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Frühkindliche Reflexe und Sprache Ein Fallbeispiel Eingereicht von Hörmann Helga 20. Oktober 2012

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Frühkindliche

Reflexe und

Sprache

Ein Fallbeispiel

Eingereicht von Hörmann Helga

20. Oktober 2012

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung .................................................................................................................... 1 

1  Was ist INPP? ..................................................................................................... 3 

2  Grundsätzliche theoretische Voraussetzungen ................................................... 4 

2.1  Das Ohr ......................................................................................................... 4 

2.2  Die Aufmerksamkeit ...................................................................................... 4 

2.2.1  Propriozeptive Wahrnehmung ................................................................. 4 

2.2.2  Die taktile Wahrnehmung ........................................................................ 5 

2.2.3  Die auditive Wahrnehmung ..................................................................... 5 

2.2.4  Die visuelle Wahrnehmung ..................................................................... 6 

2.3  Mundmotorik .................................................................................................. 7 

2.4  Atmung .......................................................................................................... 8 

3  Übersicht über die Reflexe .................................................................................. 9 

3.1  Der Furcht- Lähmungsreflex ........................................................................ 10 

3.2  Moro Reflex ................................................................................................. 10 

3.3  Der Asymmetrisch – Tonische Nackenreflex (ATNR) .................................. 12 

3.3.1  Die auditive Differenzierung .................................................................. 12 

3.3.2  Die visuelle Wahrnehmung ................................................................... 13 

3.3.3  Motorisch .............................................................................................. 13 

3.3.4  Körperschema und Raumwahrnehmung .............................................. 13 

3.4  Tonischer Labyrinth Reflex (TLR) ................................................................ 13 

3.5  Symmetrisch tonischer Nackenreflex (STNR) ............................................. 14 

3.6  Such- Saugreflex ......................................................................................... 15 

3.7  Palmar Reflex .............................................................................................. 15 

3.8  Spinaler Galantreflex ................................................................................... 16 

4  Fallstudie Thomas ............................................................................................. 17 

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4.1  Bericht der Mutter ........................................................................................ 17 

4.1.1  Sprachlich ............................................................................................. 17 

4.1.2  Motorisch .............................................................................................. 17 

4.1.3  Psychisch/ sozial ................................................................................... 18 

4.1.4  Interventionen / Jetziger Zustand .......................................................... 18 

4.2  Sprachliche Auffälligkeiten am Schulanfang ................................................ 19 

4.2.1  Phonologische Störung ......................................................................... 19 

4.2.2  Dysgrammatismus ................................................................................ 19 

4.2.3  Interdentalität ........................................................................................ 19 

4.2.4  Sprachliche Auffälligkeiten im Februar .................................................. 20 

4.2.5  Sprachliche Auffälligkeiten am Schulschluss ........................................ 20 

4.3  INPP Übungsprogramm .............................................................................. 20 

4.3.1  Ausgangssituation ................................................................................. 20 

4.3.2  Veränderungen nach 16 Wochen: ........................................................ 21 

4.3.3  Veränderungen nach weiteren 24 Wochen: .......................................... 21 

4.3.4  Veränderungen nach den nächsten 16 Wochen: .................................. 22 

5  Abschließende Bemerkungen ........................................................................... 22 

Danksagung 

Bibliographie 

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Einleitung

Ich arbeite seit 28 Jahren als Sprachheil- und Integrationslehrerin von Kindern mit

erhöhtem Förderbedarf. In diesen Jahren habe ich mich in vielen Bereichen

fortgebildet, in theoretischer wie in praktischer Hinsicht. Je mehr ich lernte, desto

mehr erkannte ich, was ich noch alles zu lernen habe, wovon ich noch viel zu wenig

weiß. Somit hat sich natürlich auch mein Blick auf die Kinder, auf ihre

Besonderheiten, Schwierigkeiten, Stärken, Schwächen und Bedürfnisse ebenso

verändert wie mein Unterricht. Ich versuche, Rhythmik und Motorik ebenso

einzubauen wie andere spielerische und sensorische Gestaltungselemente. Dennoch

scheint mir bei manchen Kindern der Ansatz zu hoch zu liegen, dass sie Förderung

auf einer anderen Ebene brauchten, mehr an der Basis, dass ich mit meiner

Symptomarbeit nicht tief genug dringe, damit die Ergebnisse für mich befriedigend

sind.

Vor sechs Jahren besuchte ich den Heilpädagogischen Kongress in Güssing und

durfte den Workshop von Frau D. Beigel besuchen. Hier lernte ich das Thema der

frühkindlichen Reflexe und ihrer Auswirkungen das erste Mal kennen. Zu dem

Zeitpunkt arbeitete ich mit einem Jungen, Lukas, in der Integration, der sämtliche

LehrerInnen der Schule inklusive des Direktors an den Rand der pädagogischen

Kompetenz brachte. Ich beschrieb ihn Frau Beigel kurz und sie meinte „Das schaut

nach einem starken Moro Reflex aus.“ Ich vertiefte mich in Literatur, begann mit

„Flügel und Wurzeln“. In diesem Buch erklärt Frau Beigel sehr verständlich die

frühkindlichen Reflexe und wie sie sich auswirken, wenn sie persistieren, also in ihrer

Urform bestehen bleiben. Sie gibt auch gut umsetzbare Tipps für Eltern,

ErzieherInnen und LehrerInnen, wie sie mit betroffenen Kindern umgehen und sie

fördern können. Ich veränderte meinen Unterricht, indem ich auf die Besonderheiten

von Moro-Kindern Rücksicht nahm und ihn entsprechend organisierte. Die

Veränderung war eklatant. Der Unterricht verlief wesentlich entspannter, geregelter,

mit viel weniger Ausbrüchen. Die Mutter war dann auch bereit, mit Lukas eine

Therapie durchzuführen, sein Verhalten verbesserte sich merklich. Die kritischen

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familiären und schwachen intellektuellen Anteile blieben natürlich, aber der

Unterschied war auffällig.

So vertiefte ich mich weiter in die Materie, las und besuchte Fortbildungen, suchte

auch nach TherapeutInnen in der Gegend. Die Ergo- und PhysiotherapeutInnen

kennen zwar die Reflexe, haben aber keine spezifische Ausbildung zu deren

sensorischer Integration. Darum reifte in mir der Gedanke, die Ausbildung selbst zu

absolvieren.

Man kann nur sehen, was man weiß. Seit ich mich mit frühkindlichen Reflexen

auseinandersetze, bemerke ich bei einigen der SchülerInnen, die ich im

Sprachheilunterricht (SHU) betreue, offensichtliche Zusammenhänge. Manche Eltern

sind bereit, sich auf die Thematik einzulassen, es gibt aber auch andere, die nicht

offen für andere Lösungsansätze sind und von mir keine Vorschläge oder Hinweise

annehmen wollen. Es ist also ein stetiger Lernprozess, was man wem wie weit

zumuten kann.

