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Neonicotinoide und Schokolade zur Matura Die besten acht Fachbereichs- arbeiten aus Chemie wurden ausgezeichnet. [WIEN/TK] „Nicotin und Neonicoti- noide“: So heißt eine der acht heuer von der Gesellschaft Öster- reichischer Chemiker ausgezeich- neten Fachbereichsarbeiten aus Chemie: Frank Felix aus dem Sa- cr´ e Cœur hat die Geschichte und Wirkungsweise dieser giftigen Substanzen erforscht. Neonicoti- noide wurden ab 1980 als Insekti- zide synthetisiert, nachdem sich das DDT als so schädlich erwie- sen hatte. Heute denkt jeder so- fort ans Bienensterben – und die Aufregung um Minister Berlako- vich Anfang Mai. Ist denn die Fachbereichsar- beit so schnell entstanden? Natür- lich nicht. Ein solches Projekt braucht mindestens ein halbes Jahr. Aber das Thema lag eben schon vorher in der Luft; dazu kam, dass der betreuende Lehrer, Werner Schalko, Hobbyimker ist. Ein schönes Beispiel jedenfalls da- für, wie brisant diese Arbeiten sein können, die – noch bis 2015 – bei der Matura eine Prüfung ersetzen können. Im Fach Chemie wurden heuer 79 geschrieben. Das Thema von Philipp Ben- jamin Wurm (BG Oberschützen) ist immer aktuell: Der passionier- te Münzensammler schrieb über Euromünzen und darüber, was sie fälschungssicher machen soll. Christian Horvat (BRG Kepler, Graz) erforschte Düngemittel, maß u. a. die Konzentrationen von Schwermetallen: Immerhin fünf von 16 Proben überschritten den deutschen Grenzwert für Uran. (In Österreich gibt es kei- nen solchen Grenzwert.) Zwei Preise fürs Sacr´ e Cœur Mortimer Svec (BG Wenzgasse, Wien) wählte das komplizierte or- ganisch-chemische Thema der zy- klischen Ketone, Florian Kountny (BG St. Pölten) untersuchte Kunst- stoffe aus Melamin und Formal- dehyd, Brigitta Bachmair (Sacr´ e Cœur) behandelte Allergene in Lebensmitteln, Ellen Staudinger (BRG Vöcklabruck) verglich Ana- log- und Normalinsulin. Christoph Hettich (Doppler- Gymnasium Salzburg) widmete sich der Schokolade, die – so sein Resümee – keine Glücksstoffe ent- hält. Dafür erklärte er, dass die weiße Schicht, die länger gelager- te Schokolade überzieht, keines- wegs bedenklich ist, sondern ein- fach die thermodynamisch stabile Form der Kakaobutter. Auch das hätten die professionellen Chemi- ker, die sich zur Preisvergabe im Unterrichtsministerium versam- melt hatten, durchaus nicht alle gewusst: viel Lob und Respekt. Wie die neue Ausbildung die Lehrer stärkt – und warum das nötig ist Gastkommentar. Spätestens, wenn der Anlassfall gravierend ist, wenden wir uns in der Regel an Experten, an Vertreter einer Profession. Mit den Lehrerinnen und Lehrern ist das anders. Mit ihnen müssen wir uns zwingend auseinandersetzen – und ihre Professionalität wird oft infrage gestellt. VON CHRISTA KOENNE D ie Expertengesellschaft ist ein Schlüsselbegriff in der Beschreibung unserer Zeit. Steigendes Wissen und die Ausdif- ferenzierung der Arbeitsbereiche haben dazu geführt, dass wir alle nur mehr in kleinen Bereichen Ex- perten sind. Vor allem sind wir Lai- en. Ob wir zum Arzt gehen, zum Rechtsanwalt oder zum Installa- teur: Experten werden herangezo- gen, um spezielle Probleme zu lö- sen. Manchmal liefern wir uns den Experten einfach aus, manchmal handeln wir die vorgeschlagenen Maßnahmen mit ihnen aus. Das Vertrauen in Experten ist zwar bei Menschen unterschiedlich groß – manche gehen öfter zum Arzt oder zu mehreren Ärzten und manche versuchen immer noch, ihr Auto selbst zu reparieren – aber spätes- tens, wenn der Anlassfall gravie- rend ist, wenden wir uns an Vertre- ter einer Profession. Mit der Profes- sion Lehrer/Lehrerin ist es anders. Da wir in Österreich eine Un- terrichtspflicht haben, werden Leh- rer nicht freiwillig herangezogen. Es gibt einen Zwang, sich mit den Experten auseinanderzusetzen. Dazu kommt, dass Schüler nicht nur unterrichtet, sondern auch be- urteilt werden. Eine heftige Inter- vention. Damit bietet das Tun der