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Bäderbetrieb 09/04 A.B. Archiv des Badewesens 501 Ausgangslage Das verunglückte, seinerzeit 9-jährige Kind (Kläger) besuchte in Begleitung seiner Mut- ter und Bekannten das Hallenbad in G. und benutzte die dort vorhandene Wasserrutsche. Beschaffenheit der Rutsche Der Zugang zu der 46 m langen Röhrenrutsche erfolgt über die in einem Rutschenturm gele- gene Treppe. Am Eingang zum Rutschenturm und oben etwa 4 m vor dem Einstieg zur Rutsche befinden sich Tafeln mit den Benut- zungshinweisen. Der Verlauf der mit einer sensorgesteuerten Ampelanlage ausgestatte- ten Rutsche ist für im Eingangsbereich ste- hende Badegäste nicht einsehbar. Der Benut- zer passiert unmittelbar nach dem Start eine Lichtschranke und schaltet damit die am Rutscheneingang installierte Ampel von Grün auf Rot. Sie wird beim Passieren der am Rutschenauslauf befindlichen 2. Lichtschran- ke wieder auf Grün geschaltet. Einstieg und Auslauf der Rutsche können von der Schwimmmeisterzentrale aus über eine Video-Überwachungsanlage eingesehen werden, die wahlweise Bilder des Rutschen- einstiegs, des -auslaufs oder anderer Über- wachungskameras zeigt. Die Aufsichtskräfte können den Umkreis der Rutsche auch mit Lautsprecherdurchsagen erreichen. Der Unfall Das verunglückte Kind, das die Rutsche nach seiner Behauptung bei Grün betreten und ord- nungsgemäß benutzt hat, kollidierte innerhalb der Röhre mit einer älteren Dame. Es schlug nach dem Aufprall mit dem Gesicht auf der Rutsche auf. Dabei wurden zwei seiner bleiben- den Schneidezähne mit den Wurzeln heraus- gerissen, ein weiterer Schneidezahn brach ab. Der Instanzenweg Die auf Zahlung eines angemessenen Schmer- zensgeldes von mindestens 15 000 DM (ca. 7700 ) und Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich materieller und weiterer imma- terieller Schäden gerichtete Klage hatte in erster Instanz (Landgericht Görlitz) Erfolg. Die Berufung des beklagten Badbetreibers vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung. Die gegen das Urteil des OLG Dresden vom 25. Februar 2003 vom Verunglückten (Kläger) eingelegte Revision wurde vom BGH zu- rückgewiesen, da das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Nachprüfung standhält. Entscheidungsgründe Oberlandesgericht Dresden Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der beklagte Badbetreiber die ihm ob- liegende Verkehrssicherungspflicht nicht ver- letzt. Die Anlage der Rutsche entspreche der zum Unfallzeitpunkt geltenden DIN-Norm. Bei ordnungsgemäßer Benutzung durch alle Badegäste gewährleiste die sensorgesteu- erte Ampel, dass sich immer nur eine Per- son in der Rutsche befindet, eine Kollisions- gefahr also ausgeschlossen sei. Die Einhal- tung der (Rutsch-)Regeln könne vom Auf- sichtspersonal überwacht werden. Weiter- gehende Maßnahmen zur Vermeidung von Kollisionen seien der Beklagten nicht zuzu- muten. Einerseits resultiert nach allgemeiner Le- benserfahrung bei weitem nicht aus jeder Kollision eine ernstzunehmende Verletzung. Andererseits würden mechanisch wirkende Einrichtungen, die so beschaffen sein müss- ten, dass sie von Badegästen, insbesondere von Kindern, nicht überwunden werden könnten, neue Unfallgefahren bergen (z. B. durch Quetschungen). Mit dem Charakter des Schwimmbades als Freizeiteinrichtung und dem Badebetrieb als Freizeitvergnügen seien diese Sicherheitseinrichtungen – eben- so wie eine weitergehende Beaufsichtigung der Badegäste – nicht zu vereinbaren. Bundesgerichtshof Die Verkehrssicherungspflicht Nach der Urteilsbegründung des BGH geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass der Badbetreiber verpflichtet ist, die Badegäste vor Gefahren zu schützen, denen sie beim Besuch des Hallenbades und bei der Benutzung seiner Einrichtungen ausgesetzt sein können. Dies entspricht dem allgemei- nen Grundsatz, nach dem derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, verpflichtet ist, die not- wendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer mög- lichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst danach diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in ver- nünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Voraussetzung dafür ist folglich, dass sich für ein sachkun- diges Urteil vorausschauend die naheliegen- de Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Maßstäbe bestimmt sich nach den Aus- führungen des BGH auch das Maß der Ver- kehrssicherungspflicht für Schwimmbäder, deren Anlagen so beschaffen sein müssen, dass die Benutzer vor vermeidbaren Gefah- Rechtsfragen Verkehrssicherungspflicht: Freispruch bei Rutschenunfall In einem Grundsatzurteil vom 3. Februar 2004 – VI ZR 95/03 – hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Ent- scheidung zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht bei einer Wasserrutsche (Röhrenrutsche) in einem Schwimmbad gefällt. Diese wird grundsätzlich nicht verletzt, wenn die Rutsche der maßgeblichen DIN- Norm entspricht und die Einhaltung der Regeln für die Benutzung der Rutsche überwacht wird. Dabei bestimmt sich das Maß der erforderlichen Verkehrssicherheit nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Schädigung (des Unfalls). Benutzungshinweise für Wasserrutschen; Foto: Roigk, Gevelsberg

