5

Click here to load reader

Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

  • Upload
    a

  • View
    223

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

Gynäkologe 2012 · 45:363–367DOI 10.1007/s00129-011-2905-5Online publiziert: 21. April 2012© Springer-Verlag 2012

A. SchröerKlinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Pränatalmedizin und spezielle Geburtshilfe,  

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck

Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

Definition

Unter „premature ovarian insufficiency“ (POI) versteht man im Allgemeinen ein Sistieren der ovariellen Funktion vor dem 40. Lebensjahr. Synonym verwendet wer-den „premature ovarian failure“ (POF), Climacterium praecox oder vorzeitige Menopause. Aufgrund der Komplexität des Krankheitsbildes, das auch andere en-dokrine Organe betreffen kann, sowie der Tatsache, dass bei der Diagnose POI auch Schwangerschaften möglich sind, bildet die Bezeichnung POI die Erkrankung am treffendsten ab [36].

Unter FMR1(„fragile X mental re-tardation 1“)-Prämutationsallel versteht man eine Expansion der CGG-Kopien in der 5’‚untranslatierten Region des FMR1-Gens auf dem X-Chromosom. Bei einer Prämutation liegen 55 bis 199 CGG-Ko-pien vor. Der Phänotyp und die Pene tranz einer Erkrankung sind bei Frauen und Männern sehr unterschiedlich. Etwa 20% der Frauen erkranken an einer vorzeiti-gen Ovarialinsuffizienz (FXPOI); männ-liche Träger des Prämutationsallels – sie tragen ausschließlich das Prämutationsal-lel – zeigen dagegen fast immer ein Fragi-le-X-assoziiertes Tremor/Ataxie-Syndrom (FXTAS). Die pathogenetischen Zusam-menhänge zwischen dem Prämutations-allel und dem Phänotyp bei betroffen Pa-tienten sind nicht geklärt.

Prävalenz und Inzidenz

Die Prävalenz eines POI liegt bei 10 bis 28% bei primärer Amenorrhö und bei 4

bis 18% bei sekundärer Amenorrhö. Die Inzidenz beträgt 0,1% bis zum Alter von 30 Jahren und 1% bis zum Alter von 40 Jahren. Umgekehrt wird bei 100.000 Frauen in der Altersgruppe von 15 bis 29 Jahren in 10 Fällen, in der Altersgruppe von 30 bis 39 Jahren in 76 Fällen und in der Altersgruppe von 40 bis 44 Jahren in 881 Fällen eine Ovarialinsuffizienz eintre-ten [3, 6]).

FMR1-Allele und Vererbung

In Hinblick auf die CGG-Repeat-Länge und die Stabilität bei der Vererbung kön-nen vier Formen des FMR1-Gens unter-schieden werden (. Tab. 1).

Das FMR1-Gen befindet sich auf dem X Chromosom (Xq27.3) und wird in der untranslatierten 5’-Region von einer CGG-Repeat-Region flankiert. Das Gen kodiert das FMRP(„fragile X mental re-tardation protein“). Das Protein wird u. a. in Neuronen, Primordialfollikeln und Granulosazellen exprimiert [26]. Im ge-sunden Allel hat das CGG-Repeat eine Länge < 45 Kopien, im Vollmutationsallel dagegen eine von > 200. Konsekutiv ent-steht eine Hypermethylierung des Gens mit der Folge, dass betroffene Zellen kei-ne FMR1-mRNA und FMRP synthetisie-ren können. In den Neuronen kommt es daraufhin zu einer Störung der präsynap-tischen dendritischen Dornen und damit zu einem Funktionsverlust der Synapsen. Bei Männern führt dies zum Vollbild des Fragiles-X-Syndroms mit mentaler Re-tardierung und Autismus (MIM 309550). Bei Frauen liegen in der Regel ein gesun-

des und ein mutiertes Allel vor. Daher sind das klinische Bild und die Penetranz bei Frauen deutlich variabler [4, 29]. Bei beiden Geschlechtern kann darüber hin-aus der Phänotyp durch zelluläre Mosai-ke variieren. Die Vererbung folgt dem X-chromosomalen Erbgang: Frauen geben die Mutation an 50% ihrer Nachkommen weiter, Männer zu 100% an ihre Töchter und nicht an ihre Söhne.

