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~ ZEITSCHRIFT _.-- DER SAVIGNY-STIFTUNG FOR RECHTSGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON M. KASER. W. KUNKEL, K. S. BADER, H. THIEME H. E. FEINE, J. HECKEL. H. NOTTARP DREIUNDSIEBZIGSTER BAND LXXXVI. BAND DER ZEITSCHRIFT FOR RECHTSGESCHICHTE GERMANISTISCHE ABTEILUNG WEIMAR 1956 VERLAG HERMANN BÖHLAUS NACHFOLGER

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~ZEITSCHRIFT_.--

DER SAVIGNY-STIFTUNGFOR

RECHTSGESCHICHTEHERAUSGEGEBEN VON

M. KASER. W. KUNKEL, K. S. BADER, H. THIEME

H. E. FEINE, J. HECKEL. H. NOTTARP

DREIUNDSIEBZIGSTER BANDLXXXVI. BAND DER ZEITSCHRIFT FOR RECHTSGESCHICHTE

GERMANISTISCHE ABTEILUNG

WEIMAR 1956VERLAG HERMANN BÖHLAUS NACHFOLGER

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V.Die Zenrgeridlre in Hessen und die fränkisdte (enrene.

I

VonKorl Kroeschell.

1.Das Problem.So alt wie die Beschäftigung mit dem Wesen der hessischen

Zentgerichte des hohen und späten Mittelalters sind die Versuche,sie mit der centena der fränkischen Zeit in Verbindung zu bringen,die aus den Kapitularien und einigen Volksrechten als eines derbedeutsamsten Institute der fränkischen Gerichtsverfassung be-kannt ist'). Die Art und Weise, wie man diese Verbindung her-stellte, entsprach dem jeweiligen Stande des Wissens um die frän-kischen Verfassungseinrichtungen und ihre germanischen Vorläufer.Der gleichbleibende Grundgedanke war aber jedenfalls seit dem18. Jh., daß die fränkische Gaugrafschaft in Centenen eingeteiltgewesen sei, die sich als Gerichtsgemeinden der Freien aus denalten germanischen Hundertschaften entwickelt hätten. Der Grafhabe über alle Centenen seines Gaues an den ungebotenen Gerichts-tagen die hohe, die Centenare im gebotenen Ding die niedere Ge-richtsbarkeit geübt.

1) Der Anregung von H. Dannenba'uer, Hundertschaft, Centena undHuntari, Hist. Jb. 62-69 (1949) S. 218 Anm. 247 entsprechend, werden inden folgenden Ausführungen die Bezeichnungen Hundertschaft, Centene undZent stets deutlich unterschieden, ohne Rücksicht darauf, wie einzelneAutoren diese Begriffe zusammenwerfen. Unter Hundertschaft verstehenwir die germanische Hundertschaft, wie sie sich die klassische rechts-historische Lehre dachte, unter Centene die umstrittene Organisationsformder fränkischen Zeit, die man besser als Königscentene bezeichnet, wennman sie in Dannenbauers Sinn versteht. Zent schließlich ist das seit dem12. Jh. in Franken und Hessen so bezeichnete Gericht, für das der Ausdruckcentena nie, centuria nur gelegentlich (wohl als Lesefrucht) vorkommt. Auchder Zentgraf (gelegentlich centurio genannt) ist eine dem hohen Mittelaltervorbehaltene Bezeichnung.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. SOl

Nach diesem Bilde formte schon C. Ph. Kopp seine Vorstellungvon der mittelalterlichen Gerichtsverfassung Hessens2). In derGrafschaft Maden, die im 11. Jh. mehrfach genannt wird, erblickteer die eigentliche hessische Grafschaft3), während er bei dencomiciae Meiser, Frommershausen und Hagebucken ') schon un-gewiß war, ob es sich nicht um Centenen handelte, die nur einspäterer ungenauer Sprachgebrauch als Grafschaften bezeichnethabe. Von den Centgerichten auf dem Sendberg"), in Schrecks-bach") und in Guxhagen") war er überzeugt, daß sie alte Centenenseien, und das gleiche gilt auch von den centae der GrafschaftBattenberg-Stiffe und den iurisdictiones der Grafschaft Rucheslos).Da er also sowohl die Zenten als auch die kleineren comiciae alsalte Centenen anzusehen geneigt war, gelangte Kopp zur Annahmeeiner recht großen Anzahl von Centenen in der hessischen Graf-schalt"]. Die sachliche Zuständigkeit dachte er sich so verteilt, daßFreiheit, Eigen und Erbe sowie Erkenntnisse auf Todesstrafe demGrafen vorbehalten waren, alles andere aber den Centenaren ver-blieb'"), Die bezeugte Blutgerichtsbarkeit hessischer Zenten imhohen Mittelalter mußte daher mit einer Übernahme alter gräf-licher Funktionen erklärt werdenll).

I

Ähnlich war auch die Auffassung von H. B.Wenck12). Aller-dings setzte er die Zahl der Centenen des Hessengaues beträchtlich

I) Carl Philipp Kopp, Ausführliche Na~hricht von der älteren undneuern Verfassung der Geistlichen und Civil-Gerichten in den Fürstl.Hessen-Casselschen Landen Bd. I (1769).I) Kopp S. 228ff., 248ff. Von ihr unterscheidet er allerdings die hessische

Landgrafschaft (comitatus superior), um diese nicht der für das MadenerLandgericht bezeugten Mainzer Lehnshoheit unterwerfen zu müssen••) Kopp S. 233fl.I) Kopp S. 240.') Kopp S.297.') Kopp S. 306. ') Kopp S.243ff. ') Kopp S.247f.10) Kopp S. 229.11) Kopp S.306.11) Helfrich Bernhard Wenck, Hessische Landesgeschichte Bd.I1,

1. Abt. (1789) S. 343ff., 395ff. Wenck lehnt auch Kopps Unterscheidungdes hessischen comitatus superior vom comitatus },f adanun ab und bleibt beieiner strengen Zweistufigkeit Grafschaft-Centene. Die mainzische Lehns-berrschaft bezieht er daher, aus den gleichen Erwä.gungen wie Kopp, aufdie Centene Maden (Bd. 11, 1. Abt. S. 418f., Anm. v und w). .

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herab, indem er, an die kirchliche Einteilung des ArchidiakonatsFritzlar in neun Archipresbyterate anschließend, nur neun alteHundertschaften annahm. G. La n d a u13) folgte ihm darin, knüpfteaber an diese Neunzahl eine mystische Zahlenspielerei, indem erjede der neun Centenen wieder in drei Unterbezirke gegliedert seinließ. Die im späteren Mittelalter bezeugten zahlreichen kleinerenZenten dachten sich Wenck und Landau als Zerfallsprodukte der

, großen Ilroentenen'").Alle diese älteren Autoren hatten, den Angaben hochmittelaIter-

licher Urkunden folgend, angenommen, daß in Hessen der Grafwenigstens seine ungebotenen Dinge an der Gerichsstätte von Ma-den abgehalten habe. Nunmehr brachten aber R. Sohm undH. Brunner die klassische Lehre von der fränkischen Gerichts-verfassung zur endültigen Formulierung und trugen vor, die un-gebotenen Dinge seien vom Grafen in sechswöchentlichem Abstand(also 8-9 im Jahr) abwechselnd an den Malplätzen der Centenenseines Gaues abgehalten worden-"). Danach habe also das Grafen-gericht nur in den zu einerideellen Einheit zusammengefaßtenCentenen bestanden"), und eine eigene Grafschaftsdingstätte habees nicht gegeben.Der vollständigen Übertragung dieser Lehre auf Hessen wider-

sprach als erster und bis zum heutiger Tage einziger G. Fr h.Schenk zu Schweinsberg. Er stellte fest, daß die Gerichtsstättevon Maden nicht den Gerichtsstätten der übrigen Centenen gleich-geordnet und nur als Centenengerichtsstätte, ebenso wie die ande-

13) Georg Landau, Beschreibung des Hessengauess (1866), S. V, 48.233ff.

14) Wenck Bd. rr, 1.Abt. S. 422f., Landau, Hessengau S. 233ff.; ders.,Die Territorien in Bezug auf ihre Entstehung und Entwicklung (1854)S.354.

16) Ru d olf Soh m, Die fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung(1871);Heinrich Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte- Bd. II (1892) S. 141ff.,216ff. In der 2. Aun. 'des H. Bandes (1928) hat der Bearbeiter Cl. Frh. v.Schwerin durch die Gleichsetzung von tunginus und centenarius die Brun-nersche Auffassung stark verwischt. Wir legen deshalb die 1.Aufl, zugrunde.

11) Das ist die in der Rechtsgeschichte bis heute herrschende Lehra;Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte Bd, I (1954) S.191;Heinrich Mitteis, Deutsche Rechtsgeschichte' (1954) S. 42; ders., DerStaat des hohen Mittelalters. (1954) S. 65; Claudius Frh. v. Schwerin-Hans Thieme, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte (1950) S.82_

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ren, für die ganze Grafschaft zuständig gewesen sei-"). Vielmehrhabe sie sich ganz eindeutig als Grafschaftsgerichtsstätte, als maiustribunal comitatus Hassie, aus ihnen herausgehobenl8). Dieser Ein-wand hatte hohen sachlichen Wert und eröffnete z. B. für die Be-urteilung der kleineren hessischen Grafen, etwa der Schauenburger ,neue Möglichkeiten, die der tatsächlichen Lage besser gerecht wur-den"). Da jedoch auch Schenk zu Sch weins berg grundsätzlichan eine Gliederung des Hessengaues in Centenen glaubte, führtesein Widerspruch nicht zu einer gründlichen Revision der herr-schenden Lehre.Es blieb also auch für Hessen bei der Brunnersehen Ansicht

von den Centenen als den eigentlichen Gerichtsgemeinden. derenmehrere zu einer Grafschaft vereinigt seien und in denen der Grafdie echten Dinge abhielt. Zusammen mit Landaus Neunzahl derhessischen Centenen wurde diese Auffassung zur unbestrittenenGrundlage der hessischen Landesgeschichtsforschung seit der Jahr-hundertwende. Insbesondere die Arbeiten zum hessischen Ge-schichtsatlas'") behandelten ihr jeweiliges Gebiet unter Zugrunde-legung dieses Schemas und bemühten sich, für seine RichtigkeitBelege beizubringen, ohne die Frage in den Vordergrund zu stellen,ob es überhaupt Gültigkeit beanspruchen könne'"), Wie schon

17) Das hatte Sohm S. 332 behauptet.18) Gustav Frh. Schenk zu Sehwef nsb arg , Die Grafschaftsgerichts-

stätten :Maden und Rucheslo, Ztschr. d. hess. Ver. f. gesch. Landeskde.(ZHG) 15 (1874) S. 210ff.; ders., Beiträge zur althessischen Territorial-geschichte, Archiv f. hess. Gesch. (AH G) 13 (1872-75) S.443 Anm. 51;hier wird der Widerspruch jedoch schon abgeschwächt.

18) Schenk zu Sehwe insb erg , Grafschaftsgerichtsstätten S. 214, hältsie für Grafen, die den Inhabern der Grafschaft Maden völlig gleichgeordnetwaren, während Landau, Hessengau S. 67ff. sie für Centgrafen der altenCentene Ditmold erklärte - eine Ansicht, die heute wieder aufgelebt ist.VgI. M. Eisenträger-E. Krug, Territorialgeschichte der Kasseler Land-schaft (Sehr. d. Inst. f. gesch. Landeskd. v. Hessen u. Nassau 10, 1935),S.33ff.

10) Herausgegeben von Edmund E. Stengel, Bd. 1-5 (1925-30) alsMarburger Studien z. äIt. dtsch. Gesch. Reihe I, Bd, 6ff. (1929ff.) alsSchriften d. Inst. (jetzt: Landesamts) f. gesch. Landeskunde v. Hessen u.Nassau.

11) VgI. Dannenbauer S.159 Anm.19 (wozu freilich zu bemerken i~t,daB die hessischen Atlasarbeiten eigentlich die fränkische Centene meinen,

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Wenck und Landau taten, hielt man die kleinen Zentgerichte desMittelalters für späte Zerfallsprodukte und versuchte die großenalten Centenen zu rekonstruieren, deren Deckung jedenfalls mitden sedes der oberhessischen Synodalverfassung grundsätzlich an-genommen wurde"). Es sei darauf verzichtet, die zahlreichen Bei-spiele dafür anzuführen, wie oft diesen Rekonstruktionen eine"petitio principii zugrunde lag23). So wurden etwa von mehrerennebeneinander genannten Zenten diejenigenals nachträgliche Ab-spaltungen angesehen, deren Hauptorte späte Ortsnamen tragen,und ihr Gebiet wurde den benachbarten Zenten mit frühen Namen:zugerechnet. Kleine Zenten wurden, wenn ihr Hauptort sedes oderErzpriestersitz ist, auf dessen ganzen Bereich ausgedehnt, weil manglaubte, daß diese kirchliche Einteilung aus fränkischer Zeitstamme. Das aber suchte man wiederum daraus herzuleiten, daßdie Erzpriestersitze in den (für fränkisch gehaltenen) Zentortenliegen. Daß die auf solche Weise zur Deckung gebrachte kirchlicheund gerichtliche Gliederung nur von den Franken durchgeführt

. worden sein könne (man hält sogar für gewiß, daß Karl Martell sieschuf), schloß man daraus, daß Hessen seit dem frühen 6. Jh. Be-standteil des fränkischen Reiches gewesen sei. Das so gewonneneBild ist gegenwärtig die Grundlage der Vorstellung, die man sichvon der Verfassung Hessens in fränkischer Zeit und damit letztlichim ganzen Mittelalter macht. Gegen die dabei befolgte Methode des

auch wenn sie von Hundertschaft sprechen). Eine Ausnahme macht bishernur W. Krummei, Die hess. Ämter Melsungen, Spangenberg, Lichtenau'u. Felsberg (Sehr. d. Inst. 20, 1941) S.10-14, der nachweist, daß es eineCentene Gensungen nicht gab.

IS) W. Classen, Die kirchliche Organisation AIthessens im Mittelalter'(Sehr. d. Inst. 8, 1929) S. 33f. S. SO äußert er sich über den Zusammenhang-der Zenten mit den niederhessischen Archipresbyteraten vorsichtiger. DieRückdatierung der sede» auf das 8. Jh. wird damit begründet, daß sie mit-den Zenten des 13. Jh.s übereinstimmten, diese aber (als alte Centenen).älter seien.

11) Dieser Umstand soll nicht den einzelnen Autoren zur Last gelegtwerden, die nur dem festgelegten Plan der Atlasvorarbeiten folgten. Imeinzelnen vgl. E. Anhalt, Der Kreis Frankenberg (Sehr. d. Inst. 4, 1928)S. 12-23; F. A. Brauer, Die Grafschaft Ziegenhain (Sehr. d. Inst. 6,1934)S. 6-15; Eisenträger-Krug S.12-20; B. Helbig, Das Amt Homberg.an der Efze (Schr. d. Inst.17, 1938) S. 5-11; H. Diefenbach, Der Kreis.Marburg (Schr. d. Inst. 21,1943) S.16':"'27.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 305

Rückschlusses von mittelalterlichen Zentgerichten auf fränkischeCentenen ist bis vor kurzem'") kein Widerspruch lautgeworden.Das gleiche Verfahren wurde in Mainfranken angewendet, wo

man ebenfalls die Zentgerichte ohne Bedenken aus fränkischenCentenen ableitete'"). Im Zurückprojizieren der spätmittelalter_lichen Zustände in die fränkische Zeit ging man auch hier so weit ,alte Marken kurzerhand als Zenten zu bezeichnen, ohne dafür An-haltspunkte zu haben"). Der einzige nachfränkische Beleg für einencenturio, dem 10. Jh. entstammend"), ist nicht geeignet, die Lückein der Argumentation auszufüllen. So hielt man Zusammenhängeiür gewiß, die doch höchstens vermutungsweise herzustellenwären'").

In scharfem Gegensatz zu der klassischen Lehre von der frän-kischen Centene hat nun vor einigen Jahren H. Dannenbauereine neue Auffassung entwiekelt'"). Er bestreitet, daß es eine Cen-

U) K. A. Kroeschell, Hessen und der Kaufungerwald im Hochmittnl,alter, Jur. Diss. Göttingen 1953, S. 50ff. Die dort geäußerten Gedanken sindin der vorliegenden Abhandlung näher ausgeführt.

15) E. Frh. v. Guttenberg, Die Territorienbildung am Obermain (1926).U) KarI Dinklage, Beiträge zur mittelalterl. Geschichte d. Zent-

gerichte in Franken, ?tIainfränk. Jb. 4 (1952) S.33, erklärt die 779 um-schriebene marcha Uuirziburgorum (Müllenhoff-Scherer, Denkmäler d.dtsch. Poesie u. Prosa', 1873, S. 176) für eine Zent. Der 1. Abschn. seines Auf-satzes, überschrieben "FrühmittelaIterl. frink. Zentgerichtswesen", handeltin Wahrheit von den ostfränkischen Grafengerichten (dazu auch W. Schle-.singer, Die Entstehung der Landesherrschaft, 1941, S. 68-73); die dortvon Dinklage zitierten Quellen sagen nichts über Centenen oder Zenten.über den eenturio in KaItensundheim vgl. folg. Anm.

i7) [951-955] bei Dronke, Codex diplomaticus Fuldensis (1850) Nr. 692.Er scheint jedoch als Vogt des Klosters Fulda tätig zu werden; vgl. Dink-lage S. 53f., Schlesinger S. 71f. Irgendeine Verbindung mit dem Wesenund den Kompetenzen der spitmittelaIterlichen Zent läßt sich hier nichtherstellen, um so weniger, wenn man gegenüber Dronke die Einordnung derUrkunde bei J. Pistorius, Rerum germanicarum Scriptores Bd. IllS. 514heranzieht, wo sie zwischen lauter Urkunden der Zeit Karls d. Gr. steht;lediglich die unmittelbar folgende Urk. gehört ins Jahr 930. Mit hoher Wahr-.scheinlichkeit gehört also auch dieser centurio in karolingische Zeit. FürdenHinweis hierauf danke ich W. Metz.

IS) Das betont mit Recht C. Brinkmann in seiner Ausgabe der Weis--tümer der Reichartshauser und Meckesheimer Zent (Bad. Weistümer u.Dorfordn. Bd. I Heft I, 1917) S. XIII.

It) Dannenbauer S.155ff.

:20 Zeltsduift für Hechtsgesdridrte, LXXIII. Germ. Abt.

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306. Karl KroeschelI,

tene als Untergliederung des Gaues, als Gerichtsgemeinde voll-freier Leute gegeben habe. Auch die germanische Hundertschaftals Gerichtsgemeinde, aus der sich die Centene entwickelt habensoll, sei nämlich nur ein Phantasiegebilde der Rechtshistoriker. DieCentene sei vielmehr eine Organisationsform des Königsgutes fürZwecke der Polizei, der Wirtschaft, der Rechtspflege und desKriegsdienstes gewesen und habe sich von da aus zum organisa-torisehen Mittel für die politische und militärische Durchdringungder von den Franken eroberten und kolonisierten Gebiete ent-wickelt. Das Amt des Centenars sei von den Römern überkommen;er sei nicht "Volksbeamter", sondern Königsbeamter gewesen. DieGerichtsgemeinde, der er vorgestanden habe, sei von den in derCentene zusammengefaBten Königszinsern gebildet worden. Vorallem die VeräuBerung ihres Grundbesitzes - nur an Genossen -habe sich vor dem Centenar vollzogen. Dem Grafengericht hättendie, Allgehörigen der Centene nur für die Kriminalfälle unter-standen").

So sehr diese neuen Thesen im Gegensatz zur älteren Lehrestehen - sie bedienen sich doch vielfach der gleichen Begrün-dungen. Ähnlich wie die alte Lehre die mittelalterlichen Zent-gerichte auf die fränkische Centene zurückführte und aus ihnen ihreArgumente gewann, beruft sich auch Dannenbauer als Beweisfür seine Ansichten vielfach auf die Zentgerichte vor allem in Fran-ken'"), aber auch in Hessen'").

Bisher hat sich die Dannenbauersche Lehre noch nicht all-gemein durchsetzen können"), Anerkannt wird allgemein, daB eseine germanische Hundertschaftsgemeinde nicht gegeben habe3s •.) j:

ao) So Dannenbauer S.192 für die Siedler der spanischen Mark, deren/ Stellung er - mit Ausnahme der Zinsfreiheit - auch den Centenen zuweist

(S.213fJ. .11) Auch hier gab es gegen die rückschließende Methode nur einen wenig

beachteten Vorbehalt bei H. Weigel, Straße Königscentene und Klosterim karoling. Ostfranken, Jb. f. fränk. Landesforschung 13 (1953) S. 10·Anm.14.") Dannenbauer S. 207•

.. 83) Widerspruch erhob F. Steinbach, Hundertschar, Centena und Zent-gericht, Rhein. VierteljahrsblI.15/16 (1950/51) S.12lff.

sa&)W. Görich hält, wie er mir mitteilt, im Gegensatz zu den frän-kischen "Kleinzenten", die Rekonstruktion von ,)Urzenten" oder "Hundert_

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ob man sich die Centene ursprünglich nur als Organisationsform desKönigsguts vorzustellen habe, ist noch umstritten 3.). Eine Stellung-nahme zu dieser Auseinandersetzung liegt außerhalb des dieserStudie gesteckten Rahmens. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daßDannenbauers Auffassung von der fränkischen Staatskolonisa_tion mit Hilfe der Centene den seit K. Rübel35) vertretenen An-sichten vom organisatorischen Vorgehen der Frankenkönige in deneroberten Gebieten sehr entgegenkommt und deshalb gewiß nochweitere Zustimmung finden wird. Verwandte Thesen vertrat zuerstA. Hausler'"), und W. Schlesinger äußerte später für das Grab-feld entsprechende Vermutungen 37). Vor allem für Ostfranken abersind die Lehren von einer ausgedehnten fränkischen Staats-kolonisation in starkem Maße entwickelt worden").Angesichts dieser "Zeitgemäßheit" der Lehre Dannenbauers

ist es kaum erstaunlich, daß sie kürzlich für Hessen übernommenwurde, oder besser gesagt: daß die noch aus der alten Auffassungabgeleiteten Ansichten von der Bedeutung der fränkische n Cen-tenenorganisation in Hessen im Sinne der neuen Lehre ausgestaltet

schaften" nur dort für möglich, wo sich Gerichtsbezirk, Kirchsprengel undalte Siedlungskammer decken. Heute müssen jedoch alle Bemühungen umdie Rekonstruktion von Hundertschaften als fragwürdig geIten, weil essolche Hundertschaften wohl nicht gegeben hat.

SC) Th. Mayer, Staat und Hundertschaft in fräDk. Zeit, Rhein. Viertel-jahrsbI.17 (1952) S. 365f., formuliert etwas zurückhaltender als Dannen-ba.uer und scheint dazu zu neigen, die Centene für eine allgemein, nicht nurauf Königsgut, eingeführte Polizeiorganisation zu halten.

