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„Der Kultivierte bedauert nie einen Genuss. Der Unkultivierte weiß überhaupt nicht, was ein Genuss ist.“ (Oscar Wilde) Hildesheim möchte 2025 zur Kulturhauptstadt gewählt werden. Aber was hat das bitteschön mit der kurzweiligen Studienfahrt zu der Gastronomades 2017 nach Angoulême (Frankreich) zu tun? Nun ja, ein Land, oder besser gesagt eine Kultur, lernt man doch immer noch am besten über das Essen kennen. Und wenn die Mahlzeiten dann auch noch gemeinsam zubereitet werden, kommuniziert man automatisch miteinander. Und was könnte demnach also förderlicher für einen kulturellen Austausch sein, als dorthin zu fahren und gemeinsam zu kochen und zu essen? Richtig, der Meinung sind wir auch! Angoulême und Hildesheim verbindet bereits seit über 50 Jahren eine Städtepartnerschaft, bei der jedes Jahr verschiedene Aktionen und Austausche stattfinden – und dieses Jahr haben wir, eine kleine vierköpfige Delegation, Hildesheim auch kulinarisch in Angoulême auf der Gastronomades vertreten. Wer mit diesem Begriff nicht viel anfangen kann, steht nicht allein: Die Gastronomades ist eine kleine Messe, die sich voll und ganz auf „Den guten Geschmack“ konzentriert. Ein ganzes Wochenende lang werden Produkte und Gerichte aus den Regionen rund um die Poitou-Charente präsentiert. Googelt man ein bisschen im Internet, findet man dazu sogar eine ganze Homepage, die das Spektakel wie folgt beschreibt: „Bauern, Metzger, Gärtner, Winzer und Köche, Lehrlinge, Profis, Journalisten und Gourmets treffen sich jedes Jahr am letzten Wochenende im November in Angoulême, weil sie alle dieselbe Leidenschaft teilen: die besten Zutaten und Produkte der „Guten Küche“ zu entdecken. Sie sitzen alle zusammen am Tisch auf der Gastronomades.“ (frei übersetzt siehe https://www.gastronomades.fr/) Zu unserem Glück hat uns das Comité de jumelages (dt.: Städtepartnerschaft) dieses Jahr als Austauschpartner dazu eingeladen. Einzige Voraussetzung: wir machen eine 60-minütige Live-Cooking-Show vor Publikum, bei der wir ein traditionelles deutsches Rezept präsentieren und kochen zusätzlich mit einer Grundschulklasse ein ebenfalls traditionelles deutsches Gericht.

Gastronomades Bericht für Blog - bbs-walter-gropius.de · „Der Kultivierte bedauert nie einen Genuss. Der Unkultivierte weiß überhaupt nicht, was ein Genuss ist.“ (Oscar Wilde)

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„Der Kultivierte bedauert nie einen Genuss. Der Unkultivierte weiß überhaupt nicht,

was ein Genuss ist.“ (Oscar Wilde)

Hildesheim möchte 2025 zur Kulturhauptstadt gewählt werden. Aber was hat das

bitteschön mit der kurzweiligen Studienfahrt zu der Gastronomades 2017 nach

Angoulême (Frankreich) zu tun?

Nun ja, ein Land, oder besser gesagt eine Kultur, lernt man doch immer noch am

besten über das Essen kennen. Und wenn die Mahlzeiten dann auch noch

gemeinsam zubereitet werden, kommuniziert man automatisch miteinander. Und was

könnte demnach also förderlicher für einen kulturellen Austausch sein, als dorthin zu

fahren und gemeinsam zu kochen und zu essen? Richtig, der Meinung sind wir auch!

Angoulême und Hildesheim verbindet bereits seit über 50 Jahren eine

Städtepartnerschaft, bei der jedes Jahr verschiedene Aktionen und Austausche

stattfinden – und dieses Jahr haben wir, eine kleine vierköpfige Delegation,

Hildesheim auch kulinarisch in Angoulême auf der Gastronomades vertreten.