Die Prämutation ist durch eine FMR1-CGG-Repeat Länge von 55 bis 199 Kopien definiert [25]. In der Literatur hat sich da-für der Terminus Prämutation durchge-setzt, da diese Allele bei der Vererbung nicht stabil sind und an folgende Genera-tionen in veränderter Form vererbt wer-den können: Bei der Vererbung neigen die CGG-Repeats zur Verlängerung und kön-nen bei Nachkommen in einer Vollmuta-tion resultieren.

D Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der Vererbung zu einer Vollmutation kommt, hängt von der Anzahl der CGG-Repeats ab [19, 20].

Liegen 59 bis 79 Kopien vor, kommt es in weniger als der Hälfte der Fälle in der nächsten Generation zu einer Vollmuta-tion. Liegen mehr als 90 Kopien vor, fin-det sich in 90% eine Vollmutation bei den Nachkommen.

Als Intermediärallel bezeichnet man ein CGG-Repeat mit 45 bis 54 Kopien. Dieses kann nicht in der folgenden Gene-ration als Vollmutation vererbt werden, wohl aber in der zweiten oder in nächsten Generationen [7, 8, 31]. Die in . Tab. 1 

Leitthema

RedaktionT. Strowitzki, Heidelberg

363Der Gynäkologe 5 · 2012  | 

Page 2: Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

Tab. 1  FMR1-Allele im Hinblick auf die CGG-Kopien im 5’untranslatierten Bereich und molekulare sowie klinische Folgen

Allel CGG (n) Methylierungsstatus FMR1-mRNA FMR1-Protein Stabilität bei Vererbung Symptome

Vollmutation > 200 Hypermethyliert Keine  Transkription

Keine  Translation

Stabil FXS,  Mentale Retardierung

Prämutation 55–199 Normal Erhöht Vermindert Instabil; in der ersten Generation  Vollmutation möglich

FXPOI/FXTAS

Intermediär- mutation

45–54 Normal Normal  bis erhöht

Normal/ vermindert

Instabil; ab der zweiten Generation Vollmutation möglich

Keine

Gesund < 45 Normal Normal Normal Stabil Keine

angegeben Bezeichnungen und die CGG-Kopien sind die gebräuchlichen Eintei-lungen. Der genaue pathophysiologische Mechanismus, der bei Prämutationsträ-gern zu klinischen Auffälligkeiten wie FXPOI oder FXTAS führt, ist noch nicht geklärt. Es konnte in vielen Studien ge-zeigt werden, dass das Prämutationsallel zu einer erhöhten Produktion von FMR1-mRNA führt [1, 10, 16]. Die Produktion von FMRP ist dagegen eher reduziert [16, 21]. Im Gegensatz dazu zeigen Trägerin-nen des Vollmutationsallels kein FXPOI. Es wird daher vermutet, dass Schwankun-gen der FMR1-mRNA-Expression oder subtile Schwankungen in der FMRP-Ex-pression für die neuronale und ovarielle Dysfunktion bei Prämutionsträgern ver-antwortlich sind.

Fragile X premature ovarian insufficiency

Das klinische Bild der vorzeitigen Ovarial-insuffizienz bei FMR1-Prämutationssträ-gern ist außerordentlich variabel und be-trifft die ovarielle Reserve, den Blutungs-zyklus, den hormonellen Steuerungs-zyklus sowie die Fertilität. Bei etwa 20% aller Frauen kommt es im Verlauf zu einer offensichtlichen Ovarialinsuffizienz. Der Schweregrad der Beschwerden und Zeit-punkt des Auftretens können ebenfalls erheblich differieren. Die Ursachen da-für sind noch nicht ausreichend unter-sucht und verstanden. Der Schweregrad der POI scheint aber neben anderen Fak-toren mit der Anzahl der CGG-Kopien zu korrespondieren.

Bei Prämutationsträgern scheint ge-nerell die Anzahl an reproduktiven Jah-ren verkürzt zu sein. Dabei ist das Alter bei der Menarche im Vergleich zu gesun-den Frauen bei Prämutationsträgern ähn-lich [2, 12]. Die Menopause tritt bei Prä-mutationsträgerinnen in der Regel fünf

Jahre früher als bei gesunden Patientin-nen ein [18, 28]. Bei Prämutationsträge-rinnen liegt das Menopausenalter (defi-niert als Ausbleiben der Menstruation für mindestens 12 Monate) bei 46,6 ± 0,7, in der Kontrollgruppe bei 51,5 ± 0,5 Jahren. Auch auf hormoneller Ebene wurden in Studien Unterschiede zwischen Prämu-tationsträgerinnen und gleichaltrigen ge-sunden Frauen feststellen.