15) K.Rübel, Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedlungssystem imdeutschen Volkslande (1904). Rübel erfuhr heftigen Widerspruch (vg!. dieRezensionen von KarI Brandi, Ausgewählte Aufsätze,1938, S. 175ff., undUrieh Stutz, ZRG Germ.26, 1905, S.849ff.) und schien lange Zeit fastvergessen. In neuerer Zeit findet er jedoch wieder stärkere Beachtung ..

11) A. Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte (1905) S.89ff., bes,S. 48ff. (vgl, Dannenbauer S.208 Anm. 212).

37) Schlesinger S.72.IS) ZUnennen sind namentlich die Arbeiten von H. Weigel (zusammen-

gestelltin deroben Anm. 81 zitierten Schrift) und E. Frh. v. Guttenberg(oben Anm.25 und zuletzt in Val. Fröhlich, Herzogena.ura.ch, 1949,S.29ff.).

20·

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wurden"). Wie man die Zentgerichte Hessens früher aus den frä~-kischen Centenen als der durchgehenden Landesgliederung her-leitete, so nimmt man als ihre Vorläufer nunmehr Königscentenenim neuen Sinne in Anspruch, die man als die Organisationsform derältesten fränkischen Siedlungs- und Herrschaftszentren im Hessen-lande ansieht. So werden im Lahngau nach einem ähnlichen Ver-fahren wie in Franken aus den in der Karolingerzeit genanntenMarken in Verbindung mit der spätmittelalterlichen kirchlichenEinteilung Centenen rekonstruiertv'); von der Rolle der Zent-gerichte in dieser Argumentation wurde schon gesprochen. InNiederhessen benutzt man etwa die Ortsnamen um Homberg/Etze,um daraus einen Fiskalbezirk zu erschließen, der eine ganz ähnliche

3') Vorsichtig noch bei W. Met z, Kassel in seiner Bedeutung im nord-hessischen Raum, Hessische Heimat 3 (1953) S. 1ff., wo auch eine Ent-stehung der Zenten erst in der Stauferzeit für möglich gehalten wird. In denneueren Aufsätzen des gleichen Verf.: Studien zur althessischen Grafschafts-verfassung im Mittelalter, ZRG Germ. Abt. 71 (1954) S. 194ff., und: Grund-fragen der frühmittelalterl. Agrargeschichte Althessens, Blätter f. dtsch.Landesgeschichte 91 ('1954)S. 36, bilden die Auffassungen Dannenbauers{z. T. unausgesprochen) die Grundlage der darin vertretenen Ansichten vonden Zent. Wie sehr Metz von Dannenbauers Meinung über die Zent<= Centene) als Gerichtsverband der freien königszinspflichtigen Bauernbestimmt wird, erweisen seine Arbeiten: Zur Geschichte der Bargilden, ZRGGerm: Abt. 71 (1955) S. 185f£., und: Gau und pagus im karoling. Hessen,Hess. Jb. 5 (1955) S.1ff. W. Metz machte mir diese Aufsätze schon inden Korrekturbogen zugänglich, wofür ihm herzlich gedankt sei. Daßich seinen Arbeiten manche Anregung verdanke, wird der Leser unschwererkennen.

'0) Angedeutet wurde diese Methode schon beiClassen (oben Anm. 22).VgI. jetzt etwa Metz, Grundfragen S. S5f. Auf der Richtigkeit solchen Vor-gehens beharrt W. Görlieh, Die Marburger Nord-Süd-Straßen, ZHG 65/66(1954/55) S. 218 Anm. 6. Görich legt seinen Rekonstruktionen außer denkirchlichen und Gerichtsgrenzen auch die naturräumlichen Grenzen der ur-.sprünglichen "Siedlungskammern" zugrunde. Die Überelnstimmung dieserKriterien erschließt ihm eine vorfränkische "Urzent" oder" Hundertschaft".von der er die spätere "Kleinzent" unterscheidet. In dieser Unterscheidungspiegelt sich die alte Auffassung von der Zent als Zerfallsprodukt der frän-kischen Centene wieder. Ein Beispiel für Gärichs Methode bietet sein Auf-satz: Das Gericht zum Reizberg, in: Aus der Vergangenheit unserer Heimat,Geschichts-Beilage der "Oberhess. Presse" Marburg (Gesch.-Beil.) 1951Nr.76.

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Bedeutung hatte wie jene Königscentenenv). Ein ausdrücklicherWiderspruch gegen die Verknüpfung von Zentgericht und Königs-centene unter Hinweis auf die späte Entstehung der hessischenZenterr'") hatte keinen Erfolg. Man ist von einer intensiven organi-satorischen Tätigkeit Kail Martells in Hessen zu fest überzeugt undsieht in der (doch nur scheinbaren) Übereinstimmung von alterKirchenorganisation und Zenteinteilung eine Bestätigung dieserÜberzeugung!"). Daß dabei die kirchliche Einteilung zur Datierungder Zenten dienen muß und umgekehrt, wurde schon gesagt.Will man aus diesem circulus vitiosus herauskommen, in dem

sich die Erforschung der hessischen Frühzeit gegenwärtig bewegt,so muß man zunächst prüfen, welche unmittelbaren Belege es fürdie bisher nur auf Umwegen erschlossene fränkische Herrschaft undOrganisationstätigkeit in Hessen gibt. Dann. muß eine Unter-suchung der Struktur der hessischen Zentgerichte folgen, damitfestgestellt werden kann, ob es zulässig ist, diese Gerichte mit denfränkischen Centenen, wie sie die eine oder andere Theorie auffaßt,in genetischen Zusammenhang zu bringen. Nur auf diesem Wegekann man zu einwandfreien Ergebnissen gelangen.

II. Die Franken in Hessen.

Wenn im folgenden zunächst ein Überblick über die Quellenlagebezüglich der fränkischen Herrschaft über Hessen gegeben werdensoll, so kann dabei die Frage der Identität von Chatten und Hessenebenso unerörtert bleiben wie das Problem des Verhältnisses deschattisch-hessischen Stammes zum Frankenbund. Es ist heute all-gemein anerkannt, daßdie Hessen als der Kern der alten Chattenzunächst unabhängig neben den Franken gesessen und sich auchan ihren Kriegszügen und Wanderungen nicht beteiligt haben.

41) Helbig S.16, der aber sehr vorsichtig formuliert. Bestimmter beiE. E. Stengel, Die fränk. Wurzel der mittelalterI. Stadt in hess. Sicht,Städtewesen und Bürgertum - Gedächtnisschrift Fri tz Rörig (1953) S. 49.

41) Th. Mayer, Staat u, Hundertschaft S.374. Die Zenten in Frankenführt jedoch auch Mayer unter dem Einfluß der gängigen Meinungen aufCentenen Karl Martells zurück, obwohl sie in ihrer Struktur den hessischenvöllig gleichen (Th. Mayer, Fürsten und Staat, 1950, S. 276ff.).

43) Metz, Grafschaftsverf. S.194 Anm.131.

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So gelangt man also zu der Annahme, daß zu irgendeiner Zeitdas Hessenland dem fränkischen Reiche einverleibt worden sei, undman glaubt auch genau zu wissen, wann das geschah: Ais Chlod-wigs Sohn Theuderich I. 529/31 das thüringische Reich eroberte,müsse er, um Nachbar Thüringens zu sein, auch Hessen schon be-herrscht haberr"). Ais terminus a quo nimmt man die Unterwerfungder Alemannen (496) oder die Eroberung des Kölner Reiches (508)an, die die Einverleibung Hessens erst möglich machte"5). Freilichgibt es für diese Annahmen keinerlei Quellenzeugnisse, daher sagtman: "Jedenfalls vollzog sich um diese Zeit der Anschluß ..• , auchWenn wir keine Urkunden oder sonstigen Quellen dafür anführenkönnen; alle Forscher sind sich darin einig""6). Treffender kannman auch den heutigen Sachstand kaum formulieren. Außerschweren methodischen Bedenken gegen diese Argumentation er-heben sich denn auch alsbald gegen ihre sachliche Seite Einwände.Man weiß, daß das Mainland großenteils thüringisch war") undauch nach der fränkischen Eroberung in diesem Zusammenhangstand; so war Würzburg der Sitz der thüringischen duces. Die frän-kisch-thüringische Nachbarschaft ist also sehr wahrscheinlich nichtan der Werra, sondern im Main-Neckar-Gebiet zu lokalisieren, dasdie Franken den Alemannen abgewonnen hatten 48). So führte dennauch später die Verbindung aus dem Kernraum der karolingischenMacht an Maas und Mosel nach Thüringen über Worms, das Neckar-und Tauberland und Würzburg, wie das Königsgut und die Be-Bitzungen von Weißenburg und Echternach beweisen"9). Wenn manden Besitz Hessens als Voraussetzung für eine Eroberung Thürin-gens durch die Franken ansieht, BO ist das ~urchaus von modernen

. ") L. Schmidt, Die Westgermanen Bd. II (1940) S.107; G. Wolff,Chatten·Hessen·Franken (1919) 8. 27f.; H. Löwe in Gebhardts Handbuchder deutschen Geschichtes Bd. I (1954) 8. 93.

45) W. Gundiaeh, Die Stammesgrenzen der Chatten-Hessen bis zum8. Jh., Phil. Diss. Frankfurt 1929, 8. 64ff.") Gundlacb a. a. O.47) Löwe 8.95, abweichend L. 8chmidt 8.104.48) Löwe 8.92."). H. Büttner, Frühes fränkisches Christentum am Mittelrhein, Archiv

f.mittelrhein. Kirchengeseh.3 (1951) 8. 44f.; den., Christentum und Kirchezwischen Neckar und Main im 7. und frühen 8. Jh., St. Bonifatius-Gedenk-gabe (1954) 8.362ff.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 311

Raumvorstellungen her gedacht. Für die merowingische Zeit lagHessen abseits der Straßen nach Thüringen. Es lassen sich hieralso keine Argumente dafür gewinnen, daß Hessen im frühen6. Jh, dem fränkischen Reich einverleibt worden sei.Für die folgenden Jahrhunderte ließe sich die Frage leicht mit

dem Hinweis darauf abtun, daß die Hessen überhaupt erst mit demBeginn der bonifatianischen Missionstätigkeit in den Quellen er-scheinen50), was nicht eben dafür spricht, daß sie im Gesichtskreisdes Frankenreiches lagen. Dennoch ist man gegenwärtig von einer I

fränkischen Herrschaft in Hessen schon vor der Mission des Boni-fatius fest überzeugt und hat vom damaligen Verhältnis Hessenszum Frankenreich eine recht konkrete Vorstellung: "Es war gewißlängst von der fränkischen Expansion erlaßt und gehörte un-bestritten zum Beiehe, in einem sehr allgemeinen Sinne auch wohlzum Stammesverbande der Franken. Es kannte eine gewisse frän-kische Verwaltung und war bereits in etwa auch mit Fiskalland undbefestigten Plätzen durchsetzt, so daß eine im Schutze der Reichs-gewalt stehende Mission hier geeignete Stützpunkte finden konnte.Zugleich handelte es sich freilich um ein Land in Grenzlage, stetsder Gefahr sächsischer Überfälle ausgesetzt. Von der fränkischenReichskultur war das Volk noch kaum berührt ..• " Mit diesenWorten entwirft Th. Schieffer51) ein recht detailliertes Bild vonden hessischen Zuständen, dessen unsichere Quellengrundlage sichnur gelegentlich durch ein zuversichtliches "gewiß" oder ein vor-sichtiges "in etwa" verrät. Betrachten wir jedoch die angeführtenKriterien im einzelnen.Über die Behauptung der Zugehörigkeit zum fränkischen Reich

darf man dabei zunächst hinweggehen, da es hierfür keinen aus-drücklichen Beleg gibt. Auch daß in Hessen schon eine gewissefränkische Verwaltung bestanden habe, ist nur eine Folgerung ausanderweitigen Annahmen. Vor Bonifatius und auch während seinesWirkens in Hessen erscheint dort nicht ein einziger fränkischer dux,comes oder sonstiger Herrschaftsträger. Man will noch heute dieauf der Amöneburg im Lahngau sitzenden Herren Dettic und

..10) Briefe des hi. Bonifatlus, hrsg. v. Tangl (MG Epist. select. I, 1916)

Nr.43 S.68... .11) Th. Sehieffer. Winfried-Bonifatius (1954) S.141.

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Deorulf als die ersten in diesem Raum bekannten Träger fränkischerVerwaltungseinrichtungen in Anspruch nehmen'f), aber dafür gibtes keine Beweise. Vielmehr spricht manches dafür, daß es sich umeinheimische Herren handelte"). Die Annahme, daß die frän-kischen Schutzbriefe dem Bonifatius als Empfehlung an die frän-kischen Beamten in Hessen gedient hätten, bleibt ebenfalls un-beweisbar, da man ja von solchen Beamten nichts weiß. überdiesist Karl Martells Schutzbrief so allgemein formuliert und weichtso wenig vom alltäglichsten Formular ab, daß man gewiß keineallzu weitgehenden Schlüsse daraus ziehen kann54).Wie steht es nun mit dem fränkischen Fiskalland und den be-

festigten Plätzen in Hessen? Man behauptet, daß Bonifatius sichauf die fränkischen Burgen und Königshöfe gestützt habe, wobeisich mit der entsprechenden Deutung seiner Aufenthalte in Amöne-burg, Seelheim, Büraburg und Fritzlar") die Folgerungen treffen,die man aus archäologischen Befunden gezogen hat55a).

10) Irmgard Dienemann-Dietrich, Derfränk. Adelin Alemannien im8. Jh., Grundfragen der alemann. Geschichte - Vorträge und Forschungen I(1955) S. 162.

53) W. Köhler, Dettie und Deorulf, die ersten von Bonifatius bekehrtenhess. Christen, Mitteil. d. oberhess. Gesch.-Ver. NF 10 (1901) S.120;W. Mi t zka, Hessen in der althochdtsch. u. mittelhochdtsch. Dialekt-geographie, Beitr. z. Gesch. d. dtsch. Sprache u. Literatur 75(1953) S. 131ff.;die Frage bleibt offen bei H. Büttner, Die Franken u. die Ausbreitung d.Christentums bis zu den Tagen von Bonifatius, Hess. Jb. f. Landesgesch. 1(1951) S. 22. Metz, Grundfragen S. 45, weist auf einen späteren Tettic imgleichen Raum hin (Dronke, Codex Nr. 559).It) K. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands Bd. I (1887) S. 432 ver-

weist auf Form. Mare. I, 24.15) H. Boehmer, Zur Geschichte des hI. Bonifatius, ZHG 50 (1917) 8.185,

vermeidet die letzte Konsequenz dieser Deutung.158.) Für die ganzen folgenden Ausführungen über die fränkischen Burgen

und Königshöfe ist neben der im einzelnen angeführten Literatur zu ver-gleichen: W. Görich, Frühmittelalterliche Straßen und Burgen in Ober-hessen, Phil. Diss. Marburg 1936/48, bes. S. 41-88. MeinManuskript machteich W. Görich mit der Bitte zugänglich, mich auf die Stellen hinzuweisen,wo ich seine Auffassungen etwa mißverstanden hätte. Seine Hinweise, fürdie ich ihm danke, wurden insoweit berücksichtigt. Wo er jedoch Wider-spruch äußerte, wurde nichts geändert, um seiner Stellungnahme nicht vor-zugreifen.

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Zunächst Am.öneburg: Da man Dettic und Deorulf als fränkischeGrafen ansah, hielt man auch ihre Burg für eine fränkische An-lage5G).Wie sich zeigte, kann dieses Argument jedoch nicht aus-reichen, die Am.öneburg als "offenbar königlich" zu bezeichnen57).Vielmehr wäre das Gegenteil der Fall, wenn man die beiden Edlenals einheimische Herren ansieht. Zum gleichen Ergebnis führt dieWürdigung der Schenkung eines clericus Adelherus, der Mainzsuam hereditatem, u. a. in Am.öneburg, überträgt'") und vielleicht,nach seinem Namen zu urteilen, in den Zusammenhang einer lahn-gauischen Adelssippe gehört, die zu den Fuldaer Tradenten zählt59).Daß man eine Burg nicht ohne weiteres als fränkisch ansehen darf,wenn zwei erhebliche Argumente für die Herrschaft einheimischerAdliger sprechen, dürfte einleuchten, zumal in den Berichten überdie dortigen Aufenthalte des Bonifatius nichts darauf hindeutet,daß die Amöneburg in irgendwelchen Beziehungen zum fränkischenKönigtum gestanden hätte. Das völlige Fehlen merowingischerFundes") entzieht dem Versuch, die Am.öneburg als eine "mero-wingische Landesfeste" anzusprechen, auch die archäologischeGrundlage.Ganz ähnlich verhält es sich mit Seelheim, wo sich Bonifatius 743

bei einer Missionsreise aufhieltGO),und das man darum für einenmerowingischen Königshof hält61); zumal Jahrhunderte später ein-

11) Das istdie allgemeine Auffassung; vgl. etwa H. Bü tt ne r-L Di e t-ri eh, Weserland und Hessen im Kräftespiel der karoling. und otton. Politik,Westfalen 30 (1952) S.134.

57) Görich, Die Kesterburg in Frühzeit und Mittelalter, in: Geacb.-Bell.1949 Nr. 27; ders., Die alter Kesterburg, Hessische Heimat 3 (1953) Heft 2S.'16.

IS) Vita Bonifatü Auct. Mogunt., Vitae S. Bonifatü, hrsg. v. W. Levison(MG Script. in us. schoI., 1905) S.97 •

• 1) Metz, Grundfragen S.45. Sein gleichfalls an Mainz geschenkter Be-sitz in Breitenborn trifft sich dort mit dem des Altrat (= Adalrat ?), denMetz dieser Sippe zurechnet; vgl. E. E. Stengel, Urkundenbuch des Klo-sters Fulda Bd. I 1 Nr. 119.

ua) O. Uenze, Vorgeschichte der hess, Senke in Karten (1953), TextS.35. .eo) Vita Sturmi C. 6 (MG Script. Bd. 11 S. 368). :11) Schenk zu Schweinsberg, Stu.d. Z. althess. Territorialgesch.

S. 422ff.; Gundlach S. 81 Anm. 6; H. Dlefenbach, Königshöfe im Um-lande der Amöneburg, Hessenland 50 (1939) S. 164ff.

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mal ein Hoftag Heinrichs 1. dort abgehalten wurde62). Auch hierist jedoch eine Schenkung des Adelher an Bonifatius bezeugt=),und später schenkt Salaman seinen dortigen großen Grundbesitzmit Hörigen dem Kloster Fulda64). Es ist also keineswegs zwingend,wenn man den späteren fuldischen Besitz dort auf früheres Reichs-gut zurückführt. Die Wahrscheinlichkeit ist größer, daß er direktauf jene alte Schenkung zurückgeht, und auch die Abhaltung einesHoftags des Königs auf dem Besitz des alten Reichsklosters wärenichts Ungewöhnliches, vor allem, weil der König nach Seelheimgerade aus Fulda kam65). Die Annahme, daß Seelheim schon zurZeit des Bonifatius Königsgut gewesen sei, ist jedenfalls unzu-reichend begründet. So erstaunt es denn auch kaum, daß die Ver-suche, jener These eine archäologische Stütze zu verschaffen, ver-geblich waren6S-). .

Bevor nun einiges über die angebliche fränkische Fiskalguts- .eigenschalt von Büraburg und Fritzlar gesagt wird, sei noch ebendie Kesterburg betrachtet, die man wie die Amöneburg und Büra-burg für eine sogenannte "merowingische Landesfeste" hält66). Das

IS) MG Dipl. H. I Nr.2.ea) Oben Anm. 68.U) Dronke, Traditiones et antiquitates Fuldenses (1844) c.6 Nr.160;

D i ef enb a eh , Königshöfe, übersieht das; seine archäologischenErwigungenstehen darum vor einem unrichtigen historischen Hintergrund.

IG) MG Dip!. H. I Nr. 1.ua) Grabungen im Bereich des vermuteten Königshofes in Großseelheim

blieben ohne Ergebnis; vg!. Gärichs Grabungsbericht, Gesch.-Beil. 1960Nr. 45. Dieses negative Ergebnis an einem der wichtigsten und bisher völligunbezweifeIt "fränkischen" Orte kann die Skepsis gegenüber allen diesenHypothesen nur erhöhen. Ohne Funde blieben auch die Grabungen in Ebs-dorf, das man gleichermaßen als fränkischen Königshof in Anspruch nahm,weil dort im 11. Jh. mehrfach die Könige urkundeten und 1250-1316 einZentgericht erscheint. Auch hier ist also fränkisches Fiskalgut nicht nach-zuweisen. Die angeblich merowingische Kreuzplatte, die in diesen Argu-mentationen "eineRolle spielte, ist von Werner Meyer-Barkha usen, DieEbsdorfer Kreuzplatte, ZHG 63 (1952) S. 27ff. in umfassendem Stilvergleichder Zeit um 1000 zugewiesen worden.

") Görich, Die alteKesterburg S.16ff. Die dort angenommene drei-fache Parallelentwicklung Kesterburg-Wetter, Amöneburg-Seelheim, Büra-burg-Fritzlar scheint uns unhaltbar, weil von allen diesen Plätzen nur Fritz-lar als Reichsgut nachzuweisen ist.

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Martinspatrozinium mag hier immerhin auf fränkische Zusammen-hänge deuten, wie das so oft der Fall ist67), aber man wird kaumnachweisen können, daß die Kirche nicht etwa erst unter Karl demGroßen entstand. Auch das vorkarolingische Alter der Burganlagemag zutreffend erkannt sein67a), aber daß sie von Franken ge-schaffen sein müsse, folgert man eigentlich nur aus der voraus-gesetzten fränkischen Herrschaft über Hessen seit etwa 500 n. Chr.Unmittelbare Belege gibt es dafür ebensowenig wie die Möglichkeitzu eindeutigen Folgerungen aus dem archäologischen Befund68).Wenn man nun die so als fränkisch erschlossenen Burganlagenwiederum als Beweis für die fränkische Durchdringung Hessensverwendet'"), so ist das ganz offensichtlich ein Zirkelschlußs"),

"

11) Classen S.40ff. macht allerdings gerade für Hessen in dieser Be-ziehung berechtigte Vorbehalte, weil hier die Kirchen des hI. Martin als desHeiligen der Kathedralkirche auch später noch Verbreitung fanden.n.) O. Uenze, Vorgesch. d. hess. Senke, Text S. 36, betont jedoch, daß

Wallführung und Mörtelmauer für den Zeitansatz nichts ergeben, und daBauch die gefundenen Scherben frühestens dem 8. Jh. angehörten.U) Aus der Art der Burganlagen kann man derartige Schlüsse bisher

nicht ziehen. Görich, Die alte Kesterburg S.18, betont selbst, daß dieUnsicherheit, die über der Frühgeschichte dieser ehrwürdigen Bergfesteschwebe, schon längst nach gründlichen wissenschaftlichen Grabungen ver-lange. R. v. Uslar, Zur vor- u. frühgeschichtl. Besiedlung d. bergischenLandes, Rhein. VierteljahrsblI. 15/16 (1950/51) S: 17, beschreibt die AIteburgbei Werden und den Butterberg bei Mettmann, bei denen z. B. Kalkmörtel-mauern vorkommen, als den großen sächsischen Burgen verwandt,obwohlsie sicherlich nicht sächsisch waren. Die allgemeine Mißlichkeit jeden Schlus-ses von archäologischen Befunden auf die Stammeszugehörigkeit und diepolitischen Verhältnisse ist zu bekannt, als daß es noch eines besonderenHinweises bedürfte. Für Hessen wird das Problem der notwendig verschie-denen Volksbegriffe von Archäologie und Geschichte klar umschrieben vonW. Niemeyer, Die Stammessitze der Chatten nach Bodenfunden und an-tiker überlieferung, ZHG 65/66 (1954/55) S. 11ff., 39ff.

