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Gef~fl- und Nervenverletzungen2) Von M. Lewandowsky. (Einffegangen am 13. November 1916.) Ich m6chte zunachst auf eine Gruppe yon Fallen aufmerksam machen, auf die ich schon seit einem Jahr ungefghr aufmerksam ge- worden bin, und vonder ich wohl 8--10 Falle gesehen habe. Nach Er- kundigungen, die ich bei mehreren.Kollegen eingezogen habe, ist diese Gruppe noch nicht ausdriicklich beschrieben, obwohl einzelne dieser Fal]e wohl schon auch yon anderen gesehen worden sind. Es handelt sich um die schweren vasomotorischen Erscheinungen, welche bei Kombination von GefaS- und Nervenverletzungen auf- treten. Der Mann, de~ ieh Ihnen vorstelle, hat im Oktober 1915 eine Verletzung des Medianus und der Art. radialis am linken Unter,~rm erlitten. Der Radialpuls fehlt demgemaS. Der Fall ist bei weitem nieht der ausgesprochenste, den ich gesehen babe; vielleicht liegt das daran, (taB, wie bei der im Mgrz 1916 vorgenommenen Operation festgestellt, und wie auch aus der klinischen Untersuchung leicht zu beweisen, da der Opponens erhalten und auch die Sensibilitat nicht so vermindert ist, wie bei vollstandiger Medianusverletzung -- der Nerv nicht v6llig durchtrennt ist. Jedenfalls habe ieh bei Fallen dieser Art aueh bei der Operation die totale Medianusdurchtrennung festgestellt, so dab also keinesfalls das Auftreten tier starken vasomotorischen St6rung auf einer nur teilweisen Verletzung des Nerven beruhen kann. Nun is~ ja eine leichte Cyanose der Haut ira Medianusgebiet aueh bei reiner Medianusverletzung gew6hnlich; aber, wenn die Arteria radia]is, wie bei dem bier vorgestellten Patienten mitdurchschossen ist, so seheinen (lie cyanotischen Erscheinungen dadurch gleichsam potenziert zu werden. Eine Steigerung der cyanotisehen Erscheinungen fiber das ge- w6hnliche MaS habe ich auch schon in Fallen gesehen, in welehen eine sehr starke Pulsdifferenz eine Einsehntirung der Arterie auf der ver- letzten Seite erschliegen lieS. Die StSrungen begrenzen sieh im wesentlichen wie die s e n sib le n Ausfallserscheinungen, und an manehen Stellen ist die Ubereinstimmung der Grenzen eine so absolute, dab man 1) Demonstr.~tion in der Bcrl. Gesellschaft fiir Psychiatric und Nervenkr'mkh. 13. XI. 1916.

Gefäß- und Nervenverletzungen

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Gef~fl- und Nervenverletzungen2)

Von M. Lewandowsky.

(Einffegangen am 13. November 1916.)

Ich m6chte zunachst auf eine Gruppe yon Fallen aufmerksam machen, auf die ich schon seit einem Jahr ungefghr aufmerksam ge- worden bin, und vonde r ich wohl 8--10 Falle gesehen habe. Nach Er- kundigungen, die ich bei mehreren.Kollegen eingezogen habe, ist diese Gruppe noch nicht ausdriicklich beschrieben, obwohl einzelne dieser Fal]e wohl schon auch yon anderen gesehen worden sind. Es handelt sich um die s c h w e r e n v a s o m o t o r i s c h e n E r s c h e i n u n g e n , welche bei K o m b i n a t i o n v o n G e f a S - u n d N e r v e n v e r l e t z u n g e n auf- treten. Der Mann, de~ ieh Ihnen vorstelle, hat im Oktober 1915 eine Verletzung des Medianus und der Art. radialis am linken Unter,~rm erlitten. Der Radialpuls fehlt demgemaS. Der Fall ist bei weitem nieht der ausgesprochenste, den ich gesehen babe; vielleicht liegt das daran, (taB, wie bei der im Mgrz 1916 vorgenommenen Operation festgestellt, und wie auch aus der klinischen Untersuchung leicht zu beweisen, da der Opponens erhalten und auch die Sensibilitat nicht so vermindert ist, wie bei vollstandiger Medianusverletzung - - der Nerv nicht v6llig durchtrennt ist. Jedenfalls habe ieh bei Fallen dieser Art aueh bei der Operation die totale Medianusdurchtrennung festgestellt, so dab also k e i n e s f a l l s das Auftreten tier starken vasomotorischen St6rung auf einer nur t e i l w e i s e n Verletzung des Nerven beruhen kann. Nun is~ ja eine leichte Cyanose der Haut ira Medianusgebiet aueh bei r e i n e r Medianusverletzung gew6hnlich; aber, wenn die Arteria radia]is, wie bei dem bier vorgestellten Patienten mitdurchschossen ist, so seheinen (lie cyanotischen Erscheinungen dadurch gleichsam p o t e n z i e r t zu werden. Eine Steigerung der cyanotisehen Erscheinungen fiber das ge- w6hnliche MaS habe ich auch schon in Fallen gesehen, in welehen eine sehr starke Pulsdifferenz eine Einsehntirung der Arterie auf der ver- letzten Seite erschliegen lieS. Die StSrungen b e g r e n z e n sieh im wesentlichen wie die s e n sib le n Ausfallserscheinungen, und an manehen Stellen ist die Ubereinstimmung der Grenzen eine so absolute, dab man

