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Freiheit

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postdigital #1

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Gewinner in der KategorieCult Concepts mit der Body Care Linie Erhält l ich im autor is ier ten Fachhandel

WWW.4711.COM

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3Editorial |

iebe Leserin, lieber Leser,

Sie halten heute die erste Ausgabe unseres Magazins »postdigital« in

den Händen. Wir möchten damit einen Blick auf das Heute werfen, in dem sich Leben, Arbeiten und Kommunikation dank technologischer und digitaler Errun-genschaften rasant verändern, die »digita-le Revolution« aber scheinbar auch ihren Zenit erreicht hat. Es reden zwar alle vom digitalen Zeitalter, doch sehnt sich der Mensch noch erstaunlich oft (oder gera-de deswegen?) nach analoger Kommunika-tion: Events, Zeitungen, Magazine, Kon-zerte oder das gemeinsame Bier um die Ecke erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit. Oder wie der Philosoph Mar-tin Buber richtig bemerkt: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung«.Speziell in der Kommunikationsbranche fragt man sich allerdings, wer in Zukunft die Hoheit über Kampagnen und Projekte haben wird: die mit dem besten Verständ-nis für Nullen und Einsen, die mit der kre-ativsten Idee oder die mit dem besten stra-tegischen Ansatz und den besten inhalt-lichen Leitgedanken? Der selbsternannte »Digital Native« sieht sich genauso in der Führungsrolle wie der »klassische Werber«, und so haben uns die Diskussionen – ins-besondere in den Fachmedien – am Ende fast gelangweilt. Uns egal, was die anderen meinen, dach-ten wir; und haben uns damit beschäftigt, wer wir sind, was wir machen, wie wir Kommunikation von heute eigentlich verstehen und das am besten vermitteln können. Wir, das ist ein bunter Hau-fen gut ausgebildeter Kommunikations- experten, Kreativer und Onlinespezialisten einer stark wachsenden Agentur mit digi-talem Schwerpunkt. In allem, was wir tun, verstehen wir uns als Partner, Berater und Ideengeber.

Das alles zusammengenommen führte uns dann zu diesem Magazin. Wir wollten wis-sen, was die Menschen wirklich bewegt. Wie sie ihre Ideen umsetzen oder an Pro-jekte herangehen; wie sie die reale und die digitale Welt sinnvoll miteinander ver-binden, statt zu trennen. Und das ist im 21. Jahrhundert leider immer noch keine Selbstverständlichkeit.Dieses »sinnvoll miteinander verbinden« ist für uns ein entscheidender Antrieb, aber auch einfacher gesagt als getan. Es wirft Gelerntes und Eingespieltes oft über den Haufen, überfordert Teams und Abteilun-gen oder wird aus Mangel an Wissen ein-fach blockiert. Zueinander finden, vernet-zen statt abgrenzen und gemeinsame Sache machen – zum Wohle guter Kommuni-kation für Unternehmen, für Mitarbei-ter, für Marken und Themen. Klingt fast ein wenig romantisch, aber ein bisschen Idealismus möchten wir uns immer noch bewahren! Nun denn, wir haben uns also auf das »postdigitale Zeitalter« eingelassen, The-men recherchiert und viele Informatio-nen wie auch Diskussionen dazu gefun-den. Genug Stoff jedenfalls für eine mög-liche Fortsetzung dieser Ausgabe. Und so hoffen wir, dass Sie sich auf dieses druck- frische Magazin einlassen und etwas mit-nehmen für Ihre Kommunikation. Übrigens: Sollten Sie uns den einen oder anderen Gedanken mitteilen wollen, freu-en wir uns über Ihre Nachricht ! Ganz klassisch als Leserbrief, per Post mit Brief-marke, digital via Mail, über unsere Web-site, unsere Social Media Kanäle. Oder Sie rufen uns einfach mal an!

IhrMichael Sodar,Herausgeber

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Wenn man sich schon Arbeit mit nach Hause nimmt, dann wenigstens einen BMW.Alphacity. Das erste Corporate CarSharing auf Leasing-Basis.

alphabet.de/alphacity

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schneller / weiter / mehr

400 Hektar Freiheitwas macht ein altes Flughafengelände so faszinierend ? Ein roundtable über Standortmarketing und Berlin tempelhof.

»Adrenalin und Chillout«Berlins oberster tourismuswerber Burkhard Kieker, geschäftsführer von visitBerlin, schreibt über seine Stadt und den reiz des wandels.

Gedanken sind freiwenn sich der Blick mitten in der großstadt in der Ferne verliert, regt das die phantasie an. die etwas andere Fotostrecke zur »tempelhofer Freiheit«.

Wie schmeckt Freiheit?

Gamification

Malen nach Zahlen

Stell dir vor, es ist Pressekonferenz, und alle reden mitEs gilt vielen als unkontrollierbar, pressekonferenzen via Social web für die massen zu öffnen. das Bundesfamilienministerium lässt sich nicht abschrecken.

Netzwurzeln mit Birgit riess, Bertelsmann Stiftung

Echte Freunde Kneipen-Kumpel oder Facebook-Freund

Das schwierige Geschäft mit der Kommunikation Eine gastkolumne von alexander niemetz, medientrainer und Ex-moderator des heute journal.

imprESSUm

Herausgeber Aperto Plenum GmbH, Chausseestraße 5, 10115 Berlin

eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg unter HRB 132279 B

Geschäftsführung: Michael Sodar+49 30 283921 - 0, [email protected], www.aperto.de

AnzeigenBirthe Bruhns, +49 30 283921-493 [email protected]

RechtshinweisNachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrück-licher Genehmigung der Aperto Plenum GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Autors wieder. Diese muss nicht der Meinung der Redaktion oder der Agenturgruppe Aperto entsprechen. Für unverlangt eingesandte Materialien wird keine Gewähr übernommen. Auch alle anderen Informationen in diesem Heft nach bestem Wissen, aber ohne Gewähr.

