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Gefahr aus der Vergangenheit

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Nr. 217Gefahr aus der VergangenheitSeit 10.000 Jahren gelten sie als tot - nun erscheinen sie mit einer fliegenden Festungvon K. H. Scheer

Vor 10.000 Jahren - zu einer Zeit also, da die Erde noch keine echte Zivilisation aufwies - standen dieArkoniden im erbitterten Kampf mit den Methans.Dieser Krieg rüttelte an den Grundfesten des arkonidischen Imperiums. Er hätte zur totalen VernichtungArkons geführt, wäre es den damaligen Herrschern der Galaxis nicht im entscheidenden Moment gelungen,eine neue Waffe gegen die Methans zum Tragen zu bringen.So aber unterlagen die Methanatmer, und die Arkoniden, in deren Flotte Atlan als junger Kommandantmitkämpfte, glaubten, die Bedrohung durch die nichthumanoiden Intelligenzen ein für allemal ausgeschaltet zuhaben.Jetzt, rund zehn Jahrtausende später, als Perry Rhodans Solares Imperium der Menschheit längst das Erbe derArkoniden angetreten hat, zeigt es sich überraschend, daß die Macht der Methans damals doch nichtgebrochen wurde.Lordadmiral Atlan, Perry Rhodans Freund und Mentor, erkennt diese Tatsache als erster - er erkennt dieGEFAHR AUS DER VERGANGENHEIT ...

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Arkonide erkennt die Gefahr aus der Vergangenheit als erster.Perry Rhodan - Großadministrator des Solaren Imperiums.Icho Tolot - Ein abenteuerlustiger Haluter, der Perry Rhodan auf seinem Wege begleitet.Melbar Kasom - Der USO-Spezialist ist bereit, sich zu opfern.Wuriu Sengu - „Späher“ des Mutantenkorps.Oberst Carl Rudo - Kommandant der CREST II.

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„Nohetto - es ist vorüber!“ hatte Captain DonRedhorse in seiner indianischen Muttersprachegesagt, als wir den Shift vor der Durchbruchsöffnungzur Oberfläche gelandet hatten.

Es war nicht vorüber! Es begann erst! Die Höllevon Horror hielt uns nach wie vor mit unsichtbarenFesseln umschlungen. Nichts kann einen Mannnervöser, ungeduldiger oder auch fatalistischermachen als eine Zustandsform, gegen die man nichtsunternehmen kann.

Wir waren zu Spielbällen unbekannter Mächtegeworden. Der Shift, ein flugfähiges undgeländegängiges Allzweckfahrzeug mitausreichender Bewaffnung und Panzerung, maß nachErdbegriffen zehn mal vier Meter.

Für uns, die unter kaum verständlichen UmständenGeschrumpften und Kleingewordenen, war dieserWagen nun zehn Kilometer lang und vier Kilometerbreit! Wir hatten mit unseren Flugzeugen auf einemTeil der Heckladefläche landen können, der sonstgerade zur Unterbringung von Paketen ausgereichthätte.

Luftschlitze und Abgasöffnungen, die man nochvor wenigen Tagen nur mit schmalen Spezialbürstenhatte reinigen können, waren nun so groß, daß wir

bequem hindurchschreiten konnten, ohne die Deckezu sehen. Metallsporen, oberflächlich bearbeiteteSchweißnähte und sonstige Unebenheiten bildetenfür uns Mikromenschen weite Plattformen undVertiefungen, die wir kaum überwinden konnten.

Niemals zuvor hätte ich mir vorstellen können, wieeinem Mann zumute sein muß, der in einemtausendfach verkleinerten Zustand plötzlich ein Geräthandhaben will, das nicht in denVerkleinerungsprozeß einbezogen wurde.

Ich saß in der Pilotenkanzel eines zweistrahligenJagdbombers vom Typ F-913 G. Es war dernaturgetreue Nachbau eines Flugzeugmodells, dasvor mehr als vierhundert Jahren auf der Erdeentwickelt worden war. Wir sagten deshalb auchOLDTIMER dazu.

Mit fünf Maschinen dieser Art waren wir vor achtTagen Standardzeit in jenen gewaltigen Schachthineingeflogen, den die CREST II ehemals mit ihrenThermo- und Impulsgeschützen ausgebohrt hatte.

Diese Öffnung hatte es uns vor Wochenermöglicht, die Oberfläche des Hohlweltplaneten zuerreichen, die dritte und letzte Etage zu verlassen undin den freien Raum vorzustoßen.

Dann hatte sich Perry Rhodan dazu verleitenlassen, seine sichere Position weit außerhalb der dreikünstlich „installierten“ Sonnen zu verlassen undHorrors Oberfläche erneut anzufliegen. Er hatte eine

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nordpolare Kraftstation zerstört, doch zu diesemZeitpunkt hatte bereits ein dort eingebautes Gerät zuarbeiten begonnen, das wir nach der Klärung derSachlage „Potentialverdichter“ genannt hatten.

Zweitausend Mann und das SuperschlachtschiffCREST II waren um das Tausendfache ihrerehemaligen Größe verkleinert worden. Ich war spätergelandet und in die gleiche Falle gelaufen. Niemandunter uns konnte genau sagen, wie derPotentialverdichter arbeitete. Wir hatten nurherausgefunden, daß es auf Horror zwei Maschinendieser Art gab. Die nordpolare Einrichtung warvernichtet worden. Die südpolare Kraftstationarbeitete jedoch nach wie vor, obwohl OberstKotranow bei seiner Ankunft mit demLangstreckenschiff ANDROTEST II versucht hatte,die gewaltigen Kuppelbauten auf dem südlichen Poldieser Höllenwelt zu zerstören.

Es war ihm nur teilweise gelungen. SeineSchiffsgeschütze waren zu leicht und zu schwachgewesen, um das Gigantenbauwerk dem Bodengleichzumachen. Anschließend hatte er mit seinerkleinen Besatzung unser Schicksal teilen müssen.

Sein Vierstufenschiff, das einen Aktionsradius voneiner Million Lichtjahre besaß, hatte uns eigentlichzum dreihunderttausend Lichtjahre entferntenTwintransmitter zurückbringen wollen. Nun war auchdiese Chance vorüber.

Immerhin - eine Rettungsmöglichkeit hatte sichnoch angeboten, und wir hatten sie genutzt.

Jemand von der Besatzung der Kaulquappe C-11,die bei einem früheren Einsatz in der zweiten Etagedes Planeten abgestürzt war, hatte sich daran erinnert,daß die Katastrophenautomatik kurz vor demAufschlag einige Flugpanzer ausgeschleust hatte.

Wir hatten sie gesucht und auch gefunden.Allerdings hatten sich dabei so viele Schwierigkeitenergeben, daß wir bald verzweifelt waren. Der in derzweiten Etage stehende Shift war nicht verkleinertworden, da er niemals die Oberfläche und damit denEinflußbereich der beiden Potentialverdichter berührthatte.

Wir waren jedoch ums Tausendfache geschrumpft!Das bedeutete - in nüchternen Zahlen ausgedrückt -daß ich jetzt noch 1,9 Millimeter groß war. Diegrößten Personen an Bord der nur noch 1,50 Meterdurchmessenden CREST II waren zwischen 2,5 und3,5 Millimeter groß. Diese Personen waren derErtruser Melbar Kasom und der Haluter Icho Tolot.Ihnen hatten wir es zu verdanken, daß die Bergungeines für unsere Begriffe zehn Kilometer langenUngetüms gelungen war.

Nachdem wir einen seinerzeit ausgestoßenen Shiftentdeckt hatten, waren Tolot und Kasom an dieArbeit gegangen. Hebel und Knöpfe, die wirnormalerweise mit einem Finger hätten betätigen

können, waren zu riesigen Gebilden geworden. Wirhatten sie mit Flaschenzügen und anderenSeilzugvorrichtungen bewegt und dabei erneutschmerzlich empfunden, wie winzig wir gewordenwaren.

Fünfundzwanzig Mikroben, darunter ein Haluter,drei Mutanten, ein umweltangepaßter Riese vonErtrus und ich, der Arkonide, hatten sich bemüht, denFlugwagen bis hinauf in die dritte Etage zu bringenund ihn dort zu landen, wo die Durchbruchsöffnungzur Oberfläche begann.

Ihr lichter Durchmesser hatte ehemals dreiKilometer betragen. Nun waren es dreitausendKilometer geworden. Es bedeutete durchaus keinProblem, mit einer schnellen F-913 G in weitenKreisen emporzusteigen und die Freiheit zugewinnen. Die Maschinen erreichten immer nocheine Geschwindigkeit von etwa zwei Mach. In dieserHinsicht hatten wir ein weiteres physikalischesPhänomen erlebt. Für mich war es fast unvorstellbar,daß diese nur noch sechsundzwanzig Millimeterlangen Flugzeuge mit zweifacherSchallgeschwindigkeit über das weite Land rasten.Dadurch waren die Entfernungen im relativenGegensatz zu unserer Schrumpfung konstantgeblieben.

Vor einer Stunde hatten wir mit einer Tätigkeitbegonnen, die uns vor wenigen Tagen noch traumhaftvorgeschwebt hatte.

Die atomaren Maschinen der CREST II wareninfolge der Potentialverkleinerung, die nicht mit einerZusammenballung oder Verdichtung verwechseltwerden durfte, nach und nach ausgefallen. Jetzt liefennur noch die drei chemischen Hilfskraftwerke, diesich für Notfälle besonderer Art an Bord befanden.

Auch die Strahltriebwerke der OLDTIMERarbeiteten auf rein chemischer Basis. Hätten wir dieFlugzeuge nicht an Bord genommen, als dieNachschubverbindung zum Twintransmitter nochfunktionierte, wären wir endgültig verloren gewesen.

Durch diese Maßnahme besaßen wir nun einenShift, der nicht verkleinert worden war! Dasbedeutete ferner, daß wir einen leistungsfähigenHypersender in Betrieb nehmen konnten.

Oberst Kotranow hatte erklärt, im Twinsystemstünde das dritte Vierstufenraumschiff aus derANDROTEST-Serie zum Einsatz bereit. Wenndieses Schiff über Horror ankam, dann mußte seineBesatzung vor dem verderblichen Einflußbereich dersüdpolaren Horrorstation gewarnt werden. Dies warjedoch nur mit einem überlichtschnell arbeitendenHypersender möglich.

Insoweit hatte Captain Redhorse recht gehabt, alser sein „Nohetto - es ist vorüber“ ausgesprochenhatte.

Icho Tolot und Melbar Kasom hatten den

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Hypersender des Shifts übernommen. Jeder Knopfund jeder Hebel mußte mit Hilfe von Flaschenzügenbewegt werden. Die Männer waren erschöpft, amEnde ihrer Nervenkraft. Die eigenartigen Lebewesender dritten Etage, die Gelbpelze, hatten uns nach derAnkunft belästigt. Als sie schließlich zu denmenschlichen Mikroben keinen parapsychischenKontakt herstellen konnten, waren sie wiederverschwunden.

Die Besatzung der CREST war über unsereAnkunft informiert worden. Ich hatte mich nun dazuentschlossen, mit einem OLDTIMER den Flug zuwagen, Bericht zu erstatten und mit zweiTankflugzeugen zurückzukehren.

Von unseren fünf Maschinen waren nur noch dreivoll flugklar. Das hatten die Untersuchungen derletzten Stunden ergeben.

Wir hatten die kümmerlichen Treibstoffreste ausden Tanks der anderen Maschinen herausgepumpt,sie in die Behälter meiner F-913 gefüllt und damitwenigstens eine Einheit flugfähig erhalten.

Gucky und Gecko, die beiden Mausbiber, saßenhinter mir in der Kabine. Meine kleinen Freunde vomPlaneten Tramp waren deprimiert. Ihretelekinetischen Fähigkeiten, auf die wir bei demTransport des riesigen Shifts so große Hoffnungengesetzt hatten, waren nicht voll zum Einsatzgekommen. Die extreme Verkleinerung eines jedenAtoms hatte zu schwerwiegenden Störungen in denpsionisch begabten Hirnregionen der Mausbibergeführt. Gucky, der sonst riesige Schaltungenmühelos beherrschen konnte, war kaum in der Lagegewesen, einen Knopf zu bewegen. Schließlich warer ganz ausgefallen.

Gecko, der seine Naturgaben ohnehin noch nichtvoll ausgebildet hatte, war als Hilfskraft nochwertloser gewesen.

Die an den Enden der scharfgepfeilten Tragflächenangebrachten Strahltriebwerke schwenkten herum.Sie wirkten nun als Hubeinheiten, deren Schubkräftevon den Bug- und Hecktriebwerken verstärkt undstabilisiert wurden. Die OLDTIMER waren guteSenkrechtstarter, die ihre konstruktivenKinderkrankheiten schon vor vierhundertzwanzigJahren überwunden hatten.

Ich schaute durch die transparentenKanzelscheiben nach draußen. Die hintereLadefläche des Shifts wirkte auf meine Mikroaugenwie eine Kraterlandschaft mit Gebirgen undAbhängen. Jede Lackblase - und es gab viele davon -bedeutete für uns ein ernsthaftes Hindernis.

Meine Maschine stand nahe dem hinterenEntlüftungsstutzen, dessen rostfreie Edelstahlkappeausnahmsweise nicht mit einer Tarnbemalungversehen worden war. Also gab es hier auch keineLackblasen, die sich infolge der Materialbelastungen

überall gebildet hatten.Die Klappe war normalerweise dreißig Zentimeter

breit und vierzig Zentimeter lang. Mit ihr konnte derEnt- und Belüftungsstutzen zum hinteren Turmraumhermetisch verschlossen werden, sobald der Wagenauf Welten mit giftigen Lufthüllen zu operieren hatte.

Diese Klappe bildete für uns einen idealenFlughafen, auf dem mehr als drei OLDTIMER Platzgehabt hätten.

Perry Rhodan winkte. Er stand neben demgähnenden Schlund des Stutzens und hielt sich aneinem Seil fest, an dem wir in die Tiefe steigenkonnten. Sein hageres Gesicht wurde von dem gelbenLicht gefärbt, das vom Deckengewölbe der drittenEtage herabstrahlte und die Konturen derTrümmerfelder weniger scharf hervortreten ließ.

Hier hatte vor unbekannten Zeiten ein atomarerKrieg getobt. Wir wußten, daß es sich um eineAuseinandersetzung zwischen den Bewohnern derOberfläche und den Intelligenzen der dritten Etagegehandelt hatte.

Beide Völker waren untergegangen. Die Gelbetagewar zur strahlenden Wüste und die Oberfläche zueinem brettflachen Gelände geworden, das durch dieEinwirkungen einer unbekannten Waffe tausendfachgeschrumpft war.

Als ich noch meine normale Größe besessen hatte,war ich wie ein Gigant über das weite Landgeschritten. Unter meinen Stiefelsohlen warenWälder zerborsten. Wir hatten die Gewächse fürFlechten und Moose gehalten. Die riesigen Gebirgedieser Welt waren für uns Sanddünen gewesen - biswir selbst verkleinert worden waren. Da hatten wirbemerkt, was mit Horrors Oberfläche geschehen war.

Jetzt waren die Relationen wieder ausgeglichen.Da sich alles ums Tausendfache verkleinert hatte,ergaben sich keine Bezugspunkte mehr, an denen wirunsere Schrumpfung hätten ablesen können. DieseTatsache hatte auch dazu geführt, daß die Männer derCREST anfänglich an eine Spiegelfechterei geglaubthatten. Als sie noch ihre normale Größe besessenhatten, war ihnen Horrors Oberfläche ebenfalls alsflaches Gelände erschienen. Nach der erfolgtenVerkleinerung hatten sie plötzlich riesige Berge undausgedehnte Urwälder erblickt.

Erst meine Ankunft hatte Rhodan darüber belehrt,was geschehen war. Wenn wir psychisch in der Lagegewesen wären, die Vorkommnisse zu vergessen,hätte niemand unter uns gemerkt, daß sich dieGrößenordnungen auf Horrors Oberflächeverschoben hatten.

Wir konnten es aber nicht vergessen! Dienormalen Abmessungen des Allzweckwagenswirkten auf uns wie ein Trommelfeuer von seelischenNackenschlägen. Niemals zuvor hatte ich unserMückendasein so stark empfunden.

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Ich schaltete den automatischen Hubstabilisatorein und drückte die beiden Schubhebel der Turbinennach vorn. Sie brüllten auf. Wenn ein normalerMensch in der Nähe gewesen wäre, hätte er dasGeräusch wahrscheinlich nicht einmal vernommen;oder nur als Raunen, dessen Ursprung er kaum hätteherausfinden können.

Meine Gefährten gingen in Deckung. Es gab genugKratzer und sonstige Unreinheiten im Material.

Ich winkte Rhodan, Don Redhorse und demZweiten Offizier der CREST nochmals zu, hob dieMaschine im Senkrechtstart ab und ging dicht überdem Turm des Panzers auf Kurs.

Jetzt erlebte ich wieder das eigenartige Phänomeneiner als normal anzusehenden Geschwindigkeit, diemit meiner derzeitigen Größe nicht zu vereinbarenwar. Meine Mikroaugen waren nicht mehr in derLage, die unter mir hinweghuschende Landschaft zuerkennen. Das Auseinanderhalten der einzelnenBodenerhebungen war ausgeschlossen.

Ich ließ die Maschine im Winkel von fünfzig Gradsteigen und suchte nach der Schachtöffnung. Ichentdeckte sie erst, als ich längst unter ihr hinwegflog.

„Steigen“, schrie mir Gucky zu.Ich zwang den OLDTIMER in eine weite Kurve

und begann mit jenem Flugmanöver, das MelbarKasom als „widerliche Kurbelei“ bezeichnet hatte.

Sekunden später wurden wir allseitig von denSchachtwänden eingeschlossen. Ich wußte, daß er nurdrei Kilometer durchmaß, obwohl er im relativenVergleich zu meiner Größe dreitausend Kilometerweit war.

Das hatte jedoch mit den tatsächlichenGegebenheiten nichts mehr zu tun. Meine Maschinewar nach wie vor zweifach überschallschnell.

Als ich mich den Wandungen dreimal so weitgenähert hatte, daß die Radarautomatik warnend zuschrillen begann, verlor ich die Geduld.

Ich stieß die Schubhebel der beidenFlächentriebwerke auf Notleistung, zwang die F-913G mit der Nase hoch und begann mit dem vertikalenAufstieg nach Raketenart.

Die Beschleunigungskräfte preßten mich in denSitz zurück. Gucky und Gecko wurden mit solcherGewalt in ihre Polster gedrückt, daß sie fast dasBewußtsein verloren. Diese psychische Schwächewar eine typische Eigenschaft der Mausbiber. Da derOLDTIMER keine Andruckabsorber besaß, stieg dieBelastung bis auf fünfeinhalb Gravos an.

Augenblicke später erreichte ich das obere Endedes hundert Kilometer langen Schachtes. Über mirwölbte sich der schwarzblaue Himmel des PlanetenHorror.

Zwei der drei Sonnen, die Horror, entgegen allenphysikalischen Gesetzen, umliefen, tauchten inmeinem Blickfeld auf. Der dritte Stern stand hinter

dem südlichen Horizont.Ich beendete den Steigflug, zwang das Flugzeug in

die Normallage und sah mich nach den Mausbibernum.

Gucky richtete sich stöhnend auf. Sein Gefährtegab keinen Ton von sich.

Ich lachte den Kleinen an und ging auf Kurs. DieSandkuchenberge, zwischen denen die CREST stand,waren nur dreihundertachtzig Kilometer entfernt.

Wenn ich die Distanz hätte laufen müssen, hatte essich um dreihundertachtzigtausend Kilometergehandelt! Die Flugeigenschaften meiner Maschinestellten jedoch die realen Werte wieder her. Aufdiesem Planeten lernten selbst geistig schwerfälligeLeute den Begriff „Relativität“ kennen.

Die gewaltige Kugel der CREST tauchte schonnach wenigen Minuten am Horizont auf. Ich umflogdie achttausend Meter hohe Gebirgskette und stießvon Süden her in das weite Tal vor.

Die Landung brachte keine Probleme mit sich. Alsdas Bugrad auf den Boden wippte und dieHubtriebwerke in Heck und Bug ausliefen, strömtendie Männer der CREST aus dem Schiff, das inWirklichkeit nur noch eineinhalb Meter durchmaß.

Ich hatte gesehen, wie Icho Tolot das Flaggschiffder Solaren Flotte auf den Schultern davongetragenhatte. Damals waren wir jedoch noch normal großgewesen. Ich konnte mir also besser als jeder andereMann vorstellen, wie winzig die CREST IItatsächlich geworden war.

Jetzt war nichts mehr davon zu bemerken. Ichschaute an den schimmernden Stahlwandungenhinauf, bis mir der in etwa siebenhundert Meter Höhebeginnende Ringwulst den Blick versperrte. Diegähnenden Schlünde der Impulsdüsen hatten schonlange nicht mehr ihre lichtschnellen Energietürmeausgespieen und den terranischen Giganten durchRaum und Zeit gerissen.

Ich schüttelte die Gedanken von mir ab. Seitdemuns die Bergung des Shifts gelungen war, litt ichunter Zwangsvorstellungen, die mir immereindringlicher meine tatsächliche Körpergrößevorhielten.

Dieser Gefühlssturm konnte gefährlich werden undzum sogenannten Horror-Koller führen. Ich mußtemich beherrschen.

Mory Rhodan-Abro, Perrys Gattin, trat auf michzu. Sie versuchte ein Lächeln. Ihre rotblonde Mähnewar noch länger geworden. In ihrerKampfkombination glich sie mehr einem Mann alseiner begehrenswerten Frau.

„Willkommen, Atlan“, sagte sie leise. „Ist alles inOrdnung?“

Ich bemerkte die bange Frage in ihren schönenAugen. Oberst Cart Rudo, Epsalgeborener undKommandant des Superschiachtschiffes, räusperte

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sich. Ich ahnte, daß Mory Todesängste ausgestandenhatte.