1) Demonstr.~tion in der Bcrl. Gesellschaft fiir Psychiatric und Nervenkr'mkh. 13. XI. 1916.

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dem Verletzten aus der Verschiedenheit der Hautfarbung auf.den Milli- meter genau seine SensibilitatsstSrung sagen kann. Bei nur teilweiser Sensibilit~tsstSrung pflegt auch die Cyanose dort am starksten zu sein, wo die SensibilitatsstSrung am starksten ist. Ganz genau ist aber die ~bereinstimmung doch nicht fiberall; insbesondere ist das Radialis- gebiet am Daumenrficken nicht aus der vasomotorisehen StSrung aus- gespart und eine geringe Cyanose lal~t sieh auch sonst fiber die Grenze der Sensibiliti~tsstSrung hinaus wahrnehmen. Vor allem abet sind die ersten 3 Finger manchmal geradezn blauschwarz, und die angrenzenden Teile der Handflache und des Handrfickens auch noch deutlich blau gefi~rbt. Innerhalb dieser tiefcyanotischen Farbung treten besonders am Handrficken meist kleine hellrot erscheinende unregelmal~ig ange- ordnete Flecke hervor. Es gibt einen s p e z i f i s c h e n EinfluB, der die cyanotische StSrung auf das starkste hervortreten la{~t, fibrigens auch bei reiner Nervenverletzung - - die K a l t e . Bei kaltem Wetter und naeh Arbeiten in kaltem Wasser ist die StSrung immer am ausgespro- chensten, wahrend sich etwa durch Anlegung einer Staubinde am Ober- arm nur eine geringe Steigerung erzielen laBt. Dagegen kommen aus unbekannter Ursache a n f a l l s w e i s e , Tage dauernde Steigerungen vor, bei denen nicht nut die Cyanose starker wird, sondern sich auch eine gespannte glanzende Beschaffenheit der Haut einstellen kann, kein 0dem des Subcutis, sondern als wenn die Epidermis selbst auf- gequollen ware.

DaB es sich sowohl bei der Cyanose nach einfacher Medianusver- letzung als auch bei ihrer auBerordentliehen Steigerung durch die Ge- faBverletzung um eine L a h m u n g de r k l e i n e n GefgBe u n d Ca- pi 1 l a r e n , die besonders dureh K~lteeinwirkung zur Erscheinung kommt, handelt, ist klar. Ftir die P h y s i o l o g i e folgt aus dem EinfluB der Kalte schon bei reiner Nervenverletzung, dab der N e r v e n e i n f l u B d e r l a h m e n d e n E i n w i r k u n g d e r K a l t e a u f d ie C a p i l l a r e n u n d k l e i n e n Ge faBe e n t g e g e n a r b e i t e t .

