20
Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes · Österreichischer Zweig Forum für aktive Gewaltfreiheit l Aktive Friedenspolitik l Friedenslobby beim II. Vatikanischen Konzil l Kolumbien Jugenddelegation in Oslo Nr. 1 Mai 2013, 3,- 2537_13_Spinnrad1_13_Umschlag_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Umschlag_wd.qxp 16.05.2013 15:51 Seite 3

Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes · Österreichischer Zweig

Forum für aktiveGewaltfreiheit

l Aktive Friedenspolitik

l Friedenslobby beimII. VatikanischenKonzil

l Kolumbien

Jugenddelegation in Oslo

Nr. 1Mai 2013, € 3,-

2537_13_Spinnrad1_13_Umschlag_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Umschlag_wd.qxp 16.05.2013 15:51 Seite 3

Page 2: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

EdItorIal, ImprEssum, offEnlEgung 2

das Volk Ist bEfragt wordEn... 3von Pete�Hämmerle

umdEnkEn In dEr atomwaffEnfragE - oslo 2013 5von Lucia�Hämmerle

dIE IntErnatIonalE münchnEr frIEdEnskonfErEnz 7von Clemens�Ronnefeldt

frIEdEnslobby bIEm II. VatIkanIschEn konzIl, tEIl 2 8Vortrag von Hildegard�Goss-Mayr im Hausder Begegnung in Innsbruck, 15. Oktober 2012

dEr tag dEs frIEdEns 12von Michaela�Söllinger

solIdarItätsrEIsE nach kolumbIEn 14von Valentina�Duelli

EIn hIstorIschEr sIEg für dIE frIEdEnsgEmEIndE 17von Susana�Pimiento

hErausfordErungEn an dEn ErstEn 19latEInamErIkanIschEn papst

von Adolfo�Pérez�Esquivel

Offenlegung�gemäß�§25�Mediengesetz:�Eigentümer�der�Zeitschrift�SPINN-RAD� ist� zur� Gänze� der� Internationale� Versöhnungsbund,� Ledererg.23/3/27,�1080�Wien.�Im�Vorstand�sind:�Lucia�Hämmerle,�Maria�Hofmann,Erwin�Neumann,�Harold�Otto,�Herbert�Peherstorfer,�Daniela�Pock,�GeorgReitlinger,�Marion�Schreiber,�Karin�Tesarek,�Rebecca�Zeilinger.Grundlegende� Richtung:� Die� Zeitschrift� SPINNRAD� dient� der� Verwirkli-chung�der�Präambel�aus�dem�Selbstverständnis�des�Herausgebers:�“DerInternationale�Versöhnungsbund� ist�eine�Vereinigung�von�Menschen,�diesich�aufgrund�ihres�religiösen�Glaubens�oder�ihrer�humanistischen�Grund-haltungzur�Gewaltfreiheit�als�Lebensweg�und�als�Mittel�persönlicher,�sozia-ler�und�politischer�Veränderung�bekennen.�Auf�der�Grundlage�einer�politi-schen�Spiritualität�und�der�aktiven�Gewaltfreiheit�als�Lebensprinzip�arbei-ten� wir� an� der� umfassenden� persönlichen� und� gesellschaftlichen� Befrei-ung.”

ImprEssum (alle anderen ungültig):Verleger, herausgeber: Internationaler Versöhnungs bund, österreichischer Zweig (IVB)

redaktion: Irmgard Ehrenberger, Pete Hämmerle

adresse: Lederergasse 23/3/27, A - 1080 Wien; Tel./Fax: 01/408 53 32; Email: [email protected]

umschlagdesign: Monika Naskau

layout: Irmgard Ehrenberger, Lucia Hämmerle

hersteller: AV+Astoria Druckzentrum GmbH,Faradaygasse 6, 1030 Wien; Verlagspostamt: 1080 Wien

bankverbindung: PSK, Kto.Nr. 92022553 (BLZ 60000);

BIC: OPSKATWW, IBAN: AT94 6000 0000 9202 2553

preis der Einzelnummer: € 3,-abonnement: € 12,- (Inland), € 15,- (Ausland)für mitglieder des IVb kostenlos!

Der�IVB�ist�ein�Zweig�der�internationalen�gewaltfreien�BewegungInternational�Fellowship�of�Reconciliation�(IFOR).�IFOR�hat�bera-tenden�Status�bei�ECOSOC�und�UNESCO.�IFOR�umfasst�einNetzwerk�von�80�Zweigen�und�Gruppen�auf�allen�Kontinenten.www.ifor-mir.org

Der Internationale Versöhnungsbund isteine Vereinigung von Menschen, diesich aufgrund ihres religiösen Glaubens oder ihrer humanistischen Grundhaltungzur Gewaltfreiheit als Lebensweg und als Mittelpersönlicher, sozialer und politischer Veränderung bekennen.

I n h a l t Liebe Leserinnen und Leser!

Friendensarbeit funktioniert oft nach dem Prinzip„Steter Tropfen höhlt den Stein“. In diesem Sinneschließen einige Artikel in der ersten Ausgabe desSPINNRADs 2013 an jene des letzten Jahres an.

Neben dem zweiten Teil von Hildegard Goss-MayrsVortrag zur Friedenslobby beim II. Vatikanischen Kon-zil berichtet Pete Hämmerle im Artikel „Das Volk istbefragt worden…“ von den neuen Entwicklungen inSachen aktive Friedenspolitik (die dazugehörige Bür-gerInneninitiative kann noch immer hier:http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/BI/BI_00053/index.shtml gelesen und unterstützt werden).

Ansonsten finden sich auf den folgenden Seiten Nach-richten aus aller Welt:

Kolumbien ist immer noch eines unserer Hauptanlie-gen und mit dem Beginn des Einsatzes von MichaelaSöllinger als unserer neuen Freiwilligen vor Ort undeiner erfolgreich abgeschlossenen Solidaritätsreisegibt es hier einiges zu berichten.

Aber auch Überlegungen zur Internationalen Frie-denskonferenz in München (von Clemens Ronnefeldt)und ein Beitrag über die Osloer Konferenz zu denhumanitären Konsequenzen von Atomwaffen sind aufden folgenden Seiten zu finden.

Im Büro arbeiten wir gerade wieder an den Plänen fürweitere Seminare. Der nächste Lehrgang wird imHerbst in Graz stattfinden. Nähere Informationendazu gibt es in Kürze auf der VB Homepage www.ver-soehnungsbund.at und jetzt schon bei Nachfrage imBüro!

Lucia Hämmerle

Wir möchten euch nochmals herzlich zum Austau-schwochenende des Versöhnungsbundes von 30.8.-1.9. 2013 auf der Erentrudisalm in Salzburg einla-den. Kontakt: Cornelia Stanzel, Tel.: 0650/6857123E-Mail: [email protected] bitten euch, den Termin für die Jahrestagung undMitgliederversammlung des Versöhnungsbundes, 15.-17. November in Wien, vorzumerken!

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 2

Page 3: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

3 Spinnrad 1 / 2013

am 20. Jänner 2013 fand inÖsterreich die erste bundes-weite Volksbefragung statt,

in der es um die zukünftige Organi-sationsform des Bundesheeresging. Die Fragestellung auf denStimmzetteln bot lediglich folgendeAlternative an:

0 Sind Sie für die Einführung einesBerufsheeres und eines bezahltenfreiwilligen Sozialjahres?

0 Sind Sie für die Beibehaltung derallgemeinen Wehrpflicht und desZivildienstes?

Rund die Hälfte der Wahlberechtig-ten (52,4 Prozent) nahmen an derBefragung teil, was eine deutlichhöhere Quote als im Vorfeld erwar-tet darstellte. Von diesen Stimmenwaren (immerhin!) 2,5% ungültig,59,7% stimmten für die Beibehal-tung der Wehrpflicht und des Zivil-dienstes, 40,3% sprachen sich fürdie Einführung eines Berufsheeresund eines freiwilligen Sozialjahresaus. Die zu Grunde liegenden Fra-gen, ob Österreich denn überhaupteine Armee braucht und welchenSinn und Zweck diese haben sollte,wurden von vornherein ausgeblen-det, und so beschränkte sich dieöffentliche Diskussion zum Großteilauf die Vor- und Nachteile der bei-den abgefragten Modelle für diezukünftige Organisation desBundesheeres.

Diejenigen pazifistischen und anti-militaristischen Gruppen, die sichnicht auf diese vorgegebene Fra-gestellung mit der Wahl zwischenzwei Übeln beschränken lassenwollten, versuchten zunächst einedritte Fragestellung – „Sind Sie fürdie Abschaffung des Bundesheeresund eine aktive Friedenspolitik?“ –in den Abstimmungstext hinein zu

reklamieren, was sich aber schnellals nicht realisierbar erwies. Des-halb initiierte der österreichischeZweig des Internationalen Versöh-nungsbundes in Zusammenarbeitmit einigen anderen Friedensorga-nisationen eine BürgerInneninitiati-ve an den Nationalrat, die allenUnzufriedenen die Gelegenheit bot,auf niedrigerem, aber doch parla-mentarischem Niveau ihre eigentli-che Meinung einbringen zu kön-nen.(1) Bis zur Volksbefragung hat-ten rund 3400 wahlberechtigteÖsterreicherInnen diese Petitionunterzeichnet. Bei der Behandlungim Petitionsausschuss im Märzwurde ein weiterer Beschluss zurBI vertagt, weil bis dahin lediglichzwei völlig inhaltsleere Stellung-nahmen des Verteidigungs- unddes Innenministeriums eingelangtwaren. Aufgrund der relativ hohenZahl an Zustimmungen wurde vonden Grünen außerdem ein Hearingzur Thematik beantragt, über dasjedoch ebenfalls noch nicht ent-schieden wurde.

Einer der größten Kritikpunkte ander Volksbefragung war, dass sichdie beiden regierenden Koalitions-parteien SPÖ und ÖVP nicht aufeine Form der Heeresorganisationeinigen konnten und aus wahl-kampftaktischen Gründen auf die-ses Mittel der direkten Demokratiezurück griffen. Aus demokratiepoli-tischer Sicht bedenklich war einer-seits, dass das Ergebnis keinenbindenden Charakter hat – auchwenn beide Parteien im Vorfeldversicherten, sich daran zu halten -andererseits wurde die Verknüp-fung verschiedener Frage- undProblemstellungen (Sicherheitspo-litik, Sozialwesen) zu Lasten einereindeutigen Frage nach Abschaf-fung oder Beibehaltung der Wehr-pflicht von vielen Seiten kritisiert

und zum Teil mit einem Boykottauf-ruf quittiert, da diese Form der Mit-beteiligung der BürgerInnen ehereiner Instrumentalisierung für Par-teiinteressen als der Entscheidungin einer Sachfrage diene. Dazukam noch, dass für beide Positio-nen kaum verbindliche inhaltlicheKonzepte und Fakten auf den Tischgelegt wurden, sondern der Wahl-kampf stark über die emotionaleSchiene („Profis sind besser“ –„Unser Sozialwesen bricht ohneZivildiener zusammen und der Ka -ta stropheneinsatz ist ohne Wehr-diener nicht zu garantieren“)geführt wurde.

Auch innerhalb der noch vorhande-nen österreichischen „Friedensbe-wegung“ führte die Fragestellungfür die Volksbefragung zu höchstunterschiedlichen Positionierun-gen. Während die einen prinzipielleKritik an der Beibehaltung des mili-tärischen Paradigmas und an derForm der Entscheidungsfindungübten, sich für eine aktive Frie-denspolitik und die Abschaffungdes Bundesheeres aussprachenund entweder eine ungültige Stim-me empfahlen oder keine Empfeh-lung abgaben, gab es auch Befür-worterInnen für die Wahl des „klei-neren Übels“, das je nach Zu -gangs weise im Berufsheer (v.a.von Seiten derjenigen, die in derAbschaffung der allgemeinenWehrpflicht eine friedenspolitischeChance sahen, wie etwa ehemali-ge Wehrdienstverweigerer) oder inder Wehrpflicht (durch diejenigen,die mit einem reinen Berufsheer dieGefahr von Einsätzen im Rahmender EU oder der NATO und die Auf-gabe der Neutralität höher ein-

Friedenspolitik

Das Volk ist befragt worden….Pete Hämmerle

1)�Der�Text�der�BürgerInneninitiative�istu.a.� auf� der� Homepage� des� Parla-ments�(mit�Unterstützungsmöglichkeit),http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/BI/BI_00053/index.shtml,� oderauf� www.versoehnungsbund.at� sowiehttps://heerabschaffen.wordpress.com/nachzulesen.

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 3

Page 4: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

schätzten) gesehen wurde. Durchden zeitlichen Druck und den gerin-gen Organisationsgrad der Frie-densbewegung in Österreich kames auch kaum zu grundlegendeninhaltlichen Diskussionen oderAbklärungen über möglichegemeinsame Vorgangsweisen.

was ist herausgekommen?wie geht es weiter?

