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Fräuleins, Jazz & Chuck-a-Luck Bremerhavens amerikanische Jahre 1945–1993 Martina Albert, Thorsten Brockmann (Hrsg.) CARL SCHÜNEMANN VERLAG

Fräuleins, Jazz & Chuck-a-Luck - Buch.de · Die Damen vom PX von Martina Albert ..... 71 Bis zu den Knien in Haaren von Lili Maffiotte ..... 74 »Kleine Amerikas« im Stadtgebiet

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Fräuleins, Jazz & Chuck-a-LuckBremerhavens amerikanische Jahre 1945–1993

Martina Albert, Thorsten Brockmann (Hrsg.)

CARL SCHÜNEMANN VERLAG

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Inhalt

Editorial von Gert-Dieter Meier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Neuanfang in einer zerstörten Stadt von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Heiße Tänze im Wildkatzenclub von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Schokolade, Sport und Filzstifte gegen Nationalsozialismus von Martina Albert . . . . . . . . 14

Vom Wäschejungen zum Caddie-Meister von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Die D-Mark kommt in der Holzkiste von Lili Maffiotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20

Revolution in Bremerhaven: Die Blink-Affäre von Rainer Donsbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22

Atom-Anita und die »Bars of Bremerhaven« von Rainer Donsbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27

Ein Leben für die Ami-Karre von Lili Maffiotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30

Viele Fräuleins bleiben alleine von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32

Eine Laufmasche bringt die große Liebe von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36

Der Tag, an dem Elvis nach Bremerhaven kam von Rainer Donsbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39

Spuren gesucht, Freund gefunden von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .42

Wäschebote mit Spezialauftrag von Marcel Ruge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44

Soundtrack für ein neues Lebensgefühl von Rainer Donsbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46

Deutscher Tenor in der Ami-Band von Rainer Donsbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49

Eine Bremerhavener Legende von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .52

Fest in Deutschland verwurzelt von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55

Ein Stück Heimat in Übersee von Lili Maffiotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58

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Bunter Begleiter für GIs von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .60

Major Tom öffnet die Tür zu einer neuen Welt von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62

Stars and Stripes mit Bleistift und Tinte von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65

Kunden in Uniform von Wolfgang Ehrecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .68

Die Damen vom PX von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Bis zu den Knien in Haaren von Lili Maffiotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

»Kleine Amerikas« im Stadtgebiet von Wolfgang Ehrecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77

Die Gegner fürchten die »Gans« von Lili Maffiotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .81

Stille Spuren der Vergangenheit von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .83

Baseball, Blackhawks und der Blink von Ursel Kikker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86

Der Nachschub rollt über Bremerhaven von Christoph Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .89

Bekehrt zum schwarzen Soul von Wolfgang Ehrecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .91

Wenn GIs vor Rührung weinen von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .94

Am Bahnhof riecht’s nach Toast von Christopher Beschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98

Eine Ära endet – der Abzug der Amerikaner von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100

Mit Herz und Seele von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Steinerne Zeugen von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Cola, Beck’s und Waschmaschinen von Wolfgang Ehrecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Fünfmal Garlstedt und zurück von Martina Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Seidel, come on: Ladies night von Susanne Schwan .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Mit AFN zu Michael Jackson von Christopher Beschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Amerikaner heute in Bremerhaven von Martina Albert und Gert-Dieter Meier . . . . . . . . . . 120

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Die leckere Schokolade, das ist oft das Erste, was Bre-

merhavenern, die 1945 Kinder waren, einfällt, wenn

sie an ihre erste Begegnung mit Amerikanern den-

ken. Doch die Anfangszeit hat noch mehr Facetten:

Sie ist gerade in den ersten Monaten von Unsicher-

heit auf beiden Seiten geprägt. Allmählich weicht die

anfängliche Distanz jedoch einem aufgeschlossenen

Interesse.

