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Gefässchirurgie 2013 · 18:334–346 DOI 10.1007/s00772-013-1178-9 Online publiziert: 16. August 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 E.S. Debus Klinik und Poliklinik für Gefäßmedizin, Universitäres Herzzentrum, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Gefäßmedizin: auf dem  Weg vom traditionellen  Gefäßchirurgen zum  Gefäßmediziner von morgen Einleitung Kardiovaskuläre Erkrankungen erlangen in der Medizin weltweit einen zunehmen- den Stellenwert. Dies zeigt sich u. a. da- rin, dass kardiovaskuläre Erkrankungen schon seit Jahren als häufigste Todesur- sache die Statistiken dominieren. Schuld daran ist zum einen der demografische Wandel, aber auch geänderte Lebensbe- dingungen. Die Zunahme arterieller und venöser Erkrankungen sowie der Zivili- sationserkrankung Diabetes mellitus lässt einen gesteigerten Bedarf an spezialisier- ter vaskulärer Diagnostik und Therapie erkennbar werden. Diese Forderung wird auch durch weltweit hohe Raten an Ma- joramputationen gestützt, die zu 90% auf einer vaskulären Genese basieren und einer Reduktion bedürfen. Die Auswir- kungen dieser Erkrankungen, die Komor- bidität und die hohe Mortalität werden vielfach unterschätzt, die sozioökonomi- schen Folgen sind verheerend. Dem steht der medizinische Fortschritt mit Verände- rungen der konservativen und insbeson- dere der interventionellen endovaskulä- ren und chirurgischen Behandlungsop- tionen gegenüber, deren Entwicklungen in den vergangenen Jahren zu einem viel- fältigen Armamentarium an technischen Möglichkeiten geführt hat. Um diesem gesteigerten Bedarf als auch einer umfas- senden Behandlung der in der Regel mul- timorbiden Patienten gerecht zu werden, sind neue Behandlungsstrategien, die mit angepassten Behandlungsstrukturen ein- hergehen, unausweichliche Konsequen- zen. Einer zunehmenden Spezialisierung in der Medizin einerseits steht somit die Forderung einer übergreifenden organ- orientierten Behandlung andererseits gegenüber. Dass dies keine unüberwind- baren Gegensätze sind, zeigt die zuneh- mende Implementierung interdiszipli- närer Zentren. Eine visionäre Weiterent- wicklung stellt das Konzept eines kardio- vaskulären Organzentrums dar. D Bedingt durch den demografischen  Wandel nimmt die Zahl   der   vaskulären Erkrankungen   und damit   insbesondere die Folge- erkrankungen der Arteriosklerose  überproportional zu. Die Prävalenz der pAVK wird in epide- miologischen Studien zwischen 3 und 10% eingeschätzt. Bei über 70-Jährigen steigt die Rate auf 15–20% an [14, 24, 31]. Bei je- dem dritten Patienten liegen eine Claudi- catio intermittens oder eine amputations- bedrohte Extremität vor [31]. Die Präva- lenz der Claudicatio intermittens steigt von 3% ab dem 40. Lebensjahr auf >6% ab dem 60. Lebensjahr an. In jüngeren Al- tersgruppen ist die Claudicatio intermit- tens bei Männern häufiger, in den höhe- ren Altersstufen bestehen kaum noch ge- schlechtsspezifische Unterschiede. Etwa 25% aller Patienten mit Claudicatio in- termittens zeigen einen progredienten Krankheitsverlauf mit Interventionsbe- darf in etwa 5% und einem Amputations- risiko von 1–2% innerhalb von 5 Jahren [14]. Die Inzidenz der kritischen Extremi- tätenischämie (Stadium III und IV nach Fontaine) liegt bei 0,5–1% der Gesamt- bevölkerung. Dies bedeutet für Deutsch- land eine geschätzte Anzahl von 40.000– 80.000 Krankheitsfällen/Jahr. Bedeutsam ist aus den zitierten Populationsstudien, dass 10–50% der Patienten mit klassischen Claudicatiobeschwerden keiner speziali- sierten Behandlung zugeführt werden oder eine Vorstellung beim Spezialisten meiden [13]. Aktuellen Auswertungen zufolge sind 6,8% der Bevölkerung latent oder mani- fest an einem Diabetes mellitus erkrankt. Weltweit wird mit einer Zunahme auf 366 Mio. Diabetiker bis zum Jahr 2033 ge- rechnet. Mehr als die Hälfte aller Diabeti- ker entwickeln innerhalb von 10–15 Jah- ren eine manifeste pAVK. Populations- studien wie die Framingham-Studie zeig- ten eine Inzidenz von 12,6% bei Männern und 8,4% bei Frauen mit Diabetes im Ver- gleich zu 3,3% Männern und 1,35% Frau- en bei Nichtdiabetikern [2]. Die Anzahl der Neuerkrankungen nimmt dabei mit steigendem Alter zu. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen liegt der Anteil Dia- beteskranker bei 18–28%. Parallel dazu sinkt das Manifestationsalter betroffener Typ-2-Diabetiker stetig. Der Typ-2-Dia- betes ist mit rund 11% die vierthäufigste Leitthema 334 | Gefässchirurgie 5 · 2013

Gefäßmedizin: auf dem Weg vom traditionellen Gefäßchirurgen zum Gefäßmediziner von morgen; Vascular medicine: transition from traditional vascular surgeons to vascular physicians

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Page 1: Gefäßmedizin: auf dem Weg vom traditionellen Gefäßchirurgen zum Gefäßmediziner von morgen; Vascular medicine: transition from traditional vascular surgeons to vascular physicians

Gefässchirurgie 2013 · 18:334–346DOI 10.1007/s00772-013-1178-9Online publiziert: 16. August 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

E.S. DebusKlinik und Poliklinik für Gefäßmedizin, Universitäres Herzzentrum, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Gefäßmedizin: auf dem Weg vom traditionellen Gefäßchirurgen zum Gefäßmediziner von morgen

Einleitung

Kardiovaskuläre Erkrankungen erlangen in der Medizin weltweit einen zunehmen-den Stellenwert. Dies zeigt sich u. a. da-rin, dass kardiovaskuläre Erkrankungen schon seit Jahren als häufigste Todesur-sache die Statistiken dominieren. Schuld daran ist zum einen der demografische Wandel, aber auch geänderte Lebensbe-dingungen. Die Zunahme arterieller und venöser Erkrankungen sowie der Zivili-sationserkrankung Diabetes mellitus lässt einen gesteigerten Bedarf an spezialisier-ter vaskulärer Diagnostik und Therapie erkennbar werden. Diese Forderung wird auch durch weltweit hohe Raten an Ma-joramputationen gestützt, die zu 90% auf einer vaskulären Genese basieren und einer Reduktion bedürfen. Die Auswir-kungen dieser Erkrankungen, die Komor-bidität und die hohe Mortalität werden vielfach unterschätzt, die sozioökonomi-schen Folgen sind verheerend. Dem steht der medizinische Fortschritt mit Verände-rungen der konservativen und insbeson-dere der interventionellen endovaskulä-ren und chirurgischen Behandlungsop-tionen gegenüber, deren Entwicklungen in den vergangenen Jahren zu einem viel-fältigen Armamentarium an technischen Möglichkeiten geführt hat. Um diesem gesteigerten Bedarf als auch einer umfas-senden Behandlung der in der Regel mul-timorbiden Patienten gerecht zu werden, sind neue Behandlungsstrategien, die mit

angepassten Behandlungsstrukturen ein-hergehen, unausweichliche Konsequen-zen. Einer zunehmenden Spezialisierung in der Medizin einerseits steht somit die Forderung einer übergreifenden organ-orientierten Behandlung andererseits gegenüber. Dass dies keine unüberwind-baren Gegensätze sind, zeigt die zuneh-mende Implementierung interdiszipli-närer Zentren. Eine visionäre Weiterent-wicklung stellt das Konzept eines kardio-vaskulären Organzentrums dar.

D Bedingt durch den demografischen Wandel nimmt die Zahl  der  vaskulären Erkrankungen  und damit  insbesondere die Folge­erkrankungen der Arteriosklerose überproportional zu.

Die Prävalenz der pAVK wird in epide-miologischen Studien zwischen 3 und 10% eingeschätzt. Bei über 70-Jährigen steigt die Rate auf 15–20% an [14, 24, 31]. Bei je-dem dritten Patienten liegen eine Claudi-catio intermittens oder eine amputations-bedrohte Extremität vor [31]. Die Präva-lenz der Claudicatio intermittens steigt von 3% ab dem 40. Lebensjahr auf >6% ab dem 60. Lebensjahr an. In jüngeren Al-tersgruppen ist die Claudicatio intermit-tens bei Männern häufiger, in den höhe-ren Altersstufen bestehen kaum noch ge-schlechtsspezifische Unterschiede. Etwa 25% aller Patienten mit Claudicatio in-termittens zeigen einen progredienten

Krankheitsverlauf mit Interventionsbe-darf in etwa 5% und einem Amputations-risiko von 1–2% innerhalb von 5 Jahren [14].

Die Inzidenz der kritischen Extremi-tätenischämie (Stadium III und IV nach Fontaine) liegt bei 0,5–1% der Gesamt-bevölkerung. Dies bedeutet für Deutsch-land eine geschätzte Anzahl von 40.000–80.000 Krankheitsfällen/Jahr. Bedeutsam ist aus den zitierten Populationsstudien, dass 10–50% der Patienten mit klassischen Claudicatiobeschwerden keiner speziali-sierten Behandlung zugeführt werden oder eine Vorstellung beim Spezialisten meiden [13].

