Trichters und von dort durch vierhalbrunde, verstärkte Öffnungen in das Hauptrohr, in demsich wiederum ein Fallrohr befindet. Sämtliche Fügungenim Bereich des Regenabflusses, insbesondere die Leitble-che für den Wassereinlauf in das Fallrohr, wurden konti-nuierlich wasserdicht verschweißt.

Die Regenschürze ist zusätzlich mit einer konfektio-nierten PVC-PES-Membran ausgekleidet (Bild 10).

2.6 Die Kragrohre

Im Entwurf wurde besonderes Augenmerk auf möglichstgeringe Stützendurchmesser gelegt. Um diesem Anspruchnicht durch die Verwendung unsinnig hoher, unwirt-schaftlicher Rohrwanddicken gerecht werden zu müssen,wurde das System sehr aufwendig analysiert. Die erste Ei-genform entspricht der eines Kragträgers. Als Erhöhungs-faktor zur Berücksichtigung der dynamischen Antwort desSystems wurde γd = 1,2 bestimmt.

Sehr wünschenswert wäre es bei den schwierigenStandortbedingungen gewesen – die Schirme befinden

Bild 10. Montage der Schalen des EinlauftrichtersFig. 10. Assembling of the conical shells

Bild 9. Detaillierung im EinlauftrichterFig. 9. Details at the lower connection of the membrane andthe pillar

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sich in einem dreiseitig umschlossenen Hof, überragendiesen teilweise und sind miteinander verschnitten – eineAnalyse der Windlastannahmen infolge einer Begutach-tung der Beiwerte zu erreichen. Wie so oft wurden aber,trotz der berechtigten Annahme einer Kostenreduktion fürdie Gesamtbaumaßnahme, die in der Planungsphase an-fallenden Kosten gescheut.

Der Rohrquerschnitt für den 14 m × 14 m-Schirmkonnte schließlich zu 457 × 25 mm ausgelegt werden. DerStoß im Trichter ist als biegesteifer Stirnplattenstoß ausge-führt worden.

Die Einspannung der Rohre erfolgte zum einen durcheine nur horizontale Lagerung in der Decke KG (Bild 10),zum anderen durch eine vertikale und horizontale Lage-rung auf der Bodenplatte in der Tiefgarage. Zur exakt lot-rechten Ausrichtung wurde eine einfache Vorrichtung zurJustierbarkeit in der horizontalen Ebene des unteren An-schlusses konstruiert. Auf die Lagerbarren am Anschluß inder Decke derTiefgarage wurden PTFE-beschichtete Kunst-stoffplatten laminiert, um sicherzustellen, daß keine Über-tragung vertikaler Kräfte zwischen Stütze und Decke er-folgt.

2.7 Die Montage

Bei der ersten Probemontage war die Achillesferse schnellgefunden: Die Anschlußlaschen für die Spreizen an denRandträgern (Bild 2) waren falsch ausgerichtet. Durch dieAußermittigkeit der Spreizen war die Positionierung derBleche sehr schwierig. Die Lösung des Problems lag in derBereitstellung der schon erwähnten Schablonen, mit de-nen die Verschnittkurve direkt auf den Randträgern aufge-zeichnet werden konnte (Bild 8).

Auf der Baustelle wurden die Trichter einschließlichder Folie komplett am Boden vormontiert. Hierzu wurdenzunächst die Randträger auf Gerüsten aufgebockt und anden Montagestößen miteinander verbunden, bevor sie mit-tels Spreizen und Druckstreben an die oberen Stützenab-schnitte angeschlagen wurden.