Experten konfliktschaffende Anläs- se in den Familien; über nichts wird so viel gestritten wie über die Schule. Da Eltern aber vor allem in- direkt mit den Lehrern in Verbin- dung stehen, liegt es nahe, im Kon- fliktfall ihre Professionalität infrage zu stellen. Konflikte mit Eltern Die Lehrer arbeiten nahe am Tun der Laien. Eltern leisten Erzie- hungsarbeit, sehen sich dabei aber nicht als Laien. Die Grundhaltung einer „natürlichen Professionali- tät“, die keine spezielle Ausbildung braucht, kennzeichnet die Sicht vieler Erwachsener. Damit kom- men Lehrer rasch in Konflikt mit Eltern, Interventionen werden als Irritation der eigenen Identität wahrgenommen. Anders als in an- deren Bereichen müssen die Päd- agogen verstärkt Begründungen abgeben. Wie mit Laien, die „alles besser wissen“, kommuniziert wer- den kann, muss gelernt werden. Die Profession des Lehrers, der Lehrerin besteht darin, Lernende dem eigenen Bildungsstand näher- zubringen, also die Differenz zwi- schen Laien und Experten zu ver- ringern. In gewisser Weise ist das eine paradoxe Intervention, die eine spezielle „Metaprofessionali- tät“ braucht. Ziel der neuen Ausbil- dung ist es, Lehrer in ihrem Profes- sionsverständnis zu stärken. Die Gemeinsamkeit aller Pädagogen wird erkennbar, wenn sie einander, unabhängig vom konkreten Aufga- benfeld, in der Praxis begegnen. Eine „akademische Heimat“ für alle Vertreter der Profession wird die Qualität der Arbeit erhöhen und das Selbstverständnis der Leh- rer und Lehrerinnen stärken. Christa Koenne ist an mehreren Universitäten wissenschaftlich tätig und war Mitglied der Vorberei- tungsgruppe für die neue Pädago- genausbildung. Zauberer, zub, zeytin: Die Schüler der 1B in der VS Selzergasse lernen Wörter zum Buchstaben Z in drei Sprachen – Deutsch, Serbisch und Türkisch. [ Bayrhammer ] ABC auf Türkisch: Kein Widerspruch zum Deutschlernen Schule. Migrantensprachen im normalen Unterricht sorgen für Debatten. Ein Lokalaugenschein. VON BERNADETTE BAYRHAMMER [WIEN] Der Buchstabe Z steht heute auf dem Programm in der 1B der Volksschule Selzergasse im 15. Wiener Gemeindebezirk. Auf die Tafel ist groß ein Z gemalt, da- neben Bilder von Zebra, Zahn, Zaun und Zauberer. Doch nicht nur Kärtchen mit deutschen Wörtern hängen an der Tafel – sondern auch solche mit Begriffen auf Türkisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS): „zeytin“ etwa, das türkische Wort für Olive, oder „zub“, das ser- bische für Zahn. Überhaupt ist das Klassenzimmer gepflastert mit gel- ben, blauen und roten Kärtchen, auf denen verschiedenste Wörter, von Wochentagen über Tiere bis hin zu Frühlingsblumen, jeweils in Deutsch, BKS und Türkisch stehen. Die Selzergasse ist eine von 15 Wiener Volksschulen mit einem Projekt der mehrsprachigen Alpha- betisierung. Zehn Stunden pro Wo- che stehen neben der Klassenleh- rerin auch die Muttersprachenleh- rer für BKS und Türkisch in der Klasse. Buchstaben und Begriffe werden nicht nur im Deutschen, sondern parallel auch in den ande- ren Sprachen erarbeitet. Dabei tre- ten rasch Unterschiede zutage. „Na njemaˇ ckom kaˇ zemo cet“, erklärt BKS-Lehrer Suljo Nali´ c: Im Deut- schen wird der neue Buchstabe als „Zet“ ausgesprochen – in BKS da- gegen, wie auch im Türkischen, als stimmhaftes S. „Es gibt noch einen Unterschied, den kann man nicht hören, aber sehen“, schließt die Türkischlehrerin Gülcan Kaltan an: Alle Hauptwörter werden im Deut- schen groß geschrieben – in den anderen beiden Sprachen klein. Angst vor Türkisch für alle Migrantensprachen im regulären Unterricht – das ist neben der von der Koalition gerade erst in einen Kompromiss gepackten Deutsch- förderung eines der heikelsten The- men, wenn es um Migration und Schule geht. Vor einer Woche gin- gen die Wogen hoch, als eine Wie- ner Expertengruppe vorschlug, den Sprachen der Migranten mehr Platz einzuräumen. „Häupl-SPÖ will in Wien Türkisch als Erstsprache“, ti- telte die FPÖ gewohnt