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Forstschutz und biologisches Gleichgewicht Von W. SCrtWENII~ Aus dern Institut fiir Angewandte Zoologie der Forstlichen Forschungsanstalt Miinchen Unter den Problemen, denen wir uns im Zusammenhang mit dem Kampf gegen sch~id- liche Organismen in der Land- und Forstwirtscha~ gegeniibersehen, ist in den ver- gangenen Jahren die Frage nach den Einwirkungen der Pflanzen- und Forstschutz- maBnahmen auf das biologische G!eichgewicht stark in den Vordergrund geriickt. Der Grund hierfiir liegt in erster Linie darin, dab sich die tDffentlichkeit in zunehmendem MaB filr dieses Problem interessiert in Verbindung mit einer Reihe iihnlich gelagerter Probleme, die insgesamt die sch~idlichen Auswirkungen der Wirtschaf~ und Technik auf die Natur und auf die Gesundheit des Menschen zum Gegenstand haben. Wir k~Snnen fiber das Hinausriicken des Problems in die iDffentlichkeit und damit in die t3bene des Emotionalen nicht froh sein. Der Sache des biologischen Gleich- gewichtes ist dadurch bisher nicht geniitzt worden. In Unkenntnis der Vielschichtigkeit des Problems h~ilt man zumeist eine besonders ins Auge fallende Teilfrage: die Ge- f~ihrdung niitzlicher Tiere durch die chemische Bek~impfung, fiir das Ganze und erhebt demgem~iB immer wieder und immer lauter die Forderung nach einer Abl6sung der chemischen Bek~impfung dutch biologische Bek~impfungsmaBnahmen. Man ist dann erstaunt und entt~iuscht dariiber, daB diese Forderung bisher nicht nur nicht erfiillt wurde, sondern im Gegenteil der Umfang der chemischen Bek~impfung st~indig zu- nimmt. Das Ende heiBt Resignation. Es erscheint im Interesse unserer Land- und Forstwirtschait und dar[iber hinaus der Landeskultur und der Hygiene dringend geboten, die hier sichtbare gefiihrliche Entwicklung aufzuhalten. Die Land- und Forstwirte diirfen nicht der Resignation verfallen angesichts ihrer vermeintlichen Hilflosigkeit gegeniiber der chemischen Be- k~impfung. Denn sie sind durchaus nicht hilflos, sondern sie, und nur sie, bestimmen letzten Endes den Weg, den der Pflanzen- und Forstschutz nimmt. Sie k~Snnen den fiir die Natur und die Forstwirtschaf~ richtigen Weg aber nut dann finden, wenn sie sich mehr als bisher mit dem Wesen des biologischen Gleichgewichtes und mit den Problemen seiner Beriicksichtigung im Pflanzen- und Forstschutz vertraut machen. Weil das so ist, halte ich es fiir notwendig, hier im Zusammenhang mit Forst- schutzfragen auch die Problematik des biologischen Gleichgewichtes, speziell desjenigen der Wiilder, etwas n~iher zu betrachten. Unter allen in angewandter Richtung arbei- tenden Biologen weiB zwar der Forstmann noch am besten um die Begriffe ,,Lebens- gemeinschaflc" und ,,biologisches Gleichgewicht" Bescheid. Sie sind fiir ihn, der den Wald baut und erlebt, durchaus keine leeren Begriffe. Er sollte aber nicht iibersehen, daB hieriiber auch andere Meinungen existieren. Da wird einmal die Anschauung ver- treten, dab es sich bei den Lebensgemeinscha~en und biologischen Gleichgewichten um reine Gedankenkonstruktionen, um Fiktionen also, handele, die - aus Harmonie- gl~iubigkeit entstanden - wissenschafldich abzulehnen seien. Und es gibt, haupts~ichlich in der Landwirtschaflc vertreten, eine andere Anschauung, die zwar nicht leugnet, dab es fr[iher einmal biologische Gleiehgewichte gegeben habe, diese abet unserer heutigen Kultur- und Industrielandscha~ nicht mehr zuerkennt. Ich miSchte an diese Auf-

Forstschutz und biologisches Gleichgewicht

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Forstschutz und biologisches Gleichgewicht

Von W. SCrtWENII~

Aus dern Institut fiir Angewandte Zoologie der Forstlichen Forschungsanstalt Miinchen

Unter den Problemen, denen wir uns im Zusammenhang mit dem Kampf gegen sch~id- liche Organismen in der Land- und Forstwirtscha~ gegeniibersehen, ist in den ver- gangenen Jahren die Frage nach den Einwirkungen der Pflanzen- und Forstschutz- maBnahmen auf das biologische G!eichgewicht stark in den Vordergrund geriickt. Der Grund hierfiir liegt in erster Linie darin, dab sich die tDffentlichkeit in zunehmendem MaB filr dieses Problem interessiert in Verbindung mit einer Reihe iihnlich gelagerter Probleme, die insgesamt die sch~idlichen Auswirkungen der Wirtschaf~ und Technik auf die Natur und auf die Gesundheit des Menschen zum Gegenstand haben.

Wir k~Snnen fiber das Hinausriicken des Problems in die iDffentlichkeit und damit in die t3bene des Emotionalen nicht froh sein. Der Sache des biologischen Gleich- gewichtes ist dadurch bisher nicht geniitzt worden. In Unkenntnis der Vielschichtigkeit des Problems h~ilt man zumeist eine besonders ins Auge fallende Teilfrage: die Ge- f~ihrdung niitzlicher Tiere durch die chemische Bek~impfung, fiir das Ganze und erhebt demgem~iB immer wieder und immer lauter die Forderung nach einer Abl6sung der chemischen Bek~impfung dutch biologische Bek~impfungsmaBnahmen. Man ist dann erstaunt und entt~iuscht dariiber, daB diese Forderung bisher nicht nur nicht erfiillt wurde, sondern im Gegenteil der Umfang der chemischen Bek~impfung st~indig zu- nimmt. Das Ende heiBt Resignation.