Freispruch bei Rutschenunfall - baederportal.com...gericht die DIN EN 1069-2 mit herangezogen hat, um Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflichten festzustellen, die vom be-klagten

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Page 1: Freispruch bei Rutschenunfall - baederportal.com...gericht die DIN EN 1069-2 mit herangezogen hat, um Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflichten festzustellen, die vom be-klagten

Bäderbetrieb

09/04 A.B. Archiv des Badewesens 501

AusgangslageDas verunglückte, seinerzeit 9-jährige Kind(Kläger) besuchte in Begleitung seiner Mut-ter und Bekannten das Hallenbad in G. undbenutzte die dort vorhandene Wasserrutsche.

Beschaffenheit der RutscheDer Zugang zu der 46 m langen Röhrenrutscheerfolgt über die in einem Rutschenturm gele-gene Treppe. Am Eingang zum Rutschenturmund oben etwa 4 m vor dem Einstieg zurRutsche befinden sich Tafeln mit den Benut-zungshinweisen. Der Verlauf der mit einersensorgesteuerten Ampelanlage ausgestatte-ten Rutsche ist für im Eingangsbereich ste-hende Badegäste nicht einsehbar. Der Benut-zer passiert unmittelbar nach dem Start eineLichtschranke und schaltet damit die amRutscheneingang installierte Ampel von Grünauf Rot. Sie wird beim Passieren der amRutschenauslauf befindlichen 2. Lichtschran-ke wieder auf Grün geschaltet.

Einstieg und Auslauf der Rutsche könnenvon der Schwimmmeisterzentrale aus übereine Video-Überwachungsanlage eingesehenwerden, die wahlweise Bilder des Rutschen-einstiegs, des -auslaufs oder anderer Über-wachungskameras zeigt. Die Aufsichtskräftekönnen den Umkreis der Rutsche auch mitLautsprecherdurchsagen erreichen.

Der UnfallDas verunglückte Kind, das die Rutsche nachseiner Behauptung bei Grün betreten und ord-nungsgemäß benutzt hat, kollidierte innerhalbder Röhre mit einer älteren Dame. Es schlugnach dem Aufprall mit dem Gesicht auf derRutsche auf. Dabei wurden zwei seiner bleiben-den Schneidezähne mit den Wurzeln heraus-gerissen, ein weiterer Schneidezahn brach ab.

Der InstanzenwegDie auf Zahlung eines angemessenen Schmer-zensgeldes von mindestens 15 000 DM (ca.

7700 €) und Feststellung der Ersatzpflichthinsichtlich materieller und weiterer imma-terieller Schäden gerichtete Klage hatte inerster Instanz (Landgericht Görlitz) Erfolg.Die Berufung des beklagten Badbetreibersvor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresdenhatte Erfolg und führte zur Klageabweisung.Die gegen das Urteil des OLG Dresden vom25. Februar 2003 vom Verunglückten (Kläger)eingelegte Revision wurde vom BGH zu-rückgewiesen, da das angefochtene Urteil derrevisionsrechtlichen Nachprüfung standhält.

