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Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern Ð eine Mikrosimulationsstudie für Deutschland* Miriam Beblo 1 , Charlotte Lauer 2 und Katharina Wrohlich 3 Der Ausbau von Ganztagsschulen genießt derzeit Ð u. a. auf Grund des schlechten Abschneidens deutscher Schüler bei der PISA-Studie Ð hohe Priorität in der politi- schen Agenda. In diesem Beitrag soll untersucht werden, wie sich der Ausbau von Ganztagsschulen auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Kindern im Grundschul- alter auswirken wird. Hierfür schätzen wir ein strukturelles Arbeitsangebotsmodell, in dem die Kosten der Nachmittagsbetreuung explizit berücksichtigt werden. Unsere Politiksimulationen zeigen, dass im Fall einer flächendeckenden Versorgung mit Ganz- tagsschulen erhebliche Arbeitsangebotseffekte zu erwarten wären: Die Erwerbsbeteili- gung der Mütter würde um 4 Prozentpunkte in West- und um einen Prozentpunkt in Ostdeutschland steigen. Ihre durchschnittliche Arbeitszeit würde sich um mehr als 16 Prozent in West- und um 5 Prozent in Ostdeutschland erhöhen. Ein realistischeres Szenario, das derzeit im Rahmen des Bundesinvestitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ implizit angestrebt wird, ist die bundesweite Erhöhung der Versor- gung mit Ganztagsschulplätzen auf 30 Prozent. In diesem Fall würde sich nach unserer Berechnung die Partizipationsquote in Westdeutschland um knapp einen Prozentpunkt erhöhen, die durchschnittliche Arbeitszeit würde um 4 Prozent steigen. In Ostdeutsch- land ist mit niedrigeren Effekten zu rechnen, da das dort vorhandene Angebot an Hortplätzen und Ganztagsschulen bereits heute eine Erwerbstätigkeit beider Eltern- teile eher ermöglicht als in Westdeutschland. Gliederung 4 Beschreibung der Daten 5 Ergebnisse 1 Einführung 5.1 Ergebnisse der Schätzung 2 Institutioneller Hintergrund und deskriptive Evidenz 5.2 Ergebnisse der Politiksimulatio- nen 2 Das Modell 6 Schlussfolgerungen 3.1 Theoretischer Hintergrund Literatur 3.2 Ökonometrische Umsetzung * Wir danken Oliver Makowski für seine Forschungsassistenz sowie Peter Haan, Viktor Steiner und zwei anonymen GutachterInnen für wertvolle Kommentare und Anregungen. Katharina Wrohlich dankt außer- dem der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Unterstützung im Rahmen des Schwerpunkt- programms „Flexibilisierungspotentiale auf heterogenen Arbeitsmärkten“, Teilprojekt „Arbeitsmarktflexibi- lisierung durch Subventionierung der Sozialbeiträge im Niedriglohnbereich Ð Eine Mikrosimulationsstudie für Deutschland“. Der Beitrag liegt in der alleinigen Verantwortung der Autorinnen. 1 FHW Berlin und ZEW Mannheim; e-mail: [email protected] 2 ZEW Mannheim; e-mail: [email protected] 3 DIW Berlin und IZA, Bonn; e-mail: [email protected] ZAF 2 und 3/2005, S. 357Ð372 357

Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern Ð eine

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Page 1: Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern Ð eine

Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung vonMüttern Ð eine Mikrosimulationsstudie fürDeutschland*

Miriam Beblo1, Charlotte Lauer2 und Katharina Wrohlich3

Der Ausbau von Ganztagsschulen genießt derzeit Ð u.a. auf Grund des schlechtenAbschneidens deutscher Schüler bei der PISA-Studie Ð hohe Priorität in der politi-schen Agenda. In diesem Beitrag soll untersucht werden, wie sich der Ausbau vonGanztagsschulen auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern mit Kindern im Grundschul-alter auswirken wird. Hierfür schätzen wir ein strukturelles Arbeitsangebotsmodell,in dem die Kosten der Nachmittagsbetreuung explizit berücksichtigt werden. UnserePolitiksimulationen zeigen, dass im Fall einer flächendeckenden Versorgung mit Ganz-tagsschulen erhebliche Arbeitsangebotseffekte zu erwarten wären: Die Erwerbsbeteili-gung der Mütter würde um 4 Prozentpunkte in West- und um einen Prozentpunkt inOstdeutschland steigen. Ihre durchschnittliche Arbeitszeit würde sich um mehr als 16Prozent in West- und um 5 Prozent in Ostdeutschland erhöhen. Ein realistischeresSzenario, das derzeit im Rahmen des Bundesinvestitionsprogramms „Zukunft Bildungund Betreuung“ implizit angestrebt wird, ist die bundesweite Erhöhung der Versor-gung mit Ganztagsschulplätzen auf 30 Prozent. In diesem Fall würde sich nach unsererBerechnung die Partizipationsquote in Westdeutschland um knapp einen Prozentpunkterhöhen, die durchschnittliche Arbeitszeit würde um 4 Prozent steigen. In Ostdeutsch-land ist mit niedrigeren Effekten zu rechnen, da das dort vorhandene Angebot anHortplätzen und Ganztagsschulen bereits heute eine Erwerbstätigkeit beider Eltern-teile eher ermöglicht als in Westdeutschland.

Gliederung 4 Beschreibung der Daten

5 Ergebnisse1 Einführung

5.1 Ergebnisse der Schätzung2 Institutioneller Hintergrund unddeskriptive Evidenz

5.2 Ergebnisse der Politiksimulatio-nen2 Das Modell

6 Schlussfolgerungen3.1 Theoretischer Hintergrund

Literatur3.2 Ökonometrische Umsetzung

* Wir danken Oliver Makowski für seine Forschungsassistenz sowie Peter Haan, Viktor Steiner und zweianonymen GutachterInnen für wertvolle Kommentare und Anregungen. Katharina Wrohlich dankt außer-dem der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Unterstützung im Rahmen des Schwerpunkt-programms „Flexibilisierungspotentiale auf heterogenen Arbeitsmärkten“, Teilprojekt „Arbeitsmarktflexibi-lisierung durch Subventionierung der Sozialbeiträge im Niedriglohnbereich Ð Eine Mikrosimulationsstudiefür Deutschland“.Der Beitrag liegt in der alleinigen Verantwortung der Autorinnen.1 FHW Berlin und ZEW Mannheim; e-mail: [email protected] ZEW Mannheim; e-mail: [email protected] DIW Berlin und IZA, Bonn; e-mail: [email protected]

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Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern Miriam Beblo, Charlotte Lauer und Katharina Wrohlich