Es erscheint im Interesse unserer Land- und Forstwirtschait und dar[iber hinaus der Landeskultur und der Hygiene dringend geboten, die hier sichtbare gefiihrliche Entwicklung aufzuhalten. Die Land- und Forstwirte diirfen nicht der Resignation verfallen angesichts ihrer vermeintlichen Hilflosigkeit gegeniiber der chemischen Be- k~impfung. Denn sie sind durchaus nicht hilflos, sondern sie, und nur sie, bestimmen letzten Endes den Weg, den der Pflanzen- und Forstschutz nimmt. Sie k~Snnen den fiir die Natur und die Forstwirtschaf~ richtigen Weg aber nut dann finden, wenn sie sich mehr als bisher mit dem Wesen des biologischen Gleichgewichtes und mit den Problemen seiner Beriicksichtigung im Pflanzen- und Forstschutz vertraut machen.

Weil das so ist, halte ich es fiir notwendig, hier im Zusammenhang mit Forst- schutzfragen auch die Problematik des biologischen Gleichgewichtes, speziell desjenigen der Wiilder, etwas n~iher zu betrachten. Unter allen in angewandter Richtung arbei- tenden Biologen weiB zwar der Forstmann noch am besten um die Begriffe ,,Lebens- gemeinschaflc" und ,,biologisches Gleichgewicht" Bescheid. Sie sind fiir ihn, der den Wald baut und erlebt, durchaus keine leeren Begriffe. Er sollte aber nicht iibersehen, daB hieriiber auch andere Meinungen existieren. Da wird einmal die Anschauung ver- treten, dab es sich bei den Lebensgemeinscha~en und biologischen Gleichgewichten um reine Gedankenkonstruktionen, um Fiktionen also, handele, die - aus Harmonie- gl~iubigkeit entstanden - wissenschafldich abzulehnen seien. Und es gibt, haupts~ichlich in der Landwirtschaflc vertreten, eine andere Anschauung, die zwar nicht leugnet, dab es fr[iher einmal biologische Gleiehgewichte gegeben habe, diese abet unserer heutigen Kultur- und Industrielandscha~ nicht mehr zuerkennt. Ich miSchte an diese Auf-

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fassungen, die in unserem technischen Zeitalter gute Aussichten haben, welter um sich zu greifen und auch den Forstwirt zu beeinflussen, anknlJpfen und zu zeigen ver- suchen, dat~ zumindest unsere W~ilder biologische Gleichgewichte aufweisen und war- um und wie wit diesen im Forstschutz Rechnung zu tragen haben.

Zun~ichst sei zum Begriff des biologischen Gleichgewichtes allgemein festgestellt, dal~ jedes System yon Kr~if~en, sei es ein physikalisches, chemisches oder ein biologi- sches, solange es existiert, sich notwendig in einem Gleichgewicht befinden mul~, das die Resultierende bildet aus den Wirkungen der erhaltenden und den Gegenwirkun- gender zerstfrenden Kr~it~e. Das geht aus dem Begriff der Existenz hervor. Im Gegen- satz zu den Bereichen der Physik und Chemie, in denen es vSllig kiinstliche dynami- sche Systeme gibt, wie die Maschinen, die so konstruiert sind, daf~ sie vom Menschen in Betrieb, d. h. im Gleichgewicht, gehalten werden, hat es im Reich des Organischen nur dann Sinn, yon einem ,,Gleichgewicht" zu sprechen, wenn das betreffende System - im Rahmen iJbergeordneter Beziehungen - sich selbst reguliert. In diesem Sinn be- finden sich z. B. die lebende Zelle oder der lebende Organismus oder auch der Urwald jeweils in einem biologischen Gleichgewicht zunehmend h6herer Ordnung. Es hat auch dann noch Sinn, yon einem biologischen Gleichgewicht zu sprechen, wenn ein System voriJbergehend menschliche Regulationshilfe benStigt, well es auf Grund wirtschait- licher Beeinflussung einzelne, besonders starke, StSrungen (wie z. B. Insektenkalami- t~iten) aus eigener Kra~ nicht mehr beheben kann. In solchem Sinne sind auch ur~seren Wirtschaitsw~ildern, die ja entweder st~indig oder zumindest w~ihrend des grSBten Tells ihrer Lebenszeit ohne menschliche Regulationshilfe auskommen, durchaus bio- logische Gleichgewichte zuzuerkennen. Es hat aber keinen Sinn mehr, etwa bei einem Kartoffelfeld yon einem biologischen Gleichgewicht zu sprechen. Hier wie bei allen landwirtscha~lichen Kulturen kann sich ein Gleichgewichtssystem in der K~irze der Zeit erst gar nicht entwickeln. Noch ehe die erhaltenden und zerstSrenden Kr~i~e sich auch nur ann~ihernd eingespielt haben, wird mit der Ernte der ganze Beziehungs- komplex wieder zerstSrt. Auch Weinberge und Obstplantagen sind trotz ihrer relativ langen Lebensdauer Beziehungskomplexe ohne biologische Gleichgewichte, da der Mensch mit seinen dicht aufeinanderfolgenden Gif~behandlungen den grSl~ten Tell der Organismenwelt immer wieder vernichtet.

Man hSrt zum Tell den Standpunkt vertreten, dai~ trotz aller Fruchtfolgen und mecha- nischen Beeinflussungen die landwirtschattlichen Kulturen ,,Lebensgemeinscha~en" enthielten und biologische Gleichgewichte h~itten, allerdings in einem umfassenderen, die Fruchtfolge ein- schlieBenden Sinne. Das widerspricht aber dem Begriff des biologischen Gleichgewichtes als der Resultierenden eines im Prinzip selbstregulativen abiotisch-biotischen Systems. Was man auf den Feldern, in den Weinbergen und auf den Obstb~.umen findet, sind konstante Arten- kombinationen yon Lebewesen. BiozSnotisch betrachtet stellen sie Triimmer yon Populationen dar, die immer yon neuem zersdickelt werden, ohne im freien Spiel der Kr~i~e sich quanti- tativ aufeinander einspielen zu k6nnen.

