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(Aus der serologisch-bakteriologisch-chemischen Abteilung [leitender 0berarzt: Prof. Dr. Ka/ka] der Psychiatrischen Universiti~tsklinik und Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in Hamburg [Direktor: Prof. Dr. Weygandt].) Funktionell-genetische Liquoranalysen. 1. Mitteilung: Der Liquorbefund der progressiven Paralyse in funktionell-genetischer Betrachtung. Von u Katka. (Eingegangen am 24. Mgrz 1931.) Unter funktionell-genetische Liquorforschung verstehen wir, wie ich a. a. O. 1 ausgefiihrt babe, jene wissenschaftlichen Versuche, die zum Ziele haben, die Liquorbefunde nicht nur rein praktisch zu verwerten, sondern zu priifen, welche anatomische Grundlage sie besitzen, welche pathogenetische bzw. pathognomische Bedeutung ihnen innewohnt und welcher Herkunft die einzelnen Bestandteile des Liquorbildes sind. Die rein wissenschaftliche Liquorforschung der heutigen Zeit ist ganz auf diesen Gedanken eingestellt. Da aber der Praktiker immer noch nur rein diagnostische Ziele und Aufgaben dieses Gebietes sieht, so war es nStig, beide l~ichtungen immer mehr miteinander in Einklang zu bringon. Die theoretische Bedeutung der Liquorbefunde hat schon Carl Lange zu erforschen versucht, er hat sich dabei aber nicht ganz geeigneter Mi~tel bedient, indem er die Goldsolreaktion in den Mittelpunkt dieser Betrach- tungen stellte und die meisten anderen Liquorreaktionen als unniitze Varianten bezeichnete. So hat Lange zwar manche interessanten Ergeb- nisse zutage gef6rdert, bei der Einseitigkeit aber der yon ibm verwen- deten Befunde mul~ten natiirlich die Feststellungen unbefriedigend sein. Auch andere Autoren haben versucht, das pathologische Geschehen, das gewissen Liquorreaktionen zugrunde lag, zu erforschen (Goebel, Brandt und Mras u.a.), sind aber ebenfalls nur zu ganz allgemeinen Ergebnissen gekommen, weil sie sich auf eine nicht gentigend breite Basis gestiitzt haben. In den folgenden Zeilen soll nun versucht werden, darzulegen, wie- weir die funktionell-genetische Liquorforschung heute bei den einzelnen 1 Dtsch. Z. Nervenheilk. Nonne-Festschrift. 117, 118, 119, 265 (1931).

Funktionell-genetische Liquoranalysen

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Page 1: Funktionell-genetische Liquoranalysen

(Aus der serologisch-bakteriologisch-chemischen Abteilung [leitender 0berarzt: Prof. Dr. Ka/ka] der Psychiatrischen Universiti~tsklinik und Staatskrankenanstalt

Friedrichsberg in Hamburg [Direktor: Prof. Dr. Weygandt].)

Funktionell-genetische Liquoranalysen.

1. Mitteilung: Der Liquorbefund der progressiven Paralyse in funktionell-genetischer Betrachtung.

Von

u Katka.

(Eingegangen am 24. Mgrz 1931.)

Unter funktionell-genetische Liquorforschung verstehen wir, wie ich a. a. O. 1 ausgefiihrt babe, jene wissenschaftlichen Versuche, die zum Ziele haben, die Liquorbefunde nicht nur rein praktisch zu verwerten, sondern zu priifen, welche anatomische Grundlage sie besitzen, welche pathogenetische bzw. pathognomische Bedeutung ihnen innewohnt und welcher Herkunft die einzelnen Bestandteile des Liquorbildes sind. Die rein wissenschaftliche Liquorforschung der heutigen Zeit ist ganz auf diesen Gedanken eingestellt. Da aber der Praktiker immer noch nur rein diagnostische Ziele und Aufgaben dieses Gebietes sieht, so war es nStig, beide l~ichtungen immer mehr miteinander in Einklang zu bringon.

Die theoretische Bedeutung der Liquorbefunde hat schon Carl Lange zu erforschen versucht, er hat sich dabei aber nicht ganz geeigneter Mi~tel bedient, indem er die Goldsolreaktion in den Mittelpunkt dieser Betrach- tungen stellte und die meisten anderen Liquorreaktionen als unniitze Varianten bezeichnete. So hat Lange zwar manche interessanten Ergeb- nisse zutage gef6rdert, bei der Einseitigkeit aber der yon ibm verwen- deten Befunde mul~ten natiirlich die Feststellungen unbefriedigend sein. Auch andere Autoren haben versucht, das pathologische Geschehen, das gewissen Liquorreaktionen zugrunde lag, zu erforschen (Goebel, Brandt und Mras u.a.) , sind aber ebenfalls nur zu ganz allgemeinen Ergebnissen gekommen, weil sie sich auf eine nicht gentigend breite Basis gestiitzt haben.

In den folgenden Zeilen soll nun versucht werden, darzulegen, wie- weir die funktionell-genetische Liquorforschung heute bei den einzelnen

1 Dtsch. Z. Nervenheilk. Nonne-Festschrift. 117, 118, 119, 265 (1931).

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Funktionell-genetische Liquoranalysen. I. 211

Krankheiten gekommen ist, die fiber ein mSglichst typisches Liquorbild veffiigen. Dazu ist nStig, sich erstens auf eine mSglichst grol3e Anzahl verschiedenartiger Liquorbefunde im einzelnen Falle zu stfitzen, derm jede einzelne Liquorreaktion kann da~u beitragen, eine andere Reaktion zu kl/~ren oder das ganze Syndrom in anderem Liehte erscheinen zu lassen. Ferner ist es nStig, die ganze Breite der m6gliehen Ausschl/~ge der Liquor- reaktionen zu fibersehen und nicht, wie man es sonst gerne macht, das typische Bild allein in das Zentrum der l~berlegungen zu stellen und von ibm aus die mSgliehen Abweiehungen zu bespreehen. Dan~ kommt weiter binzu, dab auf den Parallelismus mit dem klinischen Bild genau geachtet werden mul3, besonders bei Liquorver~nderungen, die mit Paroxysmen des Krankheitsbildes einhergehen und solchen, die dureh therapeutische Versuche entstehen. SehlieBlich mul~ die pathologische Histologie soweit wie mSglich herangezogen werden. Unterschiede, die sich bei Untersuehung des Liquors in verschied.enen HShen bzw. an ver- scbiedenen Orten ergeben, werden bier bei der Besprechung des Liquor- bildes der Paralyse vernachl/~ssigt werden kSnnen, 4oeh wir4 es natfirlich notwendig sein, sich vor allem auf die Ergebnisse des Lumballiquors zu stfitzen; Befunde am Ventrikelliquor werden vorl/~ufig ausgeschieden werden mfissen.