Aktuellen Auswertungen zufolge sind 6,8% der Bevölkerung latent oder mani-fest an einem Diabetes mellitus erkrankt. Weltweit wird mit einer Zunahme auf 366 Mio. Diabetiker bis zum Jahr 2033 ge-rechnet. Mehr als die Hälfte aller Diabeti-ker entwickeln innerhalb von 10–15 Jah-ren eine manifeste pAVK. Populations-studien wie die Framingham-Studie zeig-ten eine Inzidenz von 12,6% bei Männern und 8,4% bei Frauen mit Diabetes im Ver-gleich zu 3,3% Männern und 1,35% Frau-en bei Nichtdiabetikern [2]. Die Anzahl der Neuerkrankungen nimmt dabei mit steigendem Alter zu. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen liegt der Anteil Dia-beteskranker bei 18–28%. Parallel dazu sinkt das Manifestationsalter betroffener Typ-2-Diabetiker stetig. Der Typ-2-Dia-betes ist mit rund 11% die vierthäufigste

Leitthema

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Diagnose der Hausarzt-Internisten und mit rund 8% die fünfthäufigste Diagno-se aller Allgemeinärzte [27]. Die Inzidenz des diabetischen Fußulkus liegt derzeit bei 2,2 bis 5,9%. Die Prävalenz variiert von 2 bis 10%, steigt aber bei Diabetikern, die das 50. Lebensjahr überschritten haben, auf 5–10% an. Somit entwickeln mehr als 150.000 Diabetiker jährlich ein Fußulkus. Die Genese ist jedoch meist nicht mono-kausal bedingt, sondern in 60–80% auf dem Boden einer Neuropathie und in 10–20% angiopathisch verursacht. Diese Sta-tistiken finden auch in der Amputations-rate ihren Niederschlag. Die weltweite In-zidenz von Majoramputationen basiert auf großen Populationsstudien und va-riiert zwischen 120 und 500 bezogen auf 1 Mio. Menschen pro Jahr [33]. Rund 90% aller jährlich durchgeführten Amputatio-nen sind vaskulärer Genese, davon sind 68% Diabetiker [15, 33]. Die ernst zu neh-mende Morbidität und Mortalität vasku-lärer Erkrankungen zeigt sich auch darin, dass bereits 1 Jahr nach Diagnosestellung und adäquater Therapie lediglich 45% der Patienten noch mit der betroffenen Extre-mität leben, hingegen 30% amputiert und 25% bereits verstorben sind. Analysiert man nur die Amputationen, so heilen nur 60% der unterhalb des Kniegelenks Am-putierten primär. 15% der betroffenen Pa-tienten heilen sekundär, weitere 15% müs-sen oberhalb des Kniegelenks nachampu-tiert werden, 10% versterben während der perioperativen Phase [12, 27, 33].

Komorbiditäten vaskulärer Patienten

Hauptursache für die hohe Sterblich-keit ist die kardiovaskuläre Komorbidität. Diese wird einerseits bereits durch die be-kannten Risikofaktoren arterielle Hyper-tonie, Hypercholesterinämie/Hyperlipo-proteinämie, Nikotinabusus sowie den mehrfach erwähnten Zusammenhang zwischen Diabetikern und Ausbildung einer Arteriosklerose hervorgerufen. Nicht minder bedeutend sind jedoch wei-tere Manifestationen der Atherosklero-se. Die Prävalenz begleitender koronarer Herzerkrankungen, zerebraler Durchblu-tungsstörungen sowie der Nierenarterien-stenosen beträgt zwischen 40 und 60%. Berücksichtigt man nun auch das Alter

als weiteren potenziellen Risikofaktor, so handelt es sich bei Patienten mit vaskulä-ren Erkrankungen nicht selten um multi-morbide Patienten, die einer besonderen Risikoeinschätzung bedürfen [12, 33]. Sta-tionäre Patienten mit vaskulären Begleit-diagnosen oder Begleittherapien werden vom Statistischen Bundesamt leider nicht systematisch erfasst, sodass Angaben zur Inzidenz und Prävalenz nur aus indirek-ten Erhebungen gemacht werden können. Im Vordergrund stehen hier jedoch kar-diale Begleiterkrankungen, die überpro-portional häufig zum Auftreten von Kom-plikationen beitragen. Ebenso führen die-se zu einer erheblichen Übersterblichkeit der Betroffenen, die statistisch zu einer um 10 Jahre erniedrigten Gesamtüberle-bensrate im Vergleich zur altersadjustier-ten Normalbevölkerung führen [6, 24]. Bei den Todesursachen führen kardiovas-kuläre Ereignisse, die bei vaskulären Pa-tienten 4-mal häufiger vorkommen als in der altersadjustierten Normalbevölke-rung. Auch die schwerwiegenden Komor-biditäten werden von Erkrankungen des kardiovaskulären Systems dominiert: Der Herzinfarkt kommt laut zitierter GetABI-Studie bei pAVK-Patienten mit 4% fast dreimal häufiger (1,5%), der ischämische Schlaganfall mit 3,3% fast doppelt so häu-fig als in der Normalbevölkerung (1,9%) vor. Diese Daten legen ein systematisches Screening der älteren deutschen Bevölke-rung nahe, das jedoch seitens der Kosten-träger derzeit nicht finanziert wird. Zu-mindest für die Prävalenz des Aortenan-eurysmas, aber auch für andere kardio-vaskuläre Erkrankungen ist der Benefit für ein systematisches Screening eindeu-tig belegt [2, 5, 9, 19, 25, 26, 28, 29].

Gefäßmedizin heute

Die aktuelle Diskussion fokussiert der-zeit stark auf die Frage, durch wen und in welcher Form endovaskuläre/interventio-nelle Leistungen zukünftig erbracht wer-den sollen. Alle drei Fächer mit vaskulärer Kernkompetenz Radiologie, Angiologie und Gefäßchirurgie sehen die Entwick-lung ihrer Fächer in der Implementie-rung dieser Techniken. Jedes Fach erhebt mit unterschiedlichen Argumenten An-spruch darauf. Der Blick in die aktuellen Weiterbildungsordnungen zeigt, dass die

Versorgung vaskulär erkrankter Patien-ten in Deutschland derzeit im Wesentli-chen durch diese drei genannten Fachdis-ziplinen erfolgt. Diese Fächer sind darum bemüht, ihre Behandlungen in – teilwei-se extern geführten – Registern zu doku-mentieren, sodass zumindest eine grobe Einschätzung der Behandlungszahlen so-wie Qualitätsangaben möglich sind. Dazu kommt jedoch eine Anzahl von nicht do-kumentierten (vorwiegend endovaskulä-ren) Behandlungen, die im Wesentlichen von nicht vaskulär spezialisierten Fach-richtungen erbracht werden und zu einer derzeit nicht abschätzbar hohen Dunkel-ziffer an Behandlungen geführt haben. Diese Situation kann dazu beitragen, dass gute Methoden durch Mängel in Indika-tion und technischer Durchführung in Misskredit gebracht werden.

Die Inhalte der Weiterbildung sind in der (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer und den Weiterbil-dungsordnungen (WBO) der Landesärz-tekammern niedergelegt. Anhaltszahlen zu apparativen Untersuchungsmethoden (z. B. Sonographie) und therapeutischen Interventionen (Operationskatalog, An-zahl und Art endovaskulärer Eingriffe) sind in den dazugehörigen Richtlinien dokumentiert.

D Zu beachten sind gesetzliche  Vorschriften, die vorsehen,  dass  Ärztinnen und Ärzte,  die eine  Gebietsbezeichnung führen, grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig sein dürfen, dessen Bezeichnung sie  führen (Heilberufekammergesetz Baden Württemberg, §37,  Heilberufsgesetz Nordrhein §41). 

So finden sich beispielhaft in der Fach-arztweiterbildung für Innere Medizin und Kardiologie mit Ausnahme der „herzna-hen Gefäße“ keine Hinweise zur Weiter-bildung in peripherer Gefäßmedizin so-wie der Behandlung der Aorta. In zuneh-mendem Maße sehen sich Kollegen der erstgenannten Fachrichtungen jedoch mit der Tatsache konfrontiert, dass im Rahmen von Herzkatheteruntersuchun-gen auch begleitende vaskuläre Interven-tionen durchgeführt werden, die auf rein morphologischen Kriterien beruhen. Aus der Gebietsdefinition dieses Faches geht

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dagegen eindeutig hervor, dass endovas-kuläre Eingriffe im peripheren Gefäßsys-tem (z. B. Karotis, Aorta inkl. Aneurysma, Nierenarterien, Extremitäten und andere) weder durch die Definition des Gebiets Innere Medizin und Kardiologie erfasst, noch im Weiterbildungsinhalt der Kar-diologie abgebildet sind. Auch ein Ope-rateur, der über seine Fachgrenzen hin-aus zusätzliche Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in einem anderen Ge-biet erworben hat, ohne jedoch die ent-sprechende Facharztbezeichnung erwor-ben zu haben, bleibt an die Grenzen sei-nes Gebietes gebunden. Somit kann also jedwede peripher-vaskuläre Intervention heute nicht durch den Facharzt für Inne-re Medizin und Kardiologie gebietskon-form erbracht werden. Dies gilt auch für den Fall, wenn der Interventionalist im Einzelfall zusätzliche Kenntnisse, Erfah-rungen und Fertigkeiten in diesen Ein-griffen erworben hat. Neben den sich aus der Weiterbildungsordnung ergebenden Sachverhalten sei auch daraufhin gewie-sen, dass haftungsrechtliche Problemati-ken resultieren können, wenn ein derarti-ger Eingriff nicht gebietskonform durch-geführt worden ist.