EntscheidungsgründeOberlandesgericht DresdenNach Auffassung des Berufungsgerichts hat der beklagte Badbetreiber die ihm ob-liegende Verkehrssicherungspflicht nicht ver-letzt. Die Anlage der Rutsche entspreche derzum Unfallzeitpunkt geltenden DIN-Norm.Bei ordnungsgemäßer Benutzung durch alleBadegäste gewährleiste die sensorgesteu-erte Ampel, dass sich immer nur eine Per-son in der Rutsche befindet, eine Kollisions-gefahr also ausgeschlossen sei. Die Einhal-tung der (Rutsch-)Regeln könne vom Auf-sichtspersonal überwacht werden. Weiter-gehende Maßnahmen zur Vermeidung vonKollisionen seien der Beklagten nicht zuzu-muten.

Einerseits resultiert nach allgemeiner Le-benserfahrung bei weitem nicht aus jederKollision eine ernstzunehmende Verletzung.Andererseits würden mechanisch wirkendeEinrichtungen, die so beschaffen sein müss-ten, dass sie von Badegästen, insbesonderevon Kindern, nicht überwunden werdenkönnten, neue Unfallgefahren bergen (z. B.durch Quetschungen). Mit dem Charakterdes Schwimmbades als Freizeiteinrichtungund dem Badebetrieb als Freizeitvergnügenseien diese Sicherheitseinrichtungen – eben-so wie eine weitergehende Beaufsichtigungder Badegäste – nicht zu vereinbaren.

BundesgerichtshofDie VerkehrssicherungspflichtNach der Urteilsbegründung des BGH gehtdas Berufungsgericht zutreffend davon aus,dass der Badbetreiber verpflichtet ist, dieBadegäste vor Gefahren zu schützen, denen

sie beim Besuch des Hallenbades und bei derBenutzung seiner Einrichtungen ausgesetztsein können. Dies entspricht dem allgemei-nen Grundsatz, nach dem derjenige, der eineGefahrenlage schafft, verpflichtet ist, die not-wendigen und zumutbaren Vorkehrungen zutreffen, um eine Schädigung anderer mög-lichst zu verhindern.

Die rechtlich gebotene Verkehrssicherungumfasst danach diejenigen Maßnahmen, dieein umsichtiger und verständiger, in ver-nünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch fürnotwendig und ausreichend hält, um anderevor Schäden zu bewahren. Voraussetzungdafür ist folglich, dass sich für ein sachkun-diges Urteil vorausschauend die naheliegen-de Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter andererverletzt werden können.

Auf der Grundlage dieser allgemeinenMaßstäbe bestimmt sich nach den Aus-führungen des BGH auch das Maß der Ver-kehrssicherungspflicht für Schwimmbäder,deren Anlagen so beschaffen sein müssen,dass die Benutzer vor vermeidbaren Gefah-

Rechtsfragen

Verkehrssicherungspflicht:

Freispruch bei RutschenunfallIn einem Grundsatzurteil vom 3. Februar 2004 – VI ZR 95/03 – hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Ent-scheidung zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht bei einer Wasserrutsche (Röhrenrutsche) in einemSchwimmbad gefällt. Diese wird grundsätzlich nicht verletzt, wenn die Rutsche der maßgeblichen DIN-Norm entspricht und die Einhaltung der Regeln für die Benutzung der Rutsche überwacht wird. Dabeibestimmt sich das Maß der erforderlichen Verkehrssicherheit nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt derSchädigung (des Unfalls).

Benutzungshinweise für Wasserrutschen; Foto: Roigk, Gevelsberg

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Bäderbetrieb

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ren bewahrt bleiben. Die Badegäste sinddanach vor den Gefahren zu schützen, die• über das übliche Risiko bei der Anlagen-

benutzung hinausgehen,• von ihnen nicht vorhersehbar und• nicht ohne weiteres erkennbar sind.

Wird das Schwimmbad nicht nur von Er-wachsenen besucht, so ist für den Umfangder erforderlichen Sicherheitsvorkehrungenweiterhin in Betracht zu ziehen, dass insbe-sondere Kinder und Jugendliche dazu neigen,Vorschriften und Anordnungen nicht zu be-

achten und sich unbesonnen zu verhalten.Daher kann die Verkehrssicherungspflichtauch die Vorbeugung gegenüber solchemmissbräuchlichen Verhalten umfassen.

GarantenpflichtDem Betreiber eines Freibades obliegt nebenseiner Verpflichtung zur Erfüllung der von denBesuchern abgeschlossenen Benutzungsver-träge auch die deliktische (Garanten-)Pflicht,dafür zu sorgen, dass kein Besucher beimBadebetrieb durch derartige Risiken zuSchaden kommt.