Nach allem Gesagten wir4 diese Arbeit natfirlich nur einen ersten Versuch darstellen, das Liquorbil4 der Paralyse funktionell-genetisch zu analysieren. Diese Analyse wir4 natfirlich um so eingehender, vertiefter und ergebnisreicher sein, je welter die Forschung in Intensit/~t und Exten- sit/~t hin gediehen sein wird. Heute aber wird diese Analyse kein leichtes Beginnen darstellen, denn man wird sich bei jeder einzelnen Reaktion unserer ganzen Kenntnisse bectienen miissen.

Wir werden nun im folgenden so vorgehen, dal3 wit zuerst die ein- zelnen Phanomene, die das Liquorsyndrom der Paralyse zusammen- setzt, einer eingehenden Analyse unterziehen mfissen und 4ann uns erst die Bedeutung des Gesamtbildes aufzubauen versuchen.

Was besagt uns 4as Aussehen des Paralytikerliquors ? Hierzu werden wir wenig sagen kSnnen, d~nn in der grol3en Mehrzabi der F/~lle 1/~Bt sieh die Cerebrospinalflfissigkeit des Paralytikers rein makroskopisch nieht yon jener Normaler unterscheiden. Wir werden aber gleieh auf F~lle zu spreehen kommen, wo bei sehr hoher Zellzabi eine leiehte Trfibung wahr- genommen worden ist. Diese Trfibung ist nicht nut, wie wir sehon wissen, auf die starke Zellvermehrung zurfickzufiihren, sondern ich muB bier im Gegensatz zu frfiheren Angaben aussprechen, da$ in diesen seltenen F/~llen die Ursache aueh das Vorhandensein von Fibrinogen bzw. Fibringlobulin im Liquor sein kann. So fanden wir in einem solchen Fall in einer leicht getrfibten Cerebrospinalfliissigkeit, fiber die noch aus- ffihrlich zu sprechen sein wird, mit einer Zellvermehrung yon 1510/3 im cram einen Fibrinogengehalt yon ungef~hr 2 mg ~ , also minimal,

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aber immerhin bemerkenswert. Wit mfissen also damn fes~halte~ dal~, wenn auch sehr selten, der paralytische Liquor Fibrmogen erLthalten kann, aber in minimalen Mengen.

Nun zu den Zellen. Wir wissen, dab im allgemeinen die Zellzahl im cmm Liquor bei der Paralyse relativ gering ist. Man kann umgef~hr 100/3 im cmm als Durchschnittszahl ansehen, es kommen aber auch sehr niedrige Zahlen vor, und es mull schon jetzt betont werden, dab diese geringe Anzahl in keinerlei Verh/iltnis z.u stehen braucht zu der St/irke der Wa-R. un4 der EiweiBwerte, wenri freiliclx, worfiber noch zu sprechelx sein wird, beziiglich 4er Globtdine 4och ein gewisser Parallelismus vorherrschen kann. Diese Tatsache hat uns trod mit uus viele Autoren dazu bewogen, zu der Feststellung zu gelangen, dab bei der Paralyse die biologischen Erscheinungen (also die Wa.R.) die entzfindlichen (die vor allem durch die Zellmenge angezeigt sind) 4eutlich fiberragen, wobei ein deutlicher Unterschied gegeniiber 4er frischen Gekirnsyphilis angezeigt wird, bei 4er gerade die entzfindlichen Erschei- nungen im Vordergrunde stehen. Aber die genaue Durchforschung eines groBen Materials zeigt uns, dab es auch Paralytikerliquores gibt, die hohe Zellzahlen haben. So haben wir unter dem Paralysematerial des letzten Jahres 4 Fiille entdeckeu k6nnen, deren Zellzahlen im cmm im blutfreien Liquor 900/3--1500/3 gewesen sind. DaB es sich in diesen F~illen nicht um Lues cerebri gehandelt list, bewies nicht nur die klinische Diagnostik, son4ern auch der iibrige Liquorbefun4, der mehr oder weniger typisch die Befunde des paralytischen Liquors zeigte. Wir werden fibrigens attf diese Fiille noch mehrfach zurtickzukommen haben. Wir werden uns nun fragen miisseu: was bedeuten diese hohen Zellvermehrungen der Paralyse ? Bevor wir auf diesen Punkt eingehen, miissen wir uns mit 4er Zellart besch~ftigen. Wit wissen, dab bei der Paralyse im Liquor in erster Linie Lymphocyten verschiedener Gr6Be und verschiedenen Aussehens vorkommeu, ferner Plasmazellen un4 auBer4em eine Reihe yon Zellen verschiedener Art, die wit wohl gr6Bten- teils als Gewebezellen anzusehen haberL Rehm, der schon friiher sich ein- gehend mit dem Zellbil4 der Paralyse beschiiftigt hat, hat uns vor kurzem wieder eine Ubersicht gegeben, und wir bemerken, dab er bei der Para- lyse auBer den Lymphocyten und Leukocyten histiogene wabige Zellen, ferner Gitterzellen, FreBzellen, granulierte Zellen und St~bchen gesehen hat, auBerdem natfirlich Plasmazellen mid groBe mononucle~ire Zellen, die er den Monocyten des Blutes an die Seite stellt. Er ist der Meinung, dab vor allem die histiogenen und die Gitterzellen sicher aus 4em Gewebe stammen, wiihrend die Lymphocyten und die Monocyten wahrschein- lich Blutzelleu darstellen. Die FreBzellen werden ~ls Bindegewebs- abk6mmlinge angesehen. Die Plasmazellen ftihrt er ebenfMls auf die Abstammung aus 4em Blur zuriick, w~hrend die granulierten Zellen nach ibm eine Konzentrierung yon stark f~rbbarer Plasmasubstanz dar-

