Fromme am See - Florian · PDF fileOhrid Korça Die Fromme am See Ohrid in Mazedonien gehörte einst zum Pflichtprogramm für Kulturreisende, dann wurde die Stadt gemieden. Höchste

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    von florian sanktjohanser

    D er sinkt auf die Knie, er zieht denHenkel einer Amphore aus demSeegras und reicht ihn herum,dann eine Steinaxt und den Kie-fer eines Tieres. Sonnenstrahlen stechendurch das klare Wasser und leuchten dieprhistorische Mllhalde auf dem Grunddes Sees aus. berall liegen Scherben zwi-schen hlzernen Stmpfen. Vor 3000 Jah-ren stand hier ein Pfahldorf, und seine Be-wohner waren so bequem wie die Men-schen heute: Sie warfen ihre Essensresteeinfach aus dem Fenster. Daher der Namedes surrealen Tauchplatzes im Sdostendes Ohridsees: Bucht der Knochen.

    Das Pfahldorf wurde vor einigen Jahrenrekonstruiert, aus sten, Lehm und Strohwie im Original. Es ist die neueste Attrak-tion einer Gegend, die man sich als Touris-tiker nicht schner basteln knnte: Auf ei-nem Hgel eine Altstadt mit osmanischenHusern, einem Amphitheater, einer Fes-tung und so vielen Kirchen, dass man sieeinst Jerusalem des Balkans nannte. Eintiefer See, der zu den ltesten der Welt ge-hrt und so sauber ist, dass man sein Was-ser trinken kann. Und auen herum mehrals 2000 Meter hohe Berge, durch derenWlder Braunbren, Wlfe und Luchsestreifen. Eine Gegend also, so besonders,dass die Unesco sie doppelt adelte, als Na-tur- und Kulturerbe der Menschheit. DasErstaunliche ist: In Deutschland ist Ohridfast vergessen.

    Es gab andere Zeiten. In Jugoslawiengab es frher zwei groe Ziele fr Kultur-touristen, sagt Lyupcho Kumbarovski,Dubrovnik und Ohrid. 40 Prozent meinerGste waren damals Deutsche. Kumbar-ovski, 50, trgt Seitenscheitel und Jackett,er hat Archologie studiert und spricht her-vorragend Englisch. Seit 27 Jahren fhrt erTouristen durch seine Heimatstadt. Zur Be-

    grung holt er stolz zwei Fotos aus demPortemonnaie. Sie zeigen ihn mit RomanHerzog und Horst Khler.

    Die letzten Jahre Jugoslawiens warenfr mich das Paradies, sagt Kumbarovski.Ich arbeitete 30 Tage im Monat und ver-diente sehr gut. Doch dann brach der Br-gerkrieg aus und die Urlauber blieben fern.Seitdem liegt Ohrid in Mazedonien, einemLand, das viele Europer nur wegen derFlchtlingskrise kennen.

    Doch nun kehrt langsam wieder Norma-litt ein. Auf dem Platz am Hafen sammelnsich gerade trkische und japanische Reise-gruppen, die Tische vor den Cafs ringsumsind gut besetzt. Fr Kulturtouristen ausden USA und aus Fernost sei Ohrid heute

    wieder ein Pflichtstopp auf der groen Bal-kantour, sagt Kumbarovski. Und im Som-mer ist sowieso alles ausgebucht. Dannstrmen die Badeurlauber aus den Nach-barlndern in die Hotels an der Uferprome-nade, dann flchten sich die Hauptstdteraus dem berhitzten Skopje in ihre Villenund Ferien-Appartements am khlen Seeauf 700 Metern Hhe.