Facharzt für Gefäßchirurgie

Die Weiterbildung in der Gefäßchirur-gie erfolgte 1991 bis 1995 als 2-jährige Zu-satzqualifikation und von 1996 bis 2004 als 3-jährige Zusatzweiterbildung nach Erlangung des Facharztes für Chirur-gie. Seit 2005 sieht die (Muster-)Weiter-bildungsordnung (WBO) einen eigenen Facharzt/Fachärztin für Gefäßchirurgie mit einem 4-jährigen Curriculum nach erfolgter 2-jähriger Basisweiterbildung in der Chirurgie (sog. „common trunk“) vor. In der aktuell gültigen Weiterbildungsord-nung sind die erforderlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten inkl. der Richtzahlen für die einzelnen Untersu-chungs- und Behandlungsmethoden auf-geführt. Hierbei werden u. a. die Fähigkeit zur Erhebung einer intraoperativen ra-diologischen Befundkontrolle (Angiogra-phie) unter Berücksichtigung des Strah-lenschutzes (n=50) sowie der Nachweis von 25 endovaskulären Eingriffen gefor-dert. Zwischen perkutanen und Hybrid-prozeduren wird nicht differenziert. Die-

Zusammenfassung · Abstract

Gefässchirurgie 2013 · 18:334–346   DOI 10.1007/s00772-013-1178-9© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

E.S. DebusGefäßmedizin: auf dem Weg vom traditionellen Gefäßchirurgen zum Gefäßmediziner von morgen

ZusammenfassungDie demografische Entwicklung der kom-menden 20 Jahre ist mit einer  exponentiellen Zunahme kardiovaskulärer Erkrankungen in Deutschland verbunden. Zugleich hat sich das therapeutische Armamentarium durch rasante technische Entwicklungen sowohl der medikamentösen als auch der invasi-ven Behandlungen erheblich erweitert. Bei-des erfordert eine Neuorientierung der klini-schen Fächer im Allgemeinen und der Gefäß-chirurgie im Besonderen: Die tradierten Fä-chergrenzen von heute werden der Komple-xität der Therapievielfalt nicht mehr gerecht. Eine Umorientierung der Fachgebiete kann eine Antwort auf diese Herausforderungen sein. Mit der Auflösung tradierter Fachgren-zen einher geht die Entwicklung und Kon-zeption organorientierter Behandlungsein-richtungen. Die alleinige Fokussierung auf 

technische Kernkompetenzen weicht in die-sem Modell einem ganzheitlichen Therapie-ansatz. Dies ist für die beteiligten Primärdis-ziplinen auf der einen Seite mit dem Weiter-geben von Kompetenzen, andererseits aber auch mit dem Aufnehmen von bisher frem-den Fachinhalten verbunden. Da das peri-phere Gefäßsystem sowohl anatomisch als auch physiologisch und pathophysiologisch eine funktionelle Einheit mit dem Herzen dar-stellt, ist die Bildung fachlich und organisato-risch eng zusammenarbeitender Herz- und Gefäßzentren eine logische Konsequenz die-ser Entwicklung.

SchlüsselwörterFachübergreifende Gefäßmedizin · Organorientierung · Herz- und Gefäßzentrum

Vascular medicine: transition from traditional vascular surgeons to vascular physicians of tomorrow

AbstractDemographic developments in the next 20 years will be associated with an exponen-tial increase of cardiovascular diseases. Ad-ditionally, technical development of con-servative and invasive treatment modali-ties have added to an increase of differentiat-ed therapies. Both will require a new orienta-tion of the clinical aspects in general and es-pecially in vascular surgery: the traditional specialties cannot do justice to the complex treatment possibilities in the future. This re-quires increased specialization and re-orien-tation of vascular services. This concept im-

plies that specific aspects are referred further by the primary disciplines. It is also associated with the acquisition of training in associated specialties. Since the heart and vascular sys-tem are part of one anatomical and function-al system, implementation of vascular medi-cine within cardiovascular centers is a logical consequence.

KeywordsInterdisciplinary health team · Organ orientation · Cardiovascular center

se endovaskulären, invasiven Tätigkeiten machen ein Drittel der gesamten opera-tiven/invasiven Tätigkeit des arteriell-re-konstruktiven Facharztkataloges aus.

Facharzt für Innere Medizin und Angiologie

Der Facharzt für Innere Medizin und An-giologie kann nach einer 6-jährigen Wei-terbildung in Innerer Medizin/Allgemein-medizin (3 Jahre) und Angiologie (3 Jah-re) erworben werden. Hierbei wurden bis-her u. a die Mitwirkung bei und Beurteilung von therapeutischen Katheterinterven tionen

(z. B. intraarterielle Lyse, PTA, Stent-implantationen, Atherektomie, interven-tionelle Thrombembolektomie, Brachy-therapie) sowie die Beurteilung von Rönt-genbefunden bei Angiographien (Arterio-graphie, Phlebographie, Lymphographie) gefordert. Die Sklerosierung oberflächli-cher Varizen ist ebenfalls Teil der Weiter-bildung. Richtzahlen werden in der WBO für kein Verfahren genannt. Diese Inhalte der Weiterbildung wurden in der (Muster-)Weiterbildungsordnung (WBO) der Bun-desärztekammer in ihrer letzten Fassung vom 25.06.2010 jedoch dahingehend er-weitert, dass endovaskuläre Eingriffe nicht

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nur unter Beteiligung von Angiologen, sondern eigenständig durchgeführt wer-den. Diese Änderung befindet sich derzeit noch in der Umsetzung durch die zustän-digen Landesärztekammern.

Facharzt für Radiologie

Die Weiterbildung für den Facharzt für Radiologie dauert 5 Jahre. Hierbei sollen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkei-ten u. a. in folgenden Bereichen vermit-telt werden: Indikation der mit ionisieren-den Strahlen und kernphysikalischen Ver-fahren zu untersuchenden Erkrankungen, radiologische Untersuchungsverfahren mit ionisierenden Strahlen einschließlich ihrer Befundung, interventionell-radiologische Verfahren auch in interdisziplinärer Zu-sammenarbeit, Grundlagen des Strahlen-schutzes beim Patienten und Personal ein-schließlich der Personalüberwachung so-wie des baulichen und apparativen Strah-lenschutzes der Gerätekunde. Nachdem in der WBO bisher lediglich Grundkennt-nisse gefordert wurden, sind in der aktu-ellen Weiterbildungsordnung neben der konventionellen radiologischen Diagnos-tik Richtzahlen zu erbringen: n=250 in-terventionelle und minimal-invasive ra-diologische Verfahren. Hierzu gehören: neben vaskulären Verfahren (Gefäßpunk-tionen, -zugänge und -katheterisierungen (Basiskenntnisse), rekanalisierende Ver-fahren, z. B. PTA, Lyse, Fragmentation, Stent (n=25), perkutane Einbringung von Implantaten (n=10), gefäßverschließende Verfahren, z. B. Embolisation, Sklerosie-rung (n=25) auch nichtvaskuläre Eingrif-fe (Punktionsverfahren zur Gewinnung von Gewebe und Flüssigkeiten sowie Drai-nagen von pathologischen Flüssigkeitsan-sammlungen (n=50) sowie die perkutane Therapie bei Schmerzzuständen und Tu-moren sowie ablative und gewebestabili-sierende Verfahren (Basiskenntnisse).

Die Schnittmengen in der Gefäßmedizin

Diagnostische Radiologie

Anders als die chirurgischen und internis-tischen Disziplinen ist die Radiologie bis heute ein umfassendes, einheitliches Fach geblieben, das sich bisher lediglich in zwei

Bereichen subspezialisiert hat (Neurora-diologie und Kinderradiologie). Die tech-nische Entwicklung der invasiven und nichtinvasiven vaskulären Bildgebung hat jedoch in den vergangenen Jahren gro-ße Forstschritte gemacht, die zu einer bis-her nicht gekannten Visualisierung und funktionellen Beurteilbarkeit vaskulä-rer Krankheitsbilder geführt hat [3]. Die MR-Angiographie hat z. B. durch Hoch-feldbildgebung bei 3,0 T, der Verfügbar-keit neuerer Kontrastmittel mit Protein-bindung (Gadolinium BOPTA, Gadofos-veset), der Hybrid-MRA und durch wei-tere Entwicklungen eine hervorragende Darstellbarkeit auch peripherer Gefäße erreicht [1]. Subtraktionsverfahren wer-den zunehmend durch spezifische Re-gistrierungsalgorithmen und Deformie-rungsalgorithmen ergänzt und durch 3-D-radiale Bearbeitung in ihrer diagnos-tischen Aussagekraft ergänzt, was auch für die CT-A zutrifft (i.e. Dual-Energy-An-wendung) [4]. Sogar Artefakte können durch spezielle Bearbeitungsprogramme zu artefaktfreien Bildern bearbeitet wer-den („ghost magnetic resonance angio-graphy“) [23]. Diese und andere techni-sche Weiterentwicklungen sowie die Dar-stellung komplexer Krankheitsbilder ma-chen die differenzierte Beurteilung vasku-lärer Krankheitsbilder unter Nutzung die-ser Techniken erforderlich, die nicht nur Kenntnisse in der technischen Durchfüh-rung und Limitationen dieser komplexen Untersuchungen, sondern auch der bild-lichen Interpretation erfordern.