Eine vorsichtig optimistische Inter-pretation des Ergebnisses derVolksbefragung und ihrer Auswir-kungen für die Zukunft könnte zufolgenden Schlüssen führen:

1. Das Votum war ein Erfolg für„das Bewährte“ – Österreich tutsich politisch schwer mit Verände-rungen und notwendigen Reformenund bleibt lieber beim Altbekann-ten, auch wenn dieses offensicht-lich dem Zeitgeist widerspricht. EinIndikator für diese Interpretation istdie Tatsache, dass unter den Älte-ren die Zustimmung zur Wehrpflichtwesentlich stärker als unter denJüngeren (unter 30 Jahren) war. Sobleibt zu erwarten, dass dieselbeDiskussion in ein paar Jahren neu-erlich auf uns zukommen wird –was auch eine neue Chance füreine grundlegendere Debatte eröff-nen könnte!

2. Das Votum wurde durch dienicht-militärischen Themen „Zivil-dienst“ und „Katastrophenschutz“entschieden – die BefürworterIn-nen der Wehrpflicht gaben beiNachwahlbefragungen zu 74% denZivildienst als Entscheidungs-grundlage an, 70% sahen Wehr-und Zivildienst als Beitrag derJugend zum Gemeinwohl, für 63%war der Katastrophenschutz einWahlargument und für 58% dieErhaltung der Neutralität. Diemeistgenannten Gründe von Be -rufs heer-BefürworterInnen warenmit 65%, dass dies zeitgemäß seiund dass die Wehrpflicht jungenMännern unnötige Zeit koste, ge -

folgt von 44%, dass ein Berufsheerbesser für die Sicherheit sei, und36%, die einem Berufsheer mehrKompetenz beim Katastrophen-schutz einräumten. Interessantsind auch die erhobenen Gründefür eine Nichtteilnahme: 56% wa -ren mit keiner der beiden Variantenzufrieden, 20% lehnen das Militärgenerell ab, und je 45% hatten zuwenig Information bzw. den Ein-druck, dass die Befragung nur denParteien diene. Aus diesen Zahlenlassen sich durchaus grundsätzlichmilitärkritische und für alternativePositionen offene Zielgruppen ab -lesen, die bei entsprechender Infor-mations- und Wahlmöglichkeit füreine pazifistische Option zu gewin-nen wären.

3. Das Votum hat sich für einBerufsheer plus Wehrpflicht undZivildienst ausgesprochen – oft ver-schwiegen wurde in der Debatte,dass der Anteil von Berufs- undZeitsoldaten im bestehenden Bun -desheer ungefähr gleich hoch istwie der im Modell der SPÖ vorge-sehene Gesamtrahmen für dasneue Berufsheer insgesamt. Dazukommen noch jährlich rund 22.000Wehrdiener (von denen dzt. etwa60-70% als „Systemerhalter“ einge-setzt werden) und 12.000 Zivildie-ner, die als billige Arbeitskräfte imRettungs- und Sozialbereich arbei-ten (müssen). Hier hätte der Vor-schlag des freiwilligen bezahltenSo zialjahres (sowie zusätzlicheines wirklich attraktiven Freiwilli-gendienstes) durchaus für positivesozial- wie friedenspolitische Impul-se sorgen können. Stattdessen leg-te die ÖVP inzwischen ihr „Konzeptfür eine Attraktivierung des Grund-wehrdienstes“ vor, das in einer koa-litionären Arbeitsgruppe nun ver-handelt und vom neuen Verteidi-gungsminister umgesetzt werdensoll. Die Frage darf weiterhin ge -stellt werden, ob ein unangemes-senes Konzept einer Wehrpflicht-Armee unter den besonderenBedingungen österreichisch-politi-

scher Realität überhaupt in irgend-einer Weise reformierbar ist…

Spinnrad 1 / 20134

Friedenspolitik

Thomas Roithner, JohannFrank, Eva Huber (Hg.):

wieviel sicherheit braucht derfriede? zivile und militärischenäherungen zur österreichi-schen sicherheitsstrategie.

lIt-Verlag, 2013.

Auf Grundlage eines ExpertIn-nenworkshops 2012 auf der Frie-densburg Schlaining sowie einesvorangegangenen Diskussions-prozesses über die österreichi-sche Sicherheitsstrategie, einAuslandseinsatzkonzept sowieden strategischen Leitfaden„Sicherheit und Entwicklung“ istdieser Band im Umfeld der Volks-befragung zum Bundesheer imJänner 2013 erschienen. Darinwerden die Fragen gestellt undaus verschiedenen Blickwinkelnteilweise beantwortet, die eigent-lich im Zuge der Volksbefragungdiskutiert gehört hätten, um zueiner fundierten Entscheidungüber Sinn und Aufgaben einesösterreichischen Bundesheereszu gelangen. Das Spektrum derBeiträge reicht von kritischen Arti-keln zum „umfassenden, vorherr-schenden Sicherheitsbegriff“ überpazifistische bzw. antimilitaristi-sche Ansätze bis zur Darstellungmöglicher, spezifisch österreichi-scher Beiträge zur europäischenund globalen Sicherheit – militäri-scher und/oder ziviler Natur. Die-se Bandbreite ermöglicht einenguten ersten Überblick über diegegenwärtige österreichischeSicherheitspolitik und könnte zueiner vertieften Diskussion überein Thema beitragen, das norma-ler Weise in der politischen Aus-einandersetzung kaum eine Rollespielt.

Pete Hämmerle

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 4

Page 5: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

4. Die Erhaltung der „Neutralität“war ein wichtiger Grund für dieWehrpflicht zu stimmen – auchwenn eine aktive Friedens- undNeutralitätspolitik eine Frage despolitischen Willens und nicht derWehrform ist und im Zuge derVolksbefragung auch kaum öffent-lich diskutiert wurde, gibt es dochein grundsätzliches Misstrauen derBevölkerung gegen die Beteiligungan Kriegseinsätzen im Ausland.

5. Keine herausragende Rolle fürdie Wahlentscheidung spielten dieParteipräferenzen und die Medien-kampagnen, was darauf hindeutet,dass für die Bevölkerung sehr wohldie Sache im Vordergrund stand –allerdings wie gesagt in einer sehreingeschränkten Betrachtungs-weise und mit diversen Ängstenund persönlichen Betroffenheitenverknüpft.

Nicht wirklich diskutiert wurde überSicherheitspolitik, über die RolleÖsterreichs als neutraler Staat ineiner EU, die sich schrittweise aufeine Gemeinsame Sicherheits- undVerteidigungspolitik zubewegt,über die Frage, was und wie dienicht-wehrpflichtige Bevölkerung(also v.a. Frauen) beitragen sollenoder nicht, und welche Alternativenim Sinne einer aktiven, zivilen undgewaltfreien Friedenspolitik ein„Modell Österreich in Europa“ denntatsächlich verwirklichen könnte.

Wenn es den Friedensbewegten inden nächsten Jahren gelingt, dielatent vorhandenen militärkriti-schen Potentiale vermehrt anzu-sprechen, alte und neue Bündnis-partnerInnen zu finden und einigeBeispiele einer aktiven Friedenspo-litik (wie z.B. Friedensdienste) insöffentliche Bewusstsein zu rückenund ansatzweise umzusetzen,wäre es bei der nächsten Diskus-sion zum Thema Sicherheit zumin-dest möglich, die richtigen Fragenzu stellen.

norwegen ist seit Jahreneines jener Länder, die sichmit Bezug auf den UN-

Nichtweiterverbreitungsvertrag vonAtom waffen für eine atomwaffen-freie Welt einsetzen. Zu diesenLändern zählen u.a. auch Chile,Costa Rica, Mexiko, Südafrika, Ir -land, die Schweiz und Österreich.Zu der Konferenz, die am 4. und 5.März in Oslo stattfand und derenTitel „Die�humanitären�Konsequen-zen� von� Atomwaffen“ war, warenneben VertreterInnen von Staatenund der Zivilgesellschaft auch Hilfs-organisationen und Nichtregie-rungsorganisationen mit Bezug zurAb schaffung und Erforschung derKonsequenzen von Atomwaffenbzw. deren Einsatz geladen. Einer-seits und vordergründig ging es inden Vorträgen und Diskussionenum Aufklärung und Information. DieFrage danach, welche Konsequen-zen ein Atomwaffenangriff auf Men-schen hat, welche Kapazitäten esbrauchte, um Verwundete zu pfle-gen (und ob diese, da sie, wie dasInternationale Rote Kreuz beteuert,nicht vorhanden sind, überhauptgeschaffen werden können), wel-chen Einfluss eine gezündeteAtombombe auf Umwelt und Klimahat, und wie groß ein betroffenesGebiet wäre, kann ganz wissen-schaftlich und anhand von jüngerenStudien beantwortet werden und istfür jeden Staat wohl prinzipiell vonInteresse.

Dass trotzdem keine VertreterInnender fünf offiziellen Atomwaffenstaa-ten (China, Großbritannien, Frank-reich, Russland und die USA) ander norwegischen Konferenz teil-nahmen, liegt vermutlich am zwei-

ten, nicht unbedingt explizitgemachten Zweck der Konferenz.Diese andere Seite hat nämlicheinen durchaus politisch motivier-ten Charakter. Schon seit einigenJahren geht es Staaten wie Nor-wegen darum, die Beschränktheitdes Diskurses aufzubrechen unddie Frage nach der Existenz vonAtomwaffen aus einer rein sicher-heitspolitisch motivierten Debatteherauszuholen. Die Thematisie-rung der Auswirkungen auf die kon-kreten Lebensbedingungen derMenschen ist ein erster, rechtbedeutender Schritt in diese Rich-tung und eine Bedrohung für diefaktische Politik der offiziellen undinoffiziellen Atomwaffenstaaten.Sobald es nicht mehr möglich ist,ausschließlich in abstrakten Strate-gieüberlegungen über Atomwaffenzu sprechen, wird jeder Verteidi-gungsplan, der die Verwendungeiner solchen Waffe nicht aus-schließt, als unmögliche Optionüberführt. Lässt man zu, dass einBewusstsein dafür entsteht, wel-cher Horror in jeder einzelnen

Friedenspolitik

5 Spinnrad 1 / 2013

Umdenken in der

Atomwaffenfrage – Oslo 2013

Lucia Hämmerle

dr. terumi tanaka, überlebenderdes atombombenabwurfs auf naga-saki und generalsekretär der JapanConfederation of A-H Bomb Suffe-rers Organizations, kam auch zurkonferenz.

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 5

Page 6: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

6 Spinnrad 1 / 2013

Atombombe steckt, hat daszwangsläufig Einfluss auf jede Ent-scheidung – Erneuerung, Weiter-entwicklung oder Abrüstung – undjeden Diskurs. Und darum ist die-ses Bewusstsein auch so wichtig.

Der Einsatz Norwegens und ande-rer engagierter Länder ist bedeu-tend für die Fortschritte in derAtomwaffenfrage und diese politi-schen Entwicklungen sind zu be -grüßen und zu unterstützen. DerDebatte rund um die Thematik fehltjedoch normalerweise – wenn nichtgerade Nordkorea für Schlagzeilensorgt – die mediale Aufmerksam-keit und die Hilfe der breiten Zivil-gesellschaft. Dabei geht uns dieFrage doch alle etwas an, da uns jaauch die Auswirkungen einesAtom bombenangriffs alle betreffenwürden.

Das Netzwerk „Ban� All� Nukesgeneration“ hat sich nicht nur zurAufgabe gemacht durch Aufklärungund direkte Aktionen die Atomwaf-fenproblematik öffentlichkeitswirk-sam aufzubereiten, sondern orga-nisiert aus diesem Grund auchimmer wieder Jugenddelegationenzu wichtigen Konferenzen, wiejener zum Nichtweiterverbreitungs-vertrag von Atomwaffen. Zur Konfe-renz zu den humanitären Folgenvon Atomwaffen nach Oslo fuhrenüber 30 junge Menschen aus aller

Welt, die einerseits selbst ein bes-seres Verständnis für die Thematikentwickeln wollten und anderer-seits einen Beitrag zur Unterstüt-zung der von der norwegischenKonferenz angeregten Richtungs-änderung leisten wollten.

Um möglichst umfassend arbeitenzu können, gab es in den erstenzwei Tagen der einwöchigen Lern-und Aktionswoche nicht nur Work -shops zu Atomwaffen im Allgemei-nen, sondern auch zur Erarbeitungvon Kampagnen, der Durchführungdi rekter gewaltfreier Aktionen undder Kommunikation mit Medien undDi plomatInnen. Das Wochenendevor der offiziellen Konferenz standdann im Zeichen des ICAN (Inter-national Campaign to Abolish Nu -clear Weapons) Civil�Society�Sum-mits, einer Plattform, die Vertreter -Innen von NGOs ebenfalls den Zu -gang zu den neuesten wissen-schaftlichen Erkenntnissen ermög-lichte und Best-pratice-Beispielevergangener Kampagnen beleuch-tete.