Gefahr bei WasserrutschenDer Betrieb einer Wasserrutsche bringt viel-fältige Gefahren mit sich: Neben Stürzen ausnach oben offenen Rutschen kommt es z. B.immer wieder dadurch zu Unfällen, dass Ba-degäste die Rutsche in falscher Körperlagebenutzen oder aber in der Rutsche selbstoder am Rutschenauslauf mit anderen Benut-zern zusammenstoßen. Ursächlich hierfür kön-nen unterschiedliche Rutschtechniken und

Falsches Verhalten auf einer Wasserrutsche; Foto: Archiv

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die damit einhergehenden, voneinander abweichenden Rutschgeschwin-digkeiten sein. Begünstigt werden Kollisionen häufig aber auch durcheinen zu geringen Abstand zum Vordermann zu Beginn des Rutsch-vorgangs.

Normen und RegelnDer BGH hat auch keine Bedenken dagegen, dass das Berufungs-gericht die DIN EN 1069-2 mit herangezogen hat, um Inhalt undUmfang der Verkehrssicherungspflichten festzustellen, die vom be-klagten Badbetreiber bezüglich der Wasserrutsche zu treffen waren.Auch wenn es sich bei DIN-Normen nicht um mit Wirkung auf Drit-te – also z. B. das verunglückte Kind – versehene Normen im Sinnehoheitlicher Rechtssetzung, sondern um auf freiwillige Anwendungausgerichtete Empfehlungen des „DIN Deutsches Institut für Nor-mung e. V.“ handelt, so spiegeln sie doch den Stand der für die betrof-fenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider undsind somit zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zurSicherheit Gebotenen in besonderer Weise geeignet.

Das Berufungsgericht hat – von der Revision unbeanstandet – fest-gestellt, dass die Anlage der Rutsche den Anforderungen der hiermaßgeblichen DIN-Norm entspricht.

Allerdings ist damit noch nicht die Frage geklärt, ob alle erfor-derlichen Maßnahmen zum Schutz der Badegäste getroffen wurden.Bestimmungen – wie Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenos-senschaften oder DIN-Normen – enthalten im Allgemeinen keine ab-schließenden Verhaltensanforderungen gegenüber den Schutzgütern.

Besondere MaßnahmenDie zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht erforderlichen Maß-nahmen hängen stets von den tatsächlichen Umständen des Einzelfallsab. Das gilt auch für den Schutz der Besucher von Schwimmbädern.So richten sich Art und Umfang der gebotenen Sicherungsvorkeh-rungen u. a. nach der Größe und Lage des Bades, der Überschau-barkeit der Anlage, dem Einsatz technischer Hilfsmittel (z. B. Video-kameras), der Anzahl der Besucher und den hierdurch bedingten„Spitzenbelastungen“. Dies gilt auch für die Gefahren, die von einerbesonderen Einrichtung – wie hier der Röhrenrutsche – deswegenausgehen, weil ihre Benutzer beim Betreten den weiteren Rutschen-verlauf nicht einsehen können.

Für den in die Rutsche einsteigenden Badegast ist die Gefahr einesZusammenstoßes mit einem noch in der Rutsche befindlichen anderenBadegast nicht vorhersehbar und auch nicht beherrschbar. Ggf. be-merkt er den Vordermann erst unmittelbar vor der Kollision. Zu die-sem Zeitpunkt ist ihm im Allgemeinen ein Abbremsen nicht oder kaumnoch möglich, weil er in der Rutsche keinen Halt findet. Für den vorihm eingestiegenen Badegast ist die Gefahr eines Aufpralls erst rechtnicht vorhersehbar und kontrollierbar. Dieses Gefahrenpotenzial er-fordert besondere Sicherungsvorkehrungen.

Vom Badbetreiber getroffene MaßnahmenDer beklagte Badbetreiber hat eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen,um seiner besonderen Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich derWasserrutsche zu genügen. Die sowohl am Eingang zum Rutschen-turm als auch oben etwa 4 m vor dem Einstieg ausgehängte Rutsch-anleitung enthält eine Reihe von Verhaltensaufforderungen. So sig-

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Bäderbetrieb

nalisiert eines der auf den Tafeln zu sehen-den Piktogramme das – auch textlich wieder-gegebene – Gebot, beim Rutschen Abstand zuhalten. Kindern im Alter bis zu sechs Jahrenist die Benutzung untersagt. Ein weiteresPiktogramm fordert zusammen mit einementsprechenden Text dazu auf, den Bereichdes Rutschenauslaufs nach dem Rutschenunverzüglich zu verlassen. Daneben wurdentechnische Vorkehrungen getroffen, die esdem Aufsichtspersonal ermöglichen, vonihrer Zentrale aus den Rutscheneinstieg mit-tels einer Videokamera zu beobachten unddie sich dort aufhaltenden Badegäste überLautsprecher anzusprechen. All diese Maß-nahmen zielen auf eine ordnungsgemäße unddamit möglichst gefahrlose Benutzung derWasserrutsche ab.