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Funktionell-genetische Liquoranalysen. I. 218

st~llen. Es soll hier nicht welter diskutiert werden, ob die betreffenden Zellen aus dem Blute oder dem Gewebe stammen, auch sonst soll ihre Identi~iziertmg beiseite gelassen werden, denn wit wissen heute, dab wir auf diesem Gebiet noch nicht sehr welt gekommen sind und da~ es der Zukunft fiberlassen werden muG, die Cytologie des Liquor cerebro- spinalis anf feste ~ndamente zu stellen. Den heutigen Stand unseres Wissens stellen am besten die kurze Arbeit yon Rehm, sowie ausfiihrliche Auseinandersetzungen won Weigeldt dar. Wir wollen bier auch nur zwei besondere Abarten hervorheben: es kann sich n~tmlich bei der starken Zellvermehrung in der Cerebrospinalflfissigkeit entweder um eine Ver- mehrung der Lymphocyten oder um eine solche der neutrophilen Leuko- cyten handeln, w~hrend die Verteilung der iibrigen Zellen eine sonst gleichm/~Bige sein kann. Diesbeziiglich w~tren zwei hochinteressante F~lle zu erwi~hnen, bei denen der eine 1510/3 Zellen im cmm enthielt, die fast nur Lymphocyten waren, w~hrend im anderen 940/3 Zellen vorhanden waren und zwar zum gr6Bten Teil neutrophile Leukocyten. l~ber beide F~lle werden wir noch, wie schon erwiihnt, mehrfach zu sprechen haben. Bei 4em zweiten erw~lmten Fall handelt es sich um eine Paralyse, bei der schon eine Malariabehandlung vorausgegangen war, der eine Remission gefolgt war. Die Patientin war aber jetzt mit einer starken Verschlech- terung wieder aufgenommen worden, es war zu paralytischen Kr~mpfen gekommen und im Status ist der Tod effolgt. Nun hat Pappenheim vor Jahren darauf hingewiesen, daB bei der Paralyse parallel mit Paroxysmen des Krankheitsbildes es zu einer Vermehrung der neutrophilen Leuko- cyten im Liquor und Blur kommt. Ka/ka hat einige Zeit sp~ter darauf hingewiesen, dab in den Pappenheimschen F~llen wohl das Zusammen. treffen von Neutrophilen im Blut und Liquor ein mehr zufi~lliges war und dab man eine solche Polynukleose im Liquor, wie sie damals genannt wurde, im Verlaufe des paralytischen Krankheitsbildes auch beobachten kann unabh~ngig yon einer Polynukleose im Blur und unabh~ngig von klinischen Erscheinungen. Wir miissen also festhalten, wie wir ja auch sonst sehen, dab die Zellvermehrungen im Liquor im groBen und ganzen unabh~ngig sind yon Schwankungen der Blutzellen und in erster Linie eine Folge sind der Vorg~nge in den Meningen und vielleicht auch im Gehirnparenchym selbst. Diese Punkte genau zu erforschen wird, wie schon gesagt, die Aufgabe der Zukunft sein. In dem zitierten Falle wissen wir jedenfalls, daB die Polynukleose parallel giug mit einem Status paralytischer Kr~mpfe. Der Liquor war steril und zeigte auch sonst kein Bild der akuten infektiSsen nichtsyphilitischen Meningitis. Wir mtissen also annehmen, dab in solchcn F~llen parallel mit jenem Faktor, der die akt~te Verschlechterung des Krankheitsbildes hervorgerufen hat, auch ein Agens im Liquor vorhanden sein muB, auf das dieser mit einem starken Ansteigen der neutrophilen Leukocyten reagiert. Da dieser :Fall zum Exitus gekommen ist, werden wir aus der histologischen Untersuchung N~heres effahren kSnnen.

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214 V. Kafka:

30.1.31

D a t u m N a m e

22.12.30 i i"

29.12.3o

Schu.

iussohen

etwas trtib

g~triibt

klar

Zollzahl in e m m

1520/3

1510/3

940/3

Ze l l a r t

Lymphocyten

haup t s~ch l . p o l y n u k l .

L e u k o e y t e n

Tabelle 1. Zwei seltene

P h a s e W a . R .

+ + 0 , 2 4 + + +

+ + 0 , 2 + + + +

+ 0 , 2 + + + +

Die histologische Untersuchung (Dr. Abaunza) in der gehirnanatomi- schen Abteilung (Prof. A. Jakob) ergab stark entziindliche Reaktions- erscheinungen in Rinde und Pia im Sinne eines akuten Rezidivs einer paralytischen Gehirnerkrankung. Dazu zahlreicke kleine Blutaustritte in die Pia im Stadium der Organisation (Fibroblasten, Makrophagen, H~matinpigment usw.)

Das obenerw/ihnte Agens kann also dasselbe sein, das die einem akuten Rezidiv entsprechenden entziindlichen Reaktionserscheinungen in Rinde und Pia hervorgerufen hat; vielleicht ist ein Teil der Poly- nukleose als Reiz auf die obenerw/~hnten Blutungen anzusehen.

Der andere Fall zeigte, wie schon erw/~hnt, unter 1510/3 Zellert haupt- s/~chlich Lymphocyten. Das Paralyseliquorbild war sonst absolut gewahrt. Interessant war nur, dal~ kier der getrfibte Liquor 2mg~ Fibri- nogen aufwies und daB, was wir sonst nickt beobackten, eine deutliche Vermin@rung des Liquorzuckers vorhanden war, der bei der einen Punk- tion auf 0 herabgesetzt, bei der zweiten Purtktion, eine Woche sp/tter, auf 22 rag~ Mann kann nun sagen - - un4 dariiber werden wit sp/~ter noch zu spreckert haben --, daft diese Zuckerverminderung mit kervor- gerufen ist durch die starke Zetlvermehrung. Die Annahme eines Zucker- verbrauchs durch in der Cerebrospinalfliissigkeit vorhandene Bakterien ist nicht wakrscheinlich, da wir in diesem Falle in dem sterilen Liquor keinerlei Bakterien und auch keine Spiroch/~ten nackweisen konnten. Am iihnlichsten ist dieses Bildnoch dem einer akuten syphilitischen Meningitis, bei der j a auch fast nur Lymphocyten vorkartden sind und eine Zucker- verminderung vorliegt. Dock katte der Liquor sonst mehr 4as Geprage des Paralyseliquors, in bezug auf Kolloidkurve, Wa.R., fehlendes Kom- plement bei Vorhandensein von Normalamboceptor usw. (s. Tab. 1).

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Funktionell-genetische Liquoranalysen. I. 9.15

l_,iquorbe/unde bei Para~

Normomastixreaktion

viii /IX, IX/X, xi , XlI, XlI, XlI, xI, IX, vi i , v i i , v

VII, VII, IX/X, XlI, XII, XII, IX/X, VI, VII

VIII, X, XI, X/XI, IX/X, VII, V

Paraffinreaktion

I 3, 4, 6, 6, 6, 5, 4,1 3, 2, 1

3, 5, 6, 6, 6, 4, 2

f 1, 1, u. 3, 3, 2/'3, 2, 1

_Eiweillrelation .[ G.E.I Glob. IAlb. I E. Q.[

3,2 ,3 1,39

3,0 1,6 1,87

1,0 0,8 1,20

Sonstige Bofunde

Zucker 0 rag~

Zucker 22 mg ~ Euglobulin:

1 Teilstr. Fibringlobulin:

0,12 Teilst. Normalambo-

ceptor + + + Komplement 0

Es ist klar, da$ die beiden genannten F/ille prozessual gesehen, etwas Versehiedenartiges darstellen. Das pathologische Geschehen ist in einem Falle sieher ein anderes als in dem anderen und wir werden wohl prognos- tisch jenen Fall gfinstiger zu beurteilen haben, bei dem das Liquorbild jenem der syphilitischen Meningitis i~hnlich ist, w/ihrend im anderen Falle die starke Polynukleose wohl ein Zeichen fiir Paroxysmen des Krankheits- brides darstellt, die prognostisck ungfinstig zu verwerten sind. Ick m6chte mieh theoretisck nicht allzuweit vorwagen, sondern diese Feststellungen gemacht haben, die vielleicht im Laufe unserer Untersuchungen noch erg/~nzt werden k6nnen.