Die Konferenz am 4. und 5. Märzwar nicht öffentlich, jedoch wurdedie Gelegenheit genutzt, die positi-ven Entwicklungen der letzten Zeitzu unterstützen. So erwartete dieeintreffenden VertreterInnen einEmpfangskomitee - „Thank�you�forcaring!“ (siehe Bild) und in einzel-nen Gesprächen mit den Diplomat -

Innen ging es immer wieder nichtnur darum, welche Anliegen an Re -gierungen und Staaten herangetra-gen werden, sondern auch, wiejunge Menschen den Prozess hinzu einer atomwaffenfreien Weltunterstützen können.

Wichtig wäre ein breites öffentli-ches Bewusstsein. Wichtig wäreein breites öffentliches Interesse.Wichtig wäre es, möglichst vielenMenschen von Oslo zu erzählen.Die Fortschritte, die durch den Be -ginn des Umdenkens in der Atom-waffenfrage gemacht wurden unddie auf der Nachfolgekonferenz zuhumanitären Folgen in Mexiko hof-fentlich weiter gefördert werden,dürfen nicht aufgrund einer einseiti-gen, allein auf die „Gefahr Nordko-rea“ bezogenen Berichterstattung,unt er den Teppich fallen.

Es gilt, den Prozess weiterhin zuverfolgen, Ergebnisse an die Öf -fentlichkeit zu tragen und langsamden Druck auf die DiplomatInnenzu erhöhen. Und darum sind auchweitere Projekte der jungen Oslo-Delegierten in Planung.

Für� den� Internationalen� Versöh-nungsbund,�österreichischer�Zweignahmen Irma Halilovic,� LuciaHämmerle und�Bettina Schieraus(Mitorganisatorin)� an� der� Jugend-delegation�nach�Oslo�teil.

Friedenspolitik

Vorbereitungsworkshop für diestraßenaktion

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 6

Page 7: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

an jedem ersten Wochenen-de im Februar treffen sich inMünchen Außen- und Ver-

teidigungsministerInnen sowie imBereich Außenpolitik tätige Politi -kerInnen und IndustrievertreterIn-nen zur "Münchner Sicherheitskon-ferenz", die zuvor "Wehrkundeta-gung" hieß.

Weil es bei dieser hochrangigenKonferenz zumeist um Militärpla-nungen und einen Sicherheitsbe-griff geht, der auf Gewalt und derenEinsatz basiert, formierte sich baldzivilgesellschaftlicher Protest ge-gen diese Tagung.

Friedensbewegte aus verschiede-nen Organisationen schlossen sichzusammen und stellten Planungenfür eine alternative Friedenskonfe-renz vor, auf der hochkarätige Re -ferentinnen und Referenten ihre zi -vilen Konzepte zur gewaltfreien Lö -sung zwischenstaatlicher Konfliktevorstellen.

Zu diesem Trägerkreis der "Interna-tionalen Münchner Friedenskonfe-renz" gehören heute folgendeOrganisationen: Deutsche Frie-densgesellschaft - VereinigteKriegs dienstgegnerInnen, LV Bay-ern, pax christi im Erzbistum Mün-chen/Freising, Internationaler Ver-söhnungsbund, Deutscher Zweige.V., NaturwissenschaftlerInnenini-tiative Verantwortung für Friedenund Zukunftsfähigkeit, NetzwerkFriedenssteuer Region Bayern,Projektgruppe „Münchner Sicher-heitskonferenz verändern“ e.V.,Kreisjugendring München Stadt,Netzwerk gewaltfreie Kommunika-tion München e.V..

Im Jahre 2003 fand die erste Inter-nationale Münchner Friedenskon-

ferenz kurz vor der Irak-Invasionstatt, die diesjährigen Konferenzfand während der Mali-Invasionstatt, die schon jetzt weit über dieGrenzen Malis hinaus eskaliert.

In diesen vergangenen zehn Jah-ren zeigten Referentinnen und Re -ferenten immer wieder, dass Ge -waltfreiheit eine große Kraft besitzt,auch Unrechtssysteme zu überwin-den. Professor Johan�Galtung be -richtete von seinen unermüdlichenBemühungen in vielen internationa-len Konflikten und darüber, wie erdurch kreative Lösungsvorschlägein gemeinsamer Suche mit denKonfliktbeteiligten zu Deeskalatio-nen beitragen konnte. In Mittelame-rika konnte z.B. ein jahrelangerGrenzstreit dadurch beigelegt wer-den, dass sich die beteiligten Staa-ten auf einen binationalen, von bei-den Seiten gemeinsam genutztenNaturpark einigen konnten.

Die Friedensorganisation St. Egidiostellte ihre Pendeldiplomatie zwi-schen den Konfliktparteien vor, diezur Beendigung des Bürgerkriegesin Mosambik führte.

Der frühere Außenminister vonCosta Rica und aktuelle Botschaf-ter seines Landes in Deutschlandreferierte, warum sein Land seitdem Zweiten Weltkrieg auf Militärkomplett verzichtet hat und da -durch finanzielle und personelleRessourcen für Schulbildung undSozialprogramme frei hatte, dieCosta Rica zu internationalem An -sehen als "Schweiz Mittelamerikas"verhalfen.

Der Gründer des alternativen No -belpreises, Jakob�von�Uexküll, be -richtete, warum es wichtig ist, ne -ben dem offiziellen Friedensnobel-

preis, der zuweilen an fragwürdigeTrägerInnen wie den tödliche Droh-nen befehlenden US-PräsidentenBarack Obama oder die gewaltigeRüstungsmengen exportierendeEuropäische Union vergeben wird,einen alternativen Nobelpreis zuverleihen. Friedenstifterinnen undFriedensstifter, die sich oft untergroßen persönlichen Entbehrungenund Bedrohungen für Gerechtigkeitund Frieden einsetzen, bekommenso ein größeres Gewicht und inter-national stärkere Beachtung fürihre Bemühungen, manchmalschützt die Auszeichnung vor Ver-haftung oder Ermordung.

In diesem Jahr referierte der Grün-der der Humanistischen Partei Chi-les, Thomas� Hirsch, über gewalt-freien Widerstand in Chile seit denTagen, als Präsident Allende, vonder CIA unterstützt, aus dem Amtentfernt und durch den DiktatorPinochet ersetzt wurde. Zuletzt tratThomas Hirsch als Präsident-schaftskandidat eines breiten lin-ken Bündnisses an, das auf dieKraft der Gewaltfreiheit setzt.

Franz�Alt, Journalist, TV-Moderatorund Buchautor, dessen Büchermehr als zwei Millionen mal ver-kauft wurden, zeigte in diesem Jahrim Konferenzsaal "Altes Rathaus"vor mehr als 300 Interessierten auf,warum es zu erneuerbaren Ener-gien keine Alternative gibt, wennwir nicht weiter Kriege um Öl undGas führen wollen. "Die� Sonneschickt� uns� keine�Rechnung", lau-tete seine Botschaft.

Hanne�Margret�Birckenbach lehrt inDeutschland Friedensforschungund zeigte in einem übergreifendenReferat auf, wie sich Streben nachSicherheit und Streben nach Frie-

7 Spinnrad 1 / 2013

Friedenspolitik

Die Internationale Münchner Friedenskonferenz

Clemens Ronnefeldt

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 7

Page 8: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

den meist gegenseitig ausschlie-ßen - und welche Voraussetzungennotwendig sind, um zu konstrukti-ven dauerhaften zivilen Lösungenund zu Versöhnung zu gelangen.

Neben diesem "InternationalenForum" mit Gästen aus aller Weltgibt es im Rahmen der Internatio-nalen Münchner Friedenskonfe-renz noch über mehrere Tagegestreckt zahlreiche andere Veran-staltungen wie Workshops, eine"Aktuelle Runde" und ein interreligi-öses Friedensgebet mit Vertreterin-nen und Vertretern verschiedensterReligionen.

Da Österreich - vor allem Städtewie Salzburg und Linz - geogra-phisch recht nahe bei Münchenliegt, kommen immer wieder auchGäste aus unserem Nachbarland -und vielleicht zukünftig auch vomösterreichischen Zweig des Inter-nationalen Versöhnungsbundes.

Clemens Ronnefeldt ist�seit�1992Referent� für� Friedensfragen� beimdeutschen�Zweig�des�Internationa-len�Versöhnungsbundes,�seit�2005Moderator� des� Internationalen� Fo�-rums� im�Rahmen�der� Internationa-len�Münchner�Friedenskonferenz

oktober/november 1963: zweite konzilsperiode

Im Juni 1963 starb Papst Johan-nes. Sein Nachfolger, Papst PaulVI., trat für die Weiterführung desKonzils in den angebahnten Linienein. Während dieser Sitzungsperio-de wurde die Frage Krieg und Frie-den nicht behandelt, doch unterLeitung von Kardinal�Suenens undMsgr.� Philips als Sekretär wurdedas Grundkonzept für das Schema17 (bzw. 13) vorbereitet. Hiefür tra-fen nun auch für die Friedensfragevermehrt Vorschläge ein. Eine Lob-by-Gruppe aus den USA um Kardi-nal�Spellman drängte die Bischöfedazu, die Theologie des sog.„gerechten Krieges“ neu festzu-schreiben; andere Vorschlägebezogen sich auf das Verbot derMassenvernichtungswaffen und dieNotwendigkeit, internationale Insti-tutionen zur Streitschlichtung ein-zusetzen. Auf unser Anliegen, dieGrundlegung der Friedenstheolo-gie in der Gewaltfreiheit Jesu auf-zuzeigen, ging man nicht ein. Des-halb wagten wir es, Msgr. Philipszu fragen, ob wir ihm hiezu einenkurzen, prägnanten Text in derSprache des Konzils (Latein) zumEinstieg in die Friedensfrage imSchema 17 anbieten dürften. Erstimmte zu.

Nun standen wir am Höhepunktunserer Arbeit: Es galt, namhafteKonzilstheologen dafür zu gewin-nen, mit uns diesen Text zu formu-lieren. Am 1. November, dem Aller-heiligentag, fanden sich Karl� Rah-ner SJ, Yves�Congar�OP, und Bern-

hard�Häring, drei eminente Konzils-theologen, in unserem kleinen Büroin der Via Rasella zu einer für uns„historischen“ Sitzung ein. Trotzungeheurer Arbeitslast nahmen siesich an diesem Feiertag Zeit undformulierten mit uns den Text mitdem Titel: Positiones�de�pace�chri-stiana� ad� schema� 17. Wir sindihnen dafür zu großem Dank ver-pflichtet, zeigte es doch auch, dassdie Friedensfrage für sie zu einemernsten Anliegen geworden war.Bei dem Text geht es vor allem umdie biblische Grundlegung deschristlichen Friedenskonzeptes; erverurteilt aber gleichfalls Gewaltund Krieg und begründet dasRecht auf Kriegsdienstverweige-rung aus Gewissensgründen. Ob -gleich das Schema 13 achtmal um -gearbeitet wurde, finden sich in derbiblischen Einführung in das Kapi-tel 5 von Gaudium� et� spes „Überden Frieden“ wesentliche Teile die-ses Textes.

Um diesem Text so viel Gewicht zuverleihen, dass er in das Schemaaufgenommen würde, beschlossenwir, Unterschriften von Konzilsvä-tern aus allen Kontinenten zu sam-meln. Kardinal König erklärte sich

8 Spinnrad 1 / 2013

konzil

Friedenslobby beim

II. Vatikanischen KonzilVortrag von Hildegard Goss- Mayr im Haus der Begegnung

in Innsbruck, 15. Oktober 2012, Teil 2

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 8

Page 9: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

bereit, den Text offiziell einzurei-chen. Auf diesem Weg hatten wirnoch einmal Kontakt mit zahlrei-chen Konzilsvätern, vor allem auchmit Maximos�IV, dem melchitischenPatriarchen, einem weisen, durchdie Leiden des Nahen Ostens ge -reiften Mann, der Feindesliebeauch den Muslimen gegenüber be -zeugte.

herbst 1965,vierte konzilsperiode:

ringen um die friedensfrage

Endlich war es so weit: Kapitel 5der „Pastoralkonstitution über dieKirche in der Welt von heute“ (Gau-dium et spes) mit dem Titel „DieFörderung� des� Friedens� und� derAufbau� der� Völkergemeinschaft“wurde in der Aula diskutiert. Unse-re Friedenslobby hatte sich durchTeilnehmerInnen aus den USA wieDorothy�Day von Catholic Worker,Prof. Gordon� Zahn, der erste Jä -gerstätterbiograph, und aus Frank-reich durch Mitglieder der Gemein-schaft der Arche von Lanza� delVasto, einem bekannten Gandhi-Schüler, stark vergrößert. Allewaren bemüht, durch Gesprächeund Textformulierungen den Kon-zilsvätern zur Seite zu stehen.