Unklar ist aber doeh die Ursache der auffallenden Steigerung der Cyanose durch die Verletzung der Art. radialis. DaB es sieh bei dieser Steigerung nur um eine Folge der meehanischen Wirkung der Radialis- verletzung auf den Blutumlauf handeln soll, will mir nicht einleuchten, denn die alleinige Verletzung der Art. radalis macht doeh f a r keine StSrungen; die Anastomosen im Bereiehe der Hand gleiehen ja jeden Ausfall dieser Handarterie sofort aus, und jedenfalls ware nach Mo- naten doch genug Zeit, dab sich eine GleichmaBigkeit der Blutver- sorgung wiederherstellte. An der a r t e r i e l l e n B l u t v e r s o r g u n g oder auch an der mechanischen M6glichkeit des venSsen Abflusses kann die St6rung meines Eraehtens n i c h t liegen. Auch die moto- rische L ~ t h m u n g der Finger kann nieht schuld sein, deml die reine

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Medianusl~thmmlg macht trotz LShm~mg et)en nicht die sehr starke Cyanose. Man k6nnte auf die Vorstelhmg kommen, dab ein Tell der v a s o m o t o r i s c h e n ~ e r v e n f a s e r n m i t d e r A r t e r i e verl~uft und also einfach eine Summation der Wirkung stat that , well nnr dutch die Unterbrechung der b e i d e n Innervationswege die volle L~thmung er- zielt wird. Wenn das der Fall ist, so mtittte der Ubergang der Fasern auf die Arterie sehr hoch oben erfolgen, denn ich habe solche Medianus- dm'chschieBungen im Bereiehe des Plexus gese, hen, welche die Cyanose nicht zeigten. Hier sind iibrigens noch einige tatsgchliche Fragen zu klgren; ich glaube zwar sagen zu k6nnen, daft die demonstrierte sehr starke Cyanose nur bei gleichzeitiger Arterien- und Nervenverletzung zustande kommt; es ist abet n i c h t n m g e k e h r t so, dab bei jedem Fehlen des 1Radialispulses auch bei Medianusverletzung die starke C yanose eintritt. Vielmehr scheint sie mir bei hohen Verletzungen am Oberarm fehlen zu k6nnen~). Ich halte es far keineswegs unmSglich, dab nicht oder nicht nur die Ausschaltung zentraler, sondern die p e r i - p h e r e r G e f g B z e n t r e n , bzw. in den Gefgften selbt entstehender Er- regungen an der Steigerung der cyanotischen Ver~inderungen nach Medianusverletzung schuld ist. Weitere Beobachtungen miissen bier weiterftihren.

Im U l n a r i s g e b i e t habe ich so starke St6rungen nur zweimal ge- sehen, gleichfalls unter Bedingungen, unter denen eine Verletzung der uhmren Arterie a.nzunehmen war.

Am F uB habe ich diese Cyanose iiberhaupt nicht gesehen, auch keine besonderen pragnanten Bilder bei gleichzeitiger GefgB- und Nerven- verletzung. Es erscheint mir aber bemerkenswert, dab am F u B nach r e i n e n N e r v e n v e r l e t z u n g e n h~iufiger die Zustgnde a r t e r i e l l e r H yperi~ mie auftreten, die C a s s i r e r - - wohl nicht ganz gliicldich - - als lokate Erythromelalgie bezeichnet hat. Ich habe schon friiher darauf hingewiesen 2) und habe es seitdem mehrfach besti~tigt gesehen, d a b - - w i e die Cyanose der Hand nach Nervenverletzung durch die KMte - - diese Hyperi~mie des Fuftes nach ]schiadicusverletzung durch eine andere Maftnahme fast spezifisch gesteigert, meist erst zur Er-

1) In der Diskussion berichtete Henneberg yon cinem Fall yon Plexus- 1/~hmung, der auch die sehr starke Cyanose zeigtc; auch dieser Fall hatte nach Hennebcrg keinen t~adialpuls, so daft also diese Beobachtung zugunsten der Annahme mit der Arterie verlaufender Nervenfasern sprechen kSnnte. Auch ich babe inzwischen einen Fall yon bereits vor zwci Jahren erfolgter Plexusver- lctzung des Medianus und Ulnaris gesehen, bei dem im Medianusgebiet die Cyanosc so stark war, daft ich, ohne nach dem Puls zu fassen, die Diagnos(, der Mitverletzung der Arterie stellen konntc. Die Beschr~nkung dcr Cyanose auf das Medianusgebiet entsprach der Sensibilitiitsst6rung, (tie im Ultlarisgebiet fehlte. Immerhin glaube ich, dab bei distaleren (lefggv(.rl(,tzung~,n die Cy~mos(~ noch hoehgradiger sein kann.