1 Einführung

Der Ausbau von Ganztagsschulen steht derzeit imMittelpunkt der bildungspolitischen Diskussion inDeutschland. Als Reaktion auf das schlechte Ab-schneiden deutscher Schülerinnen und Schüler inder PISA-Studie (OECD 2001) hat die Bundesre-gierung im Jahr 2003 mit dem Investitionsprogramm„Zukunft Bildung und Betreuung“ beschlossen, dieLänder beim Ausbau von Ganztagsschulen mit ins-gesamt 4 Mrd. Euro zu unterstützen.4 Gemäß derVereinbarung können diese Mittel für „Ausbau undWeiterentwicklung“ neuer Ganztagschulen, die„Schaffung zusätzlicher Plätze“ an bestehendenGanztagsschulen oder die „Qualitative Weiterent-wicklung“ von Ganztagsangeboten verwendet wer-den. Die Schwierigkeit bei der Bewertung der rea-len Konsequenzen dieser finanziellen Unterstüt-zung Ð z.B. in Bezug auf zusätzliche Schulplätzeoder Schulstunden Ð besteht darin, dass wenig überdie Kosten des Baus und Betriebs von Ganztags-schulen bekannt ist. Wenn man die Kostenschätzun-gen der Länder Nordrhein-Westfalen und Rhein-land-Pfalz zu Grunde legt, betragen die Investitions-kosten für einen Ganztagsschulplatz 4570 Euro unddie laufenden Kosten (inkl. Personalkosten) zwi-schen 1200 und 1400 Euro pro Jahr (Landtag Nord-rhein-Westfalen 2005, Bundesministerium für For-schung und Bildung 2004b und RechnungshofRheinland-Pfalz 2004). Würden also die 4 Mrd.Euro Investitionsförderung der Bundesregierungausschließlich für Grundschüler und ausschließlichfür die Schaffung zusätzlicher Plätze verwendet,könnten für diese Altersgruppe rund 875000 zusätz-liche Ganztagsschulplätze geschaffen werden. Diesentspräche einer Erhöhung der Versorgungsquotemit Ganztagsschulplätzen für Grundschüler um 26Prozentpunkte. Bei einer derzeitigen Versorgungs-quote von 4 Prozent hätte das Bundesprogramm im-plizit also eine durchschnittliche Versorgung von30 Plätzen je 100 Kinder zum Ziel.

Bevor allerdings bildungspolitische Argumente stär-ker in den Vordergrund der öffentlichen Debattegerückt sind, wurden diese eher als zweitrangig er-achtet (Radisch und Klieme 2003). Vielmehr wur-den arbeitsmarkt- und sozialpolitische Argumenteals Begründung für die Ausweitung eines ganztägi-gen Schulangebotes angeführt. Insbesondere die zu-nehmende Erwerbsorientierung von Müttern, aberauch die Verbreitung von Ein-Eltern-Haushaltenführt zu einem höheren Bedarf an ganztägigen Be-treuungsangeboten und verschärft den Konflikt umdie Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So zeigen

4 vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2004a).

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empirische Studien, dass die Erwerbsbeteiligungvon Müttern mit Kleinkindern v.a. durch fehlendeBetreuungsmöglichkeiten eingeschränkt ist (vgl.z.B. Büchel und Spieß 2003). Obwohl jüngere Schul-kinder ebenso einer Betreuung bedürfen wie Klein-kinder, liegt eine entsprechende Studie für Schulkin-der bisher nicht vor. Insbesondere gibt es nochkeine empirische Evidenz zu der Frage, ob sich derzeitliche Umfang des schulischen Betreuungsange-bots in Form von Halbtagsschulen oder Ganztags-schulen spürbar auf das Erwerbsverhalten der Müt-ter auswirkt und ob folglich eine Ausweitung desAngebots an Ganztagsschulen einen Einfluss auf dieFrauenerwerbstätigkeit in Deutschland hätte.

Ziel dieses Beitrags ist es daher zu untersuchen, in-wieweit das Arbeitsangebot von Frauen mit jünge-ren Schulkindern von der Verfügbarkeit von Ganz-tagsschulplätzen abhängt. Dabei ist es für die Ana-lyse nicht von Bedeutung, ob die Nachmittagsange-bote explizit pädagogische Ziele verfolgen oderlediglich die Betreuung der Kinder gewährleisten.Vielmehr ist die Möglichkeit der ganztägigen Be-treuung relevant, sowie der Preis zu dem diese be-reitgestellt wird. Für die empirische Analyse ver-wenden wir ein Modell, das die Arbeitsangebotsent-scheidung als diskrete Entscheidung über die Ar-beitsstunden modelliert, u.a. in Abhängigkeit vomHaushaltseinkommen sowie den Schul- und anderenBetreuungskosten, die sich aus den möglichen Ar-beitszeit-Alternativen bestimmen. Mit Hilfe derAnalyse können Erkenntnisse gewonnen werden,ob und inwieweit zu erwarten ist, dass die Initiativeder Bundesregierung zur Ausweitung der Ganztags-schulquote zu einer Erhöhung der Erwerbsbeteili-gung von Müttern führen könnte.5

Zu diesem Zweck stellen wir nun zunächst die Be-deutung der Ganztagsschule und alternativer Be-treuungsarrangements von Familien in Deutschlandvor. Hierzu stützen wir uns sowohl auf offizielle Sta-tistiken als auch auf Mikrodaten des Sozio-Oekono-mischen Panels (SOEP)6, welche auch die Basis un-serer Simulationsrechnungen bilden werden. Im An-schluss beschreiben wir das ökonomische Modellund seine ökonometrische Umsetzung im Mikro-simulationsmodell STSM7, mit dem wir verschie-

5 Der Interpretierbarkeit eines solchen Nutzenmodells sind inso-fern Grenzen gesetzt, als dass vereinfachende Annahmen getrof-fen werden müssen (vgl. Abschnitt 3). Der Vorteil eines struktu-rellen Nutzenmodells ist jedoch, dass hierbei Verhaltensparame-ter geschätzt werden können, mit deren Hilfe Wirkungen von Po-litikreformen quantifiziert werden können.6 Das SOEP ist eine repräsentative jährliche Befragung privaterHaushalte in Deutschland, die vom DIW Berlin gemeinsam mit In-fratest Sozialforschung durchgeführt wird. Vgl. www.diw.de/soep.7 Das STSM wurde ursprünglich am ZEW entwickelt (Beschrei-bung siehe Jacobebbinghaus und Steiner 2003) und u. a. um die

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Miriam Beblo, Charlotte Lauer und Katharina Wrohlich Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern

dene Reformszenarien durchspielen und ihre Ef-fekte auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern er-mitteln wollen. Im einzelnen analysieren wir dieWirkungen (1) eines flächendeckenden Ausbausvon Ganztagsschulen als Extremszenario, (2) einerAusweitung der durchschnittlichen Versorgungs-quote mit Ganztagsschulplätzen von derzeit 4 auf30 Prozent gemäß des 4-Mrd.-Investitionsprogrammsder Bundesregierung und (3) einer gleichmäßigenErhöhung der Versorgungsquote um 10 Prozent-punkte über alle Bundesländer hinweg. Wir präsen-tieren die zu erwartenden Effekte auf die Nettoein-kommen und das Arbeitsangebot von Müttern, ge-trennt nach Ost- und Westdeutschland. Abschlie-ßend diskutieren wir die Simulationsergebnisse vordem Hintergrund der damit verbundenen Kostenund Realisationswahrscheinlichkeiten.

2 Institutioneller Hintergrund unddeskriptive Evidenz

Die Halbtagsschule hat in Deutschland eine langeTradition. Diese gründet auf der Vorstellung, dassdie Schule eine reine Bildungsaufgabe habe, wäh-rend die Verantwortung für die Kindererziehung beiden Familien liege und der Staat hier folglich nur imNotfall und ergänzend einzugreifen habe (Gott-schall und Hagemann 2002). Mit einem auf wenigeStunden pro Tag beschränkten Schulunterricht undwenigen subventionierten Betreuungsangebotensetzt die Halbtagsschule in der Regel eine traditio-nelle Rollenverteilung innerhalb der Familie voraus,bei der eine gar nicht oder in Teilzeit erwerbstätigeMutter die Kindererziehung und -betreuung über-nimmt, während der Vater der Familienernährer ist.Dieses Familienmuster, wenn auch nach wie vor ver-breitet, erodiert zu Gunsten neuer Lebensformenwie z.B. Ein-Eltern-Haushalten. Gleichzeitig steigtdie Frauenerwerbstätigkeit kontinuierlich und Fami-lien können seltener als zuvor auf private Netz-werke für die Kinderbetreuung zurückgreifen.Schon allein diese Entwicklungen stellen das Modellder Halbtagsschule vor eine Zerreißprobe Ð abgese-hen von den bildungspolitischen Argumenten, dieinfolge der PISA-Studie an Bedeutung gewonnenhaben.