Doch auch die Gegenlobby ausden USA, die für die Bekräftigungdes „gerechten Krieges“ und füratomare Abschreckung eintrat, in -ten sivierte ihren Einsatz. Es warein hartes Ringen.

Uns lag daran, die Dramatik desRingens um Leben oder Tod derMenschheit in ihrer spirituellen Tie-fe aufzuzeigen. Deshalb beschlos-sen wir, in Nachfolge des WortesJesu - „diese Dämonen können nurdurch Fasten und Gebet ausgetrie-ben werden“ - ein internationales10-tägiges Fasten von 20 Frauen.Es wurde von Jean Goss und JoPyronnet aus der Gemeinschaft derArche organisiert. Aus Österreichbeteiligte sich die Schriftstellerin

Erika� Mitterer. In neun weiterenLändern wurde es von Fastendenbegleitet, darunter von dem Trappi-stenmönch Thomas�Merton.

Am 9. Oktober, dem letzten Tag derDiskussion zur Frage Krieg undFrieden, ergriff Msgr. Boillon,Bischof von Verdun, in dessen Diö-zese während des Ersten Welt-kriegs eine Million Menschen umsLeben gekommen waren, im Na -men von 70 Bischöfen in der Auladas Wort und informierte das Kon-zil von dem Fasten: „...Sanftmut�aufinternationaler�Ebene�bedeutet,�dieGewalt�der�Waffen�absolut�zurück-zuweisen.� Von� dieser� Wahrheitgeben� diejenigen� Zeugnis,� die� diegewaltfreie� Aktion� aufbauen� undsie�mit�Mut�und�unter�Opfern�prak-tizieren.� ...� Und� da� wir� über� denKrieg� sprechen,� möchte� ich� Sieinformieren,�dass�sich�hier� in�Rom20� � Frauen� zu� Fasten� und� Gebetzu�sam�men�geschlossen�haben,�da�-mit�der�Heilige�Geist�uns�erleuchte.Gestatten� Sie� mir,� diesen� Frauendas�Wort�zu�geben.“ Darauf verlaser den Text, in dem es heißt: „..WirMütter� und� Beschützerinnen� desLebens�wollen�an�dieser�schicksal-haften� Entscheidung� teilhaben,indem� wir� zehn� Tage� fasten� undbeten� ...� und� schreien� zu� Gott,� ermöge�den�Konzilsvätern�die�evan-geliumsgemäßen�Lösungen�einge-ben,�die�die�Welt�erwartet.“

Es war das einzige Mal, dass einerStimme von außen in der Aula Ge -hör geschenkt wurde.

die friedensbotschaftdes konzils

Pastoralkonstitution:� Die� Kirche� inder�Welt� von� heute� –�Gaudium� etspes, Kapitel�5:�Die�Förderung�desFriedens� und� der�Aufbau� der� Völ-kergemeinschaft

Zweifellos blieben die Aussagenhinter den Erwartungen engagierterChristInnen wie jenen der Weltbe-

völkerung zurück. Doch waren derWeltepiskopat und seine Theolo-gen erstmals gezwungen, sichnicht nur mit der Frage Krieg undFrieden, sondern darüber hinausgrundsätzlich mit Gewaltbewälti-gung, Entfeindung und Versöhnungaus der Perspektive des Evangeli-ums auseinanderzusetzen. Eineneue Sicht, ein neuer Prozess wur-den angestoßen.

positive aspekte: grundlegungdes friedens im Evangelium

§78 Vom�Wesen�des�Friedens�ent-hält wesentliche Teile unserer letz-ten Eingabe:

„Der�irdische�Friede,�der�seinen�Ur�-sprung�in�der�Liebe�zum�Nächstenhat,� ist� aber� auch�Abbild� und�Wir-kung� des� Friedens,� den� Christusgebracht�hat�und�der�von�Gott�demVater� ausgeht.� Dieser� menschge-wordene�Sohn�...�hat�nämlich�durchsein�Kreuz�alle�Menschen�mit�Gottversöhnt� und� die� Einheit� aller� ineinem�Volk�und�einem�Leib�wieder-hergestellt.�Er�hat�den�Hass�an�sei-nem� eigenen� Leib� getötet,� und,durch� seine� Auferstehung� erhöht,hat� er� den� Geist� der� Liebe� in� dieHerzen� der� Menschen� ausgegos-sen.“

Anschließend wird die Nachfolgeder Gewaltfreiheit Jesu offiziell ge -lobt und ermutigt:

“Vom� gleichen�Geist� bewegt,� kön-nen� wir� denen� unsere� Anerken-nung� nicht� versagen,� die� bei� derWahrung� ihrer� Rechte� darauf� ver-zichten,�Gewalt� anzuwenden,� sichvielmehr� auf� Verteidigungsmittelbe�schränken,�so�wie�sie�auch�denSchwächeren� zur� Verfügung� ste-hen,�vorausgesetzt,�dass�dies�ohneVerletzung� der� Rechte� und� Pflich-ten�anderer�oder�der�Gemeinschaftmöglich�ist.“

§79 lobt die Verweigerung unge-rechter und unmoralischer Geset-

9 Spinnrad 1 / 2013

konzil

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 9

Page 10: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

ze: „Blinder�Gerhorsam�kann�dieje-nigen� nicht� entschuldigen,� dieihnen� nachkommen� ...� HöchstesLob�verdient�dagegen�der�Mut�de�-rer,� die� sich� solchen� Gesetzenoffen� zu� widersetzen� wagen.“Dabei wird auch der Zusammen-hang mit Wehrdienstverweigerunghergestellt und die Regierungenwer den aufgefordert, sie durch Ge -setze zu schützen: „Ferner� er�-scheint�es�angebracht,�dass�Geset-ze� in� humaner�Weise� für� die� Vor-sorge� treffen,� die� aus� Gewissens-gründen� den� Wehrdienst� verwei-gern,� vorausgesetzt,� dass� sie� zueiner� anderen� Form� des� Dienstesan�der�menschlichen�Gemeinschaftbereit�sind.“

Karl Rahner meinte, dass dies inder gegebenen Situation dasHöchst maß dessen war, was überGewaltfreiheit ausgesagt werdenkonnte (Karl Rahner/Herbert Vor-grimmler, Kleines Konzilskompen-dium, Herder, Freiburg, 1966, S.443). Erzbischof Roberts brachte indiese Debatte den Fall Jägerstätterein. Ich selbst bin überzeugt, dassdas Konzil durch diese Entschlie-ßungen zumindest einen Schrittaus der konstantinischen Bindungvon Kirche und Staat getan hat, diesich in der Kirchengeschichte soverheerend als Verrat am Evange-lium erwiesen hat.

In der Folge spiegeln die §79-81die heftigen Auseinandersetzungenüber den modernen Krieg, denKrieg an sich, über Rüstung undAbschreckung wider.

Verteidigungskrieg: Am Ende des§79 wird jedoch neuerlich für denFall, dass alle Möglichkeiten einerfriedlichen Regelung erschöpftsind, das Recht (nicht die Pflicht,wie Karl Rahner ausdrücklich fest-stellt, ibid. S. 444) einer Regierungauf sittlich erlaubte Verteidigungnicht abgesprochen. In der Debattestanden sich BefürworterInnen desbegrenzten Verteidigungskrieges

und dessen Gegnern, die die totaleVerwerfung des Krieges forderten,gegenüber. Mehrere Konzilsväterhaben den Krieg an sich eindeutigverurteilt. So auch Kardinal Ottavia-ni: “Mehrere� Konzilsväter� habengesagt,�dass�der�Krieg�völlig�zu�ver-urteilen�sei.�Ich�stimme�dieser�Mei-nung�vollkommen�zu.�Ich�wünschtedas�Schema�spräche� viel� ausführ-licher� von� den� Mitteln� und� Initiati-ven� zur� Förderung� der� Erhaltungdes� Friedens� ...� Man� muss� denWert� und� die� Bedeutung� der�Waf-fen�der�Gerechtigkeit�und�der�Liebeaufzeigen.“ Und Kard. Martin vonRouen/Frankreich: „Die�Unterschei-dungen� zwischen� Defensiv-� undOffensivkrieg,� zwischen� ge�rech�tenund�ungerechten�Kriegen�sind�heu-te� überholt.� Es� ist� notwendiggeworden,� den� Krieg,� gleichgültigwelcher�Art,� �als�Mittel�zur�Lö�sunginternationaler� Probleme� zu� verur-teilen...“

Verurteilung des totalen Krieges:Trotz der massiven Kampagne ge -gen die Verurteilung des modernenKrieges und für die Beibehaltungder nuklearen Abschreckung wird in§80 der totale Krieg eindeutig undmit Entschiedenheit verurteilt:„Deshalb�macht� sich� diese�HeiligeSynode�die�Verurteilung�des�totalenKrieges,� wie� sie� schon� von� denletzten� Päpsten� ausgesprochenwurde,� zu� eigen� und� erklärt:� JedeKriegshandlung,� die� auf� die� Ver-nichtung�ganzer�Städte�oder�weiterGebiete� und� ihrer� Bevölkerungunterschiedslos� abstellt,� � ist� einVer�brechen�gegen�Gott�und�gegenden� Menschen,� das� fest� und� ent-schieden� zu� verwerfen� ist.“ In die-sem Zusammenhang wird auch derRüstungswettlauf mit seinen dra-matischen Konsequenzen für dieWeltbevölkerung als eine derschrecklichsten Wunden derMensch heit bezeichnet.

Über die Abschreckung: Hatteeine frühere Fassung des Textesvon §81 den bloßen Besitz moder-

ner, wissenschaftlicher Waffen(ABC-Waffen) zur Abschreckungver urteilt (s. Rahner/Vorgrimler S.445), so erreichte die Spellman-Gruppe hier einen Teilerfolg, indemes nur zu der vagen Formulierungkam, dass das Gleichgewicht desSchreck ens in keiner Weise Frie-den genannt werden kann. Die For-mulierung blieb hinter der Be -stimmtheit der Enzyklika „Pacem interris“ zurück, die besagt: “Derwahre� �und�dauernde�Friede�unterden�Nationen�beruht�nicht�auf�demGleichgewicht�der�Waffen,�sondernausschließlich� auf� gegenseitigemVertrauen.“�

Das Konzil war nicht reif, Herstel-lung und Besitz von Nuklearwaffenzum Zweck der Abschreckung ein-deutig zu verurteilen. Der Text lässtden moralischen Aspekt der Frageoffen und gibt daher weder enga-gierten ChristInnen an der Basisnoch PolitikerInnen Orientierung fürihr Handeln. Die Ereignisse der„Wen de“ und die Beendigung desKalten Krieges haben diese Situa-tion überholt. Doch die tödliche Be -drohung der Menschheit durch diegelagerten ABC-Waffen und neueWaffensysteme ist weiter von höch-ster Aktualität. Ein starkes Engage-ment für Abrüstung ist heute - 50Jahre danach - mehr denn je gefor-dert.

Innere wandlung

Am Ende des Abschnitts 81 wirdnoch einmal deutlich gemacht, waswie ein roter Faden das ganzeKapitel 5 durchzieht: Ein ganz neu-er Blick muss für die Frage der Ge -waltbewältigung und Versöhnungs-arbeit gewonnen werden: “NeueWege,�von�einer�inneren�Wandlungaus� beginnend,� müssen� gewähltwerden� ...� um� die� Welt� von� derdrückenden� Angst� zu� befreien...Gewarnt� vor� Katastrophen� ...� wol-len�wir�die�Frist,�die�uns�noch�vonoben� gewährt� wurde,� nützen,� ummit� geschärftem� Verantwortungs-

10 Spinnrad 1 / 2013

konzil

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 10

Page 11: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

bewusstsein� Methoden� zu� finden,unsere� Meinungsverschiedenhei-ten� auf� eine�Art� und�Weise� zu� lö�-sen,�die�des�Menschen�würdig�ist.“Damit ist die Forderung nach Um -kehr zu den spirituellen, evangeli-schen Wurzeln der Friedensarbeit,die uns so sehr am Herzen liegt,neu gestellt.

In den folgenden Abschnitten wer-den Schritte genannt, die zu unter-nehmen sind, um der absolutenÄchtung des Krieges näherzukom-men. Dazu zählen: die Errichtungeiner von allen anerkannten Welt-autorität, die Überwindung des na -tionalen Egoismus und der Herr-schaft über andere Staaten, die Er -richtung spezifischer Institutionenfür Friedensinitiativen und Versöh-nungsarbeit. Besondere Bedeu-tung muss der Friedenserziehungder Jugend zukommen, sowie aller,die die öffentliche Meinung mitge-stalten. Eine gerechte Weltwirt-schaft und soziale Gerechtigkeitwie die Nord-Südproblematik wer-den angesprochen, um die Armutzu überwinden.