reißerisch. Tatsächlich schürt das Schlagwort Mehrsprachigkeit bei vielen Men- schen Ängste. Müssen auch unsere Kinder jetzt Türkisch lernen? In der Selzergasse ist das ohne- hin kein Thema: Nur eine Handvoll der knapp 200 Schüler ist einspra- chig deutschsprachig, wie es wis- senschaftlich korrekt heißt: In der 1B haben alle Kinder Migrations- hintergrund. Eine Klasse darüber sei eine einzelne Schülerin öster- reichischer Herkunft im Projekt, er- zählt Direktorin Susanne Göd. Die Eltern hätten damit kein Problem. Doch auch was die Migranten- kinder betrifft, ist mehrsprachiger Unterricht alles andere als unum- stritten. „Deutsch hat Priorität“, be- tonte etwa Integrationsstaatssekre- tär Sebastian Kurz (ÖVP) zuletzt. Ist Deutsch und Mehrsprachigkeit ein Widerspruch? „Wir sehen es nicht so“, sagt Schulleiterin Göd. „Je bes- ser ein Kind die Muttersprache be- herrscht, desto leichter fällt auch das Deutschlernen.“ Positiver Effekt auf Deutsch Die mehrsprachige Alphabetisie- rung habe keinesfalls negative Ef- fekte auf den Deutscherwerb, eher im Gegenteil, sagt Birgit Springsits, Germanistin an der Uni Wien, die das Projekt wissenschaftlich beglei- tet. Zwar wird die Evaluierung frü- hestens im Lauf des kommenden Schuljahrs fertig sein, bereits jetzt gebe es aber Anzeichen dafür, dass sich die mehrsprachig alphabeti- sierten Kinder beim mündlichen Deutscherwerb leichter tun als an- dere. Was Lesen und Schreiben be- trifft – da bisher nur Erstklässler be- obachtet wurden, kann man nichts Definitives sagen –, geht Springsits davon aus, dass das Fazit ebenfalls positiv sein wird. Von Lehrerseite jedenfalls sei das Feedback gut. In der Selzergasse sieht man an diesem Vormittag auf den ersten Blick, dass die Anwesenheit der Muttersprachenlehrer auch beim Vermitteln der deutschen Sprache hilft. So können sie erklären, wa- rum ein türkisches Kind sagt, dass es „mit der U-Bahn geht“ statt fährt: weil das im Türkischen so verwendet wird. Kennt ein Kind ein Wort nicht – an diesem Vormittag etwa fragt ein Mädchen, was „Wur- zel“ bedeutet –, kann BKS-Lehrer Nali´ c rascher weiterhelfen als die deutschsprachige Klassenlehrerin. Staatssekretär Sebastian Kurz müsste sich übrigens nicht sorgen, denn die Prioritäten sind – jeden- falls in der Selzergasse – relativ klar: „Am wichtigsten ist, dass die Schü- ler zuerst die Wörter auf Deutsch richtig schreiben lernen“, sagt Na- li´ c. „Die deutsche Sprache ist die Arbeitssprache.“ Bilinguale Klassen scheitern an fehlendem Interesse Wien. Türkisch- und Kroatisch-Klassen wurden eingestellt. [WIEN/BEBA] Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch: In Wien gibt es zahlreiche zweisprachige Schu- len bzw. Klassen – und großteils auch einen enormen Andrang. Für Migrantensprachen wie Bosnisch/ Kroatisch/Serbisch oder Türkisch gibt es indes kein derartiges Ange- bot. Oder besser gesagt: keines mehr, präzisiert Manfred Pinterits, Schulinspektor im 15. Wiener Ge- meindebezirk und als Initiator des Sprachförderzentrums Impulsge- ber für mehrsprachige Projekte in den Wiener Pflichtschulen. So habe es in der Volksschule Vorgartenstraße im zweiten Wie- ner Gemeindebezirk eine bilingua- le türkisch-deutsche Klasse gege- ben, in der Benedikt-Schellinger- Gasse im 15. Bezirk bis zum Vor- jahr eine kroatisch-deutsche. Eine Weiterführung sei am mangelnden Interesse der Eltern gescheitert – sowohl der österrei- chischen als auch der türkischen bzw. kroatischen. So habe man für das Türkischprojekt sogar gemein- sam mit der Botschaft um Schüler geworben, für die Kroatischklasse habe er selbst Vorträge in der kroa- tischen Kirchengemeinde gehalten – ohne große Resonanz. Bei Interesse würde man ein solches Projekt aber wieder star- ten, so Pinterits. Nicht, ohne klar- zustellen: Es handle sich um ein- zelne Klassen – ein mögliches An- gebot, wie mit Mehrsprachigkeit umgegangen werden könne. 12 FORUM BILDUNG MITTWOCH, 29. MAI 2013 DIEPRESSE.COM Die Presse