„Alles in Ordnung“, bestätigte ich. „Der Einsatzwar schwierig.“

Sie sah mich abschätzend an.„Das dürfte wohl etwas untertrieben sein. Der

Wagen muß einem Ungeheuer gleichen. Wie habenSie ihn bewegen können?“

„Das ist eine Sache für sich“, sagte ichausweichend. „Wir haben es jedenfalls geschafft.“

Cart Rudo nickte. Wir schwiegen, bis die beidenMausbiber verschwunden waren. Gucky lag auf denArmen eines starken Terraners und weinte. Geckogab keinen Ton von sich. Die kleinen Burschen tatenmir leid.

„Haben sie versagt?“ fragte Mory flüsternd.„Objektiv nicht. Aber Gucky ist nicht mit sich

zufrieden. Lassen Sie ihn in die Bordklinik bringen,Rudo. Eine Schlaftherapie wäre vielleichtangebracht. Unsere Mediziner sollten mittlerweilewissen, wie man mit einem Mausbiber umzugehenhat.“

Anschließend begrüßte ich die Männer der CRESTII. Sie benahmen sich diszipliniert und duldsam, aberdie Hoffnung hatten sie nicht aufgegeben. Ich suchtein meiner Erinnerung nach einem ähnlichen Erlebnis,aber ich entdeckte nichts.

Dagegen sagte mir mein fotografischesGedächtnis, daß die Angehörigen anderergalaktischer Völker schon bei wesentlichgeringfügigeren Anlässen kapituliert hatten!

Hier hatte ich es mit Terranern zu tun, den fraglosfähigsten Intelligenzwesen der Milchstraße. Sieverloren weder ihren bissigen Humor noch gaben sieauf, noch klagten sie unnötig oft über ihr Schicksal.Diese zweitausend Elitesoldaten aus allen Völkernder Menschheit dachten nicht daran, sich selbstaufzugeben und in Lethargie zu verfallen.

„Wie war das Wetter da unten?“ erkundigte sichein rothaariger Oberstleutnant. Es war Brent Huise,Erster Kosmonautischer Offizier der CREST. Erdeutete mit dem Daumen über die Schulter undgrinste mich an, als wäre nichts geschehen.

„Prächtig“, ging ich auf seinen Ton ein. „Es hätteab und zu regnen können.“

Major Cero Wiffert, unser Erster Feuerleitoffizier,lachte etwas gequält auf. Seitdem seineSchiffsgeschütze nicht mehr funktionierten, trug erständig einen Maschinenkarabiner mit chemischenMinirak-Geschossen über der Schulter.

Diese Waffen gehörten ebenfalls zu derNotausrüstung, die wir aus einem der vernichtetenPosbitransporter übernommen hatten. Sie waren dieeinzigen, die noch verwendet werden konnten.Wiffert war fest entschlossen, bei dem nächstenAuftauchen der FESTUNG etwas gegen diesen

fliegenden Giganten zu unternehmen, obwohlniemand besser als er wußte, wie lächerlich seinewinzigen Projektile waren.

Ich schaute unwillkürlich in den sternlosenHimmel hinauf. Horror und seine drei Sonnen warenein künstlich aufgebautes System. Wer dasKunststück fertiggebracht hatte, drei Sterne undeinen großen Planeten aus den ehemaligenUmlaufbahnen zu zerren, um siefünfhundertfünfzigtausend Lichtjahre vomAndromedanebel entfernt in der Öde des Leerraumeszu einem System zu formen, war uns nach wie vorunklar. Wir wußten nur, daß wir uns im Zentrumeiner Materieballung befanden, die einsam undverlassen im Leerraum zwischen den Sterneninselnstand. Wir wußten ferner, daß sie dort nichthingehörte.

Unbekannte, die wir mangels besserer Definition„Meister der Insel“ nannten, hatten es für strategischnotwendig gehalten, die komplizierteTransmitterverbindung zwischen der Milchstraße unddem Andromedanebel durch Auffangstationen vomRange des Horror- oder des Twinsystemsabzuriegeln.

Kein Unbefugter sollte jemals Andromedaerreichen können. Selbst Befugte, unter denen wiruns nichts vorstellen konnten, hatten anscheinenddiese Auffangstationen zu passieren, wo sie ersteinmal getestet wurden.

Wir waren Geheimnissen auf die Spur gekommen,die man nur mit dem Begriff „ungeheuerlich“bezeichnen konnte. Wer war technisch undwissenschaftlich in der Lage, drei, vier oder gar sechsriesige Sonnen einzufangen, sie zu geometrischenFiguren zu ordnen und sie anschließend so zuschalten, daß ihre unfaßbaren Energieströme nutzbargemacht werden konnten? Da versagte selbst dasVorstellungsvermögen eines zehntausendjährigenMannes von meiner Art.

Als ich an meine Vergangenheit dachte, griff ichunwillkürlich an den Brustteil meiner Kombination.Unter ihr fühlte ich die eiförmige Schale meinesZellaktivators, dessen biophysikalischenReizimpulsen ich die Erhaltung meines Zellsystemszu verdanken hatte.

Auch Rhodan, Mory und der Mutant Wuriu Senguwaren Aktivatorträger. Sie waren biologischunsterblich - normalerweise! Ob unsere Geräte aufHorror ebenfalls versagen würden oder nicht, war unsnoch unklar. Bisher hatten sie die potentielleSchrumpfung der Atome anscheinend überstanden.Wäre es nicht so gewesen, wären wir bereits anplötzlich einsetzender Altersschwäche verstorben.Wenn ein Aktivator ausfiel, hatte man ungefähr nochsechzig Stunden Zeit bis zum jähen Absterben desOrganismus, der Jahrhundert- und jahrtausendelang

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künstlich aufgepeitscht und jung erhalten wordenwar.

Cart Rudo deutete meinen Handgriff richtig. Erräusperte sich erneut und wechselte das Thema.

„Wir haben Ihren Spruch einwandfrei empfangen.Seit fünfzehn Minuten registrieren wir seltsameSchwingungen, die wir nicht genau identifizierenkönnen. Funken Sie etwa mit den Geräten des Shiftsauf Hyperwelle?“

Mir wurde heiß. War Rhodan verrückt geworden?„Wie - ununterbrochen?“ erkundigte ich mich

hastig.„Laufend“ bestätigte der dunkelhäutige Chef der

Funkzentrale, Major Kinser Wholey. Er sah michprüfend an. „Ist etwas nicht in Ordnung, Sir?“

„Sind Sie sicher, daß es sich um verzerrteinfallende Hyperimpulse handelt?“ lenkte ich ab.

„Fast sicher, Sir“, meinte er. „Unsere Gerätesprechen kaum noch darauf an. Ich habe zweiNotaggregate auf meine Zentrale schalten lassen. Essieht aber anhand der dürftigen Empfangsergebnisseganz danach aus, als würde der Shiftsender arbeiten.“

Ich drehte mich auf dem Absatz um und wollteunseren Chefphysiker ansprechen. Dr. SpencerHolfing stocherte mit einem aufgelesenen Stock imSand herum. Der mürrische Gesichtsausdruck war fürHolfing normal.

Ehe ich etwas sagen konnte, ergriff er schon dasWort. Er sah dabei nicht auf.

„Schweigen Sie lieber“, meinte er knurrig. „Ichkenne Ihre Befürchtungen. Vielleicht haben Sie sogarrecht. Wenn die sogenannte Festung, dieses fliegendeRiesenrad, die Sprüche aufnimmt und den Senderanpeilt, erleben wir unser blaues Wunder. Die Herrenhalten uns doch wohl für tot, oder?“

Er sah auf und fixierte mich. Der Stock schwebtewie eine wurfbereite Lanze in seiner Hand.

„Nein, Sie sollen noch immer nichts reden“,schnitt er mir erneut das Wort ab. Seine Wangenröteten sich.

„Hören Sie, Atlan - hier muß etwas riskiertwerden, verstehen Sie! Sie haben meine letzteTheorie, die noch etwas Aussicht aufWahrscheinlichkeit hatte, ebenfalls über den Haufengeworfen. Ich hatte angenommen, derVerkleinerungsprozeß würde rückläufig werden,sobald organische oder anorganische Materie fürlängere Zeit aus dem Einflußbereich des südpolarenPotentialverdichters entweichen könnte. Nun - Siewaren acht Tage Standardzeit in der Unterwelt. AufHorrors Etagen ist die Strahlung nicht existent. Wieich jedoch sehe, besitzen Sie nach wie vor Ihre stolzeKörpergröße von knapp zwei Millimetern. MeineHypothese war falsch. Unsere Zustandsform scheintkonstant zu bleiben. Es ist zwecklos, den geplantenVersuch zu unternehmen, auf die strahlungsfreie

Nordhalbkugel des Planeten zu fliehen. Ich hätte esbei einiger Aussicht auf Erfolg empfohlen, selbst aufdie Gefahr hin, die CREST unbemanntzurückzulassen und jenseits des Äquators von Beerenund Wurzeln leben zu müssen.“

„Kommen Sie zum Thema, Doktor“, forderte ichungeduldig. „Die ständigen Hypersendungen sind einUnfug ersten Ranges. Wir können spielend leichtangepeilt und entdeckt werden. Die Festung ist einUngetüm. Als ich mit meiner Space-Jet über Horrorankam, besaß ich noch meine normale Größe.Dennoch ist meine Maschine von der Festungabgeschossen worden, obwohl sie mitneunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeitebenfalls ums Tausendfache verkleinert wurde. Ichhabe die Radnabe des Schiffes in meiner damaligenNormalgröße als einen zweihundert Meter langenund fünfzig Meter durchmessenden Körper gesehen!Hinsichtlich der heute gültigen Relationen bedeutetdas, daß sich dieses Schiff ums Tausendfachevergrößert hat.“

„Stimmt“, bestätigte Holfing ungerührt. „EineSalve, und wir sind erledigt. Dazu wird es aber nichtkommen! Wenn die Festung ebenfalls verkleinertwurde, woran ich übrigens nicht einmal mit einemProzent Wahrscheinlichkeit zweifle, dann müssenihre Hyperfunkgeräte ebenso ausgefallen sein wie dieGeräte der CREST. Sehen Sie das ein?“

Ich war bestürzt. Spencer Holfing gehörte zu denersten Kapazitäten des Planeten Erde. Wieso ließ ersich zu solchen Mutmaßungen hinreißen.

Holfing fuhr sich mit den gespreizten Fingerndurch seine frühzeitig weiß gewordenen Haare. Dazugrinste er mich ausgesprochen bösartig an.

„Grübeln Sie nicht schon wieder. Ich habe keinenHorror-Koller. Wenn die Festung ebenfallsverkleinert worden ist, kann sie einfach nicht mehrauf unsere Sendungen ansprechen. Begreifen Siedoch, daß ein Atom und ein Atomkern an Bord diesesSchiffes genauso reagieren müssen wie ein Atomoder ein Stromfluß der CREST. HyperenergetischeFrequenzen können nicht gesendet oder empfangenwerden. Selbst einfachste Kernreaktionen sindunmöglich geworden. Mich wundert es überhaupt,daß wir nicht schon längst in die Luft geflogen sind.Oder wollen Sie auch behaupten, hier gäbe es keineLuft?“

Er hob schnuppernd die Nase und schritt grußlosdavon. Ich drehte mich nach Cart Rudo um. MitHolfing war nicht mehr zu reden.

Anschließend schnitt er mir ein drittes Mal dasWort ab, indem er mir aus einiger Entfernung nochzurief:

„Lassen Sie Rhodan um alles in der Welt funken!Lassen Sie ihn funken, bis die Shiftgeräte heißlaufen.Die ANDROTEST III kann jeden Augenblick über

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dem Horrorsystem aus der Librationszone kommenund im Einsteinraum materialisieren. Wenn dieMänner des Bergungsschiffes ebenfalls zur Landunggezwungen werden wie Kotranow mit seinerANDROTEST II, dann können wir gleichBlockhäuser bauen. Lassen Sie ihn funken, selbst aufdie Gefahr hin, daß die Festung eine undeutbarePeilung erhält. Wer weiß, ob es auf diesem Fahrzeugüberhaupt Hyperfunkgeräte in unserem Sinne gibt,auf welchen Frequenzen sie arbeiten und ob sieständig auf Empfang geschaltet sind. Ich wage dashinsichtlich der kosmischen Einöde, in der wir unsnun einmal befinden, zu bezweifeln.“

Ich konnte mich der Logik dieser Worte nichtlänger verschließen. Außerdem wurde mir klar, daßSpencer Holfing gewillt war, alles auf eine Karte zusetzen. Dieser kluge Mann hatte sich seine Erklärungüberlegt.

Trotzdem konnte ich die in mir aufsteigendeNervosität nicht verbergen. Meine Nervenkraft ließnach. Schärfer als beabsichtigt forderte ich vomKommandanten:

„Lassen Sie bitte meine Maschine und zweiweitere OLDTIMER voll auftanken. Ich werde mitdem Vorrat die leergeflogenen Flugzeuge versorgen.Die Männer des Einsatzkommandos müssen sofortabgelöst werden. Sie sind krankenhausreif.“

Cart Rudo verschwand im Laufschritt. Ich schauteprüfend an den mächtigen Felshängen hinauf, die einTerraner „Sandkuchenberge“ genannt hatte. Typischterranischer Humor!

Mory trat zu mir und legte mir beruhigend dieHand auf den Arm.

„Holfing weiß, was er sagt. Was haben Sie mitPerry wegen der Funksprüche ausgemacht oderbesprochen?“

„Eigentlich nichts Besonderes“, entgegnete ichgereizt. „Wir hatten kurz nach der Ankunft einmalprobehalber den Sender anlaufen lassen. Dann bin ichgestartet, um Treibstoff zu holen. Ich hatteangenommen, er wäre vernünftig genug, auf einderartiges Feuerwerk auf der hyperkurzenFlottenfrequenz zu verzichten. Er kann seineUngeduld nicht zügeln.“

„Beinahe hätte ich Sie gefragt, ob Sie schon öfterweniger als zwei Millimeter groß gewesen sind“,meinte sie spöttisch. „Mich wundert Ihre Einstellung.Atlan - hier geht es um alles! Die ANDROTEST IIImuß gewarnt werden.“

„Wem sagen Sie das! Es sollte jedoch alles zuseiner Zeit erfolgen. Die Energieortung des Shifts istempfindlich genug, um ein eintauchendes Schiff vonder Größe eines Vierstufenraumers aufzuspüren.Dann bietet sich immer noch Gelegenheit genug füreine Warnung.“

Etwa dreißig Männer der Besatzung hatten meine

Worte gehört. Sie warfen sich nachdenkliche Blickezu. Leutnant Nosinsky, der jüngste Offizier an Bord,sprach einen Soldaten an.

„Machen Sie mal unsere großen Raketenspritzenfeuerklar und bringen Sie die Rohre hinauf zuroberen Polkuppel. Von dort dürften wir das besteSchußfeld haben.“

Ich musterte ihn fassungslos. Bildete er sichtatsächlich ein, mit einem Raketenwerfer die Festungabwehren zu können? Wie groß waren die Geschossejetzt noch? Früher hatten sie ein Kaliber vonfünfundsiebzig Millimetern besessen!

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Icho Tolot, das größte und stärksteIntelligenzwesen, das dem Menschen bisher begegnetwar, war selbst in seinem tausendfach verkleinertenZustand noch 3,5 Millimeter groß.

Der Drehknopf des Lautstärkereglers durchmaß inseiner normalen, unveränderten Form fünfzehnMillimeter.

Tolot war nicht in der Lage gewesen, den Knopfallein zu bewegen.

Melbar Kasom, der umweltangepaßte Mensch, warso schnell wie möglich über die Falzgrate derSchaltungsverkleidung nach oben geklettert, um demnichtmenschlichen Haluter zu Hilfe zu kommen.

Jetzt wuchteten beide an den langen Hebeln ausmühevoll bearbeiteten Kunststoff splittern, derenscharfe, hochgewölbte Enden unter der Riffelung desKnopfes eingriffen.

Rhodan und Don Redhorse knieten auf der relativglatten Kunststoffhülle des Gerätes und hielten diebeiden Plastikböcke fest, auf denen man die Hebelprovisorisch gelagert hatte.

Tolot griff mit allen vier Armen gleichzeitig zu.Der Knopf drehte sich mehr und mehr nach links.Das Brüllen und Tosen, das soeben noch aus denLautsprechern der akustischen Signalanlagehervorgebrochen war, mäßigte sich, je weiter derSchalter der Nullstellung zu bewegt wurde.

Trotzdem war das Geräusch für dasüberempfindlich gewordene Gehör der Männer nochimmer zu laut.

Als das Dröhnen gänzlich verstummte und nurnoch die Diagrammschreiber mit aufgezacktenMeßkurven bewiesen, daß eine Energieortung imLautstärkewert achtzehn vorlag, war Perry Rhodaneiner Ohnmacht nahe.

Don Redhorse lag mit zuckenden Schultern auf derHülle, und Melbar Kasom, der kräftigste Mensch derGegenwart, hatte sich mit dem Rücken gegen denLautstärkeregler gelehnt.

Selbst Icho Tolot, der Übergigant von Halut,stöhnte. Seine schwarze Lederhaut glänzte im

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reduzierten Licht der Instrumentenbeleuchtung.Eine höhere Intensität war nicht erforderlich. Die

Mikroaugen der Geschrumpften nahmen denSchimmer wie eine Lichtflut wahr.

Die körperliche Anstrengung konnte Tolot durchseinen Körper-Metabolismus ausgleichen. Seinebeiden Herzen arbeiteten augenblicklich mit erhöhterLeistung.

Was der Haluter ebenfalls nicht gänzlichabsorbieren konnte, das war die Belastung durch dieultrahohen Schwingungen, die bei dem akustischenOrkan auf seine Nervenzentren eingewirkt hatten.

Der Haluter bückte sich und hob Rhodan auf. Erwußte, daß er mit seiner dröhnenden Baßstimmeberuhigende Worte sprach, aber er hörte sie nicht.Dafür arbeiteten seine drei faustgroßen Augen um sobesser.

Das Oszillogramm war eindeutig. DieRotverfärbung der stufenlos arbeitendenOrtungsanzeige schritt rascher fort, als es derhalutische Wissenschaftler für wünschenswert hielt.Etwas, das eine starke Energiestrahlung ausschickteund das von den empfindlichen Hochleistungsgerätendes Shifts im vierdimensionalen und auch imfünfdimensionalen Bereich angemessen wurde,näherte sich dem Standort des Flugpanzers.

Tolot war erfahren genug, um sofort Recherchenanzustellen. Sein Planhirn, eine unterhalb desOrdinärgehirns liegende organische Denkeinheit vonhöchster Packungsdichte, nahm auf seinenGedankenbefehl hin die Arbeit auf. Die von demEnergieorter ermittelten Daten wurden von demHaluter ausgewertet. Sekunden später lagen dieErgebnisse vor.

Er übernahm sie in sein Ordinärgehirn, das auchfür den Bewegungsablauf und die Steuerung seinerSinnesempfindungen verantwortlich war.

Tolot hob vorsichtig seine säulenförmigen Beinean und legte Rhodan am Rande derVerkleidungsbleche nieder. Einige Meter tiefer,relativ und den Relationen entsprechend gesehen,begann die schräge Fläche des eigentlichenKontrollpultes.

Als Melbar Kasom die Sachlage begriff, seilteTolot den besinnungslos gewordenen Regierungschefdes Solaren Imperiums bereits ab. Unten standenandere Männer, die dem Schallorkan nicht so direktausgesetzt gewesen waren. Sie konntenaugenblicklich auch nichts mehr hören, aber siehatten wenigstens nicht das Bewußtsein verloren.

Sie nahmen Rhodan in Empfang und nach ihmDon Redhorse, der jetzt wie leblos in TolotsSeilschlinge hing.

Kasom sah an dem klobig wirkenden Riesenhinauf. Tolots flaschengrüne Kampfkombinationschimmerte im Licht der Armaturen, als wäre sie mit

Smaragden besetzt.Das nichtmenschliche Gesicht des Haluters war so

ausdruckslos wie immer. Wesen dieser Art hatten esnoch nie verstanden, ihre Gefühle mimischwiederzugeben.

Dennoch empfand Melbar die Nervosität und diedrängende Hast, die von jeder Bewegung desFremden ausging. Es wurde Zeit, den Shift zuverlassen.

Kasom gebrauchte eine ertrusische Verwünschung,die niemand hörte. Die Männer hatten plötzlichbegriffen, was geschehen war.

Kasom sprang die wenigen Meter bis zumKontrollpult hinab. Da sein Mikrogravitator nichtmehr arbeitete, der ihm sonst die heimischeSchwerkraft von 3,4 Gravos ersetzte, brauchteKasom bei dem Aufprall kaum die Knie zukrümmen.

Icho Tolot zerrte an dem massiv befestigtenFlaschenzug des Hauptschalters. Das scharfeKnacken des in Aus-Stellung springenden Hebelskonnte Tolot bereits wieder hören. SeinMetabolismus hatte den Schallschock überwunden.

Die Kontrolllampen des Hypersenders erloschen.Das Gerät schwieg, nachdem es fast eine Stunde langden vorbereitenden Kodetext auf der SolarenFlottenfrequenz ausgestrahlt hatte.

Der Haluter nannte sich selbst einen Narren. Erhätte Rhodans Drängen nicht nachgeben dürfen. Erwar ein schlechter Verbündeter und Freund gewesen,als er in einer momentanen Schwäche auf PerrysWünsche eingegangen war, obwohl seinmathelogisch denkendes Plangehirn die Gefahr einerEinpeilung als gegeben errechnet hatte.

In dieser Hinsicht waren Tolot und Dr. SpencerHolfing zu zwei verschiedenen Auffassungengekommen, nur wußten sie nichts von ihrengegenseitigen Recherchen. Tolot hatte sich nichtdazu entschließen können, die Hyperempfänger derFestung als arbeitsuntauglich einzustufen. Er hattemit anderen Werten operiert als der terranischeWissenschaftler. Vor allem hatte es TolotsPlangehirn für durchaus wahrscheinlich gehalten, daßdie unbekannte Besatzung der Festung während desjahrtausendelangen Zustandes der Verkleinerungeinen Weg gefunden haben könnte, um selbst diehyperenergetischen Kraftanlagen des Schiffes wiederin Betrieb zu nehmen. Diese Meinung resultierte ausRückschlüssen aus anderen Fakten. Die atomarenTriebwerke der Festung hätten einwandfreigearbeitet.