Inzwischen gibt es in der weiteren Umgebung eine INPP (Institute for

Neurophysiological Psychology, s.u.) Therapeutin, Margit Joachim. Sie war so

freundlich, mich bei sich hospitieren zu lassen. Sie betreut einen Jungen, Thomas,

den ich bei der Reihenuntersuchung in einer der von mir betreuten Volksschulen

überprüfte. Ich hatte die Gelegenheit, ihr bei der Arbeit mit Thomas zuzusehen. Er

hatte eine Sprachstörung, ich konnte ihn aber wegen Platzmangels nicht gleich im

SHU betreuen. In Kapitel 4 werde ich näher auf Thomas‘ Fall eingehen. Als ich im

Februar Thomas‘ Betreuung starten konnte, war ich sehr erstaunt, welche

Veränderungen in diesen wenigen Monaten geschehen waren.

Auf Grund meiner beruflichen Tätigkeit und dieser Erfahrung entschloss ich mich,

meine Hausarbeit zum Thema INPP und Sprache zu schreiben und an Hand dieses

Fallbeispiels näher zu dokumentieren. Thomas‘ Mutter stimmte zu, dass mir Frau

Joachim die Unterlagen zum Therapieverlauf zur Verfügung stellt und war zusätzlich

zu einem ausführlichen Anamnesegespräch mit mir bereit. Sie hat sich selbst

eingehend mit dieser Thematik befasst, viel nachgelesen und ist selbst ganz

begeistert von INPP.

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1 Was ist INPP?

„Das Institute for Neurophysiological Psychology INPP wurde im Jahre 1975 von Dr.

Peter Blythe gegründet, um zu untersuchen, inwieweit zentralnervöse Dysfunktionen

und Unreifen an spezifischen kindlichen Lernstörungen und Angst-, Zwangs- und

Panikstörungen im Erwachsenenalter beteiligt sind, und um gezielte

Förderprogramme für Betroffene zu entwickeln.“1 Seither hat sich das INPP auch im

deutschen Sprachraum ausgeweitet und bietet Ausbildungslehrgänge an. Die

TherapeutInnen führen zuerst ausführliche Anamnesegespräche mit hilfesuchenden

Eltern. Wenn sich genügend Hinweise ergeben, dass ein Problem im Bereich

frühkindlicher Reflexe besteht, führen sie verschiedene Testungen durch, die etwa

zwei Stunden dauern. Dies sind „standardisierte und adaptierte Tests aus der

Neurologie, Pädiatrie und Physiotherapie“2 und überprüfen folgende Bereiche:

- Grobmotorik, Koordination, Gleichgewicht

- Kleinhirnbeteiligung

- Diadochokinese (bezeichnet die Fähigkeit, schnelle, alternierende

Bewegungen auszuführen)

- Primitive Reflexe und Halte- und Stellreflexe

- Seitigkeit

- Okulomotorik (Augenbewegungen)

- Visuelle Wahrnehmungsfähigkeit

Nach der Testung kommt es zu einem ausführlichen Elterngespräch, bei dem die

Auffälligkeiten und Schwierigkeiten besprochen werden. Anschließend erfolgt die

Übungsvergabe. Die Übungen müssen täglich durchgeführt werden und erstrecken

sich auf einen Zeitruam von ca. 1 – 1,5 Jahren. Alle 6 - 8 Wochen wird das Kind zu

1 Handbuch zur europhysiologischen Entwicklungsförderung, Arbeitsmaterialien zu

Modul 1, S 3

2 Ebda.

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einem Retest bestellt. Dabei wird überprüft, ob die Übungen richtig ausgeführt

werden, wie sie wirken, welche Veränderungen bemerkbar sind und welche Übungen

weitergemacht werden bzw. neu hinzukommen sollen.

2 Grundsätzliche theoretische Voraussetzungen

Es gibt eine Reihe frühkindlicher Reflexe, manche haben mehr, manche weniger bis

kaum einen Einfluss auf die Sprache. Ich beschreibe im Folgenden Organe und

Bereiche, die für einen reibungslosen Spracherwerb von Bedeutung sind und von

nicht gut integrierten frühkindlichen Reflexen betroffen sein können:

2.1 Das Ohr

Das Gleichgewichtsorgan befindet sich im Innenohr, es ist also das gleiche Organ,

welches wir auch zum Hören benötigen. Durch Bewegungen, insbesondere Drehen

und Schaukeln, werden die Härchen und Sensoren im Innenohr stark stimuliert. Dies

hat somit gleichzeitig auf das Hören als auch das Gleichgewichtsempfinden einen

starken Einfluss. Liegt in diesem Bereich eine Blockade vor, sind Menschen nicht in

der Lage, akustische Signale adäquat aufzunehmen und zu verarbeiten. Die auditive

Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung ist ein weites Thema, zu dem ich immer

wieder an Seminaren teilgenommen und auch selbst welche organisiert habe. Sehr

viele Faktoren spielen hier hinein, dem Innenohr kommt dabei eine wesentliche

Bedeutung zu.

2.2 Die Aufmerksamkeit

Um Sprache reibungsfrei entwickeln zu können, muss man sich der Welt konzentriert

zuwenden und sie in sich aufnehmen können. Dazu müssen sich alle Sinne gut

entwickeln und zusammenspielen.

2.2.1 Propriozeptive Wahrnehmung

Damit ist die Eigenwahrnehmung gemeint, wie der Körper im Verhältnis zur Umwelt

und die einzelnen Körperteile zueinander positioniert sind. Man weiß also etwa auch

mit geschlossenen Augen, ob man liegt oder sitzt, die Beine abgewinkelt sind, wo

sich die Arme und Hände befinden. Kinder, die hier Störungen haben, sind nicht nur

verletzungsgefährdeter, sprachlich gesehen entwickeln sie keinen Bezug zu

Präpositionen, können sich in Raum und Zeit nicht orientieren. Was man nicht

versteht und erfährt, kann man nicht in Sprache umsetzen. Ich erlebe oft in meinem

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Unterricht, dass diese Kinder vorwiegend zwei Präpositionen verwenden: „bei“ als

statische Ortsangabe und „zum“ als Richtungsangabe. Wir müssen mit eigenen

Erfahrungen, durch eigenes Handeln erarbeiten, was „auf, unter, hinter, vor, neben,

zwischen, …“ bedeutet.

2.2.2 Die taktile Wahrnehmung

Tastempfindungen ermöglichen dem Menschen, die Eigenschaften der Dinge, der

Umgebung zu erfahren. Was ist weich, hart, kuschelig,…? Indem man

unterschiedliche Merkmale, Oberflächen ergreift, kann man sie begreifen und

benennen. Eigenschaftswörter sind ein wesentlich aussagekräftigeres Kriterium für

die Sprachentwicklung als etwa Nomen. Nomen können leichter trainiert werden, auf

sie wird normalerweise das Hauptaugenmerk gelegt. Es fällt mir bei vielen von mir

betreuten Kindern auf, dass sie viele Adjektive nicht kennen und sie noch weniger

aktiv benützen, überhaupt Adjektive im Allgemeinen selten verwenden.