FORUMBILDUNG MITTWOCH,29.MAI2013 DIEPRESSE.COM Die … · 2013. 11. 13. · Neonicotinoide undSchokolade zurMatura DiebestenachtFachbereichs-arbeitenausChemiewurden ausgezeichnet

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  • Neonicotinoideund Schokoladezur MaturaDie besten acht Fachbereichs-arbeiten aus Chemie wurdenausgezeichnet.

    [WIEN/TK] „Nicotin und Neonicoti-noide“: So heißt eine der achtheuer von der Gesellschaft Öster-reichischer Chemiker ausgezeich-neten Fachbereichsarbeiten ausChemie: Frank Felix aus dem Sa-cré Cœur hat die Geschichte undWirkungsweise dieser giftigenSubstanzen erforscht. Neonicoti-noide wurden ab 1980 als Insekti-zide synthetisiert, nachdem sichdas DDT als so schädlich erwie-sen hatte. Heute denkt jeder so-fort ans Bienensterben – und dieAufregung um Minister Berlako-vich Anfang Mai.

    Ist denn die Fachbereichsar-beit so schnell entstanden? Natür-lich nicht. Ein solches Projektbraucht mindestens ein halbesJahr. Aber das Thema lag ebenschon vorher in der Luft; dazukam, dass der betreuende Lehrer,Werner Schalko, Hobbyimker ist.Ein schönes Beispiel jedenfalls da-für, wie brisant diese Arbeiten seinkönnen, die – noch bis 2015 – beider Matura eine Prüfung ersetzenkönnen. Im Fach Chemie wurdenheuer 79 geschrieben.

    Das Thema von Philipp Ben-jamin Wurm (BG Oberschützen)ist immer aktuell: Der passionier-te Münzensammler schrieb überEuromünzen und darüber, wassie fälschungssicher machen soll.Christian Horvat (BRG Kepler,Graz) erforschte Düngemittel,maß u. a. die Konzentrationenvon Schwermetallen: Immerhinfünf von 16 Proben überschrittenden deutschen Grenzwert fürUran. (In Österreich gibt es kei-nen solchen Grenzwert.)