Redaktionpostdigital, c/o Aperto Plenum GmbH Chausseestraße 5, 10115 Berlin,+49 30 283921 - 493, [email protected], www.postdigital-magazin.de

Chefredaktion: Helge Birkelbach (V.i.S.d.P) [email protected]: Birthe Bruhns, [email protected]  Direction: Dana Pfützenreuter, Denny Rosenthal,[email protected]: Henning Lisson, Pauline Drewfs, Kristina Heilgenthal, Peter Steigerwald, Jan Deppert

postdigital Juni 2012

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Beginnelektronischer Übertragung

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Die Infografik: dieses mal

zum thema Kommunikation

im postdigitalen Zeitalter

… Zeit. Wir können immer mehr Informationen in immer weniger Zeit transportieren. Doch trotz der rasanten technischen Entwicklung bleibt die zentrale Herausforderung der Kommunikation bestehen – auf den Inhalt kommt es an. Es gilt nach wie vor: Die Datenmenge (Mn) mal die Übertragungs-geschwindigkeit (v) ist ungleich einem 100-prozentigen Informationsgehalt.

die hälfte ist manchmal mehr als das ganze.Hesiod | um 700 v. Chr.

griech. Schafhirte u. Dichter

wer so spricht, dass er verstanden wird, spricht immer gut.

Molière | 1622 – 1673französischer Dramatiker

der Unterschied zwischen dem richtigen wort und

dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen dem Blitz und einem glühwürmchen.

Mark Twain | 1835 – 1910US-amerik. Schrifsteller

wer viele Sprachen spricht, kann in vielen Sprachen

Unsinn reden.Alexander Roda-Roda | 1872 – 1945

österr. Dramatiker u. Essayist

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Idee: Jan Deppert,

Peter Steigerwald

Grafik: Denny Rosenthal

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Nirgendwo in Berlin zeigt sich Freiheit in größeren Dimensionen als auf dem ehemaligen Flughafengelände Tempelhof. Mitten in der Metropole erstreckt sich ein riesiges Areal, das neue Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Ein Alleinstellungsmerkmal, ideal für das Standortmarketing. Aber wie kommuniziert man Freiheit online und oΩline ? Moderation: Helge Birkelbach

postdigital: Der Flughafen Tempelhof ist Vergangenheit. Was macht ein ehemaliges Flughafengelände so außergewöhnlich?

MartIn PallgEn: Es ist die Weite und Lee-re, die so fasziniert. Der Park ist offen für jeden Besucher – es beginnt etwas quasi konsumfrei aus sich selbst heraus. Sie kön-nen die zwei Kilometer lange Start- und Landebahn nutzen, um die abenteuerlichs-ten Windgeräte auszuprobieren, wofür

man früher an die Ostsee fahren musste. Gleichzeitig stehen wir am Anfang einer neuen Stadtentwicklung. Wenn wir in 20 oder 30 Jahren hierher kommen, sind an den Rändern neue Quartiere entstanden. Im Moment befinden wir uns in einer extrem spannenden Phase zwischen ges-tern, heute und morgen. Es passt perfekt zu Berlin und zu diesem Improvisieren-den, diesem Werdenden, diesen Zwischen-nutzenden. Dass Menschen hier sind, die

einfach Dinge tun, die sie woanders nicht tun würden. Am Columbiadamm haben zum Beispiel Künstler eine Minigolfbahn gestaltet. Normalerweise ist das etwas sehr Spießiges für Campingplätze. Hier sind es Künstler, die die hippe Stadtkultur anzie-hen.

gErHarD BucHHolZ: Es hat sich in der Welt herumgesprochen, dass Berlin ein Ort der Freiheit ist. Vielleicht nicht der klassischen Freiheit innerhalb des früheren Berlins, im Umzäuntsein, sondern einer neuen Freiheit. Diese Freiheit des Labo-ratoriums, das wir auf diesem Feld haben werden. Wir sehen jetzt schon erste Ansät-ze mit Pionierprojekten, die sich angesie-delt haben. Über 240 Hektar Parkfläche liegen zu unseren Füßen. Wir – ich spreche ja hier für das touristische Marketing und

Talk im Tower: Katharina Langsch, Gerhard Buchholz und Martin Pallgen im Gespräch mit Helge Birkelbach (v.r.n.l.)

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machen. Wir laden Fachjournalisten nach Berlin ein – da gibt es sogenannte Site Ins-pections. Und für die Gäste der Stadt wird ein Besuchsprogramm zur Besichtigung des Tempelhofer Feldes angeboten.

PallgEn: Wir mussten uns zu Anfang der kommunikativen Maßnahmen eine grundlegende Frage stellen: Was ist dieser Ort denn nun? Ist es immer noch der Flug-hafen Tempelhof? Nein, ist es nicht, denn es fliegt ja kein Flugzeug mehr. Gleichzei-tig ist die Marke Flughafen Tempelhof so stark, dass es Unsinn wäre, sie zu negieren. Das Flughafengebäude vermarkten wir als Eventlocation unter dem Namen Flugha-fen Tempelhof. Dieses ist Teil der Tem-pelhofer Freiheit mitsamt dem früheren Flugfeld. Die neue Bezeichnung des Ortes steht stellvertretend für die Komplexität

der heutigen und künftigen Möglichkei-ten. Wir planen hier keinen monothema-tischen Biotech-Park, auch kein Luft- und Raumfahrtmuseum, wir planen aber auch nicht nur einen Park. Die Tempelhofer Freiheit steht für einen Freiraum der Mög-lichkeiten.

pd: Klingt kompliziert. Wie haben Sie das konkret umgesetzt?

PallgEn: Auf der Internetseite ist diese Unterschiedlichkeit mit klaren Rubriken und Zielgruppen versehen. Hier kommu-nizieren wir, was künftig passieren wird. Beispielsweise die Stadtquartiere: Welche Gebäude werden es sein, wie hoch werden sie sein, welche Fassadengestaltung wird es geben? Wo ist die geplante Zentral- und Landesbibliothek auf dieser Fläche verortet?

Stadtmarketing – kommunizieren natür-lich die Dinge, die es woanders nicht gibt. Solch ein Ort ist super geeignet, um damit weltweit Aufmerksamkeit zu erregen und die Leute nach Berlin zu holen.

pd: Wie machen Sie auf dieses Projekt Frei-heit aufmerksam?

BucHHolZ: Einmal übers Netz, aber auch ganz stark über journalistische Tätigkeiten. Unser Job bei visitBerlin ist es ja, touris-tische Wirtschaftsförderung für Berlin zu betreiben. Wir sind weltweit unterwegs in unseren wichtigsten Quellmärkten, auf Messen und sogenannten Sales Courts, wo wir direkt mit den Reiseveranstaltern spre-chen. Außerdem die Medienarbeit: Wir haben zwei Mitarbeiter, die eigentlich nur unterwegs sind, um Redaktionsbesuche zu

Fotos: Denny Rosenthal

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Im vergangenen Jahr haben sich rund zehn Millionen Reisende für einen Besuch in Berlin

entschieden – und damit so viele wie nie zuvor. Die Besucherzahlen haben sich im letzten

Jahrzehnt nahezu verdoppelt. Berlin liegt inzwischen auf Platz 3 im Ranking der europäi-

schen Destinationen, nach London und Paris, aber noch vor Rom. Diese Zahlen sprechen

für eine außergewöhnliche Anziehungskraft, einen Magnetismus, der von Berlin ausgeht.

Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Berlin ist erst

seit den Neunzigern wieder auf der touristischen Landkarte aufgetaucht. Vorher war die

Stadt höchstens als Kulisse in Spionagefilmen zu sehen – nun ist sie als Metropole zurück.

Noch ist sie nicht ganz fertig, noch wird entworfen, geplant und neu geschaffen. Und

genau dieses Unfertige macht den Reiz dieser Stadt aus: Berlin ist die letzte europäische

Metropole im Werden.

Das bestimmende Moment in Berlin ist der Augenblick. Hier ist nichts starr, festgefügt

oder sieht genauso aus wie vor 200 Jahren. Berlin wandelt sich nahezu im Minutentakt.

Ein gutes Beispiel dafür findet sich auf dem ehemaligen Flughafen in Tempelhof. Exer-

zierplatz, Großflughafen der 1930er, Herzstück der Luftbrücke – und heute schließlich

die Tempelhofer Freiheit mit 400 Hektar Gesamtfläche. Die Berliner und Berlin-Besucher

haben diesen größten Park der Stadt erobert. Genau 526 Fußballfelder hätten hier Platz.

Ein einzigartiger Freiraum mit viel Platz für Ideen – und das mitten in der Stadt. Um solche

ausgefallenen Konzepte und auch gerade konzeptfreie Zonen in der Stadt, darum benei-

den uns andere Metropolen. Wenn es um zufällig Entstandenes und große Freiflächen zum

freien Entfalten geht, ist Berlin gern Schaufenster und bietet viele »Oasen der Großstadt«.

Wenn wir unsere Besucher fragen, hören wir Antworten wie »Geschichte« und »Sehens-

würdigkeiten«, aber auch, dass es »diese ganz besondere Atmosphäre« sei, die den Reiz

der Stadt ausmache. Was verbirgt sich hinter diesen Aussagen? Es ist diese ganz eigene

Mischung von Adrenalin und Chillout, die Berlin zu einer lebens- und liebenswerten Metro-

pole macht. Dazu kommt der besondere Lebensstil der Hauptstädter. Berlin ist eine offene

Stadt, Berlin lässt jeden rein und Berlin lässt jeden machen. Hier ist es wichtiger, eine gute

Geschichte zu erzählen als Statussymbole spazieren zu tragen. Was anderswo unverein-

bare Gegensätze sind, harmoniert in Berlin aufs Beste: Staatskapelle im Techno-Club, Kino

im Pergamonmuseum oder Hotelzimmer im Freibad.

In Berlin ist Platz für neue Ideen und neue Lebensentwürfe. Wenn Künstler – vom Designer

über den Bildhauer bis zum Architekten – fernab ihrer Heimat nach kreativem Freiraum

und Inspiration suchen, dann zieht es sie hierher. Sie richten sich in alten Fabrikhallen oder

Hinterhäusern ein, zeichnen, komponieren, schneidern oder kochen. Manchmal bemalen

sie auch ein 1300 Meter langes Mauerstück oder stellen eine 30 Meter hohe Skulptur in

die Spree – einfach so. Berlin ist wie ein Perpetuum Mobile, bleibt immer in Bewegung,

ermöglicht freies Denken und generiert eine Atmosphäre, die weitere Kreative anzieht.

Alles das macht Berlin zu einem Gesamtkunstwerk, das fasziniert und überrascht. Dass

Berlin Chancen bietet, die es in anderen Metropolen nicht gibt, ist vielleicht das, was uns

besonders macht. •

Wir sind in einer frühen Planungsphase. In der zweiten Jahreshälfte werden wir Klar-heit haben, was die Visualisierung betrifft.

pd: Nutzen Sie auch Facebook?

PallgEn: Dort haben wir einen ande-ren Weg gewählt. Wir spiegeln das ganze bunte Durch- und Miteinander des Ortes und des Projekts. Das heißt, wir kommu-nizieren die politische Debatte, wir lassen aber auch die Besucher posten, was sie hier selbst erleben und sehen. Da tauchen teil-weise Fotos von Hängebauchschweinen auf, die an der Leine auf dem Feld stehen und die Frau daneben liest Zeitung.

pd: Wie binden Sie Bürger ein? Mit der Initiative »100% Tempelhofer Feld« regt sich Widerstand.

PallgEn: Die 100 Prozent im Namen zeigt schon ziemlich genau, was die Forderun-gen sind, nämlich die Maximalfreihaltung von allem. Die Initiative wurde geboren im angrenzenden Schillerkiez in Nord-Neu-kölln, der am stärksten beeinflusst wird. Früher war das ein Lost Space. Durch die Schließung des Flughafens hat sich für die Bevölkerung die komplette Situation geän-dert. Die haben auf einmal eine 1A-Cen-tral-Park-Lage. Das weckt Begehrlichkei-ten für den internationalen Immobilien-markt, die man nicht wegdiskutieren darf. Die Bevölkerung dort hat Angst vor höhe-ren Mieten, vor Vertreibung, und das muss man ernst nehmen. Unsere Aufgabe ist es nun, immer wieder den Dialog zu suchen, über den aktuellen Stand der Planung zu informieren. Nicht unbedingt Konsens herzustellen, das ist nicht möglich. Es geht darum, auf Augenhöhe zu kommunizie-ren. Und auch darum, die Chancen und den Mehrwert der Planungen für die Bür-ger aufzuzeigen. Wir werden in der zweiten Jahreshälfte den Dialog mit der interessier-ten Bevölkerung intensivieren.

pd: Ein Großprojekt, das langfristig die Berliner mit Frischluft und Grün versorgt, ist die Internationale Gartenausstellung 2017 (Red: IGA). Wieso beginnen Sie jetzt schon mit der Kommunikation?

Was kann die deutsche Hauptstadt, das andere Metropolen nicht können? Berlins oberster Tourismuswerber Burkhard Kieker,Geschäftsführer von visitBerlin, über den Reiz des Wandels

Foto: visitBerlin

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KatHarIna langscH: Wir haben uns ein sehr hohes Ziel gesetzt: Wir wollen bis zu 3,5 Millionen Besucher hier herbringen, in einem Zeitraum von 170 Tagen. Seit kur-zem haben wir eine Imagebroschüre, um in entscheidende Kreise zu gehen und klar zu machen, was die IGA überhaupt sein wird: mehr als eine klassische Gartenausstellung, vielmehr ein wichtiges Projekt zum Thema Stadtentwicklung.