Der Begriff „Ganztagsschule“ steht für eine zeitlicherweiterte Schule. Der Umfang sowie die Gestal-tung dieser zeitlichen Erweiterung des Schulbetriebskönnen jedoch von Schule zu Schule variieren. Da-

Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten am DIW erwei-tert (Beschreibung siehe Steiner et al. 2005).

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rüber hinaus wird die Ganztagsschule in jedem Bun-desland unterschiedlich definiert. Aus diesemGrund verwendet die Kultusministerkonferenz einebundeseinheitliche Definition: Ganztagsschulensind demnach Schulen im Primar- und Sekundarbe-reich I, an denen an mindestens drei Tagen in derWoche ein ganztägiges Angebot von mindestens sie-ben Stunden täglich (inkl. Mittagessen) bereitge-stellt wird, das in einem konzeptionellen Zusam-menhang mit dem Vormittagsunterricht steht (Kul-tusministerkonferenz 2004). Dabei werden drei For-men unterschieden:

Ð die voll gebundene Form: Alle Schüler sind ver-pflichtet, am Ganztagsangebot teilzunehmen; DerUnterricht wird meist auf den ganzen Tag verteiltund alterniert mit Freizeit- und den Unterricht er-gänzenden Angeboten.

Ð die teilweise gebundene Form: Ein Teil der Schü-lerschaft verpflichtet sich, am Ganztagsangebotteilzunehmen.

Ð die offene Form: Die Teilnahme am Ganztagsan-gebot ist freiwillig und kann auch in Kooperationmit anderen Trägern, z.B. der Kultur- und Jugend-arbeit, erfolgen.

Darüber hinaus gibt es weitere Formen von Ganz-tagsangeboten, bei denen der inhaltliche Schwer-punkt stärker auf dem Aspekt der Betreuung alsdem der Bildung liegt.

Tabelle A4 im Anhang zeigt die in Deutschland ver-fügbaren Plätze in Ganztagsschulen als Anteil derKinder für unterschiedliche Schultypen und ge-trennt nach Bundesländern für das Schuljahr 2002/2003. Die Verfügbarkeit von Plätzen in Ganztags-schulen variiert sehr stark mit der Schulform unddem Alter der Schüler. Nur knapp 10 Prozent derSchüler an allgemein bildenden Schulen sind Ganz-tagsschüler. Die wenigsten Ganztagsschulplätze gibtes in Bayern (nur 2,3 Prozent aller Schüler), diemeisten in Sachsen, Berlin und Thüringen (über 20Prozent). Hessen und Nordrhein-Westfalen zählenebenfalls vergleichsweise viele Ganztagsschüler.Auch die Ausgestaltung der Plätze in Ganztagsschu-len variiert stark zwischen den Ländern. In Sachsen,Thüringen und Hessen beispielsweise gibt es mehr-heitlich Ganztagsschulplätze in offener Form, wäh-rend Berlin und Nordrhein-Westfalen überwiegendGanztagsschulen gebundener Form haben. Außer-dem sind Ganztagsschulen nicht in allen Schulfor-men gleichermaßen vertreten. An den integriertenGesamtschulen ist der Anteil der Ganztagsschüleram höchsten. Im Durchschnitt nehmen dort zweiDrittel aller Schüler am Ganztagsbetrieb teil, in Ba-

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Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern Miriam Beblo, Charlotte Lauer und Katharina Wrohlich

den-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nie-dersachsen und Nordrhein-Westfalen sogar über 90Prozent. Auch an den Haupt- und Sonderschulen istdas Angebot an Ganztagsplätzen überdurchschnitt-lich hoch, im Gegensatz zu den Realschulen undGymnasien, die am wenigsten Plätze anbieten (un-ter 4 Prozent). Für Grundschüler stehen im bundes-weiten Durchschnitt nur rund 4 Prozent aller Plätzeals Ganztagsplätze zur Verfügung.

In unserer Studie steht die Betreuungsfunktion derGanztagsschule im Vordergrund. Für Kinder er-werbstätiger Eltern, die keine Ganztagsschule besu-chen, muss ein anderes Betreuungsarrangement or-ganisiert werden. Neben Ganztagsschulen bietenHorte eine weitere Form der institutionellen Nach-mittagsbetreuung von Schulkindern. Die Versor-gung mit Hortplätzen ist in Westdeutschland eben-falls eher gering. Während in den meisten ostdeut-schen Bundesländern mehr als 50 Plätze pro 100Kinder zur Verfügung stehen, sind es in den west-deutschen Bundesländern oft weniger als 10 Plätze.Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verfügbarenPlätze in Ganztagsschulen und Horten für Kinderzwischen 61⁄2 und 10 Jahren nach Bundesländern.

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Im Vergleich zur offiziellen Statistik über die Ver-fügbarkeit von Betreuungsplätzen zeigen wir in Ta-belle 2 empirische Evidenz gewählter Betreuungs-formen auf Basis von Umfragedaten. Eine deskrip-tive Auswertung des SOEP zeigt, dass rund 45 Pro-zent aller Kinder im Grundschulalter erwerbstätigeMütter haben, 14 Prozent haben in Vollzeit erwerbs-tätige Mütter. Die Betreuungsarrangements für Kin-der Vollzeit erwerbstätiger Mütter variieren sehrstark zwischen Ost- und Westdeutschland. In Ost-deutschland findet die häufigste Nachmittagsbetreu-ung in institutioneller Form statt: 56 Prozent allerKinder mit Vollzeit erwerbstätigen Müttern besu-chen entweder einen Hort oder eine Ganztags-schule. In Westdeutschland trifft dies nur für weni-ger als ein Fünftel dieser Kinder zu. Eine weitereForm ist die Betreuung durch bezahlte Personen au-ßerhalb von institutionellen Einrichtungen (Tages-mütter, Babysitter usw.). 7 Prozent der Kinder inOst- und 9 Prozent der Kinder in Westdeutschlandmit Vollzeit erwerbstätigen Müttern werden aufdiese Art nachmittags betreut.

Berücksichtigt man, dass 13Ð14 Prozent der Kindermit Vollzeit erwerbstätigen Müttern Väter haben,

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Miriam Beblo, Charlotte Lauer und Katharina Wrohlich Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern

die nicht erwerbstätig sind, und weitere 1 Prozentin West- und 6 Prozent in Ostdeutschland Teilzeiterwerbstätige Väter haben, so bleiben immer nochmindestens8 33 Prozent aller Kinder in Ostdeutsch-land und sogar 53 Prozent in Westdeutschland, dieweder durch einen Elternteil noch innerhalb einesinstitutionellen bzw. anderen bezahlten Arrange-ments betreut werden. Das SOEP liefert einige An-haltspunkte darüber, wie diese Kinder betreut wer-den. So werden die Eltern gefragt, ob neben der be-zahlten Betreuung „gelegentlich“ auch Verwandteoder Freunde auf das Kind aufpassen, wobei dasStundenausmaß dieser informellen Betreuung nichterfasst wird. Dadurch bleibt offen, ob es sich umregelmäßige Arrangements handelt (z.B. wenn dasKind jeden Nachmittag bei einem Freund verbringtoder die Großmutter mehrmals pro Woche auf dasKind aufpasst) oder um gelegentliche Betreuungs-fälle. Selbst wenn man annimmt, dass alle diese Ar-rangements als regelmäßige Betreuung zu verstehensind, ist in Westdeutschland bei mindestens 9 Pro-zent aller Kinder mit Vollzeit erwerbstätiger Mutterdavon auszugehen, dass sie entweder sich selbstoder ggf. ihren älteren Geschwistern überlassenbleiben. Denkbar ist auch, dass aufgrund unüblicherArbeitszeiten (beispielsweise Schicht- oder Nachtar-beit) trotz Vollzeit Erwerbstätigkeit beider Eltern-teile eine Nachmittagsbetreuung der Kinder mög-lich ist.