Icho Tolot, anlagebedingt von ausgeprägtenMutterinstinkten belastet, hatte Rhodan und dieanderen Terraner wieder einmal als seine Kinder undSchutzbefohlenen eingestuft. Nur daher war esmöglich gewesen, daß er unbegreiflich nachsichtig

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gewesen war und den Sender eingeschaltet hatte.Diesen Fehler wiedergutzumachen, war nun Tolots

vordringlichste Aufgabe. Er arbeitete undorganisierte bis zur Selbstaufopferung.

Er kam mit einem Sprung neben Kasom an. DieTerraner bemerkten nur seine Gesten - und sieverstanden. Tolots rechter Handlungsarm, stärker undwesentlich länger als der auf der gleichen Seitegewachsene Sprungarm, deutete eindringlich auf dieoptischen Anzeigen. Es gab niemand unter denSpezialisten des Bergungskommandos, der einOszillogramm nicht hätte lesen können. Manbrauchte nicht mehr lange auf die Rotfärbung derzusätzlichen Warneinrichtungen zu sehen, zumal sielängst nicht so genau war wie derSchwingungsschreiber.

Perry Rhodan kam wieder zu sich. Er schlug dieAugen auf, fuhr sich mit den Händen über dasGesicht und preßte dann die Fäuste gegen die Ohren.

Tolot hob ihn auf und stellte ihn wie eine Puppeauf die Beine. Kasom hatte sich bereits DonRedhorse über die Schultern geschwungen. Erbefestigte den schlaffen Körper in den Seilschlingenseiner Schultergurte und begann nach einem weiterenWink des Haluters mit dem Aufstieg.

Als er die ersten Zentimeter zurückgelegt hatte,erwachte auch der Cheyenne. Protestierend schlug erKasom auf die Schulter, den noch geschwächtenTerraner aus seiner Obhut zu entlassen.

Weit über ihnen, kaum erkennbar und eineunwirkliche Drohung ausstrahlend, gähnte derschwarze Schlund der Abgasöffnung, durch die manin die Turmzentrale gelangt war. Es gab nochgenügend andere Abstiegsmöglichkeiten, aber dieserWeg hatte sich als der kürzeste und gangbarsteerwiesen.

Der Luftschacht begann dicht über dem Drehkranzdes Turmes. Hinter dem Filtergitter stieg er nichtmehr senkrecht an, sondern zog sich im Winkel vonnur dreißig Grad durch die Panzerwandungenhindurch, um über der Heckplattform ins Freie zumünden.

Für die Mikromenschen bedeutete der eine MeterDifferenz zwischen der oberenKontrollpultverkleidung und dem Abluftgitter eineStrecke von einem Kilometer.

Tolot wartete, bis Rhodan wieder sicher auf denBeinen stand. Das Gesicht des Großadministratorshatte sich weißlich verfärbt. Immer wieder schaute erzu den Meßkurven hinauf. Auch Perry Rhodan hatteverstanden, was er mit seinen Hyperfunksprüchenangerichtet hatte.

Tolot kletterte an dem zweiten Seil in die Höhe. Erpassierte die lange Reihe der aufsteigenden Männer,glitt wie von unsichtbaren Kraftfeldern getragen anKasom vorbei und erreichte die erste Plattform.

Von hier aus zog er Kasom und Redhorse in dieHöhe. Da die Größenunterschiede zwischen denverschiedenen Männern gleich geblieben waren,bedeutete es für den Haluter auch jetzt keinebesondere Anstrengung, das Gewicht von zehnTerranern auf einmal zu bewältigen.

Kasom griff ebenfalls zu. Als Rhodan auf demVorsprung angekommen war, jagte der Haluterbereits der zweiten Plattform entgegen. Von dort auskonnte man den Weg zu Fuß fortsetzen, da sich einInstrumentenbord schräg nach oben zog.

Schweißgebadet kamen sie oben an. Tolot rief siean. Hier und da wurden seine Worte schon wiederverstanden. Nur Redhorse und Rhodan hörten nochnichts.

Perry rannte keuchend hinter dem Haluter her.Kasom machte den Schlußmann. Nach einer halbenStunde hatten sie das Ende des Grates erreicht. Hierbegann die dritte, vertikal verlaufendeAufstiegsphase. Das starke Kunstfaserseil war inmühevoller Arbeit mit Knoten und Schlingenversehen worden. Die Abgasöffnung war immer nochdreihundert Relativmeter entfernt.

Tolot umklammerte mit allen sechs Gliedern dasSeil. Er verschwand in der Finsternis über demInstrumentenbord.

„Können Sie mich wieder hören, Sir?“ dröhnteKasoms Stimme.

Rhodan hob den Kopf. Ja - er hatte den Ertruserverstehen können. Das Rauschen und Summen inseinen Ohren ließ nach.

Kasom beugte sich noch weiter vor. Seinsandfarbener Sichelkamm berührte fast PerrysGesicht.

„Ortung, Sir. Etwas kommt näher. Tolot meint, eskönnte die Festung sein. Sollen wir den Shifttatsächlich verlassen? Wenn Sie anderer Meinungsind, können wir auch umkehren, oder?“

Rhodan stocherte mit den kleinen Fingern in denOhröffnungen herum. Captain Redhorse gebrauchteeinige Verwünschungen in seiner Muttersprache. Erverstand noch immer nichts.

„Auf keinen Fall“, entschied Perry. Seine grauenAugen glänzten und bewiesen, daß er jetzt wiederhellwach war. Hilfloser Zorn prägte seine Züge.

„Auf keinen Fall“, wiederholte er nochbestimmter. „Ich habe voreilig genug gehandelt.Welcher Teufel hat mich geritten, länger als eineStunde zu funken?“

Kasom grinste. Sein grobporiges Gesicht hing wieeine konturhafte Strichzeichnung vor demLichtschein, der aus der Tiefe heraufdämmerte.

„Dieser Teufel hat uns alle geritten, Sir. Es ist auchnicht verwunderlich, wenn man nach wochenlangenStrapazen die Geduld verliert. Außerdem haben wirauch nicht mit einer Einpeilung gerechnet.“

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„Man scheint uns aber trotzdem gehört zu haben.“„Sicher, es sieht so aus. Dennoch können die Peiler

der Festung nicht einwandfrei arbeiten. Wenn wir mitder CREST im Raum gestanden hätten, und hierunten hätte jemand auf die Taste gedrückt, hätten wirinnerhalb von zwei Sekunden den genauen Standortdes Senders gehabt. Die Festung brauchte mehr alseine Stunde, um uns erst einmal zu hören.“

„So - und daraus wollen Sie ableiten, daß dieGeräte des Riesenschiffs auch nicht mehr vieltaugen?“ warf Major Jury Sedenko ein.

„Genau das“, behauptete Kasom überzeugt.„Hoffen wir es. Oh - Tolot ist schon oben. Wie

macht er das?“Kasom winkte ab und begann ebenfalls mit dem

Aufstieg. Ehe er in der Dunkelheit der oberenTurmrundung verschwand, rief er den Terranernnoch zu: „Bleiben Sie hier, ruhen Sie sich aus undwarten Sie, bis das Seil dreimal ruckt. Dann hängenSie sich zu zwei Gruppen in die Schlingen. Tolot undich ziehen Sie hinauf. Ich habe so das Gefühl, alswäre es höchste Zeit, diese Unterwelt zu verlassen.“

Rhodan winkte ihm bestätigend zu. Erschöpftsetzte er sich auf eine Materialunebenheit.

Der Abgrund der Turmsohle wurde mehr und mehrvon einem dunkelroten Leuchten ausgefüllt. DonRedhorse ging nach vorn, legte sich flach nieder undspähte über den Rand des Instrumentenbords hinweg.

Das hagere Gesicht des Cheyenne zeigte keineRegung. Don Redhorse hatte sich selbstwiedergefunden. Er empfand Rhodans fragendeBlicke wie Nadelstiche.

Als er sich zurückzog, begann sein Gehör ebenfallswieder zu arbeiten. Noch etwas zu laut und kratzig,meinte er: „Es ist die Rotanzeige, Sir. DieEnergiequelle kommt näher. Hier und da pendelt sieaus dem Anflugkurs, doch dann schwenkt sie wiederein. Man hat uns ungefähr eingepeilt und fliegt nunnach dem Verstummen des Senders nach einemfestgelegten Koppelverfahren. Anders kann es nichtsein. Immerhin gewinnen wir dadurch Zeit.“

Perry strich sich die verschwitzten Haare aus derStirn und lehnte sich zurück.

Wer interessierte sich für den Shift? Wer warüberhaupt dazu in der Lage, sich dafür zuinteressieren?

Es konnte nur die Festung sein; das einzigeraumtüchtige Fahrzeug auf Horror, seitdem auchnoch die ANDROTEST II ausgefallen war.

Rhodan fühlte bohrende Unruhe in sich aufsteigen.Er dachte an die startunklare CREST II, die nachNormalmaßstäben nur wenige hundert Kilometer vonder Schachtöffnung entfernt stand. ZweitausendMann und eine Frau gaben sich zur Zeit noch immerder Hoffnung hin, mit der Auffindung und Bergungdes Flugpanzers sei ein entscheidender Schritt zur

Rettung gelungen. Oder...?Das Gesicht des Lordadmirals schien plötzlich vor

Perrys Augen zu schweben. Er kniff die Liderzusammen und versuchte, die Sinnestäuschung zuverbannen. Es gelang ihm nicht ganz.

Atlan war mit einem halbwegs aufgetanktenOLDTIMER zur CREST geflogen, um für die beidenanderen noch voll flugklaren Maschinen Treibstoffzu holen. Eventuell konnten die leichtenBeschädigungen an Redhorses F-913 G schnellbehoben werden. Es kam darauf an, den ohnehinzusammengeschmolzenen Flugzeugbestand nichtnoch mehr zu verkleinern.

Sicher - Redhorses OLDTIMER konnte bestimmtstarten. Die fünfte Maschine war allerdings kaumnoch verwendbar.

Wieder glaubte Rhodan, Atlans Gesicht zu sehen.Die rötlichen Augen des ehemaligenArkonidenimperators und Herrschers über eingigantisches Sternenreich drückten massivenVorwurf aus.

Rhodan preßte die Handflächen vor die Augen undversuchte ruhig zu bleiben. Was würde Atlan zu denFunksprüchen sagen? Würde er noch schnell genugkommen, um die letzten Männer desBergungskommandos in Sicherheit zu bringen?

Rhodan fühlte das harte Pochen seinesZellaktivators. Seine Körperkräfte kehrten schnellerzurück als die der anderen Männer. Ausgelaugt, diestoppelbärtigen Gesichter in den Armbeugenverborgen, lagen sie auf dem schartigen Metall undschliefen. Sie waren innerhalb der acht vergangenenTage so hart beansprucht, worden, daß sie nur nochan das Ausruhen dachten. Sie nützten jedenAugenblick, um die entzündeten Augen zu schließen.

Redhorse und Sedenko schliefen nicht. Sielauschten auf jedes Geräusch. Das Knacken desMaterials - ganz normaleEntspannungserscheinungen infolge wechselhafterUmwelteinflüsse - klang wie Donnerschläge. DasSummen des Fremdfrequenztasters hörte sich an, alsrumorten in der Ferne Energiegeschütze.

Rhodan analysierte seine Handlungsweise. Warumhatte er sich dazu verleiten lassen, kurz nach AtlansAbflug mit der Sendung zu beginnen? War es nur dieUngeduld gewesen; eine gewisse Ermattung desGeistes und des Körpers, die ihn dazu verführt hatte?Oder waren seine Überlegungen über dieFunktionstüchtigkeit der Festung stichhaltig genuggewesen, um selbst jetzt noch, nach der erfolgtenEinpeilung, als Rechtfertigung dienen zu können.

Rhodan fand keine Lösung. Jede Überlegung fielihm schwer. Als sich seine Lider zu einembleischweren Schlummer schlossen, dröhnte vonoben herab eine Stimme. Ein solches Getöse konntenur der Haluter erzeugen.

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Rhodan fuhr auf. Zusammen mit Redhorse weckteer die Männer. Die erste Gruppe, die von MajorSedenko geführt wurde, hängte sich in dieSeilschlinge. Augenblicke später war sie imDämmerlicht der oberen Turmrundungverschwunden. Am anderen Ende des Seiles standenzwei Giganten, einer menschlich, der anderenichtmenschlich. Sie arbeiteten unter Aufbietungaller Kräfte, um die Terraner nach oben zu bringen.

Rhodan und Redhorse erschienen mit dem zweitenTrupp. Als die acht Männer das stählerneVerstärkungsband über den Geschützverschlüssenerreichten, sank der Ertruser zu Boden und bliebschweratmend liegen. Melbar Kasom fühlte, daß eram Ende seiner Kräfte angelangt war. Selbst derHaluter zeigte schon Anzeichen von Erschlaffung.

Die Männer warteten einige Minuten. Dann tratensie den langen Marsch durch den ansteigendenSchacht an. Kasom und Icho Tolot legten sich eineWeile nieder. Sie wollten als letzte den Turmraumeines Fahrzeuges verlassen, das sie unter größtenMühen aus der zweiten Etage des HohlweltplanetenHorror geholt hatten und das nun allem Anscheinnach Gefahr lief, von einer unbekannten Machtangegriffen zu werden.

Tolots Planhirn rechnete schon wieder. DieChance, daß die Fremden den Wagen nicht fanden,war gering. Die Möglichkeit, daß sie sich nicht zueinem Vorstoß in die dritte Etage entschließenwürden, wurde dagegen in der Auswertung alsneunundneunzigprozentig zugunsten derMikromenschen eingestuft.

Tolot wurde etwas ruhiger. In dem Shift arbeitetenur noch die batteriegespeiste Notstromanlage, diegerade zur Versorgung der Instrumentenbeleuchtungund des Fremdenergie-Orters ausreichte. Einpeilungmit feinsten Werten war ausgeschlossen. Es warennur wenige Watt, die auf diesem Wege abgegebenwurden. Hyperenergetische Schwingungen tratennach dem Abschalten des Senders ohnehin nichtmehr auf.

Es kam jetzt nach Tolots Meinung primär daraufan, die Unterwelt von Horror zu verlassen und dafürzu sorgen, daß die CREST nicht entdeckt wurde. Wiedieses Kunststück zuwege gebracht werden sollte,war ihm momentan noch unklar.

Icho Tolot und Kasom brachen auf, als dasBergungskommando längst im Abluftstutzenverschwunden war.

Die beiden Giganten hatten den Trupp schon nachzehn Minuten eingeholt. Von da an wurden dieschwächsten Leute von Tolot und Kasom getragen.

Sie durchstiegen einige Schutzgitter, zwängtensich zwischen den Filterlücken hindurch, dienormalerweise keiner. Stubenfliege denDurchschlupf erlaubt hätten, und rissen sich an dem

nur grob bearbeiteten Stahl die Glieder auf.Endlich, nach einer guten halben Stunde, sichteten

sie einen Lichtschein. Das war die Freiluftöffnungdes Stutzens.

Als Tolot einen erschöpften Mann absetzte und aufallen vieren zu einem letzten Spurt ansetzte,berichtete der Mutant Wuriu Sengu, er könnte durchdie Stahlplatten der äußeren Turmverkleidunghindurchblicken.

Rhodan blieb stehen und lehnte sich mit demRücken gegen die Schachtwand.

„Was sehen Sie?“ erkundigte er sich.Wuriu setzte den verfügbaren Rest seiner

parapsychischen Gabe ein. Seine Augen verglasten.„Gelbes Licht, wie immer“, berichtete er tonlos.

„Von den Gefühlswesen ist nichts zu sehen. Siehaben sich anscheinend zurückgezogen. Draußen istalles ruhig.“

Perry nickte. Er hatte nichts anderes erwartet. Diegelbpelzigen Teleporter dieser Etage hatten dasInteresse an den Mikromenschen verloren.

Tolots Stimme drang durch den weiten Stollen.Man verstand nur ein Wort: Atlan!

Perry wurde aufmerksam. Seine mechanische Uhrlief noch. Der Arkonide war erst seit drei Stundenunterwegs. Weshalb kam er schon zurück?

„Könnte man auf der CREST unsere Sprüchegehört haben?“ vermutete Redhorse.

Rhodan räusperte sich. Es war ein Laut derUnsicherheit. Atlan - was würde er sagen? Vorwürfe...?

Sie stiegen weiter nach oben. Als sie daseinfallende Licht schon deutlich gewahrten und dieersten Handlampen ausgeschaltet wurden, begann esdraußen zu dröhnen. Das Arbeitsgeräusch vonstarken Strahltriebwerken war unverkennbar.

„Schneller“, forderte Rhodan erregt. „Schneller,Leute! Wenn Atlan jetzt schon zurückkommt, dannhat er dafür seine Gründe. Schneller!“

Sie rannten mit letzter Kraft. Tolot fing sienacheinander auf, als sie von der einen Meter überder Ladefläche liegenden Schachtöffnungherabsprangen.

Sie vernahmen das Tosen jetzt deutlicher. DreiOLDTIMER setzten gleichzeitig zur Vertikallandungan.

Nachdem die Maschinen auf der Verschlußklappestanden, mäßigte sich das Dröhnen zum erträglichenPfeifen leerlaufender Gasturbinen. Tolot erreichteAtlans Maschine zuerst. Der Arkonide zwängte sichsoeben durch das Bodenluk des Jagdbombers.

Wortlos blickte er an dem halutischen Gigantenhinauf, dessen drei Augen in rotem Feuer funkelten.Tolot sagte nichts. Er war schuldbewußt, und Atlanerkannte es.

Rhodan erreichte die kleine Gruppe zusammen mit

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Melbar Kasom und Don Redhorse. Die anderenMänner wankten auf die gelandeten Maschinen zu.

Perry blieb vor dem Arkoniden stehen. Das Pfeifender Triebwerke verbot eine lange Diskussion. Atlanbegnügte sich deshalb mit einigen Hinweisen, diePerry den Rest seiner Fassung raubten.

„Ich finde es sehr nett, daß ihr wenigstens denTurm verlassen habt“, schrie der Lordadmiral mitvoller Stimmkraft. „Es wäre ja auch möglichgewesen, daß ihr euch da unten zur Ruhe gelegthättet. Wirklich - sehr nett! Wollen die Herren bitteschnellstens einsteigen? Die anderenEinsatzmaschinen müssen wir zurücklassen. Ich habegerade soviel Treibstoff tanken lassen, damit wireuch in drei Flugzeugen unterbringen können, ohnesie völlig zu überlasten.“

Rhodan schluckte. Ihm war, als säße einFremdkörper in seiner Kehle. „Atlan ...!“

Der Arkonide antwortete nicht. Die Piloten derbeiden anderen Maschinen winkten aus den Kanzelnherüber. Tolots Brüllen klang so plötzlich auf, daßdie Männer herumfuhren und reflexhaft zu denWaffen griffen.

„Einsteigen, auf die einzelnen Flugzeuge verteilen.Schnell, beeilen Sie sich. Wir werden wahrscheinlichvon der Festung angegriffen. Stellen Sie keineFragen, sondern springen Sie in die Maschinen.“

Atlan lachte humorlos auf. Mit einem schwer zudeutenden Gesichtsausdruck musterte er den Riesen.

„Wenigstens einer unter euch Narren, der sofortschaltet. Allerdings - die Festung ist im Anflug. Wirhaben sie gesehen. Außerdem haben wir verzerrteHyperimpulse empfangen, die nur von dem Shiftstammen konnten. Es braucht also niemand zufragen, weshalb ich schon wieder hier bin undweshalb wir keine Zeit mehr haben, die drei anderenOLDTIMER aufzutanken. Darf ich bitten? Odermöchtest du noch eine Kaffeepause einlegen?“

Rhodans und Atlans Blicke trafen sich. Als derArkonide den Ausdruck der Verzweiflung in PerrysAugen entdeckte, beherrschte er seinen Zorn.

„Okay, vergiß es! hätte ich vor einigen hundertJahren gesagt, als es auf Terra noch keineHypersender gab. Damit will ich jedoch nichtausdrücken, daß ihr unverbesserlichen Halbwildendamals vernünftiger gewesen wäret. Wenn es demEsel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Das ist einuraltes terranisches Sprichwort, das ihrwahrscheinlich nicht mehr kennt. Kasom, gehen Siein die Maschine von Sergeant Miko Shenon, damitdie Lasten gut verteilt werden. Wir starten sofort.“

Atlan drehte sich abrupt um und kletterte in diePilotenkanzel der F-913 G zurück.

Nachdem alle eingestiegen waren, hob er denOLDTIMER ab, ohne dem Shift noch einen Blick zugönnen. Icho Tolot lag im Schwerpunkt. Vor und

hinter ihm hatten die Mutanten Platz genommen.Rhodan saß neben Atlan, der gleich nach demVertikalstart Fahrt aufnahm und dieFlächentriebwerke beim Aufleuchten derAuftriebsanzeige auf Horizontalschub einschwenkenließ.

Die beiden anderen Jagdbomber folgten. Selbstjetzt, in dieser gefährlichen Situation, konnten sichdie Männer nicht zu einer Diskussion aufraffen. Sieschliefen in jeder Stellung.

Der Allzweckpanzer, den man vor Stunden nochals unersetzliches Hilfsmittel eingestuft hatte, und umdessen Besitz sogar der vorsichtige Arkonide tausendund mehr Soldaten in den Einsatz geschickt hätte,blieb unbemannt in der dritten Etage zurück.

„Wir hätten ihn auf alle Fälle in Sicherheit bringensollen“, sagte Rhodan dumpf vor sich hin.„Irgendwohin, wo er nicht sofort entdeckt werdenkann. Wenn die Unbekannten einLandungskommando nach unten schicken, wird manden Shift augenblicklich sehen. Ich hoffe immer nochdarauf, ihn morgen oder meinetwegen in einigenTagen wieder besetzen zu können. Wenn wir dieANDROTEST III nicht warnen, ist alles verloren.Dann wäre es nach dem Aussterben der letztenMikrogreise ratsam, unsere Zellaktivatoren in dennächsten Bach zu werfen. Vielleicht verstehst du nun,weshalb ich gefunkt habe.“

Atlan antwortete nicht. Sein Zorn auf den Freundhatte sich gelegt. Zusammen mit den beiden anderenPiloten begann er mit dem spiralförmigen Aufstieginnerhalb der Durchbruchsöffnung. Die Kreise warenweit und doch nicht weit, wenn man dieGeschwindigkeit der Maschinen berücksichtigte.