Wir wollen nun einen Schritt weiter gehen zur Besprechung der Eiweiflverh~iltnisse des paralytischen Liquors. Da$ das Liquoreiwei$ bei der Paralyse so gut wie immer vermehrt ist, wissen wir schon lange. Die Anwendung der Phase I hat uns auch gezeigt, da$ so gut wie immer eine Globulinvermehrung vorhanden ist. Nack dieser Richtung hin haben wit ja Bisgard auch den Ausdruck der globulinstarken Paralyse zu ver- danken. Aber erst nach Ausfiihrung der EiweiSrelation war es uns mfglich, exaktere Zahlen zu bekommen. Wir k6nnen heute haCk unserer sehr grogen Menge diesbezfiglicher Untersuehungen sagen, dab die Para- lyse so gut wie immer Vermehrung des Gesamteiweil~es aufzeigt, dessen Durehschnittswert ungef/~hr 60 mg~ betr/~gt. In typischen Fifllen ist diese EiweiSvermehrung nur auf Kosten der Globttlinvermehrung entstanden, w/~hrend eine Albuminvermehrung meist nieht vorhanden ist, ja das Liquorbild kalm sogar den Eindruck der Albuminverminderung machen. Die Folge davon ist, dab wir einen sehr hohen EiweiBquotienten bei der Paralyse sehen k6nnen, der so gut wie immer fiber 1 ist, aber natfirlich viel h6her steigen kann. Parallel damit geht ein hoher

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] 6 V. Kafka:

Hydratationskoeffizient, also der Quotient: Volumen des Ammonium- sulfatniederschlages durch das Volumen der eigeatlichen gef~llten Globuline. Ganz besonders hohe und ~hnliche Werte sind nur bei der akuten Meningitis erreicht. Wir wollen aber von weiteren ErSrterungen dieses Punktes absehen und nur feststellen, dab die HShe des Hydra- tationskoeffizienten wohl auf eine Veri~nderung des qualitativen Ver- hi~ltnisses der Liquorglobuline zuriickzufiihren ist. Von anderen Frak- tionen ware zu erwiihnen, daB, wie wir ja an anderer Stelle berichtet haben, die Euglobulinff~ktion in der Menge yon 30 mgr~ im Liquor vorkommt. Bedeutungsvoller is~ es, den Euglobulinwert zu dem Gesamt- globulinwert in Beziehung zu setzen. Wir linden dann den hSehsten Wert des Euglobulin-Globulin-Quotienten fiir die Paralyse, d. h. die Euglobuline nehmen bei der Paralyse yon allen anderen Krankheiten den grSBten Antefl der Gesamtglobuline im Liquor ein. Wir diirfen freflich nicht vergessen, dab es auch Paralysen gibt, bei denen eine Albumin- vermehrung vorhanden ist. Interessanterweise gehen aber diese F~lle oft mit gewissen Atypien des Liquorbildes einher und stehen vielleicht der Lues cerebri etwas n~her.

Was ftir Folgerungen kSnnen wir nun in funktionell-genetiseher Beziehung aus dem Liquoreiwei[3bild des Paralytikerliquors ziehen? Man kSnnte sagen, dab wir in dem EiweiBbild das deutliche Zeichen einer auf das Gehirn beschrankten lokalisierten Erkrankung haben, dab wir also die isolierte G]obulinvermehrung, die auch qualitative Besonderheiten hat, auf die Erkrankung des Zentralnervensystems in erster Linie zuriiekzufiihren haben. Leider miissen wir uns aber selbst zu dieser schSnen Theorie eine Reihe von Einschr~nkungen machen. Es ist yon den meisten Autoren festgestellt worden, dab bei der Paralyse eine Erh5hung der Permeabilit~t der Meningen vor- handen ist, die sich auch in dem Ubergang des Normalamboceptors eharakterisiert, wie wir ja an anderer Stelle ausffihrlieh besprochen haben. Es ist ja freilich gesagt worden - - und darauf wird noch einzugehen sein--, dab aueh der Normalamboeeptor lokal gebildet werden kSnnte. Ich habe aber selbst und mit A brahamowitsch und Brinckmann ausdriicklieh zu zeigen versueht, dab gegen die Annahme des (Jberganges stichhaltige Argumente bisher noch nieht aufgebraeht worden sind. Wir kSnnten dann einen Schritt weiter gehen und sagen, dab Albumine und Kom- plement vielleicht die gleiehe TeilchengrSBe haben, denn wir finden diese beiden parallel bei der akuten Meningitis. Nun haben aber andererseits Untersuehungen des Blutes bei Paralyse, die wir selbst vorgenommen haben gezeigt - - und Weiflbach hat Ahnliches fiir die frische Syphilis nachgewiesen - - , dab eine Globulinvermehrung im Blute vorhanden sein kann. Man kSnnte also ebensogut annehmen, da] ein Teil der Liquor- globuline des Paralytikers aus dem Blut stammt. Das wiirde aber nun der yon vielen Seiten geteilten Anschauung nicht entsprechen, dab die

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Funktionell-genetische Liquoranalysen. I. 9,17