Auch aktuelle Themen wie das Urban Gar-dening werden wir aufgreifen. An dem Gesamtprozess wird die IGA auch die Bür-ger beteiligen. Schließlich fangen wir schon 2013 an zu bauen, aber wir nehmen den Bürgern nichts weg, sondern wir pflanzen erst mal Bäume! Partizipation heißt auch: die Betroffenen fragen, was sie sich vor-stellen, um es wiederum transparent zu machen und aufzuzeigen, wie sich das in den landschaftsplanerischen Entwürfen für die Parklandschaft von GROSS.MAX widerspiegelt.

pd: Im Moment gibt es für die Öffentlich-keit aber nichts Gedrucktes: Die Broschüre ist für Multiplikatoren gedacht ...

langscH: Das ist eine Publikation, um zunächst Politik, Gesellschaft, potentiel-le Partner und Sponsoren einzustimmen. Wir haben ein hohes Volumen an Spon-soringmitteln zu akquirieren, knapp drei Millionen Euro. Berlin ist nicht unbedingt ein Top-Standort für Bar-Sponsoring. Des-halb ist es umso wichtiger, jetzt schon für

die Idee der IGA zu begeistern. Einnah-men aus dem Ticketverkauf und der Lan-deszuschuss sind die anderen wichtigen Positionen innerhalb des Gesamtbudgets.

pd: Wird es so etwas wie eine Info-Box geben, wie man sie am Potsdamer Platz hatte?

langscH: Natürlich wird es spätestens zum Baubeginn im nächsten Jahr eine Art Schaustelle geben. Die Bürger werden sich möglicherweise wundern, was da passiert, denn manche Bereiche müssen eingezäunt werden, da wird Erde ausgehoben, geprüft, gepflanzt, das irritiert erst einmal. Wich-tig ist, dass man eine Schaustelle hat, die aus meiner Sicht am liebsten mobil, groß und multifunktional sein wird und die ein-zelnen Schauplätze im entstehenden Park beleuchtet. Und die den Bürgern Aus-sichtspunkte und Informationen zur Ver-fügung stellt, um das Baugeschehen zu ver-folgen.

pd: Vom Grünen zum Virtuellen: Die Tempelhofer Freiheit bietet auch Startups und technologieorientierten Unternehmen Raum zur Entfaltung. Ist das der Master-plan, eine Symbiose zwischen analog und digital?

PallgEn: Genau das wollen wir hier errei-chen. Nämlich die Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft herzustel-len, zwischen analog und der Cloud. Wir haben im Flughafengebäude mit Ludic Philosophy einen Mieter, der Social Games entwickelt. Diese Kreativen sind in der digitalen Welt unterwegs, arbeiten aber nicht mit Avataren, sondern realen Schau-spielern. Sehr old school mit alten Fass-binder-Schauspielern beispielsweise. Die Macher haben den Flughafen gleich als Location für ihr Game genutzt. Von die-sen kleinen kreativen Firmen wollen wir mehr hier haben. Wir werden genau in diesen Bereich reingehen und sagen: Leute, siedelt euch hier an! Nutzt die Synergien und macht diesen analogen historischen – auch historisch kontaminierten – Ort wie-der zu einem lebendigen und offenen Ort, der Impulse aussendet. •

Martin Pallgen leitet seit Mai 2010 den

Bereich Kommunikation und Öffentlich-

keitsarbeit der Tempelhof Projekt GmbH,

die Entwicklungsträger für das gesamte

Areal des ehemaligen Flughafens ist. Er

bringt einen journalistischen Hintergrund

mit: Zuvor arbeitete er für Zeitungen,

Radio und TV (rbb) und engagierte sich

in der Berliner Landespolitik im Bereich

Stadtentwicklung.

Gerhard Buchholz kümmert sich bei der

Berlin Tourismus, Marketing & Kongress

GmbH um das Image des Standortes

Berlin. Unter dem international griffigen

Namen visitBerlin, der den Geschäftsbe-

reich Unternehmenskommunikation und

Strategische Markenführung umfasst, ist

er für Strategie und Lobbyarbeit / Political

AΩairs zuständig.

Katharina Langsch ist eine der beiden

Geschäftsführer der IGA Berlin 2017 GmbH.

Als Marketing-Direktorin der Kulturhaupt-

stadt RUHR.2010 war sie bereits für ein

Großprojekt mit internationaler Strahlkraft

verantwortlich. Zuvor bekleidete die

studierte Kulturmanagerin Marketing- und

PR-Posten in renommierten Spielstätten

wie der Semperoper und der Deutschen

Oper Berlin.

»Nutzt die Synergien und macht diesen analogen historischen – auch historisch kontaminierten – Ort wieder zu einem lebendigen und offenen Ort, der Impulse aussendet !«

MartIn PallgEn

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Mit dem Kiteboarding ist es wie mit der Kreativität: Es geht darum, Grenzen des Alltäglichen zu überwinden.

wenn sich der Blick

mitten in der großstadt

in der Ferne verliert,

regt das die phanta-

sie an. die etwas andere

Fotostrecke zur

»tempelhofer Freiheit«

Fotos: Tempelhof Projekt GmbH

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Abbey Road ? Das historische Flughafengelände ist ein gutes Beispiel dafür, wie Orte und Bilder Erinnerungen binden können und trotzdem Fläche für neues Gestalten bleibt.

Das alte Restaurant, Fragment des einstmals geschäftigen Flughafens: Heute herrscht hier Ruhe, die zum Verweilen einlädt.

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Tempelhofer Freiheit, 360 Grad

Inspiration im Rundblick. Dieser

Platz ist offen für alle: für Sportler,

Spaziergänger, Familien und

Veranstalter.

Foto: dfoto-berlin.de

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WIE SCHMECKT FREIHEIT ?