Um deren Verkehrssicherheit noch weiterzu erhöhen und einen zeitlichen und räumli-chen Abstand zwischen den Benutzern derRutsche zu gewährleisten, wurde sie miteiner sensorgesteuerten Ampelanlage ausge-stattet. Bei ordnungsgemäßer Benutzungerfolgt die Freigabe, wenn der jeweils Rut-schende am Auslauf angekommen ist. Ohne

diese Funktion wären die am Rutschenein-gang wartenden Benutzer, die den weiterenVerlauf der Röhre nicht einsehen können, fürdie Einhaltung eines ausreichenden Rutsch-abstandes auf eine bloße Schätzung der seitdem Einstieg des Vordermannes verstriche-nen Zeit angewiesen. Zugleich werden mitdieser Technik – im Unterschied zu zeitge-steuerten Signalanlagen – die für den Zeit-punkt der Freigabe der Rutsche bedeutsa-men unterschiedlichen Rutschgeschwindig-keiten der Badegäste berücksichtigt.

RotlichtsünderDie beschriebenen Sicherungsvorkehrungengewährleisten im Zusammenwirken ein rela-tiv hohes Maß an Verkehrssicherheit. Durchsie können jedoch – wie der Streitfall zeigt –Unfälle durch Zusammenstöße in der Rut-sche nicht gänzlich verhindert werden. Wennein Badegast bei Rot in die Rutsche einsteigt,wird nicht nur der erforderliche Sicherheits-abstand zu dessen Vordermann unterschrit-ten, sondern gleichzeitig die korrekte Funk-tion der Signalgebung aufgehoben, da sichdann zwei Personen gleichzeitig in der Rut-

sche befinden. Hat der Vordermann den Rut-schenauslauf erreicht, schaltet die Ampel indiesem Moment auf Grün, obwohl die Rut-sche zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht freiist, weil sich der „Rotlichtsünder“ noch inder Röhre befindet.

Der nächste Badegast läuft deshalb Gefahr,in der Rutsche mit dem „Rotlichtsünder“ zukollidieren. Betritt er die Rutsche sehr schnellnach Aufleuchten des Grünlichts, und zwarbevor der „Rotlichtsünder“ den Rutschenaus-lauf erreicht, kommt es ein weiteres Mal zueiner irreführenden Wirkung der Ampel, weildiese schon in dem Moment wieder auf Grünumschaltet, in dem der „Rotlichtsünder“ dieLichtschranke am Rutschenauslauf passiert,während der nachfolgende Badegast sich nochin der Röhre befindet. Auf diese Weise kannbei einer entsprechend raschen Folge derRutschenden das sinnvolle Funktionieren derSignalanlage infolge eines einzigen Rotlicht-verstoßes theoretisch auf Dauer beeinträch-tigt sein. Dazu bedarf es allerdings einer Ver-kettung unglücklicher Umstände.

Ob der Verkehrssicherungspflichtige Vor-kehrungen zur Abwehr einer solchen, doch

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eher fern liegenden Gefahr zu treffen hat,erscheint zweifelhaft. Anerkannt ist nämlich,dass nicht jeder abstrakten Gefahr durchvorbeugende Maßnahmen begegnet werdenkann. Ein allgemeines Verbot, andere zu ge-fährden, wäre nach Auffassung des BGH un-realistisch. Haftungsbegründend wird eineGefahr erst dann, wenn sich für ein sach-kundiges Urteil die nahe liegende Möglich-keit ergibt, dass Rechtsgüter anderer ver-letzt werden können.

Im Streitfall wurde nur eine einmaligeFehlfunktion der Ampel festgestellt. Dazuwar nur ein einziger Rotlichtverstoß erfor-derlich. Mit der Möglichkeit, dass irgend-wann einmal ein Badegast das Signal miss-achtet und zu früh in die Rutsche einsteigt,kann und muss nach Meinung des BGH derVerkehrssicherungspflichtige rechnen. Dasgilt erst recht, wenn die Wasserrutsche – wiehier – nicht allein von Erwachsenen, sondernauch, oder sogar vorwiegend, von Kindernund Jugendlichen benutzt wird. Deshalbgebietet die Verkehrssicherungspflicht, imRahmen des Möglichen und ZumutbarenVorkehrungen dagegen zu treffen, dass ein

Badegast bei Rotlicht in die Rutsche ein-steigt und auf diese Weise sich und anderegefährdet.