Es stellt sich aufgrund der Zunahme dieser Weiterbildungsinhalte die Frage, ob heute noch wirklich jedem weiterzubilden-den Radiologen diese Inhalte vollumfäng-lich vermittelbar sind, sodass er als Fach-arzt für Radiologie die Interpretation vas-kulärer Pathologien tatsächlich vollum-fänglich beherrschen kann. Ist angesichts der großen Zahl weiterzubildender Radio-logen (die DRG ist mit über 5000 Mitglie-dern eine der größten medizinischen Fach-gesellschaften überhaupt) und der erfor-derlichen technischen Ausstattung radio-logischer Abteilungen die flächendecken-de Erkenntnisvermittlung auf dem Gebiet der vaskulären Diagnostik für alle Radiolo-gen möglich und sinnvoll? Oder stellt mög-licherweise eine Subspezialisierung eine sinnvolle Alternative dar?

Interventionelle Radiologie

In den vergangenen Jahren war an vielen Kliniken eine Umbenennung von radio-logischen Abteilungen bzw. Instituten in Abteilungen für diagnostische und inter-ventionelle Radiologie festzustellen. Die-se Umbenennung war teilweise mit der Einrichtung stationärer Betten verbun-den, somit also einer Umwandlung von Instituten in Kliniken bzw. bettenführen-de Abteilungen. Dies stellte einen Paradig-menwechsel hin zur klinisch tätigen Ra-diologie dar. Dieser Schritt ist aus gefäß-medizinischer Sicht durchaus nachvoll-ziehbar, da die endovaskulären Eingriffe klinisch-invasive Tätigkeiten darstellen, die in vielen Fällen eine über 24 h hinaus-gehende stationäre Nachbeobachtung er-forderlich machen. Da der vaskuläre Pa-tient klassischerweise eine nicht unerheb-liche Komorbidität aufweist, ist zudem mit einer prozedurabhängigen und -un-abhängigen Komplikationswahrschein-lichkeit zu rechnen, die eine ambulan-te Leistungserbringung nicht ratsam er-scheinen lassen. Diese Ausweitung des ra-diologischen Therapieangebotes ist somit durchaus mit der wohlbegründeten Sorge um den Therapieerfolg, der Vermeidung von Komplikationen und dem verantwor-tungsvollen Selbstverständnis des klinisch tätigen Arztes zu verstehen.

Allerdings hat sich die Deutsche Rönt-gengesellschaft in der Novellierung ihrer Weiterbildungsordnung schon seit Jahren aus der klinischen Weiterbildung verab-schiedet – das zuvor noch geforderte kli-nische Ausbildungsjahr wurde aus dem Weiterbildungskatalog gestrichen. Die-se, dem Autor vor dem genannten Hin-tergrund nicht nachvollziehbare Maßnah-me, läuft dem Bestreben nach selbststän-diger klinisch-invasiver Tätigkeit diamet-ral entgegen. FIst die Rund-um-die-Uhr-Versorgung

der stationären Patienten unter diesen Kautelen gewährleistet?

FWer kümmert sich außerhalb der Re-gelarbeitszeit um die klassischen Not-fälle Blutung und Ischämie?

FKann der invasiv tätige Radiologe oh-ne klinische Kompetenz die Akuität einer Ischämie richtig einschätzen und die Indikation zu einer Revision korrekt stellen?

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FWann fällt eine kontrastmittelindu-zierte Niereninsuffizienz oder eine drohende kardiale Dekompensation auf, wenn die klinische Ausbildung fehlt?

Die aufgeworfenen Fragen zeigen auf, dass der klinisch tätige Radiologe neben dem klinischen Umfeld eine klinische Weiterbildung als essenziellen Bestand-teil seiner Tätigkeit braucht, um den ge-nannten Anforderungen gerecht werden zu können.

Nicht nur aus ökonomischen Erwä-gungen heraus wäre es nicht sinnvoll, pa-rallele Strukturen zur Versorgung der in-vasiv behandelten Patienten aufzubauen. Vielmehr ergäbe sich daraus folgerichtig eine gemeinsame Leistungserbringung inkl. Stations- und Diensttätigkeit. Auf diese Weise wäre eine Behandlungskonti-nuität auch unter Einhaltung arbeitsrecht-licher Vorgaben ohne Aufbau zusätzlicher Dienststrukturen möglich.

Die Radiologie hat ihren wichtigen Stellenwert in einem spezialisierten Zent-rum für Gefäßmedizin, der hier im Vor-dergrund steht. Sie stellt einen nicht weg-zudenkenden Bestandteil eines gefäßme-dizinischen Hochleistungszentrums dar. Das aufgezeigte Kompetenzprofil führt je-doch zu der Überlegung einer Weiterent-wicklung der vaskulären radiologischen Kompetenzen in Richtung einer Schwer-punktspezialisierung zum vaskulär-diag-nostischen Radiologen, alternativ einem vaskulären Radiologen mit klinischer Weiterbildung in der Gefäßchirurgie.

Gefäßchirurgie

Das Grundverständnis des Gefäßchirur-gen ist keine Tätigkeit, die sich ausschließ-lich auf den Operationssaal beschränkt. Dies entspräche einer Reduzierung des Arztberufes, nach der der Chirurg ledig-lich als Techniker tätig ist und von allen weiteren Entscheidungen abgekoppelt ist. Vielmehr ist die Gefäßchirurgie ein Fach, das an der Weiterentwicklung operati-ver und interventioneller Techniken ak-tiv teilhat und auch in der perioperativen Medizin sowie in der konservativen Be-handlung und der Therapie der vaskulä-ren Begleiterkrankungen eine umfassende Kompetenz aufweist. Dies stellt die Kern-

kompetenz des Gefäßchirurgen in seiner manuellen Tätigkeit nicht infrage, son-dern unterstreicht diese in der abgewoge-nen und differenzierten Indikationsstel-lung invasiver Gefäßeingriffe.

Jedoch liegt die Zukunft der Gefäß-chirurgie (wie jedes anderen operativ tä-tigen Faches) in der Entwicklung invasivi-tätsminimierender Techniken. Dazu zählt neben der Entwicklung des Fast-Track-Gedankens, laparoskopischer Tätigkeiten und anderer Techniken auch die Imple-mentierung und Weiterentwicklung en-dovaskulärer Eingriffe. Die Argumenta-tion, nach der perkutane Eingriffe keine chirurgischen Tätigkeiten seien, ist nicht nachvollziehbar.

»  Die Zukunft der Gefäßchirurgie liegt  in der Entwicklung invasivitäts-minimierender Techniken

Da jede invasive Maßnahme mit poten-ziellen Komplikationen für den Patienten vergesellschaftet sein kann, besteht seitens der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen seit Jahren das Bestreben, die manuellen Fähigkeiten junger Chirur-gen durch Kurse am Modell zu trainie-ren, bevor sie am Patienten zum Ein-satz kommen. Auch die Deutsche Gesell-schaft für Gefäßchirurgie und Gefäßme-dizin hat sich durch die Etablierung mo-dularer Kurse um die praktische Ausbil-dung junger Gefäßchirurgen verdient ge-macht. Wie andere chirurgische Fächer (Allgemeinchirurgie, Viszeralchirurgie, AO-Kurse der Unfallchirurgie u. a.) folgt die Gefäßchirurgie dabei dem Gedanken, die praktische Ausbildung durch das Trai-ning am Modell vor die eigentliche Tätig-keit am Patienten zu verlagern. Mit der privaten Akademie der Deutschen Ge-sellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäß-medizin wurden diese Kurse schon früh-zeitig institutionalisiert und akkreditiert (i.e. endovaskulärer Chirurg, endovasku-lärer Spezialist). Auch die Deutsche Ge-sellschaft für Angiologie hat diese Erfor-dernis erkannt und entwickelt eigene Kur-se zur Übung manueller Fähigkeiten im Rahmen endovaskulärer Eingriffe.

Mit der Transformation technischer Ausstattungen in den Operationssaal er-geben sich weitreichende Auswirkungen auf die Ablaufprozesse in der Behandlung vaskulärer Patienten. Der Hybridarbeits-platz ermöglicht nicht nur die Zusam-menführung von invasiver Diagnostik und Therapie in einem Schritt, er ermög-licht ebenso eine Minimierung des Ein-griffstraumas durch die Kombination ver-schiedener Techniken. Der Betrieb dieser stationären Angiographieeinheiten im OP ermöglicht auch rein perkutane Eingrif-fe unter Einhaltung der Strahlenhygiene entsprechend der Röntgenverordnung.

Aus den genannten Weiterbildungsin-halten ist zu ersehen, dass endovaskuläre Tätigkeiten heute Teil aller drei peripher-vaskulär tätigen Fachgebiete sind bzw. für die Angiologie vermutlich sein werden. Unsere derzeitigen Weiterbildungsinhalte werden sich jedoch ändern, da die endo-vaskuläre Therapie einen zunehmenden Stellenwert erhalten wird. Das vermeint-liche Paradoxon der invasiv tätigen Fächer liegt in der Minimierung des Eingriffs-traumas. Die gemeinsame Schnittmenge, die noch vor wenigen Jahren prozentu-al einen kleinen Teil der invasiven Tätig-keiten ausgemacht hat, wird sich damit in den kommenden Jahren vergrößern.