2) Berlincr klin. Wochcnschr. 1914, Nr. 51.

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scheinung gebracht wird, durch das H e r a b h ~ n g e n l a s s e n des Ful3es. Es tr i t t am B e i n also eine a n d e r e p h y s i o l o g i s c h e F u n k t i o n der Gef~l~nerven mehr hervor, n~mlich die He m m u ng des aUzu starken a r t e r i e l l e n B l u t z u f l u s s e s , eine Funktion, der an den unteren Extremiti~ten infolge der anderen mechanischen Bedingungen des Blut- zuflusses als Gegenwirkung gegen die Schwerkraft ersichtlich auch eine hShere Bedeutung zukommt a]s am Arm. Die am Ful~ nach Nerven- verletzungen, z. B. des Hiiftnerven, gelegentlich auftretenden ~ d e me ohne Hyperi~mie und ohne Cyanose - - mtissen als Ausdruck des Ausfalls einer besonderen Funktion der Gefal3- oder Gewebsnerven angesehen werden. Das Zustandekommen dieser wie aller anderen (~deme wird dutch die ungtinstigen mechanischen Bedingungen des Blutkreislaufes im Ful~ gefSrdert oder erst ermSglicht; denn bei Hochlegung des FuBes verschwinden sie bald, und an der Hand scheinen sie in dieser einfachen Form nach reinen Nervenverletzungen in ausgesprochenerem MaBe fast nicht vorzukommen. Von den an der Hand sowohl wie am Ful~ nach p e r i p h e r e n Knochen- und Weichteilverletzungen selbst geringffigigerer Art hi~ufig zur Entstehung kommenden vasomotorischen und 5dema- tSsen Zust~nden sehe ich hier ab, obwohl auch zu ihrer Erkli~rung vielleicht die StSrung peripherer nervSser Regulationseinwirkungen wird herangezogen werden mtissen.

Ubrigens ergibt die Beobach~ung, dab die gleichzeitige Sch~digung von Gefi~l~en und Nerven auch nach anderer Richtung a]s der oben be- zeichneten sich eigenttimlich kurnuliert. C a s s i r e r hat schon auf die ganz andere Begrenzung der E m p f i n d u n g s s t S r u n g e n aufmerksam gemacht, wenn mit der Nervenverletzung auch eine StSrung des Blut- umlaufs erfolgt war. Ich mSchte besonders noch auf die ganz erhebliche und praktisch sehr schwerwiegende B e f 5 r d e r u n g d e r C o n t r a c t u r - b i ld u n g bei Nervenverletzungen durch selbst nur vortibergehende, nur in der ersten Zeit nach der Verletzung bestandene Isch~mie, z. B. nach schweren Quetschungen, Knochenzersplitterungen u. dgl., hinweisen.

Anhangsweise darf ich dann noch auf eigenttimliche n e r v S s e S t S r u n g e n a m B e i n n a c h S c h l a g a d e r v e r l e t z u n g e n aufmerk- sam machen, n~mlich echtes i n t e r m i t t i e r e n d e s H i n k e n . Ich habe das so oft gesehen, dal~ ich keinen Zweifel daran habe, dal~ eine Fe- moralisverletzung, merkwfirdigerweise auch Aneurysmen, die operiert und bei denen auch die FuBpulse wiedergekehrt sind, eine leichte Er- miidbarkeit, meist unter Eintreten heftiger Schmerzen am Bein und im FuB ftir lange Z e i t - vielteicht d a u e r n d - zurticklassen kann. Man daft diese Fi~lle, die ich als echtes intermittierendes Hinken an- spreche, jedoch nicht mit hysterischen St6rungen, die ~hnliche Be- schwerden machen k6nnen, zusammenwerfen.

Z. f. d. g. Neut. u. Psych. O. XXXV. 14