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Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bundesamt für Justiz BJ Fachbereich II für Rechtsetzung Rechtsfragen bei Verweisen – Weiterbildung Standeskanzlei Kanton Graubünden – 6. November 2009 Prof. Dr. Martin Wyss 1 Rechtsfragen bei Verweisen Was sind Verweise? Wozu dienen Verweise? Typologie der Verweise Sonderfall I: Kantonales Recht verweist dynamisch auf Bundesrecht Sonderfall II: Dynamische Verweise auf private Normen Sonderfall III: Dynamischer Verweis auf ausländisches Recht Neuralgische Probleme

Folien Referat Wyss - RWI · 2018. 6. 19. · Title: Folien_Referat_Wyss Author: meyerr Created Date: 11/9/2009 3:47:38 PM

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    Fachbereich II für Rechtsetzung

    Rechtsfragen bei Verweisen – Weiterbildung Standeskanzlei Kanton Graubünden – 6. November 2009Prof. Dr. Martin Wyss 1

    Rechtsfragen bei Verweisen

    • Was sind Verweise?

    • Wozu dienen Verweise?

    • Typologie der Verweise

    • Sonderfall I: Kantonales Recht verweist dynamisch auf Bundesrecht

    • Sonderfall II: Dynamische Verweise auf private Normen

    • Sonderfall III: Dynamischer Verweis auf ausländisches Recht

    • Neuralgische Probleme

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    Rechtsfragen bei Verweisen – Weiterbildung Standeskanzlei Kanton Graubünden – 6. November 2009Prof. Dr. Martin Wyss 2

    Was sind Verweise?

    Verordnung über Massnahmen gegenüber Somalia

    vom …Der Schweizerische Bundesrat,

    (…)verordnet:

    1. Abschnitt: Begriffsbestimmungen

    Art. 1

    Für diese Verordnung gelten die in Anhang 1 enthaltenen Begriffsbestimmungen.

    2. Abschnitt: Zwangsmassnahmen

    Art. 2 Verbot der Lieferung von Rüstungsgütern und verwandtem Material1 Es ist verboten, Rüstungsgüter nach Anhang 2 direkt oder indirekt nach Somalia zu verkaufen, zu liefern, weiterzugeben, auszuführen oder durch die Schweiz durchzuführen.

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    Anhang 2

    (Art. 2 Abs. 1)

    Güter, die unter das Verbot nach Artikel 2 Absatz 1 fallen

    1. Güter nach Anhang 1 Kriegsmaterialverordnung

    2. Güter nach Anhang 3 und nach Anhang 5, Ziffern 1 und 3 Güterkontrollverordnung

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    Nochmals: Was sind Verweise?„Betrachtet man die Verweisung aus der Sicht der Verweisungsnorm,so bewirkt sie, dass eine von sich aus unvollständige Norm durchHinzufügen eines Verweisungsobjekts vervollständigt wird. (…) Eine (konstitutive) Verweisung ist jede Bezugnahme einer semantisch unvollständigen Norm auf ein Verweisungsobjekt zur Vervollständigung dieser Norm.“

    Alfred Debus, Verweisungen in deutschen Rechtsnormen, Berlin 2008, S. 41 f.

    „Unechte (deklaratorische) Verweisungen sind Erinnerungshilfen, die auf Regelungen verweisen, die ohnehin im Geltungsbereich der Verweisungsnorm gelten; die unechten Verweisungen sind oft überflüssig“.

    Bundesamt für Justiz (Hrsg.), Gesetzgebungsleitfaden, 3. A., Bern 20’07, Rz. 895.

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    Zwischenergebnis:

    1. Verweise komplettieren unvollständige Normen. Normen sind unvollständig, weil sie

    > Tatbestandselemente offen lassen („Rüstungsgut“) oder

    > Rechtsfolgen offen lassen („richtet sich nach OR“).

    2. Verweisungsnorm verweist auf Verweisungsobjekt.

    3. Verweisungsnorm verweist punktgenau („direkter Verweis“) oder flächig („indirekter Verweis“).

    4. Das Verweisungsobjekt ändert sich im Laufe der Zeit nicht („starr“) oder kann inhaltliche Anpassungen erfahren („dynamisch“).