    Zwei Preise fürs Sacré CœurMortimer Svec (BG Wenzgasse,Wien) wählte das komplizierte or-ganisch-chemische Thema der zy-klischen Ketone, Florian Kountny(BG St. Pölten) untersuchte Kunst-stoffe aus Melamin und Formal-dehyd, Brigitta Bachmair (SacréCœur) behandelte Allergene inLebensmitteln, Ellen Staudinger(BRG Vöcklabruck) verglich Ana-log- und Normalinsulin.

    Christoph Hettich (Doppler-Gymnasium Salzburg) widmetesich der Schokolade, die – so seinResümee – keine Glücksstoffe ent-hält. Dafür erklärte er, dass dieweiße Schicht, die länger gelager-te Schokolade überzieht, keines-wegs bedenklich ist, sondern ein-fach die thermodynamisch stabileForm der Kakaobutter. Auch dashätten die professionellen Chemi-ker, die sich zur Preisvergabe imUnterrichtsministerium versam-melt hatten, durchaus nicht allegewusst: viel Lob und Respekt.

    Wie die neue Ausbildung die Lehrer stärkt – und warum das nötig istGastkommentar. Spätestens, wenn der Anlassfall gravierend ist, wenden wir uns in der Regel an Experten, an Vertreter einer Profession. Mit denLehrerinnen und Lehrern ist das anders. Mit ihnen müssen wir uns zwingend auseinandersetzen – und ihre Professionalität wird oft infrage gestellt.

    VON CHRISTA KOENNE

    D ie Expertengesellschaft istein Schlüsselbegriff in derBeschreibung unserer Zeit.Steigendes Wissen und die Ausdif-ferenzierung der Arbeitsbereichehaben dazu geführt, dass wir allenur mehr in kleinen Bereichen Ex-perten sind. Vor allem sind wir Lai-en. Ob wir zum Arzt gehen, zumRechtsanwalt oder zum Installa-teur: Experten werden herangezo-gen, um spezielle Probleme zu lö-sen. Manchmal liefern wir uns denExperten einfach aus, manchmalhandeln wir die vorgeschlagenenMaßnahmen mit ihnen aus. Das

    Vertrauen in Experten ist zwar beiMenschen unterschiedlich groß –manche gehen öfter zum Arzt oderzu mehreren Ärzten und mancheversuchen immer noch, ihr Autoselbst zu reparieren – aber spätes-tens, wenn der Anlassfall gravie-rend ist, wenden wir uns an Vertre-ter einer Profession. Mit der Profes-sion Lehrer/Lehrerin ist es anders.

    Da wir in Österreich eine Un-terrichtspflicht haben, werden Leh-rer nicht freiwillig herangezogen.Es gibt einen Zwang, sich mit denExperten auseinanderzusetzen.Dazu kommt, dass Schüler nichtnur unterrichtet, sondern auch be-urteilt werden. Eine heftige Inter-

    vention. Damit bietet das Tun derExperten konfliktschaffende Anläs-se in den Familien; über nichtswird so viel gestritten wie über dieSchule. Da Eltern aber vor allem in-direkt mit den Lehrern in Verbin-dung stehen, liegt es nahe, im Kon-fliktfall ihre Professionalität infragezu stellen.

    Konflikte mit ElternDie Lehrer arbeiten nahe am Tunder Laien. Eltern leisten Erzie-hungsarbeit, sehen sich dabei abernicht als Laien. Die Grundhaltungeiner „natürlichen Professionali-tät“, die keine spezielle Ausbildungbraucht, kennzeichnet die Sicht

    vieler Erwachsener. Damit kom-men Lehrer rasch in Konflikt mitEltern, Interventionen werden alsIrritation der eigenen Identitätwahrgenommen. Anders als in an-deren Bereichen müssen die Päd-agogen verstärkt Begründungenabgeben. Wie mit Laien, die „allesbesser wissen“, kommuniziert wer-den kann, muss gelernt werden.

    Die Profession des Lehrers, derLehrerin besteht darin, Lernendedem eigenen Bildungsstand näher-zubringen, also die Differenz zwi-schen Laien und Experten zu ver-ringern. In gewisser Weise ist daseine paradoxe Intervention, dieeine spezielle „Metaprofessionali-

    tät“ braucht. Ziel der neuen Ausbil-dung ist es, Lehrer in ihrem Profes-sionsverständnis zu stärken. DieGemeinsamkeit aller Pädagogenwird erkennbar, wenn sie einander,unabhängig vom konkreten Aufga-benfeld, in der Praxis begegnen.Eine „akademische Heimat“ füralle Vertreter der Profession wirddie Qualität der Arbeit erhöhenund das Selbstverständnis der Leh-rer und Lehrerinnen stärken.