") Stengel, Fränk. Wurzel S.38; Löwe in Gebhardts HandbuchS.109; Büttner-Dietrich, Weserland u, Hessen S.134.

11.) Diese Feststellung, die noch hie und da wiederkehrt, wird mit Be-dauern und im vollen Bewußtsein ihrer Tragweite getroffen. Sie ist jedochnicht neu; schon Görich, Gesch.-Beil. 1953 Nr.HB erkennt klar dieseGefahr. Nachdrücklich sei deshalb W. Niemeyer zugestimmt, wenn er inseiner Besprechung von O. Uenzes Vorgeschichte der hessischen Senke inder ZHG 65/66 (1954/55) S.269 darauf hinweist, wie nahe Zirkelschlüsseliegen, wenn nicht jede Disziplin ihre Erkenntnismöglichkeiten ohne Blick

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Das gleiche gilt auch für die allgemein anerkannte Deutung derBüraburg als fränkischer Burganlage. Es ist hier zwar archäolo-gisch eher eine 'Bestimmung möglich als bei der Kesterburg, aberdie Zuweisung an die Franken wird für diese Burg des frühen 6. Jh.snur auf die Annahme der damaligen Zugehörigkeit Hessens zumFrankenreich gestützt; die Funde selbst sind jedenfalls nicht so ein-deutig, daß eine andere als fränkische Urheberschaft ausgeschlossenwäre70). Ebenso wie in den bisher besprochenen Fällen ruht alsoder Schluß auf die Unterstützung, die die Missionsarbeit des Bonl-fatius von hier aus erfahren haben soll'"), auf ungenügenden Grund-lagen. Vielmehr wird man darauf hinweisen müssen, daß nochJahrzehnte später, als die Sachsen nach Beginn des großen Kriegesdie Büraburg bestürmten (774), in den zeitgenössischen Berichtennichts auf eine fränkische Besatzung oder einen fränkischen Be-

auf den Nachbarn voll ausschöpft. Auch Niemeyers Zustimmung zuU enzes methodisch sauberer Behandlung der fränkischen Zeit teile ich voll- •auf; gegenüber den allzu weitgreifenden Hypothesen ist eine Beschränkung- .auf die wirklichen Bodenfunde unbedingt geboten. Die Kritik an UenzesVerzicht, die Feststellungen der Patrozinien-, Straßen- und curtes-Forschungusw. aufzunehmen (Hess. Jb. 4,1954, S. 290), scheint mir fehlzugehen, dennein solches Verfahren würde eine Kontrolle aller jener meist hypothetischenErgebnisse ein für allemal unmöglich machen. Fast möchte man im Gegen-teil bedauern, daß U enze ungesicherte "merowingische Landestesten"(Amöneburg) und curIes (Melsunger Karlsschanze), bei denen er doch imText S. 35 u. 36 so deutliche Vorbehalte macht, dennoch auf seiner Karte 16verzeichnet. Gerade der Fortfall solcher Punkte würde das Bild gründlichverändern, und die weite Kluft zwischen den Bodenfunden und dergegenwärtigen Auffassung vom "fränkischen" Hessen würde erst recht.deutlich •

• ?O) J. Vonderau, Die Ausgrabungen am Büraberg bei Fritzlar 1926/31(22. Veröff. d. Fuld. Geschichtsvereins, 1934) S.60f. Selbst VonderausDatierung der Burganlage mag inzwischen schon überholt sein, wie sie dennwohl sicherlich durch seine Überzeugung vom fränkischen Ursprung beein-flußt war. W. Hübener, Zur Ausbreitung einiger fränkischer Keramik-gruppen, in: Archaeologia geographica 2 (1951) S.105ff. setzt das Vor-kommen der Keramik der sog. Badorfer Gruppe, die auf der Büraburg ver-treten ist, bis Ende des 9. Jh.8 an. Es wäre also danach an fränkische Zu-sammenhänge frühestens in karolingischer Zeit zu denken.

U) Vgl. etwa K. Demandt, Quellen zur Rechtsgeschichte der StadtFritzlar im Mittelalter (Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck XIII 3,1939) S. 1ff.

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Iehlshaber hindeutet "), dagegen aber sehr klar berichtet wird, daß-die umwohnenden Leute die Burg besetzten und verteidigten73).Das alles läßt doch mehr auf eine Volksburg als auf eine fränkischeKönigsfestung schließen; viel eher als ein fränkischer Graf dürfteein hessischer Edler, einer der in der Umgegend ansässigen Herren,die doch wenigstens gelegentlich in den Quellen zu erkennen sind,die Verteidiger angeführt haben. So bleibt denn als letzter Beweisfür die vorbonifatianische fränkische Büraburg nur das Brigiden-patrozinium74). Es ist jedoch erst so spät bezeugt, daß es uns alleinals Argument nicht überzeugend erscheint. Die angeblich sicher-vorbonifatianischen Bürabergkapelle schließlich muß ganz aus-scheiden, da sie sich mit Sicherheit nur allgemein in die fränkische.Zeit datieren läßt, und ihr vermeintliches höheres Alter abermalsnur in einem Zirkelschluß zutage gefördert ward, in dem Bau-befund und Patrozinium dazu verwendet wurden, jeweils das eine.aus dem anderen zu datieren").

Für Fritzlar endlich gelangt man zu einem entsprechenden Bild.Daß es schon zur Zeit des Bonifatius fränkisches Königsgut ge-wesen sei, erschließt man aus zwei Anhaltspunkten"). Einmal istes die Analogie zur Bistumsgründung auf dem Büraberg, die zu der.Annahme führt, auch das Fritzlarer Kloster werde sich an Königs-gut angelehnt haben. Das andere Argument ist die hohe Bedeutung.der Fritzlarer Ederfurt für den Verkehr, aus der man folgert, daß.die Merowinger nicht nur den Büraberg als sichernde Festung, son-

71) Die Annales Mettenses priores, hrsg. v. Simsoll (MG Script. in us..schol., 1905) S. 60 sagen sogar ausdrücklich, man habe die Grenze geräumt:.dimissa marca contra Saxones ••• , ipsi Sezones esro eXieTunl etc.

78) Annales regni Francorum, hrsg. v. Kurz e (MG Script. in us schol.,'1895) S. 36. Auf diese Sachlagewiesschon Boe hmer S. 187 hin.

") Classen S.5, 188. überliefert ist dieses Patrozinium in den Jahren1338 und 1692. Büttner, Frühfränk. Christentum am Mittelrhein S. 38 hat,darum Bedenken, von ihm auf eine vorbonifatianische Kirche zu schließen.

76) Vonderau S.10. Man beachte demgegenüber, wie Demandt, Hes-.sisehe Frühzeit, Hess. Jb. 3 (1953) S. 36f., sowohl die Datierung der "frän-kischen" Büraburg wie auch das vorbonifatianische Alter der Brigidenkirche:für absolut sicher hält. Die kritische Lektüre von Von der aus Bericht über-.zeugt vom Gegenteil.

71) Demandt, QueIl,enS. 2ff. Vgl. Görich, Frühma. Straßen u. Burgen.S.69ff.

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dern auch Fritzlar selbst in ihre Hand brachten, wo sie dann Zumweiteren Schutz der "Reichsstraße" nach Norden eine curtis an-legten. Auch hier also kein neuer Beweis, sondern nur Schlüsse ausden immer gleichen Voraussetzungen.Der Überblick über diese wichtigen Punkte wird gezeigt haben,

wie man jeweils die eine Deutung aus der anderen stützte, wobeiaber jede für sich unbeweisbar blieb. Nur ein in den letzten Jahr-zehnten mehrfach vorgetragener Befund wäre geeignet, eine wirk-liche Fundierung zu bieten, wenn er in sich so eindeutig wäre, 'Wieer im Zusammenhang mit den bisher vorgetragenen Ansichten er-scheinen mag. Es ist das von W. Görich erforschte System derkarolingischen Königshöfe als Etappenstationen an den großen -fränkischen Vormarschstraßen'"). Görich sieht diese curtes alsNachfolger der alten "merowingischen Landesfesten" an und bringtsie in Verbindung mit der Zenteinteilung. Als den Schöpfer diesesBefestigungssystems betrachtet er Karl Marte1l78) - nicht als obes hierfür einen klaren Beweis gäbe, sondern nur darum, weil nach

77) Görich, Frühm. Straßen u, Burgen S. 41ff.; ders., Straße, Burg u.Stadt in Oberhessen, Hessenland 49 (1938) S.145ff.; ders., Rastorte analter Straße P, Festsehr. E. E. Stengel (1952) S.473ff. Gegenüber den Er-gebnissen Görichs und den verwandten Forschungen Weigels in Frankenäußert sich mit guter Begründung skeptisch O. P. Clavadetscher, DieVerkehrsorganisation in Rätien zur Karolingerzeit, Schweiz. Ztschr; f.Gesch. 5 (1955) S. 6ff. Hinzuweisen ist besonders auf die treffende wissen-schaftsgeschichtliche Bemerkung ebd. S. 8.

78) Frühm. Straßen u, Burgen S.86-88. Ihm folgt Metz, Grafschafts-verf. S.194 Anm.131. Stengel, Fränk. Wurzel S. 42, läßt die Frage un-entschieden. W. Görich teilt mir mit, für seine Annahme, Kar! Martellseider Schöpfer des curt is- und Straßensystems in Hessen gewesen, liege derHauptgrund darin, daß Kar! der GroBe bei Beginn seines Sachsenkriegesnicht alles von Grund auf selbst geschaffen haben könne; er müsse sich viel-mehr auf ein bereits vorhandenes System gestützt haben. Demgegenüberberufe ich mich auf die Quellen, die für 774und 778von Vorgängen berichten,die beim Bestehen eines erprobten fränkischen Etappensystems in dieserWeise nicht recht denkbar wären (zu Anm. 73 u.105). überdies scheint mirdie Annahme eines solchen "Systems" für jene Zeit anachronistisch, warendoch auch spä.tere Jahrhunderte derartiger "Systeme" noch nicht fähig.Freilich scheint ja Görich ähnlich wie Weigel die karolingische Zeit für einenspä.ter nicht wieder erreichten Höhepunkt verwaltungsorganisatorischer Be-fähigung zu halten, so daß die spätere Zeit eine Epoche des Verfalls gewesenwäre: vgI. Olav ade.tseh er S. 8.

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der auch für Hessen vorausgesetzten jahrhundertelangen Mero-wingerherrschaft79) der tatkräftige karolingische Hausmeier alseigentlicher Reorganisator des Staatswesens anzusprechen sei.Während man aber etwa in Alemannleu seine Tätigkeit mit gutemGrunde aus dem plötzlichen Erscheinen fränkischerGrafen 80) ebensoerschließen kann wie aus seiner Kirchenpolitik, etwa der Unter-stützung Pirmins gegen die alemannischen Herzöge, fehlt für Hes-sen jeder entsprechende Anhaltspunkt. Es gibt auch keinerlei An-zeichen dafür, daß Karl MartelI jemals in Hessen oder von Hessenaus einen Feldzug geführt habeSt). Die Datierung der karo-lingischen Straßencurtes auf die Zeit Kar! Martells, die aus demarchäologischen Befund nicht zwingend zu folgern istS2), wurdealso nur aus den heute allgemein angenommenen Voraussetzungenabgeleitet.

So bleibt bei näherem Zusehen wenig von dem fränkischenFiskalland und den befestigten Plätzen übrig, mit denen Hessen"in etwa" durchsetzt gewesen sein soll und die angeblich der Mis-sion des Bonifatius als Stützpunkte gedient haben. Die vieleneinzelnen zusammengetragenen Anhaltspunkte haben nur vor demHintergrund von unbeweisbaren Voraussetzungen so etwas wie

1') Daß diese vorausgesetzt, nicht aber durch die Untersuchung der"Landesfesten" und cUTles erwiesen wird, ergibt sich mit aller Deutlichkeitbei Görich, Frühm. Straßen u. Burgen S. 41ff., 46ff.. 80) I. Dienemann-Dietrich S.149ff.11) Nur von seinem Sachsenkrieg im Lippegebiet glaubt man, er habe

mittelbar auf Hessen gewirkt, indem er die Sachsen von ihren Einfällen (fürdie es aber vor 774 keinen Beleg gibt, unten Anm. 84) abgehalten habe;Lintzel, Untersuchungen zur Geschichte der alten'Saehsen, Sachsen und :Anhalt 13 (1937) 8.69; Schieffer 8.180.

BI) ZU den Keramikfunden und ihrer mangelhaften Datierbarkeit vgl,Görich, Das Gronauer "Alte Schloß" über der Salzböde, Hess. Jb. f_Landesgesch. 1 (1961) S.39. Die zeitliche Ansetzung der Schildform- undRechteck-cuTteB S. 40f. dürfte nur als relative Chronologie haltbar sein, da.man zum absoluten Ansatz ja nur von den hier bestrittenen Voraussetzungenaus kam. W. Görich teilt mir mit, mehr als eine relative Chronologie habeer auch nicht versucht. In den verschiedensten Aufsätzen setzt er jedoch dieSchiIdform-cuTles in die Zeit von Kar! MartelI bis zum frühen Kad d. Gr.,während er KarIs d. Gr. Zeit seit Beginn der Sachsenkriege die Rechteck-curtes zuordnet; z. B. zu G 63 (1952) S. 56 und 64 (1953) S. 12/13. Ich kanndas nur als als absoluten Zeitansatz auffassen.

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Beweiskrait=") und verlieren bei deren Fortfall den Zusammen-hang"),

Es bleibt also nur die andere Seite des Bildes, die in den Quellenwohlbezeugt ist, und sie zeigt Hessen als ein Land, das sich ingeistiger und kultureller Beziehung vom fränkischen Reiche gründ-lich unterscheidet. Zwar ist nichts davon bekannt, daß es vor seinerChristianisierung dauernden sächsischen Einfällen ausgesetzt ge-wesen wäre'"), aber es stand dem sächsischen Raum kulturell sonahe, daß der unbedeutend kleine Hessenstamm auf die Dauermöglicherweise in den sächsischen Stammesverband eingeschmolzenworden wäre - ohne kriegerische Auseinandersetzung, wie es auchmit anderen norddeutschen Kleinstämmen geschah'"). Daß daseigentliche Hessen, als Bonifatius dort seine Tätigkeit begann, noch. vollständig heidnisch war, ist in den Lebensbeschreibungen desHeiligen eindeutig bezeugt"). Lediglich im Lahngau, der frän-

81a) Das ergibt deutlich das Datierungskapitel bei Görich, Frühma.Straßen u. Burgen S. 66ff. Um selbst Zirkelschlüsse zu vermeiden, mußtendiejenigen Arbeiten übergangen werden, denen die fränkische Herrschaft inHessen, für uns das thema probandum, ausgemachte Sache ist. Das sindaußer Demandt, Hessische Frühzeit (oben Anm. 75) vor allem die zahl-reichen kleineren historischen Aufsätze von Göri ch , wie etwa: Das Mar·burger Land im Frühmittelalter, in: Gesch.·Bei1.1951 Nr.78, und: Lahn-und Hessengau in Oberhessen I-Ill, ebd. 1951 Nr.84, 1953 Nr.117, 118.Alle hier angestellten Erwägungen über die frühe Geschichte Hessens undseiner Grafschaften setzen die fränkische Herrschaft voraus und werden hin-fällig, sobald man diese in Frage stellt.

83) Ich gestehe, daß mich dieses Ergebnis anfangs selbst überraschte. Esmöge hier jedoch zunächst einmal ausgesprochen werden - auf die Gefahrhin, daß nun der Vorwurf eines vorschnellen Urteils erhoben wird. Immerhindürften die Bedenken gegen die bisherige Meinung gewichtig genug sein, umihr die Beweislast für ihre Hypothesen zuzuschieben, die bisher allzu un-angefochten blieben.

SI) Lintzel S. 59 schließt aus Liudgers Vita Gregorii (MG Script. Bd. 15)S. 69, daß die Sachsen schon vor der Ankunft des Bonifatius Hessen ver-wüstet hätten. Ahnlich schon Boehmer S.187 und jetzt Schieffer S.142 ..Die angezogene Stelle spricht jedoch nicht von Hessen, sondern von Thü-ringen.

86) Während die Brukterer durch Krieg unterworfen wurden, muß ma.netwa bei den Angriva.riern und Barden eine friedliche Eingliederung an-.nehmen.

IS) Willibaldi Vita Bonifatii, Vitae s, Bon., hrsg. v. Levison, S.27.

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Irischen Wetterau benachbart, hatte hie und da das ChristentumEingang gefunden, scheint aber vom alten Glauben bald starkgefärbt worden zu sein87). Doch auch in anderer Beziehung unter-schied sich Hessen von den Gebieten der fränkischen Reichs-zivilisation: Die Reihengräbersitte hatte dort keinen Eingang ge-funden; im Gegenteil begegnen sogar im Lahngau noch Brand-gräber, eine Erscheinung, die sich sonst um jene Zeit fast nur nochaußerhalb des Frankenreiches findet88). Alles das sind Anzeichen

87) VgI. die oben Anm. 53 zitierte Literatur über Dettic und Deorulf. DenUnterschied zwischen Hessen und Lahngau in religiöser Beziehung betontBoehmer 8.186-190. - übrigens setzt Büttner, Frühes Christentumin Wetterau und Niddagau, Jb. f. d. Bistum Mainz 3 (1948) 8.138ff. dieAnfänge der kirchlichen Entwicklung auch in dieser Gegend erst ins 7./8. Jh,

88) Vg!. Uenze, Vorgeschichte d. hess. Senke S.35f. und Karte 15.Reihengräber finden sich in der Wetterau und in Teilen des Lahngaues, nichtdagegen in Hessen. Weiter nördlich erstreckt sich im Lippegebiet ein Kom-plex von Reihengräberfeldern (vor 700 fränkisch, dann wohl sächsisch be-legt), der ostwärts in den Ittergau (Goddelsheim) und Leinegau (Rosdorf)hinüberstreut. Muß die Deutung des Rosdorfer Gräberfeldes wegen seiner1soliertheit vorerst völlig offen bleiben (Zusammenhang mit den Reihen-gräbern am Nordharz ?), so schwankt die Einordnung der Gräber vonGoddelsheim sehr stark. K. Naß, Karoling. Reihengräber aus Hessen, Ger-mania 22 (1938) S. 41ff., datiert sie auf das spätere 8. Jh. und bringt sie inVerbindung mit der dortigen karolingischen cUTtis an einer der Vormarsch-straßen Karls d. Gr. Daraus ergibt sich die Auffassung, diese Reihengräberseien ein Beweis für fränkische Bevölkerung oder wenigstens für fränkischeHerrschaft, obwohl sie doch eine Zivilisationserscheinung darstellen, die überdas Frankenreich hinausgreift. Es scheint uns daher, daß Schlüsse auf poli-tische Verhältnisse allenfalls aus dem völligen Fehlen selbst dieses zivilisa-torischen Einflusses gezogen werden können. Doch sieht auch W. Görich(nach frdI. Mitteilung) in den Reihengräbern einen Hinweis auf fränkischeHerrschaft. - In Gegensatz zu diesen Auffassungen stellt sich Uenze S. 35.Im Anschluß an später aufgedeckte Gräber, die eine Belegung ab etwa 500sichern (H. J. Hundt, Neue Funde auf dem fränk, Reihengräberfelrl inGoddelsheim,Hessenland 481937, S. 307ff,) und bei denen die Grabrichtungvon Nord-Süd zu Ost-West wechselte, sieht Uenze den Goddelsheimer Fried-hof nicht im Zusammenhang eines süd-nördlichen (politischen) Einflusses,sondern nimmt eine lippeaufwärts reichende kulturelle Einwirkung vomNiederrhein her an. An eine fränkische Bevölkerung denkt er nicht. Eineverwandte Ansieht vertritt Joachim Werner, München, dem ich für ein-gehende Belehrungen und Hinweise zu dieser Frage großen Dank schulde.Auch er ist der Meinung, daß Franken keinesfalls in Frage kämen undmöchte entweder an einen südlichen sächsischen Ausläufer denken, oder an21 Zeitsdlrift für Red1tsgesmimte. LXXIII. Germ. Abt.

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dafür, daß Hessen bis hin zur Zeit des Bonifatius ein völlig un-berührtes Sonderdasein geführt hat. Daß damals fränkische Ver-waltungseinrichtungen wie die Centene oder die Grafschaft dorteingeführt gewesen seien, ist alles andere als wahrscheinlich.Ist nun nicht wenigstens damit zu rechnen, daß die Mission des

·heiligen Bonifatius in diesen Verhältnissen Wandel geschaffen hat,indem siemit der Ausbreitung der fränkischen Macht Hand in Handging und ihre Ergebnisse von den karolingischen Hausmeiern undKönigen .dem Reiche nutzbar gemacht wurden? Nach dem ge-·spannten Verhältnis zu urteilen, in dem Bonifatius zu den frän-kischen Machthabern seiner Zeit stand, ist auch das wenig wahr-scheinlich"). Die bisherige Auffassung, daß Kar! Martells Schutz-brief für Bonifatius ihm die Hilfe der fränkischen Beamten in Hes-sen gesichert habe, erscheint uns unhaltbar, denn wie sich zeigte,

Hessen unter zunächst niederrheinisch-westfälischem, fränkischem, dannwestfälisch-sächsischemKultureinßuß. Seiner Ansicht möchte ichhierfolgen,da.sie mir der Sachlage 110mbesten zu entsprechen scheint. Hinzu kommt, daßes damals selbst im Lahngau noch Brandgräber gab, die ein Verharren aufeiner altertümlicheren Kulturstufe anzeigen; vgl. H. Zeiß, Hess. Brand-·bestattungen der jüngeren Merovingerzeit, Germania 18 (1934) S. 279f£., der·hieraus die Unberührtheit Hessens von der fränkischen Kultur folgert. DieAnnahme Uenzes, daß Hessen damals fast unbesiedelt gewesensei, er-scheint mir nicht zwingend. Zeiß weist mit Recht darauf hin, daB Brand-gräber bei zufälliger Aufdeckung leichter übersehen und zerstört werdenkönnen als Körpergräber, während J. Werner für Hessen im 7. Jh. bei-gabenlose Bestattungen vermutet, was sich bei den Goddelsheimer Gräbernbestätigt. Das Fehlen von Reihengräbern in Hessen wird daher weder als·Fundlücke noch aus geringer Siedlungsdichte zu erklären sein, sondern 110mehesten damit, daB Hessen von den zivilisatorischen Zusammenhängen, diedie Reihengräber anzeigen, unbeeinßuBt geblieben war - eine Auffassung,·der J. Werner voll beitrat.