Diesmal konnte es Atlan nicht wagen, denOLDTIMER nach Raketenart durch den hundertNormalkilometer langen Stollen fliegen zu lassen.Besonders Tolots Gewicht von fast zwei Tonnen, dasauch jetzt noch den Relationen entsprechend seineGültigkeit hatte, bedeutete für die F-913 G eineerhebliche Belastung.

Sie brauchten fünfzehn Minuten, um im stetenSteigflug den ersten Lichtschimmer zu erreichen.Dann tauchten einige Ausschnitte des sternlosenHorrorhimmels auf, und wenig später schoß AtlansOLDTIMER als erstes Flugzeug ins Freie hinaus.

Icho Tolot schrie eine Warnung. Sie erfolgte wederzu spät noch zu früh. Es wäre genauso gut gewesen,wenn er sie nicht ausgesprochen hätte.

Nördlich der Schachtöffnung schwebte ein sogigantischer Körper, daß er vom suchenden Augenicht in vollem Umfange erfaßt werden konnte.

Man nannte ihn Festung, weil er eine fliegendeFestung war. Atlan hatte sie zum ersten Maleerblickt, als er noch nicht verkleinert worden war.Damals hatte die walzenförmige, aufrechtstehende

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Nabe des Riesenrades etwa zweihundertmal fünfzigMeter gemessen. Nun hatten sich die Relationen umeinen Faktor tausend vergrößert.

Die Walzennabe war jetzt zweihundert Kilometerlang und durchmaß fünfzig Kilometer. Die achtSpeichen, die in Äquatorhöhe aus dem eigentlichenRumpf hervorwuchsen und die den Flugkörper zueinem fliegenden, auf seiner Nabe stehenden Radmachten, waren pro Einheit nochmals fünfzigKilometer lang. Auf jeder dieser Speichen waren inAbständen von fünf Kilometern zehn Kugelnaufgereiht, die pro Einheit zwei Kilometerdurchmaßen. Insgesamt besaß die Festung achtzigKuppeln, in denen man waffenstarrende Außenfortserkannt hatte.

Sie umgaben den Nabenrumpf in genauberechneten Abständen. Die Feuerkraft mußteungeheuer sein. Jede einzelne Waffenkugelentwickelte wahrscheinlich die vier- bisfünfhundertfache Waffenstrahl-Energiekapazität alsdie fünfzehnhundert Meter durchmessende CRESTII, deren Innenraum von zahllosen Maschinen undKraftstationen zusätzlich angefüllt wurde.

Diese lebensnotwendigen Einrichtungen befandensich bei der Festung innerhalb der zentrischenRadnabe. Die achtzig Außenkugeln waren demnachenergetisch autarke Waffenträger.

Niemals zuvor war ein solches Schiffsmonstrumvon Menschen, Arkoniden, Akonen, Springern oderanderen raumfahrenden Völkern erbaut worden.Niemals zuvor hatte es ein kosmisches Fort dieserGrößenordnung gegeben.

Atlans Space-Jet war vom Feuersturm nur einigerFestungsgeschütze abgeschossen worden, obwohldieser Space-Jet normalgroß gewesen war und dieFestung mit höchster Wahrscheinlichkeit demtausendfachen Verkleinerungsfaktor unterlag.

Aus dieser Tatsache hatte sich der ehemaligeArkonidenadmiral, erprobt in zahllosen Schlachtendes Methankrieges, ein Bild über dieVernichtungskraft dieses Giganten einerSupertechnik machen können.

Wenn dieses Schiff in seiner normalen Größe inder Galaxis aufgetaucht wäre, hätte man sicherlichden größten Teil der Solaren Flotte aufbieten müssen,um es bezwingen zu können. Selbst bei einemsolchen Aufgebot wäre ein Erfolg noch fraglichgewesen, da niemand über die Art derFestungswaffen informiert war.

Die Augen der Mikromenschen bemerkten nureinen ungeheuren Metallwulst, der das Licht einerHorrorsonne verdeckte und seinen Schatten über dasweite Land warf.

Das untere Ende der Zentralnabe schwebte knappfünf Kilometer über dem Gelände. HundertKilometer hoher, in der Mitte der Walzennabe,

zeichneten sich die Umrisse der Speichen mit dendaran aufgereihten Zweikilometer-Kugeln ab. Siewaren nur deshalb wie ein Filigrangespinst zuerkennen, weil sie im Licht grünlicher Schutzschirmeleuchteten und einen irisierenden Flammenkranz indas Blauschwarz des Horrorhimmels zeichneten;„Atlan...!“ schrie Rhodan entsetzt. Er blickte wiegebannt nach oben und wartete instinktiv auf denAtomorkan, der die nur sechsundzwanzig Millimeterlange Maschine verglühen lassen mußte wie eineMotte im offenen Feuer.

Atlan handelte, ohne zu denken. Er stieß beideSchubhebel auf Notleistung und zwang denOLDTIMER im Sturzflug nach unten.

„Gut so, Fahrt aufholen und über dem nächstenGebirge hochziehen“, dröhnte Tolots Stimme. Erschien die Ruhe selbst zu sein, obwohl auch erfasziniert nach oben sah. Die kleinen Deckenlukenerlaubten einen noch geringeren Ausblick auf dieStahlmasse, die mit geringer Fahrt näherkam.

Atlan fing die Maschine dicht über dem hügeligenGelände auf. Mit zweifacher Schallgeschwindigkeitraste er über die Wipfel unbekannterDschungelbäume hinweg. Die Festung wandertelangsam aus dem Blickfeld. Augenblicke späterkonnte sie von der Seite her erkannt werden.

Hinter Atlans F-913 G flogen die beiden anderenMaschinen über die schroffer werdendenHügelkämme hinweg. Miko Shenon, der Mann, derwegen eigenmächtiger Maßnahmen schon einigeMale vom Kreuzerkommandanten zum Sergeantendegradiert worden war, verzog angewidert dasGesicht und drehte sich um. Melbar Kasom kniete inder engen Kabine und hielt sich rechts und links anden Griffen fest. Die anderen Männer achteten kaumauf die Festung.

„Gut gemacht, Rotschopf“, bemerkte der Ertrusergrinsend. „Die haben uns nicht orten können.“

„Dachte ich mir gleich“, behauptete Shenon. „Oderhaben Sie schon einmal eine Mücke auf denBildschirm bekommen? Unsere hohen Chefs hattenGlück, daß ihre Mühle nicht die Ohren anlegte.“

Kasom setzte sich wieder hin und strecktevorsichtig die Beine aus. Ein im Erschöpfungsschlafliegender Mann stieß einen Grunzlaut aus, blinzelteund drehte sich auf die andere Seite.

„Fertig wie terranische Schnecken nach einemhypnotisch befohlenen Dauerlauf“, nörgelte Kasom.„Verdammt - warum können sie sich nichtzusammennehmen? Als wir vor acht Tagenlosflogen, protzten sie mit ihren Kräften, wie ...!“

„... ein ertrusischer Meister aller Klassen“,vollendete Shenon den Satz.

Kasom runzelte die Stirn.„Miko, wann sind Sie zum letzten Mal degradiert

worden?“ fragte er anzüglich.

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Shenon zog die Maschine hoch und glitt über einenHöhenrücken hinweg. Die Festung war immer nochzu sehen. Ihr oberer Rumpfteil ragte über demHorizont hervor. Es war, als wäre über Horror einedritte Sonne aufgegangen.

„Schon bald nicht mehr wahr“, seufzte Shenon.„Ich warte jetzt auf die nächste Beförderung. Dassteht mir gewohnheitsmäßig zu.“

Kasom lachte versöhnt. Shenon war ein ganzbesonderer Typ. Er gehörte zu jenen Terranern, mitdenen man ein Weltreich aufbauen konnte.

„Die veranstalten einen Feuerzauber, als wärenzehntausend Superschlachtschiffe im Anflug“,brummte Shenon vor sich hin und deutete mit demDaumen über die Schulter. „Sehen Sie sich nur dieseSchutzschirmparade an. Oder hat das grüne Leuchtenetwas anderes zu bedeuten?“

„Kaum. Das sind Abwehrschirme. Mich würde esaber viel mehr interessieren, was die Burschen mitunserem Shift vorhaben. Wenn sie ihn entdecken undvernichten, können wir uns auf eine Bruchlandungder ANDROTEST III vorbereiten. Wer wird derKommandant sein?“

„Keine Ahnung. Kotranow weiß es selbst nicht.Die Abwehr suchte noch nach einem geeignetenMann.“

„Jeder Ertruser wäre dazu geeignet“, knurrteKasom mit einem geringschätzigen Blick auf dieschlafenden Soldaten des Bergungskommandos. „Ichkann mir kaum vorstellen, daß meine Vorfahren aucheinmal so schwächlich gewesen sein sollen.Verstehen Sie das?“

In der dritten Maschine, die von Leutnant ConradNosinsky geflogen wurde, kam es zu ähnlichenDiskussionen. Nosinsky folgte Shenons Jagdbomber,der wiederum Atlans Flugzeug nachjagte.

Der Kurs führte vorerst genau nach Süden. DerArkonide war bestrebt, die Ortungsgefahrvollkommen auszuschalten, später in einem weitenBogen nach Westen abzudrehen und aus dieserHimmelsrichtung in das Tal der Sandkuchenbergeeinzufliegen.

Man empfing keine Ortungsimpulse. Die Geräteder OLDTIMER waren nur für normallichtschnellenFunk- und Radarverkehr eingerichtet.

Atlan wurde um so ruhiger, je weiter dieleuchtende Polkuppel der Festung hinter demHorizont versank. Die Piloten der beiden anderenMaschinen waren vernünftig genug gewesen, aufjeden Funksprechverkehr zu verzichten.

Als das Schiffsungetüm nicht mehr zu erblickenwar, drehte Atlan nach Westen ab. Shenon undNosinsky folgten. Sie schlossen dichter zurFührungsmaschine auf. Als sie rechts und links vonAtlans Kanzel erschienen, wurden einigeWinkzeichen ausgetauscht. Es war alles in bester

Ordnung.Nur Icho Tolot war nicht ganz zufrieden. Sein

Plangehirn rechnete schon wieder. DiePrimärauswertung bewog den Haluter, sofort einezweite Rechnung anzustellen. Sein Plangehirnarbeitete mit unwahrscheinlicher Präzision.

Endlich kam Tolot zu dem Schluß, daß die Festungdie drei OLDTIMER doch ausgemacht hatte. Dieinfrarot strahlenden Abgase der chemischenTurbotriebwerke konnte niemand übersehen, amwenigsten aber die Ortungsgeräte eines Schiffes,dessen Besatzung mit hoher WahrscheinlichkeitMittel und Wege gefunden hatte, die mit derSchrumpfung aufgetretenen Störungen zu beseitigen.

Icho Tolot reckte seinen mächtigen Körper. SeinMetabolismus verlangte nach neuen Grundstoffen zurNahrungsaufbereitung. Es wurde Zeit, daß man dieCREST II erreichte.

Die drei OLDTIMER glitten über weite Urwälder,Savannen und sanftgeschwungene Hügelgruppenhinweg. Im Westen türmten sich die ersten höherenGebirgsketten auf. Hinter ihnen, aber nurdreihundertachtzig Kilometer vom Schacht entfernt,stand das terranische Flottenflaggschiff.

Atlan stieß wesentlich weiter nach Westen vor undleitete erst dann den Zielanflug ein, als die Anzeigender nur knapp aufgefüllten Brennstofftanks sich derNullmarke bedrohlich genähert hatten.

Eine halbe Stunde später ging der Arkonide mitder Fahrt herunter.

Bei vierhundertfünfzig Kilometer pro Stundesprangen die Zusatz-Hubtriebwerke in Bug und Heckan.

Atlan flog in den weiten Talkessel hinein, kreuzteden Fluß und hielt auf die Stahlkugel der CREST zu.

Der Eindruck von geballter Kraft täuschte, auchwenn es so aussah, als wäre das Schiff tatsächlichfünfzehnhundert Meter hoch. Selbst wenn dieWaffenkuppeln der Festung ebenfalls verkleinertworden waren, durchmaßen sie pro Einheit immernoch fünfhundert Relativ-Meter mehr als der Stolzder Solaren Flotte.

Atlan fühlte seine Augen feucht werden, als er andie Verhältnisse dachte. Sein Logiksektor, ein Teilseines vor Jahrtausenden aktivierten Separatgehirns,meldete sich.

Sie werden die CREST finden. Man hat euch langegenug geduldet. Die Funksprüche brachten das Faßzum Überlaufen. Sprich mit dem Haluter.

Atlan blickte rasch zu Rhodan hinüber. Er saßruhig im Sitz des Copiloten und wirkte nur etwasverkrampft.

Dicht vor der CREST hob der Arkonide die Fahrtganz auf, schwenkte die großen Flächentriebwerkeum neunzig Grad und ließ die Maschine dem Bodenzugleiten.

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Unten bildeten schwerbewaffnete Soldaten derCREST einen Kordon. Sie schauten wachsam nachoben und umklammerten ihre altmodischenRaketenwaffen mit solcher Entschlossenheit, alswären sie tatsächlich davon überzeugt gewesen, mitihnen einen monströsen Gegner abwehren zu können.

Atlan setzte inmitten einer emporwirbelndenStaubwolke auf und rollte die Maschine zurLastenplattform der unteren Polschleuse hinüber. IhreTore und Aufzüge konnten nur noch mechanischbedient werden. Die energetischenSchnellverschlüsse und die Antigravheber warenlängst ausgefallen. Man war froh, daß man geradenoch genug Arbeitsstrom für die Elektromotoren derHydraulikpumpen erzeugen konnte.

Tolot verließ die Maschine zuerst. Als ihn dieMänner erblickten, begrüßten sie den Freund vonHalut mit einer Begeisterung, daß der Riese sofortwieder von seinen Mutterinstinkten überwältigtwurde. Selten zuvor hatte Icho Tolot so deutlichgefühlt, wie sehr er die kleinen, körperlichschwachen Terraner liebte, deren Geschichte er sichals wissenschaftliches Hobby ausgesucht hatte.

Nosinsky landete weiter rechts. Nur Shenonkonnte es nicht unterlassen, wenigstens mit demBugrad auf der Lastenplattform auszuschweben.

„Teufelsbraten“, rief Atlan aufgebracht. „Wirddieser Mensch nie erwachsen?“

Perry Rhodan lachte ermattet.„Laß ihn, Freund. Er gehört zu meinen besten

Männern. Wenn wir aus dieser Patsche noch einmalheil herauskommen, werde ich ihn zum Oberstbefördern und ihm ein eigenes Kommando geben.Dann kann er sich nach freiem Ermessenentscheiden. Das wird viel mehr helfen als dieewigen Verweise. Er gehört zu jenen Idealisten, diein dem Augenblick ihre Wildheit verlieren, wenn sienicht mehr am Gängelband detaillierter Befehlegeführt werden. Dann beginnen sie zu überlegen. AusMännern dieses Schlages gehen die bestenGeschwaderchefs hervor. Sie sind verwegen genug,um keine Gefahr zu scheuen, aber sie können auchgenügend Vorsicht aufbringen, um dieTollkühnheiten vergangener Jahre nicht zuwiederholen.“

„Klug, sehr klug“, meinte Icho Tolot. „Sie sind aufdem besten Wege ein Reich aufzubauen, wie esniemals zuvor existierte. Selbst wir Haluter besaßennicht die Entscheidungsgewalt, die Sie vielenKommandeuren einräumen. Achten Sie immerdarauf, daß Ihre Terraner nicht das eigenständigeDenken verlernen.“

Atlan schwieg. Er erinnerte sich an die grausameDisziplin, die vor zehntausend Jahren in derarkonidischen Flotte geherrscht hatte. Für einegewisse Zeitspanne hatte sich diese Methode als

wirksam erwiesen. Dann war es zur Abstumpfunggekommen, zu Revolten und schließlich zum Zerfalldes arkonidischen Imperiums.

Rhodan war auf dem richtigen Wege!

3.

Es war nicht mehr notwendig gewesen, dem Ratdes Extragehirns zu folgen und mit Icho Tolot zusprechen.

Es war auch nicht mehr erforderlich, Perry und dieanderen Terraner von der Notwendigkeit einerEvakuierung zu überzeugen, die - nach meinemheimlichen Plan - zur restlosen Aufgabe der CRESTII geführt hätte.

Ich hatte es für vernünftig gehalten, das Schiff zuräumen, bis die Festung wieder verschwunden war.Es hätte gewiß nichts geschadet, wenn wir uns beieinem eventuellen Großangriff nicht mehr in derCREST befunden hätten.

Vordringlich hätten die noch einsatzklarenOLDTIMER und entsprechende Brennstoffvorräte inSicherheit gebracht werden müssen. Es wäre taktischunklug gewesen, die unersetzlichen Maschinen auchnoch dem Risiko der Vernichtung auszusetzen.

Diese Dinge hatte ich mit Tolot besprechenwollen. Vielleicht war er schon auf den gleichenGedanken gekommen. Wir mußten versuchen, den inder dritten Etage stehenden Shift erneut zu erreichen,doch diesmal mit der gesamten Besatzung. DieNahrungsvorräte des Flugpanzers besaßen noch ihrnormales Volumen. Wir hätten jahrelang davon lebenkönnen.

Es hatte sich jedoch alles erübrigt. Meine Sorgenum das Schicksal der CREST und über Perryssicherlich erfolgende Ablehnung meiner Pläne, warenvon einer anderen Machtgruppe zunichte gemachtworden.

Es war zu spät für eine Evakuierung. Es war sogarschon zu spät für eine Ausschleusung der restlichenOLDTIMER.

Vor fünf Minuten hatte der südliche Horizont zuflammen begonnen. Schon Sekunden später war einorangeroter Energiestrahl in den Raum vorgestoßen.Dort war er mit einer der Sonnen in Kontakt getreten.

Die Südpolstation, allem Anschein nach eineUmlenk- oder Relaisanlage für den künstlichenSonnentransmitter im Kern der Hohlwelt, hatte zuarbeiten begonnen.

Wir wußten aus trüben Erfahrungen, daß es dieAnkunft oder den Abflug unbekannter Körperanzeigte. Diesmal schien etwas angekommen zu sein.Tolot hatte schon wenige Augenblicke nach demAufleuchten der südlichen Halbkugel behauptet, derTransportstrahl bedeute unser Todesurteil, da er mithundertprozentiger Gewißheit einen

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Befehlsübermittler zur Festung gebracht hätte.Tatsächlich hatte das gigantische Raumschiff nur

drei Minuten nach dem Einsetzen des Strahls Fahrtaufgenommen. Jetzt schob sich seine obereNabenkuppel über dem östlichen Sichthorizont vor.

Wir standen in der Äquatorschleuse desRotsektors. Hinter uns hingen schnelleDreimannzerstörer und vierSechzigmeter-Kaulquappen in ihren Halterungen.Die Tore hatten wir mit den Hydraulikpumpengeöffnet.

Da die großen Bildübermittlungsanlagen längstnicht mehr funktionierten und die Notgeräte wegender abgeschalteten Turbinengeneratoren auch nochausgefallen waren, konnten wir uns nur noch durchdirekte Beobachtungen vom Fortgang der Ereignisseüberzeugen.

Es war ein phantastischer und schauerlicherAnblick, den uns die Unbekannten boten.

Der sternlose Raum wurde im Süden von demgleißenden Transportstrahl aufgespalten. Innerhalbder dichten Horroratmosphäre bildeten sichgelbgrüne Lichtkaskaden, die erst in größeren Höhenmiteinander verschmolzen und im freien Raum dastypische Orangerot annahmen.

Östlich unseres Standorts glitt mit beängstigenderLangsamkeit die grünflammende Polkuppel derSchiffsnabe über den Berggipfeln empor. Sie wurdeimmer größer und beeindruckender.

Die Fahrt des Giganten konnte nicht hoch sein.Trotzdem genügte sie, um uns eine Evakuierung derCREST als zweckloses Unterfangen erkennen zulassen.

Wir standen schweigend in der Schleuse undschauten einmal nach Osten, dann nach Süden undanschließend in den Raum hinauf. Augenblickespäter erlosch der Transportstrahl so rasch, wie eraufgetaucht war. Außer einem farbenprächtigenNachglühen in den oberen Schichten der Atmosphärewar nichts mehr von dem Unheil zu erkennen, dasmit dem erneuten Ansprechen desMittelpunkttransmitters über uns hereingebrochenwar.

Rhodan löste seine Hand von meinem Arm, den erminutenlang umklammert hatte. Sein Gesicht war soausdruckslos, wie ich es schon viele Male erlebthatte. Er verbarg seine Gefühle hinter einer Maske.

„Sie kommen!“ erklärte er mit anomaler Ruhe.„Hoffentlich haben sie uns noch nicht auf ihrenBildschirmen. Ich ...!“

Ein ungeheures Tosen schnitt ihm das Wort ab.Wir gingen völlig unsinnigerweise hinter denSchleusentoren in Deckung. Als außer dem Grollennichts geschah, sah ich vorsichtig nach draußen.

Die Festung schwebte jetzt in großer Höhe. Wirkonnten bereits die acht sogenannten Speicher sehen,

aus denen Waffenkugeln ultrahelle Energieströmenach unten peitschten.

„Sie zerschießen den Schacht“, rief Tolot. Er wardas einzige Lebewesen unter uns, das sich bei demunaufhörlichen Lärm noch verständlich machenkonnte.

Wir hielten uns an den Toren fest, damit wir vonden entstehenden Druckwellen nicht davongewirbeltwurden.

Weit hinter uns, in den Tiefen des Schiffes, wareneinige hundert Männer bemüht, die abgestelltenOLDTIMER startklar zu machen. Es war zwecklos,zumal wir nicht die Möglichkeit hatten, dieFlugzeuge im Blitzstart aus dem Schiff zu bringen.Sie mußten Stück für Stück aus der Bodenschleuseherabgelassen werden.