    Christa Koenne ist an mehrerenUniversitäten wissenschaftlich tätigund war Mitglied der Vorberei-tungsgruppe für die neue Pädago-genausbildung.

    Zauberer, zub, zeytin: Die Schüler der 1B in der VS Selzergasse lernen Wörterzum Buchstaben Z in drei Sprachen – Deutsch, Serbisch und Türkisch. [ Bayrhammer ]

    ABC auf Türkisch:Kein Widerspruchzum DeutschlernenSchule. Migrantensprachen im normalen Unterrichtsorgen für Debatten. Ein Lokalaugenschein.

    VON BERNADETTE BAYRHAMMER

    [WIEN] Der Buchstabe Z steht heuteauf dem Programm in der 1B derVolksschule Selzergasse im15. Wiener Gemeindebezirk. Aufdie Tafel ist groß ein Z gemalt, da-neben Bilder von Zebra, Zahn,Zaun und Zauberer. Doch nicht nurKärtchen mit deutschen Wörternhängen an der Tafel – sondern auchsolche mit Begriffen auf Türkischund Bosnisch/Kroatisch/Serbisch(BKS): „zeytin“ etwa, das türkischeWort für Olive, oder „zub“, das ser-bische für Zahn. Überhaupt ist dasKlassenzimmer gepflastert mit gel-ben, blauen und roten Kärtchen,auf denen verschiedenste Wörter,von Wochentagen über Tiere bishin zu Frühlingsblumen, jeweils inDeutsch, BKS und Türkisch stehen.

    Die Selzergasse ist eine von15 Wiener Volksschulen mit einemProjekt der mehrsprachigen Alpha-betisierung. Zehn Stunden pro Wo-che stehen neben der Klassenleh-rerin auch die Muttersprachenleh-rer für BKS und Türkisch in derKlasse. Buchstaben und Begriffewerden nicht nur im Deutschen,sondern parallel auch in den ande-ren Sprachen erarbeitet. Dabei tre-ten rasch Unterschiede zutage. „Nanjemačkom kažemo cet“, erklärtBKS-Lehrer Suljo Nalić: Im Deut-schen wird der neue Buchstabe als„Zet“ ausgesprochen – in BKS da-gegen, wie auch im Türkischen, alsstimmhaftes S. „Es gibt noch einenUnterschied, den kann man nichthören, aber sehen“, schließt dieTürkischlehrerin Gülcan Kaltan an:Alle Hauptwörter werden im Deut-schen groß geschrieben – in denanderen beiden Sprachen klein.

    Angst vor Türkisch für alleMigrantensprachen im regulärenUnterricht – das ist neben der vonder Koalition gerade erst in einenKompromiss gepackten Deutsch-förderung eines der heikelsten The-men, wenn es um Migration undSchule geht. Vor einer Woche gin-gen die Wogen hoch, als eine Wie-ner Expertengruppe vorschlug, denSprachen der Migranten mehr Platzeinzuräumen. „Häupl-SPÖ will inWien Türkisch als Erstsprache“, ti-telte die FPÖ gewohnt reißerisch.Tatsächlich schürt das SchlagwortMehrsprachigkeit bei vielen Men-schen Ängste. Müssen auch unsereKinder jetzt Türkisch lernen?

    In der Selzergasse ist das ohne-hin kein Thema: Nur eine Handvoll

    der knapp 200 Schüler ist einspra-chig deutschsprachig, wie es wis-senschaftlich korrekt heißt: In der1B haben alle Kinder Migrations-hintergrund. Eine Klasse darübersei eine einzelne Schülerin öster-reichischer Herkunft im Projekt, er-zählt Direktorin Susanne Göd. DieEltern hätten damit kein Problem.