St) Schieffer, z. B. S.160. Es ist bemerkenswert, wie Schieffer unddie gesamte neuere Bonifatiusliteratur, obwohl die Spannungen nicht ver-schwiegen werden, auf Grund der geschilderten Lehren von Karl Martellsstaatlichem Wirken in Hessen zu einem Gesamtbild des Verhältnisses zwi-.schen Bonifatius und dem Hausmeier gelangte, das eigentlich nur bei einemengen Einvernehmen zwischen beiden recht vorstellbar wäre. Soerfährt dennauch das Verhältnis des Bonifatius zum Papsttum gegenüber den Ansichten·von K. Hauck, Kirchengeschichte Bd. I S. 044f1. eine neue Bewertung, zuder sich H. Löwe, Deutsches Archiv f. d. Erforsch. d. Mittelalters 11 (1955)S. 583f. reeht kritisch äußert. Die vorgetragenen Bedenken bestätigen sichdamit von ganz anderer Seite her.

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lassen sich solche Beamten nicht nachweisen'"). Im Gegenteil istaber bekannt, daß die Kirchenpolitik Karl Martells den Auf-fassungen des Bonifatius gerade zuwiderlief'"), Die stärkstenWidersacher, die der Angelsachse in der fränkischen Geistlichkeitfand, standen nicht nur zu den Karolingern überhaupt, sondernbesonders zu Karl Martell in engen persönlichen Beziehungen92).So nimmt es denn nicht wunder, daß man die Haltung des Haus-meiers gegenüber dem hessischen Missionswerk als desinteressementkennzeichnen und feststellen konnte, Karl Martell sei nicht geneigtgewesen, seine staatskirchliche Gewalt auf das bonifatianischeMissionsgebiet auszudehnen'"). Erst mit Karlmann und Pippin er-reichte Bonifatius auf kirchlichem Gebiet eine engere Zusammen-arbeit, die in den Reformsynoden ihren Höhepunkt Iand'"), Rechtbald aber stellte sich eine schwere Krisis ein, und die kirchlicheNeuordnung wurde von Pippin letztlich "geradezu an Bonifatiusvorbei" durchgeführt"). Das von seinen angelsächsischen Schülernbetreute Missionsgebiet des Bonifatius blieb weiterhin am Randeliegen. Erst die Jahre 780/82 glichen mit der Erhebung BischofLuls von Mainz zum Erzbischof die Spannungen aus und fügten dieMissionskirche fest in den Gesamtbau der fränkischen Kirche ein96).Hält man dem entgegen, wie Pirmin gegen die widerstrebenden ale-mannischen Herzöge von Karl Martell unterstützt wurde und wie

'0) Büttner, Bonifatius und die Karolinger, Hess. Jb. f. Landesgesch. 4(1954) S. 21ff., setzt das allerdings noch voraus; vgl. aber oben S. 312. Daßder Schutzbrief im Mainland, Grabfeld und Thüringen eine solche Bedeutunghaben könnte, soll damit nicht bestritten werden.tl) Schieffer S.130ff.'1) E. Ewig, Milo et eiusmodi similes, St. Bonifatius-Gedenkgabe (1954)

S.412ff.tI) G. W. Sante, Bonifatius und die Begründung des Mainzer Erzbis-

tums, Hist. Jb. 57 (1937) S.157ff. Zutreffend sagt H. B. Wenck Bd.1I1.Abt. S. 254: "Kar! Martell war zu sehr Soldat, als daß er sich für Boni-facius persönlich hätte intressieren, und dessen Pläne mit seiner Staats-verwaltung in nähere Verbindung bringen können." Mit Mühe versuchtF. Flaskamp, Das hess. Missionswerk des hI. Bonifatiuss (1926) S.77ff.,Kar! Martell als eifrigen Förderer des Bonifatius hinzustellen.ea) Schieffer S.199ff.ta) Sante S. 226.U) Büttner, Das Erzstift Mainz und die Sachsenmission, Jb. f. d. Bistum

Mainz 5 (1950) S.316.

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ihm nach seiner Vertreibung von der Reichenau von fränkischenAdligen aus dem Kreis um die Karolinger neue WirkungsmögIich-keiten geboten wurden, so wird der Unterschied offenbar. Daß dieMission des Bonifatius,' die sich sogar kirchlich in einer gewissenIsolierung gegenüber der fränkischen Kirche vollzog, eine stärkerepolitische Annäherung Hessens an das fränkische Reich unmittelbarbewirkt hätte, ist niehtanzunehmen.

So gibt es denn auch für die Zeit Karlmanns und Pippins keinZeugnis für eine fränkische Wirksamkeit in Hessen. Lediglich die,Nennung des bedeutsamen fränkischen Grafen Ruthard im Lahn-gau könnte man in diesem Sinne verwerten, der um jene Zeit vorallem im Elsaß an führender Stelle tätig war. Jedoch ist die Datie-rung seiner lahngauischen Schenkung an Fulda'") ungewiß; siekönnte ebensogut in die Zeit Karls des Großen gehören und soll des-halb vorerst unberücksichtigt bleiben. Überdies ist darauf hinzu-weisen, daß Fulda in jener Gegend gleichzeitig und später vonSchenkern mit ähnlichen, ja sogar dem gleichen Namen bedachtwird"), so daß man vielleicht gar die Frage aufwerfen muß, ob derlahngauische Ruthart mit dem fränkischen Grafen im Elsaß, in derOrtenau und am Bodensee wirklich identisch war. Jedenfalls dürfteaber die Auffassung, der fränkische Graf Ruthart habe, da er inAlemannien geblieben sei, sein Eigengut im Norden abgestoßen"),zu allgemein formuliert sein.Mit dem Beginn der Sachsenkriege Karls des Großen im Jahre

772 begannen sich allerdings die Verhältnisse zu wandeln. DieStraßen, auf denen der König gegen die Sachsen zog, sind bekannt:Sie durchqueren den heutigen hessischen Raum vonder Wetterauher, westlich an Gießen und Marburg vorbei, und führen über Wet-ter und Frankenberg zur Eresburg-?"). Von der damaligen Land-

; t1) Stengel, UB Fulda Nr.107. DazuH. J. v. Brockhusen, Wolag Rut-harteshusen?, ZHG 64 (1953) 8.142; I.Dienem ann-Diet.rteh , S.154ff.- U) Dronke, Trad. c. 6 Nr. 8, 9, 72, 77, 99, 108, 112, 146; vg!. v. Bro ek-husen S.143f.v- ") I.Dienemann-Dietrich, S.165.

100) H. Krüger, Die vorgeschieht!. Straßen in den 8achsenkriegen Karlsd. Gr, Korrespondenz-Blatt d. Gesanitvereins 1932 Sp. 223ff. j ferner dieKarte bei K. Brandi, Karls d. Gr. Sachsenkriege, Niedersächs. Jb, f.Landesgesch.10 (1933) S. 35; und die Karte bei Görich, Straße, Burg u.Stadt S.147.

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schaftsgliederung her gesehen, ergibt sich allerdings etwas ganzUnerwartetes: Das eigentliche Hessen wird nicht durchschnitten,vielmehr bewegt sich die Straße westlich daran vorbei, durch denLahngau und Ittergau nach Westfalen hinein. Die Gegend an deroberen Eder erscheint allerdings in der Folgezeit, da sich die Gau-belege zahlreicher einstellen, als zu Hessen gehörig, aber zunächstscheint ihre Zugehörigkeit noch unklar gewesen zu sein, da derSchlachtort Laisa an der Eder meist zum Lahngau gerechnetwurde'?'). Ein Blick auf die Karte des Itinerars Karls des Großenbestätigt diesen Eindruck="). Auch hier bleibt Hessen, von zweiAufenthalten in Hersfeld, am Rande des Grabfeldes, abgesehen, un-berührt. Das gleiche zeigt sich jedoch auch bei einem wichtigenTeile Sachsens, nämlich dem Gebiet der oberen Leine, dem ganzenLande südlich des Harz103). In allen seinen Sachsenfeldzügen hatKar! diese Landschaft nie betreten. Zog man daraus bisher, analogder vermuteten Zugehörigkeit Hessens zum Frankenreiche, denSchluß, daß auch diese sächsischen Gebiete schon vorher fränkischgeworden sein müßten10'), so erscheint uns der Ausweg besser, so-wohl in Hessen als auch im Leinegau Verhältnisse anzunehmen, diejenseits der Alternative von Kriegszustand oder Unterwerfungstanden und eine weitgehende fränkische Gleichgültigkeit zur Folgehaben konnten. Blieb also das innere Hessen außerhalb des mili-tärischen Aktionsbereichs des Frankenkönigs, so ist für Lahngauund Ittergau allerdings eine Schaffung von Machtstützpunktenvorauszusetzen. Hier stehen nun auch die von W. Görich er-

101) Vom Lahngau spricht die Vita Sturmi (MG Script. Bd.2) S.376:Loganacinse, und die Annales regni Franeorum. hrsg. v. Kurze, S.52:Logenehi, von Hessen (pagus H assioTum) die etwas späteren Annales quidicuntur Einhardi, hrsg. v. Kurze, S. 53, sämtlich zum Jahre 778 anläßlichder Schlacht bei Laisa, Bei Anhalt S. 6 wird dieser Widerspruch zwischenden Quellen nicht erwähnt.

102) Th. Mayer, Das deutsche Königtum und sein Wirkungsbereich, DasReich und Europa (1941), Kartenbeilage.

lOa) H. B. Wenck Bd. 11 1. Abt. S.274; E. Hennecke, Mis~ellen zurKirchengesch. Altsachsens, Ztschr. f. Kirchengesch. 54 (1935) S. 65ff.; d ers.,Kirchen in und um Göttingen, Ztschr. d. Gesellsch. f. nieders. Kirchengesch.42 (1937) S.168ff.; K. D. Schmidt, Bonifatius und die Sachsen, St. Boni-fatius-Gedenkgabe (1954) S. 236.

10') So die in der vor. Anm. angeführte Literatur sowie Kroesehell,Hessen und der Kaufungerwald S. 133.

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forschten karolingischen Königshöfe in einem einleuchtenden Zu-sammenhang. Man kann sogar einen Versuch unternehmen, ihreEntstehung zeitlich näher zu bestimmen: Als 778 ein sächsischerHeerhaufen von Westfalen aus am Rhein hinauf bis Deutz gebranntund geplündert hatte und durch den Lahngau nach Sachsen zurück-zogl05), scheint es noch keine in Hessen stationierten fränkischenTruppen gegeben zu haben. Einmal wäre es wenig wahrscheinlich,daß ein heimkehrendes Heer seinen Weg ausgerechnet durch einvom Gegner besetztes Land nähme, und zum andern ist es aus-drücklich bezeugt, daß der König Franken und Alemannen aufbot,die die Sachsen - offenbar von der Wettcrau106) her - verfolgten,sie an der Eder bei Laisa endlich einholten und schlugen. In jenemJahre wird es also noch keine dauernden fränkischen Militär-einrichtungen an der großen Vormarschstraße nach Norden, ge-geben haben?"). Vielleicht war dieses oder ein ähnliches Ereignisder Anlaß zu ihrer Schaffung.Erst von jetzt an finden sich auch Zeugnisse für eine Wirksam-

keit des fränkischen Königtums im inneren Hessen. War die AbteiHersfeld, an der Grenze zum Grabfeld hin gelegen, schon 775 demKönig übergeben worden-'"), so ging vor 782 auch das FritzlarerKloster an den König über109).Von den Königsurkunden. die vonSchenkungen Karls an Hersfeld berichten, bleibt nach Ausschei-dung der Fälschungen nur eine übrig, die sich auf ein vereinzeltesBesitztum in Aula bezieht, das durch Oblation oder Konfiskationan den König gelangt sein magUO); irgendwelche Schlüsse über die

105) Ann. regnoFranc. et q. d. Einhardi, hrsg. V. Kurze, S. 52/53, Görich,Die alte Kesterburg S. 17, spricht von einem sä.chsischen Seitenstoß aufBüraburg und Fritzlar, die er ja als frä.nkisch voraussetzt. In den Annalenist aber von einer Angriffsabsicht der Sachsen in Hessen keine Rede: reversisunt per Logenehi partibus Saaoniae. Nur die offenbar beim Herannahen derSachsen entstandene allgemeine Panik (Vita Sturmi, MG Script. Bd.2S. 376) ließe etwa an einen beabsichtigten Angriff denken.

101) Görich, Frühma. Straßen und Burgen S. 106.107) Daß es auch beim Sachseneinfall von 774 auf der Büraburg noch

keine fränkische Besatzung gegeben zu haben scheint, wurde oben S. 316f.ausgeführt.

108) MGDip!. Karo!. I Nr. 89.101) MG Dip!. Karo!. I Nr.H2.UO) MG Dipl. Karol. I Nr.126 aus dem Jahre 779.

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Bedeutung des fränkischen Königsguts in jenem Raum lassen sichdarauf nicht stützen. Das Breviarium Lulli weiß für Thüringen unddie Wetterau, aber nicht für Hessen von Schenkungen des Königs;in Hessen sind es nur freie Leute, die das Kloster bedenkenw-),Allerdings erscheinen in der gleichen Urkunde, aus der sich derBesitzerwechsel von Fritzlar ergibt, die drei ministeria des Rabano,Swigar und Agilgaud in pago Austrasiorum gelegen. In ihnen liegenGüter, die Erzbischof Lul von Mainz dem jetzt königlichen KlosterFritzlar schenkt, wobei er nur die Kirche von Mardorf (Berge) beiHornberg zurückbehält. Nur einer dieser Amtsbezirke aber läßt sichörtlich bestimmen: der des Agilgaud, der mit dem Hagilgauciuscomes identisch sein dürfte, der vor 768 in Bingen in der Nähe desKönigs Pippin begütert ersoheinf'P]. Man wird deshalb dieseministena nicht kurzweg "um Fritzlar" lokalisieren können-P), sowahrscheinlich es ist, daß eines davon (das, in dem die MardorferKirche lag) sich in Hessen befand. Welcher Art sie waren, läßt sichebenfalls nicht entseheiden-P).Etwa um 800 wurde dann an der hessisch-sächsischen Grenze das

Erbe des dux Gerhao als Königsgut eingezogen und der ForstKaufungerwald eingerichtet-P). Damals wurde auch in Wolfs-

111) H. Weirich, Urkundenbuch der Reichsabtei Hersfeld Bd. I (Veröff.d. Hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck XIX 1,1936) Nr. 38 = H. B. Wenckna, II UB Nr.12.

111) Stengel, UB Fulda Nr. 49 = Dronke, Codex Nr.15. Stengel, dervorauszusetzen scheint, daß Agilgauds in DipI. KaroI. I Nr.142 erschei-nendes ministerium in Hessen liege, nennt ihn einen "wohl hessischenGrafen". Ich möchte ihn für einen Franken halten; jedenfalls muß er zuPippins Zeiten noch nichts mit Hessenzu tun gehabt haben.

113) Büttner-Dietrich, Weserland u. Hessen S.135. Der Versuch vonJ.Dietrich, Die Konradiner im fränkisch-sächsischen Grenzraum vonThüringen u. Hessen, Hess. JB. 3 (1953) S. 8H., diese Lokalisierung auf den'Fritzlarer Besitz des 13. Jh.s zu gründen, ist nicht zwingend, da die Stifts-güter zuvor schon starke EinbuBen erlitten hatten. •lit) Landau, Hessengau S.27 übersetzt als "Grafschaft" und meint

damit sicher den staatlichen Verwaltungsbezirk; Büttner-Dietrich,WeserIand und Hessen S. 135, sprechen dagegen von "ministeria der Kron-gutsverwaltung". Auch hier sind die Erwägungen von J. Dietrich, DieKonradiner S. 82, nicht zwingend.

111) MG Dipl. KaroI. I Nr. 218.

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anger, in der Nähe des karolingischen Königshofs KasseI116), eineAnsiedlung von jranci erwähnt'?"). Wenn man schon bisher auchdie übrigen in Hessen bezeugten oder erschlossenen Königshöfe indiese Zeit setzte, obwohl es für ihr fränkisches Alter meist keinenBeleg gibt118), so wäre damit die Etablierung der fränkischen Herr-schaft in Hessen auf den gleichen Zeitraum festgelegt, .da sie sichauch in Sachsen vollzogen haben muß-").

Ob sich die Franken dabei nur einzelner Punkte bemächtigthaben, oder ob sie in einer durchgreifenden Neuorganisation derVerwaltung nach Centenen und Grafschaften ihre Hand auf dasganze Land legten, ist die für unser Thema entscheidende Frage.Für die Centenen läßt sie sich vorerst leicht beantworten: In Hessenist nicht eine einzige bezeugt. Möglicherweise könnte aber eine inHessen durchgeführte fränkische Grafschaftsverfassung dazu be:'rechtigen, trotz des Fehlens der Centenenbezeichnung mit Hilfeanderer Kriterien Centenen zu erschließen, wie man es bisher tat.Darum sei noch ein Überblick über eine weitere Gruppe vonQuellenzeugnissen gegeben: über die Nennungen von Grafen inHessen in fränkischer Zeit.

Der vor 779 im Lahngau als Schenker auftretende Graf Ruthartwurde schon erwähnP20); er erscheint dort nur mit einem einzelnenBesitztum, gehört aber vielleicht zu einer dort beheimateten Sippe.Um 800 wird dann, erstmals im eigentlichen Hessen, ein comes(Diterich) genannt121). Er schenkte an Fulda reichen Besitz in der

ne) Zum Namen und seiner Datierung auf die karolingische Zeit K. GI öck-ner, Kassel, Festschr. E. E. Stengel (i952) S. 495ff., und Stengel, Frink.Wurzel S. 41 Anm. 28•. In) MG DipI. KaroI. I Nr. 213, 218.118) Stengel, Fränk. Wurzel S. 47 Anm. 69.111) Für 782 setzt man die "Einführung der Grafschaftsverfassung" in

Sachsen an, auf Grund der Annales Laureshamenses (MG Script. Bd. I)S.32. Auch im Grabfeld begegnen Grafen erst seit 784 (SchlesingerS.68ff.).

110) Oben Anm. 97. .111) Dronke, Trad. c. 6 Nr. 97. W. Görich, Herr Argozim Oberlahngau

und seine Schenkungen 750/79, in: Gesch.-Beil. 1950 Nr. 43, will diesenGrundherm, dem der Mönch Eberhard von Fulda im 12. Jh. den Titel comesbeilegte, als Grafen auf der Amöneburg ansprechen und hält seinen Besitz fürallodialisiertes Amtsgut. Ich möchte Argoz jedoch nicht für einen Grafenbalten.

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Gegend von Fritzlar, Homberg und Melsungen, also in der Nähevon vermuteten karolingischen Königshöfen. Man will deshalb die-sen Besitz als allodialisiertes Amtsgut ansehen und den Grafenselbst zum fränkischen Amtsadel zäWen122). Methodisch erscheintdieses Vorgehen nicht gerechtfertigt. Die Nachricht, daß in einemals Königsgut angesehenen Ort ein Graf eine Schenkung macht

. ,also dort Allod besitzt, müßte doch eher zur Aufgabe der Königs-gut-These führen, zumal diese ja keineswegs zwingend bewiesen,sondern nur aus einzelnen Anzeichen hypothetisch erschlossenwurde. Gerade für die Gegend von Homberg läßt sich nun dieBedeutung einheimischer Adelsgeschlechter und ihres Allodial-besitzes noch weiter dartun. Hier übergab um 800 eine Sippereichen Besitz an Fulda, für die die Namen Meginhart, Meginher,Meginrat, Meginbalt, Megina und Meginburg kennzeichnendsind123). Auch der Name Reginhart erscheint im gleichen Zusam-menhang12'). Den Titel comes führten Reginhart und Meginhart,jedoch keineswegs immer125). Ein Teil des Besitzes dieser Sippe lagim Lahngau, der größte Teil jedoch in der Gegend von Fritzlar,Romberg und Melsungen. Auch Rodung scheint man dort betriebenzu haben126). Da in manchen dieser Orte mehrere Angehörige des

111) Metz, Ortsnamen und Grundherrnfamilien im nördl. Hessen, Hes-sisehe Heimat 3 (1953) Heft 2 S.7; d er s., Grundfragen S.46. Metz fußtdabei auf der oben Anm. 41 verzeichneten Literatur. Der gleichen Methodebedient sich J. Dietrich, Die Konradiner S. 76, die den Allodialbesitz Goz-mars im Edertal zu altem Fiskalland erklärt. Ebenso verwandelt sie (S. 79)die Güter des Grafen Dodiko von Warburg, die dieser als suae proprietatispredia bezeichnet, in einstiges Königsgut - noch dazu auf Grund unrichtiger'Ortsbestimmungen. '

111) Dronke, Trad. c. 6 Nr. 35, 52, 78, 90, 91, 95, 96, 98, 103, 104, 115,159..' lI')Dronke, Trad. c. 6 Nr. 79, 90.115) Reginhart: Nr. 79, 90; Meginhart: Nr. 90,103,159. H. B. Wenck

Bd, 11 S. 337, 534 will Reginhart mit dem comes palalinus Ludwigs desFrommen, ReginhariUB, M eginharii comitis filius, identifizieren, der sich 817empörte und geblendet wurde. Ein Zusammenhang mit unserer Sippe istnicht abzuweisen, da bei Dronke, Trad. c. 6 Nr. 79 Reginhart de lutTingiaals Schenker in einem Ort auftritt, wo unmittelbar vorher (Nr. 78) einMeginger schenkte.' '. .

US) 1196 wird in der Nähe von Homberg + Megenharderoth genannt;H. B. Wend Bd.1I UB Nr.90.. .

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Geschlechts Schenkungen machten, werden diese Güter alter Besitzund durch Erbteilung in verschiedene Hände gelangt sein127). Auchder Besitz des Grafen Diterich stammt vielleicht aus dieser Sippe,die an sechs von seinen vierzehn Orten ebenfalls, zum Teil mehr-fach, begütert ist j er könnte etwa durch eine Heirat an ihn ge-kommen sein, wie denn auch in der gleichen Gegend Milo et uxoreius Megina eine Schenkung machen':"), die, dem Namen nach zuurteilen, aus der Sippe der Frau stammen dürfte. Im ganzenergibtsich also, daß hier eine Grundherrensippe, deren Angehörige teil-weise gelegentlich als Grafen bezeichnet wurden, reichen altenAllodialbesitz hatte128a). Daß das die Annahme wahrscheinlichermache, jene Gegend sei Königsgut gewesen, wird man nicht ebensagen können. Gerade in Orten mit so "fränkischen" Ortsnamenwie Mosheim, Mardorf, Holzhausen, hatten jene Herren Besitz,ebenso in Melsungen mit seinem vermuteten Königshof.