8 Diese Werte sind untere Grenzen, da auch Kinder mit nichtoder in Teilzeit erwerbstätigen Vätern Horte bzw. Ganztagsschu-len besuchen können.

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Zusammenfassend können wir aus der hier präsen-tierten Evidenz festhalten, dass kostengünstige An-gebote zur Nachmittagsbetreuung von Schulkindernzumindest in Westdeutschland nur in geringem Um-fang vorhanden sind. Die Kosten, die mit einer Er-werbstätigkeit beider Elternteile einhergehen, kön-nen daher unter Umständen sehr hoch sein. Aus die-sem Grund würden wir a priori erwarten, dass eineAusweitung von Ganztagsschulen positive Effekteauf die Arbeitsangebotsentscheidung von Mütternhätte, da dadurch die privaten Betreuungskosten ge-senkt würden. Die Quantifizierung dieser Effekte istGegenstand der empirischen Analyse, die in dennächsten Abschnitten präsentiert wird.

3 Das Modell

3.1 Theoretischer Hintergrund

Die Schätzung des Arbeitsangebots von Müttern ba-siert auf einem strukturellen Nutzenmodell. Wirnehmen an, dass die Nutzenfunktion U einer Muttervon ihrer Freizeit l und vom Netto-Haushaltsein-kommen x abhängt,

U = u(l, x). (1)

Mit „Freizeit“ sind in diesem Kontext alle Aktivitä-ten außer Erwerbsarbeitszeit gemeint, d.h. wir un-terscheiden nicht zwischen purer Freizeit und ande-ren Nicht-Marktaktivitäten, wie z.B. Haushaltspro-

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Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern Miriam Beblo, Charlotte Lauer und Katharina Wrohlich

duktion. Das Netto-Haushaltseinkommen ist dastatsächlich verfügbare Einkommen. Diese Größebeinhaltet neben dem Arbeitseinkommen der Mut-ter (Lohn w multipliziert mit den Arbeitsstunden h)alle weiteren Einkommenskomponenten des Haus-haltes (Y) abzüglich der Kinderbetreuungskosten(ek) pro Kind multipliziert mit der Anzahl der Kin-der im Haushalt (n),

x = t(w · h + Y) Ð ek · n, (2)

wobei t(·) das Steuer-Transfersystem beschreibt. Ybeinhaltet sowohl das Arbeitseinkommen des Man-nes als auch das aller weiteren Haushaltsmitgliederund andere Einkommenskomponenten wie z.B. Ka-pitaleinkünfte oder Einkünfte aus Vermietung undVerpachtung. Dieser Modellierung liegt die An-nahme zugrunde, dass sich Mütter bei ihrer Er-werbsentscheidung am Netto-Haushaltseinkommenund nicht an ihrem individuellen Einkommen orien-tieren. Diese Annahme erscheint insbesondere fürverheiratete Paare plausibel, da durch die gemein-same Besteuerung von Ehegatten den Müttern einindividuelles Einkommen ohne zusätzliche Informa-tion über die Aufteilung des Einkommens im Haus-halt nicht zugeordnet werden kann.

Die Berücksichtigung der Kinderbetreuungskostenist für die Berechnung des Effekts, den eine Auswei-tung von Ganztagsschulplätzen hätte, von zentralerBedeutung. Übersteigt die Arbeitszeit der Elterndie Zeit, in der das Kind (bzw. die Kinder) in derSchule sind, muss eine andere Betreuungsform or-ganisiert werden. Für den Fall, dass Vater und Mut-ter ganztags erwerbstätig sind, gibt es in unseremModell vereinfachend drei Arten der nachmittägli-chen Betreuung von Schulkindern: Besucht dasKind eine Ganztagsschule, fallen (1) keine Betreu-ungskosten an. Besucht das Kind eine „normale“Halbtagsschule, muss es nachmittags entweder (2) ineinem Hort oder (3) durch eine andere bezahltePerson betreut werden.

In Tabelle 2 hatten wir gezeigt, dass laut SOEP nurrund die Hälfte aller Grundschüler in Westdeutsch-land (in Ostdeutschland sind es mehr als drei Vier-tel) mit Vollzeit erwerbstätigen Müttern entwederinstitutionell, von ihrem Vater oder von einer be-zahlten Person betreut werden; trotzdem nehmenwir in unserem Modell an, dass mit Ausnahme derBetreuung durch die Eltern jede andere Betreu-ungsform bezahlt werden muss, d.h. dass in diesemFall monetäre Kosten entstehen. Dies hat folgendeGründe: Zum einen beinhaltet das SOEP keine di-rekten Informationen über die Verfügbarkeit unbe-zahlter Betreuungsmöglichkeiten, sondern nur In-formationen über deren Nutzung. Zum anderen

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scheint es plausibel anzunehmen, dass selbst bei un-bezahlten Betreuungsformen (z.B. durch ältere Ge-schwister) Kosten entstehen, auch wenn sie nicht-monetärer Natur sind. Auch für den Extremfall,dass Grundschüler nachmittags sich selbst überlas-sen bleiben, konnte in empirischen Studien nachge-wiesen werden, dass erhebliche private und gesell-schaftliche Kosten entstehen können, z.B. in Formvon schlechteren Schulergebnissen dieser Kinder,die sich dann wiederum auf deren Arbeitsmarkt-chancen auswirken (vgl. dazu Aizer 2004). Nimmtman an, dass für die Erwerbsentscheidung von Müt-tern auch diese Art von Kosten eine Rolle spielt, solassen sich diese für unser Modell durch beobacht-bare monetäre Kosten wie Hortbeiträge oder amMarkt bezogene Leistungen operationalisieren.

Plätze in Ganztagsschulen oder in Horten sind mög-licherweise rationiert, d.h. zum gegebenen Preis (inForm von subventionierten Elternbeiträgen) ist dieNachfrage größer als das Angebot. Für Kinder imAlter von über 6 Jahren gibt es unseres Wissenskeine empirischen Schätzungen der Nachfrage nachBetreuungsplätzen. Wrohlich (2005a) zeigt jedochfür Kinder zwischen 0 und 6 Jahren, dass eine mas-sive Überschussnachfrage nach subventioniertenBetreuungsplätzen besteht. Geht man davon aus,dass auch für die Altersgruppe der Kinder von 7 bis10 Jahren Plätze in Ganztagsschulen oder Hortenrationiert sind, können als Betreuungskosten nichtnur die Elternbeiträge für Ganztagsschulen (kgts)oder Horte (khort) herangezogen werden, da zu die-sem „Preis“ nicht jedes Kind einen Platz bekommt.Vielmehr müssen Eltern auf Grundlage eines „Er-wartungswerts“ von Kinderbetreuungskosten (ek)über ihren Erwerbsumfang entscheiden. Dieser Er-wartungswert ist ein gewichteter Mittelwert, der vonder Wahrscheinlichkeit abhängt, dass ein Kind in ei-ner Ganztagsschule oder in einem Hort aufgenom-men wird (pgts bzw. phort). In dem Fall, dass ein Kindweder einen Platz in einer Ganztagsschule noch ineinem Hort bekommt, muss die Betreuung über an-dere bezahlte Betreuungspersonen, wie Tagesmüt-ter, Babysitter, Au-pairs etc., organisiert werden.Wir nehmen an, dass es bei dieser über den Marktbezogenen Betreuung keine Rationierung gibt. Dadiese Arrangements im Vergleich zu Hortplätzeni.d.R. nicht subventioniert werden, kann eine even-tuelle Überschussnachfrage über eine entspre-chende Erhöhung des Preises ausgeglichen werden.Wir bezeichnen die Kosten für diese Art von Be-treuung daher als „Marktkosten“ (kmarkt).