Permeabflit~t gewissermaBen ein Faktor der Porengr6Be ist, d.h. dab die KSrper nach der Gr6Benordnung ihrer Teilchen in den Liquor fibertreten und die Permeabfliti~t abh~ngig ist vonder Gr6Be der Poren so dab also es undenkbar ware, dab in einem Falle Globulin in den Liquor iibergehen und dab Albumin nicht in ihn fibertreten kann. Freilich sprechen gegen diese rein quantitative Einsch~tzung der Permea- bilits verschiedene Gegengriinde, die aueh darauf hindeuten, dab die Qualit~t der Permeabilit~tsanderung auch eine Rolle spielt. Wir brauchen hier nicht auf die nach dieser Riehtung hindeutenden Ergebnisse der Tierversuehe yon Lina Stern und ikren Mitarbeitern kinzuweisen. Wir finden bei der einfachen Beobachtung so viele Anhaltspunkte, dab wir die rein quantitative Betrachtung des Permeabilit~tsphitnomens ab- lehnen mfissen. Wir miissen also abschlieBend sagen, dab die Eigenart der Vermehrmlg cter EiweiBk6rper im Paraly~ikerliquor darauf hindeutet, dab sich hier EiweiBkSrper vorfinden, die dem KrankheitsprozeB des Zentralnervensystems in erster Linie entstammen. Daffir spricht auch, dab wir bei der Malariabehandlung der Paralyse am li~ngsten eine Ver- mehrung der EiweiBkSrper in der typisehen Form nachweisen kSnnen, und dab vielleieht hier der wiehtigste praktisch verwertbare Faktor im Liquorbefund der EiweiBquotient ist. Wir werden auf diesem Gebiet klarer sehen k6nnen, wenn es uns gelingen wird, jene Globuline, die aus dem Zentralnervensystem stammen, yon jenen abgrenzen, die im Blut vorkommen. Wir haben schon Prgzipitationsversuehe unternommen, und ihre Ergebnisse zeigen zumindest, dab sich besonders bei der Paralyse eine biologische Identit~t der LiquoreiweiBkSrper und der BluteiweiB- k6rper nicht feststellen l~Bt. Versuche yon Samson mit kolloidchemischer Methodik scheinen uns auch daffir zu sprechen, dab es vielleicht m6glich sein wird, das EiweiB bei verschiedenen Erkrankungen des Zentral- nervensystems differenzieren zu kSnnen. Weiter erscheint es dringend notwendig, besonders bei der Paralyse, Parallehmtersuchungen cler SerumeiweiBk6rper vorzunehmen, um auch auf diesem Wege etwas mehr fiber die Herkunft der EiweiBkSrper im Liquor zu erfahren. Jedenfalls werden wir sagen mfissen, dab ein Teil der LiquoreiweiBk6rper bei der Paralyse auch aus dem Blute stammen kann. Es scheint fibrigens auch so zu sein, dab eine qualitative Ver~nderung der Globuline, sowohl im Serum, wie auch im Liquor anzutreffen ist. Auch darfiber werden ein- gehende Untersuchungen nStig sein. Wir konnten jedenfalls zeigen, dab die Serumglobuline und -euglobuline der Paralytiker sieh, wenn sie nach ihrer F~llung wieder aufgelSst werden, sich anders 15sen als Normal- globuline. Dieses Ph~nomen k6nnte identisch sein mit dem starken WasserbindungsvermSgen, das wir im Liquor der Paralytiker an den Globulinen feststellen konnten.

Die groBen Beziehungen, die zwischen EiweiBkSrper und Kolloid- reaktionen bestehen, ffihren uns dazu, jetzt fiber die Ergebnisse der

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218 V. Kafka:

Mastix- und Paraffinreaktion zu sprechen. Auch inhere Zusammen- h~nge, die wir schon angedeutet haben, legen es nahe. Die sog. Paralyse- kurve der Kolloidreaktionen besteht bekanntlich darin, dab schon am Anfang der Kurve bei ganz niedrigen Verdiinnungen maximale Kolloid- ver~nderungen auftreten und dab diese durch mehrere R5hrchen erhalten bleiben. Diese Kurve findet sich bei unbehandelten Paralysen so gut wie immer. Wir kSnnen aber nicht sagen, dab sie lediglich auf die Paralyse beschr~nkt ist. Im Verlaufe einer akuten Meningitis und in manchen F~llen yon multipler Sklerose, ja auch vielleicht beim Gehirntumor, kann eine ~hnliche Kurve zustande kommen. Wenn wir also nach den Ergeb- nissen der KoUoidreaktionen allein gehen wiirden, diirfen wir nicht aus einer Paralysekurve der Kolloidreaktionen allein auf eine Paralyse schlieBen, l~ber das Zustandekommen dieser Kurvenform hat Samson ausfiihrlich berichtet. Wir kSnnen uns mit diesen Einzelheiten hier nicht beschaftigen, weil sie zu speziell sind. Wir kSnnen aber eines sagen : Fiir die Paralyse charakteristisch ist, dab die bestimmte Form der EiweiB- relation, die wir oben geschildert haben, mit der Paralysenkurve Hand in Hand geht. Dieses Phi~nomen linden wir hSchstens noch im Verlaufe einer akuten Meningitis, wo aber der EiweiBquotient meist niedriger ist und andere differential-diagnostische Zeichen geniigend vorhanden sind. Wir wissen aber ferner, dab zum Zustandekommen der Paralysekurve nicht nur das bestimmte relative Verhs der EiweiBkSrper zueinander, sowie das absolute quantitativeVerhaltnis maBgebend ist, sondern auch, wie Samson gezeigt hat, eine besonders qualitative Eigenart der Globuline. Wenn man namlich bei gleichem EiweiBquotienten die Globuline des Paralytikerliquors isoliert und ebenso jene eines anderen Falles einer organischen Erkrankung des ZentrMnervensystems mit LiquoreiweiB- vermehrung, dann finder man, dab nur die isolierten Globuline der Paralyse diese Kurve geben. Wir kSnnen also in diesem Zusa.mmenhange sagen, dab die charakteristische Kolloidkurve der Paralyse nach der l~ichtung hin zu verwerten ist, dab das Liquorglobulin der Paralyse ein charakteristisches Geprage haben muB. Sehr interessant ist es, dab bei der Malariabehandlung der progressiven Paralyse die Paralysekurve meist verloren geht, trotzdem die EiweiBrelation erhalten ist. Es bildet sich also ein Syndrom aus, das wir z. B. bei der Lues cerebri nicht kennen, denn bei dieser Erkrankung wfirde einer solchea Kurve, wie wir sie nach der Malariabehandlung der Paralyse sehen, eine andere Form der EiweiB- relation entsprechen. Wir mfissen also sagen, dab bei der Malariabehand- lung der Paralyse den Globulinen, ohne dab die relativen Verh/~ltnisse wesentlich ge/~ndert welden, ein Faktor genommen wird, der ihnen ein chaxakteristisches Gepr/ige gibt. Zusammenfassend w~re also dies- beziiglich zu sagen: aus der Kolloidkurve der Paralyseliquores lernen wir, dab das Paralytikerglobulin ein besonders qualitatives Gepr/~ge haben muB, das ihm bei der Malariabehandlung der Paralyse verloren geht.