Manche Kinder haben ausgeprägte Abneigungen bis Allergien auf Stoffe und

Materialien. Sie wollen etwa keine Erde angreifen, vermeiden damit unangenehme

Empfindungen, vermindern dadurch aber auch die Bandbreite der Erfahrungen, die

sie mit verschiedenen Materialien sammeln.

Über Tastempfindungen tritt das kleine Kind auch in Beziehung zu Menschen. Der

Urkontakt ist jener zur Mutter/ zur Bezugsperson, die das Baby füttert, versorgt, trägt.

Es spürt die Wärme, den unterschiedlichen Druck an unterschiedlichen Stellen.

Später sucht das Kind die Nähe, krabbelt auf den Schoß, kuschelt, fasst zumindest

die Hand, wenn es sich unsicher fühlt. Wird dem Menschen diese Erfahrung

vorenthalten oder verweigert er den Körperkontakt, weil er als unangenehm

empfunden wird, wirkt sich das auf die emotionale Entwicklung und in Folge auch auf

die Sprache aus.

2.2.3 Die auditive Wahrnehmung

Ich habe schon zuvor auf den Zusammenhang zwischen Innenohr,

Gleichgewichtssystem, auditiver Wahrnehmung und Verarbeitung hingewiesen.

Weiters ist es wichtig, dass man den Kopf gut kontrollieren, sich einer

Geräuschquelle zuwenden kann, um sie zu lokalisieren. Nur so entwickelt sich

Richtungshören und man lernt abzuschätzen, wie weit eine Geräuschquelle entfernt

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ist. Das Kind muss sich dem Sprechenden zuwenden, um ihn wahr- und

aufzunehmen. Feinheiten und Inhalte können unterschieden werden, indem man

darauf hinhört - das ist ein bewusster Akt. Geräuschempfindlichen Menschen

entgehen viele Erfahrungen, weil sie durch Lärm gestört, abgelenkt sind oder weil sie

Situationen vermeiden, in denen sie unangenehme Erfahrungen erwarten. Ich hatte

einen Schüler, der beim Anblick eines Luftballons bereits panisch reagierte, weil er

Angst hatte, er könne zerplatzen. Somit konnte er sich nicht mehr auf das Fest, die

Veranstaltung einlassen, war komplett blockiert, konnte nichts mehr rundherum

aufnehmen, nicht in Kontakte treten. In diesen Zeiten der Abkapselung kann sich

natürlich auch Sprache schlecht weiterentwickeln.

2.2.4 Die visuelle Wahrnehmung

Beim Stillen besteht der optimale Abstand zum Gesicht der Mutter, das Kind kann es

scharf sehen. Dieser Blickkontakt ist immens wichtig zum Aufbau einer emotionalen

Beziehung. Schaut die Bezugsperson das Kind nicht an, z.B. weil sie nebenbei mit

jemand anderem spricht oder gar fernsieht, kann das Kind den Aufbau des

Blickkontakts nicht erlernen. Später schaut das Kind die Bezugsperson an, fokussiert

dann einen Gegenstand, sucht wieder den Blickkontakt. Dabei kommentiert die

Bezugsperson mit Worten, was Kind und Bezugsperson beide sehen. Besonders

Barbara Zollinger, eine Logopädin aus Zürich, die ich oftmals bei Kongressen

erleben durfte, betont die Bedeutung dieses sogenannten „triangulären

Blickkontakts“:

„Die erste Anbahnung von Verständnis von Sprache im eigentlichen Sinn geschieht

relativ früh und meistens unbemerkt. Es handelt sich um den „triangulären

Blickkontakt“, der zu einem Zeitpunkt erscheint, zu dem Gespräche noch in weiter

Ferne zu sein scheinen.

Das Kind verständigt sich dabei mit einer zweiten Person über eine Sachlage, einen

Gegenstand, eine Wahrnehmung oder Ähnliches, und zwar – und das ist essentiell -,

über einen Blickkontakt, der von ihm hergestellt wird. Es sieht den Partner an und

verweist ihn mit seinem Blick auf den Gegenstand des gemeinsamen Interesses […].

Die kurz vorher noch geplapperten einzelnen Wörter verwandeln sich von dem

Augenblick dieser ersten Verständigung an, in der der Blickkontakt diese besondere

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Rolle spielt, in Einwortsätze, in Mitteilungen, die an die zweite Person gerichtet

sind.“3

Überdies muss man in der Lage sein, diesen Blick überhaupt zu halten. Hier ist

wieder das Zusammenspiel mit dem Gleichgewichtssystem gefragt, denn wer nicht

stabil ist, kann auch den Blick schwer längere Zeit halten. Dies ist aber

Voraussetzung, um Gesprächskompetenz zu erwerben.

„Die Situation des Kindes, das mit einem Erwachsenen spricht, ist spezifisch. Sein

Kopf ist zum Erwachsenen nach oben gerichtet.“4

Manche Erwachsene machen es instinktiv, manchen muss man sagen, dass sie sich

auf Augenhöhe des Kindes begeben sollen. In vielen Situationen ist dies aber nicht

möglich, was die Führung des Gesprächs erschwert und die Kompetenzentwicklung

des Kindes behindert.

2.3 Mundmotorik

Die mit einigen Reflexen, besonders Moro, einhergehenden Überempfindlichkeiten

betreffen auch den Geschmacksbereich. Die Kinder verweigern bestimmte

Nahrungsmittel, Konsistenzen oder Geschmacksrichtungen. Die Kaumuskulatur ist

die gleiche wie die Sprachmuskulatur, alles was sie stärkt, verbessert auch die

Artikulation.

Heutzutage steigen die mundmotorischen Störungen stark an, die Kinder sind immer

häufiger Mundatmer, haben in Ruhelage keinen Mundschluss, die Zunge liegt

zwischen den Zähnen. Ringmuskel der Lippen und Kaumuskulatur sind ebenso

schwach wie die Zunge, die ja ein Muskel ist. Gefördert wird diese Tendenz durch die

Ernährungs- und Essgewohnheiten. Was unsere Kinder zu sich nehmen ist meist

weich, breiförmig oder fein aufgerieben. Die meisten dieser Kinder können nicht

richtig kauen. Letztes Schuljahr betreute ich einen achtjährigen Jungen, der konnte

nicht einmal Soletti kauen. Viele Kinder haben ständig Nuckel oder Trinkfläschchen

im Mund, nehmen diese auch zum Sprechen nicht heraus. Nimmt man sie ihnen

weg, verwenden sie statt dessen Daumen oder andere Gegenstände. Bei manchen

Kindern ist der Halsausschnitt des T-Shirts ständig nass, weil sie ständig daran

3 Graumann Brunt, Dr. Sigrid, die Entwicklung der Sprache beim Kind, S 8 4 Ebenda S 22

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lutschen Wie sehr die Sprache davon beeinträchtigt wird, vor allem die Artikulation

und damit Verständlichkeit, ist naheliegend.