    5. Wer „beherrscht“ das Verweisungsobjekt und seinen Inhalt?

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    Wozu dienen Verweise?

    • Harmonisierung der Rechtsordnung

    • Verwesentlichung des Normtextes

    • Systemkonformität

    • Abgleichung mit ausserrechtlichen Standards bzw. „Import“ nicht-staatlicher Normen i.w.S. („Sittlichkeit“?)

    • Dynamisierung der Rechtsentwicklung und Ankoppelung an das Schicksal anderer Normen

    • Andere Gründe?

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    Normersparnis, Flexibilität

    Verweis mittels Generalklausel (insbesondere technische Normen u. dgl.)

    Indirekter Verweis

    Normersparnis, Flexibilität

    Verweis auf aktuelle bzw. aktualisierte Fassung

    Dynamischer

    Verweis

    NormersparnisVerweis auf bestimmte FassungStatischer Verweis

    Normersparnis, Flexibilität

    Verweis auf Norm ausserhalb Erlass (Erlass-Angabe nötig)Aussenverweis

    NormersparnisVerweis auf Norm im gleichen Erlass (Artikel-Angabe genügt)Binnenverweis

    ÜbersichtErinnerung, Vorbehalt („im übrigen…“)Informative V.

    Normersparnis, Einheitlichkeit

    Verbindlicher VerweisNormative V.

    ZweckInhalt

    Grafik basiert auf einer Vorlage von von Felix Uhlmann

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    „Mit einer Verweisung verzichtet der an sich zuständige Rechtsetzer auf eine eigene Regelung unter Bezugnahme auf eine andere, bereits bestehende Norm. Während bei der statischen (oder starren) Verweisung auf eine bestimmte Fassung der Verweisregelung verwiesen wird, kommt bei der dynamischen Verweisung die jeweilsgeltende Fassung der Verweisregelung zur Anwendung (...). Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, handelt es sich bei Art. 22 Abs. 1 SBBG um eine dynamische Verweisung. Es wird ergänzend aufdie Regeln des Obligationenrechts über die Aktiengesellschaft in deren jeweils geltenden Fassung verwiesen.“

    BGE 132 III 470, E. 4.1

    Sonderfall dynamische Verweise

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    Sonderfall I: Kantonales Recht verweist dynamisch auf Bundesrecht

    „Das kantonale Übertretungsstrafgesetz ist ein formelles Gesetz. Es legt fest, dass die allgemeinen Bestimmungen des StGB für das Strafrecht des Kantons (als kantonales Recht) Anwendung finden. Das Übertretungsstrafgesetz enthält damit eine (sog. dynamische) Verweisung. Allgemein werden Verweisungen nicht als verfassungswidrig betrachtet (...). Die Verweisung im Übertretungs-strafgesetz auf das StGB ist klar und eindeutig. Klarerweise bezieht sie sich u.a. auf Art. 58 Abs. 4 aStGB bzw. Art. 59 Ziff. 2 Abs. 1 StGB und umschliesst da-mit auch Ersatzforderungen des Gemeinwesens gegen einen Straftäter. Eben-so eindeutig ist, dass die Verweisung - den kantonalen Zuständigkeiten im Be-reiche des Strafrechts entsprechend - lediglich Übertretungen umfasst. In bezug auf die Einziehung bzw. auf die Ersatzforderung erweist sich daher das kantonale Recht als hinreichend bestimmt und klar.“

    BGE 124 I 6, E. 4a

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    9 Jahre später: Zunehmendes Problembewusstsein

    „Wie es sich im Hinblick auf eine allfällige dynamische (...) Aussenverweisung (...) im kantonalen Verwaltungsrechtspflegeerlass (etwa des Inhalts: "für den Fristenstillstand gelten die einschlägigen Vorschriften des Bundesrechts") verhielte, braucht hier - insbesondere mit Blick auf die verbreitet geäusserte Zurückhaltung gegenüber der Anwendung solcher Verweisungsnormen (...) -nicht näher geprüft zu werden. Immerhin ist auf die Bedenken insbesondere hinsichtlich der dynamischen Verweisung bezüglich Gewaltenteilung, Rechts-sicherheit, Demokratie und Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen (...) hinzuweisen, wonach auf Bundesebene eine dynamisch-direkte Verweisung auf Grund der geltenden verfassungsrechtlichen Lage grund-sätzlich als unzulässig erachtet wird.“