Dieter Albers hat die Szene noch genau vor Au-

gen: Mit schwarzen Filzstiften kommt ein Offizier der

U.S. Army in die Schulklasse. »Und dann mussten wir

alle kritischen Passagen in den Schulbüchern durch-

streichen«, sagt er. Eine Maßnahme der Entnazifizie-

rung: Nationalsozialistisches Gedankengut soll ausra-

diert werden. Und das nehmen die Amerikaner nach

dem Zweiten Weltkrieg durchaus genau. »Bei der

Entnazifizierung waren die Amerikaner hier ziemlich

streng«, sagt Dr. Rüdiger Ritter. Der Historiker hat sich

intensiv mit der amerikanischen Besatzungszeit in Bre-

merhaven befasst und zu dem Thema das Buch »Vor-

ort von New York« veröffentlicht. Vor allem anfangs

belasten die Entnazifizierung und die Sorge der Deut-

schen, den begehrten »Persilschein« nicht zu bekom-

men, das Klima. »Die Amerikaner haben nach dem

Krieg zumindest von offizieller Seite klar zu verstehen

gegeben, dass sie als Besatzer und nicht als Freunde

gekommen waren«, so Ritter. Das 1945 noch beste-

hende Fraternisierungsverbot wird jedoch schnell auf-

gehoben und erste Kontakte entstehen. Nicht zuletzt

spielt dabei auch das Interesse der GIs an den deut-

schen Mädchen eine Rolle und die Wäsche der Solda-

ten, die sie gerne bei den Deutschen waschen lassen.

Zu Unruhe in den ersten Monaten führt allerdings

die Besetzung von Wohnraum, auch wenn hiervon nur

ein kleiner Teil der Bevölkerung betroffen ist. In der

NORDSEE-ZEITUNG wird im März 1956 anlässlich der

Übergabe einer der letzten besetzten Wohnungen von

insgesamt 779 betroffenen Familien gesprochen. Um

die Rückgabe der Wohnungen zu beschleunigen, gibt

es in den Jahren nach dem Krieg ein umfangreiches

Schokolade, Sport und Filzstifte gegen Nationalsozialismus Wie sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen in den ersten Jahren entwickeln

von Martina Albert

Von Anfang an begeistert die Musik der Amerikaner die Jugend. Auch die Auftritte der 61st Army Band gehören dazu.

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Wohnungsbauprogramm, das rund 30 Millionen Mark

kostet. Insgesamt sind die Jahre bis 1950 jedoch durch

ein steigendes Interesse und zunehmendes Vertrauen

geprägt. Vor allem die deutliche Verbesserung der Ver-

sorgungssituation nach dem Krieg trägt bei den Bre-

merhavenern dazu bei, ein positives Bild von den GIs

zu entwickeln. So erinnert sich der Bremerhavener

Richard Pflaumbaum noch gut daran, wie die Ame-

rikaner nicht nur den Kindern stets etwas Essbares

zustecken, sondern auch beim Entladen ihrer Versor-

gungstransporter oftmals einiges »versehentlich« ab-

geben. »Sie haben immer irgendetwas mit Absicht

fallen gelassen, was wir dann schnell aufgesammelt

haben. Offiziell war das natürlich verboten.«

Auch der junge Dieter Albers hat schnell Kontakt zu

den Amerikanern. »Nach dem Krieg habe ich nie Hunger

gelitten«, sagt er. Er kommt auch in den Genuss ganz

besonderer Aufmerksamkeit. Denn schon sehr früh be-

ginnen die Amerikaner, sich intensiv um den Nachwuchs

zu bemühen. Jugendgruppen und Jugendclubs werden

gegründet und vor allen Dingen sportliche Aktivitäten

angeboten. »Ein halbes Jahr nach dem Krieg wollten uns

die Amerikaner Baseball auf dem Phillipsfield beibrin-

gen«, sagt Dieter Albers. Da sich die Leher Jungs jedoch

mit den Regeln schwertun und stattdessen lieber Schlag-

ball spielen, resignieren die Soldaten schließlich und stei-

gen auf Football um. »Das war dann unser Ding«, sagt

Albers mit einem Schmunzeln. Dann wird er nachdenk-

lich und erinnert daran, dass die Bremerhavener den

Amerikanern viel zu verdanken haben. Denn nach dem

Krieg hätten die GIs auch dabei geholfen, zerstörte Häu-

ser zu sichern und Blindgänger zu beseitigen. Nicht nur

einer habe dabei sein Leben gelassen, so Albers, der sich

seit Jahren mit der Stadtgeschichte beschäftigt.

Sport stärkt den Zusammenhalt: Hier ein Bild von der jährlichen Preisverleihung an Sportler in der Marine-schule.

1958 passiert ein Zerstörer der 18. Division der U.S. Navy die Kaiserschleuse. Neugierige säumen das Ufer.

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Wenn es nach ihm ginge, dürftest du so einiges an-

stellen. Doch wer ihm auf die blauen Wildlederschu-

he tritt, der kann verdammt noch mal was erleben.