    Doch auch was die Migranten-kinder betrifft, ist mehrsprachigerUnterricht alles andere als unum-stritten. „Deutsch hat Priorität“, be-tonte etwa Integrationsstaatssekre-tär Sebastian Kurz (ÖVP) zuletzt. IstDeutsch und Mehrsprachigkeit einWiderspruch? „Wir sehen es nichtso“, sagt Schulleiterin Göd. „Je bes-ser ein Kind die Muttersprache be-herrscht, desto leichter fällt auchdas Deutschlernen.“

    Positiver Effekt auf DeutschDie mehrsprachige Alphabetisie-rung habe keinesfalls negative Ef-fekte auf den Deutscherwerb, eherim Gegenteil, sagt Birgit Springsits,Germanistin an der Uni Wien, diedas Projekt wissenschaftlich beglei-tet. Zwar wird die Evaluierung frü-hestens im Lauf des kommendenSchuljahrs fertig sein, bereits jetztgebe es aber Anzeichen dafür, dasssich die mehrsprachig alphabeti-sierten Kinder beim mündlichenDeutscherwerb leichter tun als an-dere. Was Lesen und Schreiben be-trifft – da bisher nur Erstklässler be-obachtet wurden, kann man nichtsDefinitives sagen –, geht Springsitsdavon aus, dass das Fazit ebenfallspositiv sein wird. Von Lehrerseitejedenfalls sei das Feedback gut.

    In der Selzergasse sieht man andiesem Vormittag auf den erstenBlick, dass die Anwesenheit derMuttersprachenlehrer auch beimVermitteln der deutschen Sprachehilft. So können sie erklären, wa-rum ein türkisches Kind sagt, dasses „mit der U-Bahn geht“ stattfährt: weil das im Türkischen soverwendet wird. Kennt ein Kind einWort nicht – an diesem Vormittagetwa fragt ein Mädchen, was „Wur-zel“ bedeutet –, kann BKS-LehrerNalić rascher weiterhelfen als diedeutschsprachige Klassenlehrerin.

    Staatssekretär Sebastian Kurzmüsste sich übrigens nicht sorgen,denn die Prioritäten sind – jeden-falls in der Selzergasse – relativ klar:„Am wichtigsten ist, dass die Schü-ler zuerst die Wörter auf Deutschrichtig schreiben lernen“, sagt Na-lić. „Die deutsche Sprache ist dieArbeitssprache.“

    Bilinguale Klassen scheiternan fehlendem InteresseWien. Türkisch- und Kroatisch-Klassen wurden eingestellt.[WIEN/BEBA] Englisch, Französisch,Spanisch, Italienisch: In Wien gibtes zahlreiche zweisprachige Schu-len bzw. Klassen – und großteilsauch einen enormen Andrang. FürMigrantensprachen wie Bosnisch/Kroatisch/Serbisch oder Türkischgibt es indes kein derartiges Ange-bot. Oder besser gesagt: keinesmehr, präzisiert Manfred Pinterits,Schulinspektor im 15. Wiener Ge-meindebezirk und als Initiator desSprachförderzentrums Impulsge-ber für mehrsprachige Projekte inden Wiener Pflichtschulen.

    So habe es in der VolksschuleVorgartenstraße im zweiten Wie-ner Gemeindebezirk eine bilingua-le türkisch-deutsche Klasse gege-ben, in der Benedikt-Schellinger-

    Gasse im 15. Bezirk bis zum Vor-jahr eine kroatisch-deutsche.

    Eine Weiterführung sei ammangelnden Interesse der Elterngescheitert – sowohl der österrei-chischen als auch der türkischenbzw. kroatischen. So habe man fürdas Türkischprojekt sogar gemein-sam mit der Botschaft um Schülergeworben, für die Kroatischklassehabe er selbst Vorträge in der kroa-tischen Kirchengemeinde gehalten– ohne große Resonanz.

    Bei Interesse würde man einsolches Projekt aber wieder star-ten, so Pinterits. Nicht, ohne klar-zustellen: Es handle sich um ein-zelne Klassen – ein mögliches An-gebot, wie mit Mehrsprachigkeitumgegangen werden könne.

    12 FORUM BILDUNG MITTWOCH, 29. MAI 2013DIEPRESSE.COM Die Presse