    Trotzdem kann man noch entspanntdurch die Gassen schlendern, vorbei anden Husern der Kaufleute aus dem19. Jahrhundert, die wie umgedrehte Stu-fenpyramiden mit jedem Stockwerk wei-ter herausragen. Selbst in der ltesten Kir-che des Landes ist man morgens allein. Sve-ta Sofija sei die Kathedrale schlechthin inMazedonien, sagt Kumbarovski. Hier wer-de der Patriarch von Ohrid und Mazedoni-en gewhlt, wenn der alte stirbt. Die Kirchedes Landes hat sich 1967 fr unabhngig er-klrt, die anderen orthodoxen Kirchen

    ringsum erkennen sie jedoch nicht an. Bal-kan-Balgereien.

    Als Sveta Sofija 1056 vollendet wurde,gab es nur eine Kirche, und deshalb ist Sve-ta Sofija noch in der Form des vereintenChristentums gebaut: als Basilika. Die Fres-ken, einst von den osmanischen Eroberernbertncht, ehren nun wieder in krftigenFarben auf blauem Grund die Heiligen Ky-rill und Method, die Missionare der Sla-wen. Es war einer ihrer Schler, der Ohridzu einem der bedeutendsten christlichenZentren auf dem Balkan machte: Sveti Kli-ment. Steile Gassen fhren hinauf zu sei-nem Grab, in den Vorgrten blhen Feigen-bume, Lavendel und Rosen. Aber dahin-ter stehen nicht durchwegs hbsch reno-vierte Osmanenhuser, sondern auch fadeNeubauten und halb verfallene Bruchbu-den. Die Altstadt ist kein poliertesSchmuckstck aus einem Guss. Die Perlehat Kratzer.

    Manche Besitzer htten nicht genugGeld, ihre Huser gem den strengen Re-geln des Denkmalschutzes zu renovieren,sagt Kumbarovski. Andere lgen im Erb-streit. Aber zu verkaufen wre Verrat. DieBewohner der Altstadt sind stolze Alteinge-sessene, viele Familien leben seit Jahrhun-derten in ihren Husern. Ein Ausverkaufwie in Marrakesch ist hier undenkbar.

    365 Kirchen und Kapellen will ein osma-nischer Chronist einst in Ohrid gezhlt ha-ben. Das scheint ein bisschen bertriebenzu sein, aber vom Amphitheater aus ver-steht man, wie er auf die Idee kam. Alleinden Bischofspalast gegenber umzingelnfnf Kirchen, berall sieht man Kuppelnund Kreuze zwischen den roten Ziegeld-chern. Die meisten Gotteshuser lieen rei-che Kaufmnner in der Bltezeit vom elf-ten bis zum 14. Jahrhundert bauen, umsich so zu verewigen. Die Osmanen setztennoch einige Moscheen hinzu. Das religiseHerz der Stadt aber schlgt seit 2500 Jah-ren oben auf dem Plaosnik.

    Seit Jahrzehnten graben Archologenauf dem Hgelplateau Tempel und Kir-chen aus. Man geht durch einen Irrgartenvon Mauerresten und Sulen, ein Pavillonmit Dachziegeln schtzt die Mosaike einerfrhchristlichen Basilika. Mitten in derAusgrabungssttte erhebt sich eine Kir-che, historisch im Stil, aber zu makellos,um tatschlich alt zu sein. Sveti Kliment iPantelejmon wurde 2002 vollendet. In ihrruht nun wieder der Stadtheilige, der stetsmit seltsam vorgewlbter Stirn gemalt ist,um seine enorme Intelligenz deutlich zumachen.

    Der Sarkophag von Sveti Kliment istuns extrem wichtig, sagt Kumbarovski.Kliment grndete hier Ende des 9. Jahr-hunderts die erste panslawische Universi-tt, 3500 Studenten lernten von ihm die sla-wische Schriftsprache und trugen sie hin-aus auf den ganzen Balkan. Ohrid wurdezur Metropole des frommen Wissens.