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Funktionell-genetische Liquoranalysen. I. 219

Nun einen Schritt weiter zur Wa.R. Wir wissen, da$ bei der typischen Paralyse die Cerebrospinalflfissigkeit schon bei niedrigen Flfissigkeits- mengen eine starke Reaktion gibt, die aueh durch Inaktivieren des Liquors nieht abgeschw/icht wird. Wir sehen also, was wir immer betont haben, dab die St~rke dieser biologischen Reaktion bei der Paralyse die entzfindlichen Erscheinungen deutlich fiberragt und mit der sog. Paralyse- kurve maximale Liquorver/~nderungen nach diesen Richtungen hin dar- stellt. Eine der wichtigsten Fragen ist nun: s tammt diese Wa.R. bei der Paralyse allein aus dem Zentralnervensystem bzw. dem Liquorraum oder aueh aus dem Blut. Wir haben uns an anderer Stelle mit der Her- kunft der Wa.R. im Liquor beschaftigt und haben gefunden, dab eine Reihe yon Autoren die rein lokale Entstehung der Wa.R. annimmt;, w/~hrend F. Plaut der Meinung ist, dab sie auch anderen Quellen, besonders der Blutbahn, entstammen kann. Ffir die 6rtliche Entstehung der Wa.R. im Liquor bei tier Paralyse sprecheu ja eine ganze Reihe yon Faktoren, besonders auch jene yon mir zuerst beschriebene und yon anderen Autoren best/~tigte Tatsache, dab wir eine stark positive Wa.R. tier Cerebrospinalflfissigkeit linden kSnnen bei absolut negativer Wa.R. des Blutes. In solchem Falle mfissen wit also zumindest die Hauptquelle ffir die Entstehung der Wa.R. im Liquorraum bzw. im Zentralnervensystem suchen. Ieh babe aueh an anderer Stelle darauf hingewiesen, dab diese stark positive Wa.R. im Liquor auch vorhanden sein kann bei fehlender EiweiBvermekrung, woffir ich F/file vorgebracht kabe, und dab vor allem eine ausgesprochene Globulinvermehrung nickt unbedingt die Grundlage ffir diese Wa.R. abgeben muB. Ferner ist zu b.edenken, dab die keutigen Versucke fiber die AntikSrperproduktion im Liquorraum, die wir ja F. Plaut, Grabow, Illert, Mutermilch, Neu/eld u. a. verdanken, uns nur zeigen, dab eine sehwaehe und yon jener im Blut etwas versckiedene Antik6rperproduktion wohl anzunekmen ist. Die lokale Entstehung der Wa.R. wfirde aber auf eine sehr starke Antik6rperproduktion schliel]en lassen, wenn wir uns den modernen Anschauungen fiber die Entstekung der Wa.R. anschliel]en. Wir stehen bier vor Widersprfichen, die sehwer zu 16sen sin4 1. Man k6nnte annehmen, dab die Wa.R. im Liquor aueh hervorgerufen wird direkt durch lipoidartige K6rper, die dem Abbau des Zentralnervensystems entstammen. Daffir sprechen auch Beobachtungen yon Gezzano und mir, die dahingehen, dab zumindest ein Teil der die Wa.R. gebenden K6rper sich dureh Atkerschfittelung aus dem Liquor ent- fernen 1/il~t und dal~ naeh Verciunsten des Jkthers und Aufl6sung der Rfick- st/inde in Koehsalzl6sung die stark positive Wa.R. in dieser Flfissigkeit wieder zu erhalten ist. Auch auf diesem Gebiet werden also eingehende

1 In jiingster Zeit ist gefunden worden, dab das Gehirn der Sitz einer starken Antik6rperproduktion sein kann. Es wtirde dann die starke, sehwere Wa.R. im Liquor ein Spiegel dieser Antik6rperprozesse sein k6nnen.

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Forschungen n6tig sein und vielleicht wird uns hier die neue Arbeits- richtung der LipoidantikSrpefforschung, die ja repr~sentiert ist dureh die Namen H. Sachs, F. Georgi, Witebsky, Stein/eld, Hirsz/eld, Plaut und viele andere, die LSsung geben. Von Wichtigkeit ist ja hier auch, da~ 4urch die Malariabehandlung der Paralyse die positive Wa.R. der Cerebrospinal- flfissigkeit sclmeller abgeschwiicht wird, als die Herabsetzung der EiweiBwerte erfolgt. Der die positive Wa.R. gebende biologische Vorgang muB also mehr die Folge eines aktiven Prozesses im Zentralnervensystem sein, der leichter durch die Malariabehandlung beeinfluBt wird als jener Vorgang, der die Vermehrung der EiweiSkSrper hervorruft. Wir sehen bier wieder ein reizvolles Forschungsgebiet und bemerken, wie welt uns die genetisch-funktionelle Betrachtung der einzelnen Fraktionen vor- ws ffihrt.

Von biologischen Reaktionen w~re welter zu erw~hnen die Hgmo- lysinreaktion. Hier haben ja alle Nachuntersucher festgestellt, dab die Befunde von Weil-Ka/ka sich im groI3en und ganzen bewahrheitet haben, dab niimlich d~s Charakteristische fiir die Paralyse den Ubergang des h~molytisehen Normalamboeeptors in die Cerebrospinalfliissigkeit dar- stellt, w~l~'end Komplement nur selten und in geringen Mengen vorhanden ist, so dab wir yon diesem KSrper absehen kSnnen. Es ist nun yon F. Plaut und F. K. Walter der Einwand gemacht worden, dab es nieht mit Sicherheit feststeht, da~ die Hitmolysinreaktion eine Permeabflit~ts- reaktion ist. Es kSnnte der Normalamboceptor auch lokal in Liquor gebfldet werden. Ftir diese letztere Annahme fiihrten die Autoren nur an, dab es F~lle gibt, bei denen einer positiven H~molysinreaktion im Liquor ein negativer Normalamboceptorbefund des Serums gegen- iibersteht. Ich habe diesbeztiglich darauf bingewiesen, dab bier ein Unterscbied der Methode die Ursache bildet, indem man n~mlich den Liquor bei der H~molysinreaktion in frischem Zustande verwendet, w~hrend das Serum zum Normalamboceptornachweis inaktiviert wird. Ich babe durch Brinkmann zeigen lassen, dab bei Verwendung der Ki~lte- und Salztrennungsmethode sieh in solchem Falle der Normal- amboceptor im Blut stets naehweisen l ~ t . Wir haben vorls kein einziges Argument, da~ gegen den Charakter der Hi~molysinreaktion als einer Permeabflit~tsreaktion sprieht. Wir miissen also abschlie~end sagen, da~ wir bis auf weiteres die H~molysinreaktion bei der Paralyse lediglieh als Zeichen der erhShten meningealen Permeabilititt anzusehen haben, l~ber dieses Kapitel werden wir iibrigens noch ein paar Worte sagen.