Die zukünftige Entwicklungsrichtung der vaskulär tätigen Fachgebiete könn-te in einer Verschmelzung der Fächer lie-gen. Dies beträfe insbesondere die kli-nisch tätigen Fächer Gefäßchirurgie und Angiologie, wobei für die Radiologie die Frage zu klären bliebe, inwieweit ein nicht mehr klinisch weitergebildeter Spezialist (die aktuelle Weiterbildungsordnung sieht eine klinische Weiterbildung des Radiolo-gen nicht mehr vor, s. oben) überhaupt an der klinischen Behandlung beteiligt sein wird, da die alleinige Erbringung von Zielleistungen ohne Einbeziehung in den klinischen Behandlungsprozess für nicht sinnvoll erachtet wird. Die primäre Aufga-be des Radiologen in der Weiterentwick-lung des hier beschriebenen Konzeptes sähe dann eine weitgehend auf die vasku-läre Diagnostik fokussierte Tätigkeit vor.

Diese Idee geht somit von der Vorstel-lung eines Organspezialisten aus, wobei sich die Fachrichtungen neben ihrer origi-nären Fachkompetenz auch das Verständ-nis der Partnerdisziplinen aneignen. Die-

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se Entwicklung nimmt die seit Jahren be-gonnene Zertifizierung von Gefäßzent-ren auf, die über eine initiale Monozerti-fizierung der Gefäßchirurgie heute auch als gemeinsame Zertifizierung aller drei Fachgesellschaften (Deutsche Gesell-schaft für Gefäßchirurgie und Gefäßme-dizin, Deutsche Röntgengesellschaft und Deutsche Gesellschaft für Angiologie) an-geboten wird (s. unten). Die Schnittmen-gen schließen nicht nur die endovaskulä-ren Katheterinterventionen ein, sondern beinhalten ebenfalls Ausbildungsinhalte der klinischen Gefäßmedizin.

Das Konzept des interdisziplinären Gefäßzentrums

Ein wichtiger Schritt in der Weiterent-wicklung der Gefäßchirurgie mit dem Ziel einer zunehmenden Spezialisierung war die Zertifizierung zu akkreditier-ten Gefäßzentren, die seit 2003 von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirur-gie und Gefäßmedizin (DGG), seit 2006 gemeinsam von der DGG, der Deut-schen Gesellschaft für Angiologie (DGA) und der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) nach einem strukturierten Audi-tierungsverfahren vergeben wird. Dahin-ter steht eine optimale fachliche Kompe-tenz verbunden mit einer speziellen Or-ganisationsstruktur. Wesentliche Krite-rien zur Sicherstellung einer fachlichen und strukturellen Qualität werden in der Interdisziplinarität, adäquaten Fallzahlen als auch in einem überprüfbaren Quali-tätsmanagement gesehen. Die von der Ge-sellschaft vorgegebenen Ziele lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen:FVerbesserung der Qualität durch

fachübergreifende Patienten-versorgung.

FStärkere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung.

FBessere Positionierung in einem zunehmend kompetitiven und ökonomisch ausgerichteten Gesundheitssystem durch optimierte Ergebnisqualität.

Die Zusammenführung der beteiligten Fachdisziplinen zu einem Zentrum ge-schieht dabei vor dem Hintergrund, or-gan- und erkrankungsspezifische Diag-

nosen und Behandlungsverfahren als Einheit zu etablieren. Die logische Kon-sequenz gemeinsamer Visiten, gemeinsa-mer Polikliniken und gemeinsam durch-geführter diagnostischer sowie therapeu-tischer Maßnahmen liegt in einer Erwei-terung der Weiterbildungsinhalte des Ge-fäßmediziners von morgen. Dies impli-ziert gleichzeitig eine verstärkte Ausrich-tung der Behandlungsstrategie an die Be-dürfnisse der Patienten. Der erhebliche Wandel in der Diagnostik und Therapie von Gefäßerkrankungen durch die endo-vaskulären Verfahren, deren Kombina-tion mit offenen Verfahren, die Möglich-keiten minimal-invasiver und technisch verfeinerter konventioneller chirurgischer Maßnahmen als auch neue potente medi-kamentöse Strategien zur Primär- und Sekundärprophylaxe erfordern eine Aus-weitung der Expertise. Diese differenzier-ten Therapieoptionen werden dabei fach-übergreifend diskutiert und analog der in-terdisziplinären Zentrumsstruktur umge-setzt. Als Qualitätsmerkmal gelten die re-gelmäßig stattfindenden interdisziplinä-ren Indikationskonferenzen.

Die Anwendung des gemeinsamen Know-hows bei der Indikationsstellung und Durchführung unter Berücksichti-gung der individuellen Risiken und Al-ternativen sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie ist umso wichtiger, da die Pathologie der Gefäßerkrankung oftmals im späteren Behandlungsverlauf weitere Interventionen und Maßnahmen erfordert. Dies ermöglicht ein abgestuf-tes, langfristig ausgerichtetes Therapie-konzept.

Zur Sicherstellung dieser Qualitäts-merkmale wurde von der Deutschen Ge-sellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäß-medizin ein Kriterienkatalog zur Über-prüfung und Zertifizierung erstellt. Dieser umfasst neben der Präsenz der relevanten Fachdisziplinen die Gewährleistung einer Notfallversorgung, adäquate Fall- und Behandlungszahlen im operativen, endo-vaskulären und konservativen Sektor, die Vorhaltung diagnostischer Möglichkeiten (CT, MRT und DSA), die Teilnahme an Qualitätssicherungsstrukturen sowie das Vorhandensein einer Weiterbildungsbe-rechtigung [17, 22].

Anfang dieses Jahres waren in Deutsch-land die zertifizierten Gefäßzent ren etwa

hälftig auf allein DGG-zertifizierte und gemeinsame Zertifizierungen aller 3 Ge-sellschaften DGG, DGA und DGR bzw. der DGG und DGR sowie der DGG und DGA verteilt.

In Österreich hat eine ähnliche Ent-wicklung stattgefunden, wo sich die ge-fäßmedizinischen Disziplinen berufs-politisch zu einem gemeinsamen Dach-verband zusammengeschlossen haben. Diese zentrumsbezogene, organorientier-te Neuorientierung der vaskulären Medi-zin ist im Sinne der Optimierung der Pa-tientenversorgung fraglos folgerichtig. Al-lerdings stellt die Weiterentwicklung die-ses Konzeptes die Aufrechterhaltung der tradierten Fächergrenzen grundsätzlich infrage.

Medizinische und ökonomische Aspekte der Zentrumsbildung

Die Idee der Zentrumsbildung ist nicht neu und wurde bereits in verschiedenen Disziplinen erfolgreich eingeführt. Laut §5 Abs. 3 des Krankenhausentgeltgeset-zes ist mit der Gründung eines Zentrums auch die Möglichkeit einer additiven Ver-gütung verbunden. Allerdings muss das Zentrum laut §5, Abs. 1 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb besondere Aufgaben und entsprechend den Vorga-ben dieses Gesetzes ein umfassendes Be-handlungsangebot abdecken, um eine Ir-reführung der Tätigkeiten nach Außen zu vermeiden (sog. Irreführungsverbot). Eine einheitliche Regelung hierzu liegt je-doch nicht vor.

Die Bildung von Zentren ist keines-wegs eine ausschließlich universitäre Auf-gabe, vielmehr müssen sich kompetente und spezialisierte Vertreter der beteiligten Disziplinen bereit erklären, im Sinne einer Kooperation zusammenzufinden und ko-operativ zusammenzuarbeiten. Diese Si-tuation muss daher nicht notwendiger-weise Krankenhäusern der Maximalver-sorgung vorbehalten sein, vielmehr kön-nen sich Zentrumsbildungen auch an Häusern niedrigerer Versorgungsstu-fe etablieren. Neben der unabdingbaren Notwendigkeit der Kooperation ist le-diglich die umfassende Einbindung mög-lichst vieler beteiligter Disziplinen zu for-dern, wenn ein globaler Versorgungsauf-

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trag des Zentrums erfüllt sein soll. Erfah-rungen aus anderen Bereichen haben wie-derholt gezeigt, dass durch Zentrumsbil-dungen in der Medizin erhebliche Kosten-einsparungen möglich sind. Diese Poten-ziale sind umso ausgeprägter, je effizien-ter die beteiligten Disziplinen zusammen-arbeiten. Somit erscheint es auch unter medizinökonomischen Gesichtspunkten und Qualitätsaspekten sinnvoll, den Kon-zentrationsprozess verschiedener Dis-ziplinen zu fördern. Dementsprechend wurden Aktivitäten, die von medizini-scher Seite in diese Richtung zielen, von den Kostenträgern und den Planungsbe-hörden gefördert [7, 13, 22, 30]. Im Hin-blick auf das fallpauschalierende Entgelt-system (DRG’s) bieten Zentrumsstruk-turen für das Schnittstellenmanagement eindeutige Organisations- und Kosten-vorteile [7, 13, 30]. Es ist hierzu auch aus ökonomischer Sicht erforderlich und im Hinblick auf die betriebswirtschaftliche Transparenz sinnvoll, bestehende abtei-lungsbezogene Strukturen aufzubrechen und problemorientiert – also zentrumsbe-zogen – zu organisieren. Dies bringt u. a. auch eine Neuordnung bestehender Kos-tenrechnungssysteme mit sich. Die nach herkömmlichen Abteilungen und Statio-nen gegliederten Abrechnungsstellen wer-den zusammengefasst. Dadurch wird eine transparente, zentrumsbezogene Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) möglich. Die Neuordnung dieser Strukturen ist not-wendig, um exakte betriebswirtschaftliche Planvorgaben machen und intern steuern zu können. Im Rahmen des Zentrums ist eine exakte interne Rechnungslegung notwendig, die zwischen den einzelnen Funktionsbereichen aufschlüsseln kann [7, 8]. Auf diese Weise kann erreicht wer-den, dass nicht mehr jede Abteilung aus-schließlich für ihren eigenen Profit arbei-tet, sondern das Wohl des gesamten Zent-rums als Profitcenter im Zentrum des In-teresses steht.