Wer mit diesem Begriff nicht viel anfangen kann, steht nicht allein: Die

Gastronomades ist eine kleine Messe, die sich voll und ganz auf „Den guten

Geschmack“ konzentriert. Ein ganzes Wochenende lang werden Produkte und

Gerichte aus den Regionen rund um die Poitou-Charente präsentiert. Googelt man

ein bisschen im Internet, findet man dazu sogar eine ganze Homepage, die das

Spektakel wie folgt beschreibt:

„Bauern, Metzger, Gärtner, Winzer und Köche, Lehrlinge, Profis, Journalisten und

Gourmets treffen sich jedes Jahr am letzten Wochenende im November in

Angoulême, weil sie alle dieselbe Leidenschaft teilen: die besten Zutaten und

Produkte der „Guten Küche“ zu entdecken. Sie sitzen alle zusammen am Tisch auf

der Gastronomades.“ (frei übersetzt siehe https://www.gastronomades.fr/)

Zu unserem Glück hat uns das Comité de jumelages (dt.: Städtepartnerschaft) dieses

Jahr als Austauschpartner dazu eingeladen. Einzige Voraussetzung: wir machen

eine 60-minütige Live-Cooking-Show vor Publikum, bei der wir ein traditionelles

deutsches Rezept präsentieren und kochen zusätzlich mit einer Grundschulklasse

ein ebenfalls traditionelles deutsches Gericht.

„Klar, machen wir das! Kein Problem“, so dachten wir jedenfalls. „Wir“, das sind die

beiden Auszubildenden Cedric Ertelt (Parkhotel Berghölzchen) und Kevin Fricke

(Osterberg, Restaurant & Hotel), mein Fachpraxiskollege und Bäckermeister Oliver

Schubert und meine Wenigkeit, Lena Grünling, Fachtheorielehrerin Ernährung.

Doch ganz so einfach, wie wir dachten, war es dann zunächst doch nicht! Welches

Gericht ist denn typisch deutsch und lässt sich auch innerhalb von 60 Minuten mit

möglichst wenig Handgriffen und Utensilien vor etwa 100 Personen vorzeigen?

Kostproben mussten wir logischerweise ebenfalls einkalkulieren, was bedeutet, dass

wir auch Zeit für das Portionieren benötigen, und, und, und.

Alles was in Richtung Rouladen oder Grünkohl ging, fiel also leider aufgrund der

langen Garzeit raus, Gerichte mit langen Kühlzeiten (z.B. Sauerfleisch) leider

ebenfalls. Doch glücklicherweise ist Herr Schubert ja Bäckermeister, warum also

nicht mal etwas backen? Und da es in Deutschland über 300 Brotsorten gibt und wir

Deutschen wirklich gut mit Sauerteig und Roggenmehl umgehen können … und

schon waren wir bei dem Hildesheimer Rahmfladen. Kultur pur! Dieser Rahmfladen

ist ähnlich wie eine Pizza, nur das der Teig aus Roggenmehl und Sauerteig

hergestellt wird und als Belag Schmand, Knochenschinken und Frühlingszwiebeln

verwendet werden.

Abbildung1:UntereReihe:HildesheimerRahmfladenmitSchinkenundvegetarischmitPaprika,2.Reihe links imBildein

BlechmitBethmännchen

Und was sollte es für die Kinder geben? Noch eine Tradition, die typisch deutsch ist:

Kekse für die Weihnachtszeit backen! Auf diese Weise fand das Bethmännchen-

Rezept seinen Weg in unser Reisegepäck. Die Rezepte übten wir natürlich vorher,

damit in Frankreich dann alles wie am Schnürchen läuft.

Und so machten wir uns am 22.11.2017 um 24.00 Uhr mit dem Auto auf den Weg

nach Frankreich. Nach gut 15 Stunden Fahrt kamen wir gesund, und naja- nicht mehr

ganz so munter, in Angoulême an. Wir wurden sehr herzlich von Frau Lena Dupuis,

der Präsidentin des Comité de jumelages, in Empfang genommen. Die Schüler

kamen in Gastfamilien unter, die Lehrer in einem kleinen Hotel im Zentrum der Stadt.