Ohne uns nun den Vorwurf H. B. Wencks zuziehen zu wollen,daß wir zu denen gehörten, die "bloß aus Namen sogleich Ge-schichten zu erträumen wissen"l29), versuchen wir, in spätere Jahr-hunderte eine Brücke zu schlagen. 960 werden Gude und Solz alsin comitatu Meqinfridi comitis gelegen genannt+"}; sie liegen nichtweit von 'Morschen und von Bebra entfernt, wo die alte Meginhart-Sippe Besitz hatte. 1073 und 1096 begegnet wieder ein Graf Megin-

117) Die gegenwärtige Meinung müßte konsequenterweise von dieser Fest.stellung aus zu einem sehr hohen Alter der postulierten Königshöfe gelangen,da das Amtsgut dann ja schon zur Zeit des gemeinsamen Stammvaters derSchenker allodialisiert gewesen sein müßte.

US) Dronke, Trad. c. 6 Nr. 98.usa) Beziehungen zu der ähnlichen Namengruppe im Lorscher Codex, die

vor allem im Lobdengau, Gartachgau, Wormsgau und der Wetterau begüterterscheint, ließen sich bislang nicht herstellen, so daß die hessische Meginhart-Sippe vorerst wohl nicht als fränkisch angesehen werden darf. Hinzu kommt,daß Meginher, obwohl schon seine geschenkten Güter in Hessen liegen, auchselbst de regione Ilessotum genannt wird (Dronke, Trad. c. 6 Nr.115).Lediglich die Identität des in Girmes an Fulda tradierenden Meginburg(Dronke, Trad. c. 6 Nr, 35) mit demgleichnamigen Schenkeram selben Ortim Cod. Laur. Nr. 3141 (= 3692b) ist anzunehmen, ohne daß jedoch vonhier aus eine Linie weiterführte.

118) H. B. Wen c k Bd. II 2. Abt. S. 943.110) MG Dipl. O. I Nr.207.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 331

frid, der in der Meißnergegend als hersleldischer Vogt auftrittl31),und 1090 gewinnt man einen Anhaltspunkt für seine Herkunft: erwar Graf von Felsberg+"). 1100 machte seine Witwe eine Schen-kung an Hersfeld'P"), wiederum nicht weit vom Besitz der karo-lingischen Meginhart-Sippe entfernt, und als 1253 der letzte Fels-berger Graf (der Name Meginfrid war dort inzwischen abgekom-men) seinen Besitz dem Kloster Breitenau schenkte134), lag dessenKern um Felsberg, in ausgezeichneter räumlicher Ergänzung zum

. Erbgut jenes älteren Geschleehts-'"). Ist der zeitliche Abstand zwi-schen den einzelnen Namensnennungen auch sehr groß, so dürftees doch bei dem engen räumlichen Zusammenhang nicht zu gewagtsein, eine Verbindung anzunehmen.

Ehe wir jedoch aus diesem Beispiel für die hessische Grafschafts-verfassung Konsequenzen ziehen, sei zunächst der Überblick überdie hessischen Grafen der Karolingerzeit fortgesetzt. Neben Rut-hart im Lahngau vor 779, Diterich und Meginhart mit seiner Sippein Niederhessen um 800 und danach wurde noch um die gleicheZeit ein GrafAgilbert genannt, dessen Witwe' in Altenstädt undEhrsten 831 Schenkungen an Fulda machte-"). Sie wird als Lant-suint de west/alia bezeichnet, wird also sächsischer Herkunft ge-wesen seinusa). 850 schenkte Graf Gozmar dem Kloster FuldaGüter an der Eder137); am Oberlauf des Flusses bedachte er auch

131) Weirich, UB Hersfeld Nr.llO, 115 = H. B. Wenck Bd.II UBNr. 37,51.

131) M. Stimming, Mainzer Urkundenbuch I (1932) Nr. 374.133) Weirich, UB Hersfeld Nr. 119. Ob Megin(ridu8 et filius 8uusGebehar

de Alstat, die vor 1123 Güter in Züschen und Grifte, also nahe bei Felsberg,dem Kloster Hasungen schenkten (H. B. Wenck Bd. 11 UB Nr.52), auchhierher gehören, mag zweifelhaft bleiben.

18&) Urk. im Staatsarchiv Marburg, UA Breitenau (frdl. Auskunft vonStaatsarchivdir. Dr. Papritz). Vg!. Krummel S. 30 u. 32. .In) Helbig S.24 glaubt, der Allodialbesitz der Felsberger sei aus

Vogteien erwachsen. Besteht unsere Verknüpfung mit den älteren llIegin-harten zu Recht, so wäre diese Möglichkeit erheblich einzuschränken.

131) Dronke, Codex Nr. 483, Trad. c. 6 Nr.114, 135.18aR) J. Dietrich, Die Konradiner S. 83, übergeht diese Bezeichnung und

leitet statt dessen aus dem Namen Lantsuint Beziehungen zum Rhein-Main-Gebiet her.

117) Dronke, Codex Nr. 559, Trad. c. 6 Nr.lM. Vg!. oben Anm.122.

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Lorsch-:"). Da in den meisten dieser Orte, und nur in diesen amganzen Flußlauf, später Besitz der Grafen von Ziegenhain-Reiehsji,bach begegnete, bei denen der Name Gozmar recht gebräuchlichwar, hat man hier schon Zusammenhänge für möglich gehaltcnl39).Wenn wir das sächsisch besiedelte Diemelland beiseite lassen, indem Konradiner und Esikonen eine Rolle spielten-w), wärendamit die wesentlichen Quellen genannt.

Sie zeigen mit aller Deutlichkeit das Folgende: Die hessischenGrafen des 9. Jh.s gehörten einheimischen Grundherrensippen an,von denen vermutlich zwei (Meginhart-Felsberger, Gozmar-Ziegen-hainer) noch im hohen Mittelalter als Grafenfamilien blühten. DieBezeichnung comes wurde diesen Herren nicht regelmäßig gegeben;sie scheint ein mehr beiläufiges Attribut ihrer herrschaftlichen Stel-lung gewesen zu sein, das für diese nicht konstitutivoder auch nurbesonders bezeichnend war. In den Traditionen begegnen sie natür-lich nur mit ihrem Grundbesitz, aber auch ihre späten Nachfahrenhatten ihre Grafschaften dort, wo ihr Allodialbesitz lagU1). Mankann deshalb, zumal auch andere Zeugnisse fehlen, keine gräflichenAmtssprengel erschließen, die den Wechsel der Inhaber über-dauerten und dennoch von ihrem AIlodialbesitz unabhängig waren.Die Beziehung zum Königsgut endlich spielt, wie sich zeigte, kaumeine Rolle; gegen das Bestehen einiger ohnehin nur hypothetischangenommener Fiskalbezirke lieferte gerade das Allodialgut derGrafensippen entscheidende Argumente. Im ganzen also Verhält-nisse, die eher auf eine starke Kontinuität der Verfassung seit vor-fränkischer Zeit als auf einen organisatorischen Eingriff Karls des

138) K. Glöckner, Codex Laureshamensis Bd. III (1936) Nr. 3586,3796.

13') Brauer S.16.UO) ZUden Konradinern vgI. jetzt J. Dietrich, die allerdings die für den

sächsischen Hessengau (unsicher genug) bezeugten konradinischen Grafen-rechte (MG. Dipl. L. J. Nr.1) auf ganz Hessen bezieht und ohne zureichen-den Grund die institutionelle Einheit derHessengaugrafschaft behauptet.Dagegen spricht doch zu vielesl Zu den Esikonen vg!. einerseits SabineKrüger, Studien zur sächs.- Grafschaftsverfassung im 9. Jh. (Studien u.Vorarb. z. hist. Atlas Niedersachs.19, 1950), andererseits Metz, Grund-fragen S. 46f.

lU) Für Ziegenhain vgI. Brauer 8.16-28, für Felsberg KrummelS.30/32.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Ccntene. 333

Großen hindeuten+"), Solange dafür keine neuen Argumente bei-·gebracht werden, möchten wir deshalb nicht von einer Einführungder fränkischen Grafschaftsverfassung in Hessen sprechen 143).

US) In mancher Beziehung finden sich Xhnlichkeiten mit den sächsischenZuständen, wie sie S. Krüger, bes. S. 33ff., schildert. Im kleinen Hessenfehlt jedoch die weite Streulage der comitatus; außerdem möchte ich der"Gauverfassung", den volksrechtlichen Verfassungselementen, gegenüberder herrschaftlichen doch eine gewisse Bedeutung beimessen, schon weil inHessen die Herrschaft nicht in gleichem :Maßeauf kriegerische Eroberunggegründet war wie in Sachsen.

Ha) Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die späteren hessischenGrafschaften? Man ging bisher stets von der Voraussetzung aus, sie hättensich aus Grafschaften des "klassischen" fränkischen Typus entwickelt. Anden Anfang dieser Entwicklung stellte man eine konradinische Großgraf-schaft um 900, die dann im mehrere Einzelgrafschaften zerfallen sei. Diesespäteren Grafschaften identifizierte man zwar nicht mit Gauen, aber mitgewissen landschaftlichen Einheiten (eigentliches Hessen, DiemelIand, Lahn-Eder-Grafsch., Ohm-Lahn-Grafsch.), und sah alle in einem solchen Raumgenannten Grafen als Nachfolger in dem gleichen gräflichen Amt an. Graf-schaften wie die von Ziegenhain und Felsberg wurden, obwohl ja gerade siemöglicherweise in sehr frühe Zeit zurückreiehen, als spätere Absplitterungenaus der vorausgesetzten einheitlichen hessischen Grafschaft verstanden,ebenso auch die von Naumburg, Schauenburgusw. Von den Grafen von Fels-berg glaubte man gar, sie hätten als Richter der Centene Gensungen denWerner-Grafen unterstanden, da ihr Sitz mitten in deren Machtgebiet liege(Krummel S. 31), und von den Schauenburgern nahm man Entsprechendesan (oben Anm. 19). Ich glaube, daß diese Ansichten revisionsbedürftig sind.Selbst eine - methodisch ja sehr gewagte - Kartierung aller jemals ge-nannten hessischen Grafschaften von 800 bis 1300 zeigt überraschenderweisenoch ein relativ klares Nebeneinander der Kernräume. Das spricht nicht ebenfür eine ursprünglich einheitliche hessische Grafschaft. So muß es fraglichbleiben, ob, wie Classen S. 328 meint, die Grafen Meginfrid (960), Friedrich(1008-19) und Werner (seit 1027/39) einander in der gleichen hessischenGrafschaft nachfolgten. Es bleibt sogar offen, ob die gisonische GrafschaftGudensberg, die unter den Ludowingern zum Ansatzpunkt einer späterenhessischen Landesherrschaft wurde, wirklich mit der wernerischen Graf-schaft Maden identisch war. Warum hätte man jenen älteren Namen, der aufeine frühe Institutionalisierung hindeutet, fallen lassen und sich in reindynastischer Weise nach einer Burg genannt? Daß Gudensberg nahe beiMaden liegt, ist für sich allein noch kein Argument; auch Felsberg liegt inunmittelbarer Nähe und war doch Sitz eines eigenen Grafengeschlechts. DenWerner-Grafen hatte Gudensberg ja offenbar nicht als Sitz gedient, ihnenwohl nicht einmal gehört. Schließlich ist ja bis heute völlig unklar geblieben,Auf Grund welchen Rechtstitels die Gudensberger Gisonen die Werner-

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Unter diesen Umständen ist auch die Errichtung fränkischer Cen-tenen in Hessen wenig wahrscheinlich.

Ill. Die hessischen Zentgerichte.Ausgangspunkt für die Untersuchung der hessischen Zentgerichte

des hohen und späteren Mittelalters sei eine Urkunde aus demJahre 1247, aus der man für die Gerichtsverfassung des mittel-alterlichen Hessen schon die verschiedenartigsten Folgen hat ziehenwollen. Hier zunächst ihr wesentlicher Inhaltl") :

Die Brüder Hermann und Heinrich von Wolfershausen bestätigen, daßihnen der Erzbischof Siegfried von !Iainz die iurisdictiones, que cente vocantur,deren ihr Vater vom Landgrafen nachweislich widerrechtlich beraubt wordensei, et special iter iurisdictionem super villam Dyelmelle, que uberste gerichtevocatur, zu Lehen gegeben habe. Ferner bestätigen sie den Empfang von300 Mark für verschiedene Zwecke, für die ihnen der Erzbischof seineZehnten in Kassel und + Fuldhagen verpfändete, et insuper omnes centasquas sculteti de Kassel hactenus procurarunt. Einige Zenten hätten sie also alsLehen, andere als Pfand erhalten. Die homines in ipsarum cenlarum terminiscommoranles sollen aber gehalten sein, zum maius tribunal comitatus H assiezu kommen, wenn sie aus irgendeinem Grunde dahin geladen werden.

Grafen in der Grafschaft Maden beerbt haben sollten. Ich denke mir denHergang so, daß an jenem hessischen Herzraum mehrere GrafengeschlechterAnteil hatten, daß dann unter dem letzten Grafen Werner das Gericht Madenan Mainz kam (dazu Eisenträger-Krug S. 27ff.), und daß die Gisonendaraufhin von ihrer Burg Gudensberg aus (die im Gegensatz zu Maden erstspät von Mainz als Lehen beansprucht wird) einen neuen Versuch der Herr-schaftsbildung machten. Gudensberg und Maden wären dann unter denLudowingern vereinigt worden, die das eine als erheiratetes Allod, das andereals mainzisches Lehen innehatten. Damit wäre die verschiedene Rechts-grundlage dieser angeblich einheitlichen Grafschaft Maden-Gudensberg er-klärt, und auch die Frage, ob die hessische Grafschaft Reichslehen war, wieman meist voraussetzt, oder allodial (H. B. Wenck Bd. Ill, 1803, S.89),erschiene von hier aus in neuem Licht. Werden so durch den Fortfall einerfränkischen Grundlage der hessischen Grafschaften manche neuen FragengesteIlt, so erweisen sich einige bisherige Schwierigkeiten als Scheinprobleme.Es entfällt etwa die Notwendigkeit, sich die Grafen Gumbo und Reginwerthim Diemelland (MG Dip!. O. 11 Nr. 37) als "Mitinhaber" eines Grafenamtszu denken oder den Grafen Gero (MG Dipl, H. III Nr.120) als "Unter-grafen" des Grafen Werner zu verstehen.

1&&) Druck: Gudenus, Codex diplomaticus Moguntinus Bd. I (1743)Nr. 246; Regest: O. Grotefend-F. Rosenfeld, Regesten der Landgrafenvon Hessen Bd. I (Veröff. d. Hist. Komm. f.Hessen u. Waldeck VI, 1909/29)Nr.3.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 335

Aus dieser Urkunde hat man zuletzt herauslesen wollen, daß sichin Ditmold das Gericht einer Centene des Hessengaues befundenhabe145). Man folgerte das einmal aus dem Namen des Ortes, derauf eine uralte Gerichtsstätte hinweist146), und zum ändern aus derBezeichnung des Ditmolder Gerichts als das uberste gerichte. Indieser Deutung ließ man sich auch dadurch nicht irremachen, daßin der Urkunde selbst für jene Gegend mehrere Zenten bezeugt sind,und daß man obendrein aus anderen Quellen gräfliche Gerichte inZwehreni47) und Frommershausen=") kennt. Man hielt die Zenten

. für Untergliederungen der Centene Ditmold und glaubte, auch inihnen sei gräfliche Gerichtsbarkeit geübt worden, so daß auch dieGrafengerichte von Frommershausen und Zwehren für Zenten ge-halten werden könnten!"). Daß damit die klassische Lehre von derfränkischen Gerichtsverfassung längst aufgegeben war, schien mannicht zu bemerken, denn man argumentierte weiter von ihrerGrundlage aus.Was jedoch sagt die Urkunde aus, wenn man sie ohne vorgefaßte

Meinung befragt? Es gibt in der Nähe von Kassel Gerichte, dieZenten heißen. Einen Teil von ihnen hatten früher die von Wolfers-hausen inne; sie waren ihnen jedoch von den Landgrafen entzogenworden. Einen anderen Teil hatten die landgräflichen Schultheißenvon Kassel verwaltet. Über diese Gerichte verfügt der Erzbischofvon Mainz, der dabei zum ersten Male als Herr des hessischen Land-gerichts in Maden auftritt. Ihre Bezirke scheinen fest umgrenzt zusein, denn es ist von termini die Rede, und sie scheinen nicht nurfür eine bestimmte ständische Gruppe, sondern allgemein zuständigzu sein, weil nur schlechtweg von Gerichtseingesessenen gesprochenwird. Das Ditmolder Gericht, das als einziges namentlich genanntund dazu als das uberste gerichte bezeichnet wird, ist eine dieserZenten. Seine Kompetenz erstreckte sich nur auf das Dorf Ditmold.

145) Eisenträger-Krug S.17 im Anschluß an Landau, HessengauS. 69 und Th. Ilgen- R. Vogel, Krit. Bearbeitung u. Darstellung d. Geseh.d. thür.-hess. Erbfolgekrieges 1247-64, ZHG 20 (1883) S. 249.ue) Landau, Hessengau S. 70.147) Eisentriger-Krug S.18.148) J. Schultze, Regesten und Urkunden der Klöster der Stadt Kassel

(Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck IX 2,1913) Anh. Nr. 33.14') So konnte man denn die comiciae Frommershausen und Zwehren für

Zenten halten; Eisenträger-Krug S.18f. Dazu unten bei Anm.160.

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Die Benennung uberste gerichte führt nun zu weiteren Auf-schlüssen über das Wesen der Zentgerichte. Sie begegnet nämlichauch in einer Urkunde von 1357150), wo sie mit einer Beschreibung·der sachlichen Zuständigkeit eines solchen Gerichts verbunden ist:

Landgraf Heinrich von Hessen und sein Sohn Otto erklären, daß sie sichmit Abt und Konvent des Klosters Breitenau über die Streitigkeiten um dieGerichte Ellenberg und Guxhagen wie folgt verglichen haben: Die Land-grafen sollen behalten daz ubirste gerichts waz sich an hals find an hand ge-tridit find waz flon rechte halsis find handis geriehtis recht ist find waz da flonekommen mag. Gesche ouch czu Bredinowe ein todslag odir daz sich flon rechtean hals odir hand getrede daz sal men brengin an die czenle zu Gukishain. Alleanderen Gerichte mit ihren Erträgen sollen Abt und Kloster ohne Beein-trächtigungen durch die landgräflichen Amtleute innehaben. Hält das land-gräfliche Amt Gericht über Hals und Hand, so kann ein Beauftragter desAbtes beisitzen und die Belange von Abt und Kloster vertreten. Wird ineinem Gericht, dem ein Beauftragter des Abtes vorsitzt, eine Sache gerügt,die an Hals oder Hand geht, so muß sie an daslandgräfliche Amt verwiesenwerden. Die Landgrafen oder ihre Amtleute sollen jedoch nur auf Aufforde-rung von Abt oder Kloster in' Breitenau Gericht halten.

Hier zeigt sich in aller Klarheit die Bedeutung der Bezeichnungdaz ubirste gerichte. Es ist damit nichts anderes gemeint als die·Blutgerichtsbarkeit, die Strafgerichtsbarkeit in den schwerenFällen, die an Hals und Hand geheniSI), und sie erscheint als der·wesentliche Inhalt der Zentgerichtsbarkeit. Damit ist erklärt, wiesodas Ditmolder Zentgericht als uberste gerichte bezeichnet werdenkonnte. Darin liegt kein Widerspruch, sondern das ist eine Be-nennung, mit der man jedes Zentgericht belegen konnte152). InDitmold tritt sie vielleicht deshalb so besonders hervor, weil siedort gegenüber einem anderen Gericht unterscheidende Bedeutunghattel53). Jedenfalls aber ist es unrichtig, von ihr auf ein Gerichtzu schließen, das den anderen Zenten übergeordnet gewesen sei und

150) Kopp S. 306; hier berichtigt nach dem neuesten Druck bei Krum-mel Beil. 4.

151) K. F. Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte' Bd.2(1843) S. 437. Diesen Sachverhalt scheint auch M.Eis en träger zu erkennen(Eisenträger-Krug S.39 Anm.39), ohne jedoch daraus die notwendigeFolgerung zu ziehen, daß es sich nicht um ein altes Centenengericht handeln·kann.

Ut) VgI. das Weistum des Gerichts in der Rohrbach bei Kopp Beil. 74:· daz hoeste gericht obir hals find obir hant.

1&1) 1290 gibt es dort einen come, (SchuItze Nr.1430).

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in einer fränkischen Centene wurzele. Eine derartige Folgerungvermögen die Quellen nicht zu stützen.

Zur Qualität der Zentgerichte als Blutgerichte zunächst eineweitere hessische Urkunde aus dem Jahre 1240154):Erzbischof Siegfried von Mainz bekundet, daß die Grafen von Reichen-

bach die Dörfer Aulisberg und Löhlbach, die sie auf ihrem Eigengut ge-gründet haben,liberas tenuerunt a principio ab omni iuriditione circumiacentiscomitie, hoc solo tamen excepto, si [ortuitu causa mortis emergeTet, iudex ordina-rius ibidem Wam tractare deberet. Die genannten Edlen seien im Besitz dieserFreiheit gewesen, bis sie die freien Dörfer, so wie sie sie besaßen, dem Zister-zienserkloster in Aulisburg zu dauerndem Besitz übertrugen. Die BrüderWidekind und Otto von Keseberg, genannt Vögte, iuriditionales face retemptantes villas predictas pro eo, quod adjacent is vi.cinie ceniuriones essentordinarii, hätten später auf diesen unbegründeten Anspruch gänzlich ver-zichtet, so daß sie und ihre Nachfolger kein Recht in diesen Dörfern be-anspruchen könnten, nisi tamen pro causa mortis iudicandi si proven erit.Debent annuatim iudici unum avene maldrum et preconi dimidium, ceterisomnibus que ad juriditionem pertinent liberis permanentibus villis memoratis.Zeugen: Genannte Weri und milites, et tota parrochia Geismariensis.