Weiterentwicklung der Gefäß - chirurgie von morgen

Der Aufbau eigenständiger gefäßchir-urgischer Kliniken/Abteilungen sowie der Etablierung von Gefäßzentren in Deutschland spiegelt sich im aktuellen und zukünftigen Bedarf wider. In dem

Bestreben nach möglichst minimal-in-vasiven Revaskularisationen und der Zu-nahme endovaskulärer Möglichkeiten ist der Gefäßchirurg von morgen neben der Beherrschung konventionell chirurgi-scher Operationen auch im Umgang mit endovaskulären Interventionen vertraut. Gleichzeitig versetzt dies den Chirurgen in die Lage, jedwede Komplikation unab-hängig vom gewählten Verfahren zu be-herrschen. Dem hat die Weiterbildungs-ordnung bereits seit 2005 Rechnung ge-tragen, in der das Erlernen endovaskulä-rer Fähigkeiten als wichtiger Bestandteil der gefäßchirurgischen Weiterbildung festgeschrieben ist. So werden seither be-reits in der Ausbildung neben den Kenn-zahlen operativer Eingriffe auch erforder-liche Kenntnisse, Erfahrungen und Fer-tigkeiten als Richtzahlen für die einzelnen Untersuchungs- und endovaskulären Be-handlungsmethoden aufgeführt [11], wo-bei zwischen perkutanen und Hybridpro-zeduren nicht differenziert wird.

»  Das Erlernen endovaskulärer Fähigkeiten ist wichtiger Bestandteil der gefäßchirurgischen Weiterbildung

Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchir-urgie und Gefäßmedizin fördert die Er-langung der Expertise auf diesem Gebiet nachhaltig und bietet begleitend in der ei-gens gegründeten Akademie multiple Ba-sis- und Expertenkurse zum Erlernen en-dovaskulärer Techniken an (s. oben). Ziel ist eine zertifizierte Akkreditierung zum endovaskulären Chirurgen und zum en-dovaskulären Spezialisten. Seit Mitte 2013 werden darüber hinaus auch die medizi-nischen Assistenzberufe, die in der inva-siven Gefäßmedizin tätig sind, gezielt in diese Richtung weitergebildet: mit der Im-plementierung der Zusatzausbildung zum Endovaskulären Assistenten DGG (EVA) werden diese erstmals in Deutschland für die Assistenz von Katheterinvasionen ge-zielt fortgebildet und können nach einjäh-riger berufsbegleitender Fortbildung und bestandener Prüfung ein entsprechendes Zertifikat erhalten.

Diesen Veränderungen und der zu-nehmenden Komplexität endovaskulä-rer Techniken ist durch Schaffung eines Arbeitsplatzes mit umfassender Weiter-bildungsmöglichkeit Rechnung zu tra-gen. Zu fordern ist neben umfassenden diagnostischen Möglichkeiten eine endo-vaskuläre Therapieeinheit mit Angiogra-phie- und Interventionsplatz unter Ope-rationsbedingungen. Neben einem steri-len Umfeld ist eine hochauflösende digi-tale DSA-Anlage im Operationssaal erfor-derlich. Ein reibungsloser Wechsel zwi-schen Angiographie, Intervention und of-fener Operation, Möglichkeiten auch zur unvorhergesehenen Erweiterung eines Eingriffs, die Verbesserung des Strah-lenschutzes sowie eine Verringerung der Kontrastmitteldosis sind in diesem Zu-sammenhang besonders hervorzuheben.

Gefäßklinik/Klinik für Gefäßmedizin

Die genannten Verschmelzungsprozesse greifen jedoch zu kurz, wenn es um die Optimierung der Langzeitprognose des kardiovaskulären Patienten quo ad vi-tam geht. Gefäßchirurgie und Angiolo-gie sind auf der einen Seite die einzigen Fächer, deren Curriculum ausschließlich auf nicht kardiale und nicht intrazerebra-le vaskuläre Erkrankungen ausgerichtet sind. Die Bildung von Gefäßkliniken bzw. organorientierten Kliniken für Gefäßme-dizin mit dem Ziel der Optimierung der Arbeitsabläufe und damit des Patienten-ergebnisses bedeutet eine organbezogene Neuorientierung in der vaskulären Me-dizin und führt in der Konsequenz zu einer Umorientierung der traditionellen Fächergrenzen und Strukturen. Die zu-künftige Weiterentwicklung der Gefäß-chirurgie und der Angiologie geht somit in Richtung des Gefäßmediziners, des Organspezialisten.

Sehr konkret wurde diese Entwicklung bereits in der Schaffung von neuen Orga-nisationsstrukturen umgesetzt, indem erste interdisziplinär arbeitende Organ-kliniken für Gefäßmedizin implemen-tiert wurden. Die Klinik und Poliklinik für Gefäßmedizin im Universitären Herz-zentrum des Universitätsklinikums Ham-burg-Eppendorf hat am 1. Oktober 2009 als eine der ersten dieser Kliniken ihren

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Betrieb aufgenommen. Zur Klinik gehör-te damals eine Station mit 21 Betten zu-züglich privatstationären, Monitorstati-ons- und intensivstationären Betten. Ne-ben einer stationären Betteneinheit ge-hörte zu der Klinikstruktur von Anfang an eine Poliklinik als wichtiges Segment mit einer täglich stattfindenden Gefäßam-bulanz. Hier werden Patienten diagnosti-ziert und in enger Abstimmung mit den zuweisenden Ärzten hinsichtlich ihrer Hauptdiagnose und ihrer (primär vasku-lären) Komorbiditäten abgeklärt. Hierzu zählt eine umfassende angiologische ins-trumentell-technische Ausstattung, mit der die gesamte angiologische Funktions-diagnostik erfolgt. Diese Poliklinik wur-de von Anfang an interdisziplinär von Gefäßchirurgen und Angiologen betrie-ben. Da im Rahmen dieser Poliklinik ebenfalls die Polikliniken von Kardiolo-gie und Herzchirurgie lokalisiert sind, ist ein Screening auf die Erkrankungen des jeweils benachbarten Fachgebietes auch in enger räumlicher Nachbarschaft möglich.

Zentraler Bestandteil der Klinikstruk-tur ist das täglich stattfindende Gefäß-Board und die täglich stattfindende Indi-kationsbesprechung, in der jeder Patient von den beteiligten Disziplinen bespro-chen und ein individuelles Therapiekon-zept abgestimmt wird. Dieses wird dem Patienten im Rahmen seiner prästationä-ren Abklärung inkl. stationärer Aufnah-me- und ggf. Eingriffsterminierung am Vorstellungstag erläutert und mitgege-ben. Für die Behandlung von Pathologien hirnversorgender Arterien besteht zudem eine zweimal wöchentlich stattfindende neurovaskuläre Konferenz unter Beteili-gung von Neurologie, Neuroradiologie, Neurochirurgie und Gefäßmedizin.

»  Zentraler Bestandteil der Klinikstruktur ist das täglich stattfindende Gefäß-Board und die täglich stattfindende Indikationsbesprechung

Die operativ-invasiven Eingriffe finden in einem eigenen Zentral-OP statt, in der auch der zentrumseigene Hybridarbeits-platz lokalisiert ist. Daneben steht für die konventionellen gefäßchirurgischen Ein-

griffe ein Gefäßoperationssaal mit C-Bo-gen zur täglichen Verfügung, der für die Durchführung vaskulärer Interventio-nen zugelassen ist. Eine ideale Ergänzung des Portfolios bietet die Möglichkeit, ge-meinsam mit den Kollegen der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie und der Kli-nik für diagnostische und interventio-nelle Kardiologie die gesamte Aorta ope-rativ (Herz-Lungen-Maschine) und en-dovaskulär zu versorgen. Diese struktu-rellen Voraussetzungen haben wesent-lich dazu beigetragen, das kardiovaskulä-re Zentrum an der Universität Hamburg zu einem überregionalen Aortenzentrum auszubauen. Bereits nach wenigen Mona-ten zeigte sich eine Entwicklung in die-se Richtung, sodass im August 2012 das Deutsche Aortenzentrum Hamburg ge-gründet werden konnte. Dieses hält das gesamte Behandlungsportfolio für Aor-tenerkrankungen vor. Da die Klinik neu eingerichtet wurde, sind sämtliche tech-nischen Ausstattungsmerkmale auf mo-dernstem Stand.