Formal lassen sich die erwarteten Betreuungskostenfür ein Kind wie folgt darstellen:

ek = pgts · kgts + phort · khort +(1 Ð pgts Ð phort) · kmarkt, (3)

wobei pgts + phort � 1.

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Miriam Beblo, Charlotte Lauer und Katharina Wrohlich Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern

Leben in einem Haushalt außerdem noch Kinderunter 7 Jahren, müssen auch für diese Kinder ent-sprechende Betreuungskosten angesetzt werden. Siewerden ebenfalls über einen Erwartungswert opera-tionalisiert (vgl. hierzu Wrohlich 2005b) und setzensich zusammen aus dem durchschnittlichen Eltern-beitrag eines Kindergartenplatzes und den Kosteneiner Tagesmutter, gewichtet mit den entsprechen-den Wahrscheinlichkeiten.

3.2 Ökonometrische Umsetzung

In der ökonometrischen Umsetzung des oben be-schriebenen Modells behandeln wir die Arbeitszeitder Mutter als diskrete Variable. Dadurch wird zumeinen der Tatsache Rechnung getragen, dass die Ar-beitsstunden aus institutionellen Gründen eher ei-ner diskreten als einer stetigen Verteilung folgen.Zum anderen muss das Haushaltsnettoeinkommendadurch nur für einige wenige Punkte berechnetwerden. Die genaue Berechnung des Einkommensin Abhängigkeit des Erwerbsumfanges ist aufgrundder Komplexität des Steuer- und Transfersystemseine notwendige Voraussetzung für eine adäquateAbbildung der Budgetrestriktion. Für die Schätzungdes Arbeitsangebots von Frauen ist dies von großerBedeutung, da u.a. aufgrund der gemeinsamen Be-steuerung von Ehegatten eine hohe Grenzbelastungbereits bei einer geringeren Anzahl von Arbeits-stunden auftreten kann.

Die Nutzenfunktion aus Gleichung (1) wird alsquadratische Funktion spezifiziert: Der Nutzenin-dex U in einer Auswahlkategorie k hängt vom Haus-halts-Nettoeinkommen und der Freizeit in dieserKategorie ab, die in Z zusammengefasst werden:

Uk (Zk) = ��Zk + εk. (4)

Der Vektor � enthält die Parameter der linearenund quadratischen Terme von Z.9 ε ist ein stochasti-scher Fehlerterm, der alle weiteren Einflussfaktorendes Nutzens enthält. Unter der Annahme der Nut-zenmaximierung wird eine Mutter Kategorie k dannauswählen, wenn der Nutzen in dieser Kategoriegrößer ist als in allen anderen Kategorien. In Wahr-

9 Dieses Modell ist ein Spezialfall des Modells von van Soest(1995), in dem die Arbeitszeit des Mannes und der Frau gleichzei-tig geschätzt werden. In unserem Modell wird die Arbeitszeit desMannes nicht variiert. Wir begründen dies mit der empirischenTatsache, dass das Arbeitsangebot von Männern weniger elastischbezüglich Änderungen der Rahmenbedingungen ist, wie z. B. vonBlundell und MaCurdy (1999) oder Steiner und Wrohlich (2004)für Deutschland gezeigt.

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scheinlichkeiten ausgedrückt, lässt sich diese Ent-scheidungsregel wie folgt darstellen:

P(Uk > Ul) = P((��Zk) Ð (��Zl) > εl Ð εk), "l � k. (5)

Wenn angenommen wird, dass die Fehlerterme εüber alle Kategorien identisch verteilt sind und ei-ner Extremwert-Verteilung folgen10, kann die Wahr-scheinlichkeit der Auswahl der oben definierten Ka-tegorien mittels des konditionalen Logit-Modells(McFadden 1973) geschätzt werden:

P(Uk > Ul) =exp(��Zk)

�m

exp(��Zm), "l � k, (6)

wobei im Nenner die Summe über alle möglichenAuswahlkategorien m gebildet wird.

Um haushalts- bzw. individuenspezifische Merkmalezu berücksichtigen, von denen wir annehmen, dasssie den Nutzen bei gegebenen Werten für das Haus-haltseinkommen und die Freizeit beeinflussen, be-ziehen wir Interaktionsterme zwischen der Freizeitund diesen Merkmalen in die Schätzung mit ein. Ins-besondere berücksichtigen wir das Alter der Mutter,die Anzahl der Kinder im Haushalt, die Anzahl derKinder unter 3 Jahren, ob der Haushalt in Ost-deutschland lebt und ob die Mutter deutsche Staats-bürgerin ist als Kontrollvariablen. Des Weiteren be-rücksichtigen wir auch einen Interaktionsterm zwi-schen der Freizeit der Mutter und der des Vaters.11

Die Wahlmöglichkeiten in unserem Modell beste-hen aus vier Arbeitszeitkategorien: Nicht-Erwerbs-tätigkeit, „kleine“ Teilzeit (1Ð21 Stunden), „große“Teilzeit (22Ð34 Stunden) und Vollzeit Erwerbstätig-keit (über 35 Stunden). Die Freizeit in der jeweili-gen Arbeitszeitkategorie ergibt sich aus der maxi-

10 Diese Annahme über die Fehlerterme ist restriktiv und führtzur Eigenschaft der „Independence of Irrelevant Alternatives“(IIA). Ein Hausman-Test hat für unseren Fall gezeigt, dass dieseAnnahme nicht erfüllt ist. Haan (2005) zeigt jedoch für eineSchätzung des Arbeitsangebots im Haushaltszusammenhang aufBasis von SOEP-Daten, dass sich die Lohnelastizitäten, die aufBasis des konditionalen Logit-Modells geschätzt wurden, nichtsignifikant von den Lohnelastizitäten auf Basis der Schätzung ei-nes „Random Coefficient“ Modells unterscheiden, in dem dieIIA-Annahme nicht getroffen werden muss. Haan (2005) schluss-folgert daher, dass das theoretische Problem der Verletzung derIIA-Annahme empirisch weniger problematisch ist, da die ge-schätzten Elastizitäten sich nicht signifikant von Elastizitäten un-terscheiden, die auf Basis eines Modells geschätzt werden, dasdiese Annahme nicht benötigt.11 Das Merkmal „Bildungsabschluss der Mutter“ wird nicht sepa-rat in die Schätzung der Nutzenfunktion aufgenommen, sondernin der Schätzung der Brutto-Stundenlöhne als wichtige erklä-rende Variable berücksichtigt, welche wiederum maßgeblich zurBerechnung des Nettoeinkommens beitragen.

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Ganztagsschulen und Erwerbsbeteiligung von Müttern Miriam Beblo, Charlotte Lauer und Katharina Wrohlich

mal verfügbaren Zeit12 abzüglich der Erwerbsar-beitszeit. Die Netto-Haushaltseinkommen in jederArbeitszeitkategorie werden auf Basis des Mikro-simulationsmodells STSM berechnet. Hierbei wer-den alle Einkommenskomponenten des Haushaltsberücksichtigt. Für die Mütter wird ein hypothe-tisches Brutto-Arbeitseinkommen für jede Ar-beitszeitkategorie angesetzt. Dies ergibt sich durchMultiplikation des Brutto-Stundenlohns13 mit derdurchschnittlichen Arbeitszeit in der jeweiligen Ka-tegorie. Das STSM beinhaltet die wichtigsten Ele-mente des deutschen Steuersystems (Ehegattensplit-ting, Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag), die Sozial-versicherungsbeiträge und Transfers wie Arbeitslo-sengeld, Arbeitslosenhilfe (Basisjahr der Schätzungist 2002), Erziehungsgeld, Wohngeld und Sozialhilfe.