    BGE 133 V 96 E. 4.4.5

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    Schliesslich……

    „Die zugerische Praxis stützt sich dazu auf § 28 KZG/ZG [kantonales Gesetz über die Kinderzulagen]. Diese Bestimmung mit dem Titel "Ergänzendes Recht" steht im 6. Abschnitt des KZG/ZG mit dem Abschnittstitel "Straf- und Schlussbestimmungen". Ihr Abs. 1 lautet: "Soweit dieses Gesetz den Vollzug nicht abschliessend regelt, finden die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Familienzulagen in der Landwirtschaft als ergänzendes Recht Anwendung." Das Gesetz enthält somit nicht selber eine Haftungsbestimmung, sondern bloss eine dynamische Verweisung auf eine andere Gesetzgebung. Solche Verweisungen sind im Lichte des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots wie auch der demokratischen Zuständigkeitsordnung problematisch, soweit das verwiesene Recht Bestimmungen enthält, die aufgrund ihrer Bedeutung für die Rechtsstellung des Bürgers rechtssatzmässig festgelegt bzw. demokratisch legitimiert sein sollten. Sie können allerdings unter Umständen als gesetzliche Grundlage ausreichen (...). Voraussetzung dafür ist, dass die Verweisung als solche hinreichend klar und eindeutig ist (...). Das Bundesgericht hat es (im Rahmen von staatsrechtlichen Beschwerden) als nicht willkürliche Gesetzesanwendung beurteilt, § 33 Abs. 2 des zürcherischen Kinderzulagengesetzes vom 8. Juni 1958 sowie § 29 des (alten) nidwaldnerischen Gesetzes vom 30. April 1972 über die Kinderzulagen, wonach generell die Vorschriften über die eidgenössische Alters- und Hinterlassenenversicherung sinngemäss Anwendung finden, alshinreichende gesetzliche Grundlage für eine Arbeitgeberhaftpflicht zu betrachten. Es wies dabei auch darauf hin, dass die eidgenössische Regelung vor der kantonalen Norm ergangen war und seither nicht geändert wurde, dass eine enge inhaltliche und verfahrensmässige Verbindung zwischen der eidgenössischen AHV-Gesetzgebung und der kantonalen Kinderzulagengesetzgebung bestehe und dass der Schadenersatz nach kantonalem Recht neben dem bundesrechtlichen quantitativ von untergeordneter Bedeutung sei (Urteile 2P.251/1996 vom 30. Juni 1997, E. 2b; 2P.284/1998 / 2P.313/1998 vom 21. Februar 2001, E. 4b/bb; vgl. auch Urteil P.22/1985 vom 25. Mai 1988, E. 2).“

    BGE 134 I 179, E. 6.3

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    Jenseits des Rheins….

    Weiter hält die Beschwerde sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig, ob eine "dynamische Verweisung" von Landesgesetzen auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes mit Bundesverfassungsrecht insbesondere mit Art. 20 GG vereinbar ist. Dies lässt sich bejahen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen (BVerfGE 47, 285 ). Zu beachten sind allerdings die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen Verweisungsnormen wie alle anderen Rechtsvorschriften unterliegen, sowie die besonderen Anforderungen, die sich bei dynamischen Fremdverweisungen, d.h. bei Verweisungen auf die Norm eines anderen Normgebers ergeben. Bei Letzteren müssen die rechtsstaatlich-demokratischen Anforderungen und das Bundesstaatsprinzip beachtet werden (BVerfGE 60, 135 ). Diesen Anforderungen werden die Verweisungen auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes im Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Rheinland-Pfalz und im Landeswassergesetz des Landes Rheinland-Pfalz gerecht: Da durch eine bundesrechtliche Regelung allein ein einheitliches Verwaltungsverfahrensrecht nicht zu erreichen gewesen war, hatten die Innenminister der Länder bereits 1976 beschlossen, nach Erlass des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes auf den Erlass von mit diesem Gesetz inhaltsgleichenLandesverwaltungsverfahrensgesetzen hinzuwirken. (…) Während die Mehrzahl der Bundesländer vollständige Verwaltungsverfahrensgesetze erlassen hat, haben einige Länder u.a. Rheinland-Pfalz auf eigene Vollregelungen des Verwaltungsverfahrensrechts verzichtet und sich auf wenige vom Verwaltungsverfahrensgesetz abweichende Regelungen beschränkt, sowie im Übrigen auf das Verwaltungsverfahrensgesetz verwiesen.“