2.4 Atmung

Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Atmung:

Die Bauchatmung ist die natürliche, in Ruhe und im Schlaf von so gut wie allen

Menschen verwendete Atemform. Sie ist eine sympathische Funktion. „Wie die

übrigen Anteile des vegetativen Nervensystems steuert der Sympathikus

lebenswichtige Vorgänge. Diese Regulation erfolgt weitgehend ohne bewusste

Wahrnehmung und kann kaum willentlich beeinflusst werden.“5 Sie läuft also

automatisch ab, kann nicht bewusst gesteuert, allerdings unterstützt werden. Da man

nicht daran denken muss, ist die Energie für andere Aktivitäten frei.

Im Gegensatz dazu steht die Brust - oder Hochatmung, die bewusst gesteuert wird,

kommt bei großer körperlicher Belastung oder Stress zum Einsatz und ist eine

parasympathische Reaktionsform.

Je nachdem, ob man mit Hoch- oder Bauchatmung spricht, verändert sich der Klang,

die Stimme:

Die Hochatmung führt zu gepresstem, schnellerem Sprechen in höherer Stimmlage,

belastet und verspannt die Stimmbänder und kann damit langfristig zu

Stimmstörungen führen. Das Sprechen ermüdet, der/ die SprecherIn wird schnell

heiser.

Bei der Bauchatmung ist der Stimmklang voller, tiefer, ruhiger. Die Stimme ist

belastbarer, angenehmer für SprecherIn und ZuhörerIn, beide ermüden nicht so

schnell. Daher ist Training auch in diesem Bereich wichtig.

5 http://de.wikipedia.org/wiki/Sympathikus

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3 Übersicht über die Reflexe

Im Folgenden möchte ich zuerst in einem Mindmap einige Reflexe und ihre

Zusammenhänge darstellen und dann auf ihre Entstehung, Funktion und Auswirkung

auf die Sprache eingehen.

Mindmap: Übersicht über frühkindliche Reflexe

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3.1 Der Furcht- Lähmungsreflex

Er entsteht in der 5.- 12. Schwangerschaftswoche (SSW) und sollte dann vom Moro

Reflex abgelöst werden. Wird er in utero nicht gehemmt, so kann er sich

ganzkörperlich durch Aktivierung des parasympathischen Nervensystems zeigen und

zum Erstarren auf allen Ebenen führen. Das Kind erstarrt in der Bewegung, ist

unfähig auszuatmen, kann somit nicht mehr auf die Umwelt reagieren. Puls und

Blutdruck sinken, die Gefäße werden zusammengezogen, die Kinder erblassen. In

dieser Situation sind sie nicht mehr in der Lage zu sprechen, etwas zu äußern oder

aufzunehmen. Sie wirken dadurch auf die Umgebung dumm, können ihr

Leistungspotential nicht ausschöpfen, werden unter ihrem Wert eingeschätzt. Die

Angst, die von ihnen Besitz nimmt, verhindert auch Kommunikation, weil diese

Erstarrung Kontaktnahme ausschließt. Außerdem sind diese Kinder extrem auf ihre

Bezugsperson fixiert, haben Trennungsängste, treten nicht mit anderen in Kontakt,

verhindern dadurch auch viel sprachlichen Austausch, Erfahrungen, Gespräche. Die

Blockade beeinträchtigt die ganze Entwicklung, das Lernen und somit die Sprache.

Durch die Unfähigkeit, in Panik auszuatmen, kann sich überhaupt eine falsche

Atemtechnik etablieren, in extremen Fällen Asthma mitbedingen, was sich auf

Sprechduktus und –modulation auswirkt. Die Stimme klingt, gepresst, gehetzt,

kurzatmig.

3.2 Moro Reflex

Er entsteht in der 9. SSW, sollte bei der Geburt komplett

vorhanden und im Laufe des 2.- 4. Lebensmonates

sensorisch integriert sein. Er wird durch plötzliche, unerwartete Reize auf allen

Sinnesebenen ausgelöst, etwa durch laute Geräusche (Knall, Luftballonplatzen),

zuckende Blitze, ruckartige Bewegungen und damit verbundener Stimulation des

Labyrinths, unerwartete Temperaturschwankungen wie durch kaltes / heißes Wasser,

Schmerz, etc.

Das Kind reagiert mit schnellem Einatmen, kurzem Erstarren, dann heftigem

Ausatmen, manchmal begleitet von einem Schrei. Das sympathische Nervensystem

wird aktiviert, wodurch Adrenalin und Cortisol freigesetzt werden, das Kind

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hyperventiliert, die Gefäße weiten sich, weshalb Puls und Blutdruck steigen, die Haut

sich rötet.

Die Folgen sind hier gleich wie beim Furcht – Lähmungsreflex, sowohl auf der

Kommunikations-, der Lern- und Sprachentwicklungsebene wie im Bereich von

Atmung und Stimme. Durch die Überempfindlichkeit auf allen Sinnesebenen

vermeidet das Kind viele Situationen, in denen es diesen ausgesetzt ist, zieht sich

zurück.

Die vestibulären (=den Gleichgewichtssinn betreffend) Probleme führen zu

Gleichgewichts- und Koordinationsproblemen aber auch zu allen Folgen, die von

einer eingeschränkten Funktion des Innenohrs ausgehen. Das Kind kann also

auditive Reize schwer auseinanderhalten, hat auditive Diskriminierungsprobleme,

allgemein bekannt unter „phonologischer Störung“. Die Augenstellreflexe reifen in

Folge nicht korrekt aus, das verkürzt und erschwert den Blickkontakt mit oben

beschriebenen Auswirkungen. Die leichte Ablenkbarkeit, weil sich das Kind nicht

gegen äußere Reize abgrenzen kann, vermindert die Ausdauer, die aber Grundlage

für Hörverarbeitung und Hörmerkspanne ist und damit auch das Gesprächsverhalten,

die Intensität und Tiefe der Kommunikation beeinträchtigt.