Die Aussage dieser Quelle ist eindeutig: Die beiden Dörfer sindals adlige, später kirchliche Immunitäten von der gräflichen Juris-diktion eximiertl55), unterliegen jedoch der Blutgerichtsbarkeitdes iudex ordinarius. Diese iudices oder centuriones ordinarii sinddie Vögte von Keseberg, die, auf ihre Blutgerichtsbarkeit gestützt,die Dörfer auch sonst ihrer Jurisdiktion zu unterwerfen suchen.Auf diesen Anspruch müssen sie jedoch verzichten, wobei ihnenaber ihre Blutgerichtsbarkeit und die damit verbundenen Lei-stungen 156) verbleiben und bestätigt werden. Die gräflicheGerichts-barkeit, von der die Dörfer frei sind, wird also deutlich unter-schieden von der iurisdictio super causas mortis der centuriones ordi-narii, der Keseberger Vögte157). Diese klare Scheidung ist der Aus-druckeiner tiefen sachlichen Verschiedenheit der gräflichen Ge-

154) Druck: Kopp Beil. 70. Vgl. dazu die parallels Urkunde von 1245 beiJ. A. Kopp, Historische Nachricht von den Herren von Itter(1751) Beil.21.Regesten beider Urkunden: A. Heldmann, Die Vögte von Keseberg, ZHG25 (1890) S.Hf., Reg. Nr.14, 17.

155) AnhaltS. 58 übersetzt comicia mit "Zent", obwohl doch, wie erl'ichtig erkennt, die zentgräfliche Blutgerichtsbarkeit gerade bestehenbleibtDazu unten bei Anm. 160.

US) Dazu unten bei Anm. 223ff., 58.157) So zutreffend schon Anhalt S. 20ff., 58.

·:22 Zeitschrift für Rechtsgeschichte. LXXIII. Germ. Abt.

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richtsbarkeit von der Blutgerichtsbarkeit der Zenten. Hauptgegen-stände der gräflichen Rechtsprechung waren zivilrechtlich die Pro-zesse um Freiheit, Eigen und Erbe gewesen, strafrechtlich dieschweren Fälle, bei denen sich eine reine Sühnehochgerichts-barkeit entwickelte, da die verhängten Strafen im Laufe der Zeitfast gänzlich durch hohe Geldbußen abgelöst wurden. Mit diesergräflichen Zuständigkeit ist die Blutgerichtsbarkeit in keinen gene-tischen Zusammenhang zu bringen. Sie steht in scharfem Gegen-satz zu ihr, da sie, anknüpfend an die Funktionen der gegen hand-hafte Täter zusammengerufenen Notgerichte, gegen die Ver-brechen mit Leibes- und Lebensstrafen reagierte - eine Form derGerichtsbarkeit, wie sie erst seit den Landfrieden denkbar istt58).In dieser großen Gruppierung der mittelalterlichen Gerichte sind

die Zenten in Hessen und anderwärts stets den Blutgerichten zu-zurechnen159) und nicht mit den Grafengerichten zu vermengen.Das ist eine Feststellung, die für die hessische Verfassungs-geschichte bisher noch nicht in dieser Allgemeinheit getroffenwurde. Da man die Zenten für alte Centenen hielt, setzte man beiihnen als selbstverständlich voraus, daß dort gräflicheJurisdiktiongeübt wurde160), und wo die Quellen das Gegenteil bezeugten,_-

118) Dazu vorbereitend H. Glitsch, Der alamannische Centenar undsein Gericht (1917) bes. S. 97ff.; dann grundlegend H. Hirsch, Die hoheGerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter (1922). Vg!. auch v. Schwerin-Thieme S.178, Mitteis, Rechtsgeschichte S.94. Bei Conrad S.495ff.,502 kommen diese bedeutsamen Wandlungen der Hochgerichtsbarkeit imMittelalter nur andeutungsweise zum Ausdruck.

lSt) Einzelbelege unten Anm.162ff.. 110) Von dieser Voraussetzung ausgehend, werden überall Zent undcomitia vermengt (auch Mitteis, Rechtsgeschichte 8.120). Zentgrafenwerden als Inhaber einer comitia angesehen (Geismar: Metz, Grafschafts-verf, S.180), comicia mit Zent übersetzt (Geismar: Anhalt S. 58; Send-berg; Helbig S. 8) oder wenigstens damit identifiziert (Kopp S.301;Eisenträger- Krug 8.18f.). comesund centuriowerdenfÜl gleichbedeutendgehalten (Metz, Grafschaftsverf. S.171f. und die unten Anm. 192 ange-führten Stellen), Grafen und Vizegrafen für Zentgrafen erklärt (Giso v.Gudensberg u. Adalbert v. Schaumburg: Eisenträger-Krug S. 24 Anm.32,39 Anm. 37; Schaumburger überhaupt: Landau, Hessengau 8.43,Eisenträger-Krug S.49; Felsberger: Krummel S.31), und was der-gleichen Verwechslungen mehr sind. Eine wirkliche Klärung der Problemeist bei solchem Vorgehen nicht möglich.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 339

sprach man seine Verwunderung darüber aus, daß ein Zentgraf!"sogar" die Blutgerichtsbarkeit erlangt habel61). In Wahrheit wardiese jedoch der eigentliche Inhalt der Zentgerichtsbarkeit, mit dersich freilich in Einzelfällen auch einmal andere Kompetenzen ver- ,binden konnten.

Bei den Zenten benachbarter Landschaften bestätigt sich diesesErgebnis. Die Zent von Sontra ist für alles zuständig, das da rurtean hals vnd an hant162), und. erweist sich auch dadurch als Blut-gericht, daß ein Streit um die "Peinlichkeit" im Dorf Blankenbachdurch die Feststellung abgeschlossen wird, das Dorf sei ohn allenMittel in der Cent Sontragelegen163). Die Zent Bilstein im Werra-land umschreibt ihre Zuständigkeit mit der Formel: ob da ein todt-schlagk (da Gott vor sey) geschehe vndt das heupt herein lellet, da hatvnser q.]. vndt herr vber dasselbige zu richten; wo es aber hinaus fiele,lesset vnser q.]. vndt herr den damit geweren, den es angehettl84). ImLahngau ist das Landgericht am Bilstein bei Amöneburg als Zentanzusprechen165); sein Zuständigkeitskatalog spricht besondersdeutlich: Mord, Raub, Brand, Virredereye, Meynet, Nachtbrand,Falsch vnd. Sicherheid, obe eyner den andern Sicherheyd anziehe, odireyner den andern gefangen hette widir Ere, oder waz eyner dem anderngetan hette widir Erel68). Sehr klar ist die TI:ennung zwische~ dem

le!) Kopp S. 306: Metz, Grafschaftsverf. S.194.lIS) J. Grimm, Weistümer (1840-78) Bd.1II S.325ff.In) Vergleich zwischen Landgraf Wilhelm IV. von Hessen und denen von

Baumbach aUS dem Jahre 1578 bei Kopp Beil. 53.1") Grenzbeschreibung des 15. Jh.s bei Bruchmann Beil.4. Die von

Bruchmann S. 52 angenommene Identität des Zentgerichts mit dem Ge-richt auf dem Katzenloh erscheint uns ausgeschlossen, da als Sitz des Zent-grafen Abterode bezeugt ist (Bruchmann Beil.16) und das Gericht aufdem Katzenloh sich nicht mit peinlichen Sachen, sondern mit grundherr-lichen Sachen des Klosters Germerode befaßte; vgI. A. Huys ken s , Regestenund Urkunden der Klöster der Landschaft an der Wena (Veröff. d. Hist.Komm. f. Hessen u. Waldeck IX 1,1916) Nr.1230, 1238•. 11&) H. B. Wenck Bd. 11UB Nr. 404 aus dem Jahre 1365: Schelfen und

Zinte daselbis. . ..lie) Wenn Diefenbach, Kreis Marburg S.41ff. das Landgericht 110m

BiIstein als Osthälfte der einstigen Grafschaft Rucheslo ansehen will, so istdiese Ansicht dahin einzuschränken, daß sachlich ein solcher Zusammenhangausgeschlossen ist. Ihrer Zuständigkeit und ihrem Wesen nach liegen beideGerichte auf ganz verschiedenen Ebenen. - Allgemein über die Zenten im

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340 KarI Kroeschell, .

Zentgericht mit der Blutgerichtsbarkeit von dem ursprünglichgräf_lichen Gericht über Eigen und Erbe in einer mainzischen Urkundevon 1254187):

Gottfried Herr von Eppstein bekennt öffentlich, quod capitulum Magun-Unum habet plenum ius instituendi et destituendi scultetum in villa sua Birge-stat, ad cuius officium speclat iudicaTB de bonis proprietariis et hereditaTiis,debitis aliisque causis civilibus quibuscunque. NOSquB in ipsa hobere debemuscintgravium, ad quem de causis sanguinis et eis, que vulgo dicuntuT vTevel, ineadem ville pertinet iudicaTe_etc.

Die Zent auf dem Landsberg bei Heppenheim ist zuständig fürMord, Brand, Räuberei, Dieberei, Notzucht und Ketzerei168), unddie Zenten der Obergrafschaft KatzeneInbogen richten über Halsund Haupt, Leib und Leben, nur gelegentlich auch über WasserundWeide169).Ebenso bildeten die schweren Malefizfälle den Haupt-inhalt der Rechtsprechung der pfälzischen ZentenI70). Bei den viel-besprochenen Zentgerichten Frankens schließlich steht es außerZweifel, daß sie von Anfang an als Blutgerichte auftreten171). Zuihrer Zuständigkeit gehörte vor allem, was an Hals und Hand oderan Leib und Leben ging172). Die Einzelaufzählungen nennen vorallem die vier hohen Rügen, das sind Mord, Diebstahl, Nachtbrandund Notzucht, wozu oft noch die effusio sanguinis (fließendeWunden), Raub und schwere Ehrverletzungen hinzukamen. Ander~Gegenstände zählten nur in Ausnahmefällen zur Kompetenz eine!

Lahngau als Blutgerichte: Schenk zu Schweinsberg, Grafschafts-.gerichtsstätten S. 223.

117) Kopp S. 298.188) Grimm, Weistümer Bd. I S.469ff.

. lGe) Grimm, Weistümer Bd. IS. 477ff., 483, 484, 488ff. 494ff. Vg!. roh.Co nr. Hallwachs, Commentat. de centenisillimitatis sive territorial. (1746)bes. S. 30f.; C. F. Hesse, De centena sublimi, speciatim in LandgraviatuRasso-Darmstad. eiusque vicinia (Göttingen 1746, Praes : G. L. Blihmer).

170) R. KoIInig, Die kurpfälzischen Zenten, ZtschI'. f. d. Gesch. d. Ober-rheins NF 41 (1936) S. 30ff.; Hallwachs S. 30.

171) G. Schmidt, Das würzburgische Herzogtum und die Grafen undRerren von Ostfranken vom 11. bis 17. Jh. (Quellen und Studien V 2, 1913)S.21/22; K. Weller, Die Zentgerichtsverfassung im Gebiet des heutigenwürtt. Franken, Vortrag von 1907, Mainfränk. Jb. 4 (1952) S. 23; GermanKi1linger, Die ländl. Verfassung d. Grafschaft Erbach u, d. Herrsch.'Breuberg im 18. Jh. (1912) S. 17; Hall wach s S. 30.

171) H. Knapp, Die Zenten des Hochstifts Würzburg Bd, II(1907)S~288ff.jWeller S. 24, Schmidt S.22.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 341

Zent; vor allem dorfgerichtliche Befugnisse wurden ihr öfters zu-geschlagen173). Daß eine Zent auch über Erb und Eigen richtet,ist eine ganz seltene Ausnahme, die wohl auf der völlig singulärenEntwicklung der einen oder anderen Zent beruht174). .

Nun gibt es freilich Fälle, in denen man andere Schlüsse auf dasWesen der hessischen Zenten glaubte ziehen zu sollen. Es sind dasvor allem die Urkunden, in denen das Gericht Bulenstrut genannt.wird, das unter der Bezeichnung centuria erscheint. Sein Vorsteherwird centurio oder centgravius genannt. Vor diesem Gericht, bei demwir eine rein strafrechtliche Kompetenz erwarten würden, vollzogman gerichtliche Grundstücksauflassungen unter Hinweis darauf,daß die veräußerten Grundstücke in der centuria Bulenstrud ge-legen seien. So jedenfalls wurde die folgende Urkunde aus demJahre 1253 aufgelaßt!"):Werner von Bischoffshausen und Konrad von EIben, vom Markgrafen von

Meißen mit der Verwaltung des Landes Hessen beauftragt, bekunden vorvielen genannten Zeugen, daß der landgräfliche Ministeriale Konrad vonArmsfeld sein gesamtes Erbgut in Armsfeld und Haddenberg(Hadewerken)auf dem Altar des Klosters Haina dargebracht habe. Dann habe er vor ihnenund vielen Zeugen dieses Erbe abermals dem Kloster übertragen und für sichund seine etwaigen künftigen Erben auf alle Rechte verzichtet. Quia igiturproprietas in villa H adewerken est in centuria Bulenstrud conslituta, sepedictu8C( unTadus) proxima sessione post octavam epyphania accedens ad locumtJulenstrud sepe dictam donationem ibidem ante tribunalia iudicum corampopulo terre tercio confirmavit.. Die Deutung dieser Stelle ist jedoch weit weniger leicht, als mansie sich bisher machte.Wenn man dabei von der Ansicht ausging,auch in Hessen habe ein Rechtssatz gegolten, der dem des Sachsen-spiegels, Landrecht I 52 § 1, entsprach: Ane erben gelob und aneechte ding en muz nieman sin eigen noch sine z.ute geben, so ist das

178) Knapp S.136, 590; Weller S. 24; Schmidt S. 22f.; Kollnig S. 32.17') Knapp S. 590; Schmidt S. 22. - In einer Urk. von 1461 Sept.l1

im 8taatsarch. Marburg, UA 8pießkappel, ist nach frdl. Mitteilung in einerzivilrechtl. Sache von einer Zent Wegebach (bei Ziegenhain) die Rede.Näheres darüber bleibt noch festzustellen.

171) Druck: Kopp Beil. 57. Regest: Grotefend-Rosenfeld Nr. 41. Da-zu Kopp 8.274, Brauer S.8, Anhalt 8.12f. - Vg!. ferner die über-lieferung der gleichen Schenkung im Hainaer Güterkodex bei Falcken-heiner, Gütererwerbungen des Klosters Hains während der 1. Hälfte des13. Jh.s, ZHG 3 (1843) 8. 83t.

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unbegründet. Hatte dieser Satz nicht einmal in Sachsen allgemeineGeltungv"), so wäre seine Anwendbarkeit auf Hessen um so mehrerst noch nachzuweisen!"], Es geht also in Hessen nicht an, ausOrt und Zeugen einer Auflassung zwingende Schlüsse auf die fürEigen und Erbe zuständigen Gerichte zu ziehen. Vor allem aberist das dann nicht möglich, wenn die Gerichte, vor denen die Auf-lassung vollzogen oder bestätigt wird, so durchaus verschiedenerNatur sind wie hier das hessische Landgericht und die Zent Bulen-strud. Wenn etwa in einer bekannten sächsischen Schenkung andas Kloster Corvey im Jahre 1113178) nach der Darbringurig derGüter auf dem Altar der Kirche der Verzicht der Erben zuerst inconcilio Gerhardi comitis ••• secundum legem et iusticiam Angario-Tum, .dann in concilio Reinholdi comitis ••• secundum ritum Oster-sahson heresceph in pago Sulbirgowe erklärt wurde, so ist das in derLage der geschenkten Güter in beiden Grafschaften begründet.Die Folgerung auf die Zuständigkeit dieser Grafengerichte fürEigentumsübertragungen würde hier also möglich sein. Wollte mandas Erfordernis der gerichtlichen Auflassung auch für Hessen an-erkennen, so wäre ihm jedoch schon durch die erste Auflassung imLandgericht, in dem beide Grundstücke lagen, Genüge getan. DieNotwendigkeit einer wiederholten Auflassung vor einem anders-artigen Gericht läßt sich daraus nicht herleiten. .

Wie aber schon in jenem sächsischen Falle vor den Grafen keineAuflassung, sondern nur der Erbenlaub erklärt wurde, zweifeln wir.auch bei unserer Urkunde, ob es sich um eine Auflassung handelte.Der Schenker Konrad von Armsfeld war bisher erbelos, deshalbtrat an die Stelle des Erbenlaubs sein eigener Verzicht im Namenetwaiger künftiger Erben. In beiden Fällen wird es im wesentlichenum die Erlangung eines Gerichtszeugnisses für diese Verzichts-

178) Er setzte sich nur im Bereich des Sachsenspiegels und in den Städtendes magdeburgischen Rechtskreises durch; Stobbe, Die Auflassung imdeutschen Recht, Jherings Jahrbücher f. d. Dogmatik d. heut. röm. u.dtseh, Privatrechts 12 (1873) S.166ff.; Hübner, Deutsches Privatrecht'(1930) S.263. Abweichend allerdings O. Gierke, Deutsches PrivatrechtBd.1I (1905) S. 275; H. Planitz, Deutsches Privatrecht" (1949) S.108.

177) In Franken war er jedenfalls nicht in Übung; R0sen st 0ek, Herzogs-gewalt und Friedenschutz (1910) S. 15H.

118) Besprochen bei Sc h r öde r, Die Gerichtsverfassung des Sachsen-spiegels, ZRG Germ. Abt. 5 (1884) S.321.

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erklärung gegangen sein. Daß sich damit dann eine Bestätigungder bereits vollzogenen Schenkung verbinden kann, ist in anderenQuellen bezeugtl79). Konstitutive Bedeutung ist solchen Bestäti-gungen allerdings wohl nicht beizumessen. Vielmehr wurde der.Eigentumsübergang durch die symbolische Darbringung des ge-schenkten Gutes auf dem Altar bewirkt, die als sala, als dinglicherVeräußerungsvertrag zwischen dem Schenker und dem beschenktenHeiligen anzusehen ist180). Doch viel weniger als der Akt vor demLandgericht kann also die erneute Bestätigung der Schenkung imGericht Bulenstrud rechtsbegründende Wirkung haben. Sie be-rechtigt nicht dazu, diesem Gericht eine Kompetenz über Eigenund Erbe zuzusprechen.Vielmehr darf man annehmen, daß eine allmählich eingetretene

Radizierung der Dingpflicht der Grund ist, weshalb die Über-tragung der proprietas in villa Hadewerken in centuria Bulenstrudconstituta auch vor dem dortigen Richter noch einmal bekundetwurde. So war in der Zent Bilstein im Werraland jeder ding-pflichtig, der dort funfl schillinge gutts hatte181), und in der ZentSontra alle die dar lehin haben von my m heten zeu Suntra adir inder feltmargke, als die czente beruget ist, adir dar jnne sitzen, sie habinlehin adir nichtl82). Auch bei den fränkischen Zenten war die Zent-pflicht unter anderem mit dem Grundbesitz innerhalb der Zent ver-knüpft; selbst ein außerhalb Ansässiger war dingpflichtig, wenn erin der Zent eine Hofstatt hatte183). Für die Kundgabe des Eigen-tumswechseis als Wechsels der Zentgenossen waren in Franken be-stimmte Formen vorgesehen. Ebenso ist im Zentweistum vonKl. Linden bei Gießen vorgeschrieben, daß die Zentgüter in denrechten händen der centner sein sollen und daß darum ihre Über-eignung durch ein Friedewirken des Schultheißen sanktioniert undpubliziert werden so1l18e). In Zwingenberg wird wohl aus ~em

\ 17') Beispiele bei Stobbe S.154f.110) Die ältere Lehre (so noch Stobbe) hatte diesen Akt als Auflassung

bezeichnet bis Gierke S.267 den heutigen Sprachgebrauch begründete;vgl. Hübner S.257ff., Planitz S.107, Mitteis, Deutsches Privatrecht(1950) S. 76. _ .

111) Bruchmann Beil. 8.lBl) Grimm, Weistümer Bd. III S. 325.lB') Knapp S.·328/29.iu) Grimm, Weistümer Bd. V S. 271f.

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gleichen Motiv die gerichtliche Wehrung bei Grunderwerb in derZent für erforderlich erklärtl85). Sowäre es verständlich, wenn auchhier in Hessen der ausscheidende Zentgenosse die Aufgabe seinesEigentums bei Gelegenheit des nächsten ungebotenen Dings nocheinmal bekundete, und zwar nur für das Besitztum, aus dessen Zenter ganz ausscheidet, weil er dort nicht seinen Wohnsitz hat. !,

Selbst wenn man aber daran festhalten will, daß die Zent Bulen-strud für die Eigentumsübertragung als solche zuständig war, läßtsich dafür eine andere Erklärung finden als die, eine solche Kom-petenz entspreche dem Wesen der Zentgerichte. Es scheint nämlich,als seien in der Zent Bulenstrud zweierlei Gerichte miteinanderverschmolzen: die Zent selbst mit einem anderen Gericht, das um1240 als concilium ciuile in Bulenstrud unter dem Vorsitz vonBethzmannus iudex begegnet-"). Noch neben der centuria Bule»-strud bestand in der Mitte des 13. Jh.s ein bürgerliches Gericht inSehlen, dem späteren Sitz der Zent187), während der centurio derBulenstrud ursprünglich inAltengrüssen saßl88). Es wäre denkbar,daß sich das zuletzt entstandene der beiden Gerichte in seiner Aus-dehnung an das ältere anschloß, was dann zu einer späteren Zu-sammenlegung führte.

Daß diese Erwägung nicht etwa in der Luft hängt, zeigt eineandere besonders bekannte hessische Urkunde aus dem Jahre1235189):Landgraf Konrad von Thüringen bekundet, daß der Propst des Klosters

Spießkappei, im .Genuß der ihm für die Dörfer Leimsfeld und + 8nelbiserteilten Freiheitsprivilegien durch gewaltsame Eingriffe beeinträchtigt, ihnum Hilfe und Rat gebeten habe, und ordnet an, quod iidem coloni prehabiti in

185) Grimm, Weistümer Bd. IS. 477f£.188) Hainaer Güterkodex des13. Jh.8 S. 9 (Ausgabe bei Falckenheiner

8.60; Auszug bei Kopp als Beil. 66). Diese Notiz stammt von der drittenHand des Codex. Erst die fünfte Hand, auf 8.15 des Codex (Falcken-heiner S. 71£.), kennt zuerst die abTenunciatio coheTedum, dann die donalioet abrenunciatio coheTedum coram iudice ordinario in Bulenstrul.; 187) Anhalt 8.12.188) Er wird in den Urkunden des UA Haina im 8taatsarchiv Marburg

1260-1253 nur als cen!gravius oder centuTio bezeichnet (frdl. Auskunft von8taatsarchivdir. Dr. Papritz). Die Bezeichnung comes enthält nur einspäterer Dorsualvermerk. VgI. Brauer 8. B.

18') Drucke: Kuchen becker, Analecta Hassiaca, Coll. IX (1785) 8.154;Kopp 8.240 (unvollständig).