    BVerwG 7 B 151.04, Beschluss vom 3.3.2005, Rz. 20 ff.

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    „Bei der dynamischen unmittelbaren Verweisung gesellen sich noch folgende Probleme hinzu: Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des verweisenden Erlasses mag der Gesetzgeber noch eine konkrete Vorstellung vom Inhalt des Verweisungsobjektes haben. Insbesondere kann er wissen, ob die in diesem Moment "geltende" Fassung einer Verbandsnorm nicht etwa gegen den verweisenden Erlass oder anderes öffentliches Recht verstösst. Wer gewährleistet aber beispielsweise dem, Bundesrat, dass sich die CEE- oder SEV-Normen stets innerhalb der von der Elektrizitätsgesetzgebung gezogenen Schranken bewegen? (...) So wird offenbar, dass eine dynamische Verweisung auf Verbandsnormen nichts anderes ist als eine verkappte materielle (wenn auch nicht formelle) Normsetzungsdelegation, mithin eine antizipierte Genehmigung aller zukünftigen Normen des im Erlass genannten Normungsverbandes (...).“

    VPB 41 (1977) Nr. 110 (Stellungnahme der Justizabteilung vom 9. Mai 1977, Hervorhebung hinzugefügt)

    Sonderfall II: Dynamische Verweise auf private Normen

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    Anschauungsmaterial

    Verordnung vom 16. Dezember 2008 zum Gesundheitsgesetz

    Art. 14

    Alters- und Pflegeheime, Pflegegruppen und Pflegewohnungen erfüllen

    die Anforderungen in räumlicher Hinsicht, wenn:

    a) die räumliche Ausgestaltung der Norm SN 521 500 "Behindertengerechtes

    Bauen" des Schweizerischen Invalidenverbandes, den Merkblättern

    7/95 und 5/98 der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes

    Bauen sowie den Anforderungen des Gesundheitsamtes

    an Räume und Freianlagen sowie an Dementenstationen von subventionierten

    Alters- und Pflegeheimen entspricht. Das Gesundheitsamt

    kann im Einzelfall Ausnahmen bewilligen;

    b) das Raumkonzept auf das Betriebskonzept abgestimmt ist.

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    Sonderfall III: Dynamische Verweise auf ausländisches Recht?„22 Ob eine gesetzliche Verordnungsermächtigung diesen Anforderungen genügt, ist durch Auslegung zu ermitteln, bei der nicht nur auf die Verordnungsermächtigung selbst, sondern auf die Gesamtregelung des Gesetzes abzustellen ist (BVerfGE 42, 191 ). Verweist das Gesetz auf Normen und Begriffe des europäischen Gemeinschaftsrechts, so ist auch dieses einzubeziehen (BVerfGE 29, 198 ; 34, 348 ). Es bestehen auch keine prinzipiellen Bedenken gegen dynamische Verweisungen, also gegen Ermächtigungen zur Umsetzung, Ausfüllung oder Durchführung von künftigem Gemeinschaftsrecht; denn der Gesetzgeber entäußert sich damit nicht einer eigenen Gesetzgebungsmacht, sondern bezeichnet nur näher, worauf sich die erteilte Verordnungsermächtigung bezieht (…). Dabei ist allerdings zu bedenken, dass sich das Gesetz durch die Verweisung von der Bestimmtheit des in Bezug genommenen Gemeinschaftsrechts abhängig macht. Wird das Gemeinschaftsrecht geändert und nimmt seine Bestimmtheit dabei ab, so verringert sich auch die Bestimmtheit der gesetzlichen Verordnungsermächtigung, die auf es Bezug nimmt.(…)