Weit oben, in der großen Polkuppel der CREST II,standen die Kanoniere und Waffenspezialisten unterMajor Wifferts Führung. Sie hatten sich dazuentschlossen, mit den Werferrohren einigeMikroraketen abzuschießen. Niemand wußte besserals sie, wie lächerlich dieses Vorhaben war. Diesergrüne Schutzschirm, dessen Struktur wir schon aufden Planeten des Twinsystems als undurchdringlicherkannt hatten, ließ sich von diesen Mückenstichennicht beeindrucken. Außerdem waren die atomarenSprengköpfe nicht mehr funktionsklar.

Nach weiteren fünf Minuten ließ das Atomgewitternach. Über dem Gebirge glühte die Luft. HeißeDruckwellen fegten in das Tal der Sandkuchenbergehinein und ließen die CREST erzittern.

Anschließend nahm die Festung wieder Fahrt auf.Ihre ungeheure Masse wuchs so schnell in unserBlickfeld hinein, daß uns der Haluter wortlos in denSchleusenraum zurückstieß und mit dem Schließender Tore begann.

Wir unterlagen einer eigentümlich optimistischenStimmung. Jeder von uns wußte genau, daß dieFestung den Schacht zugeschmolzen hatte, durch denwir ein zweites Mal bis zum Shift hätten vordringenkönnen.

Diese letzte Rettungsmöglichkeit war unsgenommen worden. Unter Umständen hatte man denWagen auch direkt getroffen und ihn in Atomeaufgelöst.

Obwohl wir also vollkommen klarsahen, bemühtenwir uns mit einer Hast und Energie um dieDruckfestigkeit der CREST, als wäre es darumgegangen, der Festung im nächsten Augenblick dieStirn bieten zu müssen.

Selbst ich dachte nur daran, die Schleusenschottezu schließen, um - komme was wolle! - keinenDruckverlust hinnehmen zu müssen.

Icho Tolot, dieser unbegreifliche Überriese auseinem Volk, das die Milchstraße während derterranischen Eiszeiten beherrscht hatte, brachte es

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fertig, in dieser Situation zu lachen. Er hatte natürlichdas Zwecklose unseres Vorhabens durchschaut;wahrscheinlich klarer als jeder von uns.

Ich warf noch einen Blick nach draußen, ehe sichder letzte Spalt schloß.

Die Festung stand nun über den nordöstlichenHängen der Berge. Ihre untere Nabenrundungberührte fast die Kämme. Weit darüber glühte derKranz der Speichenkugeln.

„Diese Sache ist sehenswert“, meinte MelbarKasom mit unwahrscheinlicher Ruhe. „Ich möchtewissen, wer dieses Ding eigentlich fliegt - und wie esfliegt! Wuriu, können Sie noch etwas sehen?“

Der Mutant stand im Hintergrund derSchleusenhalle und betrachtete reglos die stählernenDecken.

„Ja“, antwortete er. „Sie kommt genau auf uns zu.Sie feuert aber nicht.“

„Das merken wir auch“, rief ich gereizt aus.„Warum kommt unser Chefingenieur nicht auf dieIdee, die Notstromaggregate einzuschalten und dieBilderfassung wieder herzustellen?“

Rhodan winkte ab. Die Tore waren jetztgeschlossen. Zwischen uns und dem weiten Landlagen einige Meter Terkonitstahl.

„Er hofft immer noch darauf, die Festung würdeuns nicht entdecken. Selbst die kleinste Energiequellekann zum Verräter werden. Ich halte es auch fürmöglich.“

„Was? Daß wir nicht geortet werden?“Er wandte mir sein blasses Gesicht zu. Erkannte er

nicht, wie verzweifelt ich war? Wie sehr ich hoffte,er würde recht behalten?

Icho Tolot raubte uns die letzten Illusionen. Siehatten uns bisher noch aufrecht gehalten. Sie warenauch für das Schließen der Schleusenschotteverantwortlich gewesen. Die CREST war ja sowinzig. Als Masseneinheit fiel sie kaum ins Gewicht.Eine energetische Wellenfront strahlten wir längstnicht mehr ab, und als Reflektor für auftreffendeSuchimpulse waren wir ziemlich ungeeignet. Wennman allerdings über hochempfindliche Materietasterverfügte, die Stahllegierungen und Kunststoffe vonnatürlichen Bodenbestandteilen unterscheidenkonnten, dann ...!

Ich wagte nicht, den Gedanken zu Ende zuspinnen. Es war auch nicht mehr nötig, da derHaluter zu sprechen begann.

„Wir sind bereits entdeckt, Sir! Wahrscheinlichkennt man den Standort der CREST schon lange.Weshalb man uns nicht angegriffen hat, ist eineandere Frage. Ich nehme aber an, daß dieentsprechenden Befehle jetzt erst eingegangen sind.Die Besatzung der Festung scheint uns bisher inRuhe gelassen zu haben, weil sie uns infolge derVerkleinerung als vernachlässigbaren Faktor ansah.

Das ist das Ergebnis meiner Berechnungen, Sir.“„Befehle?“ fuhr Rhodan auf. In seinem Gesicht

zuckte es, dann erstarrte es wieder zu seinertypischen Maske.

Tolots große Augen schauten auf denGroßadministrator hinunter. Im gleichen Augenblickvernahmen wir ein dumpfes Rumoren.

Chefingenieur Hefrich hatte die dreiNotstromaggregate anlaufen lassen. Die Bildschirmebegannen zu flackern. Die wenigen Kilowatt reichtengerade aus, um einen Teil der Außenbilderfassung inBetrieb zu setzen. Es handelte sich um die einfacheoptische Fernsehaufnahme, die keinen besonderentechnischen Aufwand erforderte.

„Doktor Hefrich scheint ähnlicher Meinung zusein“, betonte der Haluter. Er flüsterte nur. Trotzdemkonnten wir seine Stimmkraft kaum ertragen.

„Wir werden geortet und eingepeilt“, tönte es auseinem Lautsprecher der Rundrufanlage. „Hefrichspricht. Ich befinde mich imMaschinen-Hauptleitstand. Echos fallen einwandfreiein. Sehen Sie sich den Gegner noch einmal an, ehesein Feuerleitoffizier auf den Knopf drückt. Ende...!“

Hefrich hatte Nerven! Außerdem war er ein kluger,vorausschauender Mann. Er wußte genau, daß einweiteres Versteckspielen keinen Zweck mehr hatte.

„Wer sollte die Befehle gegeben haben?“wiederholte Perry seine Frage. Mir war, als hätte erHefrichs Durchsage nicht gehört.

„Jene, die wir ‚Meister der Insel‘ nennen“, erklärteder Haluter. „Mit dem Transportstrahl ist ein Kuriereingetroffen.“

Ich schaute nur noch auf den Bildschirm derSchleusenhalle. Die Festung glitt über das Gebirgehinweg. Dann füllte sie den Blickwinkel vollkommenaus.

„Ich hatte bisher angenommen, die Besatzung derFestung wäre mit den ‚Meistern der Insel‘ identisch“,sagte Perry nachdenklich vor sich hin. „Sind Siesicher?“

Der Haluter bewegte zustimmend den Oberkörper.Jemand drückte unsinnigerweise auf die Knöpfe

der Alarmanlage. Die Sirenen und Lärmpfeifengellten kurz auf, um dann wieder zu verstummen.Wir vernahmen Hefrichs Verwünschungen. WelcherNarr war auf die Idee gekommen, die ohnehingeringe Kapazität der drei Turbogeneratoren nochmehr anzuzapfen?

„Ich bin sicher“, bestätigte Tolot nochmals. „DieBesatzung der Festung besteht ausBefehlsempfängern. Die wahren Beherrscher desAndromedanebels sehen ganz anders aus. Es tut mirleid, Sir. Sie gestatten nun, daß ich michzurückziehe? Vielleicht kann ich mit Hilfe meinerbesonderen Körpereigenschaften noch etwas für Sietun.“

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Der Gigant drehte sich um und verschwand hintereinem Beiboot vom Typ Kaulquappe. Ich wußte, daßder Haluter seinen erstaunlichen Metabolismuseinsetzen würde.

Es war ihm möglich, allein durch eineImpulsgebung des Ordinärgehirns seinenichtmenschlichen Zellverbände zu einermolekularen Umformung anzuregen. Ich hatte vorvielen tausend Jahren Haluter im Einsatz gesehen.Einige von ihnen hatten eine Kommandoeinheit derarkonidischen Flotte aufgerieben.

Auch Tolot, ein später Nachkomme der damaligenHaluter, konnte seinen Körper in einen kristallinenBlock verwandeln, der härter und widerstandsfähigerals unser bester Terkonitstahl war.

Bei einer Vollumwandlung arbeiteten nur dienotwendigsten Organe; diese allerdings auch nurnoch mit einem Wert von knapp einem Prozent. EinHaluter konnte in dieser Zustandsform nur nochdurch einen konzentrierten Beschuß mitEnergiewaffen vernichtet werden. Diese Wesenwaren die mächtigsten Kämpfer der Galaxis. Heutebewunderte ich sie - vor zehntausend Jahren hatte ichsie gehaßt und gefürchtet.

Wir sahen zu der Stelle hinüber, wo Icho Tolotverschwunden war. Wenn wir ihn nicht an Bordgehabt hätten, wären wir bereits in der Todesfalle desTwintransmitters ums Leben gekommen.

„Wir hätten rechtzeitig fliehen und die CRESTaufgeben sollen“, sagte Rhodan tonlos. „Nun ist es zuspät.“

Ich lächelte ihn an, und da ahnte er plötzlich, daßich ebenfalls mit diesem Gedanken gespielt hatte. Erlegte mir die Hand auf den Arm und schaute mir indie Augen. Die Starre seines Gesichtes lockerte sich.Jetzt war er wieder der große, liebenswerte Terraner.

„Du wolltest nicht darüber sprechen, Freund, nichtwahr?“ meinte er. „Ich habe dir genugSchwierigkeiten gemacht. Erst habe ich gegen deinenRat die Oberfläche angeflogen, und anschließendhabe ich mit dem Shiftsender gefunkt. Ich weiß nicht,was ich geantwortet hätte, wenn du mich dazuaufgefordert hättest, mein Schiff aufzugeben.“

„Die Zeit reichte nicht mehr, oder ich hätte es aufalle Fälle probiert. Der Gegner handelte zu schnell.Vergiß es, Perry. Schau dir deine Leute an! Niemandgerät in Panik, niemand verflucht dennäherkommenden Tod.“

„Vielleicht sehen sie ihn als Erlösung an. Es istnicht schön, als Mikrowesen zu leben.“

Wir vernahmen Cero Wifferts Stimme. Er standetwa siebenhundert Meter über uns in der großenPolkuppel und versuchte, das Unmögliche möglichzu machen.

„Halten Sie auf die untere Nabenrundung. Feuerfrei...!“

Ich lächelte vor mich hin. Ein seltsames Gefühl derRuhe überfiel mich. Sollte mein zehntausendjährigesLeben so enden? Hier, auf einer in den Leerraumgeschleppten Welt, die früher einmal am Rande desgeheimnisvollen Andromedanebels gestanden hatte?

Damit hätte ich nicht gerechnet, als mir von einemunbegreiflichen Intelligenzwesen mein Zellgeneratorüberreicht wurde. Aktivatorträger konnten nur durchdie Einwirkung einer äußeren Gewalt getötet werden.

Diese Gewalt stand jetzt in der Form einergigantischen Raumfestung über uns.

Ich konnte nicht mehr länger über unser seltsamesSchicksal nachdenken. Das Monstrum eröffnete dasFeuer.

Vor meinen Augen schienen Feuerbälle zugrellroten Lichtfluten zu explodieren. Ich verlor nichtdas Bewußtsein.

Mit dem letzten Rest meines bewußtenEmpfindens bemerkte ich, daß wir nicht mitStrahlwaffen auf thermischer oderstrukturzersetzender Basis angegriffen wurden. Dieswar ein Prallschock gewesen! Etwas war auf denRumpf der CREST II aufgeschlagen und hatte unsdurch die Aufprallwucht zu Boden gerissen.

Ehe ich tatsächlich besinnungslos wurde, sagte mirmein Logiksektor, wir unterlägen äußerst starkenBeharrungskräften. Weshalb das so war, konnte ichnicht mehr erfassen oder geistig verarbeiten.

Auf meiner Brust schienen sich unsichtbareTitanen niedergelassen zu haben. Es war das gleicheGefühl, das Männer wie Perry Rhodan kennengelernt hatten, als sie mit ihren primitiven Raketenzum ersten Male den irdischen Mond angeflogenhatten.

Damals, im Jahre 1971 irdischer Zeitrechnung,hatte es noch keine Andruckneutralisatoren gegeben.Die durchkommenden Beschleunigungskräfte hattenertragen werden müssen.

4.

Der organische Computer in Tolots Planhirn gabeinen Impuls. Er war schwach und nur alsAnregungssignal geeignet.

Der Impuls wurde von den wenigen nochorganisch lebenden Zellen des Ordinärgehirnsaufgenommen, ausgewertet und an den letzten,nichtkristallisierten Nervenleiter weitergegeben,dessen größeres Energiepotential zur Aussendungeines Sekundärimpulses von aufpeitschender Kraftausreichte.

Der Metabolismus des halutischen Überriesenbegann mit der Rückwandlung zurnormalorganischen Materie.

Kristallines Blut begann wieder zu fließen. DieNervenzellen lösten ein Feuerwerk von

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Aktivierungsbefehlen aus. Mehr und mehrMolekülgruppen traten dem Prozeß bei.

Das Primärsignal war vor einer Millisekundegegeben worden. Nochmals eine Zehntelsekundespäter regte sich der Haluter. Als TolotsOrdinärgehirn wieder voll arbeitsfähig war, konnte esauch die entsprechenden Aktivierungsbefehleaussenden. Das komplizierte Planhirn benötigte volleacht Sekunden, bis es die Arbeit wieder aufnahm.

Für Menschen wären diese Zeitspannenunvorstellbar kurz gewesen. Haluter dachten andersdarüber.

Icho Tolot bewegte probehalber die Glieder. Siegehorchten ihm einwandfrei. Dann stand er auf, gingum die Kaulquappe herum und spähte zu denreglosen Gestalten hinüber. Sie lagen vor den innerenSchleusentoren.

Tolot hatte die sehr harten Andruckbelastungenanstandslos überstanden. Damit warenstrukturverwandelte Haluter nicht lahmzulegen. Erlachte grollend vor sich hin.

Einer der Besinnungslosen bewegte sich plötzlich.Es war der umweltangepaßte Ertruser Melbar Kasom,dessen Körper an eine Schwerkraft von 3,4 Gravosgewöhnt war. Das hatte zur Folge, daß KasomsOrganismus längst nicht so gelitten hatte wie der derNormalterraner.

Er schlug die Augen auf, blinzelte und ließ seinenBlick auf Tolots monströsem Gesicht verweilen.Kasom glaubte, einen schwarzen Planeten mitrotfunkelnden Vulkanen zu sehen. Er benötigteeinige Augenblicke, um den Kugelkopf des Riesen zuidentifizieren.

Tolots lange Handlungsarme hoben den Ertruserauf. Als Kasom wankend auf den Beinen stand,begann Tolot mit der Massage der wichtigenNervenleiter in Kasoms Genick.

Der Umweltangepaßte stöhnte. Schmerzwellendurchzuckten seinen Körper. Sie hörten jedoch soplötzlich auf, wie sie gekommen waren. Tolot ließdie Hände sinken, die eigentlich mehr wie Prankenwirkten.

Melbar verlor kein überflüssiges Wort. DerUSO-Spezialist hatte ähnliche Situationen schon zuoft erlebt, um darüber erstaunt zu sein.

„Was hat uns ausgeschaltet? Schockwaffen?“„Nein, überhaupt keine Waffe. Wir wurden von

einem Transportstrahl erfaßt und mit etwa fünfzigGravos emporgerissen. Wir befinden uns in derFestung.“

Diese Mitteilung war in ihrer Kürze undUnmißverständlichkeit so bestürzend, daß derErtruser vorübergehend zu wanken begann. Seinenächste Äußerung bestand in einer Verwünschung.

„Pläne?“ flüsterte er nach einer Weile.Der Haluter betastete seinen Kampfanzug. Die

atomare Energieversorgung war ausgefallen. Dieeingebauten Notbatterien lieferten für knappeinhundert Stunden Arbeitsstrom für die vielenAggregate.

Die terranischen Ausführungen, hergestellt und inder CREST eingelagert für Bedarfsfälle dieser Art,besaßen nur eine Batteriekapazität vonfünfundzwanzig Stunden.

Tolot entschied sich innerhalb einer Sekunde. SeinPlanhirn hatte die entsprechenden Schritte bereitsberechnet.

„Ja! Kontrollieren Sie die Raumanzüge vonRhodan, Atlan und Wuriu Sengu. Wir nehmen diedrei Männer mit, wenn wir das Schiff verlassen.“

„Halten Sie das für erforderlich?“„Unbedingt. Die Festungsbesatzung wird sich um

unsere Leute kümmern. Dann müssen wir draußensein. Warten Sie hier.“

Er ließ seinen Körper auf die kurzen Laufarmeabsinken, winkelte die höhersitzendenHandlungsarme an und verschwand mit riesigenSätzen in der Finsternis der hinteren Schleusenhalle.

Kasom schaute auf die Uhr. Sie hattenschätzungsweise zehn Minuten Zeit, vielleicht sogareine Viertelstunde. Tolot hatte recht: Wenn dieFremden kamen, mußten sich diewiderstandsfähigsten Personen des Schiffes und dazudie Kommandeure draußen befinden. Niemandkonnte wissen, was man mit der Besatzung derCREST im Sinn hatte.

Kasom überprüfte Atlans Raumanzug. Es war eineterranische Normalausführung für leichte undmittelschwere Planeten mit einem Außendruck bis zuvier Atmosphären und einem Wärmereflektor Schutzbis zu hundert Grad Celsius.

Auch der Ertruser handelte mit übermenschlicherSchnelligkeit. Er riß die Einbauschränke desSchleusenraumes auf, schob frische Energiezellen indie Rückentornister und klinkte je ein Ersatzaggregatin die Schultergurte ein. Klima- undSauerstoffanlagen waren in Ordnung.

Bei dieser Tätigkeit kam ihm erst der Gedanke,den Tolot sofort nach seinem Erwachen gehabt hatte.

Wie war die künstliche Atmosphäre der Festungbeschaffen? Sauerstoff? Oder etwas anderes?

Melbar beendete die Überprüfung von WuriusSchutzkleidung, als der Haluter schon wiederauftauchte. Er schoß wie eine Rakete aus derFinsternis hervor und hielt im schwachen Licht derSchleusen-Notlampen an. Sie waren ebenfallsbatteriegespeist.

„Können Sie den Mutanten tragen? Mit dererforderlichen Schnelligkeit, meine ich? Wir müssenden Lastenaufzug nehmen. Die Stromaggregatehaben die Belastungen ertragen. Draußen ist es heiß.Ich habe siebenundachtzig Grad Celsius abgelesen.

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Die Automatanalyse arbeitet noch. Die Atmosphärebesteht zu einem hohen Prozentsatz aus Wasserstoff.

Dazu kommen starke Verunreinigungen ausMethan und Ammoniak. Der Ammoniakanteilüberwiegt dabei. Schließen Sie die Helme.“

Kasom fragte nicht mehr lange. Wenn Toloteinmal entschieden hatte, wären Einwändeunvernünftig gewesen.

Melbar hob Rhodan und Atlan auf Tolots Rückenund befestigte die Männer in denTragevorrichtungen, die noch aus der Zeit desUnterwelteinsatzes stammten.

Anschließend schwang er sich denSpähermutanten über die Schulter und rannte Tolotnach. Die anderen Besinnungslosen blieben in derÄquatorschleuse zurück.

Sie durchrasten die weiten Verbindungsgänge desSuperschlachtschiffes, bis sie in Höhe desMitteldecks die Liftschächte erreichten.

Die Antigravs waren ausgefallen. Der mechanischeLastenaufzug war auf den Strom der Notaggregateangewiesen.

Kasom vernahm das dumpfe Arbeitsgeräusch derMaschinen. Sie standen unten in Kraftwerkhalle II,nahe am Maschinen-Hauptleitstand.

In der CREST schienen nur die beiden Giganten zuleben. Sonst rührte sich nichts.

Tolot trat vorsichtig in den großen Aufzug. Kasomfolgte ihm. Die Fahrt dauerte nur wenigeAugenblicke. Wenn sie die Nottreppen benutzthätten, wäre kostbare Zeit verschwendet worden.

In der Ladeschleuse der unteren Polkuppelsprangen sie aus dem Lift. Tolot rannte auf allenvieren zu einer Mannschleuse hinüber und drückteauf den Knopf der Hydraulik.

Sie sprach an, auch wenn der Pumpenmotor etwaszu wenig Arbeitsstrom erhielt. Für Melbars Begriffedauerte es Ewigkeiten, bis sich die Innentore wiederschlossen.

Tolot verzichtete auf das Abpumpen der kostbarenAtemluft. Rücksichtslos riß er die Ausgleichsventileauf. Ein fremdartiger Luftstrom heulte in denSchleusenraum hinein. Kasom stemmte sich dagegen,bis der Ausgleich hergestellt war. Das Zischenverstummte. Die Atmosphäre der Festung stand untermehrfachem Atmosphärendruck.

Tolot öffnete die Außentore. Als der erste Spaltentstand, flutete rötliches Licht in den Schleusenraumhinein.

Kasom kontrolliert seine Anzugsautomatik. DieKlimaanlage war bereits angesprungen. Sie war dergrößte Stromverbraucher. Die Luftreinigungsanlagearbeitete auf rein chemischer Basis. Dasnormalerweise verwendete Aufbereitungsaggregatkonnte nicht benutzt werden.

Tolot verließ sich auf den Ertruser. Ohne Atlans

und Rhodans Anzüge nochmals überprüft zu haben,glitt er die mechanisch ausgefahreneKunststofftreppe hinunter. Die letzten Meter spranger. Kasom folgte ihm, nachdem er die schmalenLuken der Mannpforte geschlossen hatte.

Er sah sich um. Die Luft war eigenartig trüb. Daßsie hochgiftig war, konnte nicht bezweifelt werden.