Von dem so ermittelten Netto-Haushaltseinkom-men werden für jede Kategorie „erwartete“ Kinder-betreuungskosten, wie in Gleichung 3 definiert, ab-gezogen. Für die Berechnung dieser Kosten setzenwir die Wahrscheinlichkeit, dass für ein Kind einPlatz in einer Ganztagsschule zur Verfügung steht(pgts), mit der Quote von Ganztagsschülern im je-weiligen Bundesland gleich. Für die Wahrscheinlich-keit, dass ein Kind einen Hortplatz bekommt (phort),verwenden wir Informationen über die Versor-gungsquote mit Hortplätzen auf Kreisebene14 (vgl.Tabelle 1).

Tabelle 3 gibt eine Übersicht über unsere Modellie-rung der Betreuungskosten. Die Kosten einer Ganz-tagsschule haben wir gleich Null gesetzt, da lautSOEP-Daten etwa 60 Prozent der Eltern keinerleiKosten für die Ganztagsschule tragen und alle übri-gen mittlere Kosten von 60 Euro pro Monat aufzu-bringen haben. Von letzteren nehmen wir an, dasssich dahinter zum einen Gebühren für Privatschulenverbergen, welche wir als privates Konsumgut be-trachten. Zum anderen handelt es sich vielfach umVerpflegungsbeiträge für das Mittagessen, für wel-ches auch bei Halbtagsschülern gesorgt werden

12 Die maximal verfügbare Zeit wird hier auf 80 normiert. Diesbeinhaltet 5 Werktage zu je 16 Stunden. Wochenenden werdennicht berücksichtigt.13 Da wir nicht für alle Personen Löhne beobachten, schätzen wirin einem ersten Schritt die Stundenlöhne auf Basis eines Selekti-ons-Korrekturmodells nach Heckman (1979). Die Lohnschätzungberuht auf einer gepoolten Stichprobe aus den SOEP-Wellen1995Ð2002 und wird für Frauen in Ost- und Westdeutschland ge-trennt durchgeführt. Die wichtigsten Variablen zur Erklärung derStundenlöhne sind Ausbildungsabschluss, Alter und Berufserfah-rung (Jahre der Vollzeit-Tätigkeit und Jahre der Teilzeit-Tätig-keit). Als Auschlussrestriktionen werden u. a. Anzahl der Kinderund Familienstatus herangezogen.14 Diese Daten wurden freundlicherweise vom Deutschen Ju-gendinstitut (DJI) in München bereitgestellt. Wir danken außer-dem dem DIW Berlin für die Erlaubnis, die Kreisinformationenden individuellen Haushaltsdaten zuzuspielen.

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muss, über dessen Kosten wir aber keine Informa-tionen haben. Als Kosten eines Hortplatzes wurden50 Euro pro Monat für die Kategorie „große Teil-zeit“ (mindestens 7 Betreuungsstunden pro Woche)und 70 Euro pro Monat für die Kategorie „Vollzeit“angenommen. Diese Werte basieren auf Auswertun-gen der Angaben über Kosten in Tageseinrichtun-gen im SOEP und Recherchen in den Gebührenord-nungen deutscher Horte. Mittagessenbeiträge wer-den i.d.R. zusätzlich geleistet.

Die „Marktkosten“ für Kinderbetreuung setzen wirmit 5 Euro pro Stunde an. Dies ist der Preis, denderzeit die überwiegende Mehrheit der Tagesmütterverlangt.15 Die Kosten für diese Art von Betreuungsetzen wir daher mit 150 Euro/Monat (= 5 Euro/Stunde · 7 Stunden/Woche · 4,3 Wochen/Monat) fürdie Kategorie „Große Teilzeit“ und mit 323 Euro/Monat (= 5 · 15 · 4,3) bei einer Vollzeit Tätigkeit an.

Die Betreuungskosten für Kinder unter 7 Jahren,die noch keine Schule besuchen, werden nach einemähnlichen Prinzip berechnet. Die Wahrscheinlich-keit, einen Kindergartenplatz zu bekommen, wirdder Versorgungsquote mit Kinderbetreuungsplätzenauf Kreisebene gleichgesetzt, wobei zwischen derVersorgung mit Ganztags- und mit Halbtagsplätzenunterschieden wird.16 Als Kosten eines Kindergar-tenplatzes werden die durchschnittlichen Elternbei-träge, wie im SOEP angegeben, herangezogen. Fürden Fall, dass kein Platz in einer Einrichtung zurVerfügung steht, wird Ð wie auch bei den älterenKindern Ð ein „Marktpreis“ von 5 Euro pro Stundeangenommen. Für Kinder über 10 Jahren werdenkeine Betreuungskosten angesetzt. Dies begründenwir mit der Beobachtung, dass nur ein geringer Teilder Kinder über 10 Jahren (rund 20 Prozent lautSOEP) im Anschluss an die Halbtagsschule institu-tionell oder von einer bezahlten Person betreutwird.

Ist in einer Familie der Vater höchstens 20 Stundenerwerbstätig (dies trifft auf rund 7 Prozent allerHaushalte in unserer Stichprobe zu), so gehen wirdavon aus, dass er die Nachmittagsbetreuung derKinder übernimmt. In diesem Fall werden keine Be-treuungskosten angesetzt. Ebenso wenig werdenKosten angesetzt, wenn die Mutter nicht erwerbstä-tig ist und ein Kind dennoch einen Kindergartenoder einen Hort besucht. Dies begründen wir damit,dass in diesen Fällen die Betreuung als Konsum an-

15 vgl. www.tagesmutter.de.16 Eine ausführliche Beschreibung der Berechnung der erwarte-ten Kosten für Kinder dieser Altersgruppe findet sich in Wrohlich(2005b).

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zusehen ist und keinen Kostenfaktor der Erwerbstä-tigkeit darstellt.

Die in Tabelle 3 angegebenen Kosten der verschie-denen Betreuungsarrangements werden Ð mit Aus-nahme der Betreuungsmöglichkeit durch den Vater,die im SOEP beobachtbar ist Ð mit ihren zugehöri-gen Wahrscheinlichkeiten gewichtet. Daraus berech-nen wir erwartete Betreuungskosten, die in Ta-belle 4 dargestellt sind.

4 Beschreibung der Daten

Basis für unsere Schätzung sind Daten aus dem So-zio-Oekonomischen Panel (SOEP) für das Jahr

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2002. Die SOEP-Stichprobe von mehr als 12000Haushalten schränken wir für diese Analyse wiefolgt ein: Da wir die Betreuungssituation von be-treuungsbedürftigen Schulkindern analysieren, be-trachten wir nur Haushalte, in denen mindestens einKind im Alter von 7 bis 10 Jahren gemeinsam mitbeiden Elternteilen lebt. Alleinerziehende könnenauf Grund zu geringer Fallzahlen im SOEP nicht be-rücksichtigt werden. Des Weiteren beschränken wiruns innerhalb dieser Gruppe auf Familien, in denendie Mutter nicht selbstständig oder in Ausbildungist, da wir die Entscheidung zwischen Nichterwerbs-tätigkeit und abhängiger Beschäftigung modellierenwollen. Die verbleibende Stichprobe beinhaltet 861Haushalte. Die Aufteilung der Haushalte auf dieArbeitszeitkategorien ist in Tabelle 5 dargestellt.17

Wie in Abschnitt 3 beschrieben, berechnen wir aufBasis des Mikrosimulationsmodells STSM für jedenHaushalt hypothetische Nettoeinkommen für jedeArbeitszeitkategorie. Diese Nettoeinkommen wer-den um die Kinderbetreuungskosten vermindert. InTabelle 4 sind die durchschnittlichen erwarteten Be-treuungskosten pro Kind nach Alter des Kindes undRegion dargestellt. Wohnen mehrere Kinder in ei-nem Haushalt, werden die Betreuungskosten füralle Kinder summiert und dann vom Haushalts-Net-toeinkommen abgezogen.18 Die Nettoeinkommenvor und nach Abzug der Kinderbetreuungskosten jenach Arbeitszeitkategorie sind in Tabelle 6 darge-stellt.