Da Schlaf bekanntlich überbewertet wird, ging es abends für die Lehrer noch zu

einem kleinen 6-Gang-Menü, und spätestens jetzt war uns klar: wir sind wirklich in

Frankreich! Und ja, wir haben gegessen wie Gott in Frankreich, wirklich lecker! Der

französische Philosoph Luc de Clapiers sagte bereits vor 300 Jahren: „Die gute

Küche ist das innigste Band der guten Gesellschaft.“, hier haben die Franzosen

einfach Recht!

Wir trafen auf unserem englischen „Kollegen“ Glenn Duckett, der mit ebenfalls mit

zwei jungen Köchen aus Manchester angereist war, um auch eine einstündige

Kochshow vor Publikum abzuliefern. Außerdem waren weitere Mitglieder des

Comités dabei, so dass wir einen wunderbaren Abend verbrachten.

Und so gingen wir völlig übermüdet und pappsatt am Donnerstag zu Bett.

Abbildung2:Vorspeise,KürbissüppchenmitgebratenemSpeckstreifenundgeröstetemBrot

Abbildung3:HauptgangFischgericht,gebrateneSeezungemitKartoffelstampfundGemüsechips

Abbildung4:HauptgangFleischgericht,gebrateneEntenbrustàl’orangemitWurzelgemüse

Abbildung5:KleinesKäsedessertmitBlattsalat

Abbildung6:Dessert,ZitronenmousseaufBiskuit

Abbildung8:MandelnhäutenfürdieBethmännchen

Abbildung7:GrundschulkinderbackenBethmännchen

Frisch und munter fingen wir gleich am Freitagmorgen an, bei Frau Dupuis die Küche

in Beschlag zu nehmen, um dort unsere Vorbereitungen für das Wochenende zu

treffen, schließlich benötigt ein aromatischer Sauerteig 24 h Zeit, um sich gut zu

entwickeln. Für die Bethmännchen wurden die Mandeln gehäutet, auch wenn sich

dieser Vorgang brutal

anhört, ganz so

schlimm ist es nicht:

man lässt die Mandeln

ca. 5-10 Minuten in

heißem Wasser ziehen,

gießt das Wasser ab

und anschließend kann

man ganz leicht die

Mandeln aus der

Schale drücken. Das

ist eigentlich die

schönste Arbeit, und am besten macht man das am Küchentisch: da die Mandeln

manchmal in völlig unberechenbare Richtungen schießen, wenn man sie aus der

Haut drückt, schießt man sich aus Versehen auch mal seinen Sitznachbarn ab, trifft

die Lampe oder sonstiges. Für mich eine typische Kindheitserinnerung, wenn ich mit

meinen Geschwistern und meiner Mutter in der Adventszeit gebacken habe. Und

auch mit meinen Kindern halte ich es heute noch so – ein Heidenspaß!

In Angoulême ist das Backen von Keksen in der Vorweihnachtszeit nicht üblich, Frau

Dupuis erklärt uns, dass es vermutlich an der im Winter früh einsetzenden Dunkelheit

und Kälte in Deutschland liegt und das man sich so früher die Zeit mit dem Backen

vertrieb. In Südfrankreich bleibt es viel länger im Winter abends hell und es ist auch

nicht so kalt, somit war der Holzofen nicht ständig an. „Aha,“ wieder etwas gelernt,

und den Grundschulkindern am nächsten Tag gleich weitergegeben.

Die restliche Zeit verging wie im Flug! Mit vielen kleinen französischen Erstklässlern

bereiteten wir die Bethmännchen zu und logischerweise hatten die Kleinen viel Spaß

dabei, die Mandeln durch die Gegend zu schießen. Glücklicherweise landeten genug

in der Schüssel! Wir wünschen uns sehr, dass die Kinder zu Hause vielleicht auch

mal ab und zu diese kleine Leckerei nachbacken, denn schließlich hat sie ein

französischer Konditor erfunden.

Wir sahen den englischen Kollegen bei

ihrer professionellen Darbietung zu

(Manchester Egg), probierten Austern,

Nougat und immer wieder den guten

französischen Käse, von dem es

angeblich bis zu 400 Sorten geben soll.

Das was die Deutschen also mit Mehl,

Sauerteig und Hefe machen, machen die

Franzosen aus Milch und Lab – einfach

nur herrlich!