Es gibt einige Untersuchungen zur vorzeitigen ovariellen Alterung bei Prä-mutationsträgerinnen. Zunächst konnte festgestellt werden, dass im Vergleich zu gleichaltrigen gesunden Frauen die Zyk-luslänge verkürzt ist (26,1 ± 1,0 Tage vs. 28,2 ± 0,4 Tage) durch eine signifikante Verkürzung der Follikelphase (12,9 ± 0,8 vs. 14,5 ± 0,4 Tage; [36]). Auf hormoneller Ebene konnten bei FXPOI-Patientinnen erhöhte FSH- sowie erniedrigte Östradiol- und Inhibin-B-Spiegel nachgewiesen wer-den, ebenso ein erniedrigtes Anti-Müller-Hormon (AMH; [23, 35]).

Die Fertilität bei Prämutationsträge-rinnen ist im Vergleich zu gesunden Pa-tientinnen gleichen Alters reduziert. Bei 948 Frauen konnte hinsichtlich mehre-rer untersuchter Parameter zur Fertili-tät (Rate der Frauen, bei der nach einem Jahr Kinderwunsch noch keine Schwan-gerschaft eingetreten ist, Anzahl der Mo-nate bis zum Eintreten einer Schwanger-schaft) unter den Prämutationsträgern eine reduzierte Fertilität gezeigt werden [2]. Darüber hinaus konnte in diesem Kollektiv aufgrund der erhöhten FSH-Spiegel bei den Schwangerschaften eine erhöhte Rate von dizygoten Mehrlings-schwangerschaften beobachtet werden, die auch andere Autoren bestätigen [9, 34].

Darauf, dass bei Prämutationsträgerin-nen häufiger Fehlgeburten oder Kinder mit chromosomalen Aneuploidien auf-treten, gibt es keine Hinweise [2, 12, 13, 18].

Pathophysiologie

CGG-KopienzahlDie CGG-Kopienzahl scheint in nichtli-nearer Weise den Schweregrad der Klinik zu beeinflussen. Mehrere Studien,u. a. eine Querschnittstudie von Allen et al. [2], die etwa 800 Prämutationsträgerinnen untersucht haben, haben ergeben, dass bei Trägerinnen, bei denen 80 bis 100 CGG-Kopien vorliegen, im Mittel die Meno-pause früher eintritt (44,9 ± 0,6 Jahre) als bei Kontrollpersonen oder Frauen, die 59 bis 79 oder >100 Kopien tragen [48,5 ± 0,7 (59–79 Kopien), 47,5 ± 1,2 (> 100 Kopien), 52,3 ± 0,5 (< 59 Kopien), . Abb. 1]. Auch das Risiko, schon mit 40 Jahren die Meno-pause zu bekommen oder unregelmäßige Zyklen zu haben, ist in der Gruppe mit moderat hoher Kopienzahl am Höchs-ten (Odds Ratio 12,6, 95%-Konfidenzin-tervall 5,3–30,0). Es wurde immer wieder vermutet, dass auch Trägerinnen des In-termediärallels ein höheres FXPOI-Risiko tragen. Größere Studien zu dieser Patien-tinnengruppe konnten jedoch kein erhöh-tes Risiko belegen. Um dies abschließend beurteilen zu können, sind allerdings wei-tere Untersuchungen nötig.

FMR1 mRNA „gain-of-function“ Toxizitätshypothese, Rolle von FMRPFXTAS und FXPOI konnte nur bei Trä-gerinnen des Prämutationsallels gezeigt werden. Trägerinnen der FRM1-Gen-Vollmutation dagegen erkranken daran nicht, sondern zeigen das klinische Bild beim Fragiles-X-Syndrom. Betrachtet man die Gen- und Proteindosis bei die-sen Gruppen auf molekularer Ebene, kann angenommen werden, dass erhöhte mRNA-Spiegel bei Prämutationsträgerin-nen für die klinischen Auffälligkeiten ver-antwortlich sein können. In der Tat konn-ten toxische Effekte dieser Transkripte mit