Den Abschluss von Kapitel 5 bildetein starkes Wort zum Dialog mitallen Menschen:

Dieser beginnt innerhalb der Kir-che, “um� ein� immer� fruchtbareresGe�spräch� zwischen� allen� in� Gangzu�bringen,�die�das�eine�Volk�Got-tes� bilden,� Geistliche� und� Laien...Es� gelte� im� Notwendigen� Einheit,im�Zweifel�Freiheit,�in�allem�die�Lie-be.�Im�Geist�umarmen�wir�auch�dieBrüder�(und�Schwestern),�die�nochnicht� in� voller� Einheit� mit� unsleben...�Wir�wenden�uns�dann�auchallen�zu,�die�Gott�anerkennen�undin� ihren� Traditionen� wertvolle� Ele-mente�der�Religion�und�Humanitätbewahren...� Der� Wunsch� nacheinem�solchen�Dialog,�geführt�ein-zig� aus� Liebe� zur� Wahrheit� undunter�Wahrung�angemessener�Dis-kretion,� schließt� unsererseits� nie-manden�aus,�weder�jene,�die�hohe

Güter� der�Humanität� � pflegen,� de�-ren�Urheber�aber�noch�nicht�aner-kennen,�noch�jene,�die�Gegner�derKirche�sind�und�sie�auf�verschiede-ne� Weise� verfolgen.� Da� Gott� derVa�ter� Ursprung� und� Ziel� aller� ist,sind� wir� alle� dazu� berufen,� Ge�-schwister�(Brüder)�zu�sein.�Und�da�-her� können� und� müssen� wir� ausderselben� menschlichen� und� gött-lichen� Berufung� ohne� Gewalt� undohne�Hintergedanken� zum�Aufbaueiner�wahrhaft� friedlichen�Welt� zu�-sammenarbeiten.“�(§92)

same für das friedenswirkenin kirche und welt 50 Jahre danach

Die Pastorale Konstitution „Gau-dium et spes“ in ihrer Gesamtheitund nicht nur Kapitel 5, so Rah-ner/Vorgrimmler S. 447, wurde mitun terschiedlicher Kompetenz erar-beitet; viele Fragen blieben offen.Doch „das� primäre� Ziel� wurde� er�-reicht:� Die� ehrliche� Solidarität� vonKirche� und� Menschheit,� die� Ein-schärfung� der� Menschenwürde...die�Bekundung�der�Bescheidenheitder� Kirche� in� ihrem� Dienst...� EineKirche,� die� sich� zu� ihren� Fragenbekennt,...�ist�dem�Menschen�heu-te�glaubwürdig.“

In den folgenden Jahren wurdenme hrere Institutionen zur Weiter-führung dieser Fragen errichtet,wie z.B. die Justitia et Pax-Kom-mission, für Ökumene, Zusammen-arbeit mit anderen Religionen undmit Nichtgläubigen, für Familien-,Wirtschafts- und Sozialfragen.

Einstellung der päpste zufrieden und gewaltfreiheit

Das Konzil endete in der Periodeder 68er-Jahre, einer Zeit der Eu -pho rie gewaltsamer Veränderungin der Gesellschaft, aber auch inmanchen kirchlichen Reformbewe-gungen (Lateinamerika). Nur lang-sam, doch beharrlich, wuchs dieEinsicht in die Kraft der Gewaltlo-

sigkeit des Evangeliums und de -ren Einsatz für Gerechtigkeit undFrieden. So setzte Johannes PaulII. wichtige Schritte aus dem Geistder Bergpredigt, wie z.B. die Verge-bungsbitten für das Unrecht, dasunsere Kirche Juden/Jüdinnen,AfrikanerInnen, durch Versklavung,Unterstützung von Kolonialherr-schaft, durch Kriege usf. vielen Völ-kern angetan hat; oder das Frie-densgebet mit VertreterInnen nicht-christlicher Religionen in Assisi,das bis heute von der Gemein-schaft Sant Egidio weitergeführtwird. Die Einführung des Weltge-betstages am 1. Januar ermöglichtjeweils ein starkes thematischesPapstwort zum Frieden.

Benedikt XVI. bekräftigt theolo-gisch die Gewaltfreiheit Jesu, soz.B. bei seiner Ansprache nachdem Angelusgebet am Sonntag,den 18.2.2007, über die Feindeslie-be (Lk 6,27 u. Mt. 5,44), in welcherer diese Textstellen als die MagnaCarta der christlichen Gewaltlosig-keit bezeichnet, die die Kette derGewalt durchbricht. Er nennt sieeine Seinsweise, Kern der „christ-lichen Revolution“, die mit der KraftGottes das Böse durch sich hin-schenkende Liebe überwindet.Wie derholt fordert er - vor allem inBegegnungen mit der Jugend - zueinem Engagement aus dieserKraft auf, wie zuletzt während sei-nes Besuches im Libanon (Sep-tember 2012).

In lateinamerika: gewaltfreierwiderstand von bischöfengegen die militärdiktatur

Eine Anzahl lateinamerikanischerBischöfe arbeitete während derKonzilsperioden an der Analyseihrer Situation aus der Perspektiveder Bibel und setzte sich, angesto-ßen von Dom�Helder�Câmara, mitder Frage des Befreiungsweges –Gewalt oder Gewaltfreiheit – aus-einander. Als Ergebnis optierte diegesamte Kirche Lateinamerikas

Spinnrad 1 / 2013 11

konzil

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 11

Page 12: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

1968 für ihre Präferenz an Seitender Armen. Zahlreiche Kirchenfüh-rer in Brasilien, Peru, Ekuador, Chi-le wie auch in Mittelamerika übtenmit Entschiedenheit gewaltfreienWiderstand gegen die Militärregimeder 70er-Jahre und trugen durchihr Engagement dazu bei, dass die-se ohne neues Blutvergießen über-wunden werden konnten. Bei die-sem Engagement durften wir siedurch Beratung und Seminare un -terstützen.

Doch das geschichtswirksamstegewaltfreie Engagement gegenUnrecht und Diktatur wurde in die-sen 50 Jahren von engagiertenChristInnen, d.h. vom Volk Gottesverwirklicht: 1980 durch Solidar�-ność in Polen, 1986 durch PeoplePower in den Philippinen, 1989/90die Wende in der DDR durch evan-gelische ChristeInnen, 1991 inMadagaskar mit Hilfe des Ökume-nischen Kir chenrates – und in grö-ßerer Pespektive durch buddhisti-sche Mönche in Burma und Kam-bodscha, durch Juden/ChristInnenund Muslime der Friedensbewe-gung im israelisch-palästinensi-schen Kon flikt, ja, im ArabischenFrühling durch humanistischgesinnte junge Menschen, die dieSpirale der Ge walt entlarvten unddiese zurück wiesen. Selbst inSyrien, wo Frauen, Muslime undChristInnen mitten im BürgerInnen-krieg unter Einsatz ihres Lebenswaffenlos eine friedliche Lösungfordern, ist die Kraft der Gewaltlo-sigkeit am Werk.

Es stellt sich die Frage: Wird diechristliche Theologie angesichts sovieler Zeugnisse waffenloser, fried-licher Gewaltbewältigung durchgläubige Menschen, wie im Hin-blick auf den wachsenden Ausbauder internationalen Rechtspre-chung und internationaler Frie-densinstitutionen zu der Überzeu-gung gelangen, dass die Überwin-dung des Bösen aus der Kraft dersich hinschenkenden Liebe Gottes

konstitutiver Kern der Erlösungs-und Befreiungsbotschaft Jesu istund die Freiheit gewinnen, denKrieg als Mittel der Konfliktlösungschlechthin und alle Formen vonGe walt endgültig zu verurteilen undso Triebkraft für gewaltfreie Kon-fliktlösung, für Vergebung und Ver-söhnung in der Welt zu werden?Das Konzil gab in der Friedensfra-ge den Anstoß für eine neue, für dieursprüngliche jesuanische Sichtder Gewaltbewältigung. Heute gehtes darum, trotz aller Widerständemit Beharrlichkeit und Vertrauenauf das Wirken des Geistes Gottesder Gewaltfreiheit Jesu in uns, inder Kirche, in der Gesellschaft, inder Welt immer stärker zum Durch-bruch zu verhelfen (Einsatz für Ab -rüstung und Entmilitarisierung,Frie denspolitik und Friedensdien-ste, die militärische Lösungen un -nötig machen, Versöhnungsarbeitin Nachkriegssituationen, gewalt-freie Konfliktlösung in Familie undJu gendarbeit, größere soziale Ge -rechtigkeit, Schutz der Weltres-sourcen vor Plünderung und Land-enteignung, Bewahrung der Schöp-fung, Überwindung von Egoismusund Profitgier, Entsolidarisierungund Fremdenfeindlichkeit, humaneGesetze für ImmigrantInnen - umnur einige Aufgaben zu nennen),damit ALLE MENSCHEN zu Lebenin Wür de und Fülle gelangen kön-nen.

Hintergrundmaterial und zumWeiterlesen:Hildegard Goss-Mayr,wie feinde freunde werden,S.67 ff., 3. Auflage, LIT, Berlin2008.Dieses� Buch� kann� im� VB-Büro� be�stellt� werden:[email protected]

die Sorge der Friedensge-meinde San José de Aparta-dó über die sehr hohe Mili-

tär- und Guerillapräsenz rund umLa Union und auf dem Fußweg vonLa Holandita/San Josesito, demHauptort der Friedensgemeinde,nach La Union waren für mich bisvor einigen Wochen etwas ab -strakt. Doch durch die jüngsten Er -eignisse bin ich ein Stück mehr an -gekommen.

Am Samstag, dem 6. April, ludGina, die bereits seit März 2011 imBe gleitprogramm des Versöh-nungsbundes arbeitet, zu ihrer Ab -schiedsparty in La Union ein. AuchHerman, neu gewählter Repräsen-tant der Gemeinde, wollte an derFeier teilnehmen und versuchte,mit Freund Innen nach La Union zureiten. Dabei wurde er kurz nach LaHolandita vom Militär aufgehalten,eine halbe Stunde lang befragt undals vermeintlicher Guerillero verun-glimpft und eingeschüchtert. Her-man ist den Militärposten auf derStrecke wohl bekannt, da er sie fasttäglich passieren muss.

Zur gleichen Zeit wurde die Sorgeüber eine intensive Militärpräsenzauf Feldern der Friedensgemeindenahe La Union immer größer. Die-se Präsenz birgt mehrere Gefahrenfür die Gemeinschaft, denn sie pro-voziert andere bewaffnete Gruppenzum Kampf und zum Verlegen vonAntipersonenminen oder anderenex plosiven Vorrichtungen. Dasheißt, die Friedensgemeinde kannkurzfristig Felder nicht bestellen,ob wohl es Zeit für die Aussaat ist.Es besteht nun die Gefahr, dasseine große Anbaufläche, die für dieErnährungssicherheit der Friedens-gemeinde essenziell ist, nicht mehrzur Verfügung stehen wird. Sicherist jedoch jetzt schon, dass man dieFelder, falls überhaupt, nur mehrmit der Angst, auf eine Mine zu tre-ten, bearbeiten wird können.

Spinnrad 1 / 201312

kolumbien

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 12

Page 13: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

13 Spinnrad 1 / 2013

Am 8. April besuchte ich am Abendeine Familie, die einen Fernseherbesitzt, um die Abendnachrichtenzu sehen. Statt der Nachrichtenprä sentierte sich Präsident Santosund hielt eine Rede zum bevorste-henden „Tag der Opfer und desFriedens“. Er sprach über die Ein-heit der KolumbianerInnen, überdas Leiden der Opfer und darüber,dass ein Waffenstillstand währendder Friedensverhandlungen in Ha -vanna keine Option sei. An diesemAbend herrschte in La Union eineangespannte und besorgte Stim-mung.

Dienstag, 9. April - „Tag der Opferund des Friedens“: Kurz vor 17.00Uhr kam es nahe von La Unionzum Kampf zwischen Guerillerosund dem Militär. Einige Geschoßeflogen über La Union hinweg. DerKampf dauerte ca. 20 Minuten.

Zur gleichen Zeit wurde ein paarKilometer weiter weg ein Bauer vonMilitärs erschossen - ein Kreuzmehr auf der Straße, auf der dieFriedensgemeinde am Karfreitagden Kreuzweg beschritten hatte,um der vielen zivilen Opfer desKrieges in dieser Gegend zu ge -denken.

meine ersten wochen in la uni-ón: Das Alltagsleben und das Trai-ning, das ich zur Einschulungdurchlaufe, werfen jeden Tag neueFragen auf, doch mit meinen Team-kolleginnen Gina und Emily alsTrainerinnen und Jamie, die auchneu im Team ist, ist die Lernkurvezwar nicht steil ansteigend, den-noch merke ich Fortschritte.