Diese Mär vom harten Rock ’n’ Roller (»Blue Suede

Shoes«) prägen das Image von Elvis Presley, bevor

der King 1958 in einer ganz anderen Rolle nach Bre-

merhaven kommt: Als kleiner GI, mit einem Seesack

auf der Schulter und zur Zurückhaltung verdonnert.

Die jugendlichen Fans flippen dennoch total aus, als

der Gefreite Presley hier an Land geht.

Während am 1. Oktober 1958 der Truppentranspor-

ter »General G. M. Randall« an der Columbuskaje fest-

macht, registriert der Berichterstatter der NORDSEE-

ZEITUNG merkwürdige Veränderungen bei den 600

jugendlichen Rock ’n’ Roll-Fans, die nur mühsam von

bärbeißigen Militärpolizisten hinter der Absperrung

gehalten werden können: »Sie winkten mit beiden Ar-

men, zappelten mit den Beinen und schrien im Chor

›Elvis, Elvis‹.«

Doch der Gefreite Elvis Aaron Presley lässt seine An-

hänger schmoren und kommt als einer der Letzten die

Gangway herunter. Ohne Show, extrem zurückhal-

tend. Als Angehöriger der US-Armee hat er sich wie

ein kleiner Gefreiter und nicht wie ein Rock ’n’ Roll-

Star zu verhalten.

Als der King die Gangway herunterkommt, den Seesack auf dem Rücken, ist er ganz offensichtlich zur Zurück-haltung verdonnert worden. Der Junge, der die Absper-rung durchbrochen hat und auf den Steg gesprungen ist, bekommt trotzdem sein ersehntes Autogramm.

Der Tag, an dem Elvis nach Bremerhaven kam1958 kommt Elvis als GI nach Bremerhaven

von Rainer Donsbach

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Die U.S. Army ist sichtlich bemüht, dem Idol keinen

Sonderstatus einzuräumen. Von seinen Kameraden,

die ihn an Bord vergeblich zum Singen animieren wol-

len, darf er nicht einmal Blumen annehmen. »Ich habe

einen Vertrag unterschrieben, zwei Jahre nicht mehr

zu singen«, gibt er später zu Protokoll.

Auf Distanz sollen auch die Bremerhavener Teenager

gehalten werden. Die Absperrungen sind so weit um

das Schiff herum gezogen worden, dass die Fans im-

mer wieder versuchen, die amerikanischen und deut-

schen Polizisten zu überrennen.

Die düster blickenden MPs müssen auch einen elfjäh-

rigen Steppke bändigen, der später selbst im bundes-

deutschen Showgeschäft eine große Nummer werden

sollte: Stefan Remmler, zunächst Frontmann der Neue-

Deutsche-Welle-Band Trio, sieht nicht nur bei späte-

ren Soloversuchen »Keine Sterne in Athen«. Den Stern

seiner Jugend hat er auch nicht zu sehen bekommen.

»Die amerikanischen Soldaten haben uns gelinkt«,

berichtet er. »Die haben erst auf einen Soldaten ge-

zeigt, wir haben gejubelt, dann auf einen anderen,

und wir haben wieder gejubelt. Woher soll ich wissen,

ob ich Elvis gesehen habe, aber das Feeling war da.«

Ein Mädchen muss ihn dann als Erste entdeckt ha-

ben, wie NZ-Chefreporter Heinz-Werner Stürzer sei-

nerzeit notiert: »Nachdem etwa 100 Soldaten das

Schiff verlassen hatten, schrie eine weibliche Stimme

so gellend auf, dass die meisten Fotografen diesen

Schuss verwackelten. Der nächste Schuss ging auch

daneben, denn ein 16-jähriger kaufmännischer Lehr-

ling stürzte sich vor die Objektive der Fotografen und

bat Presley um ein Autogramm.«

In der Menschenmenge steht auch Rosel Schultz, die

damals noch Armstroff heißt. »Es war der erste Tag

unserer Herbstferien«, erinnert sie sich später. »Fast

sämtliche Jugendliche der Stadt strömten schon ab

fünf Uhr morgens zur Columbuskaje. Ich kam mit zer-

rissenen Strümpfen und zertretenen Schuhen nach

Hause, so lebhaft ging es zu im Getümmel.«

Als Elvis die Gangway herunterkommt, habe ihm je-

mand einen dicken Strauß roter Nelken zugeworfen.

Mit dem sei er in dem wartenden Zug verschwun-

den, der die Soldaten zur US-Garnison in Friedberg

(Hessen) bringen sollte. »Da begannen wir draußen

Abgeschirmt von deutscher und US-Militärpolizei, bahnt sich Elvis den Weg durch über 50 Fotografen, Kamera-leute und Pressevertreter.