364 |  Der Gynäkologe 5 · 2012

Leitthema

Page 3: Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

verlängerter CGG-Kopienzahl auf mole-kularer Ebene nachgewiesen werden [15, 32, 37]. Unterstützung für diese Theorie liefern auch Erkenntnisse an Mausmo-dellen, die insbesondere eine Erklärung für den nichtlinearen Zusammenhang von Grad des Krankheitsgeschehens und CGG-Kopienzahl geben könnten. Hier konnte gezeigt werden, dass eine beson-ders hohe Kopienzahl im Prämutations-allel zu einem eher niedrigen mRNA-Spiegel führt im Vergleich zu moderat er-höhten Kopienzahlen. Dies passt zu den klinischen Beobachtungen beim Men-schen, dass Trägerinnen mit einer mo-derat erhöhten Kopienzahl einen ausge-prägteren Phänotyp zeigen. Daraus lässt sich ableiten, dass ein toxischer Effekt der FMR1 mRNA auf die Ovarien ursächlich für die Klinik sein könnte. Der Einfluss von FMRP auf die Entstehung der Klinik bei FXPOI ist bisher nicht ausreichend untersucht worden.

Unausgeglichene X-InaktivierungDa das FMR1-Gen auf dem X-Chromo-som liegt, wurde spekuliert, dass eine un-ausgeglichene („skewed“) X-Inaktivie-rung des Prämutationsallels die Entwick-lung einer FXPOI verhindern könne . Eine präferentielle X-Inaktivierung des Prämutationsallels konnte jedoch bis-her in keiner Studie nachgewiesen wer-den [5, 22, 27, 30]. Rodriguez-Revenga et al. [22] konnten allerdings eine höhere Rate bei der X-Inaktivierung des Prämu-tationsallels feststellen, das mehr als 100 CGG-Kopien umfasst. Diese präferen-zielle X-Inaktivierung des Prämutations-allels wurde nicht beobachtet bei weni-ger als 100 CGG-Kopien. Dies könnte er-klären, warum der Phänotyp bei diesem Prämutationsallel ausgeprägter ist. Aller-dings wurden die Untersuchungen nicht an ovariellem Gewebe, sondern an Blut-zellen durchgeführt [34]. Dies schränkt die Aussagekraft der Studie hinsichtlich der Bedeutung bei FXPOI sicher deut-lich ein.

Andere genetische FaktorenÜber konkrete weitere genetische Fakto-ren, die das Krankheitsbild beeinflussen, ist bisher wenig bekannt. Untersuchungen zum Menopausenalter und anderen Sym-ptomen einer FXPOI an Familienmitglie-

Zusammenfassung · Abstract

dern von Prämutationsträgerinnen le-gen nahe, dass weitere genetische Fakto-ren Art und Ausmaß von FXPOI beein-flussen [14, 17].

D Bei der Beratung Betroffener sollte auch das Menopausen-alter anderer Familienmitglieder berücksichtigt werden.

Anamnese und Diagnostik bei Verdacht auf POI

Bei Verdacht auf POI müssen mögliche Ursachen abgeklärt werden, da sich diese ggf. systemisch auf andere Organe, auf die

Gynäkologe 2012 · 45:363–367   DOI 10.1007/s00129-011-2905-5© Springer-Verlag 2012

A. Schröer

Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

ZusammenfassungDie primäre frühzeitige (prämature) Ova-rialinsuffizienz („premature ovarian insuffi-ciency“, POI) ist eine seltene, schwerwie-gende endokrine Erkrankung, die neben ia-trogenen meist immunologische und/oder genetische Ursachen hat. Der Zusammen-hang mit dem Prämutationsallel des FMR1-Gens („fragile X mental retardation 1“) auf dem X-Chromosom ist schon lange bekannt. Nur Prämutations-, nicht Vollmutationsträ-gerinnen können eine POI entwickeln Trä-ger des Vollmutationsallels, das mehr als 200 CGG-Kopien aufweist, zeigen in aller Regel keine POI, doch das klinische Bild eines Fragi-les-X-Syndroms mit mentaler Retardierung. Die FXPOI hat Auswirkungen auf die Fertili-tät und Gesundheit der betroffenen Patien-

tinnen. Möglicherweise sind auch Familien-mitglieder betroffen. Wichtig ist eine wahr-haftige, zugewandte und interdisziplinäre Aufklärung und Betreuung der Patientinnen im Rahmen der Diagnostik, aber auch einer konsekutiven Therapie, ist wichtig. Hinsicht-lich eines Kinderwunsches muss die Patien-tin darüber aufgeklärt werden, dass mit kei-ner heute  möglichen Maßnahme die Chance  auf ein genetisch eigenes Kind erhöht wer-den kann. Zur Vermeidung von Hormonman-gelsymptomen ist eine altersentsprechende Substitution durchzuführen.