Das tägliche Leben in La Unión be -deutet ständiges Wäsche waschenwegen der Schwitzerei, sorgfälti-ges Essen kochen wegen der uner-wünschten Mitlebewesen (Parasi-ten etc.), die wir nicht in unserenBauch lassen wollen (was uns bisjetzt sehr erfolgreich gelingt) undschließlich Einkaufsausflüge. Alldiese Aktivitäten nehmen für sichschon sehr viel Zeit in Anspruch.Zwischendurch versuchen wir Neu-en, die DorfbewohnerInnen von LaUnion kennen zu lernen und Ver-trauen aufzubauen. Wir besuchensie so oft es geht.

Dann sind noch Berichte zu erledi-gen, Treffen abzuhalten und even-tuelle Begleitungen in anderenWeilern durchzuführen. Wir Neuenhatten Glück und konnten schonvon allem ein bisschen etwas erle-ben.

Die Friedensgemeinde hat am 23.März den 16. Jahrestag ihrer Grün-dung gefeiert! Verschiedenste Part-nerorganisationen wie Tamera, PBI(Peace Brigades International), LasPalomas, FOR und einige nationa-le Partnerorganisationen, unteranderem aus dem Choco, ausCau ca und Bogotá feierten mit. Derintensive Austausch zwischen indi-genen Organisationen und Bauern -organisationen hat mich sehr be -rührt. Doch die Gewalt machte

auch vor der Feier nicht halt. Wäh-rend des abendlichen Tanzfesteskam es zu Schießereien im nahegelegenen San José. In den letztenMonaten kommt es in diesem Dorffast wöchentlich zu Kämpfen.

Die darauffolgende Karwoche warder Erinnerung an die Attentate undMassaker gewidmet. Am Gründon-nerstag fand erstmals ein Rund-gang – eine Art Kreuzweg – mit vierStationen an Schauplätzen vonGewalt gegen die Bevölkerung vonLa Union statt. Mitglieder der Frie-densgemeinde legten Zeugnis vonden Ereignissen ab. Es war einsehr verbindender Tag. Einenguten Platz zu ergattern war aller-dings schwierig: Vorsicht Minen!

Am Karfreitag gab es dann denjährlichen Kreuzweg von San Jose-sito bis kurz vor die Stadt Apartadó,an dem sich rund 200 Menschenbeteiligten. Eine Straße, auf derviele Mitglieder, UnterstützerInnenund NachbarInnen der Friedensge-meinde ihr Leben lassen mussten.Dieser Menschen wurde gedachtund Gedenkkreuze an Bäumen an -gebracht.

Und dann war ich noch auf meinemersten Besuch in einem anderenWeiler namens La Cristalina, woauch Mitglieder der Friedensge-meinde leben. Und gestern nahmich das erste Mal an einem Comu-nitario, dem Arbeitstag der Frie-densgemeinde, teil. Davon einanderes Mal!

Michaela�Söllinger�aus�Meggenho-fen/OÖ�ist�Physikerin�und�MA�Pea-ce� Studies� und� arbeitet� seit� März2013� als� Friedensbegleiterin� desVersöhnungsbundes� in� La� Union,dem� landwirtschaftlichen� Zentrumder� Friedensgemeinde� San� Joséde� Apartadó.� Sie� hat� damit� dieNachfolge� von� Elisabeth� Rohrmo-ser,�die�ihren�Einsatz�im�November2012�beendet�hat,�angetreten.

kolumbien

Der Tag des FriedensMichaela Söllinger

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 13

Page 14: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

mit geschlossenen Augensitze ich im Flugzeug aufdem Weg zurück nach

Österreich. Auf dem Rückweg voneiner Reise durch ein Land, das ichvor Jahren kennen und liebengelernt habe. Kolumbien. Ganz binich noch nicht weg. Auf meinerZunge liegt noch immer derGeschmack von Koriander,Bestandteil nahezu jeder kolumbia-nischen Speise. In meiner Nasesitzt nach wie vor der undefinierba-re Geruch kolumbianischer Groß-städte. In meinen Ge danken klin-gen die allgegenwärtigen Salsa-rhythmen noch leise nach. Und vormeinem inneren Auge ziehen dieoptischen Ein drücke der letztenWochen vorbei.

Meine Reise startet in Cali, derdrittgrößten Stadt Kolumbiens, inder ich vor drei Jahren gelebt undals Freiwillige gearbeitet habe. Esist verrückt nach so langer Zeit wie-der hier zu sein, vieles hat sich ver-ändert. Nach drei Tagen volleremotionaler Wiedersehen undeinem schmerzhaften Abschiedführt mich mein Weg nach Bogotá,wo die eigentliche Solidaritätsreisebeginnt. Ich bin aufgeregt, kann mirschwer vorstellen, was mich in dennächsten zwei Wochen erwartet.

Ich habe mich im Dezember sehrspontan für die Teilnahme an derSolidaritätsreise entschieden, dievon FOR USA (Fellowship ofReconciliation USA) und derenZweigstelle in Österreich (Interna-tionaler Versöhnungsbund) organi-siert wird. Ziel der Reise ist es, dieFriedensgemeinde San José deApartadó zu besuchen und sich mitden Menschen dort solidarisch zuzeigen, in Kolumbien wie in Öster-reich. Die Gemeinde liegt in derkolumbianischen Region Urabá,

nahe der Grenze zu Panama. Indiesem Gebiet tobt der Konflikt zwi-schen Guerillagruppen, Paramili-tärs und dem kolumbianischen Mili-tär nach wie vor.

Neben dem Aufenthalt in der Frie-densgemeinde stehen auch Besu-che bei verschiedenen NGOs, Bot-schaften und der 17. kolumbiani-schen Militärbrigade auf unseremProgramm. Geleitet wird die Reisevon Elisabeth� Rohrmoser undIsaac� Beachy. Beide haben imRahmen des Begleitprogrammsvon FOR als Freiwillige für ein Jahrin der Friedensgemeinde gelebt.Die Präsenz von FriedensaktivistIn-nen hilft, die Existenz der oft be -drohten Friedensgemeinde zu si -chern.

In Bogotá treffe ich auf die Gruppe,die für die nächsten Wochen meinsoziales Umfeld darstellen wird.Einige kenne ich schon von denVorbereitungstreffen, andere seheich zum ersten Mal. Von Studieren-den in meinem Alter bis hin zu Pen-sionistInnen im Alter meiner Groß-eltern ist in unserer Gruppe allesvertreten. Im Nachhinein betrachtetglaube ich, dass gerade diese Un -

terschiede das Reisen in der Grup-pe zu einer so besonderen Erfah-rung gemacht haben. Wie oft wan-dert man schon ins tiefste kolumbi-anische Hinterland, zwischen einer21-jährigen Fotografie-Studentinund einer 76 jährigen Menschen-rechtsaktivistin?

Den ersten Tag in Bogotá verbrin-gen wir mit Vorbereitungen für diekommenden Tage und gegenseiti-gem Kennenlernen. Auch wenn ichmüde bin und mir die Höhenluft zuschaffen macht (immerhin liegtBogotá auf 2640m!) gestaltet sichder Tag abwechslungsreich undharmonisch, was zu einem großenTeil der besonderen Art der Organi-sation unserer ReiseleiterInnen zuverdanken ist. Die kommendenTage in Bogotá sind anstrengendund ich stoße oft an die Grenzenmeiner Aufnahmefähigkeit. Ein Ter-min jagt den nächsten und jede Or -ganisation möchte uns so viel mitauf den Weg geben wie möglich.Die Menschen, die wir bei diesenTerminen kennenlernen, hinterlas-sen tiefen Eindruck bei mir. Sich ineinem Land wie Kolumbien sozialzu engagieren, bedeutet oft ein ho -hes persönliches Risiko.

14 Spinnrad 1 / 2013

Solidaritätsreise nach KolumbienEin Reisebericht von Valentina Duelli

kolumbien

1.

Re

ihe

: An

ton

ia R

ipp

el,

Elis

ab

eth

Ro

hrm

ose

r, U

llaM

erk

le,

Fa

bia

n T

rotz

; 2

. R

eih

e:

Ulla

Eb

ne

r, N

eg

ar

Ro

ub

an

i, V

ale

ntin

a D

ue

lli,

Ma

gd

ale

na

Wa

lch

, P

jotr

Ha

gg

en

jos,

Isa

ac

Be

ach

y, E

du

ard

Wa

lch

; 3

. R

eih

e:

Joh

an

ne

s S

chm

idt, W

alte

r B

au

er

(v.l.

n.r.)

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 14

Page 15: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

Wirklich bewusst wird mir das beimBesuch der Organisation ‘Tierra-Digna‘. Diese Arbeitsgruppe setztsich für Gemeinschaften ein, derenRechte durch Großprojekte wieKohle- und Goldabbau, Industriefi-scherei, Wasserprivatisierung oderWaldrodung verletzt werden. Essind bis zu drei Jahre Recherchenötig, um überhaupt herauszufin-den, wer bzw. welcher Konzern hin-ter diesen Großprojekten steckt.Beim Verlassen des Büros weiß ichnicht, welches Gefühl überwiegt –Bewunderung für die Arbeit, diehier geleistet wird, oder Resigna-tion vor einem derart korruptenSystem.

Unser Meeting-Marathon geht wei-ter. Auf das Treffen mit einem Men-schen bin ich besonders gespannt.Wir treffen den Abgeordneten desPolo� Democrático� Alternativo undVorsitzenden der Organisation MO -VICE (Bewegung der Opfer vonStaatsverbrechen) Iván� CepedaCastro im kolumbianischen Kon-gress in Bogotá. Die Geschichtedieses Mannes gibt einen grausa-men Einblick in die korrupte Ver-gangenheit und Gegenwart der ko-lumbianischen Regierung. SeinVater, Manuel� Cepeda� Vargas,wurde im August 1994 als Gründerder Oppositionspartei Unión�Patrió-tica ermordet. Die Unión Patrióticawar 1984 als Ergebnis der Frie-densverhandlungen zwischen denFARC und der damaligen kolumbi-anischen Regierung entstandenund erfuhr starken Zuspruch in derBevölkerung. Ab den späten 80erJahren begann die systematischeErmordung von Parteimitgliedern,insgesamt handelt es sich um cirka5.000 Menschen. Dieser Massen-mord wurde mit Hilfe der Polizeiund des Militärs durchgeführt, dieBefehle dazu kamen wohl aus denobersten Reihen der damaligenRegierung. Iván Cepeda kämpftejahrelang darum, eine offizielle Ent-schuldigung für den Tod seines Va -ters zu erhalten. Im Dezember ver-

gangenen Jahres erkannte deroberste Gerichtshof das furchtbareVerbrechen als Genozid an. Cepe-da hat ‘gewonnen‘. Ohne Perso-nenschutz kann er das Haus nurnoch selten verlassen. Eine knap-pe Stunde widmet Ivan Cepedaunserer Delegation, bevor ihn sei-ne Begleiter zum nächsten Termindrängen. Er spricht unter anderemüber die derzeit in Havanna stattfin-denden Friedensverhandlungenzwischen der FARC und der kolum-bianischen Regierung. Die Ver-handlungen seien aus seiner Per-spektive relativ aussichtsreich, dader Wille zum Frieden auf beidenSeiten präsent sei. Problematischsei allerdings der Plan, die Ver-handlungen bis November diesesJahres zu einem Ende bringen zuwollen. „Wie� einen� 50� Jahre� wäh-renden�Konflikt�in�einigen�Monatenlösen?“ Außerdem seien die FARCnur bereit ihre Waffen niederzule-gen, wenn sie politisches Mitspra-cherecht bekämen. Mit der nachwie vor herrschenden ‘Parapolitik‘sei dies jedoch nicht zu vereinba-ren; demnach gelten Guerillasweder als vertrauenswürdig nochals verhandlungsfähig. Ob die Frie-densverhandlungen ihr Ziel bis No -vember nächsten Jahres erreichen,wird sich weisen.