Auf der Messe selbst gab es viel zu entdecken, vor allen Dingen die Liebe zu guten

und hochwertigen Produkten. Geiz ist nämlich nicht immer geil! Vor allen Dingen

nicht, wenn dadurch der Geschmack leidet. Das ist definitiv etwas, was die

Deutschen von den Franzosen wieder lernen können: lieber weniger und dafür gutes

Essen, statt viel und schlecht!

Unsere Koch-Show am Sonntag war ein tolles Erlebnis! Da die Franzosen

offensichtlich dem Roggenbrot etwas skeptisch gegenüber stehen, mussten die

Männer auf der Bühne backen und ich lief mit den frisch gebackenen „Mini-

Rahmfladen“ auf der Messe herum, bot sie den Zuschauern an und lockte sie zum

Live-Cooking. Ein bisschen kam ich mir vor wie der Rattenfänger von Hameln, doch

es funktioniert sehr gut und „die Bude war voll“.

Abbildung9:KevinFricke,CedricErtelt,FrauDupuisundOliverSchubertinAktion(v.links)

Die beiden Azubis Cedric und Kevin fertigten die Teiglinge im Akkord an, Herr

Schubert erklärte den Zuschauern, wie man Sauerteig verarbeitet, worauf zu achten

ist und was man aus Brotteig alles machen kann (an dieser Stellen flocht er mit 5

Strängen einen Brot-Zopf, sehr zum Interesse der Gäste).

Abbildung10:WennwirschonanParisvorbeifahren,müssenwirdaauchmalanhalten!

Frau Dupuis übersetzte synchron und ein Fernsehteam nahm alles auf. Bei YouTube

findet man ein nettes Video dazu: http://www.dailymotion.com/video/x6aljne Nach der Vorstellung räumten wird dann noch schnell alles ein, gingen ein letztes

Mal mit unseren Gastfamilien essen und dann war die Stunde des Abschieds auch

schon gekommen. Leider.

Gegen 15.00 Uhr machten wir uns auf den Weg Richtung Heimat, mit einem kurzen

Pitstop am Eiffelturm.

Am Montag waren wir dann

gegen 6.00 Uhr morgens in den

Betten – mal wieder völlig k.o.

aber um viele, viele Eindrücke

reicher!

Wir möchten und an dieser

Stelle noch einmal herzlich bei

allen bedanken, die uns diese

kulinarische Intensiv-Kur möglich

gemacht haben: allen voran

Frau und Herrn Dupuis, die uns

in Angoulême nicht nur ihre

Küche liehen, sondern uns die

ganze Zeit über stets zur Seite

gestanden haben! Den tollen

Gastfamilien, die sich unheimlich

herzlich um unsere beiden

Azubis gekümmert haben, allen Mitgliedern des Comités, die uns wunderschöne

Abende, mit großartigen Gesprächen beschert haben.

Fazit:

Auch wenn die Reise unheimlich anstrengend und kräftezehrend war, so wurde doch

eine Sache mit jedem Tag deutlicher:

Essen ist definitiv für jede Kultur unheimlich wichtig, gemeinsames Essen verbindet

und schafft eine soziale Gemeinschaft. Über die Küche bekommt man leicht einen

Einblick in die Kultur eines Landes, die Küche ist eben eine eigene Sprache.

Der Stadt Hildesheim, der Bäckerinnung Hildesheim und der Rüninger Mühle danken

wir für die finanzielle und materielle Unterstützung, den Hotels und Restaurants

Berghölzchen und Osterberg dafür, dass sie den beiden Azubis die Möglichkeit

gegeben haben, Teil dieses Erlebnisses zu sein, den Kolleginnen und Kollegen der

Walter-Gropius-Schule, die unseren Ausfall kompensieren mussten und natürlich

auch der Schulleitung, die uns für dieses Unterfangen freigestellt hat. Doch ohne

Herrn Rafael Meyer, unseren Projektkoordinator für das Austauschprogramm

Erasmus+, wären wir gar nicht auf diese verrückte Idee gekommen, an der

Gastronomades teilzunehmen. Durch sein jahrelanges Engagement mit der

Hildesheimer Städtepartnerschaft und dem Comité de Jumelages ist dieses Erlebnis

überhaupt erst ermöglicht worden. Vielen, vielen Dank dafür!