SchlüsselwörterInfertilität · Hormonsubstitution · Phänotyp · Prämutation · Fragiles-X-Syndrom

Premature ovarian insufficiency (POI) und FMR1 mutation

AbstractPremature ovarian insufficiency (POI) is a rare but severe condition in women character-ized by an early onset of menopause before the age of 40 years. The underlying reasons can be iatrogenic, immunological and/or ge-netic. One cause is a mutation in the fragile X mental retardation 1 (FMR1) gene on the X-chromosome. The FMR1 premutation allele contains 55–199 CGG repeats in the 5’ un-translated region and is associated with frag-ile X-associated primary ovarian insufficiency (FXPOI ). Approximately 20% of premutation carriers develop POI. The reason for this vari-able phenotype is not yet clearly understood and might be influenced by the length of the 

CGG repeat region and the influence of other genetic or environmental factors. The full mu-tation allele (> 200 CGG repeats) is not asso-ciated with POI but with clinical fragile X syn-drome including mental retardation. The FX-POI has a severe impact on the fertility and health of affected women and their families and must be addressed with great care in di-agnostic and therapeutic steps.

KeywordsInfertility · Hormone substitution · Phenotype · Premutation · Fragile X syndrome

Gesamtgesundheit oder die Nachkom-men auswirken können.

Wichtig ist die Frage nach onkologi-schen Therapien in der eigenen Anam-nese, aber auch nach chirurgischer Inter-vention im kleinen Becken. So wird man durchaus auch Patientinnen mit einer En-dometriose, die sich vielfachen Operatio-nen aufgrund der immer wiederkehren-den Schmerzsymptomatik unterzogen ha-ben, mit einem POI diagnostizieren kön-nen.

Die laboranalytische Untersuchung wird sich nach dem initialen Verdacht auf die Bestimmung von Östradiol und FSH bei der amenorrhöischen Patientin

365Der Gynäkologe 5 · 2012  | 

Page 4: Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

bzw. in der frühen Follikelphase konzen-trieren. In der Praxis hat es sich bewährt, diese Diagnose frühestens nach dreimali-ger Bestimmung von Östradiol und FSH in einer eindeutigen Konstellation – wie oben dargestellt – zu stellen. Der Abstand zwischen diesen Kontrollen sollte 4 bis 6 Wochen betragen.

D Aufgrund der Häufigkeit von genetischen Faktoren unter den Ursachen von POI sollte den Patien-tinnen auch eine humangenetische Beratung angeboten werden.

Im Rahmen dieser Beratung können dann weitere Untersuchungen veranlasst wer-den. Dazu sollte zunächst eine Chromoso-menanalyse zum Ausschluss einer Aneu-ploidie erfolgen. Liegt ein normaler Chro-mosomensatz (46,XX) vor, kann eine ent-sprechende molekulargenetische Unter-suchung der FMR1-Allele erfolgen.

Beratung

POI und KinderwunschDie Wahrscheinlichkeit von spontanen Konzeptionen bei einer manifesten POI können generell nach den vorliegenen-den Daten mit etwa 5% auf lange Sicht (5 bis 10 Jahre) angegeben werden. Inso-fern kommen Spontanschwangerschaften tatsächlich vor [33]. Abgesehen von ein-zelnen Fallbeispielen gibt es derzeit keine Studiendaten, die belegen würden, dass diese Chance durch heute mögliche The-rapien einer Kinderwunschbehandlung zu erhöhen wäre.

Die einzige Alternative für eine Stei-gerung der Konzeption besteht in der Durchführung einer Eizellspende, die in Deutschland im Rahmen der gesetzlichen

Vorgaben derzeit nicht durchgeführt wer-den kann.