Es sei bier nur erw~ihnt, dal~ sich aus der Gleichgewichtslosigkeit der landwirtscha~lichen Kulturen besondere Pflanzenschutzprobleme ergeben, die bier nicht behandelt werden kSnnen. Auf jeden Fall diJrfen die Landwirte, Weinbauern und G~irtner aus der Tatsache, dai~ ihre Kulturen keine biologischen Gleichgewichte aufweisen, nicht den Schluf~ ziehen, sie brauchten sich hinsichtlida der chemischen Bek~impfung keinen Zwang aufzuerlegen.

Die W~ilder, die nunmehr n~iher betrachtet werden sollen, sind nach dem Gesagten also Systeme mit vSllig oder doch weitgehend selbstregulativen biologischen Gleich- gewichten. Sie entsprechen darnit im Prinzip den Mooren, Heiden, Teichen und eini- gen anderen im wesentlichen natiJrlich gebliebenen Landschaitsteilen. Man hat die biotische Komponente solcher Systeme ,,Lebensgemeinschai%n" oder ,BiozSnosen" genannt. Will man das System in seiner Ganzheit umfassen einschlief~lich der abio- tischen Komponente, spricht man besser yon ,,GeobiozSnosen" und entsprechend yon ,,geobiologischen Gleichgewichten". Die Geobioz~Snosen sind die elementaren Ein- heiten der nadirlichen oder noch weitgehend natiirlichen Landschaf~en.

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Wenn hier soeben wirtschaitlich genutzte W~ilder als nattirliche Landschat°cseinheiten be- zeichnet wurden, so liegt darin kein Widerspruch. Die h~tufig zu h~Srende Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturlandscha~, wobei man die Wirtschaf~sw~ilder der letzteren zu- re&net, h~ilt einer n~iheren Prtifung nieht stand. Es gibt keine echten Unterschiede zwischen Natur- und Kulturlandschait, sondern nur zwischen nattirlichen und kiinstlichen geobiologi- schen Systemen. ,,Natiirlich" ist ein System, wenn es im Prinzip unabhiingig vom Menschen existiert, ,,kiinstlich" ist es zu nennen, wenn es zu seiner Existenz der dauernden Beeinflussung durch den Menschen bedarf. Die waldbaulichen Eingriffe sind fiir die Existenz unserer W~.lder nicht prinzipiell notwendig. Das geobiologische Gleichgewicht wird yon ihnen weder erhalten noch zerst~Srt (zumindest sollte es so sein), sondern nur versehoben.

Die grof~fl~ichigsten und damit fiir den Landschaf~s- (vor allem den Wasser-)Haus- halt und ftir die Gesundheit des Menschen wichtigsten Geobioz~Snosen sind die W~il- der. Der Grad ihrer Nattirlichkeit oder mit anderen Worten: die Stabilit~it ihrer geo- biologischen Gleichgewichte, h~ingt ~¢om geobioz~Snotischen Verst~indnis des wald- bauenden Forstmannes ab. Ich brauche bier auf die geobioz~Snotische Fundierung des modernen Waldbaues, die das imponierende Werk einer Reihe hervorragender Ver- treter der organischen Waldauffassung ist, nicht n~iher einzugehen. Es soll die Fest- stellung genLigen, dag, um Worte yon J. K6s-rL~l~ (1950) zu gebrauchen, die ,,Grund- lagen des Waldbaues" im ,,Verst~indnis der W~ilder als Lebensgemeinschaften" bestehen und dag ,,Waldbautechnik" soviel bedeutet wie ,,Eingriffe in die Lebensgemeinschaf- ten". Somit schai~ der waldbauende Forstmann um so natlirlichere, gestindere und, ins- gesamt gesehen, produktivere W~ilder, je besser er die geobioz~Snotischen Erfordernisse erkennt und beriicksichtigt. Die biologischen Gleichgewichte sind somit fiir den Forst- mann und dariiber hinaus ftir alle Menschen mit Naturverstiindnis durchaus keine Fiktionen, sondern biologisch, hygienisch und wirtschaitlich h~Schst wichtige Realitiiten.

Von bier aus leuchtet nun ohne weiteres ein, daf~ auch der Forstschutz in gleicher Weise geobioz~Snotisch fundiert sein muf$ wie die ganze Forstwirtscha~, deren Tell er ist. Wenn man den Forstschutz, wie das heute nicht selten der Fall ist, nur als ein An- h~ingsel der Forstwirtschaft betrachtet, als ein Routinehandwerk, dessen man sich in bestimmten F~illen zum Schutze des Waldes bedient, so geht man damit am Wesen des Forstschutzes vorbei. Aufgabe des Forstschutzes ist es vielmehr, dem Waldbauprakti- ker ein Helfer bei der Erhaltung sowie ein Ratgeber bei der Gestaltung der W~ilder zu sein.

Um das im n~iheren verstehen zu k~Snnen, mul~ man sich zun~ichst vor Augen halten, dai~ unsere W~ilder mit Ausnahme der relativ wenigen Plenterbest~inde, geo- bioz6notisch betrachtet, zwei grundverschiedene Stadien durchlaufen: das Jungwuchs- stadium und das eigentliche Waldstadium. Der Jungwuchs hat geobioz6notisch noch den Charakter einer offenen Landscha~ mit allen prinzipiellen Merkmalen landwirt- schafLlicher Kulturfl~ichen. Von dem, wax wir unter der ,,Geobioz6nose Wald" ver- stehen, ist er noch welt entfernt. Insbesondere fehlt ihm noch das Waldklima, das sich vom Dickungsalter ab entwickelt und die geobiologische Struktur des Waldes be- stimmt. Die Mikroorganismen-, Pflanzen- und Tierwelt des Jungwuchses ist nicht nur, wie vergleichende Untersuchungen zeigten, qualitativ und quantitativ yon derjenigen des Waldes au~erordentlich verschieden, sondern vor allem auch einem st~indigen Wechsel unterworfen.