    Diese glanzvolle Vergangenheit be-schwren die Bauherren jenes Monsters,das derzeit neben der Kirche emporwchst. In seiner Gigantomanie erinnertdas Betonskelett an die pseudoklassizisti-

    schen Zuckerbcker-Bauten in der Haupt-stadt Skopje, auf die wtende Demonstran-ten Farbbeutel werfen. Es ist der Neubauder Universitt von Sveti Kliment. Eine Bi-bliothek, ein Museum mit Ikonen-Galerieund das Institut fr Geisteswissenschaf-ten sollen hier einziehen. Gegenber bautsich der Erzbischof eine neue, ebensowuchtige Sommerresidenz mit angeschlos-sener theologischer Fakultt. Der Neubauder Universitt ist umstritten, sagt Kum-barovski. Viele in der Stadt finden, dass erzu gro ist. So sah es offenbar auch die

    Unesco. Nachdem die Kulturhter Druckgemacht hatten, strichen die Architektenzumindest ein Stockwerk und die geplan-ten Glaskuppeln. Historisierende Fassa-den sollen nun die Kritiker besnftigen.

    Wie das Ergebnis auch ausfllt, alsWahrzeichen wird sich das Neubaugebietauf dem Hgel kaum durchsetzen. DieserTitel ist bereits an die Kirche des HeiligenJohannes von Kaneo, Sveti Jovan Kaneovergeben. Sie ist unbedeutend, liegt aberextrem fotogen auf einer Klippe hoch berdem See. Angeblich wird keine Kirche auf

    dem Balkan fter geknipst. Jeden Abendversammeln sich hier die Touristen zumSonnenuntergang-Schauen. Oder sie set-zen sich zu den Einheimischen, in einesder Restaurants unterhalb der Klippen.Hier speist man in Korbsthlen unter Wal-nussbumen und blickt ber den See biszu den Gipfeln des Galiica Nationalparks.Und wenn es dunkel wird, spaziert man aufder Uferpromenade hinber zu den Clubsauf der anderen Seite der Bucht, wo DJs biszum Morgen auflegen. Weit weg von allden gestrengen Heiligen.

    Orthodoxe Kirchen undosmanische Moscheen stehenhier nebeneinander

    Kultur- und Naturerbe:Der Ohridsee mit der rekonstruierten

    Pfahlbausiedlung ist fast 300 Meter tief.Die angrenzende Stadt ist durchzogen

    von steinernen Gotteshusern.FOTOS: SANKTJOHANSER

    Galiica-Nationalpark

    Prespa-Nationalpark

    Ohridsee

    Prespa- see

    MAZEDONIEN

    GRIECHENLAND

    ALBANIEN

    10 kmSZ-Karte

    Ohrid

    Kora

    DieFrommeam See

    Ohrid in Mazedoniengehrte einst zum Pflichtprogramm

    fr Kulturreisende, dann wurde die Stadtgemieden. Hchste Zeit fr

    eine Wiederentdeckung

    Anreise: Mit dem Flugzeug nach Skopje, von dort fah-ren Busse in rund vier Stunden nach Ohrid.Unterkunft: In Ohrid gibt es Hotels und Pensionen al-ler Kategorien. Schn gelegen ist das Hotel im 29 Kilo-meter entfernten Kloster Sveti Naum, DZ MIt Frh-stck ab 40 Euro, www.hotel-stnaum.com.mk; einZeltplatz liegt am Strand Gradite.Aktivitten: Auf den Bergmassiven Petrino undGaliica gibt es rund 300 Kilometer Wege fr Wande-rer und Mountainbiker. Hier liegen auch mehrereStartpltze fr Paraglider. Landepltze sind mit Wind-fahnen markiert. Ohrid hat ein fast mediterranes Kli-ma. Im Sommer ist es kaum heier als 30 Grad. DerSee wird im Sommer bis zu 25 Grad warm.Weitere Ausknfte: [email protected]

    DEFGH Nr. 190, Donnerstag, 18. August 2016 REISE 39www.sz-archiv.deX