Tolot winkte hastig. Kasom begann mit einemSpurt, den ihm kein normaler Mensch nachmachenkonnte.

Er erreichte den Haluter und sprang an seiner Seiteweiter. Sie kamen unter der Kugelwandung derCREST hervor. Als sie den Schlagschatten desüberhängenden Ringwulstes passiert hatten, standensie in der riesigsten Halle, die Kasom jemals gesehenhatte.

Die CREST befand sich offenbar in einemLaderaum der unteren Nabenrundung. DumpfesMaschinengeräusch schien allgegenwärtig zu sein.

Die Decke des Riesenraumes war noch einmal sohoch wie die fünfzehnhundert Meter durchmessendeCREST. Das bedeutete, daß es unbekannteKonstrukteure für erforderlich gehalten hatten, einenSaal von drei Kilometern Höhe und gleichgroßemDurchmesser einzubauen.

Wozu? Wofür hatte man solcheAbstellmöglichkeiten benötigt? Was war in derFrühgeschichte des Planeten Horror vorgegangen?Hatte es hier einmal Schiffe gegeben, die doppelt sogroß waren wie die CREST II?

Kasom rannte weiter. Tolot durchquerte die Halleim Hundertkilometertempo. Diese Geschwindigkeitkonnte der Ertruser nicht mithalten. Immerhin kam ernoch schnell genug an einer Seitenwand derLagerhalle an, um Atlans Erwachen beobachten zukönnen.

Tolot ging hinter einem fremdartigenMaschinenkoloß in Deckung. Er war groß genug, umeiner Kompanie als Versteck zu dienen. Kasom hieltdie Maschinen für Ent- und Beladungseinrichtungenmit eigenständiger Energieversorgung.

Die gewölbte Decke der Halle wurde vonultrahellen Leuchtbahnen angestrahlt. Zwischendiesem energetischen Gewebe hing ein weitererMammutkörper. Konische Rohrmündungen,teilweise untereinander verbunden und von grellstrahlenden Kugelgebilden durchsetzt, wiesen nachunten.

Tolot deutete zur Decke.„Das dürfte der Traktorstrahl-Projektor sein, mit

dem man uns heraufgeholt hat.“„Enorm!“ sagte Kasom nur.Wenn er, der Übermensch, einen solchen Begriff

gebrauchte, dann konnte man sich darauf verlassen,daß es auch enorm war.

Atlan meldete sich. Seine Stimme klang dumpf

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und fremdartig unter dem transparenten Helm hervor.Die giftige Luft war ein guter Schalleiter. Auf einedrahtlose Sprechfunkverbindung hätte man schonwegen der Anpeilgefahr verzichten müssen.

Tolot ging in die Hocke und legte den Arkonidenund Rhodan auf den Boden. Atlan stemmte sich aufdie Ellenbogen hoch und blickte sich um. Er begriffdie Situation sofort, als er die unbekanntenMaschinen und in einer Entfernung von etwaachthundert Metern die Umrisse der CREST IIentdeckte.

Atlan verschwendete noch weniger Zeit für Fragenals der Ertruser.

„Ich schätze, wir sind in der Festung. Gut, das istbesser als tot. Sind die Männer der CREST nochbewußtlos?“

„Sie dürften bald erwachen, Sir“, berichtete Kasomflüsternd. Seine Stimme war immer noch laut genug.„Wir haben nur Sie. den Chef und Sengumitgenommen. Tolot rechnet mit einerUntersuchung.“

„Sie wird garantiert erfolgen, obwohl man sich vielZeit läßt. Ist die Atmosphäre giftig?“

Tolot bestätigte es. Atlan stand auf und hielt sichan einem vorstehenden Teil der Maschine fest. Alsihm übel wurde, setzte er sich rasch wieder auf denBoden.

Wütend meinte er:„Entschuldigen Sie. Die Fremden sind doch nicht

so leichtsinnig, wie ich eben angenommen hatte.Perry wird bestimmt noch eine Viertelstundebenötigen, bis er wieder munter wird. Es ist gut, daßSie uns aus dem Schiff gebracht haben. Hier draußensind wir besser aufgehoben. Ist das ein Hangar?“

Atlan sah sich um. Seine Übelkeit ließ nach.„Und was für einer, Sir“, bestätigte Kasom.

„Haben Sie schon bemerkt, daß die Festung ebenfallsdem Verkleinerungsfaktor unterliegt? Wenn es nichtso wäre, würde die CREST wohl kaum sämtlicheMaschinen überragen und die Halle zur Hälfteausfüllen.“

„Viel weniger als die Hälfte“, berichtigte IchoTolot. „Ihre Vermutung ist jedoch richtig. DieFestung ist ebenfalls ums Tausendfache verkleinertworden. Die Anzeichen trügen nicht. Fühlen Sie sichjetzt besser?“

Atlan sah in die rotleuchtenden Augen hinauf. Siedrückten kein Gefühl aus. Auch Tolots Mimik warnicht dazu geeignet, Menschen oder Arkoniden darinetwas ablesen zu lassen.

„Ja. Es geht. Ich möchte Sie bitten, über uns zuverfügen. Sie dürften der einzige Mann sein, der dieSituation, vollkommen übersehen kann. Wasschlagen Sie vor?“

Icho Tolot lachte leise. Sein Blut schien unter demDrang der Ereignisse zu wallen. Selten zuvor hatten

sich der charakteristische Kampfgeist und derAbenteuer drang des Haluters so heftig gemeldet wiejetzt.

„Vielen Dank für die Anrede. Sie haben mich‚Mann‘ genannt. Das bin ich nicht ausschließlich,aber ich höre es ganz gern. Ich möchte hier warten,bis die Unbekannten aktiv werden. Lange dürfte esnicht mehr dauern. Sie werden abschätzen können,wann der Zustand der Bewußtlosigkeit nachläßt. Bisdahin werden sie etwas unternehmen. Wir sollten esbeobachten.“

Atlan nickte zustimmend. Dann beugte er sichbesorgt über Rhodan. Er atmete bereits tiefer durch.

Die folgenden Minuten wurden für eine zweiteKontrolle der Raumanzüge verwendet. Alle Männerwaren mit chemischen Raketenwaffen ausgerüstet.Falls die Unbekannten nicht wesentlich größer warenals Kasom und Tolot, konnten die hochexplosivenMiniraks unter Umständen wirkungsvoll eingesetztwerden.

Atlan überlegte, wie sich dieses „Einsetzen“abspielen sollte. Allein die Nabe der Festung konnteohne weiteres hunderttausend und mehrBesatzungsmitglieder haben. Es war eine fliegendeGroßstadt - oder schon eine fliegende Provinz, wennman es so ausdrücken wollte.

Die Überprüfung war beendet. Sie warteten aufetwas, was sie weder korrigieren noch verhindernkonnten. Es blieb ihnen keine andere Wahl, als sichmöglichst gute Deckungen zu suchen und darauf zuhoffen, daß man sie bei der sicherlich erfolgendenUntersuchung übersah. Die Fremden konnten nichtwissen, ob die Besatzung der CREST vollzählig anBord war oder nicht.

Oder doch...?Atlan spähte argwöhnisch zur fernen Decke

empor. Dann suchte er die Wände ab. Warenirgendwo Kameras eingebaut, die Tolots und KasomsFlucht aufgezeichnet hatten?

Unsinn, dann wären die Fremden schon hier!belehrte ihn sein Extrahirn. Sie unterschätzen euch!

Auch der Haluter kam zu dieser Ansicht, nur mitdem Unterschied, daß er die einzelnen Fakten vielgenauer durchgerechnet hatte als der Lordadmiral.

Icho Tolots rachenartiger Mund öffnete sich. Atlanwich unwillkürlich etwas zurück. Jetzt glich derHaluter mehr denn je einem Ungeheuer.

Atlan fröstelte. Die Fremden schienen nicht zuahnen, welche Kampfmaschine sie sich in ihr Schiffgeholt hatten. Tolot war nach wie vor gefährlich,auch wenn seine Superwaffen nicht mehrfunktionierten.

*

Oberst Cart Rudo war nach Melbar Kasom der

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zweite Mensch, der aus derBeschleunigungsbetäubung erwachte. Auch er warein Umweltangepaßter, der an eine Schwerkraft von2,1 Gravos gewöhnt war.

Seine erste Reaktion war typisch für einenverantwortungsvollen Kommandanten.

Ehe seine Sinne wieder klar zu arbeiten begannen,drückte er mit schlafwandlerischer Sicherheit auf denAlarmknopf für die medizinische Robotzentrale.

Es rührte sich nichts. Die positronischen Gehirneder Medo-Robots waren infolge Energiemangelsschon vor Wochen ausgefallen.

Cart Rudo brauchte einige Augenblicke, um in dieWirklichkeit zurückzufinden. Er unterdrückte diebohrenden Schmerzen, die seinen Körper wieglühende Lava durchströmten. Der Andruckschockhatte ihn stehend überrascht. Er war neben derHauptpositronik niedergestürzt. Nur wenige Männerhatten zufälligerweise auf den weichen Konturlagerngelegen. Eine Gefechtsbereitschaft war infolge destotalen Waffenausfalls nicht angeordnet worden.

Der Epsaler richtete sich mühevoll auf undbetastete seine Glieder. Er lehnte sich mit demRucken an die abgeschrägte Programmierungsflächedes P-Gehirns, rieb seinen kantigen Schädel und sahsich um.

Als Cart Rudo die Besinnungslosen sah, ahnte er,was geschehen war. Seine Schmerzsymptomebewiesen eindeutig, daß die CREST nicht mitenergetischen Betäubungswaffen angegriffen wordenwar.

Oberst Cart Rudo war einer der fähigstenRaumoffiziere der Menschheit. Sonst wäre er auchnicht Kommandant des Flottenflaggschiffesgeworden.

Sein Rang setzte als selbstverständlich voraus, daßer gewisse menschliche Regungen auch dannunterdrückte, wenn es andere Leute infolgeeindeutiger Situationen für selbstverständlich hielten,sich etwas freier zu geben.

Diesmal war der Epsaler ganz allein. Niemand warwach.

Nur aus diesem Grunde tat Cart Rudo etwas, waser sich in Gegenwart seiner Untergebenen niemalserlaubt hätte: Er grinste!

Er grinste so unverfroren wie während seinerKadettenzeit, und er kümmerte sich den Teufeldarum, ob dieses Grinsen nun schicklich war odernicht.

Allerdings grinste der Kommandant nicht deshalb,weil einige seiner Leute in seltsam anmutendenStellungen auf dem Boden lagen. Ein Mann wieRudo war ungeheuer reaktionsschnell. Das war auchder Grund dafür, daß die Kommandanten derwichtigsten terranischen Raumschiffe aus dem Volkder Epsaler ausgesucht wurden.

Der Oberst glaubte in diesen Augenblicken, eineFehlplanung des unbekannten Gegners entdeckt zuhaben. Die Fremden schienen nicht zu ahnen, daß esin der CREST wenigstens zwei umweltangepaßteTerraner, einen Haluter und einen Arkoniden gab, dieauf Andruckschocks nicht so reagierten, wie es vonNormalmenschen zu erwarten war.

Nur aus diesem Grunde gab sich Rudo derHoffnung hin, durch schnellstes Handeln etwasvereiteln oder wenigstens mildern zu können, was erin der vollen Tragweite noch nicht erkennen konnte.

Er sprang zum Kommandostand hinüber, schwangsich über die Brüstung der erhöhten Bühne und nahmin seinem Sessel Platz.

Hier liefen die wichtigsten Schalteinheiten desSchiffes zusammen. Von hier aus konnten auch durcheine neuverlegte Leitung die Notstromaggregategesteuert werden.

Rudo fuhr die Turbinen hoch bis aufvierzigtausend Umdrehungen. Die Stromerzeugungstieg.

Anschließend schaltete er acht Kameras derAußenborderfassung ein und forderte gleichzeitigeine Automatanalyse über die Umweltbedingungenan.

Die Eindrücke waren überwältigend undbestürzend. Rudo fand seinen vagen Verdachtbestätigt. Man befand sich in einem großen Hangarder Festung.

Mit dieser Erkenntnis war Rudos Suche nach denUrsachen der Katastrophe schon erschöpft, aber dasahnte er noch nicht.

Er rief über die interne Bordverbindung nach Tolotund Melbar Kasom. Sie meldeten sich nicht. Rudorief ein zweites und drittes Mal.

Als er erneut keine Antwort bekam, erhob er sichaus dem Kommandantensessel und rannte zurautomatischen Schleusenanzeige hinüber. DieRegistratur hielt jede Betätigung der Schotte fest.Zwei Signale bewiesen, daß vor etwa zehn Minuteneine kleine Mannschleuse in der unteren Hangarhallegeöffnet und anschließend wieder geschlossenworden war.

Da wußte der Epsaler, warum sich die beidenRiesen nicht meldeten.

Cart Rudo erlaubte sich ein zweites Grinsen.Icho Tolot und der USO-Spezialist waren

bestimmt nicht allein aus dem Schiff gegangen.Wahrscheinlich hatten sie Perry Rhodan und Atlanmitgenommen. Diese Personen hatten sich zur Zeitdes Angriffs in der großen Ringwulstschleuse desRotsektors aufgehalten.

Cart Rudo atmete auf. Es war ihm in diesenAugenblicken nicht mehr so wichtig, was die Zukunftbringen würde. Wenn Tolot und Kasom draußenwaren, bestand immer noch Hoffnung.

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Wenn die Atomkraftstationen und die Waffen derCREST noch funktioniert hätten, wäre Cart Rudogenau der richtige Mann gewesen, ganz allein dieGefechtsbereitschaft herzustellen und die CREST ineine Festung zu verwandeln.

Wahrscheinlich hätte er noch viel mehr getan,denn er gehörte zu jenen Imperiumskommandanten,die ihre Schiffe wie ihre Hosentaschen kannten.Technische Probleme gab es für einen Cart Rudonicht!

So aber überlegte er, was nun zu tun sei. DenBesinnungslosen konnte er nicht helfen. Sie würdenvon selbst erwachen. Wahrscheinlich hatte eszahlreiche Quetschungen, Prellungen und auchKnochenbrüche gegeben. Das war aber alles nicht sogefährlich, um den Kommandanten zu bewegen,wegen einer medizinischen Hilfeleistung die Zentralezu verlassen. Wenn die Männer zu sich kamen,konnten die Verletzungen immer noch behandeltwerden.

Rudo entschloß sich, die internen Defensivwaffendes Superschlachtschiffes einzusetzen.

Er schaltete die auf Vollast laufendenTurboaggregate auf die Stromkreise derVerschlußautomatik. Das hatte zur Folge, daß dievielen tausend Alarmschotte der einzelnenAbteilungen reihenweise zuschlugen und die CRESTin ein Gebilde aus versiegelten Waben verwandeltwurde.

Diesmal lachte Rudo vor sich hin. Wenn seineMänner erwachten, würden sie an demVerschlußzustand erkennen, daß Gefahr drohte.Niemand würde sich darum bemühen, die Schotteseiner Abteilung von Hand zu öffnen. Es war auchnicht mehr notwendig, auf einen eventuellenEnterversuch hinzuweisen. Jedermann würde dieSituation verstehen. Rudo verließ sich auf seineElitebesatzung.

Als er alles veranlaßt hatte, was er zurAbsicherung des ihm anvertrauten Raumfahrzeugestun konnte, suchte er mit den schwenkbarenAußenbordkameras die Außenwelt ab.

Er aktivierte lediglich die vier Bildschirme, dieihm einen umfassenden Blickwinkel vondreihundertsechzig Grad erlaubten.

Rudo bemerkte nichts, was ihn ernsthaftbeunruhigt hätte. Gewiß - die Lage war verfahrenund undurchsichtig. Immerhin - so sagte sich derEpsaler! - immerhin lebte man noch, und vorerst sahes nicht danach aus, als wäre die CREST demUntergang geweiht.

Diese Meinung hielt Cart Rudo für bedingt richtig,bis er das Unglaubliche sah. Er saß einen Augenblickwie leblos in seinem Sessel. Dann schwenkte er dieKamera des Grünsektors herum und fuhr diestufenlose Optik auf Tele-Erfassung aus.

Wenn schon normale Erdenbürger mit artfremdenLebewesen so vertraut waren, daß sie sich beimErscheinen eines Nichtirdischen kaum nochumdrehten, so war der Kommandant des SolarenFlottenflaggschiffes noch mehr an solche Anblickegewöhnt.

Das war es also nicht, was Cart Rudo schockierte.Jene, die plötzlich in aufgleitenden Toren auftauchtenund in den Hangar hineinstarrten, waren durchausnicht ungewöhnlich oder monströser als etwa derHaluter Icho Tolot.

Sie waren sogar wesentlich kleiner und in ihrerStatur menschenähnlicher als der vierarmige Gigant.Dennoch waren sie fremdartiger.

Warum Cart Rudo diesen Eindruck gewann, daswußte er nicht. Es blieb ihm auch keine Zeit mehr,eingehender darüber nachzudenken.

Er schaute auf seine Bildschirme. Die Fremdenwaren durchschnittlich 2,20 Meter groß und in denSchultern 1,50 Meter breit. Die kompakten Körperruhten auf kurzen, stämmigen Beinen. Die Armebetonten das Nichtmenschliche noch stärker.

Sie waren lang, reichten bis zu den Knien undbesaßen offenbar kein Knochengerüst. Sie glichenelastischen allseitig beweglichen Tentakeln ausmächtigen Sehnen- und Muskelbündeln, waren anden Schultern wulstartig stark und liefen nach densechsfingrigen Händen zu trichterförmig aus.

Die beiden Daumen, zwischen denen vier ebenfallsknochenlose Finger angeordnet waren, stufte CartRudo noch als „menschenähnlich“ ein, den Kopf fander dagegen monströs.

Er fuhr die Teleaufnahme zur größten Brennweiteaus und holte einen Fremden formatfüllend auf denSchirm des Grünsektors.

Rudo unterdrückte eine Verwünschung. Dieautomatische Analyse hatte ihm viel über dieUnbekannten verraten. Sie waren keineSauerstoffatmer! Vielleicht, so überlegte derKommandant, war diese Tatsache dafürverantwortlich, daß er die Wesen der Festung als sonichtmenschlich empfand.

Ihre Köpfe unterstrichen diesen Eindruck nochmehr als die elastischen, skelettlosen Arme.

Der Schädel des auf dem Bildschirm erkennbarenFremden überzog die gesamte Schulterbreite. Erglich, von vorn betrachtet, einem sichelförmigenAufsatz.

Dieser Kopf, der mehr ein 1,50 Meter langer Wulstwar, fiel von der Scheitelerhebung in einer schiefenEbene von etwa fünfundvierzig Grad nach derSchulter hin ab. mit der er auch fest verbunden war.

Rudo beunruhigten besonders die viergleichgroßen Augen, die oben auf dem Grat saßen,der von der schmälsten Stelle des Kopfwulstesgebildet wurde, Sie waren rund, etwa sechs

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Zentimeter durchmessend und besaßen zweiSchlitzpupillen, die den Bick nach vorn und hintensicherstellten.

Ohren- und Nasenöffnungen konnte Rudo nichtentdecken, wohl aber den etwa zwanzig Zentimeterbreiten und extrem dünnlippigen Mund. Er war vonder Natur dort untergebracht worden, wo derhalbmondförmige Wulstkopf in die breiten Schulternüberging.

Der Epsaler erkannte das Gebiß einesAllesfressers, was wiederum die humanoideFormgebung des Körpers unterstrich.

Rudo schaltete seine Aufnahmen zurück aufWeitwinkelerfassung. Er fluchte nervös, als mehrereMaschinen in die Hangarhalle rollten. Einige diesermonströsen Geschöpfe saßen in den Steuersitzen. Essah aus, als handle es sich um fahrbare Kanonen.

Der Kommandant schaute sich in beginnenderPanik um. Fast alle Leute waren noch besinnungslos.Nur einige Männer, darunter der körperlich starkeErste Offizier, gaben erste Lebenszeichen von sich.

„Huise - aufwachen!“ schrie Rudo. „Huise,nehmen Sie sich zusammen! Machen Sie dieRaketenwerfer klar!“

Der Erste stöhnte nur und ließ den Kopfzurücksinken. Bebend vor Zorn beobachtete Rudoweiterhin die Bildschirme. Die Fremden kamennäher. Er konnte das Glitzern ihrer vier Grataugensehen und das stumpfe Leuchten derfingernagelgroßen Schuppen, von denen die freienHautstellen bedeckt wurden. Haut und Schuppenwaren von einem schmutzigen Grau, das sich kaumvon den gleichfarbenen Kombinationen abhob.

Die großen Selbstfahrkanonen bogen nach linksab. Rudo hatte keine Ahnung, daß fünf andereBesatzungsmitglieder seines Schiffes wegen dieserRichtungsänderung erleichtert aufatmeten. Er wußteauch nicht, daß ein Mann einen solchen Schockerlitten hatte, daß ihm übel geworden war.

Cart Rudo dachte nur noch daran, wie er dembevorstehenden Beschuß entgehen könne. DiesesNachdenken über offenkundige Unabänderlichkeitenmachte ihn fast wahnsinnig. Nichts konnte einenEpsaler mehr aufregen, als ein hoffnungslosesWarten auf Dinge, an denen man nichts mehr ändernkonnte.

Er schrie nochmals nach seinem Ersten Offizier.Dann bemerkte er das violette Flimmern.

Es schoß aus den Mündungen der fahrbarenKanonen heraus, hüllte die CREST ein unddurchdrang die Panzerwandungen.

Cart Rudo erkannte die Symptome einerbeginnenden Narkose. Er empfand keine Schmerzen,nur wurde er plötzlich müde. Ohne einen Laut vonsich zu geben, sank er in seinemKommandantensessel zusammen.

Seine Stirn schlug auf die Schaltungen desHufeisenpultes und blieb dort liegen. DerKommandant merkte nicht mehr, daß auch diesoeben erwachenden Männer seiner Besatzung erneutbesinnungslos wurden, ohne daß sie Gelegenheitgehabt hätten, die Situation zu begreifen.

Etwas hatte der Kommandant aber noch erkannt:Die CREST war auch diesmal nicht mit

Vernichtungswaffen angegriffen worden!

5.