Vollgepackt mit unzähligen neuenEindrücken und Informationen führtuns unsere Reise nach drei Tagenim (für meine Verhältnisse) viel zukühlen Bogotá in eine angenehme-re Klimazone, nach Medellín. DieHeimatstadt von Pablo Escobarempfängt uns mit einer kurvenrei-chen Taxifahrt vom Flughafen, derpraktischerweise durch eine Hügel-kette von der Stadt getrennt ist, zuunserem Hostel. Die folgendenzwei Tage verbringen wir mit derBauernorganisation von Antioquia(ACA). Wir fahren in die kleineStadt San Francisco, die etwa dreiStunden von Medellín entfernt liegt.Dort besuchen wir El Pajuil, weni-ger ein Dorf als vielmehr eine An -

sammlung von Häusern, und ler-nen die dort lebenden Frauen, Kin-der und Jugendlichen kennen. DieMänner arbeiten noch auf den Fel-dern. Nach einer kurzen Vorstel-lungsrunde sprechen die Frauenüber ihre Arbeit mit der ACA undüber die Probleme, mit denen sieals Kleinbäuerinnen konfrontiertsind. Es fallen bekannte Begriffe –Ressourcenraub, keine vorhande-nen Eigentumstitel auf das bewirt-schaftete Land, schlechte Gesund-heitsversorgung, ausbaufähigesBildungssystem. Eine Theatergrup-pe, bestehend aus Kindern und Ju -gendlichen aus El Pajuil und Um -gebung, zeigt uns eines ihrer selbsterarbeiteten Stücke. Das Stückdreht sich um eine Problematik, mitder sich viele Kleinbauern in derRegion konfrontiert sehen. Investo-ren großer Konzerne wollen Landzu einem lächerlichen Preis erwer-ben, um dann mit den daraus ge -wonnenen Rohstoffen Unmengenan Geld zu verdienen, wovon dieRegion selbst selten auch nureinen Peso sieht. Mit Witz undErnsthaftigkeit zugleich schaffen esdie Jugendlichen, ein komplexesProblemfeld einfach und verständ-lich darzustellen – wir sind begei-stert.

Nach zwei Tagen in San Franciscogeht es für uns wieder zurück nachMedellín. Von dort aus fliegen wirschließlich nach Apartadó undkommen somit der Friedensge-meinde immer näher.

15 Spinnrad 1 / 2013

kolumbien

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 15

Page 16: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

In Apartadó angekommen, spüreich eine Veränderung der allgemei-nen Stimmung. Alle sind daraufbedacht nicht aufzufallen, was inAnbetracht der Größe unsererGruppe nahezu unmöglich ist. Stattvon ‚Guerilla‘ und ‚Paramilitärs‘sprechen wir hier von den ‚G’s‘,und den ‚P’s‘. Über Menschenrech-te oder die Friedensgemeinde re -den wir, wenn überhaupt, aufDeutsch. In der Region, in der wiruns nun bewegen, sind viele Men-schen InformantInnen für die Gue-rilla oder die Paramilitärs, daher istVorsicht geboten.

Nach einer abenteuerlichen Jeep-Fahrt kommen wir in einem Teil derFriedensgemeinde, San Josesito(auch La Holandita) an und verbrin-gen dort unsere erste Nacht. Dieseerste Nacht bringt nicht für alle denfriedlich erholsamen Schlaf, denwir uns erwartet haben. Ein Reise-teilnehmer wird gegen zwei Uhrnachts von Schüssen aus derUmgebung geweckt, andere hörenRatten unter ihren Hängemattenüber den Boden krabbeln. Um vierUhr morgens wecken uns die ge -meindeeigenen Hähne. Nacheinem Treffen mit den Gemeinderä-ten und der Künstlerin der Frie-densgemeinde, Brigida, wandernwir im strömenden Regen zu unse-rem eigentlichen Ziel – La Unión.Das ist der Teil der Friedensge-meinde, in dem Elisabeth undIsaac nahezu ein Jahr verbrachthaben. Wir werden herzlich em-pfangen und ich fühle mich nachnur wenigen Augenblicken gut auf-gehoben. Die folgenden Tage, diewir mit den Menschen in La Uniónverbringen, sind für uns alle einebe sondere Erfahrung. Die Stim-mung ist schwer zu beschreiben,sie schwankt zwischen vollkomme-ner Zufriedenheit und tiefer Bestür-zung. Zufriedenheit, weil hier allesnoch ‚in Ordnung‘ zu sein scheint,und wir weit weg und vollkommenabgeschnitten von unserem eigent-lichen Leben zu Hause sind. Be -

stürzung, weil wir grauenvolle Ge -schichten hören, über Massaker,Drohungen, Menschen, die gegan-gen sind. Und gegangen sindschon viele, denn das Risiko, alsMitglied der Friedensgemeinde zuleben, ist vielen zu hoch. Am mei-sten aber empfinde ich Bewunde-rung für die Menschen, die nachwie vor hier leben und ihre Grund-sätze und ihr Land ohne Anwen-dung von Gewalt verteidigen. Nachdrei Tagen friedlichen Zusammen-lebens mit Erwachsenen, Kindernund Tieren verlassen wir die Ge -meinde. Ich gehe mit gemischtenGefühlen und einem grummelndenMagen.

Das Magengrummeln packt in derkommenden Nacht auch einigemeiner Begleiterinnen. Am Treffenmit der 17. Militärbrigade in Aparta-dó können aus magen-darm-tech-nischen Gründen nicht alle teilneh-men. Die Stimmung zwischenGruppe und Militär ist wie erwartetfrostig, nicht nur wegen der un -barmherzig kalt eingestellten Kli-maanlage im Sitzungsraum.

Im Anschluss an dieses mehr oderweniger frustrierende Treffen gehtes per Flugzeug nach Medellín undvon dort zurück nach Bogotá. Ichverbringe 90 Prozent dieses Reise-tages über diversen Kloschüsseln.Vielen anderen aus der Gruppegeht es ähnlich, die Gesprächsthe-men kreisen um die Konsistenz

unseres Stuhlgangs und die Fragenach der Ursache unseres Übels.Diese Frage bleibt bis heute unge-klärt.

Die letzten Tage in Bogotá verbrin-ge ich im Bett, allzu viele Treffenverpasse ich zum Glück nicht mehr.Je näher der Abschied von derGruppe und Kolumbien rückt, destosentimentaler werde ich. Ich denkeviel darüber nach, was wir vonÖsterreich aus tun können, um dasFortbestehen der Friedensgemein-de zu sichern. Auch in der Gruppesprechen wir darüber. Wir sammelnkonkrete Vorschläge, wie wir unsvon zu Hause aus weiter engagie-ren können. Das Wissen, dass unsdort bald wieder der Alltag einholenwird, ob wir wollen oder nicht, trübtden anfänglichen Enthusiasmus.Trotzdem wird jeder von uns zu -mindest einen kleinen Teil der Er -fahrungen, die wir auf dieser Reisegesammelt haben, an Freunde undBekannte weitergeben können.

Ich für meinen Teil hoffe, dass ichmit diesen Zeilen viele Menschenerreiche und das Interesse an zu -künftigen Solidaritätsreisen ge -weckt habe.

Valentina�Duelli� studiert� Internatio-nale�Entwicklung�und�arbeitete�alsFreiwillige� in� einem� Jugendpro-gramm�der�Organisation�FundaciónFormación�de�Futuros� in�Cali/�Ko�-lumbien

16 Spinnrad 1 / 2013

kolumbien

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 16

Page 17: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

Zu Beginn des Jahres 2013 er -reichten uns gute Nachrichten, diedie Hoffnung auf Gerechtigkeitwecken: Am 18. Jänner veröffent-lichte der kolumbianische Verfas-sungsgerichtshof ein Urteil, dasjene Auflagen enthält, welche dieFriedensgemeinde San José deApartadó seit langem als notwen-dig für die Wiederaufnahme desDialogs und die Überwindung ihresachtjährigen Bruches mit der ko-lumbianischen Regierung ansieht.

der bruch mit der regierung

Bis Februar 2005 verhandelten dieFriedensgemeinde und die kolum-bianische Regierung die Umset-zung von Schutzmaßnahmen, dieder Interamerikanische�Menschen-rechtsgerichtshof der Friedensge-meinde zugestanden hat. DieSchutzmaßnahmen, die in der Fol-ge vom kolumbianischen Verfas-sungsgerichtshof bestätigt wurden,mussten mit der Friedensgemeindeabgestimmt werden. U.a. enthieltensie die Errichtung einer Polizeiwa-che in der Nähe – aber außerhalb –des Zentrums von San José deApartadó.

Im Februar 2005 verübten dieArmee und Paramilitärs ein Massa-ker an acht Menschen, darunterLuis Eduardo Guerra und drei Kin-der. Luis� Eduardo�Guerra war derSprecher der Friedensgemeinde.An diesem Punkt verlor die Frie-densgemeinde das Vertrauen inden kolumbianischen Staat. DieBeteiligung der kolumbianischenArmee am Massaker war für dieFriedensgemeinde offensichtlich.Einige Tage nach dem Massakerbeschuldigte Präsident Uribe dieFriedensgemeinde öffentlich, Ver-bindungen mit der linksgerichtetenFARC Guerilla zu haben, umging

den verlangten Konsens bezüglichder Schutzmaßnahmen und errich-tete einseitig eine Polizei- und Mili-tärbasis innerhalb des Zentrumsvon San José de Apartadó.

Die Friedensgemeinde war darauf-hin gezwungen, die Stadt San Josézu verlassen, und brach den forma-len Kontakt zur kolumbianischenRegierung ab. Der Bruch dehntesich auf das kolumbianische Justiz-system aus: Schon vor dem Mas-saker hatte es hunderte von Ver-brechen gegen die Friedensge-meinde gegeben, für die niemandzur Verantwortung gezogen wor-den war. ZeugInnen, die die Ver-brechen angeprangert hatten, wur-den bedroht und in einigen Fällengetötet. Dem nicht genug, gab esmehrere Fälle von haltlosen Ankla-gen gegen Mitglieder der Friedens-gemeinde.

2007 nahm der Verfassungsge-richtshof im Zuge einer Prüfungeines Schutzbriefes die Frage derGerechtigkeit in Bezug auf die Ver-brechen gegen die Friedensge-meinde in Angriff. Es ging um einAnsuchen, welches über eine Peti-tion vom Jesuitenpater Javier�Giral-do im Namen der Friedensgemein-de unterbreitet wurde. Die Petitionforderte das Verteidigungsministe-rium auf, die Namen von Offizieren,die in eine Serie von Militäropera-tionen verwickelt waren, bei denendie Rechte der Friedensgemeindeverletzt worden waren, zu veröf-fentlichen, damit die Friedensge-meinde die Missstände dokumen-tieren und schlussendlich Klage beiinternationalen Gerichtshöfen an -streben könne. Die Armee argu-mentierte mit Bedenken bezüglichder Geheimhaltung und weigertesich beständig, die Namen der Offi-ziere freizugeben.

In seiner Entscheidung 2007 er -stellte das Gericht eine detaillierteBestandsaufnahme der Verbre-chen gegen die Friedensgemeinde,um herauszufinden, ob der Ge -rechtigkeit Genüge getan wurde.Das Gericht listete 150 Morde, 14Fälle von Verschwinden-lassen, 91willkürliche Festnahmen, 55 Fällevon Folter, 92 Fälle von Bedro-hung, 17 Vertreibungen, 48 Dieb-stähle und 20 Fälle von wahllosenBombardierungen auf. Das Aus-maß der Aggressionen führte dasGericht zu der Schlussfolgerung,dass „die� Mitglieder� der� Friedens-gemeinde�andauernder�Verfolgungund� Bedrohung� ausgesetzt� sind“,dass es notwendig sei, die Frie-densgemeinde zu schützen unddass die für die Verbrechen Verant-wortlichen zur Verantwortung gezo-gen werden müssen.

Das Gericht sprach auch denBruch der Friedensgemeinde mitdem kolumbianischen Staat an.Tatsächlich befand es, dass dieVerbrechen zu fast 100% straflosgeblieben waren, und befand dieWeigerung der Friedensgemeinde,mit dem Rechtssystem zusammen-zuarbeiten als eine angemesseneAntwort. Zudem erließ das Gerichteine Reihe von Anweisungen, um„die�Rechte�der�Friedensgemeinde,Zugang�zu�Gerechtigkeit,�Wahrheitund� Wiedergutmachung� zu� erhal-ten,�zu�schützen�und�das�Vertrauenin�jene�Stellen,�die�mit�dem�Schutzdieser�Rechte�be�traut�sind,�wiederaufzubauen.“

2012 stellten sich beim Verfas-sungsgerichtshof Bedenken ein,weil der Plan, den er in seinem Ur -teil von 2007 entworfen hatte, keinepositiven Resultate erbrachte. Erstellte Hindernisse „hinsichtlich�derResultate� von� Ermittlungen� und

17 Spinnrad 1 / 2013

Ein historischer Sieg für die FriedensgemeindeSusana Pimiento, Fellowship of Reconciliation USA

kolumbien

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 17

Page 18: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

Verfahren� gegen� jene,� die� für� dieMenschenrechtsverletzungen� ge�-gen�die�Friedensgemeinde�verant-wortlich�sind,�und�ebenso�hinsicht-lich� der�Maßnahmen� zum�Wieder-aufbau� des� Vertrauens� zwischender� Friedensgemeinde� und� staat-lichen�Stellen,�die�mit�dem�Schutzund� der� Garantie� der� Rechte� derGemeinde� betraut� sind“, fest. Dashatte im März eine Anhörung mitden Ministern für Verteidigung, fürInneres, dem Generalstaatsanwaltund dem Ombudsmann zur Folge.