Diese Ausführungen zeigen, dass bei der Patientin ohne Kinderwunsch über eine Kontrazeption beraten werden muss!

HormonmangelEs gibt keine gute Studienlage zum Ver-gleich verschiedener Supplementierungs-verfahren im Rahmen eines POI. Mög-lich ist die Gabe eines kombinierten ora-len Kontrazeptivums, um eine Stigmati-sierung der Patientinnen soweit als mög-lich zu vermeiden. Prinzipiell sind aber Hormonersatztherapien mit Östrogen-/Gestagenanteilen genauso geeignet, die auch in der Postmenopause bzw. im pe-rimenopausalen Übergang zum Einsatz kommen.

Es gibt zum Langzeitrisiko dieser Pa-tientinnen unter Hormonersatztherapie keine suffizienten Daten. Aufgrund der aktuellen Diskussion sowie der Studien-lage, auch unter Betrachtung der Ergeb-nisse der WHI(Women’s Health Initia-tive)-Studie, ist aber davon auszugehen, dass der Benefit einer solchen Therapie aufgrund des Starts bereits in sehr jungem Alter (< 40 Jahre) definitiv den möglichen Nachteil – so er überhaupt bei diesem Pa-tientinnenkollektiv existiert – überstei-gen wird. Insbesondere gilt dies z. B. für die Knochendichte, die bei Patientinnen mit POI bereits bei Diagnosestellung häu-figer geringere Werte aufweist als bei en-dokrin unauffälligen Kontrollen. Es ist sinnvoll, die Therapie bis mindestens zum 50. Lebensjahr weiterzuführen und dann schrittweise, langsam zu reduzieren.

Fazit für die Praxis

F  Die POI bei FMR1-Gen-Prämutations-trägerinnen ist eine Erkrankung, die 

in der allgemeingynäkologischen Pra-xis sehr selten beobachtet wird. 

F  Ist die Karyotypisierung unauffäl-lig (46,XX) und sind keine offensicht-lichen Ursachen auszumachen, sollte  nach entsprechender humangeneti-scher Beratung eine Untersuchung am FMR1-Gen zur weiteren Abklä-rung angeboten werden. 

F  Bei etwa 20% der Prämutationsträge-rinnen wird eine vorzeitige Ovarialin-suffizienz (FXPOI) erwartet. 

F  Wesentlich ist, bei der Patientin mit Beschwerden, wie:

1 unerfüllter Kinderwunsch,1 Zeichen der relativen Hyperandro-

genämie und1 Zeichen des Östrogenmangels („kli-

makterische“ Symptomatik)   an die Möglichkeit einer POI zu denken.F  Die Diagnose eines POI sollte frühes-

tens nach dreimaliger Bestätigung der Erschöpfung ovarieller Reserven (FSH, Östradiol in der frühen Follikel-phase, AMH) gestellt werden.

F  Hinsichtlich der langfristigen Dia-gnostik hat sich die Durchführung eines regelmäßigen endokrinen Screenings auf Sekundärerkrankun-gen alle drei Jahre bewährt. 

F  Aufgrund der Vielschichtigkeit des Pro-blems sowie möglicher Betroffenheit von Familienangehörigen, sollte  eine interdisziplinäre Beratung und Auf-klärung mit Internisten, Humangene-tikern, Endokrinologen, Psychologen und Gynäkologen angestrebt werden.

F  Hinsichtlich eines bestehenden Kin-derwunsches sollten Patientinnen aufgeklärt werden, dass dieser durch keine Maßnahme reproduktionsme-dizinischer Art erfüllt werden kann bzw. die Chance für eine Spontankon-zeption erhöht werden kann. 

F  Die Chance für eine Spontankonzep-tion sollte erörtert werden. 

F  Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch eine humangenetische Bera-tung aufgrund der Gefahr einer Voll-mutation bei Nachkommen der Pa-tientinnen.

F  Zur Vermeidung von Folgeerkrankun-gen durch jahrelangen Hormonman-gel sollten alle Patientinnen mit gesi-cherter POI eine Hormonersatzthera-pie bis zum 52. Lebensjahr erhalten. 