Nach den vom Berufungsgericht getroffe-nen Feststellungen gab es für den beklagtenBadbetreiber jedenfalls zum Zeitpunkt desUnfalls keine geeignete und zumutbare Mög-lichkeit, dieser Gefahr zu begegnen.

ZumutbarkeitDie Installation einer mechanisch wirkendenSperre wurde mit Recht als nicht sachdien-lich erachtet. Eine solche Einrichtung könn-te nach Meinung des BGH nur dann verlangtwerden, wenn sie die Sicherheit der Bade-gäste tatsächlich erhöhen würde. Das istaber nicht gewährleistet, da sie ihrerseitsneue Unfallgefahren mit sich bringen würde.So könnten Kinder versuchen, die Sperre zuüberwinden, um vorschriftswidrig – ggf. auchzu mehreren gemeinsam – zu rutschen. Dabeiwäre nicht auszuschließen, dass sie sich ander Sperre klemmen oder auf andere Weise(z. B. durch Quetschungen) verletzen. DieUnfallgefahr würde man damit im Ergebnislediglich verlagern.

Eine geeignete Maßnahme, mit der sichUnfälle im Bereich der Rutsche weitgehendverhindern ließen, könnte eine lückenloseBeaufsichtigung der Badegäste am Rutschen-einstieg durch eine dort präsente Aufsichts-kraft sein. Die Gewährleistung einer solchen,ununterbrochenen, direkten Aufsicht „vor Ort“war der Beklagten aber nicht zumutbar. Sieist auch nicht üblich und nach ständigerRechtsprechung auch nicht erforderlich.

Dieser für die allgemeine Badeaufsichtentwickelte Grundsatz gilt ebenso für dieAufsicht an besonderen Einrichtungen desBades, wie Sprungbrettern, Sprungtürmenund Wasserrutschen. In Schwimmbäderndrohen an vielen Stellen Gefahren. Ihnendurch eine allgegenwärtige Aufsicht zu be-gegnen, ist weder geboten noch möglich. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276Abs. 1, S. 2 BGB), deren Verletzung zur de-liktischen Haftung (§ 823 Abs. 1 BGB) füh-ren kann, umfasst nicht jede denkbare Si-cherheitsmaßnahme. Ihr ist vielmehr genügt,wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgraderreicht ist, den die in dem entsprechendenBereich herrschende Verkehrsauffassung für

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erforderlich erachtet. Der Besu-cher eines Schwimmbades kanneine Badeaufsicht, aber keine lü-ckenlose „Rundum“-Kontrolle er-warten. Sie wird deshalb auchnicht geschuldet.

Ein Unterlassen anderer denkba-rer Sicherungsvorkehrungen kanndem beklagten Badbetreiber imStreitfall nach Darlegung des BGHnicht zum Vorwurf gereichen. OhneErfolg macht das verunglückte Kindgeltend, die Ampelanlage hätte miteinem „Gedächtnis“ ausgestattetwerden müssen, um sicherzustel-len, dass sie nur auf Grün schaltet,wenn ebenso viele Personen, wieoben eingestiegen, unten aus derRöhre herausgekommen sind.

Ob dies technisch möglich undmit zumutbarem Aufwand zu be-werkstelligen wäre, kann hier un-beachtet bleiben. Es konnte näm-lich weder aufgezeigt werden,dass eine solche Ampelschaltungoder anderweitige technische Si-cherheitsvorkehrungen für Rut-schen vor dem Unfall des Kindes,also im Jahr 1999, überhaupt zurVerfügung gestanden hätten, noch,dass ein Nachrüsten der Signal-anlage mit einer solchen „intelli-genten“ Technik dem Badbetrei-ber seinerzeit finanziell zumut-bar gewesen wäre. Das Maß derim Streitfall erforderlichen Ver-kehrssicherheit bestimmt sichnicht nach dem heute Möglichenund eventuell Zumutbaren, son-dern richtet sich nach den Ver-hältnissen zum Zeitpunkt derSchädigung. Ob eine sensorge-steuerte Ampelschaltung, wie siehier installiert war, heute nochden Sicherheitserfordernissen ge-nügt, ist deshalb nicht zu ent-scheiden. cg

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