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Lymess{elt l~ia p~e~is~ila, que dicu~fu~ ungeb?f~n:. queranl in Semedinbergecoram nostru orrtctahbus ef scultetts, ,n homtctdus et {urfis, que capitalemmerueTunt sententiam, civili justicie subjacebunt. Si vero id quod dicituTLanndvolge neglexerint, ad quod sepe dicti coloni non nisi generali necessitateprovincie tenebuntur, sed ad nulla alia edificia seu seTvicia castrorum arta-buntur, in proximo plebiscito satisfacian! sex denariis et dimidio juxta datumsibi ius indaginis et non ultra, ut ex eo nos!ri of{iciales hanc emendam acci-pientes, ipsis si Tequisiti (uerint valeant patrocinari. In alUs autem Tixis aut,xcessibus modicis sive magnis, etiam effusionem sanguinis pro{eTentihus,nequaquam se eorriqere intromittant, sed predict us pTepositus in ipsa villa proBua volun!ate cori'igat et ecclesie sue ulilitate. Für seine genannten Besitzungenwerden dem Kloster die von den früheren Landgrafen gewährten Freiheitenbestätigt. lnsuper cum in Semedinberge ab o{ficialibus nostTis sit eenturiostatuendus propter eeclesiam et bona ipsius inibi sUa, assensum election iseorum quem ex antiquo habueTanf, approbamus.

Hier sind wieder alle wesentlichen Merkmale des Zentgerichtsbeieinander. Die Bauern von Leimsfeld und + Snelbis sind, wieeine Urkunde von 1233Iehrtl9.O), als Waldrechter191) von der Graf-schaft eximiert. Bezüglich der Blutgerichtsbarkeit aber sind sieder landgräflichen Jurisdiktion unterworfen und werden mit diesenFällen dem Gericht Sendberg zugewiesen. Die niedere Straf-gerichtsbarkeit, bis hinauf sogar zur ettusio. sanguinis, verbleibtdem Kloster Spießkappel. Bei dem landgräflichen Gericht wird nunfür die Sachen der Klosterbauern ein centurio eingesetzt, dessenAuswahl durch die landgräflichen Schultheißen unter Zustimmungvon Propst und Konvent geschieht. Ihm aber werden - und darinliegt die Ausweitung der Zentkompetenz - nicht nur die Blut-gerichtsfälle übertragen, um deren Regelung es ja bisher nur zugehen schien, sondern er ist allgemein für alle Sachen zuständig, diedas Kloster und seine Güter angehen, übt also die ganze Vogtei-gerichtsbarkeit aus. Das ist eine Verbindung, die bei der räumlichenÜbereinstimmung von Zent und Vogtei ja nahetlegen mußte. DieÜbertragung zusätzlicher Befugnisse auf einen Zentgrafen, die inder Bulenstrud nur erschlossen werden konnte, ist hier jedenfallsklar' ersichtlich.

UO) H. B. Wenck Bd. III UB Nr.113: eadem bona et eorum cu!tore sabomni jure nostre pertinente comeeie sint exempti •• " tantum generali necessi-late provincie que dieituT lantvolga tenebuntuT.

111) Die gegenwärtige Urkunde spricht vom Hagenrecht (iu8 indaginis).Zur Identität beider Rechte: Kroeschell, Waldrecht und Landsiedelrechtim Kasseler Raum, Hess. Jb. f. Landesgesch. 4 (1954) 8.131f.

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Ähnlich mag es sich auch erklären, daß in manchen kleinerenGerichten die Bezeichnungen comes und centurio, comitia und centaanscheinend wechselweise gebraucht wurden, wenn man nichtbesser annimmt, es hätten hier sowohl eine Zent als auch ein Greben-gericht bestanden 192). Das ist wahrscheinlicher als die Auffassung,diese durchaus verschiedenen Begriffe bezögen sich auf das gleicheAmtl93). Aus den angeführten Quellen läßt sich also kein durch-schlagendes Argument gegen unsere Feststellung ableiten, daß dieeigentliche Aufgabe der hessischen Zentgerichte die Blutgerichts-barkeit gewesen sei.Damit ist der entscheidende Wesenszug der Zenten bereits fest-

gehalten. Es sei nun ein kurzerÜberblick über die sonstigen Einzel-heiten ihrer Verfassung gegeben, für die die bisher behandeltenUrkunden schon die meisten Belege enthielten. Das Fehlende wirdsich dabei unschwer ergänzen lassen.

Vorsitzender des Zentgerichts war der Zentgraf (centgravius,centurio, centurio ordinarius)19&). Er war gelegentlich ein Adliger,der dieses Amt als Lehen195) oder pfandweise196) innehatte und in

111) Berge (Helbig S. 10; freilichist der hier genannte centurio oder comesin Monte nur als Homberger Schöffe bezeugt), Besse (Eisen träger-Krug.S. 79), Ditmold (comes: Schultze Nr.1430, Zent oben Anm.144), Geis-mar (Anhalt S.135), Ebsdorf und Kaldern (Diefenbach, Kreis Mar-burg, Beamtenlisten).

lU) Oben Anm. 160.m) Vgl. dazu das königl. Privileg für Würzburg von 1168 (Zeumer,

Quellensammlung z. Gesch. d. dtsch. Reichsverf.t [1913] Nr. 15) und dasStatutum infavorem principum von 1231/31 (ebd. Nr.47/53).

115) Die v. Wolfershausen 1247in Ditmold u. and.Zenten (oben Anm.144).Auch bei den v. Keseberg (Zent Geismar, oben Anm.l54) scheint es so zusein. In der Urkunde von 1238 über den Verkauf der halben GrafschaftBattenberg-Stiffe (Gudenus Bd. I Nr.222) wird ihre Zent und die vonBromskirchen mit der Bemerkung: sunl centgravii residentes, et ius eomitisliberum esl omnino, denen von Battenfeld, Röddenau, Bentreff und Laisagegenübergestellt, von denen es heißt: isle cenle quatuor sunl omnino libere.Zieht man die Terminologie des Statutum in favorem principum heran, dasin § 6 von des Landesherrn cent is sibi liberis vel in(eodalis spricht, so wirdman auch hier eine Verlehnung als Gegensatz zu den "freien" Zenten an-nehmen wollen. Freilich hielt man bisher die centgravii residentes für erblicheZentgrafen nicht kraft Belehnung, sondern aus eigenem Recht (La n da u,Territorien S. 357).

118) Die v. Wolfershausen bei Kassel (oben Anm.144).

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dessen Familie es dann auch erblich werden konnte197). Meist aberscheint es sich um vom Zentherrn eingesetzte niedere Beamte ge-handelt zu haben, wie es für den eeniurio auf dem Sendberg aus-drücklich bezeugt isP98). EineWahl des Zentgrafen durch die Zent-genossen oder ihre Mitwirkung bei seiner Einsetzung ist nicht be-legt, wohl aber die Mitwirkung des größten Grundherrn innerhalbder Zent199). Ebenso gibt es auch in Hessen ein Beispiel für densogenannten schweigenden oder horchenden Zentgrafen, wenn erauch hier nicht als solcher bezeichnet wird - für einen Beisitzer deseigentlichen Zentgrafen also, der lediglich die Rechte seines Herrnin der Zent zu wahren hatte200).

Urteiler waren in den hessischen Zenten sicherlich ebenso wie inFranken die Zentschöffen'?'). Die Spär1ichkeit der hessischen Be-lege gestattet allerdings keine genaueren Feststellungen. Aus-drücklich bezeugt fanden wir die Zentschöffen nur für die Zent amBilstein bei Amöneburgs"), in Breidenbach am Vogelsberg, woihrer elf sind203), und in Frauenbreitungen, wo ihre Zahl 14 be-trägt20'). Im eigentlichen Hessen sind sie nur aus der sehr späten

lU) über das erbliche Zentgrafenamt der v. Keseberg Kopp S.303ff.Allerdings hat ihre Zent Geismar nichts mit dem ihnen 1220 (Kopp Beil. 69)verliehenen pars comicie scilicet dominium super quosdam liberos zu tun, wieKopp meint.

188) ••• ab o({icialibus nostTis sit centurio statuendus, oben Anm. 189. InLauterbach haben die v. Eisenbach das Recht, eynen zcentgra{(en zu seiizenund zu entsettzen (Grimm, Weistümer Bd. IllS. 358). Für Franken vgl.Knapp S.l77ff., Weller S. 25, für die Pfalz Kollnig S. 47ff.

199) Der von den landgräflichen Beamten ernannte centurio (vor. Anm.)bedurfte offenbar der Bestätigung durch Propst und Konvent von Spieß-kappeI, denn so verstehen wir den vom Landgrafen bestätigten assensumelectionis eOTum, quem ex antiquo habuerant. Eine Zustimmung der Zent-eingesessenen kann damit kaum gemeint sein.

100) Eins aptis knecht von Breitenau kann, wenn die Zent über Hals undHand verhandelt, by sitzin; waz dan den apt odir sinen stifft ane getredinmöchte da mag her an gerichte wol vmme (ragin vnd sich darzcu zcihin. Vgl. fürFranken die ganz ähnlichen Fälle bei Knapp S.184ff.

101) Franken: Knapp S. 234ff.; Pfalz: Kollnig S. 53ff.; Odenwald undObergrafschaft Katzeneinbogen: Grimm, Weistümer Bd. I S. 446ff., 452,469ff., 477, 483, 488, 494.

101) Oben Anm. 165.101) Grimm, Weistümer Bd. IllS. 352ff.10.) Kopp S. 299.

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Hegungsformel des Guxhagener Rügegerichts zu erkennen205). Wiedieses sind jedoch wohl auch die übrigen niederhessischen Rüge-gerichte zum guten Teil aus alten Zenten erwachsen, bei denen wirdie außer in Guxhagen auch im Rügegericht von Lichtenau206) be-zeugten zwölf Schöffen daher ebenfalls annehmen dürfen207).Der Umstand der Zentgenossen wird in den wenigen bisher be-

kannten hessischen Quellen immerhin einige Male erwähnt. In dercenturia Bulenstrud ist anwesend der populus terre208), in der ZentGeismar tota parrochia Geismariensis209), und im Homberg begegnendye menner vnd gantze zcente des gerichtes zu Homberg in der Virnek-gau210). Es wird hier zugleich die genaue Umgrenzung des Zent-bezirks kenntlich, der sich wie in Geismar auch in Kaldern miteinem kirchlichen Bezirk gedeckt zu haben ßcheint211). Grenz-beschreibungen liegen von den Zenten Bilstein im Werraland,Sontra,Wanfried und Eschwege vor212) j wie die von Bilstein istauch die Zent von Sontra mit Zentsteinen abgesteint213). So ein-deutig muß die Zentgrenze bestimmt gewesen sein, daß die Bil-steiner Zent sich bei Totschlag nur dann für zuständig erklärte,wenn des Erschlagenen Kopf innerhalb ihrer Grenze lag214). Daßdie Lage von Grundbesitz innerhalb der Zentgrenzen für die Zent-

105) Kopp Beil. 76 und 8.311.206) Kopp 8.312.207) Die Entstehung derniederhessischen 8chöffen-, Greben-·ode; Gerichts.

stühle wäre unter diesem Gesichtswinkel noch einmal zu untersuchen. EinRest eines alten Rügegerichts ist z. B. die Anwesenheit und Bericht-erstattung der sechs 8chöppengreben beim Kasseler Landgericht bis ins18. Jh. (Kopp 8.318).

208) Oben Anm.175.,ot) Oben Anm. 154.110) Helbig S. 8.111) Peter Hofmeister, czintenere in dem kirspeZ zu K. (Diefenbach, Kreis

Marburg, Beamtenlisten).111) Bruchmann 8.131,132,149. Sontra: Grimm, Weistümer Bd. III

8. 325.118) Bruchmann 8.145f., 152. - Von der Zent Kirchberg im württ.

Franken wird noch 1661 eine Grenzbegehung aller Zentverwandten berichtet(Weller S. 15).

11&) Bruchmann 8.139. Ähnlich Virnheim bei Weinheim (Bergstr.)Grimm, Weistümer Bd. I S. 463. über die Bedeutung der Zentgrenzen inFranken Knapp 8. 279ff.

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pflicht maßgebend sein konnte, wurde schon ausgeführt215). Auchbei den Zenten um Kassel ist von centarum terminos und den inner-halb wohnenden Leuten die Rede216). Man hat sogar den Eindruckgeäußert, als sei die Bedeutung des Wortes centa ursprünglich einBezirk gewesen217). Die Beziehung der Zenten nicht auf eine be-.stimmte Personengruppe, sondern auf einen klar umgrenzten Be-zirk und dessen Einwohner unterscheidet sie deutlich von den Graf-schaften218). Während die Grafschaft in erster Linie auf die freienLeute bezogen ist und eine räumliche Festlegung nur negativ inder Exemption bestimmter Orte begegnet, ist es bei der Zent um-.gekehrt. Sie ist auf ein Gebiet bezogen, und gewisse Personen-gruppen sind von ihr eximiertv"). Freiungen einzelner Orte von derZent sind außerordentlich selten220) ; selbst Städte wurden erst rela-tiv spät aus den Zenten herausgenommenw-). Jedenfalls aber istdie Immunität in der Regelohne Einfluß auf die Zugehörigkeit zurZent, da sie sich nur als Exemption von der Grafschaft auswirkt.Die Fälle der Klöster Haina, Spießkappel und Breitenau beweisendas zur Genüge222).

Einen Zusammenhang der Zenten mit den freien Leuten in Hes-.sen, wie er neuerdings vorgeschlagen wurde223), hat es nicht ge-

115) Oben S. 343.U8) Oben Anm. 144.117) Kollnig S.18. Vgl. dazu Du Cange, Glossar. med. et infim.latinit.

s, v. Centa Nr. 2.U8) Es gibt keine Grenzbeschreibungen von Grafschaften; vielmehr sind

-diese immer nur punktförmig festzulegen.ut) Statutum in favorem principum § 9: Item ad cenlas nullus synodalis

-.tJocelur.no) Schmidt S. 25, Knapp S.321ff.111) Schmidt S. 25, Kollnig S. 30.UI) Oben Anm.189, 154, 150. Für Franken ebenso Sehmidt S. 23ff. Die

.Bedenken von Helbig S.l1, in Berge den Mittelpunkt einer Zent zu sehen,da eine solche in hersfeldischem Immunitätsgebiet undenkbar sei, sind damit;gegenstandslos. Das gleiche gilt für Diefenbach, Kreis Marburg, S. 23f. VgI.Kopp S. 322f. .

118) Met z, Grafsehaftsverf. S. 178, hatte zutreffend festgestellt, daß sich.eine Verbindung der Freien zur Zent nicht feststellen lasse (mißverständlichebd. S. 205); in seinen neuen Aufsätzen: Zur Geschichte der Bargilden S. 186,und: Gau undpagus im Karoling. Hessen S.17, spricht er jedoch von derZugehörigkeit der_Freien zu den Zenten mit Ringpflicht und Landfolge.

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geben. Diese Folgerung beruhte im wesentlichen auf der Identifi-zierung der Abgabe, die die Vögte von Keseberg als Zentgrafen be-zogen224) mit dem Grebenhafer, den verschiedentlich in Hessen dieFreien dem Grafen zu leisten haben225). Diese Gleichsetzung ent-springt der üblichen Verwechslung von Zent und Grafschaft, denndie Vögte von Keseberg waren nicht Inhaber einer comicia, sonderneiner centa228), die, wie wir sahen, von den gräflichen Rechten nach-drücklich unterschieden wurae. Daß die Grafen von Reichenbachdiese Abgabe ursprünglich erhalten hätten, ist unzutreffend227).Auch die kesebergische Zent Geismar war also kein Freigericht,sondern ein Blutgericht für die tota parrochia Geismariensis. Für diehessischen Grafschaften allerdings ist der Zusammenhang mit denbäuerlichen Freien als erwiesen anzusehen="), wie denn ganz ähn-lich auch den Grafen im würzburgischen Herzogtum im Jahre 1168als letztes Recht bestätigt wurde, quod de liberis hominibus quevulgo bargildi vocantur, in comitiis habitantibus, statutam iustitiamrecipere debent229), während sich die Zenten nicht in ihrer Handbefanden.

IU) Oben Anm.l54; dazu Metz, Grafschaftsverf. S.179f.·1111) Metz, Grafschaftsverf. S.176, 179f., 185f., 188.Ill) In der Urkunde von 1245 (J. A. Kopp Beil.21) heißt sie centuria.117) Empfänger ist in beiden oben Anm. 154 genannten Urkunden der

Blutrichter, der ,udez oder cen!urio ordinarius. über eine frühere Berech-tigung der Grafen von Reichenbach ist nichts zu ersehen; von ihnen wird nurgesagt, sie hätten gegenüber der Grafschaft Immunität genossen.m) Dazu Kroeschell, Waldrecht und Landsiedelrecht S.137; Metz,

Grafschaftsverf. S. 176ff. Durch die vorangehende Zustimmung des Grafenwird diese Bindung der Freien an die Grafschaft auch in dem einzigen Fallgesichert, aus dem man auf einen Zusammenhang mit der Zent schließenkönnte: eine Güterübertragung in dem schon mehrfach genannten HainaerCodex bei Falckenheiner S. 76. Bei diesem Tausch von Waldrechtsgüternheißt (wohl mit gutem Grund) das Gericht Bulenstrud nicht "Zent", sonderniudicium [orense, Das spräche abermals für die Ansicht, daß hier mehrere'Gerichte miteinander verschmolzen •. Ill) Zeumer, QueIIensammlung Nr.15. Dazu Rosenstock, Herzogs-gewalt und Friedensschutz S. 153; E. Moli tor, Die Pfleghaften desSachsenspiegels und das Siedlungsrecht im sächsischen Stammesgebiet

. (Forschungen zum deutschen Recht IV 2, 1941) S. 49ff. Die Parallele zu denbattenbergischen Verhältnissen liegt allerdings, anders als es Metz, Graf-schaftsverf. S. 178, sehen möchte, darin, daß auch hier Zent und Grafschaftklar geschieden werden. .

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 351

Vom Verfahren der hessischen Zenten ist bisher nur zu erkennendaß sie drei ungebotene Dinge kannten230) und daß bei ihnen einRügeverfahren gebräuchlich war231). Ob eine Rügepflicht derSchöffen oder aller Zentgenossen bestanden hat, läßt sich freilichnicht mehr genau ausmachen; vermutlich gab es beides. Auf dieeine Möglichkeit deuten die Rügeschöffen von Guxhagen undLichtenau und, wenigstens als Rudiment, die Schöppengrebenbeim Kasseler Landgericht, auf die andere die Reste einer all-gemeinen Rügepflicht in den meisten niederhessischen Schöffen-oder Grebenstühlen232). Daß auch der Brauch des Glockenläutensbei Zusammentritt des Gerichtes für Hessen bezeugt ist, sei hiernoch angemerkt233).Von besonderer Bedeutung ist jedoch die in den SpießkappeIer

Urkunden von 1233 und 1235 begegnende Verbindung der Zent mitder Landfolge234). Es wurde dort ausgesprochen, daß die Exemp-tion aus der Grafschaft ebensowenig eine Befreiung von der Zentwie eine Entbindung von der Landfolgepflicht zur Folge hat. Istdiese Parallelität von Zent und Landfolge auf einen inneren Zu-sammenhang gegründet, oder ist sie nur äußerlich und mehr zu-fällig? . .

no) Bilstein: hohe gerichtt ••• der dreyjerlichgehaltenn werdenn (Bruch-mann 8.133); Bulenstrud: Der Erzbischof hat in Wohra, Langendorf u,Albshausen drei ungebotene Dinge an der Bulenstrud (Brauer Beil.1);Rohrbach: dry ungebodin ding und gerichte (Kopp Beil. 74); Sendberg:tria plebiscita que dicuntur ungeboten (oben Anm. 189); Landsberg: dreiungebotene Dinge (Grimm, Weistümer Bd. I S. 469).

111) Bilstein: wass "auch daselbst gerugett vndt erkanU (Bruchmann8.133); Breidenbache geruget worden an diessem gerichte (Grimm, Weis-tümer Bd, III S. 352); Rohrbach : men sal an den gerichtim fugen wazbruchig were in den getziden (Kopp Beil. 74); Sontra: myns herrn czenteberuget ist (Grimm, Weistümer Bd. III 8.325). Das Rügegericht in Gux-hagen hat sich offenbar aus der dortigen Zent entwickelt (Kopp 8.311).Ill) Kopp S. 309fl., 315H. über das Rügeverfahren in Franken Knapp

S.398fl., Weller 8.24; in der Pfalz Kollnig S. 38ff. Die Rügen in denZenten von Landsberg, Oberramstadt und Umstadt bei Grimm, WeistümerBd. I 8. 469, 484, Bd. V 8. 237.

US) 1250 in Homberg/Efze (Helbig 8.41 Anm.2). VgI. für FrankenKnapp 8. 371ff., aus dem Darmstädtischen das Jugenheimer Weistum beiGrimm, Rechtsaltertümer+ (1899) Bd. 11 S. 470. .. ,IU) Oben Anm.189, 190. Zu Zent und Landfolge vgl. Hesse, De eentena

sublimi 8. 70ff. .

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Man möchte das letztere meinen, wenn man sich die Unter-scheidung von Hans Fehr235) vergegenwärtigt, der unter Land-folge nur das Aufgebot zur defensio patriae versteht, während inwesensmäßigem Zusammenhang mit einem Gericht, gar mit einemBlutgericht, nur die Gerichtsfolge stehen könne, die Pflicht zurVerfolgung von Verbrechern. Fehr hält die beiden Institute fürdurchaus verschieden. Die Landfolge sei wie die Heerfolge nur einePflieht der Freien, des engeren Untertanenverbandes des frän-kischen Staates, gewesen, während zur Gerichtsfolge auch Knechteverpflichtet waren, so daß man aus ihr einen weiteren Untertanen-verband zu folgern habe, der weder Heeres- noch Gerichtsverband,sondern nur Friedensverband gewesen sei. Ein Zusammenhangzwischen den Zentgerichten und der Landfolge müßte danach aus-geschlossen sein.