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»Freiheit schmeckt für mich wie Zartbitter-schokolade. Mein Leben zu gestalten und Entscheidungen dafür zu treffen, ist nicht immer leicht und kann süß und bitter zugleich sein – aber diese Freiheit genießen zu können, ist ein absolutes Luxusgut.«

»… nach allem und nichts. Freiheit ist der kurze Moment unbegrenzter Möglichkeiten, den wir, gefangen in Gewohnheiten, oft ungenutzt verstreichen lassen.«

»Kleine Freiheit schmeckt nach dem Kaffee, den ich mir gönne, größere Freiheit abwechslungsreich und oft nach Gegenwind – nach echtem oder sprichwörtlichem.«

»Freiheit schmeckt wie eine Ausstellungseröffnung, nach Parfum, Bier und Zigarettenrauch sowie dem Gefühl, so einen Abend möglich machen zu können.«

Freiheit gibt es im Netz und im Kopf. Aber kann man sie auch schmecken? 

»Der Geschmack von Freiheit kommt noch vor dem echten Freiheitsgefühl. Für mich bedeutet Freiheit unser Restaurant in Berlin Mitte. Ein Abend, an dem der Laden voll ist und man etwas Besonderes in der Luft spürt. Wenn ich mich dann so umschaue, vor mir mein Lieblingsgericht und dazu ein Glas italienischen Wein mit den Menschen, die ich liebe, das ist der Geschmack von Freiheit.«

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Sechs Millionen Personenjahre haben Gamer bislang bei »World of Warcraft« damit verbracht, Probleme in virtuellen Welten zu lösen. Etwa genauso lange geht der Mensch aufrecht. Wir lernen: Men-schen spielen also gerne. Was macht ein Kommunikationsprofi mit so einer Information? Richtig, er ver-sucht sie nutzbar zu machen, am liebsten gegen Geld. Erst einmal braucht der Trend einen Namen. Wie wär’s zum Beispiel mit »Gamification«? Klingt knackig, hat Buzz-word-Appeal. Prima. Ach, … das gibt’s sogar schon! Gamifica-tion bedeutet nämlich, Spielmechanismen in spielfremde Bereiche zu transferieren –

auf Deutsch: Spieltriebe zu wecken. Global Player wie Nike, Starbucks oder Microsoft haben es vorgemacht: Durch Spielwillen lassen sich Menschen zu Verhaltensweisen anregen, die sie normalerweise langwei-lig fänden. Joggen beispielsweise, Rabatt-punkte sammeln oder Software pauken. Unter dem Mantel des Wettbewerbs wer-den Fleißaufgaben quasi zu Spaßaufgaben.Das Startup Foursquare ist ein hervorragen-des Beispiel: Die Firma verbindet gekonnt Location Based Services mit Social- Network-Attitüde. Dahinter verbirgt sich Gamification vom Feinsten: Denn für jeden Check-in und die damit verbundene Veröffentlichung des Aufenthaltsortes

erhält der Nutzer Punkte; wer am häu-figsten an einem Standort eincheckt, wird sogar Mayor (Bürgermeister). Zusätzlich erhalten fleißige Nutzer bestimmte Bad-ges (Abzeichen), die sie auf Facebook und Twitter veröffentlichen können. Sie fin-den das albern? Nun ja, 15 Millionen User sehen das anders.Die wachsende Nutzung von Beloh-nungs- oder Wettbewerbsprinzipien zeigt aber vor allem eines: Nutzer mögen das »Social« in Social Media. Klar, Punkte für Check-ins an Flughäfen oder in Restau-rants sind toll. Aber erst in Relation zur Kollegin oder zum besten Freund wird es interessant. Wer hat am Wochenende die meisten Punkte für Check-ins in verschie-denen Bars eingesammelt? Wer ist Mayor des Cafés um die Ecke? Wie oft muss ich noch einchecken, bis ich der Herr im Hau-se werde?Neu ist so eine Verhaltensmatrix freilich nicht. Seit vielen tausend Jahren hilft uns der Wettbewerb beim Überleben; erst ana-log, jetzt digital. Und die Zukunft? Bald geht vielleicht nichts mehr ohne virtuel-le Punktebelohnung. Wir erhalten Punkte fürs Zähneputzen oder den Toilettengang. Aber mal unter uns, wer will schon Bürger-meister seiner Kloschüssel sein? kh

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Wer die Zahlen verbindet und das achtstellige Lösungswort errät, schickt es an: [email protected]!

Bitte Vor-, Nachname und Postadresse nicht vergessen. Teilnahmeschluss: 15.8.2012.

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eute wird Anja die Ministerin etwas fragen, das hat sie sich vorgenom-men. Sie rückt ihren Stuhl näher an die Schulbank, auf der der Compu-

ter steht. Vor Anja flimmert eine Live-Über-tragung über den Bildschirm. Aus Berlin, Bundesfamilienministerium: »Mein Haus wird einen technisch sicheren Surfraum ausbauen«, sagt die Hausherrin Kristi-na Schröder gerade. »Ist das echt so unsi-cher, wenn ich was online schreibe?«, flüs-tert Anja ihrer Nachbarin zu. Die zuckt die Schultern. Dann beugt Anja sich über die Tastatur und beginnt, mit den Zeigefin-gern darauf einzuhacken. »Warum ist es so gefährlich, seine Daten im Netz anzu-geben «, steht jetzt im Nachrichtenfenster von SchülerVZ. Anja klickt »Senden«. Nun heißt es warten – und Daumen drücken, dass ihre Frage ausgewählt wird und Schrö-der antwortet.Eine Szene, wie sie sich gut in einem Klas-senzimmer während der Pressekonferenz des Bundesministeriums für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) abspie-len könnte: Schröder ist eine der Ersten in der Regierung, die sich live den Fragen der Menschen stellt. Aus Sicht der Mehrheit der Kommunikationsreferenten in Deutsch-land ist das gewagt. Über die Hälfte halten soziale Netzwerke laut der Studie »Social

Governance 2011« für unberechenbar. Nicht alle Kommentare sind schließlich so freundlich, wie der der 13-jährigen Anja, der an diesem Tag über SchülerVZ tatsäch-lich beim Ministerium eingeht.Gleichzeitig ist sich die Branche sicher, dass die Bedeutung der digitalen Medien steigt. Noch vor fünf Jahren hätte sich niemand einen twitternden Regierungssprecher vor-stellen können, geschweige denn eine Kanzlerin, die online einen Zukunftsdialog mit dem Volk führt. Unter Unternehmern will über die Hälfte in den Bereich Social Media investieren, wie eine Blitzumfrage der dpa-Tochter news aktuell ergab.