Sprache ist Ausdruck der Persönlichkeit. Die „Neigung zu sich ständig

wiederholenden Verhaltensmustern, Abneigung gegen Veränderungen, schlechte

Anpassungsfähigkeit, Schwierigkeit, Kritik zu akzeptieren, schwaches

Selbstwertgefühl“6 prägen die Entwicklung des Kindes und sein

Kommunikationsverhalten. „Durch beibehaltende Restreaktionen des frühkindlichen

Moro–Reflexes kann ein Kind ständig in Angst und Spannung leben, bei

empfundener Bedrohung überreagieren und sich in verschiedenen Sinneskanälen

hypersensitiv zeigen.“7 Das Kind nimmt Nebensächlichkeiten verstärkt wahr, merkt

sich Kleinigkeiten, entwickelt eine Art „Elefantengedächtnis“, verliert aber den

Überblick über die Zusammenhänge. Die Sprache kann sich nicht in ihrer gesamten

Vielfalt entwickeln, bleibt einfach, rudimentär, mit wenigen Adjektiven, ungenauen

Bezeichnungen, undifferenzierten Verben, wenig ausschmückend, phantasielos,

beschreibend, eng an die Situation gebunden.

6 Beigel, Dorothea: Flügel und Wurzeln, S 115 7 Beigel, Dorothea: Flügel und Wurzeln, S 109

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Da die Hochatmung bei Kampf- oder Fluchtsituationen physiologisch vorgesehen ist

und Moro- Kinder sich häufig auf dieser Empfindungsebene befinden, ist ihre Stimme

in der unter 1.4 beschriebenen Form belastet.

3.3 Der Asymmetrisch – Tonische Nackenreflex (ATNR)

Er erscheint etwa in der 18. SSW, sollte bei der Geburt voll

entwickelt und zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat

gehemmt sein. Der Fötus braucht ihn zur Förderung der

Bewegung, er trägt zur Entwicklung des Muskeltonus und der

homolateralen Bewegung bei und ist maßgeblich am

Geburtsvorgang beteiligt. Er wird passiv, reflexartig

ausgelöst. Wenn das Kind den Kopf dreht, strecken sich die

Extremitäten auf dieser Seite, jene auf der anderen Seite beugen sich (s. Abb.).

Diese Haltung wird auch „Fechterstellung“ genannt. Sie ermöglicht die freie Atmung

des Säuglings in Bauchlage und ist wichtig für erstes Auge-Hand

Koordinationstraining.

Wenn er persistiert, hat das negativen Einfluss auf eine Reihe von Bereichen:

3.3.1 Die auditive Differenzierung

Ist sie beeinträchtigt, kommt es zur phonologischen Störung, Kinder verwenden

falsche Laute oder vertauschen sie. Das schwache auditive Gedächtnis, also eine

kurze Hörmerkspanne, verhindert ein optimales Abspeichern von Inhalten, sich

längere, komplexe Sätze oder Aufträge zu merken, zu verstehen, danach zu

handeln, oder auch ein intensives Gespräch zu führen. Ähnliches gilt für die

schlechte auditive Serialität, also das Merken von akustischen Reihenfolgen. Die

Seitigkeit (rechts- links Dominanz) kann sich nicht richtig ausprägen. Auch die

Ohrigkeit ist für das Lernen von hoher Bedeutung. „Die dominante Ohrigkeit sollte im

günstigsten Fall auf der rechten Seite angelegt sein, damit die neuronale

Verschaltung zur linken Hemisphäre (das Sprachzentrum des Menschen ist in den

meisten Fällen in der linken Gehirnhälfte angelegt) ohne Verzögerung von statten

geht. (….) Linksohrigkeit oder wechselnde Ohrigkeit könnte nach Tomatis mit

schlecht funktionierendem Gleichgewicht in Verbindung gebracht werden. Die daraus

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ständig erforderliche Kompensation von höheren Gehirnzentren verbraucht Energien

für Aufgaben des Interpretierens, des Reagierens und des Aufnehmens von

Information. Somit reagiert das Kind langsamer, ermüdet schneller und konzentriert

sich schwerer. Das linksohrige oder wechselohrige Kind überhört die Laute mit hoher

Frequenz und kann sie sprachlich nicht reproduzieren. Es verwechselt Phoneme

(Laute), die auf derselben Tonstufe liegen, spricht, liest und singt oft mit einer

monotonen Stimme.“8

3.3.2 Die visuelle Wahrnehmung

Die Schwächen im Bereich der visuellen Differenzierung, des Gedächtnisses für

visuelle Inhalte und der Serialität (erkennen und merken von Reihenfolgen) führt

häufig zu Lese- Rechtschreibschwächen, die gesprochene Sprache und Leistungen

in diesem sind erheblich besser als im geschriebenen Bereich.

3.3.3 Motorisch

Alles, was eine Überkreuzung der Mittellinie verlangt, sei es beim Krabbeln,

Kriechen, Lesen, Schreiben, macht Schwierigkeiten. Viele Sportarten bereiten

deshalb dem Kind keine Freude. Es kommt zu Gleichgewichtsproblemen und

Veränderungen des Tonus (Körperspannung), wenn der Kopf zur Seite gedreht wird,

zu Schwierigkeiten bei der Auge- Handkoordination. „Die Anstrengung (…..) stört

unweigerlich geistige Prozesse, weil das gleichzeitige Schreiben, Zuhören und

Verstehen kaum zu bewältigen ist.“9

3.3.4 Körperschema und Raumwahrnehmung

Körperschema bedeutet, sich am eigenen Körper orientieren zu können. Wo ist bei

mir oben, unten, links, rechts, vorne hinten? Was spüre ich wo? Raumwahrnehmung

ist das Pendant dazu, die Orientierung im mich umgebenden Raum. Wenn diese

beiden Bereiche gestört sind, führt dies sprachlich gesehen zu den in 1.2.1

beschriebenen Problemen.

3.4 Tonischer Labyrinth Reflex (TLR)

Er entsteht in der 13. SSW in der Flexion (Beugung, s. Abb.) und

8 Beigel, Dorothea: Flügel und Wurzeln, S 122 9 Beigel, Dorothea: Flügel und Wurzeln, S 124

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zu Geburtsbeginn in der Extension (Streckung, s. Abb.), ist zu Geburtsbeginn

vollständig vorhanden und sollte zwischen der 6. Woche und 3,5 Jahren gehemmt

werden. Er wird durch die Kopfbewegung ausgelöst und ist eine primitive Reaktion

auf die Schwerkraft. Er ist wichtig zur Entwicklung des Beuge- und Strecktonus. Wird

er nicht gut integriert, kommt es zu Gleichgewichtsproblemen mit bereits mehrfach

geschilderten Folgen. „Das Kind findet keinen festen räumlichen Bezugspunkt. Es

kommt zu Schwierigkeiten in der Einschätzung von Raum, Entfernung, Tiefe und

Geschwindigkeit“10 In gravierenden Fällen verhindert der TLR das Krabbeln, was als

Basis der Synchronisation von Sehen, Fühlen und Bewegung nötig ist. Die Umwelt

wird dadurch nicht so vollständig, komplex erfasst. Was man nicht durchdringt, kann

man nicht adäquat versprachlichen.