Ein Mensch hätte an meiner Stelle anders reagiert.Er hätte je nach Temperament und Erziehunggeflucht, wortlos die Fäuste gehoben oder - wenn ersehr feinfühlig gewesen wäre - sein Entsetzen miteiner Ohnmacht abreagiert.

Der Außendruck war hoch; fast zu hoch für einenRaumanzug, dessen Energieschirmprojektor nichtmehr funktionierte. Unsere Körper hatten sichangepaßt. Wenn wir jedoch nochmals in die CRESTmit ihrem geringeren Luftdruck zurückkehrenwollten, mußten wir entweder einige Zeit in einerAusgleichskammer verweilen oder die Anpassungdurch eine allmähliche Reduzierung desAnzugsdrucks vornehmen.

Tolot und Kasom wurden davon kaum betroffen.Diese Giganten waren an solche physikalischenWiderwärtigkeiten gewöhnt.

Perry stieß soeben die ersten Seufzer aus. WuriuSengu war noch besinnungslos, obwohl er zu denwiderstandsfähigsten Mutanten des Korps gehörteDeshalb hatte ihn Tolot auch aus dem Schiffgebracht. Sengus empfindliches Gehirn würde abernoch wenigstens zehn Minuten benötigen, bis es dieArbeit wieder aufnehmen konnte.

Tolot und Kasom waren erleichtert, daß dieSelbstfahrlafetten abgeschwenkt waren. Sie warenaus dem Grünsektor gekommen. Da wir im Rotsektordes Schiffes, also genau entgegengesetzt, unserVersteck gesucht hatten, wären wir bei einereventuellen Feuereröffnung genau in die Schußliniegeraten.

Meine Hände zitterten. Ich richtete mich auf dieKnie auf und suchte nach einem Halt. Mein Extrahirnmeldete sich auch nicht. Ich ahnte, daß derLogiksektor verzweifelt nach einer Erklärung suchte.Ich spähte nach vorn.

Ja - das waren sie! Das waren die unerbittlichsten,hartnäckigsten, fähigsten, intelligentesten undwiderstandsfähigsten Feinde, die das GroßeImperium der alten Arkoniden jemals gehabt hatte.

Das waren die Wesen, mit denen wir den größtenRaumkrieg der arkonidischen Frühgeschichteausgefochten hatten. Das waren jene eierlegendenMonstren, die ihren ausgeschlüpften Nachwuchs

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anschließend säugten und die deshalb einebiologische Sonderstellung unter den Völkern derGalaxis eingenommen hatten. Das waren dieLebewesen, die wir einfach Methans genannt hatten,obwohl sie in Wirklichkeit Wasserstoff mitmethanhaltigen Verunreinigungen ein- undAmmoniak ausatmeten.

Ich hatte als Chef einer arkonidischen Eliteflotteviele Jahre lang gegen sie gekämpft. Die Methanshatten uns erst dezimiert und schließlich nochnachhaltiger geschlagen, weil wir als humanoideLebewesen nicht in der Lage gewesen waren, unserenBedarf an Raumschiffsbesatzungen so schnell zuersetzen wie diese Wesen, die nach einer Reifezeitvon nur dreieinhalb Monaten bis zu neun Eierproduzieren konnten.

Einen anderen Begriff als „produzieren“ hattenunsere Wissenschaftler nie gebraucht. Er warvielleicht biologisch nicht zutreffend gewesen, wohlaber in der Praxis, denn die Methans hatten ihreschweren Ausfälle immer schnell genug ergänzenkönnen.

Sie hatten aufWasserstoff-Methan-Ammoniak-Welten mitTemperaturen zwischen fünfundsiebzig undsechsundneunzig Grad Celsius gelebt. IhreKörperchemie beruhte auf Siliziumbasis, und den„Oxydanten“ zu ihrer überwiegendenWasserstoffatmung bezogen sie aus ihrer Nahrung.

Woher kamen sie? Wie waren die Methans in dieFestung gekommen, und wer hatte diesesGigantenschiff erbaut? Ich kannte jeden, selbst denkleinsten Typ der damaligen Methanraumschiffe.Solche Fahrzeuge waren niemals gebaut worden.

Wie waren sie in den kosmischen Leerraumgekommen - und weshalb fungierten sie als Wächterüber der Oberfläche einer unfaßbaren Welt in einemnoch unfaßbaren System?

Als man mich vor zehntausend Jahren irdischerZeitrechnung mit einem schlagkräftigenEinsatzverband aus der Front gezogen und mir denBefehl erteilt hatte, das irdische Sonnensystemanzufliegen, um die Unruhen unter den dortigenArkonidenkolonisten zu bereinigen, hatte unserGroßes Imperium schon zu wanken begonnen.

Anschließend war es mir gelungen, die Unterlagenfür die geheimnisvollste Waffe unserer Geschichte zubeschaffen und sie mit einem Kurierkreuzer nachArkon zu schicken. Es hatte sich um die sogenannteKonverterkanone gehandelt.

Mein Verband war von den Wesen der zweitenZeitebene vernichtet worden. Ich hatte in eineUnterseekuppel fliehen und meinezehntausendjährige Wanderung durch die Geschichtedes Planeten Erde beginnen müssen.

Wie ich später erfuhr, war die Konverterkanone

von arkonidischen Wissenschaftlern gebaut und soerfolgreich gegen die Methans eingesetzt worden,daß wir sie im letzten Augenblick vernichtendgeschlagen hatten.

Zur Zeit des arkonidischen Robotregenten hatte ichUnterlagen erhalten, aus denen ersichtlich wurde, daßdie Methans von unseren Flottenverbändenausgelöscht worden waren.

Nun tauchten sie plötzlich wieder auf! Mir wurdeschwindelig, wenn ich nur an die ungeheure Gefahrdachte, die der Galaxis durch diese unwahrscheinlichkampfkräftigen und intelligenten Wesen drohte.

Es gelang mir, den Fragenkomplex aus meinemBewußtsein zu verdrängen. Es war zwecklos, schonnach dem ersten Erkennen der Situation mitGrübeleien zu beginnen. Ich mußte mich mit denTatsachen abfinden, auch wenn sie noch sounglaublich waren.

Die Geschütze begann zu feuern. UltrahelleEnergiefluten schlugen gegen den stählernen Leib derCREST und ließen ihn irrlichternd aufstrahlen. Esgeschah völlig geräuschlos.

Der eigentümliche Beschuß endete nach etwa fünfMinuten. Die Methans handelten jedoch anders, alsich es erwartet hatte. Sie dachten nicht daran, dieCREST zu betreten! Dagegen nahmen sie mit ihrenGeschützen Fahrt auf und kamen um den Kugelleibdes Superschlachtschiffes herum.

Ich sprang auf und riß Perry Rhodan an denSchultern zurück. Er war plötzlich erwacht und hattesich aufgerichtet, ohne daß wir es bemerkt hatten.

Tolot und Kasom wurden auch aufmerksam. Indiesem Augenblick gelang es mir zum ersten Male,in Tolots rotleuchtenden Riesenaugen einenAusdruck der Überraschung zu entdecken. Oder wares Bestürzung?

Die Antriebsmaschinen der Selbstfahrlafettenlärmten so laut, daß ich es wagen konnte, dieGefährten anzurufen. Nein - ich schrie sie an.Wahrscheinlich war mein Gesicht völlig verzerrt undvom Entsetzen gezeichnet.

„Zurück“, brüllte ich verzweifelt. „Sofort zurück.Das sind Methans; versteht ihr - Methans! Das sinddie Lebewesen, die uns vor zehntausend Jahrenbeinahe vernichtet hätten, bis wir dieKonverterkanone bauen konnten. So gehen Sie dochin Deckung, Tolot!“

Rhodans Gesicht nahm die Farbe gelblichenWachses an. Er, Kasom und Wuriu Sengu wußtenaus meinen Berichten sehr genau, was sie von denMethans zu halten hatten.

Im Vergleich zu ihnen waren Springer, Aras,Akonen und die nichtmenschlichen Blues von derEastside des Zentrums harmlos.

„Sie müssen sich irren!“ behauptete Tolot. Darausentnahm ich, daß er die Geschichte des blutigsten

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aller Raumkriege ebenfalls kannte.„Das sind Methans“, schrie ich weiter. „Ich weiß

nicht, weshalb sie hier erscheinen, wo siehergekommen sind und unter wessen Befehl siestehen. Sie sind auf alle Fälle da. Allerdings werdenmir nun einige Dinge klar. Sie halten die Besatzungder CREST für Arkoniden. Sie wissen nicht, daßTerraner viel widerstandsfähiger sind als Arkoniden.Nein, sehen Sie mich nicht fragend an. Ich bin nurdeshalb so schnell aus der Ohnmacht erwacht, weilich ein aktiviertes Extrahirn besitze. Dies erhieltennur arkonidische Oberkommandierende undMitglieder des jeweils herrschenden Hauses.Normalwesen meines Volkes würden durch denAndruckschock noch stundenlang besinnungslossein. Gehen Sie zurück! Wenn wir geortet werden,haben wir ausgespielt! Jawohl, Oberst Melbar Kasom- Sie ebenfalls! Methans sind an Schwerkräftezwischen 2,9 und 3,1 Gravos gewöhnt. Drei Methanswerden mit Ihnen spielend fertig, zwei können Sieunter Umständen besiegen. Tolot - auch Ihnen drohtGefahr. Ich sage Ihnen nochmals, daß dieses Volkder härteste Gegner war, den wir jemals hatten.“

Rhodan zog Wuriu tiefer hinter die Maschinezurück. Der große Terraner hatte blitzschnellverstanden, welche Ungeheuer uns begegnet waren.

Kasom war sehr nachdenklich geworden, und derHaluter rechnete bereits wieder. Ich bemerkte es anseiner steifen Haltung.

Schließlich erkundigte er sich unvermittelt:„Ich akzeptiere Ihre Aussagen, Atlan. Von

welchem Volk stammen diese Methans? Es gabmeines Wissens viele Arten.“

„Tausende. Ein Volk war jedoch beherrschend undauch das größte. Es hatte alle anderen Methanvölkerunterjocht oder zu Partnern gemacht. Wir nannten dieVertreter des dominierenden Volkes Maahks.“

„Glauben Sie, daß wir es hier mit Maahks zu tunhaben?“

„Hoffentlich nicht!“ Meine Stimme bebte.„Hoffentlich nicht! Alte Berichte besagen, sie wärenvon unseren Schlachtflotten völlig vernichtet worden.Ich konnte allerdings keine hundertprozentigstichhaltigen Unterlagen darüber erhalten. SchweigenSie!“

Tolot duckte sich unwillkürlich. Einnichtmenschlicher Gigant sah zu anderen Gigantenhinüber, die im Gegensatz zu ihm keineSauerstoffatmer waren. Diese Tatsache hatte schonimmer zu enormen Meinungsverschiedenheitengeführt. Wir Arkoniden hatten jedes Lebewesenanerkannt, wenn es nur sauerstoffatmend gewesenwar. Fremdgasatmer waren von uns alsIntelligenzwesen natürlich ebenfalls gewürdigtworden, aber man hatte sie im Oberkommando sofortals erbitterte Feinde eingestuft.

Die Ereignisse hatten diese Auffassung auchniemals widerlegen können. Fremdstoffatmer hattensich meines Wissens nie mit Sauerstoffatmerneinigen können. Daher war es auch zum Methankrieggekommen.

Perry Rhodan war in dieser Hinsicht ganz andererMeinung. Er vertrat die Ansicht, man könnte undmüßte sich mit jedem Wesen, gleichgültig wie esbeschaffen war, vertragen können.

Nun ja - er war Terraner! Menschen waren nuneinmal höchst eigentümliche Geschöpfe. Man wußtenie so recht, ob man sie lieben oder hassen sollte. Ichhatte mich für die Liebe entschieden, da ich dasGefühl hatte, sie wären auf dem rechten Wege. Eswar nicht unbedingt notwendig, die Fehler meinerVorfahren zu wiederholen.

Ich ging um die Maschine herum. Die Geschützekamen näher. Jetzt, da sich meine Erregung gelegthatte, konnte ich wieder nüchtern denken.

Ich studierte die Körperformen. Besonders dieGröße der blaßgrauen Schuppen war ein deutlicherHinweis auf die Volkszugehörigkeit. Ich sprach eineinwandfreies Kraahmak; und zwar die Mundart derMaahks, die ich deshalb von anderen Methanvölkerngut unterscheiden konnte.

Es gab auch noch andere äußere Kennzeichen, dieaber nur ein Eingeweihter wissen konnte. Die Formder Augen, ihre Anordnung auf dem Kopfgrat unddie Größe der doppelten Schlitzpupillen spieltengleichfalls eine Rolle.

Tolot lag hinter mir. Rhodan hatte die Waffegezogen und war zusammen mit Kasom am anderenSockelende der Maschine in Feuerbereitschaf tgegangen.

Wenige Sekunden später wußte ich, daß meineschlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren.Das waren Maahks!

Ich erhaschte einige Wortfetzen. Alle Methansbesaßen stimmbildende Organe wie Menschen undArkoniden. Es war nicht besonders schwierig, diegenormte Einheitssprache, das Kraahmak, zuerlernen. Fast alle arkonidischen Flottenoffiziere undgehobenen Mannschaftsdienstgrade waren damalsmittels Hypnoschulung damit vertraut gemachtworden. Mein fotografisches Gedächtnis begannsofort zu arbeiten. Mir war, als hätte ich gestern ersteinige gefangene Maahkkommandeure verhört.

Als die Geschütze weiterglitten, zweifelte ichschon wieder an meinem Beobachtungsergebnis.Dann kamen nochmals zwei Methans auf einemkleinen Prallfeldwagen.

Die Rangabzeichen auf denKombinationsuniformen kannte ich gut. Das Zeichendes geteilten Eidotters, dem Symbol der Stärke undFruchtbarkeit, wurde nur von den Maahks und nurvon Offizieren getragen. Damit hatte ich endgültige

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Gewißheit gewonnen.Wir warteten mit schußbereiten Waffen, aber es

kümmerte sich niemand um uns. Man machte sichnicht einmal die Mühe, die Hangarhalle nacheventuellen Flüchtlingen abzusuchen.

Dies bestärkte mich in der Annahme, daß man dieBesatzung der CREST für Arkoniden hielt.

Früher hätte mich die Geringschätzung meinemVolke gegenüber, die in den Handlungen der Maahkslag, tief verletzt. Jetzt besaß ich keinen arkonidischenNationalstolz mehr. Ich war dagegen sehr froh, daßman die biologischen und physiologischenKenntnisse über Arkoniden versehentlich aufTerraner anwendete. Wäre es nicht so gewesen, hätteauch ein Wesen wie Icho Tolot nicht mehr dieCREST verlassen können; dann hätten die Maahkssofort nach unserer Einschleusung mit dem seltsamenBeschuß begonnen.

Diesen eiskalten, völlig gefühllosen Logikern, dienichts dem Zufall überließen und die auch unterihresgleichen mit gleicher Härte vorgingen,unterliefen normalerweise keine Fehler. Derehemalige arkonidische Geheimdienst hatte sich beider Bekämpfung der Maahks vollkommen umstellenmüssen. Unsere Wissenschaftler hatten damalsbehauptet, ein Fremdstoffatmer müsse nach ganzanderen Maßstäben behandelt werden als einSauerstoffatmer. Selbst eine urweltlicheDschungelechse sei mit humanoiden Lebewesennäher verwandt als mit den hochintelligentenMaahks, deren Mentalität für uns immerunverständlich geblieben war.

Die Tore auf der anderen Hallenseite glittenwieder auf. Die Selbstfahrlafetten verschwanden.

Ich war fassungslos! Weshalb drang man nicht indie CREST ein? Icho Tolot wußte die Lösung.

Er zog mich zurück. Hinter einer Ecke derMaschine trafen wir zusammen. Rhodans Gesichtwar schweißüberströmt. Der Mutant Wuriu Senguwar vor einigen Augenblicken erwacht. Er wußte erstandeutungsweise, was wir gesehen hatten.

Melbar Kasom, den ich schon vor Jahren vomaktiven Dienst der USO befreit und als Chef derLeibwache von Mory Rhodan-Abro abgestellt hatte,schaute düster zu unserem stolzen Flaggschiffhinüber.

„Beruhigen Sie sich“, vernahm ich Tolots Stimme.„Nach halutischen Situation. Ich kann einigeAngaben machen.“

„Über die Maahks?“ erkundigte ich michhoffnungsvoll.

„Ja. Ich kenne die Geschichte des Methankrieges.Meine Vorfahren haben hier und da eingegriffen.“

„Das habe ich bemerkt“, lachte ich bitter auf.„Verzagen Sie nicht, Arkonide! Sie kennen den

unbändigen Abenteuerdrang und Erlebnishunger

meines Volkes. Gelegentlich müssen wir unsere Weltverlassen, um dem Ruf unserer aufbegehrendenInstinkte zu folgen. Wir sagen dazu Drangwäsche;eine treffende Bezeichnung. Meine Vorfahren sindsowohl mit Arkoniden als auch mit Methans inGefechtsberührung gekommen. Es geschah immerdann, wenn wir sicher waren, daß eineUngerechtigkeit gegenüber unschuldigen Völkernbevorstand. Es kam oftmals zu Versehen. Sie solltennicht mehr darüber nachdenken. Wir haben nur etwasmitgespielt, ohne jedoch diese oder jene Parteibevorzugt zu haben.“

„Kommen Sie zum Thema“, forderte ichunfreundlich.

Perry sah mich verweisend an. Tolot war nichtbeleidigt. Er verstand meine Erregung. Ichentschuldigte mich.

„Vergessen Sie es, Atlan. Die Besatzung derFestung besteht tatsächlich aus Maahks. Die Frageist, wie sie hergekommen sind. Damals, als diearkonidische Flotte mit einer neuen Superwaffeangriff, wurden die Methans gnadenlos vernichtet.Naturgemäß fielen jene Völker, die nicht sohochstehend waren wie die Maahks, derGroßoffensive zuerst zum Opfer. Ihre Vorfahrenwaren nicht zimperlich, Arkonide! Ihnen kam es aufdie Vernichtung einiger Sonnensysteme nicht an.“

„Das weiß ich. Es tut mir leid. Aus diesem Grundehabe ich versucht, die Menschheit vor ähnlichenHandlungen zu bewahren.“

„Das ist anerkennenswert. Ich bin sicher, daß eseinigen Maahk-Verbänden gelungen ist, der vomarkonidischen Imperator angeordnetenVernichtungsaktion zu entgehen. Zu diesemZeitpunkt sind die Maahks zufällig auf dasSonnensechseck gestoßen. Vielleicht wurden sieverfolgt. Sie wurden von dem Sechsecktransmittererfaßt und auf eine Kontrollstation vor Andromedagebracht. Dort müssen die ‚Meister der Insel‘ erkannthaben, welche gewaltigen Kämpfer angekommenwaren. Meine Auswertung läßt nur einen Schluß zu:Die ‚Meister der Insel‘ setzten sich mit den Maahksin Verbindung und teilten ihnen gewisse Aufgabenzu. Eine davon besteht in der Überwachung desAuffangplaneten Horror.“

Perry Rhodan dachte schneller und konsequenterals ich. Ich war noch wie benommen. Ehe ich meinenvagen Verdacht verarbeiten konnte, sprach er schondie entscheidende Frage aus:

„Das würde bedeuten, daß nur Angehörige des amhöchsten entwickelten Methanvolkes derVernichtung entronnen sind. Das würde fernerbedeuten, daß die Besatzung der Festung nur einenBruchteil der heute wieder existierenden Volksmassedarstellt! Die Vermehrungsdichte dieser eierlegendenGeschöpfe muß unvorstellbar groß sein. Selbst wenn

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nur einige tausend Maahks der arkonidischenGroßoffensive entkommen wären, müßte es heutewieder viele Milliarden geben. Wo sind sie? Alle indieser Festung?“

Ich blickte den Terraner entsetzt an. Perry hattemeine geheimste Befürchtung ausgesprochen.

„Andromeda!“ behauptete Melbar Kasom. Mehrsagte er nicht. Es genügte auch.

„Wahrscheinlich“, bestätigte der Haluter. „DieGruppe, mit der wir es zur Zeit zu tun haben, hatunter Umständen seit Jahrtausenden keineVerbindung mehr zu den anderen Maahks. Ichschätze, daß wir uns auf einem Generationenschiffbefinden, das für seine Bewohner soviel bedeutet,wie für andere Lebewesen ein Planet. Hier wird mangeboren, hier lebt man und hier stirbt man. Sicherlichexistiert eine Geburtenkontrolle oder ein anderesAuslesesystem.“

„Sie töten alles ab, was sie als lebensuntauglichoder für die Gemeinschaft als hinderlich ansehen“,erklärte ich. „Ich kenne diese gnadenlosenGeschöpfe, die weder den Begriff Gefühl nochToleranz in ihren Sprachschatz aufgenommen haben.Tolot - ich möchte Sie bitten, sofort in der CRESTnachzusehen, was die Maahks mit ihrem Beschußangerichtet haben. Kommen Sie aber bitteaugenblicklich zurück. Ich brauche IhrenUntersuchungsbefund. Vielleicht wird darausersichtlich, warum man das Schiff nicht betreten hat.Etwas geschieht, das ist sicher! Ich weiß nur nochnicht, was die Methans vorhaben. Bitte, beeilen Siesich.“

Ich hielt Kasom zurück. Er wollte demdavonrasenden Haluter folgen.

„Kommt nicht in Frage, Kasom. Sie bleiben hier.Das ist ein Befehl. Sie sind immer noch einUSO-Spezialist, auch wenn ich Sie zur besonderenVerwendung abgestellt habe. Warten Sie gefälligst.Der Haluter ist schneller als Sie, auch wenn es Ihnenschwerfällt, diese Tatsache zu akzeptieren.“

Kasom preßte die Lippen zusammen und tratzurück. Icho Tolot war bereits unter dem Kugelrumpfder CREST verschwunden.

Wir warteten. Diskussionen waren überflüssig.Jeder dachte darüber nach, was dasWiederauftauchen eines gewaltigen Volkes für dieanderen Intelligenzwesen der Galaxis bedeutenkönnte.