In diesem Zusammenhange w/~re noch anderer Be/unde bei der Paralyse zu gedenken, vor allem des Liquorzuckers. Neuere Arbeiten haben gezeigt, wenn aueh dieses Kapitel noeh nicht abgeschlossen ist, wie notwendig es ist, gerade bei der Beurteilung des Liquorzuekers aueh den Blutzueker zu beriicksichtigen. Soviel ich weiB, bestehen abet

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kaum Arbeiten, die in dieser Weise vorgegangen sind. Wir wollen daher an dieser Stelle in erster Linie auf die Verminderung des Liquorzuckers eingehen. Jacobowsky sagt diesbezfiglich, dab in den yon ikm unter- suchten F~llen die Blutzuckerwerte kaum yon denen normaler Menschen abweichen, besonders, wenn die Untersuchungen bei niichternem Magen gemacht worden sind. Aber auch die Liquorwerte unbehandelter und behandelter Paralysen zeigten ,,Durchschnittswerte, die untereinander und mit den Mittelwerten gesunder Menschen fibereinstimmen". Immer- lfin konnten wir F~lle beobachten, in deneu der Liquorzucker deutlich vermindert war. Auf einen solchen Fall haben wir schon hingewiesen. Es war jener Fall, auf den wit noch in der Zusammenfassung zurfick- kommen werden, bei dem eine starke Zellvermehrung bestand, die hauptsi~chlich sich aus Lymphocyten zusammensetzte. Bei der ersten Liquoruntersuchung war Zucker fiberhaupt nicht nachzuweisen, bei der zweiten, eine Woche spi~ter, fund sich eine starke Verminderung. Leider sind in diesem Fall die Blutzuckerwerte nicht bestimmt worden. Es liegt aber kein Grund vor, eine starke Verminderung des Blutzuckers in diesem Falle anzunehmen u n d e s diirfte notwendig sein, die Zucker- verminderung aus dem Liquor heraus selbst zu erkliiren. Wir wissen heute, dab bei der Meningitis die Verminderung des Liquorzuckers auf die Wirkung der Bakterien und auch der Zellen zuriickgefiihrt wird. Die Annahme einer st~rkeren glykolytischen Wirkung in solchem Falle wird abgelehnt, besonders, wenn der Liquor, wie in unserem Falle frisch untersucht wurde. Leider ist der Liquor auch nicht auf Milchs~ure unter- sucht worden um feststellen zu k6naen, ob die Zuckerverminderung eine primiire ist oder ob sie attf Grund irgendwelcher zuckerspaltender Faktoren zustande gekommen ist. Jedenfalls muB man solche Befunde besonders hervorheben, ihre Erkl~rung ist schwierig. Es ist auch fest- zustellen, dab in dem erw~hnten Falle trotz erh6hter Permeabilit~t ein ~bertritt des Blutzuckers oder seiner Teile in den Liquor nicht erfolgt ist. W~hrend des Malariafiebers kommt es zu leichten Zuckervermehrungen im Liquor, die abet nach den Untersuchungen yon Jacobowsky wokl auf die Erh6hung des Blutzuckers zuriickzufiikren ist. Bezfiglich der Chloride im Paralytikerliquor sind besondere Ver~nderungen im allgemeinen nicht berichtet worden. Jacobowslcy finder eine leichte Verminderung gegeniiber den Normalwerten. W~krend der Impfmalaria linden sich Verminderungen der Chloride des Liquors, die wohl auf jene des Serums zurfickzuffihren sind. Auch beziiglich des Reststickstoffes k6nnen wir die Arbeiten yon Jacobowslcy heranziehen, aus denen sich ergibt, dab bei unbehandelten und behandelten Par~lysen der Durchschnittswert des Reststickstoffes im Liquor erh6ht ist, w~hrend er im Serum ungefghr mit jenem gesunder Menschen korrespondiert. W~hrend des Malaria- fiebers ist der Liquorreststickstoff um etwa 1/6 des Wertes erh6ht. Hier sind die Beziehungen zu dem Reststickstoff des Blutes nicht genfigend

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deutlich. In jtingster Zeit konnte auch Riebeling in meinem Laboratorium nachweisen, dab Tryptophanderivate in besonders groBer Vermekrung sieh im Liquor der Paralyse linden, wobei sick zeigte, dab als Folge der Malariabehandlung eine st~rkere Vermehrung festzustellen ist. Ich babe diese Befuncle vorl~ufig nur erw~knt, weft ich noch in der Zusammen- stellung der Bedeutung des Gesamtliquorbildes auf sie zurtickkommen muG.

Bevor wir auf das Liquorbild der Paralyse, soweit ich es bisher zu skizzieren versucht babe, zusammenfassend iibergeken, mtissen wir nock ein Wort tiber die Frage der meningealen Permeabilit~it bei der Paralyse verlieren. ~ber dieses Kapitel wurde mehrfach diskutiert. F . K . Walter steht in seinem Buch auf dem Standpunkt, dab bei 830/0 der Fs von Paralyse eine ErhShung mit Hilfe der Brommes nachzuweisen ist. Walter weist auch selbst auf die (~bereinstimmung mit der H~molysin- reaktion kin, wodurch ja auch mit ein neuer Beweis ftir die Natur der H~molysinreaktion als Permeabilit~tsreaktion gegeben ist. Freilich mug besonders betont werden, dab das, was ftir das Bromion gilt, noch lange nicht ftir Kolloide gelten braucht, selbst wenn man sick auf den Stand- punkt der quantitativen Betrachtung des Permeabilit~tsproblems stellt, ein Standpunkt, den ich ja oben schon zurtickgewiesen babe. Bevor wir aber auf die Frage ni~ker eingehen, mtissen wir uns klar machen, ob wir durch unsere Art der Liquorforschung etwas tiber das Permea- bflit~tsproblem in Erfakrung bringen kSnnen. F . K . Walter hat sick schon in seinem Buch dartiber ges indem er vor allem Permea- bilit~t und EiweiBbefunde einander gegeniiber gestellt hat. Dieses Vor- geken kann aber so lunge nicht von klaren Ergebnissen begleitet sein, als wir tiber die EiweiBwerte im Blutserum und Plasma zu wenig wissen. Wir haben auch noch nieht die geeignete Methodik. In meinem Labora- torium hat zwar Scheiner mit der Robertsonscken Methode die Messung der SerumeiweiBkSrper begonnen, dock ist diese Methodik fiir Reiken- untersuehungen zu kompliziert. Andererseits ist die EiweiBrelation bei der Serumbestimmung insofern yon gewissen Fehlern begleitet, als man mit stark verdtinntem Serum arbeiten muB. Aber selbst wenn wir in der Lage sein werden, Paralleluntersuchungen des Serum- und Liquor- eiweiBes in Fallen yon Paralyse vorzunehmen, wird es n6tig sein, etwas tiber die besonders organspezifische Eigenart des EiweiBk6rpers zu wissen, um die Permeabflit~tsfrage klar beantworten zu k6nnen. Im allgemeinen zeigt gerade das Studium des Liquorbildes der progressiven Paralyse, dab das Permeabilitiitsproblem noch yon vielen R~tseln umgeben ist; denn wir linden eine erhSkte Permeabflit~t ftir Brom und ftir den h~mo- lytischen Normalamboceptor, ohne dab andererseits wieder ein ~ber- t r i t t yon anderen Kolloiden oder Kristalloiden des Blutserums vorhanden ist. Es ist, wie wit schon geh6rt haben, diese Permeabflit~tsver~nderung auch sonst auf bestimmte K6rper beschr~nkt. Wir wissen, dab im Para-