Nach dreijähriger Tätigkeit hat sich dieses Konzept als ausgesprochen erfolg-reich etabliert, sodass neben einer sukzes-siven Ausweitung der Bettenkapazitäten heute über eine weitere gefäßmedizini-sche Bettenstation nachgedacht wird und ein zweiter Hybridsaal in Bau ist. Mittler-weile wurde eine Studienambulanz auf-gebaut. In drei Ambulanzkabinen finden täglich Sprechstunden statt. Neben dieser allgemein-gefäßmedizinischen Sprech-stunde wurde eine spezialisierte Sprech-stunde für Aortenerkrankungen und Ve-nenerkrankungen/Malformationen ein-gerichtet. Eine Vaskulitissprechstunde wird derzeit geplant. Alle Sprechstun-den werden interdisziplinär unter Betei-ligung von Gefäßchirurgen und Angiolo-gen durchgeführt. Derzeit arbeiten in der Klinik neben dem Direktor und dem Sek-tionsleiter Angiologie fünf Oberärzte (1 Angiologie, 4 Gefäßchirurgie) sowie drei angiologische und sieben gefäßchirurgi-sche Assistent(inn)en. Dazu konnte mitt-lerweile ein funktionierendes gefäßmedi-zinisches Grundlagenlabor eingerichtet werden, wo neben einem vaskulären Bio-logen ein Postdoc und eine MTA ihren Arbeitsplatz haben.

Das klinische Konzept einer derartigen Klinik hat Auswirkungen auf die Weiter-

bildung. Da eine volle Weiterbildungser-mächtigung sowohl für Gefäßchirurgie als auch für Angiologie vorgehalten werden, können beide Disziplinen vollumfänglich weiterbilden. Bis heute haben eine Angio-login und drei Gefäßchirurg(inn)en ihre Weiterbildung in der Klinik abschließen können. Jedoch muss jeder Mitarbeiter in der Weiterbildung umfassende Kenntnis-se auch des jeweils benachbarten Fachge-bietes erlernen, was sich auch in einer ge-meinsamen Dienststruktur der Klinik wi-derspiegelt. Das hat zur Folge, dass die Weiterbildungsinhalte nicht in der Min-destweiterbildungszeit erlernt werden können und die Facharztreife vom Direk-tor der Klinik daher auch erst später at-testiert wird.

Das gemeinsame Betreiben einer eige-nen kardiovaskulären Intensivstation und Intermediate Care Station mit gemein-samer Dienststruktur der Kliniken für Kardiologie, Rhythmologie, Herzchirur-gie und Gefäßmedizin ist ein essenzieller Bestandteil hiervon und gehört ebenfalls zur interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb des Herz- und Gefäßzentrums.

Aus den entwickelten Strukturkonzep-tionen der Klinik für Gefäßmedizin erge-ben sich auch Auswirkungen auf die Leh-re, da die Gefäßmedizin mittlerweile als eigenständiges Fach am UKE vertreten ist. Die Studenten sollen durch eine interdis-ziplinär gehaltene Lehrtätigkeit den Um-gang mit Gefäßpatienten erlernen und auf die spezifischen Besonderheiten im Um-gang mit diesem Patientenklientel auf-merksam gemacht werden [10, 11].

Dieses Klinikkonzept hat in Deutsch-land mittlerweile Schule gemacht, sodass bereits mehrere Kliniken nach ähnlichem Muster funktionieren.

Auch auf regionaler Basis wurden die Entwicklungen in diese Richtung fortge-führt: am 28. Februar 2008 wurde in Ham-burg die Vereinigung Norddeutscher Ge-fäßmediziner e. V. gegründet, in der sich erstmals in der Geschichte der Medizin al-le an der Therapie von Gefäßerkrankungen beteiligten Fachgebiete zu einer einheitli-chen Organisation zusammengeschlossen haben. Die Gesellschaft vereint Gefäßchir-urgen, Angiologen, Radiologen, Diabetolo-gen und Phlebologen in Klinik, Praxis und Forschung und schafft mit einem jährlich stattfindenden Kongress (ehemals Nord-

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deutscher Gefäßchirurgentag) ein seit Jah-ren etabliertes Podium. Auch in Südwest-deutschland wurde eine ähnlich regiona-le Vereinigung gegründet (Vereinigung in-terdisziplinärer Gefäßmediziner Südwest-deutschlands). Die hier begonnene Ent-wicklung ist als Folge der Zertifizierung zu akkreditierten Gefäßzentren zu sehen, die nach einem strukturierten Auditierungs-verfahren vergeben werden (s. oben). In Österreich hat eine ähnliche Entwicklung stattgefunden, wo sich die gefäßmedizini-schen Disziplinen berufspolitisch zu einem gemeinsamen Dachverband zusammenge-schlossen haben.

Wie konkret eine derartige Aufwei-chung der aktuellen Weiterbildungsin-halte in der Breite tatsächlich sein kann, ist heute nicht abschließend zu beurteilen und unterliegt derzeit sehr stark lokalen Gegebenheiten. Allerdings wird die Ent-wicklung in der Gefäßchirurgie und auch in der Angiologie davon geprägt sein, den weiterzubildenden Assistenten Inhalte des jeweils benachbarten Gebietes zu vermit-teln. Die Diskussion beider Fächer in die-ser Richtung erfordert eine große Offen-heit und Unvoreingenommenheit und sollte in gegenseitigem Respekt vorein-ander geführt werden. So kann es gelin-gen, dass eine Einengung bisheriger Be-rufsinhalte durch Spezialisierung inner-halb starrer Fachgrenzen in das Gegenteil mündet [10, 11].

Herz- und Gefäßzentrum

Aufgrund der Multimorbidität des vas-kulären Patientenklientels ist jedoch eine globalere Sichtweise als die ausschließlich auf das Gefäßsystem gerichtete Orientie-rung erforderlich, um einen ganzheitli-chen Behandlungsansatz gewährleisten zu können. Stationäre Patienten mit vas-kulären Begleitdiagnosen oder Begleitthe-rapien werden vom Statistischen Bundes-amt nicht systematisch erfasst, sodass An-gaben zur Inzidenz und Prävalenz nur aus indirekten Erhebungen gemacht werden können. Im Vordergrund steht hier je-doch eine starke Zunahme kardiovasku-lärer Erkrankungen, die bei Patienten mit pAVK überproportional häufig zum Auf-treten von Komplikationen (KHK, Myo-kardinfarkt, ischämischer Schlaganfall) mit einer um 10 Jahren erniedrigten Ge-

samtüberlebensrate beitragen. Die auf-gezeigten Daten legen nahe, dass sowohl in der Therapie als auch in der Umfeld-diagnostik und der Behandlung der rele-vanten, lebenszeitlimitierenden Begleit-erkrankungen erheblicher Nachholbe-darf besteht [14].

D Zwischen der demografischen  Entwicklung westlicher Industrie nationen und der Ver­sorgungswirklichkeit vaskulärer Erkrankungen klafft eine immer größer werdende Lücke.

Im Jahr 2030 werden 8 Mio. mehr über 60-Jährige in Deutschland leben als heu-te, was einer Zunahme von fast 40% ent-spricht. Mit fast 60% steigt der Anteil der 80- bis 90-Jährigen besonders stark. Jeder dritte Bundesbürger wird dann zu dieser Altersgruppe zählen.

Bereits vor 5 Jahren waren Herz-Kreis-lauf-Erkrankungen Einweisungsdiagnose Nummer eins in Deutschland, erst mit weitem Abstand folgen die Neubildun-gen. Diese Situation wird sich bis zum Jahr 2030 noch erheblich verschärfen. Mit einem Zuwachs von 35% wird sich den aktuellen Berechnungen des Statis-tischen Bundesamtes zufolge der Bedarf an kardiovaskulär spezialisierten Behand-lungen stark in diese Richtung verschie-ben [32]. Den Berechnungen zufolge wird sich aufgrund dieser Tatsache die Zahl der Gesamt-Krankenhausbehandlungen in Deutschland bis 2030 somit von 17 Mio. um 12% auf 19 Mio. erhöhen. Zudem wird sich aufgrund dieser Tatsache der Trend zu weiterer Reduktion der Krankenhaus-verweildauern abschwächen, möglicher-weise sogar wieder umkehren, da mit der steigenden Komorbidität kardiovaskulä-rer Patienten eine Zunahme an Therapie-intensität zu postulieren ist [11].

Ein mögliches Lösungsmodell ist die enge Einbindung der Gefäßmedizin an die klinische und forschende Versorgung der Kardiologie und Herzchirurgie. Die-ses ist durch Etablierung von Herz-Kreis-lauf-Zentren realisierbar, in denen die Fachgebiete Gefäßchirurgie und Angio-logie mit Kardiologie und Herzchirur-gie in enger räumlicher und strukturel-ler Nachbarschaft gleichberechtigt zu-sammenarbeiten und ihre Patienten sys-

tematisch in dem jeweils benachbarten Fachgebiet auf kardiovaskuläre Begleitpa-thologien screenen. Die beteiligten Klini-ken (Kardiologie, Herzchirurgie, Gefäß-medizin) fungieren als ein kardiovaskulä-res Organzentrum. Auf diese Weise lassen sich Synergien bei Screening und in der Mitbehandlung kardiovaskulärer Komor-biditäten gewährleisten. Ziel dieser Orga-nisationsform ist eine globale, organbezo-gene Behandlung von Herz- und Gefäß-kranken im Sinne des „total cardio-vascu-lar care“ sowie eine herz-kreislauf-orien-tierte Weiterbildung der Mitarbeiter, die auf diese Weise eine neuartige, universale herz- und gefäßmedizinische Ausbildung erhalten. Teil dieses Konzeptes ist somit auch eine Assistentenrotation zwischen den Leistungsbereichen, die den einzel-nen Kliniken zugeordnet sind [10, 11].