Das Gericht erteilte die klare Be -stimmung, dass, falls diese hoch-rangigen Beamten VertreterInnenzur Anhörung schickten (anstattpersönlich zu kommen), diese kei-ne Erlaubnis erhalten würden zuintervenieren. Vorab sandte dasGericht einen detaillierten Fragebo-gen aus. Bei der Anhörung stelltedas Gericht Fragen zur Erfüllungdes Urteilsspruchs von 2007. JederBeamte hatte 10 Minuten zumSprechen und jeder Stellungnahmefolgte eine zehnminütige Antwortder Friedensgemeinde.

Nach der Prüfung der Antworten er -ließ das Gericht eine Entscheidung,die einen Zeitplan beinhaltet, wel-che die Voraussetzungen schaffensoll, um das Vertrauen wieder auf-zubauen. Der Zeitplan beinhaltetim Wesentlichen alle Bedingungen,die von der Friedensgemeinde alsnotwendig erachtet werden, umden Dialog mit dem kolumbiani-schen Staat wieder aufzunehmen.

bestätigung der neutralität derfriedensgemeinde: Das Gerichtwies den Innenminister an, den offi-ziellen Widerruf der kolumbiani-schen Regierung bezüglich derAnschuldigungen, die gegen dieFriedensgemeinde und ihre Be -gleiterInnen gemacht worden wa -ren, zu koordinieren und Maßnah-men auszuarbeiten, um eine Wie -derholung der Stigmatisierung zuvermeiden.

Auf jene, die nicht mit den Konse-quenzen darüber vertraut sind, wases heißt, in einem bewaffnetenKonflikt als Kämpfende oder Kolla-borateurInnen einer bewaffnetenGruppe gebrandmarkt zu werden,wirkt dieser Punkt vielleicht über-flüssig. Solche Anschuldigungenmachen ZivilistInnen aber zu militä-rischen Zielen und haben gravie-rende Auswirkungen auf ihre Si -cherheit. Die Friedensgemeindeund der Innenminister haben be -reits mit den Vorbereitungen fürdiesen Widerruf begonnen, der vonPräsident Santos vor beiden Kam-mern des Kongresses in einer fei -erlichen Sitzung ausgesprochenwerden soll.

den kreis der straflosigkeitdurchbrechen: Seit Jahren fordertdie Friedensgemeinde eine unab-hängige Kommission, die die tieflie-genden Gründe für das Versagendes Justizsystems gegenüber derFriedensgemeinde untersuchensoll. Diese Forderung entspringtder Wahrnehmung der Friedensge-meinde, dass die strukturelle Ineffi-zienz des kolumbianischen Justiz-systems nicht die Quelle des Ver-sagens war. Eine derartige Ermitt-lung würde nicht nur mithelfen, Un -ter suchungen schwerer Straftatenvo ranzutreiben, sondern sie würdeauch mithelfen, Amtspersonen fürihre Rolle in der Behinderung derJustiz zur Verantwortung zu zie-hen.

Dank der Unterstützung von Basis-bewegungen unterstützten Mitglie-der des US-Kongresses im Juni2011 mit einem „Lieber Kollege-Brief“, adressiert an den kolumbia-nischen Vizepräsidenten AngelinoGarzón, die Forderung der Frie-densgemeinde. Der Verfassungs-gerichtshof ging auf die Forderungein, indem er die Bildung einerRechtsevaluierungskommissionanordnete, die aus verschiedenenkolumbianischen Behörden, derFriedensgemeinde und drei Bera -

terInnen ihrer Wahl besteht. DerGerichtshof setzte der Kommissioneinen sechsmonatige Frist für eineBericht. Der Gerichtshof ordneteaußerdem die Errichtung eines„Hauses der Gereichtigkeit“ an, wodie Friedensgemeinde Be -schwerdeschriften über zukünftigeÜbergriffe zu den Akten legenkann. Zusätzlich beauftragte derGerichtshof das Büro des General-staatsanwalts, einen Maßnahmen-katalog für den Erhalt und den Um -gang mit den Beschwerdeschriftenzu erlassen, der die Erkenntnisseder Rechtsevaluierungskommis-sion berücksichtigt.

reale schutzmaßnahmen: DerGerichtshof sprach die Sorgen umdie Sicherheit der Friedensgemein-de an, indem er sich auf jene Maß-nahmen bezog, die der Friedens-gemeinde seit dem Jahr 2000 ein-geräumt wurden. Er ordnete einegemeinsame Anstrengung ver-schiedener Behörden an, um inner-halb der nächsten drei Monate„einen� Plan� für� die� kollektive� Prä-vention�und�den�kollektiven�Schutzzu�erstellen,�der�dazu�beiträgt,�dasLeben,� die�Unversehrtheit,� Sicher-heit� und� Freiheit� der� Friedensge-meinde� zu� schützen“, und übereinen konsensualen Prozess einenMechanismus festzulegen, umadäquate Schutzmaßnahmen ein-zuführen, die „nicht� das�Risiko� fürdie�Gemeinde,� ihre�Mitglieder� undBegleiterInnen� erhöhen“. PaterJavier Giraldo wies in der Anhörungdarauf hin, dass jede Art vonSchutzmaßnahme notwendiger-weise die gegenwärtigen Drohun-gen, die von der andauernden pa -ramilitärischen Präsenz in denSiedlungen der Friedensgemeindeausgehen, beinhalten müsste.

humanitäre zonen und macht-grenzen für die bewaffnetengruppen: Die Friedensgemeindehat den Interamerikanischen Men-schenrechtsgerichtshof einige Jah-re lang ersucht, humanitäre Zonen

18 Spinnrad 1 / 2013

kolumbien

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 18

Page 19: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

19 Spinnrad 1 / 2013

anzuerkennen. Damit sind be -stimmte Gebäude in jeder Siedlunggemeint, in denen Friedensgemein-demitglieder während Kampfhand-lungen Zuflucht nehmen können.Das kolumbianische Militär und dieRegierung haben sich mit dem fal-schen Argument, dass unter inter-nationalem humanitären Recht sol-che Zufluchtsgebiete nur für denSchutz von Kämpfenden im Kon-text von Friedensverhandlungenerrichtet werden können, gewei-gert, humanitäre Zonen anzuerken-nen.

Der Gerichtshof wies das Argumentder Armee zurück und bestätigtestattdessen die Prinzipien des in -ternationalen humanitären Rechtsfür den Schutz der Friedensge-meinde als zivile Nicht-Kombattant -Innen und ordnete, Bezug neh-mend auf ein Urteil von 1998 be -treffend die afro-kolumbianischeGemeinde Pavarandó, die Aner-kennung humanitärer Zonen an.Somit setzt der Gerichtshof derMacht der Armee, einen Krieg zuführen, klare Grenzen und schafftüber San José hinaus einen wichti-gen Präzedenzfall für den Schutzvon ZivilistInnen in einem bewaff-neten Konflikt.

Es ist nicht klar, in welchem Aus-maß der kolumbianische Staat dieEntscheidung des Verfassungsge-richtshofs befolgen wird. Aberselbst wenn er es nicht tut, ist dieAnerkennung, dass die Notlage derFriedensgemeinde Unrecht ist, eingroßer Sieg. Es erleichtert auch dieArbeit von Organisationen wie demVersöhnungsbund, der der Frie-densgemeinde Begleitschutz bietetund der Mitgliedern des Kongres-ses und DiplomatInnen wieder undwieder erklären muss, wie wichtiges ist, die mutige Haltung derGemeinde für den Frieden zuunterstützen.

Übersetzung:�Irmgard�Ehrenberger

wir feiern die Wahl des erstenlateinamerikanischen Pap-

stes in der Geschichte der katholi-schen Kirche und seine Wahl deszu Hoffnungen Anlass gebendenNamens Franziskus, um seine Zeitals Papst zu begehen. Wir hoffen,dass er für Friede und Gerechtig-keit arbeiten kann, jenseits desDrucks und der Interessen derWeltmächte. Wir hoffen, dass erdas vatikanische Misstrauen ge -genüber dem revolutionären Han-deln der Völker für ihre Befreiungbeiseite lassen kann. Dass er auchdie sozialen Veränderungen för-dert, die in Lateinameirka und ananderen Orten der Welt von volks-nahen Regierungen vorangetrie-ben werden, die versuchen, dieNacht des Neoliberalismus zuüberwinden.

Wir hoffen, dass er den Mut habenwird, die Rechte der Völker gegendie Mächtigen zu verteidigen, ohnedie großen Fehler und auch Sün-den zu wiederholen, die die Kirchebegangen hat.

Während der letzten argentini-schen Diktatur hatten die Mitgliederder katholischen Kirche keine ein-heitlichen Haltungen. Es ist unbe-streitbar, dass es Komplizenschafteines Teils der kirchlichen Hierar-chie mit dem am argentinischenVolk begangenen Völkermord gab,und auch wenn viele mit einemÜbermaß an Vorsicht im Stillen Ver-handlungen führten, um die Ver-folgten frei zu bekommen, gab eswenige kirchliche Würdenträger,die mit Mut und Entschlossenheitunseren Kampf für die Menschen-rechte gegen die Militärdiktaturauch zu ihrer Sachen machten. Ich

glaube nicht, dass Jorge Bergoglioein Komplize der Diktatur war, aberich glaube, dass ihm der Mut ge -fehlt hat, unseren Kampf für dieMenschenrechte in den schwierig-sten Momenten zu begleiten.

Ich bin gerade auf dem Weg nachItalien, um einen weiteren Gedenk-tag des Martyriums von ErzbischofArnulfo� Romero zu feiern, eineskonservativen Bischofs, der ange-sichts der Unterdrückung in El Sal-vador sein Damaskus erlebte ge -genüber dem Volk, und sein Lebenfür Gerechtigkeit und Frieden hin-gab. Hoffentlich kommt die Wahldes Namens Franziskus, eines derbedeutendsten Heiligen der Kirche,in Zeugnissen, die dieser Wahl ge -recht werden, in der Verteidigungder Armen gegenüber den Mächti-gen und in der Verteidigung derUmwelt zum Ausdruck.

Franziskus hat keinen imperialenThron bestiegen, sondern dendemutsvollen Sitz eines Fischers.

Deswegen hoffen wir, dass er dieWorte des argentinischen Märtyrer-Bischofs Enrique� Angelelli nichtvergisst, der gesagt hat, dass “wirmit�einem�Ohr�auf�das�Evangeliumund�mit�dem�anderen�auf�das�Volkhören�müssen,�um�zu�wissen,�wasGott�uns�sagt".

Übersetzung:�Roland�Bangerter

kommentar

Herausforderungen an den erstenlateinamerikanischen Papst Adolfo Pérez Esquivel

2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Kern_wd.qxp 16.05.2013 16:22 Seite 19

Page 20: Forum für aktive GewaltfreiheitRAD ist zur Gänze der Internationale Versöhnungsbund, Ledererg. 23/3/27, 1080 Wien. Im Vorstand sind: Lucia Hämmerle, Maria Hofmann, Erwin Neumann,

“... Als Berater des Präsidenten in den Fragen des Einsatzesnuklearer Waffen war ich von tiefer Angst erfüllt über dieKomplexität, über das fundamentale moralische Dilemma und überdie den Verstand lähmenden Entscheidungen, durch die dasWeiterleben auf unserem Planeten in Frage gestellt werden könn-te ... Wir fühlten uns mit einer Situation konfrontiert, in der die ratio-nale Antwort auf einen nuklearen Angrifff in einem nuklearenGegenangriff bestehen würde. In einer solchen Situation würde eskeine Gewinner geben. Und wir wussten auch, dass unserGegenschlag den Tod von Hunderten Millionen Menschen bedeu-ten würde. Das ist eine Logik ohne eine Spur von Vernunft, und dergrundlegende Fehler liegt in der Wahnsinnsidee der ‘Ab -schreckung’. Die letzten Konsequenzen sind furchtbar auszuden-ken, auch dann, wenn eine Abschreckung nur mit konventionellenWaffen durchgeführt werden sollte. Beim Einsatz von nuklearenWaffen ist aber der Misserfolg der Abschreckung gleichbedeutenddamit, dass es keine Hoffnung auf eine Wiederherstellung der zer-störten Zivilisation oder auf Genesung der eventuell überlebendenMenschen gibt. Alles ist total und endgültig zerstört; und diesesDilemma hat mich in der Tiefe meines Wesens aufgewühlt.”

George Lee Butler, ehemaliger General der US-Armee

aus: “Peace is Possible”, Hg: The International Peace Bureau

1998; zitiert nach: Ernst Schwarcz: “Zeitenwende”

DVR 0583031 Zulassungsnummer: GZ 02Z032555M

P.b.b.Erscheinungsort: WienVerlagspostamt: 1080 Wien

2537_13_Spinnrad1_13_Umschlag_wd_2537_13_Spinnrad1_13_Umschlag_wd.qxp 16.05.2013 15:51 Seite 2