Dieser Organismenarten-Wechsel, der die Bildung eines geobiologischen Gleichgewichtes w~hrend der Jungwuchszeit verhindert, beruht einmal auf dem Konkurrenzkampf der ein- wandernden Pflanzen gegeneinander und gegen die heranwachsenden B~iume, zum anderen auf der damit zusammenh~ngenden _Knderung der edaphischen und klimatischen Faktoren und zum dritten auf den mechanischen und chemischen Maflnahmen der Jungwuchspflege und des Jungwuchssehutzes. Der Forstmann mul~ diese Pflege- und Schutzmaf~nahmen aber durch- fiihren, well der Jungwuchs sonst, sich selbst ~iberlassen, einem geobiologischen Gleichgewicht zustreben wiirde, das dem Wirtscha~sziel nicht entspricht.

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Aus alledem ergibt sich, dag die meisten unserer W~ilder, n[imlich alle aus Kultu- ren und natiJrlichen JungwiJchsen erzogenen Best~inde, geobiologisch betrachtet, hSchst erstaunliche Wesen sind: Sie werden iiberwiegend kiJnstlich begriJndet, machen auf jeden Fall ein kiJnstliches, yon Wirtscha~smagnahmen besonders stark beeinflulStes Jungwuchsstadium durch und werden dennoch zu im Prinzip natiJrlichen, selbst- regulativen geobiologischen Systemen. Der 13bergang yore KiJnstlichen zum Natiir- lichen gelingt dem Wald dank seiner einmalig starken, strukturbildenden Kratt, die mit dem Kronenschlug einsetzt. Das Selbstregulationsverm/Sgen nimmt dabei mit dem Baumalter zu im Rahmen einer langsamen Bestandessukzession, die in Richtung auf eine Vergr/Sf~erung der Pflanzen- und Tierartenzahl, darunter vielen Sch~idlings- feinden, verl~iufi. Es ist kein Zufall, dai~ ~iltere Best~inde im allgemeinen eine geringere Sch~idlingsanf~illigkeit aufweisen als jiingere.

Die Unterscheidung zwischen einem gleichgewichtslosen Jungwuchs- und einem selbstregulativen Waldstadium ist nun fiir den Forstschutz yon grundlegender Be- deutung. Es entsteht n~imlich jetzt die Frage, wie die chemischen Forstschutzmai~- nahmen im gleichgewichtslosen Jungwuchs geobioz/Snotisdl zu beurteilen sind. Gibt es Beweise oder eindeutige Anzeichen dafiJr, daf~ durch chemische Jungwuchspflege- und -schutzmai~nahmen, also dutch Unkr~iuter-, Pilz-, Insekten- und M~iusebek~impfungen sowie Wildverbif~-Schutzmagnahmen irrevers~ible Sch~iden im geobiologischen Gefiige des Jungwuchses entstehen k/Snnen, die in da~ ~ Waldstadium mit iibernommen werden und hier zu einer Schw~ichung des Gleichgewichtes fiihren? Derartige Dauersch~iden waren denkbar einmal als direkte physiologische Sch~idigung der jungen B~ume durch das Bek~impfungsmittel und zum anderen als Sch~idigung der Bodenmikroflora und -fauna, die far die B~iume zu einer Ern~ihrungsverschlechterung und damit zu einer indirekten physiologischen Beeintr~ichtigung fiJhren wiJrde. Es ist in beiden F~illen ja zu bedenken, dab physiologische Sch~den die Abwehrkratt der Niume gegen[iber Sch~dlingen schw~ichen, was zugleich eine Schw~ichung des biologischen Gleichgewich- tes bedeutet. Nicht m/Sglich erscheint dagegen nach den heutigen Erkenntnissen, daf~ eine Sch~idigung der oberirdischen Fauna des Jungwuchses sich auf den sp~iteren Wald nachteilig auswirken kSnnte.

Die iJber die Nebenwirkungen der chemischen Bek~impfung auf Pflanzen- und Bodenorganismen vorliegenden Beobachtungen, die zum gr6gten Teil in den zusarn- menfassenden Ver/Sffentlichungen yon Do~ascH (1963), BAtrrR (1964) und MAIrI~- BODE (1965) enthalten sind, vermitteln zu der soeben genannten Frage folgendes Bild:

Die Mikroflora, als die fiir die Produktionskrafi des Bodens in erster Linie maf~- gebende Komponente, zeigte weder nach oberirdischen noch nach Bodensch~idlings- bek~impfungen mit den in der Forstwirtschafi verwendeten Herbizidien, Fungiziden, Insektiziden und Rodentiziden - bei normaler Dosierung - Anzeichen yon Sch~idi- gungen.

Auch die Wiirmer, vor allem die Regenwiirmer, erwiesen sich in der grogen Mehr- zahl der F~ille als unempfindlich. Nur vereinzelt wird yon kurzfristiger Beeintr~ichti- gung der Regenwiirmer durch Insektizide berichtet.

Dagegen nahm die Dichte der Milben und Collembolen nach DDT-, Hexa- und Aldrin-Anwendungen in den meisten F~illen - auch bei normaler Dosierung - vor- iibergehend ab. Die Riickkehr zur Ausgangsdichte land jedoch in der Regel bereits innerhalb weniger Wochen bis Monate statt. Dariiber hinaus bis zu mehreren Jahren anhaltende Wirkungen beruhten stets auf starker Elberdosierung, bzw, wie die BSden unter Obstb~iumen, auf einer Gifiakkumulation infolge zahlreich aufeinanderfolgender Spritzaktionen. Mit einer im Prinzip ~ihnlichen Akkumulation ist iibrigens bei der neuerdings diskutierten prophylaktischen DDT-Spritzung gegen den Grof~en braunen Riisselk~ifer in Verschulbeeten zu rechnen.