40

42

44

46

48

50

52

54

> 58 59-79 80-99 100-199Anzahl der CGG-Kopien

Alte

r bei

Men

opau

sene

intr

itt

Abb. 1 9 Alter bei der Menopause in Abhän-gigkeit von der Anzahl der CGG-Kopien bei FMR1-Prämutations-trägern

366 |  Der Gynäkologe 5 · 2012

Leitthema

Page 5: Frühzeitige Ovarialinsuffizienz und FMR1-Mutation

F  Bei einer Hormonsubstitution kann ein orales Kontrazeptivum als ein Hor-monersatzpräparat gewählt werden, um eine Stigmatisierung der Patien-tin zu vermeiden.

Korrespondenzadresse

PD Dr. A. SchröerKlinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Pränatalmedizin und spezielle Geburtshilfe,  Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,  Campus LübeckRatzeburger Allee 160, 23538 Lü[email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

  1.  Allen EG, He W, Yadav-Shah M, Sherman SL (2004) A study of the distributional characteristics of FMR1 transcript levels in 238 individuals. Hum Ge-net 114(5):439–447 

  2.  Allen EG, Sullivan AK, Marcus M et al (2007) Exami-nation of reproductive aging milestones among women who carry the FMR1 premutation. Hum Reprod 22(8):2142–2152 

  3.  Anasti JN (1998) Premature ovarian failure: an up-date. Fertil Steril 70(1):1–15

  4.  Bell MV, Hirst MC, Nakahori Y et al (1991) Physical mapping across the fragile X: hypermethylation and clinical expression of the fragile X syndrome. Cell 64(4):861–866

  5.  Bione S, Benedetti S, Goegan M et al (2006) Ske-wed X-chromosome inactivation is not associated with premature ovarian failure in a large cohort of Italian patients. Am J Med Genet A 140(12):1349–1351

  6.  Coulam CB, Adamson SC, Annegers JF (1986) Inci-dence of premature ovarian failure. Obstet Gyne-col 67(4):604–606

  7.  Cronister A, Teicher J, Rohlfs EM et al (2008) Preva-lence and instability of fragile X alleles: implicati-ons for offering fragile X prenatal diagnosis. Obstet Gynecol 111(3):596–601

  8.  Fernandez-Carvajal I, Lopez Posadas B, Pan R et al (2009) Expansion of an FMR1 grey-zone allele to a full mutation in two generations. J Mol Diagn 11(4):306–310 

  9.  Fryns JP (1986) The female and the fragile X. A stu-dy of 144 obligate female carriers. Am J Med Ge-net 23(1–2):157–169

10.  García-Alegría E, Ibáñez B, Mínguez M et al (2007) Analysis of FMR1 gene expression in female pre-mutation carriers using robust segmented linear regression models. RNA 13(5):756–762

11.  Goswami D, Conway GS (2005) Premature ovarian failure. Hum Reprod Update 11:391–410

12.  Hundscheid RD, Smits AP, Thomas CM et al (2003) Female carriers of fragile X premutations have no increased risk for additional diseases other than premature ovarian failure. Am J Med Genet A 117A(1):6–9

13.  Hundscheid RD et al (2001) Increased serum FSH in female fragile X premutation carriers with either regular menstrual cycles or on oral contraceptives. Hum Reprod 16:457–462

14.  Hunter JE, Epstein MP, Tinker SW et al (2008) Fragi-le X-associated primary ovarian insufficiency: evi-dence for additional genetic contributions to se-verity. Genet Epidemiol 32(6):553–559

15.  Jin P, Zarnescu DC, Zhang F et al (2003) RNA-me-diated neurodegeneration caused by the fragile X premutation rCGG repeats in Drosophila. Neuron 39(5):739–747

16.  Kenneson A, Zhang F, Hagedorn CH, Warren ST (2001) Reduced FMRP and increased FMR1 tran-scription is proportionally associated with CGG re-peat number in intermediate-length and premuta-tion carriers. Hum Mol Genet 10(14):1449–1454

17.  Miano MG, Laperuta C, Chiurazzi P et al (2007) Ovarian dysfunction and FMR1 alleles in a large Italian family with POF and FRAXA disorders: case report. BMC Med Genet 8:18

18.  Murray A, Ennis S, MacSwiney F et al (2000) Repro-ductive and menstrual history of females with fra-gile X expansions. Eur J Hum Genet 8(4):247–252