Kontrolle und BeteiligungMüssen sich Spitzenkräfte also in Zukunft auch in Pressekonferenzen einer unkont-rollierbaren digitalen Öffentlichkeit ausset-zen?Der stellvertretende Pressesprecher des Bundesfamilienministeriums, Marc Kinert, sieht das anders: »Mit Instrumenten wie der live übertragenen Social-Media-Pressekon-ferenz schafft die Politik eine gute Balan-ce zwischen der Reaktion auf die Anliegen Einzelner, die sich online zu Wort melden, und einer Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit.« Frau Schröders Ministe-rium setzt das neue Mittel im Bereich der

Netzpolitik für Kinder und Jugendliche ein. Anders als ihre Eltern wachsen diese mit dem Internet auf. Und deswegen sollten sie auch auf politischer Ebene mitreden dür-fen, findet Schröder.

Zeit als Grenze fürs Mitreden?Deshalb sitzt sie heute auf dem Podium und wartet nach den Journalistenfragen auf Fragen aus dem Netz. Gerade sagt der Pressesprecher Christoph Steegmans neben ihr: »Wir haben übrigens nicht nur Sie um Fragen gebeten, sondern auch alle, die uns über soziale Netzwerke zugeschaltet sind – im Vorfeld, und das läuft auch jetzt noch. Bei uns eingegangen ist eine Frage von Anja, 13 Jahre, aus Niedersachsen.« Meh-rere hundert Kilometer entfernt fängt Anja an zu kichern.Die Schülerin hat Glück gehabt. Nicht jeder kommt mit seiner Frage in die Live-Übertragung. Der Medienwissenschaftler Professor Norbert Bolz von der Technischen Universität Berlin sieht diesen Punkt kri-tisch: Letztendlich erweckten solche Situa-tionen den Anschein, dass jeder mitmachen könne – aber die begrenzte Zeit einer Real-situation lasse in Wirklichkeit nur einige wenige Stimmen zu. Das sei ähnlich wie bei Gewinnspielen im Fernsehen, bei denen die Zuschauer anrufen könnten, erklärt Bolz.

Pressekonferenzen mit Bürgerbeteiligung via Social Web – ein Kommunikationsevent, dem

viele Fachleute mit Skepsis begegnen dürften. Denn der Mehrheit gelten die Neuen Medien

als unberechenbar. Das Bundesfamilienministerium lässt sich davon nicht abschrecken.

Text: Birthe Bruhns

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Keine Rückmeldung – das könnte eine Steilvorlage für den von vielen Kommu-nikationsexperten gefürchteten digitalen Protest sein. Unerfüllte Versprechungen machen wütend. Im Falle des Familienmi-nisteriums wissen die User jedoch schon vorher, dass Schröder nur von einem Social-Media-Team Ausgewähltes bespre-chen wird. Und anders als bei einer Tele-fon-Aktion geht keine der restlichen Fra-gen unter. Viele Menschen können in kur-zer Zeit gleichzeitig ihre Kommentare zur Pressekonferenz abgeben, das ist das Prin-zip der sozialen Medien und erweitert hier das analoge Medium einer Live-Übertra-gung. Die Antworten, die nicht in der Pressekonferenz selbst Platz finden, sind im Nachgang im Internet zu lesen. Unterschied zur JournalistenrundeDer Medienpsychologe Jo Groebel hält die Unberechenbarkeit von Pressekonferenzen mit Social-Web-Beteiligung ohnehin für überschätzt. Wer diese Kommunikations-form nicht beherrsche, solle lieber die Fin-ger davon lassen. Aber: »Der Unterschied zu einer normalen Pressekonferenz ist lan-ge nicht so groß wie die Leute denken«, sagt Groebel, Direktor des Deutschen Digital Instituts. Was Journalisten schrei-ben, könne man schließlich auch nicht von vornherein wissen. »Und auch persön-liche Beziehungen zu Journalisten helfen nichts, wenn es um kritische Informatio-nen geht – das hat der Fall Wulff gezeigt.«Aus der Sicht von BMFSFJ-Mann Kinert können Social Media und Live-Bürgerbe-teiligung zudem einen wichtigen Beitrag für die Politikgestaltung leisten. Anjas Fra-ge zeigt zum Beispiel: Kinder und Jugend-liche verlangen nach Erklärungen für die Dos und Don’ts im Netz. Und die soll die Ministerin jetzt geben.

Schröder denkt einen Moment nach, regungslos sitzt sie auf dem Podium. Anja lacht inzwischen weiter, ihre Nachbarin kichert mit. Das Gelächter verebbt unter einem kollektiven »Pscht«. Im Computer-raum herrscht gespannte Stille. Es ist nun so ruhig wie in dem Raum auf dem Bild-schirm. Dort sagt Schröder jetzt: »War-um es gefährlich ist, seine Daten im Netz anzugeben? Weil man sich klar sein muss, dass alles, was im Netz passiert, dort in der Regel bleibt, kopiert, vervielfacht und ver-ändert werden kann und noch Jahre spä-ter auftauchen kann.« Jemand aus der hin-teren Bankreihe schreit: »Hey Jonas, dann kann auch deine Freundin mal lesen, dass du ein Vollidiot bist!« Blöde Kommentare und direkte Kritik tauchen in sozialen Netzwerken ebenso regelmäßig auf, wie in einem Klassenzim-mer voller Teenager. Auch Schröder muss mit einigen verärgerten Usern rechnen, obwohl alle eine Rückmeldung bekom-men und wussten, wie die Beantwortung der Fragen ablaufen würde. Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Entwicklungs-ministeriums, Rolf Steltemeier, schrieb unlängst in einem Gastbeitrag, die Kom-munikation über soziale Netzwerke könne manchmal mühsam sein, denn auch sein Ministerium sehe sich im Netz mit Kritik konfrontiert. Sogar in Bloggerkreisen wird immer wieder diskutiert, auf die Kom-mentarfunktion zu verzichten. Seitdem er sie abgeschaltet habe, fühle er sich frei, schreibt etwa der Entwickler Matt Gem-mell.Negative Rückmeldungen sind nun mal nicht angenehm, weder für Blogger noch für Unternehmen oder die Politik. Für Vodafone-Marketing-Chef Gregor Gründ-gens gehören Debatten wie die um den Wurstesser Dirk Nowitzki in der Werbung

der Ing-DiBa aber zum Alltag. Ebenso wie der digitale Protest, den seine Firma vor drei Jahren bei einer Social-Media-Presse-konferenz erntete. Marken hätten schon immer mit solchen Diskussionen leben müssen, nun seien sie nicht mehr nur ein Ausnahmefall. Gründgens spricht von einer neuen Realität, zu der auch gehöre, dass man sich mit dieser Kritik auseinan-dersetzen müsse.