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Er ist eine Bremerhavener Legende: der Ami-Markt,

der von 1961 bis zum Abzug der Amerikaner jährlich

auf dem Phillips-Field stattfindet. Bis heute schwär-

men die Besucher von damals von Eis, Hamburgern,

Chuck-a-Luck, der Bimmel-Bahn, Penny Pitch und

dem etwas ungezähmten Flair des Marktes.

Die Tische mit den Zutaten für den echten Amerikani-

schen Hot Dog hat Thomas Riehl aus Hagen noch ge-

nau vor Augen: »Das grüne Relish wabbelte nicht nur

über, sondern auch um den Tisch herum.« Gestört hat

es ihn und die anderen Besucher nicht. Denn wer auf

einen Hot Dog verzichtet, muss wieder ein Jahr auf den

nächsten Ami-Markt warten oder in einem der ameri-

kanischen Clubs essen. Und noch ein Bild ist Thomas

Riehl besonders in Erinnerung geblieben: Jeder Zweite

läuft mit einer großen Packung Eis über den Jahrmarkt.

Eine Bremerhavener LegendeDie Erfolgsgeschichte des heiß geliebten Ami-Markts

von Martina Albert

Gemeinsam wird das Band zur Eröffnung entknotet: General Thomas H. Tait (links) und Bürgermeister Heinz Brandt 1984.

Die offizielle Eröffnung des Ami-Marktes und des gleichzeitig stattfindenden Freimarktes erfolgt mit einem Rundgang über den Markt – hier 1987.

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Doch es geht bei den Ami-Märkten nicht nur ums Es-

sen: Auch originelle Spiele gibt es reichlich. Thomas

Riehl und die Bremerhavenerin Gisela Pflaumbaum er-

innern sich besonders gerne an »Dunk-Ball«. Mit einem

Ball muss man auf einen Auslösemechanismus wer-

fen. Landet man einen Volltreffer, fällt ein Soldat in ei-

nen Bottich mit Wasser. »Ein Riesenspaß«, sagt Gisela

Pflaumbaum. Im Jahr 1972 berichtet die NORDSEE-ZEI-

TUNG in diesem Zusammenhang über Colonel Irving

Wendt, der sich für zwei Stunden bereit erklärt hat, den

Umsatz am »Dunk-Ball«-Stand, der amerikanischen Ju-

gendorganisationen zugutekommen soll, zu steigern.

Offenbar klappt das sehr gut und Colonel Wendt geht

entsprechend oft auf Tauchgang. Als Erstes versenkt

wird er übrigens von seiner eigenen Frau, wie die NZ

berichtet. »Als er nach sieben Bällen immer noch im Tro-

ckenen saß, marschierte sie kurz entschlossen auf ihn

los, versetzte der Zielscheibe einen kräftigen Stoß und

brachte ihr Vorhaben so erfolgreich zu Ende«, heißt es

in der NORDSEE-ZEITUNG vom 26. August.

Es sind Szenen wie diese, die den Ami-Markt über

drei Jahrzehnte für Kinder, aber auch Erwachsene zu

einem unvergesslichen Erlebnis machen.

1961 ist der Markt ins Leben gerufen worden – dabei

geht es von Anfang an darum, die Stimmung zwischen

Deutschen und Amerikanern weiter zu verbessern und

einen entspannten Umgang in lockerem Rahmen zu

ermöglichen. Die negativen Auswirkungen der Blink-

Affäre 1954 auf das Klima zwischen Besatzern und

Bremerhavenern sind noch sehr präsent.

Rundgang mit Musik: Strammen Schrittes geht es mit Pauken und Trompeten über den Markt, angeführt wird der Marsch 1963 von der 61st Army Band.

Das legendäre Ami-Eis gehört immer zum Markt dazu – das Bild hier zeigt den Verkaufsstand 1967 zu einem anderen Anlass.

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Es ist der schönste Moment, an den Lutz Natusch sich

erinnern kann: ein baumgroßer schwarzer GI, der zu

Tränen gerührt ist. Ab 1986 hat der Bremerhavener

Gastronom amerikanische Soldaten und ihre Famili-

en zu einer Weihnachtsfeier in sein Restaurant ein-

geladen. »Wir wollten damit einen Gegenpol zu den

›Ami-go-Home-Protesten‹ dieser Zeit setzen«, sagt er.