Die verschiedenen Sinnesebenen arbeiten nicht gut koordiniert. Es kommt zur

muskulären Hypotonie (Schlaffheit) bei der Flexion, zur Hypertonie (Überspannung)

bei der Extension. Diese muskuläre Schwäche kann sich einerseits im Mundbereich

auswirken, das myofunktionelle (die Muskelfunktion betreffend) Problem führt oft zu

Zahn- und Kieferfehlstellungen, undeutlicherer Artikulation und Interdentalität, also,

dass die Zunge beim Sprechen zwischen den Zähnen hervorkommt (s. 1.3). Sowohl

die Hyper- wie die Hypotonie haben Auswirkungen auf den Stimmeinsatz. Er kann

entweder zu schwach, leise verhaucht oder gepresst, laut sein.

Weiters können sich durch diese Schwäche die Kopfstellreflexe nicht optimal

entwickeln, was zu eingeschränktem Blickkontakt mit seinen beschriebenen

Störungen der Kommunikation und des Wortschatzerwerbs führt.

3.5 Symmetrisch tonischer Nackenreflex (STNR)

Er ist während der Geburt nur kurz präsent,

erscheint regulär zwischen 6. – 9. Lebensmonat und

bricht die Wirkung des TLR. Bisher wurde kein

direkter Zusammenhang mit Sprachstörungen

dokumentiert. Bei der Testung einiger

sprachauffälliger SchülerInnen auf diverse

10 Beigel, Dorothea: Flügel und Wurzeln, S 96

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frühkindliche Reflexe traten mehrere davon in persistierender Form auf. Dies könnte

darauf zurückzuführen sein, dass die eingeschränkte Konzentration und

Aufmerksamkeit Einfluss auf Lernen, Wahrnehmung und Verarbeitung sowie die

Kontaktaufnahme und damit Kommunikation hat.

3.6 Such- Saugreflex

Er erscheint in der 24.- 26 SSW, ist bis zur Geburt voll entwickelt

und wird im 3. – 4. Lebensmonat gehemmt. Bei diesem Reflex

reagiert das Baby auf Stimulation der Wange oder des

Mundwinkels, indem es sich dem Reiz mit dem Mund zuwendet,

die Lippen öffnet, die Zunge herausstreckt und zu saugen beginnt. Die Stimulation

versteht es als Aufforderung zur Nahrungsaufnahme. Beim Fortbestehen sind die

Kinder im Mundbereich überempfindlich, wollen zwar nicht berührt werden,

stimulieren sich aber selbst ständig, saugen an Tüchern, Fingern, Kleidungsteilen,

Haaren etc. Sie sabbern, der Speichelfluss ist zu stark. Dadurch klingt die Sprache

undeutlich, sie müssen häufiger schlucken oder „schlürfen“ den Speichel ein, was für

den Zuhörer unangenehm ist. Feste Nahrung wird abgelehnt, was die

Mundmuskulatur nicht gut entwickeln lässt, es kommt zu myofunktionellen

Problemen mit oben geschilderten Folgen. „Die Zunge kann sich zu weit vorn im

Mund befinden, was das Schlucken und Kauen bestimmter Nahrungsmittel

erschwert- das Kind beginnt vielleicht zu sabbern. Das Fehlen voll entwickelter

Schluckbewegungen kann zu einer übermäßigen Wölbung des Gaumens führen;

später wird dann vielleicht eine Gebisskorrektur nötig sein.“11

3.7 Palmar Reflex

Er erscheint in der 11. SSW, entwickelt sich bis zur

Geburt vollständig und wird im 2. – 3. Lebensmonat

gehemmt. Im Hirn sind im motorischen Zentrum die

Hand- und die Mundmotorik ganz nahe beieinander:

11 Goddard Blythe, Sally: Greifen und BeGreifen, S 39

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Darum sind Bewegungen von Hand(teilen) und

Mund(bereichen) häufig gekoppelt. Noch bei

Erwachsenen kann man beobachten, wie die

Zunge mitarbeitet, wenn sie konzentriert etwas mit

den Händen machen, etwa einen Faden in ein

Nadelöhr einfädeln. Um die Mund- und

Handmotorik zu entflechten, kann man Finger- und

Handspiele einbauen. „[…] die durch die Babkin-

Reaktion bedingte fortgesetzte Beziehung zwischen Handbewegungen und

Mundbewegungen wird die Entwicklung unabhängiger Muskelkontrolle an der

Mundvorderseite verhindern, was sich wiederum auf die Artikulation auswirken

wird.“12

3.8 Spinaler Galantreflex

Er erscheint in der 20 SSW, entwickelt sich bis zur

Geburt vollständig, wird zwischen 3. – 9. Lebensmonat

gehemmt. Dabei dreht sich der Unterleib bei

Stimulation im Lendenwirbelbereich auf jene Seite, von

der der Reiz kommt. Er hilft, bei der Geburt leichter aus

dem Geburtskanal zu kommen. Man vermutet, dass er

möglicherweise als primitiver Schallleiter in der Gebärmutter fungiert und somit ein

Zusammenhang zwischen ihm und der Hörverarbeitung besteht. Diese ist Basis

jedes Spracherwerbs. Belegen lässt sich diese Vermutung durch eine Studie von

Butler Hall und Hadley. „Diese Studie untersuchte die Auswirkungen des auditiven

Integrationstrainings (AIT) auf aberrante (= abweichende, Anm. d. Verf.) primitive und

Haltungsreflexe. AIT ist ein Klangtherapiesystem, das von Guy Bérard entwickelt

wurde, um eine Reihe von hör- und sprachbezogenen Problemen zu behandeln.

Butler Hall (1998) fand heraus, dass der Spinale Galantreflex bei Kindern nach dem

AIT – Training durchgehend reduziert war, was darauf schließen lässt, dass es einen

12 Goddard Blythe, Sally: Greifen und BeGreifen, S 31

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funktionalen Zusammenhang zwischen dem Spinalen Galantreflex und dem Hören

gibt.“13

4 Fallstudie Thomas

Thomas ist jener Schüler, den ich in einer der von mir betreuten Schulen am

Schulbeginn auf Sprachschwierigkeiten überprüfte, anfangs aber nicht betreuen

konnte. Ich durfte im Herbst bei Frau M. Joachim hospitieren, als sie mit ihm

arbeitete. Da ich die rasante sprachliche Veränderung nach einem Semester bei der

neuerlichen sprachlichen Überprüfung feststellte, beschloss ich, diesen „Fall“ in

meine Hausarbeit einzubauen.

4.1 Bericht der Mutter

Die Probleme wurden der Mutter bewusst, als Thomas 3-4 Jahre alt war. Wenn sie

Filmaufnahmen von früher anschaut, fallen ihr aber erst jetzt Besonderheiten auf,

etwa, dass er schon früh Ausgleichsbewegungen mit der Hand vollführte.

4.1.1 Sprachliche Ebene

Zwischen dem 3.-4. Lebensjahr gab es keinen Fortschritt auf sprachlicher Ebene.