Kritik meist per Post und E-MailTatsächlich kommen die meisten Negativ-Rückmeldungen der Bürger über E-Mail und Briefverkehr. Das ergab eine Stu-die des Internet Advertising Bureaus und der Lightspeed Research in Großbritan-nien. Demnach beschweren sich nur acht Prozent der Befragten über Facebook, zwei Prozent über Twitter. Allerdings ist bei ihnen der Grad der Unzufriedenheit besonders hoch. Diese Erkenntnis verweist auf eine wichti-ge Chance. Schließlich verschwindet nach-haltiger Ärger nicht, nur weil er nicht im Internet nachzulesen ist. Steltemeier vom Entwicklungsministerium begreift Nega-tivkommentare denn auch als kommuni-kativen Anknüpfungspunkt. In den meis-ten Fällen sei es für beide Seiten von Vor-teil, wenn das Ministerium die Möglich-keit habe, auf Fragen, Kritik oder Anre-gungen direkt zu reagieren. Kinert aus dem Familienministerium geht mit Blick auf die erwähnte Pressekonferenz mit Social-Media-Einsatz sogar noch weiter: »Künftig wollen wir noch stärker auf sol-che Instrumente setzen.« Anja würde sich jedenfalls nochmal betei-ligen. Jetzt will sie aber erst mal mit ihrer Freundin bereden, ob sie auf Facebook lieber doch nicht schreiben soll, dass sie Jonas ziemlich gut findet. •

»Der Unterschied zu einer normalen Pressekonferenz ist lange nicht so groß wie die Leute denken.«

Jo groEBEl | MEDIEnPsycHologE

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»Meine Online-Anfänge waren Ende der 1980er Jahre mit dem Datenaustausch über IP-Netzwerke. Damals fing das digitale Arbeiten erst an. Es gab noch keine grafischen Benutzeroberflächen wie heute und mein Computer hatte 20 Megabyte – nicht Arbeitsspeicher, sondern Festplatte. Wenn ich das meinem Sohn heute erzähle, schaut er mich ganz ungläubig an.«

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NetzwurzelnFrau Riess, wann waren Sie das erste Mal online ?

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Birgit Riess | Director Programm Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen,Bertelsmann Stiftung

Bertelsmann Stiftung Die Bertelsmann Stiftung engagiert sich seit 1977 in der Tradition ihres Gründers Reinhard Mohn für das Gemeinwohl. Die Stiftungsarbeit gründet auf der Überzeugung, dass Wettbewerb und bürgerschaftliches Engagement eine wesentliche Basis für gesellschaftlichen Fortschritt sind.

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Birgit Riess

An dieser Stelle

befragen wir in

jeder Ausgabe

eine Person zu

ihren Anfängen

in der digitalen

Welt.

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Kneipen-Kumpel oder Facebook-Freund:

Macht das einen Unterschied?

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reundschaft ist im sogenann-ten echten Leben, in der analogen Welt, ein recht ambivalent verwen-deter Begriff. Der eine nutzt ihn

inflationär, der andere kann die Seinen locker an einer Hand abzählen. Definieren lässt sich Freundschaft wohl so: Sympathie und Vertrauen lässt eine Beziehung zwi-schen Menschen entstehen, die dann mit gegenseitiger Wertschätzung einhergeht.Nach solchen Maßstäben bewertet, wirken Hunderte von Facebook-Freunden selbst-verständlich maßlos, fast schon vulgär. Wie soll es möglich sein, zu so vielen Individu-en echtes, wertschätzendes Vertrauen auf-zubauen? Frank Schirrmacher, Herausge-ber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, beschrieb diesen Umstand in den letz-ten Jahren ein ums andere Mal als gefähr-lich für die Identität des Individuums. Auf faz.de bloggte er, wir sollten uns unse-re »Profile« zurückholen. Das fand viel Zuspruch. Vor allem seine Deutung, unser Freundschaftsbegriff würde sich funda-mental ändern, stieß bei Menschen auf Zustimmung, die der immerwähren-de Informationsfluss anscheinend zuneh-mend überfordert.Verständlich: Wer noch über die Ein-bahnstraße Videotext Zugang zur digi-talen Kommunikation gefunden hat und sich vielleicht heimlich E-Mails aus-druckt, sieht sich an der Kante des ominö-sen, omnipräsenten Generation Gap. Die-se Trennlinie verlief schon immer zwischen den Generationen. Früher ging es um die Frage, ob Rockmusik Teufelswerk ist und ob diese langen Haare wirklich sein müs-

digital |

Echte Freunde, virtuelle Freunde; früher war alles besser. »Wir haben online so viele Freunde, dass wir ein neues Wort für die echten brauchen«, textet die Welt kompakt 2009 in ihrer bundesweiten Print-, Netz- und TV-Kampagne: Ach, wenn’s doch nur so simpel wäre.

sen. Heute ist das Thema eben, ob man einen Großteil seines Lebens always online und post private verbringen möchte – ob also die Informationen aufgrund der Mas-se ohnehin wieder privat werden und Pri-vatheit an sich überschätzt wird. Es liegt nahe, Nutzern sozialer Netzwerke gefähr-lich mangelnde Sozialkompetenz zu unter-stellen. Der Hype um eine Generation, die mit der schrecklich indifferenten Voka-bel »Digital Natives« über einen Kamm geschoren wird, erzeugt eine Gegenbewe-gung; Abgrenzung par excellence. Denn dem Verständnis von digitaler Rea-lität liegt nur zu gerne ein fundamenta-ler Irrglaube zugrunde. Beziehungen in digitalen Netzwerken werden als virtu-ell bezeichnet. Sie, so der fatale Annah-mefehler, unterschieden sich grundlegend von Beziehungen in der sogenannten rea-len, also physischen Welt. Folgt man dieser Annahme, müsste man – zugegeben, pole-misierend – feststellen: Hier stehen meine echten Freunde, da drüben meine virtuel-len. Nur unterscheiden sie sich nicht im Geringsten. Hinter jedem Profilbild, hin-ter jedem Twitter-Alias steckt ein atmender Mensch, zumindest meistens. Der Autor dieses Textes hat über 450 Facebook-Freunde und bis auf drei bis vier Ausnah-men alle persönlich getroffen. Wir können also das digitale nicht vom realen Leben trennen, es war schon immer ein und dasselbe. Wer möchte, darf das gerne »postdigital« nennen. Nachtigall ick hör’ dir trapsen, das ist doch der Titel die-ses Mediums. Gut aufgepasst, liebe Lese-rinnen und Leser. Machen Sie sich den