Die Darstellung der Nettoeinkommen in Tabelle 6macht deutlich, dass unter Berücksichtigung vonKinderbetreuungskosten das Haushalts-Nettoein-kommen bei zunehmender Arbeitszeit der Mutternur geringfügig ansteigt bzw. teilweise sogar sinkt.

17 Weitere deskriptive Statistiken finden sich in Tabelle A1 imAnhang.18 Wenn im Haushalt auch Kleinkinder leben, werden deren ge-änderte Betreuungskosten durch die Erwerbstätigkeit der Mutterebenfalls berücksichtigt.

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In einem durchschnittlichen Haushalt mit zwei Kin-dern steigt das Haushaltsnettoeinkommen bei einerAusweitung der Arbeitsstunden der Mutter von 14auf 27 Stunden um 313 Euro pro Monat. Berück-sichtigt man jedoch, dass aufgrund dieser Erhöhungder Arbeitsstunden Kinderbetreuungskosten anfal-len, so steigt das Nettoeinkommen (im Erwartungs-wert) nur um 92 Euro pro Monat. In Haushalten mitdrei oder mehr Kindern sinkt das durchschnittlicheverfügbare Nettoeinkommen sogar bei einer Verlän-gerung der Arbeitszeit der Mutter: Vor Abzug derKinderbetreuungskosten steigt das Haushalts-Netto-einkommen von Familien mit drei Kindern um 614

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Euro pro Monat, wenn die Mutter ihre Arbeitszeitvon 14 auf 40 Stunden ausdehnt. Berücksichtigt mandie Kinderbetreuungskosten, so sinkt das tatsächlichverfügbare Einkommen und liegt um 74 Euro unterdem Einkommen, das der Haushalt in der Aus-gangsposition hatte. Dies trägt als Erklärung dazubei, warum die Erwerbstätigkeit von Müttern inDeutschland im internationalen Vergleich so geringist. In unserer Stichprobe sind nur 6 Prozent allerMütter mit drei und mehr Kindern zwischen 0 und10 Jahren Vollzeit erwerbstätig, während es bei denMüttern mit zwei Kindern 11 Prozent und bei Müt-tern mit einem Kind 20 Prozent sind.

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5 Ergebnisse

5.1 Ergebnisse der Schätzung

Die geschätzten Koeffizienten des in Abschnitt 3 be-schriebenen Modells sind im Anhang dargestellt.Zum Zweck der Plausibilitätsprüfung weisen wir au-ßerdem die zugehörigen Lohnelastizitäten aus.Demnach steigt für westdeutsche Frauen die durch-schnittliche Anzahl der Arbeitsstunden im Fall einer1-prozentigen Lohnerhöhung um 0,49 Prozent, fürFrauen in Ostdeutschland um 0,32 Prozent. Die Par-tizipationsquote steigt in diesem Fall um 0,19 Pro-zentpunkte in West- und um 0,10 Prozentpunkte inOstdeutschland. Diese Elastizitäten sind mit denWerten vergleichbar, die von Steiner und Wrohlich(2004) und Haan (2005) geschätzt wurden, sodassunser Arbeitsangebotsmodell plausible Schätzer-gebnisse zu produzieren scheint.

Ähnlich wie Lohnelastizitäten lassen sich auch Elas-tizitäten in Bezug auf Kinderbetreuungskosten er-mitteln. Im Fall einer 1-prozentigen Erhöhung dererwarteten Kinderbetreuungskosten sinkt laut unse-rer Schätzung die durchschnittliche Arbeitszeit vonFrauen in Westdeutschland um 0,25 Prozent, in Ost-deutschland um 0,11 Prozent. Die Partizipations-quote verringert sich um 0,06 Prozentpunkte inWest- und um 0,04 Prozentpunkte in Ostdeutsch-land (vgl. Tabelle A3 im Anhang). Da es bisherkeine vergleichbare Studie für Deutschland gibt,können wir für diese Elastizitäten keine direktendeutschen Vergleichswerte heranziehen. Die ge-schätzten Elastizitäten für andere Länder liegen ten-denziell höher (für eine Übersicht vgl. Kornstad undThoresen (2002), ein direkter Vergleich ist jedochnicht möglich, da die meisten Studien in erster Liniedas Arbeitsangebotsverhalten von Müttern mit Kin-dern unter 6 Jahren betrachten.

5.2 Ergebnisse der Politiksimulationen

Um abzuschätzen, wie sich eine Ausweitung vonGanztagsschulen auf die Erwerbsbeteiligung vonMüttern auswirken würde, haben wir eine Reihevon Politikvarianten simuliert. Als Referenz-Szena-rio (Reform 1) nehmen wir den Fall einer flächende-ckenden Versorgung mit Ganztagsschulen an, d.h.dass keinerlei Kosten für die Betreuung von Kin-dern zwischen 7 und 10 Jahren mehr anfallen. Er-gänzend dazu simulieren wir zwei weitere Refor-men, die in der gegenwärtigen Situation realisti-schere Szenarien darstellen. Zum einen ist dies eineAnhebung der Versorgung mit Ganztagsplätzen auf30 Prozent in allen Bundesländern (Reform 2), zum

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anderen eine allgemeine Anhebung der Versor-gungsquoten um 10 Prozentpunkte (Reform 3). Indiesem letzten Szenario bleiben die regionalen Un-terschiede in der Versorgung mit Ganztagsplätzenerhalten. Eine Anhebung der Versorgung auf30 Prozent im gesamten Bundesgebiet (Reform 2)hingegen führt zu einer Verringerung der Varianz inden Kinderbetreuungskosten zwischen den Bundes-ländern.

Tabelle 7 zeigt zunächst, welche Effekte diese Re-formalternativen auf die Netto-Haushaltseinkom-men hätten. Eine flächendeckende Versorgung mitGanztagsschulplätzen (Reform 1) brächte erwar-tungsgemäß die größten Einkommensgewinne mitsich. Bei Vollzeit-Erwerbstätigkeit der Mutter ge-wännen Haushalte in Ostdeutschland durch dieseReform im Durchschnitt 130 Euro, in Westdeutsch-land 399 Euro pro Monat. Unter Reform 2 und 3fielen die Einkommensgewinne mit 55 bis 119 Eurodeutlich niedriger aus. Bemerkenswert ist auch, dassin Ostdeutschland die Unterschiede zwischen Re-form 2 und 3 nicht sehr groß sind. Das liegt daran,dass die Versorgung mit Ganztagsschulplätzen inLändern wie Berlin, Sachsen und Thüringen aktuellknapp über 20 Prozent liegt und daher beide Refor-men in etwa die gleiche Erhöhung der Versorgungs-quote zur Folge hätten. In den meisten westdeut-schen Ländern hingegen, in denen die Versorgungmit Ganztagsschulen Ð mit Ausnahme von Hessenund Nordrhein-Westfalen Ð unter 10 Prozent liegt(vgl. Tabelle 1), führte Reformalternative 2 zu einerdeutlich stärkeren Erhöhung der Verfügbarkeit vonGanztagsschulplätzen als Alternative 3, was sichwiederum in den verfügbaren Nettoeinkommen un-ter diesen Alternativen widerspiegelt.