In Hamburg wurde das Universitä-re Herzzentrum (UHZ) mit dieser Inten-tion innerhalb des UKE als erstes derar-tiges Zentrum in Deutschland gegrün-det, das ein 100% Tochterunternehmen des Universitätsklinikums darstellt. Das UHZ selbst fungiert so auch wirtschaft-lich durch Bildung eines Profitcenters als Einheit, das von einem ärztlichen Direk-tor und einer kaufmännischen Leiterin geführt wird.

Diskussion

Interdisziplinäre Kooperationen in der Gefäßchirurgie mit dem Überbegriff „va-scular center“ oder „cardiovascular cen-ter“ finden sich mehrfach in der Literatur wieder [10, 11, 17, 20-22, 34]. In Deutsch-land erfolgten erstmals intensivierte Ko-operationen infolge des Zertifizierungs-projektes zu interdisziplinären Gefäßzen-tren der Deutschen Gesellschaft für Ge-fäßchirurgie und Gefäßmedizin 2003. Aufgrund einer zunehmenden Anzahl vaskulärer Patienten und erweiterter Be-handlungsverfahren kam es in der Fol-gezeit zur Bildung von Gefäßzentren, die auch von den Partnerdisziplinen DGA und DRG gemeinsam mit der DGG zerti-fiziert wurden. Formulierte Ziele sind das Vorhandensein einer 24-stündigen Not-falldiagnostik und Therapie bei adäqua-ter Repräsentation der gefäßchirurgischen und radiologischen Abteilungen mit einer Mindestanzahl an Fällen, Operationen

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und Interventionen bei gleichzeitiger Im-plementierung von Qualitätssicherungs-maßnahmen mit dem Ziel einer qualita-tiv hochwertigen Behandlung unter Be-rücksichtigung verschiedener Behand-lungsoptionen. Dadurch gelang es Kom-petenzzentren zu entwickeln, die zudem eine Ökonomisierung der Prozessstruk-turen intendierten. Diese umfassen das Vermeiden von Mehrfachuntersuchun-gen, die Überwindung von Abteilungs-strukturen, eine auf Kernleistungen kon-zentrierte stationäre Therapie sowie eine Verlagerung von Leistungen und insbe-sondere der Diagnostik in den ambulan-ten Bereich.

Eine strukturierte Auswertung, die die ökonomischen und qualitätsbezogenen Vorteile derartiger interdisziplinärer Ge-fäßzentren ausweisen, steht allerdings bis heute noch aus. Die Wirksamkeit solcher Kompetenzzentren zeigt sich jedoch an-hand von Studien in den skandinavischen Ländern. Gleichermaßen konnte die Am-putationsrate gesenkt werden. Durch eine verbesserte gefäßmedizinische Versor-gung konnte in Großbritannien ein Pla-teau in der Amputationsrate erzielt wer-den [33]. In Deutschland stieg nach Erhe-bungen des Statistischen Bundesamtes die Zahl von 44.252 peripheren Amputatio-nen im Jahr 2002 auf 65.975 Amputatio-nen in 2005 an, die bis 2007 wieder auf 62.295 Amputationen zurückgingen. Da-runter waren 24.210 Majoramputationen und 38.085 Minoramputationen. Hier be-steht somit weiterhin erheblicher Hand-lungsbedarf. Inwieweit solche Daten auf eine bessere (gefäßmedizinische) Versor-gung zurückzuführen sind, kann derzeit nur Gegenstand von Spekulationen sein. Eine dezidierte statistische Auswertung bezüglich einer verbesserten gefäßme-dizinischen Versorgung in Deutschland nach Zentrumsbildung fehlt noch, jedoch zeigen Einzelpublikationen Erfolge nach Gründung von Gefäßzentren im Sinne einer verbesserten medizinischen Versor-gung analog den formulierten Zielkrite-rien. Dies lässt sich auch daraus ableiten, dass die Mehrzahl der vaskulären Haupt-diagnosen in Deutschland inzwischen in gefäßchirurgischen Hauptabteilungen ge-führt wird [35, 36].

Aufgrund der geschaffenen Struktu-ren wird es auch weiterhin zielführend

sein, dass die Hauptverantwortung bei der Versorgung gefäßkranker Patienten in der Gefäßchirurgie liegt. Bestätigt wird diese Forderung in Bezug auf die Behandlung von Aortenaneurysmen durch die Vorga-ben des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), die in Zukunft nur noch in Kran-kenhäusern behandelt werden dürfen, die u. a. eine jederzeitige gefäßchirurgische Kompetenz nachwiesen können [16].

Die Weiterentwicklung endovasku-lärer Therapieverfahren, welche die Be-handlungsstrategien vaskulärer Erkran-kungen in den letzten Jahren einschnei-dend verändert haben und die sowohl zu einer Verringerung der Behandlungsin-vasivität als auch mit einem verkürzten Krankenhausaufenthalt einhergehen, ist wesentlicher Bestandteil des therapeuti-schen Armamentariums des Gefäßchir-urgen, sowohl als Erweiterung einer kon-ventionell chirurgischen Gefäßoperation als Hybrideingriff oder als alleinige thera-peutische Option [9, 10, 16].

In Hinblick auf die kardiovaskulären Begleiterkrankungen und der Multimor-bidität vaskulärer Patienten ist das Kon-zept der Organmedizin jedoch weiterzu-entwickeln. Neben der Bildung von Ge-fäßzentren spielt die interdisziplinäre Zu-sammenarbeit mit Kardiologie und Herz-chirurgie eine wesentliche Rolle. Ein wich-tiges Merkmal bei dieser Entwicklung ist die Abgrenzung zwischen Multidiszi-plinarität und Interdisziplinarität. Da-bei beschreibt die Multidisziplinarität le-diglich „eine additive Zusammenarbeits-form, in der verschiedene Fachrichtungen auf Basis ihrer disziplinären Ausrichtun-gen zum Ziel der Koordination kooperie-ren“. Hingegen umfasst die Interdiszipli-narität „eine interaktive Zusammenarbeits-form, in der unter Erhaltung der Diszipli-nen das Wissen verschiedener Fachrichtun-gen zum Ziel der Schaffung neues Wissens integriert wird“. Hierbei werden auf Basis der interdisziplinären Beurteilungen eines Patienten gemeinsame Ziele in einem Be-handlungsplan gefordert, der zur Koor-dination der disziplinären Einzelleistun-gen im Therapieverlauf dient [18]. In der Arbeit von Erbsen aus dem Jahr 2010, bei der eine Literaturübersicht zu interdiszi-plinären Zentren in Krankenhäusern er-stellt wurde, zeigten sich gerade in dieser Hinsicht Defizite. So wurden in 78 vergli-

chenen Publikationen zwar die positiven Ergebnisse wie Fallzahlsteigerungen her-vorgehoben, die gelebte Interdisziplinari-tät aber durchweg kritisiert, da die tech-nischen Maßnahmen in diesem Zusam-menhang immer wieder dominierten.

Die Weiterentwicklung und Neuorien-tierung der Gefäßchirurgie in Richtung der Gefäßmedizin, die mit einer Weiter-entwicklung der Fachgebiete einhergeht, verfolgt dabei einen wichtigen Ansatz. Durch Kombination der Bereiche Gefäß-chirurgie, endovaskuläre Therapie und Angiologie ist eine organorientierte, fach-übergreifende Behandlung des Gefäßpa-tienten möglich. Dabei sei nochmals da-rauf hingewiesen, dass diese Entwicklung keinesfalls dahingehend missverstanden werden darf, eine einzelne Disziplin sei omnipotent in der Behandlung sämtli-cher vaskulärer Krankheitsbilder. Durch Integration der Gefäßmedizin in ein Zent-rum mit Kardiologie und Herzchirurgie ist das Prinzip des „total cardiovascular care“ nicht nur visionär, sondern durch-aus realisierbar, wie das Hamburger Bei-spiel zeigt.

Fazit für die Praxis

FDie postmoderne Gefäßmedizin wird durch schwindende Fächergrenzen gekennzeichnet sein.

FDurch die Bildung kardiovaskulärer Organzentren kann es möglich  werden, die bis heute stark ein­geschränkte Lebenserwartung  kardiovaskulärer Patienten entschei­dend zu verbessern. 

FDie Offenheit für Tätigkeiten des  jeweils anderen Fachgebietes  erfordert im Sinne der geregelten  Patientenbehandlung eine ab­gestimmte Vorgehensweise innerhalb eines Organzentrums für kardio­vaskuläre Medizin. Dieses greift die berufspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre auf und ist in seiner  Konzeption heute noch visionär.

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. E.S. DebusKlinik und Poliklinik für  Gefäßmedizin, Univer-sitäres Herzzentrum, Universitätsklinikum  Hamburg-EppendorfMartinistr. 52, 20246 [email protected]

Einhaltung der ethischen Richtlinien.Interessenkonflikt.  E. S. Debus gibt an, dass kein  Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an  Menschen oder Tieren.

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