19.  Nolin SL et al (1996) Familial transmission of the FMR1 CGG repeat. Am J Hum Genet 59:1252–1261

20.  Nolin SL et al (2003) Expansion of the fragile X CGG repeat in females with premutation or intermedia-te alleles. Am J Hum Genet 72:454–464

21.  Peprah E, He W, Allen E et al (2010) Examination of FMR1 transcript and protein levels among 74 pre-mutation carriers. J Hum Genet 55(1):66–8

22.  Rodriguez-Revenga L, Madrigal I, Badenas C et al (2009) Premature ovarian failure and fragile X fe-male premutation carriers: no evidence for a ske-wed X-chromosome inactivation pattern. Meno-pause 16(5):944–949

23.  Rohr J, Allen EG, Charen K et al (2008) Anti-Mulleri-an hormone indicates early ovarian decline in fra-gile X mental retardation (FMR1) premutation car-riers: a preliminary study. Hum Reprod 23(5):1220–1225

24.  Santoro N, Isaac B, Neal-Perry G et al (2003) Im-paired folliculogenesis and ovulation in older re-productive aged women. J Clin Endocrinol Metab 88(11):5502–5509

25.  Sherman S, Pletcher BA, Driscoll DA (2005) Fragile X syndrome: diagnostic and carrier testing. Genet Med 7(8):584–587

26.  Sherman SL (2007) FMR1 premutation: a leading cause of inherited ovarian dysfunction. In: Arrieta I, Penagarikano O, Telez M (Hrsg) Fragile Sites: New Discoveries and Changing Perspectives. Nova Sci-ence, Hauppauge, NY, pp 299–320

27.  Spath MA, Nillesen WN, Smits AP et al (2010) X chromosome inactivation does not define the de-velopment of premature ovarian failure in fra-gile X premutation carriers. Am J Med Genet A 152A(2):387–393

28.  Sullivan AK, Marcus M, Epstein MP et al (2005) As-sociation of FMR1 repeat size with ovarian dys-function. Hum Reprod 20(2):402–412

29.  Sutcliffe JS, Nelson DL, Zhang F et al (1992) DNA methylation represses FMR-1 transcription in fragi-le X syndrome. Hum Mol Genet 1(6):397–400

30.  Tejada MI, García-Alegría E, Bilbao A et al (2008) Analysis of the molecular parameters that could predict the risk of manifesting premature ovarian failure in female premutation carriers of fragile X syndrome. Menopause 15(5):945–959

31.  Terracciano A, Pomponi MG, Marino GM et al (2004) Expansion to full mutation of a FMR1 inter-mediate allele over two generations. Eur J Hum Genet 12(4):333–336

32.  Todd PK, Paulson HL (2010) RNA-mediated neuro-degeneration in repeat expansion disorders. Ann Neurol 67(3):291–300. Review

33.  Kasteren YM van, Schoemaker J (1999) Premature ovarian failure: a systematic review on therapeu-tic interventions to restore ovarian function and achieve pregnancy. Hum Reprod Update 5(5):483–492

34.  Vianna-Morgante AM, Costa SS (2000) Prematu-re ovarian failure is associated with maternally and paternally inherited premutation in Brazilian fami-lies with fragile X. Am J Hum Genet 67(1):254–255; author reply 256–258

35.  Welt CK, Smith PC, Taylor AE (2004) Evidence of early ovarian aging in fragile X premutation car-riers. J Clin Endocrinol Metab 89(9):4569–4574

36.  Welt CK (2007) Primary ovarian insufficiency: a more accurate term for premature ovarian failure. Clin Endocrinol (Oxf) 68:499–509

37.  Willemsen R, Hoogeveen-Westerveld M, Reis S et al (2003) The FMR1 CGG repeat mouse displays ubiquitin-positive intranuclear neuronal inclusi-ons; implications for the cerebellar tremor/ataxia syndrome. Hum Mol Genet 12(9):949–959

Weitere Infos auf

springermedizin.de

DossierVon HPV bis ZervixkarzinomMit HPV-Impfung & Co. bietet das Zervixkarzi-nom einzigartige Präventionsmöglichkeiten. Doch für viele Frauen kommen diese zu spät. Zu Vakzine, Kolposkopie und Therapieoptionen des Gebärmutterhalskrebses finden Sie hier informative Beiträge! 

7 www.springermedizin.de/gyn-hpv-bis-zervixkarzinom

367Der Gynäkologe 5 · 2012  |