Die Ergebnisse aller drei Simulationen in Bezug aufdas Arbeitsangebot von Müttern sind in Tabelle 8dargestellt. Eine flächendeckende Versorgung mitGanztagsschulen hätte demnach einen positiven Ef-fekt auf das Arbeitsangebot von Müttern: Die Parti-zipationsquote (derzeit 59 Prozent) würde in West-deutschland um mehr als 3 Prozentpunkte steigen.In Ostdeutschland fiele der Effekt mit einer Steige-rung um rund einen Prozentpunkt geringer aus, wassowohl an den niedrigeren Lohnelastizitäten alsauch an den geringeren Betreuungskosten in denostdeutschen Ländern liegt. Die Effekte dieser Re-form auf die Arbeitszeit sind ebenfalls positiv. ImReformszenario 1 steigt die durchschnittliche Ar-beitszeit der Mütter in Westdeutschland um fast 17Prozent, in Ostdeutschland um rund 5 Prozent.

Reformszenario 2, also eine Ausweitung der Ganz-tagsschulplätze auf mindestens 30 Plätze pro 100Kinder in ganz Deutschland, führte zu einem An-

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stieg der durchschnittlichen Arbeitszeit von Mütternum rund 4 Prozent in West- und 2 Prozent in Ost-deutschland. Im Gegensatz dazu hätte Reformalter-native 3, bei der gleichmäßig das Angebot an Ganz-tagsschulen um 10 Prozentpunkte stiege, in West-deutschland deutlich niedrigere Effekte zur Folge:Die durchschnittliche Arbeitszeit erhöhte sich um1,5 Prozent. In Ostdeutschland hingegen sind die Ef-fekte in ihrer Größenordnung mit denen von Re-formalternative 2 vergleichbar.

Es sei an dieser Stelle noch mal darauf hingewiesen,dass sich die erwarteten Arbeitsangebotseffekte nurauf die Gruppe der Mütter mit (Ehe-)Partner undmindestens einem Kind im Alter von sieben biszehn Jahren beziehen. Alleinerziehende konntenauf Grund zu geringer Fallzahlen im SOEP nicht be-rücksichtigt werden. Die hier ausgewiesenen Ar-beitsangebotseffekte sind ferner nicht mit Beschäfti-gungseffekten gleichzusetzen, da sich in unseremModell nicht bestimmen lässt, ob das zusätzliche Ar-beitsangebot bei gegebenen Löhnen auch auf ent-

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sprechende Arbeitsnachfrage trifft. Dies ist insbe-sondere bei Reformalternative 1 zu beachten; fürdie beiden anderen Reformen ist der Arbeitsange-botseffekt nicht so groß, dass nennenswerte Verän-derungen der Löhne bzw. der Stellenknappheit zuerwarten sind.

6 Schlussfolgerungen

Alle präsentierten Politikvarianten hätten demnachVerhaltensänderungen in der Erwerbsbeteiligungvon Frauen mit Schulkindern zur Folge. Die größteWirkung würde erwartungsgemäß mit einem flä-chendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen (Re-form 1) erreicht. Wegen der aktuell unterschiedli-chen Versorgung in Ost- und Westdeutschland wäredie zu erwartende Erhöhung der Erwerbsarbeitszeitvon Frauen in Westdeutschland mit über 16 Prozentdeutlich höher als in Ostdeutschland mit rund 5 Pro-zent. Die Effekte der gemäßigteren Reformszena-

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rien 2 und 3 sind erheblich geringer einzuschätzen.Immerhin wäre auch bei einem vom Bundesinvesti-tionsprogramm implizit angestrebten Ausbau desGanztagsschulangebots auf mindestens 30 Plätzepro 100 Kinder (entspricht unserer Reform 2) eineErhöhung der Partizipation von Müttern um knappeinen Prozentpunkt und eine Ausweitung der Ar-beitsstunden um rund 4 Prozent (in Westdeutsch-land) zu erwarten.

Natürlich sind auch die mit den Reformszenarienverbundenen Kosten nicht unerheblich für ihre poli-tische Durchsetzungswahrscheinlichkeit. Unser Re-formszenario 1 eines flächendeckenden Ausbausvon Ganztagsgrundschulen hätte Ð unter Zugrunde-legung der in der Einleitung erwähnten vergleichs-weise niedrigen Kostenschätzungen der LänderNordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Ð rund4 Mrd. Euro pro Jahr an laufenden Kosten und rund15 Mrd. Euro an Investitionskosten zur Folge.

Bei einer Versorgung mit Ganztagsschulplätzen von30 Prozent in Reformszenario 2 entstünden, wie ein-gangs erwähnt, in etwa die im Bundesprogrammvorgesehenen 4 Mrd. Investitionskosten. Allerdingsist diese Zahl als unterer Schätzwert anzusehen, dasie auf der oben genannten Kostenschätzung undder Annahme beruht, dass sämtliche Investitions-kosten in die Schaffung von neuen Ganztagsschul-plätzen für Grundschüler fließen und beispielsweisekeine Mittel für die „Qualitative Weiterentwick-lung“ von Ganztagsangeboten eingesetzt werden.Außerdem müssten auch die Länder hierbei in derFolge jährlich eine Mrd. Euro an laufenden Kostenaufwenden. Dies mag ein Grund dafür sein, warumdie Verwendung der Mittel durch die Länder bishereher zögerlich von statten geht. So wurde bis Endedes Jahres 2004 eine knappe Mrd. Euro des Bundes-zuschusses für rund 3000 Schulen abgerufen (Bun-desministerium für Bildung und Forschung 2004 c).

Die Kosten für eine gleichmäßige Steigerung desAngebots an Ganztagsschulen um 10 Prozentpunkte(Reform 3) sind noch schwerer abzuschätzen. Nachden berechneten Effekten zu urteilen würden siesich aber in ähnlicher Größenordnung wie bei Re-form 2 bewegen bzw. etwas niedriger liegen. Auchdiese Schätzung ist aus den oben genannten Grün-den als Untergrenze der tatsächlichen zu erwarten-den Kosten zu verstehen. Auf der anderen Seitekönnen den Kosten auch Einnahmen gegenüber ste-hen. In Abhängigkeit davon, inwieweit und zu wel-chen Löhnen das induzierte zusätzliche Arbeitsan-gebot am Arbeitsmarkt absorbiert werden kann,kann es zu einer Erhöhung des Einkommensteuer-aufkommens und der geleisteten Sozialversiche-rungsbeiträge kommen.

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Die hier präsentierten Schätzwerte sind eine ersteAnnäherung an die konkret zu erwartenden Verhal-tensänderungen in der Erwerbsbeteiligung vonFrauen mit Schulkindern. Mit dieser bisher erstenStudie zum Thema wollen wir weitere Untersuchun-gen anstoßen, in denen alternative Spezifikationendes Modells überprüft werden Ð beispielsweise mitgetrennten Schätzungen für Ost- und Westdeutsch-land, einer anderen Art der Repräsentation vonFreizeit oder der Anzahl der Kinder. Für die Zu-kunft haben wir außerdem folgende Erweiterungenunserer Simulationsstudie geplant: Zum einen wol-len wir unsere Analyse mit ausführlicheren Datenüber die Versorgung mit Ganztagsschulen auf Kreis-ebene anreichern. Diese Zahlen stehen zum gegen-wärtigen Zeitpunkt leider noch nicht zur Verfügung.Zum anderen planen wir Kosten-Nutzen-Analysen,mit Hilfe derer wir Aussagen über die fiskalischenNettoeffekte der Reformalternativen treffen könn-ten (unter Berücksichtigung von Einkommensteuer-und Sozialversicherungseinnahmen). Auch hierfürsind wir auf verlässlichere Daten zu den Kosten derReformszenarien angewiesen.

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