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Zusammengefagt enthalten die bisherigen - immerhin bereits recht zahlreichen Beobachtungen (allein yon DoMsc~t, 1963, iiber die Mikroflora, wurden 342 Ver- tiffentlichungen ausgewertet) keine Hinweise auf eine direkte oder iiber die Boden- organismen verlaufende indirekte Dauersch~digung von B~iumen nach Anwendung chemischer Mittel normaler Dosierung w~ihrend der Jungwuchszeit. Es kann hieraus der Schlug gezogen werden, dab die Anwendung ehemischer Bek~impfungsmittet w~ih- rend des Jungwuchsstadiums fiir die geobioz~inotische Zukunff des Waldes ohne Be- deutung ist.

Diese Feststellung wird dutch zwei weitere, die Bodenorganismen betreffende Untersuchungsbefunde unterstrichen. Einmal zeigte sich, dab generell nach Beseitigung der Unkr~iuter sich die Zusammensetzung der Bodenmikroorganismen ver~inderte, und zwar auf Grund der mit der Beseitigung verbundenen i~nderung des C/N-Verhiilt- nisses im Boden (BAR3AC, H. DE, et al., 1958). Zum anderen wurde yon v. BAUDUSSIN (1952) und CRAMER (1957) gefunden, dag die terricole Fauna durch mechanische Bodenbearbeitung sogar st~irker beeintr~ichtigt wurde als durch chemische Behandlung. Diese beiden Beispiele best~itigen die vorstehende geobiologische Charakterisierung des forstlichen Jungwuchses. Der Jungwuchs ist durch einen st~indigen Wechsel der abio- tisehen Bedingungen und des Orrganismenbestandes und infolgedessen durch das Fehlen eines Gleichgewichts der Kr~ifte gekennzeichnet. Auf welche Weise der Forst- mann zu diesem Wechsel beitr~igt, ob mit mechanischen oder chemischen Mat~nahmen, ist nebens~ichlich.

Mit der Feststellung, daft die chemische Bek~impfung im Jungwuchsstadium geo- bioztinotisch ohne Bedeutung ist, soll nicht etwa einer bedingungslosen Verwendung chemischer Mittel in diesem Stadium das Wort geredet Werden. Auch im Jungwuchs- schutz gilt das oberste Gesetz des Forstschutzes, chemische Mittel nur in Notfiillen an- zuwenden, allein schon der gesundheitlichen Gefahren wegen, die nun einmal prinzi- piell beim Umgang mit toxischen Substanzen gegeben sind. Zudem gibt es im Jung- wuchs - wie iibrigens auch in den landwirtschafflichen Kulturen - zahlreiche kleinere bioztinotische Beziehungskomplexe, vor allem Wirt/Parasiten- sowie Beute/R~iuber- Beziehungen, die zur Vernichtung yon Jungwuchsschiidlingen erheblich beitragen k~in- nen und daher m/Sglichst geschont werden sollten. Des weiteren ist selbstverstiindlich auf forstlich genutzten Wassereinzugsfl~ichen besondere Vorsicht geboten.

Andererseits sollte hier einmal klargestellt werden, dag es nicht richtig ist, im Forstschutz alle chemischen Magnahmen einheitlich als sch~idlich fiir die Bioztinose des Waldes zu betrachten. Den weitaus grtigten Teil der heute in der Forstwirtschaff ver- wendeten chemischen Bekiimpfungsmittel nehmen die im Jungwuchs verwendeten Mit- tel und unter ihnen wieder die Herbizide ein. Wie soeben dargelegt, wirken sich diese Jungwuchsschutzmafinahmen aber nicht sch~idlich auf das biologische Gleichgewicht der W~ilder aus. Man sollte sich also bei der Betrachtung des Problems ,,Forstschutz ~nd biologisches Gleichgewicht" nicht nach der Statistik iiber den Gesamtverbrauch an chemischen Bekiimpfungsmitteln orientieren.

Grundlegend anders als beim Jungwuchs mug nun allerdings die chemische Be- k~impfung beim eigentlichen Wald beurteilt werden. Schon die f3berlegung sagt, dab ein chemischer Eingriff in ein so kompliziertes Gleichgewichtssystern wie den Wald viel schwerwiegendere Folgen haben mug als ein Eingriff in den gleichgewichtslosen Beziehungskomplex des Jungwuchses. In ~,ihnlicher Weise, wie zum Beispiel ein Ein- griff in den menschlichen Organismus dauernde Folgen nach sich ziehen kann, sind auch bei Eingriffen in das organismus:,ihnliche Waldgefiige dauernde Folgen zu er- warten.

Eine Reihe yon Beobachtungen sti~tzt diese Vermutung. Zwar beweist die bei jeder chemischen Aktion im Walde zu beobachtende Abt&ung yon Sch~dlingsfeinden noch keine Dauersch~idigung. Auch der Statistik, die eine Zunahme der Grogbek~imp-

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fungen yon Jahrzehnt zu Jahrzehnt zeigt, kSnnte in ihrer allgemeinen, d. h. nicht auf bestimmte Waldstandorte bezogenen, Form die volle Beweiskratt noch abgesprochen werden. Wenn aber zum Beispiel in bestimmten Fichtenbest/inden des Ebersberger Forstes 1954 eine Nonnen-Massenvermehrung erstmals mit einem der modernen syn- thetischen Insektizide, n~imlich mit DDT, bek~impfi wurde und bereits acht Jahre sp~i- ter in denselben Best~nden schon die n/ichste Massenvermehrung aufflammte, w~ihrend zuvor wesentlich l~ingere Zeitr~iume zwischen den Nonnenvermehrungen lagen, so scheint ein Zusammenhang zwischen der DDT-Anwendung und der so schnellen Re- generation der Nonnenvermehrung doch sehr wahrscheinlich. Schon fast zur Gewif~- heit wird diese Vermutung durch die im Prinzip gleichen Beobachtungen bei zwei weiteren forstlichen Groi~schiidlingen in Bayern, dem Buchenrotschwanz-Spinner im Spessart und dem Kiefernspanner bei Geisenfeld. Auch diese Waldverderber gelang- ten sieben bis neun Jahre nach der erstmaligen Bek~impfung mit einem synthetischen Insektizid in jeweils denselben Waldbestiinden zu erneuter Massenvermehrung.