Entsprechend groß ist die Dankbarkeit. Denn neben

Thanksgiving und dem 4. Juli ist Weihnachten eines

der Feste, das den Amerikanern am wichtigsten ist.

Etwas zurückgeben. Das ist die Motivation für Lutz

Natusch und seine Familie, 1986 zum ersten Mal 120

Amerikaner zu einem kostenlosen Weihnachtsbuffet

mit Bescherung in sein Fischereihafen-Restaurant ein-

zuladen. Denn viele der Soldaten müssen auch über

Weihnachten in Deutschland bleiben. Manche allein

und ohne Familie. Hinzu kommen in dieser Zeit anti-

amerikanische Proteste. »Das fanden wir von Anfang

an undankbar und kurzsichtig, denn wir Deutschen

haben den Amerikanern nun wirklich viel zu verdan-

ken«, betont Lutz Natusch. Zum einen natürlich die

Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherr-

schaft, zum anderen hätten gerade die Bremerhave-

ner den Amerikanern auch viele Arbeitsplätze zu ver-

danken. »Die Amis waren bis zum Schluss ein riesiger

Wenn GIs vor Rührung weinenFeiertage und Feste der Amerikaner werden auch nach Bremerhaven importiert

von Martina Albert

Die Natusch-Weihnachtsfeiern bringen nicht nur Kinder-augen zum Leuchten – auch die GIs und ihre Frauen sind oft gerührt.

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Wirtschaftsfaktor für Bremerhaven.« Der Gastronom

selbst verdankt den Amerikanern im Übrigen außer-

dem eine ganz frühe und schöne Kindheits-Weih-

nachtserinnerung, wie er erzählt. Denn nach dem

Krieg laden die Amerikaner Bremerhavener Kinder

mehrere Jahre in Folge zu einer Weihnachtsfeier ein

Fisch satt und umsonst – das war ein wichtiger Bestand-teil der von der Gastronomenfamilie Natusch seit 1986 ausgerichteten Weihnachtsfeiern für Amerikaner.

Das Fernsehen ist auch dabei: Bei den Amerikanern sorgt die deutsche Einladung zur Weihnachtsfeier für so viel Begeisterung, dass amerikanische Zeitungen und das Fernsehen darüber berichten.

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Grünkohltour fehlt nochAn seine erste Begegnung mit einem deutschen Auto

kann sich Steve Slaton noch gut erinnern. »Ich dachte

nur: Was ist das? Damit kann ich nicht fahren«, erzählt

er mit einem Schmunzeln. Denn in den USA haben die

Autos in aller Regel keine Gangschaltung, sondern Auto-

matik. Doch der Sportler gewöhnt sich nach den Start-

schwierigkeiten schnell an das neue Fahrgefühl. 2006 ist

er als junger Eishockeyspieler nach Deutschland gekom-

men. Über Stationen in Kaufbeuren und Hannover lan-

det er schließlich 2009 bei den Fishtown Pinguins. Lan-

ge schon ist Bremerhaven für ihn und seine Frau Wendy

Heimat geworden. Ihr einjähriger Sohn Dexter ist als

waschechter Bremerhavener im Klinikum Reinkenheide

zur Welt gekommen und besucht mittlerweile hier eine

Kinderkrippe. »Wir sind angekommen«, sagt er. Seit er

14 Jahre alt ist, ist Steve in keiner anderen Stadt so lan-

ge zu Hause wie in Bremerhaven. Und auch Wendy hat

sich sehr gut eingelebt. Sie arbeitet bei Areva Wind und

hat ihrem Mann im Übrigen noch etwas voraus: Über

Dexters Kinderkrippe feiert sie in diesem Jahr ihre Grün-

kohltour-Premiere. »Da muss ich noch nachziehen, das

gehört hier schließlich dazu«, lacht Steve.

Zwar haben Wendy und er immer mal wieder Heim-

weh, doch der jährliche Besuch bei ihren Familien in

den USA hilft. »Aber wenn wir dann in Minnesota sind,

fehlt uns Bremerhaven«, sagt er. Denn die beiden ha-

ben sich hier einen Freundeskreis aufgebaut. Mit ihnen

pflegen sie eine ganz besondere Tradition: Am Silves-

terabend wird traditionell der Silvesterstadl geschaut.

Die aktuelle Aufnahme zeigt Slaton mit dem Pokal der Deutschen Meisterschaft 2014. Im »Pott« hat sein Sohn Platz, der in Bremerhaven geboren wurde.

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