    24 Allerdings hat schon die Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 die vorherigen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen wesentlich knapper gefasst und den Mitgliedstaaten Regelungsspielräume zur Verfolgung einer eigenen Marktstrukturpolitik eröffnet. Das geschah offenbar unter dem Eindruck des Subsidiaritätsprinzips, das durch den Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 im primären Gemeinschaftsrecht verankert worden ist (heute Art. 5 EG). Dies wirft die Frage auf, ob sich der nationale Gesetzgeber weiterhin damit begnügen darf, die durch Gemeinschaftsrecht eröffneten Regelungsspielräume im Wesentlichen ohne eigene Vorgaben an den Verordnungsgeber weiterzureichen (…). Das wird in dem Maße problematisch, in dem das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten nicht nur Fragen der zweckmäßigen Umsetzung vorgegebener Ziele im Rahmen eines vorgegebenen Regelungssystems, sondern Fragen von weiterreichender Bedeutung oder gar die Wahl zwischen mehreren verschiedenen Regelungssystemen überlässt. Namentlich wenn hierbei Grundrechte betroffen sind, muss der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen (vgl. BVerfGE 58, 257 ); das gilt auch bei der Umsetzung oder Konkretisierung von Gemeinschaftsrecht.

    BVerwG 3 C 35.03, Urteil vom 16.9.2004

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    Auswege aus dem Dilemma?

    Verordnung vom 19. Juni 1995 über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge (VTS, SR 741.41)

    Art. 5 Verbindlicherklärung internationaler Vorschriften durch das UVEK

    1 Das UVEK wird ermächtigt:

    a. Änderungen technischer Einzelheiten von untergeordneter Bedeutung der in Anhang 2 aufgeführten internationalen Vorschriften nachzuführen;

    b. neue internationale Bau- und Ausrüstungsvorschriften, die technische Einzelheiten von untergeordneter Bedeutung betreffen, in der Schweiz verbindlich zu erklären.2 Die mitinteressierten Behörden sind anzuhören. Bei Meinungsverschieden-heiten zwischen Bundesbehörden entscheidet der Bundesrat.

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    • Die Anerkennung von ausländischen Rechtstatsachen durch das Landesrecht (beispielsweise Anerkennung von ausländischen Führerscheinen nach Art. 25 Abs. 2 lit. b SVG i.V.m. Art. 42 VZV).

    • Verweise des Landesrechts auf die Anhänge der bilateralen Abkommen (in solchen Fällen wird zwar dynamisch aber nicht auf ausländisches Recht verweisen, sondern auf das jeweils massgebliche Staatsvertragsrecht der Schweiz).

    • Delegationsbegrenzungen für den Verordnungsgeber: Wo der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber Rechtsetzungsbefugnisse delegiert und ihn dabei verpflichtet, sich bei der Ausübung dieser Befugnisse an ausländischem Recht zu orientieren (indirekter dynamischer Verweis?)

    Verwechslungsgefahr

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    Luftfahrtgesetz (SR 748.0)Art. 20 Meldesystem für besondere Ereignisse1 Zur Verbesserung der Flugsicherheit richtet der Bundesrat ein Meldesystem für besondere Ereignisse in der Luftfahrt ein. Für Flugunfälle gelten die Bestimmungen von Artikel 23 Absatz 1.2 Der Bundesrat orientiert sich bei der Einrichtung des Meldesystems an der Richtlinie 2003/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2003 über die Meldung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt.

    Kollektivanlagengesetz (SR 951.31)Art. 152 Vollzug1 Der Bundesrat erlässt die Ausführungsbestimmungen.2 Der Bundesrat und die FINMA beachten beim Erlass von Verordnungsrecht die massgebenden Anforderungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften.

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    Neuralgische Probleme

    • Verfassungsrechtliche Anforderungen an dynamische Verweise auf das Recht ausländischer Staaten und internationaler Organisationen – Sonderproblem Staatsvertragsreferendum

    • Referenzierungs- und Zitierungsfragen (EG-Recht, ICAO, etc.)

    • Rechtsschutz

    • Kaskadenverweise

    • Publikationsrecht