Nun ist aber dieser Zusammenhang in den Quellen deutlich zuerkennen, wobei es zugleich klar wird, daß die Fehrsehe Unter-scheidung von Land- und Gerichtsfolge sich nicht durchführen läßt.Fehr selbst hat sie denn auch für das spätere Mittelalter nicht auf-rechterhalten23Sa). Es wird meist nur von Landfolge oder Folge ge-.sprochen und darunter allem Anschein nach sowohl die Pflicht zurNacheile, zur Verfolgung von Verbrechern, wie die defensio patriaeverstanden j nicht einmal die Grenze zur Heerfolge ist klar zu ziehen.Dazu einige Belege. In Sontra236) heißt es: qweme ein lantknecht vndgebodde vns eyne lantjolgunge von vnseres hem wegen, so soilten wirjmefolgen noch vnsir virmoge, was ezu der wer tochte. Der Hinweis aufdie Wehrtauglichkeit zeigt, daß es sich wohl nicht um bloße Ver-brechensverfolgung, sondern um ein Verteidigungsaufgebot han-delte, ohne daß jedoch zwischen Freien und Unfreien unterschiedenwürde. In einen größeren Zusammenhang ist die Folgepflicht derZentleute in Lauterbacb!") eingegliedert: Gesche eyn name in demlande, da got für sy, das vnser here wuldin nachtzegin, da suIde oliemanm) F ehr, Landfolge und Gerichtsfolge im fränkischen Recht, Festgabe

lür Rudolf Sohm (1914) S.389ff. Zur Landfolge vgl, weiter Haltaus,Glossarium germanicum medii aevi (1758) Sp.1161, 2016 sowie Grimm,Rechtsaltertümer Bd. I S. 411f.ma) Das Waffenrecht der freien Bauern im Mittelalter I, in: ZRG

Germ, 35 (1914) S.122ff., 151ff.138) Grimm, Weistümer Bd. III S. 325.m) Grimm, Weistümer Bd. III S. 358. •

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 353

mit zcegen, die burgkludte suldin vorhynn zcegen, darnach der vohilmit der stadt, und darnach der zentgratl mit der zcenie. Auch hier einFall der Landfolge, zu der jeder ohne Standesunterschied ver-pflichtet ist. Im Jugenheimer Weistum238) heißt es: Wan mein herrder lantgrave ein knecht in dise zent schickt und ein glocken hie eeGugenheim leutet, so soll sich das zentvolk von stund an versammelnund mit demselben knecht oder zentgraven fortziehen als weit diese zentgehet; wil man sie weiter zu ziehen han, so sol man ine vor kostensprechen und doch zu sonnenschein wider heim lassen. Das Glocken-läuten, das auch bei Zusammentritt des Zentgerichts erfolgt, deutethier einen Fall der Gerichtsfolge an; dennoch ist zur Sontraer Land-folge kein Unterschied zu erkennen. In der Zent auf dem Landsbergbei Heppenheim239

) werden zwei Fälle unterschieden: Wan ein ge-schrei in der cent uf dem Landberg gehörig worden were, daß sie dannmit einem burggrafen zu Starkenburg oder den seinigen nachgezogthetten, doch also, daß das centhvolk nit weiter oder ferner gezogen were,den das sie desselben tags, wo sie ausgezogen weren, in ihre häuserund heimath wieder kommen möchten ohngefehrlich, und mit dergleichen räumlichen Begrenzung: Wan einer were, der were voneinem centhmann oder mehr, der oder die uf den Landberg gehörig, an-gegritlen, ~hnen das ihre genommen, sie gefangen und hinweg geführtheue, so hette der burggraf von Starkenberg sein knecht, oder meinesherr» von Mayntz ambtleuth"so sie daß gewahr würden, oder ihnen zuwissen gethan würde, mit dem centhvolck zu stundt und zu frischer thatnach geeilt, das zu wehren und das zurückschütten. Ein Versuch, diesebeiden Fälle als Landfolge und Gerichtsfolge zu unterscheiden,scheitert daran, daß in beiden die Folgepflicht gleich allgemein ist,und auch die räumliche Begrenzung auf das Gebiet der Zent beibeiden erscheint. Auch diese Eingrenzung kann nicht etwa alsspezifisches Merkmal der Gerichtsfolge angesehen werden, dennauch wo sie fehlt, handelt es sich offensichtlich um das gleiche Insti-tut, wie sich denn auch in Franken, wo die unbegrenzte Folgepflichtdurchaus vorherrschte, daneben die begrenzte findet240). Es ist einbedeutsamer Hinweis auf die Entstehungszusammenhänge der

U8) Grimm, Rechtsaltertümer Bd. I S. 412, Bd.1I S. 470.Ut) Grimm, Weistümer Bd. IS. 473f., §§ 11, 16.UO) Knapp, S.331ff. Belege für unbegrenzte Folgepflicht ebd, S.333

Anm. 2. Für die Pfalz Kollnig S. 59ff.

23 Zeitschrift für Rechtseeschichte. LXXIII. Germ. Abt.

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Zenten, daß die Beschränkung der Folgepflicht der Landfriedens-gesetzgebung zu entstammen scheint241). Daß sie von Anfang andas Merkmal gewesen sei, das die Gerichtsfolge von der stets un-begrenztenLandlolge schied242), wird man wohl nicht annehmenkönnen. Gerade für die Verbrechensverfolgung ist wie für die Spur-folge schon früh bezeugt, daß sie nicht nur über den jeweiligenBezirk der Folgepflichtigen hinausreichte, sondern sich sogar überdie fränkischen Teilreiche hinweg erstreckte243). So wird man Fehrauch dann nicht folgen können, wenn er den Zusammenfall vonLandfolge und Gerichtsfolge zwar für das spätere Mittelalter ein-räumt, aber an ihrer Verschiedenheit für die fränkische Zeit fest-halten will2431l). Die Landfolge 'als generalis necessitas provincie2U),bei der man vor allem an Landesverteidigung denken möchte, unddie Verfolgung einzelner Verbrecher wurden also mit Hilfe dergleichen Folgepflicht und ihrer Organisation, der Zent, durch-geführt. Es, würde ja vor allem im späteren Mittelalter ohnehinschwer gewesen sein, zwischen beiden Fällen angesichts vonStrauchrittern, gartenden Knechten oder anderen landschädlichenLeuten säuberlich zu unterscheiden. So nimmt es denn schließlichauch nicht wunder, daß die Land- oder Zentfolge gelegentlich zurGrundlage eines territorialenHeeresaufgebots werden konnte, wie1504in den pfälzischen Zenten245). Die Zentbürgerschaft vonMöck-mühl im württembergischen Franken zog sogar noch im Jahre 1801mit 2000 Mann unter ihrem Zentgrafen gegen die eingefallenenFranzosen aus246).

HI) Fehr, Das Waffenrecht I 8.154, 207. Solche Regelungen enthaltenzwar nurder sächsische Landfrieden von 1223 und Friedrichs Ill. Land-frieden von 1474, aber die mit diesen Sätzen übereinstimmenden oder ver-wandten Landfolgebeschränkungen sind so weit verbreitet, daß sie durchregionale Landfriedensgesetze des Reiches am ehesten zu erklären sind., 142) Fehr 8: 402,408. .. ,., '.

143) MG Capitularia Bd, I, hrsg. v. Boretius (1881) Nr.3 Paetus pmtenore pscls von 511-558, § 16: cenlenarii inler communes provincias licen-tiam habeanl latrones peTsequeTe vel vestigia aasignata minaTe; ebd, Nr. 'lChildeberti Secundi Decretio von 596, § 12, Lesart Anm. f: si una centena inalia ceniena vestigium secuta [uerit et inveneTit •••

uaa) Das Waffenrecht I S.122ff., 151ff.U') Oben Anm. 189, 190.'IU) Brinkmann S. XVII, Kollnig S. 60f. mit Zahlenbeispielen.,148) Weller S.15.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 355

Bei diesem engen Zusammenhang zwischen Landfolgepflicht undZent wird man annehmen dürfen, daß Herr der Zentgerichte der-jenige war, dem das Aufgebot zur Landfolge zustand. Da die Land-.folge, wie der Hinweis auf die generalis necessitas provincie und ihrevielseitige Zwecksetzung von der Verteidigung bis zur Verbrechens-verfolgung nahelegen, der Landfriedenswahrung diente, wird es derLandesherr gewesen sein, in dessen Hand das Aufgebot lag, und erwäre demnach auch als Zentherr anzusehen. Das paßt sehr gut zuder Vorschrift des Statutum in [aiorem principum, daß die Zent-herrschaft den Landesherren zustehe2'7). Der Rückblick auf die bis-her behandelten Quellen bestätigt diesen Sachverhalt für Hessen.Als Zentherren erscheinen durchweg die Landgrafen oder die l\Iain-zer Erzbischöfe, die bekanntlich jahrhundertelang miteinander inhartem Ringen um die hessische Landeshoheit lagen. Beamte oderLehnsleute dieser Zentherren verwalten die Zenten248): Ebensosteht die Zentherrschaft auch in Franken in engem Zusammen-hange mit der Landeshoheit, insbesondere mit dem würzburgischenDukat2'9). Gerade an die würzburgischen Verhältnisse hat man beider reichsgesetzlichen Verknüpfung von Landeshoheit und Zent-herrschaft gedacht, war doch dem Bischof nach einer offenbar un-gerechten Entscheidung von 116025°) schon im Jahre 1168 die Zent-herrschaft bestätigt worden=').

IU) § 7: Item centumgTavii Tecipianl cenlas a domino leTre vel ab eo qui perdominum terre (ueTit in(eodatus. § 8: Item locum cente nemo mulabit sine con·senSU domini terre.

148) Oben Anm. 195-198.U') Th.lIIayer, Fürsten und Staat, Kap. XV: Herzogtum und Landes.

hoheit, S. 276ff. Zum engen Zusammenhang von Zent und Landeshoheit inder Neuzeit vgl. Killinger S.25f1. über die hessischen, pfälzischen undmainzischen Zentstreitigkeiten.

no) Stumpf:Brentano, Die Reichskanzler Bd.2 (1879) Nr.3888:Kaiser Friedrich I. urkundet, daß (idelis imperii nos!ri Ropoto de Abenberg,aduocalus bUTgi Babenberc idemque Babenbergensis ecclesiae beneficia comes inRangowe, conqueslus' est ••• de damno BUa Wirceb. episcopo GebehaTda.'••• , quod in prae(ato comila·tu occasione ducatu! sui pluTima sibi ex indebitoiura vendicaret, utputa allodiorum placita, centurianes pone re, de pace (ractaiudicareet alia quaeque pro libifu suo. Dazu Th.l\layer, Fürsten und StaatS. 289. Rosens tock, Herzogsgewalt und Friedensschutz S.131 glaubt, dasRecht der Zentgrafenernennung habe dem 'Grafen tatsächlich zugestanden .

• 51) Zeumer, Quellensammlung Nr.15: Imperiali quoque preceplo inki.

23"

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356 Karl Kroesehell,

So ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Zentherrschaftnoch einmal deutlich die Verschiedenheit von Zent und Grafschaft,ebenso wie sie in der sachlichen Zuständigkeit und bezüglich derGerichtsgenossen zutage getreten war. Daß die fränkische Zent-

" herrschalt nicht aus der Grafengewalt ableitbar ist, wurde schonlängst festgestellt252), und ebensowenig ist sie das in Hessen. BeimVerkauf der halben Grafschaft Battenberg (Stiffe) an Mainz im

" Jahre 1238253) wird deren Umfang zwar nach den dortigen Zentenbeschrieben - vermutlich deshalb, weil diese im Gegensatz zurGrafschaft feste Bezirke bildeten. Daß aber die Herrschaft überdiese Zenten ursprünglich den Grafen von Bettenberg zugestandenhabe, und daß die nicht verliehenen Zenten folglich in der Hand derGrafen gewesen wären, ist nicht nachweisbar254), denn die Ur-kunde die bei den nicht verliehenen Rechten das ius comitis liberum, "

von den centae liberae klar scheidet255), sagt nicht, wem die Zenten"frei" sind, während das ius comitis liberum natürlich dem Grafenzusteht. Später ist es jedenfalls Mainz, das über diese Zenten ent-scheidet258), und die Parallele der merenbergischen GrafschaftRucheslo läßt uns annehmen, daß Mainz auch schon vordem Kaufder halben Battenberger Grafschaft dort die Zentherrschaft be-anspruchte, die ihm freilich der Landgraf streitig machte257). InRucheslo behielten sich nämlich, wie man glaubt, die Herren vonMerenberg beim Verkauf an Mainz 1237258) einige Zenten vor, diejedoch in der Urkunde nicht als solche, sondern als iudicia et iuris-dictiones villarum Gladebach etc. bezeichnet werden259), also nur dieOrtsgerichte der genannten Dörfer zu sein scheinen. Um Zenten

bemus, ne aliquis in prefato episcopalu et ducalu vel in comitiis in eis si!isaliquas cenlurias facia! vel cenlgravios conslitual, nisi concessione episcopiducis Wirceburgensis.

Ut) Sehmidt S.18. Sehmidts Erklämng der Zentherrschaft aus Korn-mendation überzeugt allerdings nicht.UI) Gudenus Bd. INr. 222."') Das letztere behauptet Metz, Grafschaftsverf. 8.194."U5) Oben Anm. 195. .l1li) Oben Anm.154.U1) Gndenus Bd. I Nr.222: in illis ultimis cenlis Landgravius tolli!

omnem ius!itiam violen!er.1&8) Gudenus Bd. I Nr.221.u') Daher auch weiter: exceple ville prenolale •••

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Die Zentgerichte in Hessen und die frä.nkische Centene. 357

kann es sich schon darum nicht handeln, weil die Einwohner diesernicht mitverkauften Dörfer dennoch mainzischer Zenthoheit unter-standen. Sie mußten nämlich dem Landgeschrei der mainzischenBüttel secundum terre consuetudinem folgen, waren demnach folge-pflichtig. Die Zenthoheit war also nicht in den veräußerten grät-lichen Rechten enthalten gewesen, sondern stand schon vorher demzu, der die Landeshoheit für sich in Anspruch nahm, nämlich dem'Erzstift Mainz.

IV. Ergebnisse.

Die Beschreibung der hessischen Zenten, die gelegentlich durchHeranziehung der Zenten anderer Landschaften bestätigt und er-weitert werden konnte, liefert hinreichende Anhaltspunkte für eineDatierung dieser Institution wenigstens in großen Zügen. Ihr Cha-rakter als Blutgerichte schließt das frühe Mittelalter als Entste-hungszeit aus und verweist sie mit Bestimmtheit in das 12. und13. Jh. Wie die Untersuchungen von Hans Hirsch ergaben, ent-standen die Blutgerichte erst in jener Zeit, in engem Zusammen-hang mit der Landfriedensbewegung. Die Verknüpfung der Zentenmit der Landfolge weist in die gleiche Richtung und rückt sie in dieNähe der Landeshoheit, wie denn auch diejenigen Gewalten in Hes-sen die Zentherrschaft innehatten, die die Landeshoheit 'su ent-wickeln im Begriff waren. Daß die Zenten immer so deutlich vonder gräflichen Gerichtsbarkeit unterschieden werden, gibt einennicht unwichtigen Hinweis darauf, wie man sich die Entstehungder hessischen Landeshoheit vorzustellen hat. Die Vorarbeiten zumhessischen Gesehichtsatlas sahen den räumlichen Umfang derwerdenden Landeshoheit vor allem durch gräfliche und vogteilieheRechte bestimmt; ausschlaggebend für ihre endgültige Erstreckungerschien die zusammenfassende Tätigkeit der Landesherren, die vonjener Grundlage aus zur Abrundung die verschiedensten Rechts-titel hinzuerwarben. Diese Auffassung befand sich im Einklang mitder auch heute wohl noch vorherrschenden verfassungsgeschicht-lichen Lehre. Freilich blieb dabei in manchen Gegenden die Aus-bildung der hessischen Landeshoheit schwer erklärbar, weil sie sichdort ohne die Grundlage gräflicher Rechte oder gar gegen derenInhaber vollzog. Man war hier zu Hilfskonstruktionen, zur An-

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358 KarI Kroeschell,

nahme von Forstrechten oder anderen königlichen Rechts-verleihungen, oder gar von bloßen Gewaltmaßnahmen genötigt.Wir möchten dagegen keine so starke Verwurzelung der Landes-hoheit in gräflichen Rechten annehmen, sondern mit Otto Br un-ner260) der Legitimierung des werdenden Landesherren aus dem·Lande entscheidende Bedeutung beimessen, das wir uns als eine imhessischen Stamme verwurzelte räumliche Rechts- und Friedens-gemeinschaft vorstellen261). In diesen Zusammenhang sind dieZentgerichte eingefügt, als Blutgerichte und als Organisationsformder Landfolge gemäß den consuetudines terrae, im Falle der gene-ralis necessitas provinciae - in jedem Falle also als Werkzeuge derLandfriedenswahrung. Sie erweisen sich damit wesentlich als einohochmittelalterliche Einrichtung. Diese Einordnung wird durch dasAuftauchen der Zenten in den Quellen bestätigt. Gewiß ist dasargumentum e silentio stets nur mit Vorsicht anzuwenden, aber esist doch bezeichnend, daß die hessischen Zentgerichte ebenso wiedie in Franken und anderwärts erst sehr spät belegt sind. 1189,1231,1235, 1238, 1240, 1245, 1247 sind die ersten hessischen Nen-nungen von Zentgrafen und Zenten262), und kein älteres Zeugnisberichtet von ihnen.

Bei dieser Sachlage kann eine Entstehung der Zenten aus frän-kischen Centenen keine hohe Wahrscheinlichkeit für sich in An-spruch nehmen. :Möglicherweise besteht ja noch nicht einmal ein'sprachlicher Zusammenhang-'"). Selbst wenn man diesen aber alserwiesen ansehen "ill, kann dennoch nur eine äußerliche, institutio-nelle Anknüpfung erfolgt sein, denn inhaltlich ist die Zent als Blut-gericht zweifellos hochmittelalterlich.

Ein Zusammenhang mit den Königscentenen der Dannen-bauerschen Auffassung erscheint freilich ausgeschlossen.War die

280) O. Brunner, Land und Herrschaft" (1943); dazu weiterführendTh. Ma y er , Fürsten und Staat S. 276ff.

S81) Mit der Entwicklung des hessischen Landes hoffe ich mich in einerkünftigen Studie beschäftigen zu können. Vgl. dazu vorläufig: Hessen undder Kaufungerwald S. 41-57.

tel) 1189: Demandt, Quellen zur Rechtsgesch. der Stadt Fritzlar Nr. 6(frd1. Hinweis von W. Metz); 1231: Rodegerus cintgravius de Schrekesbach(Kopp S. 297). Zu den übrigen Jahren oben Anm. 189, 253, 154, 144.

163) Oben Anm. 217.

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Die Zentgerichte in Hessen und die fränkische Centene. 359

Centene so beschaffen, wie Dannenbauer lehrt264), so kann dieZent nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden, denn sie ist 80

ziemlich in jeder Beziehung das Gegenteil der Königscentene. Läßtman einmal die verschiedenen Begriffe der Hochgerichtsbarkeit ausdem Spiel, die in der fränkischen Zeit Sühnehochgerichtsbarkeit,im Hochmittelalter Blutgerichtsbarkeit war, dann hat die Zentgerade diejenigen Kompetenzen, die die Centene nach Daunen-bauers Meinung nicht hatte, und umgekehrt="). Die hohe Krimi-nalgerichtsbarkeit, die Dannenbauer dem Grafengericht zu-weist, ist der Kern der Zentkompetenzen, während die Übertragungvon Grundbesitz, die vor dem Centenar stattgefunden haben soll,nur in seltenen Ausnahmefällen vor dem Zentgericht geschah.

Eine äußerliche Anknüpfung der Zenten an die Centene als Ein-richtung der allgemeinen Verwaltung wäre dagegen nicht aus-zuschließen. Freilich sind zunächst noch die Modifikationen zu be-rücksichtigen, die die ältere Lehre wird erfahren müssen266). Da dieThese von der germanischen Hundertschaft als hinfällig angesehenwerden muß, kann man die centena nicht mehr für die ursprüng-liche Gerichtsgemeinde halten. Vielmehr steht am Anfang der Ent-wicklung die Centene als fränkische PoIizeiorganisation, mit derAufgabe der Spurfolge und der Verfolgung von Verbrechern. Sieentwickelte sich später über dip Einschaltung des Centenars in dasVerfahren bei handhafter Tat zu einem Gerichtsverband, und sokonntedenn auch der Centenar vor allem in der Lex Alamannorumund in der Lex Ribvaria als Richter erscheinen. Diese Entwicklungdarf auch darum als wahrscheinlich angesehen werden, weil ihr diedes angelsächsischen hundred in etwas späterer Zeit ganz parallel

IU) Oben S.305f.185) Darauf konnte ich schon am 30. 9. 1953 bei der Diskussion über

H. Dannenbauers Vortrag "Freigrafschaften und Freigerichte" währendder Tagung des Konstanzer Städtischen Instituts für Landschaftskunde desBodenseegebiets (Leiter Th. Maye r) auf Schloß Mainau hinweisen. SeineArbeit (Vorträge und Forschungen II: Das Problem der Freiheit, 1955,S. 57ff.) verfolgt in der Tat die Linie von seinen Königscentenen nicht zuden Zenten, sondern zu den verschiedenen Arten von Freigerichten desspäteren Mittelalters, mit denen sie strukturverwandt sind.

aG8) Ich folge hier den Aufsätzen von F. ~tein.bach (oben Anm. 33) undbesonders Th.lIIayer (oben Anm. 34), der ID meIsterlicher Ausaewogenhcitaus den neueren Forschungen das Fazit zieht. b

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360 K. Kroeschell, Zentgerichte in Hessen u. fränkische Centene.

läuft267). Wenn man sich mit H. Glitsch und H. Hirsch das soentstandene Centenargericht nicht als Niedergericht vorstellt, son-dern ihm vor allem als Notgericht bei handhafter Tat auch dieKriminalgerichtsbarkeit zuweist, ist eine äußerliche Anknüpfungder Zenten an diese Centenargerichte wohl denkbar. Man könntedannetwa auch die Zent-' und Landfolge aus der Verbrechens-verfolgung durch die Centene herleiten. Dennoch bleibt aber daranfestzuhalten, daß die Zent inhaltlich etwas Neues ist. Nach wievor kann man sie darum nur hypothetisch an die fränkische Cen-tene anschließen. Es gibt keine Quellen, die es gestatten, die LÜckezu schließen, die. beide Einrichtungen voneinander trennt. In Hes-sen aber verbietet sich eine solche Verknüpfung in besonderemMaße durch das Fehlen aller Zeugnisse für das Bestehen von Cen-tenen. Selbst wenn also anderswo ein Entwicklungszusammenhangbestanden hätte - in Hessen wird man vorerst annehmen müssen,

, daß die Zent im hohen Mittelalter als fertige Institution übernom-men wurde. .. Dieses durchaus negative Ergebnis unserer Erörterung mag ent-täuschen. Wir versuchten die bisherigen Ansichten von der Her-leitung der Zent aus der fränkischen Centene zu widerlegen, ohneeine neue Vermutung über die Entstehung der Zentgerichte an ihreStelle setzen zu wollen. Vielmehr war es das Bestreben unsererUntersuchung, reinlich zu scheiden, was bisher vermengt wurde.Den ansprechenden archäologisch-historischen Kombinationenwar ein rechtshistorischer Vorbehalt entgegenzusetzen, fußend aufder Überzeugung, daß überall dort, wo die Quellen zweierlei Be-griffe verwenden, auch zweierlei Gegenstände zu Buchensind. Wenndamit auch kein positiver Beitrag zur Frage der Zenten geleistetwurde, über die gegenwärtig nur unsichere Vermutungen möglichsind, so wird doch vielleicht die Klärung der Begriffe wenigstenseine deutlichere Erkenntnis ihrer verfassungsgeschichtlichen Reali-tät ermöglichen.

an) Cl. Frh. v. Schwerln, Die altgermanische Hundertschaft (1907)S. 176ff., der infolgedessen dem hundred die Qualität einer germanischenHundertschaft abspricht. Weiter Pollock-MaitIand, The History ofEnglish Law' Vol. 1(1911) p. 056f1.