Er sprach sehr undeutlich, stark dysgrammatisch, verwechselte die Zeiten (gestern –

morgen). Die Stimmdosierung war sehr schwierig für ihn. Er presste, drückte, sprach

sehr laut, man hörte den Druck in seiner Stimme, merkte die Überspannung auch in

der Sprache.

4.1.2 Motorische Ebene

Er robbte als Baby ohne Beinbeteiligung.

Er krabbelte sehr schnell, wahrscheinlich homolateral.

Unter Druck, Stress begannen seine Hände zu flattern, Ausgleichsbewegungen zu

machen, er versteifte sich. Vor allem die rechte Hand wurde sehr steif, verkrampfte,

was zu Schwierigkeiten bei der Stifthaltung und damit dem Zeichnen, Malen und

Schreiben führte.

13 Goddard Blythe, Sally: Greifen und BeGreifen, S 42

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Die Handdominanz entwickelte sich spät. Er bastelte nicht gerne.

Die liegende 8 war nicht möglich.

Er vermied es, die Körpermitte zu kreuzen.

Er ging nie normal, lief meist. Wenn er langsamer ging, schlurfte er.

Ab 4,5 Jahren wurde er ergotherapeutisch betreut, was auf einigen Ebenen zu

Fortschritten führte. Es wurde mit Feldenkrais gearbeitet, einer körpernahen

Therapieform .

Er liebte Schwimmen, konnte dies bereits mit 5 Jahren, lernte gut Rad fahren. Er

erlernte alles zum richtigen Zeitpunkt, aber irgendwie nicht richtig, mit

Ausgleichsstrategien.

Er setzt sich zum Arbeiten nicht gerne hin, werkt lieber im Stehen.

Er hatte keine Spannung in der Bauchmuskulatur, sondern mehr im Rücken.

4.1.3 Psychisch/ soziale Ebene

Er war ein ruhiges Baby, wollte nicht gerne getragen werden, lag lieber auf dem

Boden. Im Bett liegt er aber heute noch bei der Mutter. Er fremdelte nicht.

Thomas brauchte immer klare, starke Strukturen, Grenzen. Die Mutter zog seine

Aufmerksamkeit auf sich, indem sie sich auf seine Augenhöhe begab und

Berührungsreize setzte.

Er wurde lange nicht sauber.

Er war von klein auf auffällig schmerzunempfindlich, erstaunte damit sogar den Arzt,

ein Draufgänger, der Gefahren nicht einschätzen konnte.

Er konnte Geräusche nicht zuordnen, erkannte z.B. ein herannahendes Auto nicht.

Im Kindergartenalter umarmte er oft vor Freude seine Freunde sehr / zu fest, weil er

seine Kraft nicht einschätzen, dosieren konnte.

Er konnte eigene Gefühle nicht wahrnehmen und ausdrücken.

4.1.4 Interventionen / Jetziger Zustand

Ergotherapie, v.a. nach Feldenkrais

Body Mapping Massage, dabei durfte er am Schnuller saugen, dadurch verbesserte

sich seine Mundmotorik, er aß schöner. Auch der Palmar Reflex schien dadurch

gelöst worden zu sein, er konnte seitdem den Löffel richtig halten.

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Er ist ausgeglichener und geerdeter.

Seit August 2011 in INPP Behandlung, begann mit embryonaler Bewegung

Er entwickelte ein Sprachgefühl für Grammatik.

Er kann jetzt Gefühle ausdrücken, körperlich wie sprachlich. Humor und Witz haben

sich entwickelt.

Stimmmodulation, sprachliche Umgangsformen haben sich verbessert, angepasst. Er

spricht viel deutlicher.

Die Flatterbewegungen der Hände sind verschwunden.

 

4.2 Sprachliche Auffälligkeiten am Schulanfang

Ich überprüfte Thomas nur sehr grob bei der Reihenuntersuchung im September. Zu

diesem Anlass teste ich jede/n SchulanfängerIn nach einem einheitlichen, tirolweit

gebrauchten Sprachscreening kurz durch. Dabei können nur augenscheinliche

Auffälligkeiten festgestellt werden. Eine umfassendere Begutachtung erfolgt, wenn

die Kinder in die Betreuung übernommen werden. In Thomas‘ Schule und in seinem

Jahrgang sind so überdurchschnittlich viele sprachlich auffällige Kinder, dass ich ihn

vorerst nicht im SHU betreuen, sondern erst im Februar aufnehmen konnte.

4.2.1 Phonologische Störung

Thomas konnte klangähnliche Laute schwer unterscheiden, verwendete sie auch in

der aktiven Sprache falsch. Er passte bei Konsonantenhäufungen die Laute einander

an.

Beispiele: „pfohn“ statt „gfohn“, „dsehng“ statt „gsehng“, „Graktor“ statt „Traktor“,

„Schugraupe“ statt „Schubraupe“, „Brizlegg“ statt „Brixlegg“ etc

4.2.2 Dysgrammatismus

Artikel vertauschte er manchmal, die Verbbeugungen waren nicht immer korrekt, die

Zeitangaben gestern- morgen unsicher.

4.2.3 Interdentalität

Die S- Laute bildete er leicht interdental. Die Mundmotorik war eher schlaff, dadurch

waren die Lippen auch in Ruhestellung oft leicht geöffnet.

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4.2.4 Sprachliche Auffälligkeiten im Februar

Er ersetzte noch manchmal „DR“ durch „GR“, aber auch nicht konstant. Manchmal

passte er in der Mundart noch das „G“ im Partizip Perfekt dem nachfolgenden

Konsonanten an, meist sprach er es aber richtig. Die Interdentalität war viel

schwächer, der Mundschluss meist gegeben. Er sprach viel mehr, wirkte geerdeter,

sicherer, erzählte und sprach von sich aus.

4.2.5 Sprachliche Auffälligkeiten am Schulschluss

Die Betreuung im SHU konnte mit Schulschluss beendet werden, weil er keine

Auffälligkeiten mehr zeigte. Nur sehr selten artikulierte er einen S- Laut interdental,

aber das wird sich noch geben, da sich die Mundmotorik bereits verbessert hat.

4.3 INPP Übungsprogramm

Zum Start der Betreuung durch Margit Joachim im Sommer 2011 war Thomas 7,11

Jahre alt.

Das INPP Programm wurde mit Übungen aus der Bilateralen Integration kombiniert.

Anfangs hatte er zusätzlich noch Ergotherapie.

Auf Anraten von Frau Joachim bekommt er auch eine osteopathische Behandlung

wegen der schiefen Körperhaltung und weil die Kopfbewegungen teilweise

schmerzhaft waren.