Vor der Befestigung von Folie und Seilen mußten dieSeile in die Folientaschen eingeführt werden. Planmäßigwar die Größe der Folientaschen sehr eng gewählt wor-den, um das Einnisten von Insekten zu erschweren, sodaß teilweise dazu übergegangen wurde, die Gewindefit-tinge erst nach dem Einführen der Seile mit einer mobi-len Presse vor Ort aufzupressen. Die Lage der Ringseileauf den Meridianseilen war auf den Seilplänen exakt ver-maßt und wurde schon im Rahmen der Montagevorberei-tung vom Seilkonfektionär auf den Seilen markiert, sodaß auch diese mit der Folie komplett am Boden mon-tiert werden konnten. Das sinnbildliche Einsetzen des„Schlußsteins“ bei der Trichtermontage waren die Mon-tage und das Positionieren des unteren Befestigungsrin-ges und der Federn. Durch das Zusammenspannen derFedern mit einem Spezialwerkzeug aus der Automobilin-dustrie wurde ein unproblematischer Zusammenbau er-reicht.

Parallel zur Trichtermontage wurde jeweils dieStütze gestellt und am unteren Auflager ausgerichtet, be-vor der Schirm mit einem mobilen Kran aufgesetzt undgesichert wurde (Bild 11). Der Hebevorgang verlief mitstetigem Kontakt zum Wetteramt, da zu hohe Windge-

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schwindigkeiten in diesem labilen Bauzustand und beibis zu 196 m2 „Segelfläche“ ausgeschlossen werden muß-ten.

Abschließend konnten dann der Einlauftrichter, dieBeleuchtung und die Heizschlange montiert werden(Bild 10). Die Beheizung der Wasserabläufe ist hier drin-gend geboten, da weder ein Ausweichablauf noch ein Über-lauf zur Verfügung stehen und eine Vereisung bei schnellwechselnden Frost-Tau-Perioden verhindert werden muß.

Obwohl die Montage in Ermangelung anderer Flä-chen im Innenhof der IHK erfolgen mußte, konnte deren

Bild 11. Aufsetzen eines fertig montierten Schirmes auf eineStützeFig. 11. Connection of an assembled umbrella to the pillar

Bild 12. Untersicht der SchirmeFig. 12. View from below

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Betrieb aufrecht erhalten werden, während für die Nut-zung der Tiefgarage eine Einschränkung unumgänglichwar, so daß auf eine kurze Montagezeit großerWert gelegtwurde. Die Voraussetzung hierfür erfüllen Membran-Stahl-Konstruktionen aufgrund des hohen Vorfertigungsgradesbeispielhaft. Wenn außerdem durch eine Probemontagezumindest der Schlüsselfügungen – hier waren das derSpreizen-Randträger-Anschluß und der untere Anschlußvon Folie und Seilen incl. der Federmechanik – Planungs-und Herstellungsfehler ausgeschlossen werden können,sind sehr kurze Montagezeiten möglich. Pro Schirm wur-den exklusive der Andichtung an der Durchdringung derKellerdecke sechs Tage benötigt. Bild 12 zeigt die Unter-sicht der fertiggestellten Schirme.

Am Bau Beteiligte:Bauherr: Industrie- und Handelskammer

Würzburg-Schweinfurt, WürzburgTragwerksplanung: smp – schöne maatz und partner,

Berlin/Projektleiter: Lutz Schöne,Bearbeiter Membranseile: GunnarZapf; Bearbeiter Stahl: MatthiasKunze

Architekten: Prof. Franz Göger/Georg Redel-bach, Marktheidenfeld

Generalunternehmer: Covertex GmbH, ObingMembran: Covertex GmbH, ObingStahl: Industriemontagen Leipzig GmbH,

LeipzigSeile: SAS Seil- und Anschlagmittel

GmbH, SchwerinMontage: Montageservice SL GmbH,

Hallbergmoos

Literatur

[1] Moritz, K.: Membranwerkstoffe im Hochbau. Detail 6 (2000),S. 1050–1058.

[2] Schock, H.-J.: Segel, Folien und Membranen. InnovativeKonstruktionen in der textilen Architektur. Basel: Birkhäuser,1997.

Autor dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Lutz Schöne, smp – schöne maatz und partner, BeratendeIngenieure im Bauwesen, Griebenowstraße 10/11, 10435 Berlin,www.real-smp.de