Die Umstellung der chemischen Groi~bekiimpfungen yon den in den zwanziger und dreit~iger Jahren gebr~iuchlichen arsenhaltigen Mitteln auf die nach dem zweiten Weltkrieg eingefiihrten synthetischen Insektizide hat somit offensichtlich eine schwere Gefiihrdung der geobiologischen Gleichgewichte der W~ilder mit sich gebracht. Das erscheint einleuchtend, wenn man bedenkt, daf~ die Arsenmittel zwar stark gifiig fiir Warmbliiter waren, abet als ausgesprochene Fraf~giite die parasitischen und riiuberi- schen Insekten und Spinnen schonten, w~ihrend dagegen die heutigen synthetischen Insektizide gerade umgekehrt weitgehend ungifiig fiir Warmbl[iter, aber als Kontakt- gii°ce mit Breitenwirkung hochgifiig fiir die gesamte Insekten- und Spinnenfauna sind.

Dariiber wie im einzelnen die Gleichgewichtsst/Srungen in den soeben erw~ihnten Waldbest~inden bei Ebersberg, im Spessart und bei Geisenfeld aussehen, sind von uns Untersuchungen begonnen worden. Die bisherigen Ergebnisse machen es wahrschein- lich, daf~ die Dauersch~iden innerhalb der Wirt/Parasiten- und der Beute/R~iuber. Beziehungskomplexe eingetreten sind. Offenbar liegen die Dinge beziiglich der Neben- wirkungen der chemischen Groflbek~impfungen nicht so einfach, dab die in die Niitz- lingsfauna gerissenen Hicken sich stets in Richtung der vorher bestandenen Verh~ilt- nisse wieder auffiillen. Es ist vielmehr anzunehmen, dab die Begleitarten des Sch~id- lings durch die Begittungsaktion in verschieden starkem Mai% dezimiert werden und dat~ hieraus eine dauernde Verlagerung der quantitativen Zusammensetzung der Arten zuungunsten bestimmter Niitzlinge resultieren kann.

Eine Tatsache ist abet in diesem Zusammenhang sehr auff~illig und bedeutungs- roll fiir die k~infiige Entwicklung der Groi~bek~impfungen: Alle drei genannten Ka- lamit~iten, die der Nonne, des Buchenrotschwanzes und des Kiefernspanners, wurden damals - zwischen 1954 und 1956 - mit Heiflnebeln vom Boden aus unter Verwen- dung von TIFA-Nebelger~iten bek~impflc. Die im gleichen Zeitraum in Mittelfranken durchgefiihrten Bek~impfungen gegen den Kiefernspanner im Spriibverfahren yon dem damals fiir den Forstschutz in Bayern erstmals erprobten Hubschrauber aus blie- ben dagegen ohne auff~illige Folgen fi.ir das biologische Gleichgewicht. Auch der Eichenwickler und die Kiefernbuschhorn-Blattwespe, die 1958 bzw. 1960 vom Hub- schrauber aus bek~impi°c wurden, zeigten bis heute noch keine Ans~itze einer erneuten Vermehrung.

Beim Nebeln wurden damals 10 kg einer 10%.igen DDT-L~Ssung, mithin 1 kg Wirkstoff/Hektar ausgebracht. Beim Spri~hen waren es 4 Liter einer 20°Mgen DDT- L~Ssung, gemischt mit 12 Litern Diesel,S1 und damit gleichfalls 1 kg/Hektar. Die unter- schiedliche Wirkung auf die Bioz~Snose kann daher nur in der Ausbringungsforrn des DDT ihre Ursache haben. Diese Folgerung findet ihre Best~itigung durch eine Unter- suchung yon WrLrrNSTrlN und Mitarbeitern (1958) iiber die Wirkung eines HCH- Mittels, also eines dem DDT chemisch und wirkungsm~iffig ~ihnlichen synthetischen

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Insektizids, auf die Fauna yon Kiefernkronen bei verschiedener Ausbringungsform. Es zeigte sich dabei, daf~ das Insektizid in Spriihform weitaus weniger niitzliche und indifferente Insekten abt/Stete als in Nebelform. WELLENSTEIN s ieht die Ursache des Unterschieds - sicher mit Recht - darin, daf~ der Nebel in alle Winkel und Ritzen dringt und daher eine viel durchschlagendere Wirkung auf die Gesamtfauna hat als das Sprtihmittel, das *nit seinem groben Raster insbesondere die phytophagen, sch~id- lichen Insekten tr i~. Ich m/Schte hierzu noch einen weiteren wichtigen Grund fiir die relativ ntitzlingsschonende Wirkung der in Bayern durchgefiihrten Spriihmaf~nahmen vom Hubschrauber aus hinzufiigen. Der hier ausgebrachte DDT-Wirkstoff war in Diesel/51 gel~Sst. Wie mikroskopische Untersuchungen zeigten, drangen die feinen DDT- DieselSltr~Spfchen etwas in die Nadelepidermis ein und verloren bereits nach einigen Stunden weitgehend ihre Kontaktgi~wirkung. l'qach dieser Zeit yon uns an die be-. gi~eten Zweige gesetzte Schlupfwespen, auch k!eine eiparasitierende Formen, wurden nicht mehr vergiftet. Das Insektizid wirkte jetzt, mehrere Wochen bis Monate hin- durch, nur noch als Frai~gift auf die nadelfressenden Sch~idlinge. Fiir den Boden und das Grundwasser erscheint die Verwendung yon DieseliS1 yore Hubschrauber aus nicht bedenklich. Inzwischen haben wit bei neueren Grof~bek~impfungsaktionen die DDT- Dosis noch wesentlich - bis auf 0,6 kg/ha in Kiefernw~ildern - verringern k~Snnen. Die Absterbedauer des fressenden Sch~idlings war hierbei etwas l~tnger als bei h/Sherer Dosis, die Vernichtungsquote jedoch die gleiche.