4.3.1 Ausgangssituation

4.3.1.1 Ergebnisse der Testung:

- Auffälligkeiten im Gleichgewicht

- Ängstlich, wenig Selbstbewusstsein, braucht viel Sicherheit

- „Flattert“ mit den Armen, wenn er emotional überfordert ist

- Kann sein Potential nicht ausschöpfen („es steckt mehr in ihm, als er zeigen

kann“)

- Schwierigkeiten, still zu sitzen

- Auffällige Augenfolgebewegungen

4.3.1.2 Persistierende Reflexe

Auffälligkeiten zeigten sich massiv beim Tonischen Labyrinthreflex TLR und beim

Asymmetrisch Tonischen Nackenreflex ATNR. Nicht so stark aber klar persistierten

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der Such- und Saugreflex, der Symmetrisch- tonische Nackenreflex STNR und der

Moro Reflex. Rollreflexe, Kopfstell- und Labyrinthkopfstellreaktionen waren auffällig.

4.3.2 Veränderungen nach 16 Wochen:

- Alle frühkindlichen Reflexe sind weniger auffällig, nicht mehr so stark

vorhanden, Moro und Such- Saugreflex überhaupt unauffällig.

- Seine Feinmotorik hat sich verbessert.

- Er isst nun ordentlich mit dem Besteck.

- Er zappelt weniger.

- Der Alltag verläuft einfacher. Den Urlaub empfand die Familie viel

angenehmer, das war früher anstrengend, weil er immer wieder „Ausflipper“

hatte, diesmal hielt er es besser aus.

- Seine Handlungsplanung hat sich verbessert, er bastelt nun strukturiert und in

Schritten.

- Das Sprachverständnis hat sich gesteigert, er fragt viel nach.

- Er ist selbständiger geworden.

- Er „flattert“ kaum mehr mit den Armen.

- Er lässt sich nicht mehr alles gefallen, er argumentiert und wehrt sich.

- Die Augenfolgebewegungen gelingen etwas leichter.

- Gleichgewicht und Koordination haben sich deutlich verbessert.

4.3.3 Veränderungen nach weiteren 24 Wochen:

- TLR, ATNR und STNR noch leicht persistierend, alle anderen frühkindlichen

Reflexe ausgereift

- „beherrschter, vernünftiger, reifer“

- Konzentration deutlich verbessert

- Selbständigkeit weiter verbessert

- Positive Veränderung fiel auch dem weiteren Umfeld auf, etwa Bekannten, der

Nachbarin

- Wurde in der Schule von der Vorschule in die erste Klasse aufgestuft

- Kann mit Stresssituationen deutlich besser umgehen

- Gleichgewicht und Koordination weiter verbessert

- Zusammenarbeit der Augen verbessert

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4.3.4 Veränderungen nach den nächsten 16 Wochen:

- Interessiert sich für die Uhr. Stunden und halbe Stunden kann er nun lesen,

benennen

- Will sich selber fordern und stellt sich schwierige Aufgaben, die eine

Herausforderung für ihn darstellen.

- Untertags gibt er sich zum Teil ziemlich „cool“.

- Die Mutter ist sehr zufrieden, mit der „Therapie“ und berichtet, dass alles gut

läuft.

- Gleichgewicht und Koordination haben sich weiter verbessert, sind kaum mehr

auffällig.

5 Abschließende Bemerkungen

Durch die Auseinandersetzung mit den frühkindlichen Reflexen habe ich eine

erweiterte Sicht auf die mir anvertrauten SchülerInnen erhalten. Die Kinder, die ich

jetzt in der Ausbildung betreue, haben in sehr kurzer Zeit gewaltige Fortschritte auf

verschiedenen Ebenen gemacht. Ich bin ebenso wie die Eltern erstaunt und

begeistert.

Die neurophysiologische Entwicklungsförderung ist eine Therapieform. Sie kann nicht

im normalen Unterricht durchgeführt werden, das würde den zeitlichen und

organisatorischen Rahmen sprengen. Außerdem sind die Eltern intensiv

eingebunden und müssen die Übungen konsequent täglich mit dem Kind machen.

Dennoch halte ich es für sehr wichtig, dass möglichst viele LehrerInnen und

ErzieherInnen sich mit der Thematik auseinandersetzen. Nur dadurch können

manche Probleme richtig eingeordnet werden. Man nimmt die „Schuld“ von den

Kindern und kann ihnen helfen. Sei es, indem man ihnen die entsprechende

Therapie zukommen lässt, sei es, indem man auf ihre Schwierigkeiten adäquat

reagiert und sie allgemein fördert. Allein der veränderte Blickwinkel nimmt schon viel

Stress weg, sowohl vom Kind als auch dem/ der BetreuerIn.

Ich freue mich darauf, die weitere Entwicklung der von mir betreuten Kinder

beobachten und begleiten zu dürfen. Ich bin dankbar, diese Therapieform

kennengelernt zu haben und selbst etwas gegen mein Unbehagen tun zu können,

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manchmal auf der falschen Ebene zu arbeiten, anstatt den Kindern basale Hilfe

anzubieten.

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Danksagung

Frau Margit Joachim für ihre Unterstützung, indem ich bei ihr hospitieren durfte und

sie mir sämtliche Unterlagen ihrer Arbeit mit Thomas zur Verfügung stellte.

Der Mutter von Thomas, dass ich diese Unterlagen bekommen durfte und sie mir

weitere Informationen zu ihrem Kind gab.

Frau Dorothea Beigel, die mich mit der Thematik bekannt machte, für uns in Tirol

ein sehr informatives Seminar hielt und deren Buch mich sehr bereicherte.

Frau Anja van Velzen für ihre umsichtige und versierte Führung bei der Ausbildung.

Allen Eltern, die mich unterstützten, indem sie sich Zeit für die Gespräche und die

Testungen nahmen und ihre Bereitschaft, sich darauf einzulassen.

Meinen Töchtern, Freundinnen und Kolleginnen, die mir beim Feinschliff halfen

und mir Tipps zur besseren Verständlichkeit gaben, damit diese Arbeit auch für jene

nachvollziehbar ist, die sich mit der Thematik noch nicht näher auseinandergesetzt

haben.

Meinem Mann, der mir die Freiräume verschaffte für diese Arbeit und mich

anderweitig entlastete.

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Bibliographie

Beigel, Dorothea: Flügel und Wurzeln - Persistierende Restreaktionen frühkindlicher

Reflexe und ihre Auswirkungen auf Lernen und Verhalten. Basel 2003, Verlag

modernes lernen

Goddard Blythe, Sally: Greifen und BeGreifen - Wie Lernen und Verhalten mit

frühkindlichen Reflexen zusammenhängen. Kirchzarten 2009. Verlag VAK

van Velzen, Anja: Handbuch zur Neurophysiologischen Entwicklungsförderung NDT/

INPP. Tannheim 2006

Graumann – Brunt, Sigrid Dr.: Die Entwicklung der Sprache beim Kind. Buchholz

2010. Eigendruck

Graumann – Brunt, Sigrid Dr.: Hochatmung, Bauchatmung und Reste nicht

ausreichend integrierter frühkindlicher Reflexreaktionen. Buchholz 2010. Eigendruck