Begriff zu eigen, das lässt die »Digitale Revolution« ein wenig unaufgeregter und entspannter aussehen. So betrachtet schei-nen alle distinktiven Interpretationsversu-che eines separaten digitalen Raums des gesellschaftlichen Lebens doch mitun-ter etwas kulturpessimistisch, getreu dem Motto: »Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.«Ja, immer mehr Informationen lassen sich in immer kürzeren Zeitintervallen transfe-rieren. Nein, die Relevanz der Nachrichten steigt dadurch nicht zwingend an; und ja, die Gefahr der Banalisierung ist immanent. Wir haben dank Smartphone fast überall die Möglichkeit, mit viel mehr Menschen zu kommunizieren und wir merken uns immer weniger Telefonnummern. Infor-mationsmanagement hat das Hamstern von Daten obsolet gemacht. Was sich nicht verändert hat: Männer kommunizieren mit Frauen, Frauen mit Frauen, Männer mit Männern, Kinder mit Eltern, Freunde kommunizieren mit Freunden; Menschen kommunizieren eben mit Menschen.Stören Sie sich noch immer daran, dass ein Individuum über 450 »Freunde« sein Eigen nennt? Im Grunde geht es hier doch um ein Problem semantischer Natur. Der Begriff »Freund« wird hier als eine Chiffre verwendet, sozusagen als Markenname des Anbieters Facebook. Das Netzwerk hätte stattdessen auch »Kontakte« oder »Bezie-hungen« wählen können. Also halten Sie sich bitte nicht mit Kleinigkeiten auf. Den »Taschenrechner« ihres Betriebssystems haben Sie schließlich auch noch nie einge-steckt, oder? Na sehen Sie! •

Text: Henning Lisson

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Ein Philosoph der alten Zeit überrasch-te seine Welt mit der Erkenntnis: »Cogi-to, ergo sum«. Zu Deutsch: »Ich denke, also bin ich«. In der Jetzt-Zeit der virtu-ell vernetzten Welten, der Zeit von Face-book, Twitter, google+ und Co. – in dieser Zeit würde der ehrwürdige René Descar-tes wohl anders formulieren. So vielleicht: Ich kommuniziere, also bin ich. Kommu-nikation ist zum Lebenselexier unserer globalisierten Welten geworden. Und sie ist schwieriger geworden in unserer alles umfassenden Informationsgesellschaft.Nun ist Kommunikation an sich nichts Neues, sie ist so alt wie die Sprache. Spra-che ist der älteste Informationsträger und etwa 50.000 Jahre alt. Die Schrift, die man braucht, um Information zu speichern, wurde vor etwa 5 000 Jahren entwickelt. Bis zum nächsten großen Technologie-schritt vergingen 4 500 Jahre: Gutenberg erfand im deutschen Mainz den Buch-druck. Das war die erste Revolution, die Informationen breiten Schichten zugäng-lich machte. Der nächste Sprung: Radio, Film, Fernsehen, der Beginn der Massen-kommunikation – knapp hundert Jahre später. Mittlerweile sind die Technologiesprün-ge im Kommunikationsbereich in Monats-zyklen zu messen. Die Multimediamaschi-ne, die alle Kommunikationsgeräte vereint, ist mit dem Smartphone und dem iPad längst auf dem Markt. Man tauscht sich auf Plattformen im Social Web aus, die dabei sind, den guten alten Brief, die schon etwas modernere E-Mail, den gedruckten Prospekt, ja sogar die tägliche Zeitung in den Orkus der Geschichte zu entsorgen. Keine Revolution war so gründlich und

noCh waS …

Überinformation. Es ist die Zeit für Kom-munikationspsychologen und Medienwir-kungsforscher. Ganze Forschungsstränge werden geboren aus der simplen Einsicht, dass die neuen Kommunikationstechnolo-gien eigene Gesetze entwickeln und eigene gesellschaftliche Wirkungen erzeugen, die oft irreversibel sind. Doch das ist noch lange nicht das Ende: Weltwissen, so sagen Forscher, verdoppelt sich alle fünf Jahre. Zu Dantes Zeiten, im Jahre 1300, passte Weltwissen in die Bib-liothek der Pariser Sorbonne. Dort stan-den nach Überlieferung 1338 Buchbände. Dante galt als Universalgelehrter. Er hatte das Weltwissen im Kopf. Zur Jahrtausendwende hingegen lagerten in der Library of Congress in Washington 98.645.249 einzelne Bücher, Manuskrip-te, Tonträger und Zeitschriften. Die Infor-mationsflut ist inzwischen so gewaltig, dass die 14 Milliarden Gehirnzellen des Men-schen davor kapitulieren müssen. War frü-her Mangel an Information ein typisches Krankheitsbild, ist es heute die Über- information. So steigt die Abhängigkeit des Menschen von der Technologie: Die Suchmaschine ist geboren.Für die Kommunikation hat all dies natür-lich Konsequenzen: Die Informations-überflutung löst Sperren im menschlichen Gehirn aus. Es macht kurzen Prozess mit Informationsmüll. Nach 24 Stunden sind 90 Prozent und mehr aussortiert, verges-sen. Das gilt für das gesprochene Wort, Zeitung, Radio, Fernsehen.Ich kommuniziere, also bin ich: In unserer komplexen Kommunikationswelt stimmt der Satz nur bedingt. Ich werde nur wahr-genommen, wenn ich gut kommunizie-re. Wenn ich zum Gehirn durchdringe. Wenn ich Spuren hinterlasse. Professio-nelle Kommunikation ist ein Erfolgsga-rant. Amateurhafte Kommunikationsver-suche enden meist im Desaster. Im Kom-munikations-Nirwana. •

allumfassend wie die Revolution der Kom-munikation.Was heißt das nun für die Kommunikati-on? Die japanische Regierung hat vor eini-gen Jahren in einem großen kommunikati-onswissenschaftlichen Projekt untersucht, welche Datenmenge auf den Japaner nie-derprasselt. Statistisch gesehen wird er pro Jahr mit 483 Billiarden Wörtern zuge-müllt. Die Konsequenz: Depression durch

postdigital-Gastkolumnist Alexander Niemetz wurde als Moderator des heute journal und ZDF-Chefreporter bekannt. Er arbeitet als Medientrainer und Publizist.

»Die Informationsüberflutung löst Sperren im menschlichen Gehirn aus. Es macht kurzen

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