Trotz aller Fortschritte in dieser Richtung ist und bleibt jedoch jede chemische Be- k~impfung mit Breitenwirkung ein grober Eingriff in das biologische Gleichgewicht des Waldes, den man nur im Fall wirklicher Totfrai~gefahr rechtfertigen kann. Wie w~ire aber die Situation zu beurteilen, wenn kiinitig einmal die in die Breite wirken- den, niitzlingsfeindlichen Forstschutzmaf~nahmen durch selektiv wirkende, niitzlings- schonende Verfahren - seien diese chemischer oder biologischer Art - abgel/Sst wtir- den? W~ire damit nicht das Hauptziel des Forstschutzes erreicht? Diese Frage ist mit einem eindeutigen ,Nein" zu beantworten. Bek~impfungsmaf~nahmen gleich welcher Art treffen lediglich Symptome. Oberstes Ziel des Forstschutzes kann aber nut sein, das ~bel der Schiidlingsmassenvermehrungen yon seiner Wurzel her zu beseitigen und den Wald vorbeugend vor solchen Vermehrungen zu schiitzen.

Der wichtigste Weg zu diesem Ziel ist der gradologische, d. h. den Massenwechsel der Forstsch~idlinge betreffende, Standortvergleich oder, wie man auch sagen kann: der auf den Sch~idling bezogene Vergleich geobioz~Snotisch verschiedener Waldbest~inde. Diese Methode beruht auf der alten Erfahrung, dal~ bei der Massenvermehrung eines Forstsch~idlings der Schaden standortweise sehr verschieden ist. Am bekanntesten ist die gr~5t~ere Abwehrkraf~ des Mischbestandes gegen Sch~idlinge im Vergleich zum Reinbestand. So konnte bereits STEINrR (1931) anl~if~lich einer Kiefernspanner-Mas- scnvermehrung in Mecklenburg u. a. zeigen, daf~ die Parasitierung der Spannereier in einem Kiefernreinbestand rund 18 0/% in einem Kiefernbestand mit Fichtenunterbau schon 38 °l~ und in einem Kiefernbestand mit Buchenunterbau sogar 49 °/0 betrug. Die Ursache dieser starken Unterschiede liegt ohne Zweifel darin, dab die Bioz/Snose des Mischwaldes reicher an Zwischenwirten der Parasitenarten ist, wodurch sich die mitt- lere Dichte bestimmter Parasiten - und damit ihre Wirksamkeit - auf h/Sherem Ni- veau als im Reinbestand halten kann. Selbstverst~indlich ist die Eiparasitierung fiir die h/Shere Abwehrkraflc des Mischwaldes nicht allein verantwortlich. Man braucht auch nicht nur den Mischbestand mit dem Reinbestand zu vergleichen, um stand~Srt- fiche Unterschiede im Massenwechsel eines Schiidlings zu entdecken. Jedes yon einem Sch~idling befallene Waldgebiet, auch wenn es aus Reinbest~inden besteht, ist aus sehr verschieden stark be£ressenen Waldstandorten zusammengesetzt. Vergleicht man nun Waldstandorte unterschiedlichen Schadens miteinander, erkennt man stets, dai~ die verschiedenen Schadensstufen sich mit Vegetationsgrenzen decken. Die Abgrenzung

Forstschutz und biologisches Gleichgewicht 97

yon Vegetationseinheiten, also yon Waldtypen, bietet somit die, beste Grundlage fiir eine vergleichende Analyse der Ursachen yon Forstsch~idlings-Vermehrungen.

Unsere bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dai~ sich als Vergleichsbasis die- jenigen Waldvegetationseinheiten am besten eignen, die nach dominanten Pflanzen- arten abgegrenzt wurden und nicht nach Charakterarten. Das ist einleuchtend, da die geobiozSnotische Struktur des Waldes in erster Linie yon den in grof~er Masse vor- kommenden Pflanzenarten, also den Dominanten - an ihrer Spitze wieder yon den B~iumen - bestimmt wird. Daran, dab dominante Pflanzenarten der Strauch- und Krautvegetation den Massenwechsel yon Forstschiidlingen wesentlich mitbesfimmen kSnnen, ~besteht kein Zweifel. Seit liingerem bekannt ist hier z. B., daf~ der Kiefern- spanr~er in Kiefernwaldtypen mit starkem Calluna-Bewuchs eine besonders hohe Pa- rasitierung zeigt, weil der Heidekrautspanner den wichtigsten Zwischen- und Neben- wirt einer Reihe yon Kiefernspanner-Parasiten bildet. Andererseits zeigten unsere Untersuchungen, dat~ in den ~irmsten Flechten-Kiefernwiildern der wichtigste Kiefern- spanner-Parasit, die Schlupfwespe Ichneumon nigritarius L., mangels Zwischen- und Nebenwirten vSllig fehlt.