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lyseliquor kein Komplement und kein Fibrinogen vorkommt. Ob also die Permeabilit/~tsver/~nderung der Paralyse als Zeichen der paralyti- schen Meningitis anzusehen ist, ist noch die Frage, und es sprieht auch vielleieht dagegen, dab die gleichen Befunde auch bei fast feMender Zell- vermehrung zu erheben sind. Die funktionell-genetische Liquofforschung zeigt uns also auch naeh dieser Richtung bin, dab wir Tiefenforschung der natfirliehen Verh/fltnisse treiben miissen und dab das reine Experiment, das scb_lieBlich immer bis zu einem gewissen Grade unnatiirliche Ver- h/~ltnisse sehafft, uns nieht immer eindeutige Ergebnisse bietet.

Wenn wir alles Gesagte zusammen/assen, so sehen wir in dem Liquor- bild der progressiven Paralyse ein Syndrom yon gr6Btem Interesse. Gerade eine Zusammenstellung wie diese zeigt, wie dringend notwendig es ist, jedes einzelne Symptom zuerst genau zu analysieren und es dann mit den anderen Erseheinungen in Beziehung zu setzen und alles auf m6glichst breiter Basis aufzubauen. Im Vordergrunde steht ] a im para- lytisehen Liquorbild ffaglos jener Erseheinungskomplex, der die Gehirn- erkrankung wiederspiegelt, also die grSBtenteils lokal entstandenen LipoidantikSrper und die qualitative und quantitative charakteristische und auch zum gr6Bten Teil aus der Erkrankung des Gehirns stammende EiweiBvermehrung. Diese trotzt auch am meisten der Malariabehandlung, w/~hrend das erstgenannte Ph/~nomen, das ja zu den Lipoiden des Zentral- nervensystems und des Liquors in Beziehung steht, schneller und weit- gehender ausschaltbar ist. Es steht also, wie das Liquorbild zeigt, vor allem die Gehirnerkrankung im Vordergrunde. Sie weiter mit Hilfe empfindlicher Methoden zu erforscken, muB unser n~chstes Ziel sein. Wir wissen aber ferner, dab die Pforten, wie wir oben gehSrt haben, zum Liquor in bestimmter Weise ge6ffnet sind, dab wir aber diese Permeabilit/~tsver/~nderung, die ein ganz besonders charakteristisehes Bild hat, wenn wir aueh den Liquorbefund analysieren, nieht rein auf die Meningitis beziehen k6nnen, sondern dab auch andere pathologische Ver- /~nderungen, sei es in den Meningen, sei es in anderen Geweben, zu dieser Erscheinung fiikren miissen. Es ist nun yon hSchstem Interesse, dab unter der Malariabehandiung gerade dieses Ph/~nomen schwinden kann und so wird auch kier wieder ein eingehendes Studium uns wolff diese besondere Ver/~nderung aufkl/~ren k6nnen. Die Vermehrung des Amino- stickstoffes und der Tryptophanderivate, die wir bei der Paralyse linden, deuten aueh wohl auf einen gesteigerten Zeffall von Gewebssubstanz hin. Interessant ist, dab dieser Zerfall unter der Malariabehandlung, wie Riebeling gezeigt hat, etwas st/~rker wird. Wir werden also in ibm nieht lediglich ein prognostisch ungiinstiges Symptom zu sehen haben. Finden wir bei der Paralyse eine starke Zellvermehrung, so kSnnen die beiden Bflder entstehen, die ich im nachfolgenden noch ausfiihrlich besprechen m6chte.

In der Tabelle habe ich ausffihrlick die beiden schon erw/~hnten F~lle aufgezeichnet. Diese sind funktionell-genetiseh betraehtet verschieden

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attfzufassen. In dem 1. Falle Lii. sehen wir das paralytiscke Liquorbild noch kombiniert mit dem Bride der syphriitischen Meningitis. Wir werden Grund haben anzunehmen, dab solche F~lle, besonders wenn sie einer Malariabehandlung unterzogen werden, prognostisch giinstig verlaufen werden im Sinne aller jener Autoren, die das Auftreten einer akut-menin- gitischen Reaktion fiberl~aupt als fiir die Prognose nicht ungiinstig an- sehen. Ganz im Gegensatz dazu steht der Befund des 3. Falles. Hier zeigt uns gerade das Auftreten yon polynukle~ren Lymphocyten im Liquor in Verbindung mit dem typischen Liquorbild das intensive Erscheinen eines ganz akuten Insults, der in diesem Falle auch zum Tode geffihrt hat. F~lle, die ~hnlich gelagert sind, werden wir auch vom funktionell- genetischen Standpunkt aus ~thnlich beurteilen miissen und wit werden doch immerhin behaupten k6nnen, dab die funktionell-genetische Analyse uns schon einen Schritt welter geffihrt hat. Es muB aber ganz besonders betont werden, dab alle Schlfisse, die wir aus Ver~nderungen des Liquor- brides ziehen, besonders im Laufe einer Behandlung, unbefriedigend sein mfissen, so lange wir nicht eine ganz deutliche Einsicht in das Zustande- kommen des unbeeinfluBten paralytischen Liquorbefundes haben, bevor uns also die funktionell-genetische Analyse nickt m6glichst befriedigende und weitgehende Aufschliisse gibt. DaD dazu noch viel Arbeit n6tig ist und dad sich eine groBe Reihe yon Problemen auf diesem Wege ergeben, das glaube ich mit obigem Versuche geniigend gezeigt zu haben. In einer zweiten Arbeit soll die funktionell-genetische Analyse der akuten nichtsyphriitischen Me~_ingitis versucht werden und es wird dann vielleicht die M6glichkeit bestehen, weitere Streiflichter zu dem bier besprochenen Gebiet beizubringen.