Von den bisher mit Hilfe der vergleichend-geobiozSnotischen Untersuchungen er- kannten grSi~eren Zusammenh~ingen sei hier nur eine besonders wichtig erscheinende Beziehung zwischen Boden, Baum und Kronensch~idling genannt. Es zeigte sich, dai~ die unterschiedliehe Anf~illigkeit der Waldtypen gegeni~ber bestimmten blatt- und nadelfressenden Sch~idlingen zum wesentlichen Teil auf einer Beziehungskette beruht, die vom N~ihrstoff- und Feuchtigkeitsgehalt des Bodens iiber den Wasser- und N~ihr- stoffhaushalt des Baumes sowie die Ver~inderung des Blattchemismus zur Erniihrung und Vermehrung der blattfressenden Sch~idlinge verl~ui~. Dabei spielt sehr wahr- scheinlich der Zuckergehalt, oder genauer gesagt, das Zucker/Eiweii~-Verhiilmis in den Blattorganen fiir die Ern~ihrung und Vermehrung der betreffenden Sch~idlingsart eine ausschlaggebende Rolle. HSherer Zuckeranteil in den Blattorganen, wie er bei trocke- nero Wetter bzw. auf trockenen, ~irmeren Standorten gegeben ist, bewirkt ein hSheres Gewicht, eine geringere Sterblichkeit sowie eine hShere Weibchenquote des Sch~idlings als ein geringerer Zuckeranteil. Dies konnte sowohl im Freiland (Sc~tw~I,/x~, 1964) als auch im Laboratorium (vor allem mit Hilfe yon Zweigringelungen sowie yon Sch~id- lingszuchten an in ZuckerlSsungen stehenden Zweigen, unverSffentlicht) festgestellt werden. Ein Weg, diese vom Boden zum Sch~idling verlaufende Beziehungskette zu- ungunsten des Sch~idlings zu ver~indern, bietet sich in Form yon D/ingungen an, die den Nahrungswert der Blattorgane fiir den Sch~idling verringern (Sc~tW~NtfE, 1961).

Wieweit die Forstschutzforschung die Ursachen der Sch~/dlingsvermehrungen in unseren Wiildern wird aufkliiren kSnnen und wieweit aus diesen Ergebnissen - und hier beginnt nun die oben erw~ihnte Beratert~itigkeit des Forstschutzes fiir den Wald~ bau - praktische Folgerungen gezogen werden kSnnen, wird die Zukuntt zeigen. Es erscheint ziemlich sicher, dal~ chemische Eingriffe in unsere Wald-GeobiozSnosen nie- reals vSllig entbehrlich sein werden. Ebenso sicher aber ist, dat~ die chemische Be- k~impfung im Walde ihren Umfang verringern und ihre Form ~indern muff. Leider liegen trotz intensiver Bemiihungen praxisreife biologische Beklimpfungsverfahren fiir unseren Forstschutz noch immer nicht vor. Das zeigt, wie schwierig gezielte biologische Eingriffe in das komplexe geobiologische System des W~/ldes sind. Die Bemiihungen um die biologische Bek~mpfung m[issen aber unvermindert fortgesetzt oder sogar noch verst~irkt werden aus doppeltem Grunde: einmal, um durch biologische Ver- fahren wenigstens einen Teil der chemischen Maf~nahmen im Walde zu ersetzen, und zum anderen, um mit dem Angebot praxisreifer biologischer Bek~impfungsmethoden die Vormachtstellung der breitenwirksamen chemischen Pr~iparate zu erschiittern und die chemische Industrie zu zwingen, sich verst~irkt mit der Entwicklung selektiv wir- kender chemischer Bek:,impfungsmittel zu besch~i~igen.

98 F. Franz

Das gemeinsame Bemiihen der Forstwirtschaiter und -wissenscha~ler mug dahin gehen, der st~indigen Zunahme breitenwirksamer Gittanwendungen, die leider nicht nur im Jungwuchsschutz, sondern auch beim Schutz ~ilterer Best~inde zu verzeichnen ist, unbedingt Einhalt zu gebieten. Wenn wir alle zusammen dutch ~iui~erste Zurtick- haltung in der Anwendung breitenwirksamer Mittel unter Inkaufnahme yon Zu- wachsverlusten und n&igenfalls auch des Todfraf~es einzelner St~imme erst einmal die Ausbreitung der chemischen Bekiimpfung in unseren Wiildern gestoppt haben, dann wird die Entwicklung auch bald riickliiufig, d. h. im Sinne einer Stabilisierung der biologischen Waldgleichgewichte verlaufen. Insbesondere mug sich diese Zuriickhaltung auch bei den Privatwaldbesi tzern durchsetzen, die erfahrungsgem~i~ besonders leicht geneigt sind, zur chemischen Waffe zu greifen oder deren Einsatz zu verlangen.

Je weniger wir in den niichsten Jahren die biologischen Gleichgewichte der W~il- der durch chemische Eingriffe st~Sren, um so besser sind die Aussichten, ein der Er- haltung dieser W~ilder glinstiges Gleichgewicht an Forstschutzma~nahmen zu erreichen. Der kiin~ige Forstschutz mug in seinem Umfang etwa gleichbleiben und seinem Cha- rakter nach viel mehr prophylaktisch als therapeutisch sein. Die unbedingt notwendi- gen Bek~impfungen miissen mit biologischen und selektiv wirkenden chemischen Mit- teln erfolgen. Die Erhaltung der biologischen Gleichgewichte unserer Wiilder wird dann gew~ihrleistet sein.

L i t e r a t u r

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Ertragsniveau-Sch~itzverfahren fiir die Fichte an Hand einmalig erhobener Bestandesgr/Jt~en

Von F. FRANZ

Aus dem Institut ]iir Ertragskunde der Forstlichen Forschungsanstalt Miinchen

lnhaltsiibersicht: 1. Einleitung - 2. Ertragsniveau-Bestimmung an Hand yon Wuchsmodellen mit mehrgliedrigem Ertragsniveau - 3. Ertragstafeln mit mehrfach gestuitem Ertragsniveau 4. Informationen iiber das Ertragsniveau - 5. Gesamtwuchsleistung und Ertragsniveau - 6. Prinzip und Methode der Ertragsniveau-Schiitzung - 6.1. Das Schiitzverfahren als Riick-