Sie sind nicht in der Milchstraße, sondernneunhunderttausend Lichtjahre davon entfernt imLeerraum angetroffen worden! belehrte mich meinLogiksektor. Wozu die Aufregung?

Ich schaute mich betroffen um. Natürlich - wozudie Aufregung!

Genau in diesem Augenblick bemerkte Perry:„Wenn die Maahks von den ‚Meistern der Insel‘ in

unsere Galaxis zurückgebracht werden und wenn sieden Befehl erhalten, uns anzugreifen, haben wir denzweiten Methankrieg.“

Ich kam nicht mehr dazu, auf diese bestürzendeÄußerung einzugehen. Zwei Dinge geschahen zurgleichen Zeit.

Tolot kam zurück. Wir sahen ihn imHundertkilometertempo über den metallischenBodenbelag der Riesenhalle rasen.

Zugleich meldete sich der Mutant. Wuriu Senguhatte die hinter den Wänden liegendenRäumlichkeiten beobachtet, soweit seineparapsychische Spähergabe noch dazu in der Lagewar.

„Achtung, das Schiff nimmt Fahrt auf. Rechts vonuns bewegen sich Metallklappen. Es sindVerschlußblenden. Dahinter liegt ein sehr großerBildschirm. Er gehört zu einem Beobachtungssystem,das bei einem Start automatisch in Tätigkeit tritt unddie Aufnahmen zahlreicher Außenbordkameras inalle Abteilungen überträgt. Wir werden deshalbzufällig Zeugen der Vorgänge. Es ist von denMaahks nicht beabsichtigt. Sehen Sie ...!“

Tolot kam um die Maschine herum. Rechts vonuns leuchtete ein riesiger Bildschirm auf. Er war rundund besaß strahlenförmig auslaufendeRastereinheiten, auf denen andereBeobachtungssektoren nur noch umrißhaft erkennbarwaren. Auch das war eine typische Entwicklung derMaahks. Die Zentrumsschirme lieferten immerscharfe Bilder.

„Die Festung schwebte bisher über denSandkuchenbergen“, berichtete der Späher. „Siesteigt jetzt vertikal. Mehr kann ich leider nichterkennen.“

„Es reicht auch“, dröhnte Tolots Stimme.„Vorsicht, die Andruckbelastung nimmt zu. LegenSie sich hin, entspannen Sie sich. Die Besatzung derCREST liegt in einem todesähnlichen Tiefschlaf.Alle Schotten sind verschlossen. Ich schätze, daßOberst Rudo für einige Augenblicke wach war. Ichhabe mir nur die Wachtposten im unterenBeiboothangar angesehen. In der CREST ist niemandmehr aktiv.“

Jetzt wußten wir, warum die Maahks daraufverzichtet hatten, das Schiff zu betreten. Die Männerder CREST waren ungefährlich geworden. Fürwelche Zeitspanne, konnte niemand ahnen.Außerdem schien der bevorstehende Start einelangwierige Untersuchung von selbst verboten zuhaben. Es gab auch noch eine andere Erklärung; aberdiese Version erschien am plausibelsten. Die Maahkshatten Zeit; sehr viel Zeit. Sie brauchten sich indiesen Augenblicken nicht mit Dingen aufzuhalten,die für sie vorerst erledigt waren. Diese Denkweiseentsprach voll und ganz ihrem Charakter. Methans

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vom Volke der Maahks hatten es schon immerverstanden, viele Dinge sachbezüglich zukoordinieren. Deshalb waren sie so gefährlichgewesen.

Meine Gefährten beobachteten den Bildschirm. Erdurchmaß etwa dreißig Meter. Der Planet Horrorwurde schnell kleiner. Das gigantische Raumschiffstieg mit enormen Beschleunigungswerten.

Bei vier Gravos wurden die Beharrungskräfteunangenehm. Bei zehn Gravos wurde Wuriu Senguschon wieder bewußtlos. Auch ich verlor allmählichdie Besinnung. Nur Tolot und Kasom hielten diefürchterlichen Belastungen aus. Maahks arbeitetennur unter bestimmten Umständen mitAndruckabsorbern. Das bekamen wir jetzt zu spüren.

Ich hatte die Augen auf den Bildschirm gerichtet.Ehe sich mein Blick verschleierte, befanden wir unsschon im kosmischen Leerraum. Ich gewahrte nurnoch trostlose Schwärze. Wohin flog das radförmigeGenerationenschiff? Weshalb hatte man uns entführt?Ich entdeckte keinen Sinn in dieser Maßnahme.

*

Die Schmerzen waren grauenhaft. Sie peinigtenmich, durchzuckten meinen Körper wie Feuerströmeund verdrängten den Zustand derBesinnungslosigkeit mit solcher Schnelligkeit, daßich übergangslos erwachte.

Es schien im Horrosystem unser Schicksal zu sein,von einer Ohnmacht in die andere zu gleiten. So oftwar ich noch nie extremen Einflüssen ausgesetztworden.

Ich fuhr schreiend auf. Zwar bemühte ich mich,diese wenig mannhaften Laute zu unterdrücken, aberes gelang mir nicht ganz.

Eigentümlicherweise befriedigte es mich, daß derErtruser ebenfalls schrie. Also mußten die Schmerzenwirklich qualvoll sein.

Perry und Wuriu Sengu waren ebenfalls erwacht.Auch sie mußten die Qualen voll auskosten. Als ichSengu wimmern hörte, schlug mein Extrahirn Alarm.Seit wann war es üblich, daß der empfindlicheMutant zusammen mit uns munter wurde? Etwasstimmte nicht!

Dieser Verdacht verstärkte sich, als die Schmerzenrasch nachließen und dann abrupt verschwanden. Ichsah mich verblüfft um.

Tolot beendete soeben seine Zellumwandlung. Auseinem stahlharten Klotz ohne jedes Leben wurdewieder der reaktionsschnelle Haluter. Er sprang aufund stieß einen Laut aus, den ich nie vergessenwürde.

Da bemerkte ich erst, daß wir in einerKraterlandschaft lagen. Die Maschine warverschwunden. Oder ...?

Zehn Sekunden später wußten wir, was geschehenwar. Die Festung hatte sich in ihre normaleZustandsform zurückverwandelt, und wir warengeblieben, was wir gewesen waren: Mikrowesen!

Das bedeutete, daß wir plötzlich in eine Weltversetzt worden waren, die anscheinend nurvorübergehend dem tausendfachenVerkleinerungsfaktor unterlag, um nach einergewissen Zeitspanne wieder die vorher gültigenDimensionen anzunehmen.

Die Kraterlandschaft war eine optische Täuschung.Solange die Festung noch der Schrumpfung unterlag,waren die Relationen gleichartig gewesen. Ein glatterBodenbelag war tatsächlich glatt gewesen.

Nun sahen wir die vielen Poren, Risse,Erhebungen und Verschleißstellen wie durch eintausendfach vergrößerndes Mikroskop. Alles warungeheuerlich geworden.

Ein Brüllen, das kaum noch menschlich zu nennenwar, brachte mich auf die Beine. Melbar Kasom hiebin rasender Wut mit einem aufgelesenenMetallsplitter auf ein gigantisches Gebilde ein, dassich vor uns erhob.

Das Gebilde war eine dicke Schweißnaht, durchdie die unbekannte Maschine mit dem Sockelverbunden war.

Ich schrie Kasom an, aber es dauerte eine Weile,bis sich der Ertruser beruhigt hatte. Für meineBegriffe war er so groß und stark wie zuvor. Wennuns jetzt allerdings nochmals einige Maahksbegegnet wären, hätten sie den ertrusischen Meisteraller Klassen wohl kaum noch gesehen, es sei denn,sie hätten den Boden mit Lupen abgesucht.

Unsere Umgebung war ins Gigantischeangewachsen. Wir konnten ohnehin die sehr großeHangarhalle nicht mehr überblicken. Obwohl derBoden nach Normalbegriffen völlig eben war, wirkteer auf uns wie die Oberfläche eines Planeten. UnserSichthorizont war winzig. Die ehemals dreitausendMeter hohe Deckenwölbung war nun hinsichtlich derfür uns gültigen Größenordnung dreitausendKilometer entfernt. Das galt auch für denDurchmesser der runden Halle, mit dem wir uns nunabzufinden hatten.

Die stolze CREST füllte den Raum nicht mehr zurHälfte, sondern nur noch die Fläche einerBodenplatte.

Ich kämpfte mit allen Willenskräften um meineBeherrschung. Icho Tolot war auffallend ruhig. Errechnete wieder. Sengu sah sich mitstumpfglänzenden Augen um; Kasom lehnteschluchzend an der Schweißnaht, die viel höher warals sein Körper, und Rhodan unterdrückte jedeGefühlsäußerung.

Er konnte sogar noch lächeln.„Na und - daran sollten wir doch allmählich

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gewöhnt sein! In den Etagen der Hohlwelt haben wirgleichartige Dinge erlebt. Kasom, fangen Sie sich.Vielleicht ist die plötzliche Rückverwandlung derFestung unser Glück. Auf alle Fälle weiß ich nungenau, warum die Maahks nach demBetäubungsbeschuß die CREST nicht betreten haben.Das hatten sie nicht mehr nötig. Sie wußten, daß sieihre normale Größe zurückerhalten würden, sobaldsie sich mit ihrem Schiff aus dem Einflußbereich dessüdpolaren Potentialverdichters zurückzogen. Wennwir wüßten, wie das gemacht wird, sähe die Situationanders aus. Leider haben wir keine Ahnung. Da istaber noch etwas ...!“

Er unterbrach sich und sah sich nach Tolot um.Der Haluter rührte sich noch immer nicht.

Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte nachoben. Die vorher beobachteten Energiebahnen,zwischen denen der Traktorstrahl-Projektorschwebte, strahlten nun ein schmerzhaft grelles Lichtaus. Wir konnten kaum noch etwas erkennen.

„Was?“ stöhnte Kasom, ohne aufzublicken.„Wir hatten uns etwa achthundert Meter vom

Schiff entfernt. Aus dieser geringen Entfernung sindnun achthundert Kilometer geworden! Wenn wir dasSchiff nicht in dreiundzwanzig Stunden erreichthaben, werden wir ersticken. Länger reicht unserLuftvorrat nicht.“

Mir war, als hätte der Haluter nur auf diesesStichwort gewartet. Er ging jedoch nicht direkt aufPerrys Hinweis ein.

„Ich habe meine Auswertung beendet. Die Sacheist klar. Mein Planhirn bezeichnet die Festung alsPotentialpendler. Das Schiff besitzt Einrichtungen,die es der Besatzung gestatten, für kurze Zeit in derEinflußzone des Horrorverdichters zu verweilen.Dieser Zeitraum darf nicht überschritten werden.Daraus resultiert, weshalb die Festung immer nurkurzfristig über der Oberfläche auftaucht, umanschließend überraschend schnell im Raum zuverschwinden. Der Verkleinerungsprozeß wird durchdie Tätigkeit unbekannter Maschinen zu einerinstabilen Zustandsform, die sich von selbst aufhebt,sobald die Wellenfront des Potentialverdichtersverlassen wird.“

„Diese Erkenntnis hilft uns wenig“, sagte ichdeprimiert.

„Natürlich nicht, aber es ist interessant zu wissen,was hier vorgeht. Aus diesen Tatsachen leitet sichauch die Lösung eines anderen Geheimnisses ab. DieIntelligenzen, die ehemals Horrors Oberflächebewohnten, sind von den Wesen der dritten Etagedurch die beiden Potentialverdichter ausgerottetworden, nachdem es ihnen vorher schon gelungenwar, die dritte Etage durch unbekannteKernreaktionen in eine radioaktive Hölle zuverwandeln.

Es ist sicher, daß die Besatzung der Festung mitden Bewohnern der dritten Etage in Verbindunggestanden hat. Die Maschinerie zum Pendelnzwischen Normalgröße und tausendfacherVerkleinerung muß eine technische Entwicklung dersogenannten Denker der Gelbetage gewesen sein.Eine andere Lösung gibt es nicht. Da aber dieMaahks den ‚Meistern der Insel‘ unterstehen, kannangenommen werden, daß sie mit den Maßnahmender Oberflächenbewohner nicht mehr einverstandenwaren. Sie müssen mächtig gewesen sein und eineakute Gefahr dargestellt haben. Ich vermute sogar,daß es sich ebenfalls um Maahks handelte. Sie warendurch ihre enorme Nachwuchsproduktion undtechnisch-wissenschaftlichen Neuentwicklungen sogefährlich und auch so ungehorsam geworden, daßdie ‚Meister der Insel‘ keinen arideren Weg mehrsahen, als die Anwendung des Potentialverdichters.Die Festung diente schon immer alsÜberwachungseinheit. Ihre Besatzung setzte sich mitden Denkern der dritten Etage in Verbindung,nachdem es sich herausgestellt hatte, daß die Festungnicht mehr allein gegen die militärische Macht derOberflächenbewohner bestehen konnte. Zweiverschiedene Gruppen von Maahks haben sichdemnach bekämpft. Die Waffe einer dritten Gruppewurde mit Erlaubnis der Herrscher von Andromedaeingesetzt. So kam es zur Verkleinerung einerdünnen Oberflächenhaut, und so kam es zurFähigkeit der Festungsbesatzung, zwischen beidenZustandsformen hin und her zu pendeln. Wir sinddurch unseren Sprung zum Horrortransmitter zufälligin diese Ereignisse einbezogen worden. Nach derBergung des Shifts und nach dem Absetzen unsererFunksprüche wurden wir plötzlich ebenfalls alsgefährlich eingestuft. Ein Kurier kam an; vielleichtein Robotschiff der ‚Meister der Insel‘. DieFestungsbesatzung erhielt den Befehl, dieStörenfriede unschädlich zu machen. Das istgeschehen. Meine Auswertung ist beendet.“ Kasomschnappte nach Luft. Unter der durchsichtigenDruckhülle seines Raumhelmes gurgelte es.

Rhodan drückte auf den Knopf seinesSchweißabsorbers. Ein Luftstrom sog dieFeuchtigkeit auf. Nun wußten wir also mit hoherWahrscheinlichkeit, was auf Horror geschehen war.Tolots Auswertung war kaum anzuzweifeln. Ich wardavon überzeugt, daß die terranischen Robotgehirnezu keinem anderen Ergebnis gekommen wären.

Ich blickte mich nochmals um. Die Atemluftreichte wirklich nur noch für dreiundzwanzigStunden Die Stromversorgung war für diesenZeitraum sichergestellt. Kasom hatteglücklicherweise noch je eine Ersatzbatterie in dieSchultergurte eingehängt.

Wie sollten wir aber im Zeitraum von nur

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dreiundzwanzig Stunden eine Strecke vonachthundert Kilometern zurücklegen? Nach dererfolgten Normalisierung der Festungsabmessungenwar die CREST irgendwo hinter unseremSichthorizont verschwunden. Die Lage war plötzlichverzweifelt geworden. Wir hätten uns nicht so weitvom Schiff entfernen sollen. Wer hatte aber ahnenkönnen, daß die Festung ein Potentialpendler war?

Dennoch gab es noch eine Lösung aber ich wolltesie nicht erwähnen Sie hätte mit dem Leben desErtrusers erkauft werden müssen.

Dann war es aber ausgerechnet Oberst MelbarKasom, der diese Lösung aussprach! Mein fähigerUSO-Spezialist hatte sich wieder gefangen.

Er sprach ruhig und gefaßt, fast mit einer stillenHeiterkeit.

„Es ist gesagt worden, was gesagt werden sollte.Sie müssen die CREST innerhalb vondreiundzwanzig Stunden erreichen. In Ordnung -Icho Tolot ist stark genug, um Lordadmiral Atlan,Großadministrator Perry Rhodan und SonderoffizierWuriu Sengu tragen zu können Sie haben zusammenein Gewicht von etwa sieben Zentnern, Raumanzügeund Waffen eingeschlossen. Ich wiege dagegen ohneSchutzkleidung sechseinhalb Zentner. Das ist auchfür einen halutischen Giganten zuviel, der seinKörpergewicht von zwei Tonnen ebenfalls bewegenmuß. Ich ...!“

„Schweigen Sie, Kasom“, forderte Perry scharf.„Ich will nichts mehr hören.“

Der 2,51 Meter große und fast ebenso breite Riesevon Ertrus blieb gelassen. Sein sandfarbenerSichelkamm glänzte unter der Druckhülle desRaumhelmes.

„Aber Sir, warum diese Umstände! Lassen Siemich nur ausreden. Sie müssen zurück! Tolot wirdSie, Atlan und Sengu noch gut tragen können.Wahrscheinlich kann er nur eineDauergeschwindigkeit von fünfzig Kilometern proStunde entwickeln. Mit diesem Tempo erreichen Siedie CREST in genau sechzehn Stunden. Das reichtfür Ihre Bedürfnisse. Ich bleibe zurück und ...!“

„Kommt nicht in Frage, Kasom“, unterbrach ichihn. „Wir müssen einen anderen Weg finden.“

„Es gibt keinen anderen, Sir. Sie haben etwasübersehen! Ich bin schließlich auch keinSchwächling, nicht wahr? Ich werde zusammen mitTolot starten und ein Tempo einschlagen, das ich füretwa sechzehn Stunden durchhalten kann. Ich werdeetwa die Hälfte der Strecke, also vierhundertKilometer überwunden haben, wenn Sie mit Tolot beider CREST ankommen. Wenn der Haluter sofort ißt,Energien speichert und sie durch seinenMetabolismus freisetzt, kann er mit Höchsttempoumkehren und mir behilflich sein. Während seinesRückweges kann ich immer noch etliche Kilometer

marschieren. Unsere Mikrofunkgeräte arbeiten. Tolotwird mich ohne weiteres anpeilen und finden können.Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich im letztenAugenblick das Schiff erreiche. Nun sagen Sie nurnicht, ich hätte die Angelegenheit nicht exaktdurchdacht! Ich habe noch eine Chance. Damitmüssen wir uns zufrieden geben. Nun...?“

Kasom war doch ein erstklassiger USO-Spezialist!Klarer hätte niemand die Situation analysierenkönnen. Außerdem wußte ich, wie unglaublich zähder Ertruser war. Er konnte mühelos Hindernisseüberspringen, die Männer wie Rhodan oder ich nur inqualvollen Seilanstiegen hätten überwinden können.

Icho Tolot rechnete erneut. Dann gaben seineWorte den Ausschlag.

„Gut durchdacht, Ertruser! Ich kann in sechzehnStunden bei der CREST sein, vielleicht schon eineStunde früher. Ich brauche anschließend eineRuhepause von dreißig Minuten. Das genügt zurAuffrischung meiner Kräfte. Sie müssen aber miteiner Leistung laufen, die Sie nach sechzehn Stundenfast zusammenbrechen läßt. Ich werde Sieanschließend tragen. Nein, fragen Sie nicht. Dasschaffe ich schon.“

„Warum nehmen Sie eigentlich keinenOLDTIMER, um Kasom abzuholen?“ warf Perryetwas spöttisch ein. „Wir haben doch einsatzklareMaschinen.“

Ich schaute ihn wie ein Weltwunder an. Natürlich -mit einem Flugzeug war es kein Problem.

Tolot winkte ab.„Glauben Sie nicht, Sir, ich hätte diesen Faktor

übersehen! Wir können hier nicht fliegen. DieStrahltriebwerke arbeiten nur in einerSauerstoffatmosphäre. Verlassen Sie sich auf mich.Kasom wird das Schiff lebend erreichen. Schließlichkann ich frische Sauerstoff-Flaschen mitbringen.“

Daran hatte nicht einmal der Ertruser gedacht; einZeichen dafür, wie erschöpft wir waren.

Es gab keine Diskussionen mehr. Jede Minute warkostbar.

Tolot kontrollierte die Aggregate seinesKampfanzuges und ließ seinen Riesenkörper auf diekurzen Sprungarme absinken. Nun glich er wiedereinem kampfbereiten Ungeheuer.

Perry, Sengu und ich kletterten auf seinen Rückenund schnallten uns auf den breiten Schultern fest.Dann rannte der Haluter los.

Nachdem wir die Maschine umgangen hatten,erblickten wir eine endlose Ebene. Weit über unsstrahlten die atomaren Energiebahnen in teuflischerGlut. Tolot wurde immer schneller. Schließlich rasteer im Achtzigkilometertempo über das von zahllosenHindernissen übersäte Gelände hinweg, das wir nureine halbe Stunde zuvor noch als relativ glatteMetallplatten angesehen hatten.

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Irgendwo vor uns stand die CREST.

6.

Ein Mann wankte durch die Wüste aus Stahl. Erstolperte über Risse im Metall, kletterte über kantigeSchweißnähte hinweg und ging um scharfsplitterigeRostporen herum, die seinen Druckanzuggefährdeten.

Oberst Melbar Kasom, Spezialist der USO, war amEnde seiner Kräfte angelangt. Als er seinenDauerlauf begonnen hatte, war ihm schonklargeworden, daß er das beabsichtigte Tempo nichtdurchhalten konnte.

Das hatte auch Icho Tolot gewußt; aber der Haluterhatte es für taktisch richtig gehalten, Rhodan undAtlan nicht darüber aufzuklären. Nur Kasom hatte dieErklärung durchschaut, jedoch hatte er im Interesseder Sache geschwiegen.

Niemand hatte bemerkt, daß sich die beidenGiganten flüsternd verständigt hatten. Kasom konntein den sechzehn Stunden, die Tolot für denRückmarsch zur CREST angeblich benötigte,niemals vierhundert Relativ-Kilometer zurücklegen!Auch Tolot würde länger unterwegs sein alsvorgesehen. Atlan und Rhodan waren nicht mehrgeistig regsam genug gewesen, um die bewußteIrreführung zu durchschauen. Tolot hatte sie jedochfür unbedingt erforderlich gehalten, weil er dieTerraner kannte. Auch Atlan war schon mehr Menschals Arkonide. Also dachte er in menschlichenBahnen.

Sie hätten sich geweigert, zusammen mit demHaluter den Marsch anzutreten, wenn sie gewußthätten, daß Kasom bereit war, sein Leben zu opfern.

Die Sache war ganz einfach:Kasoms Organismus verbrauchte wesentlich mehr

Sauerstoff als die Körper der Normalterraner. Jeschneller er sich bewegte, und je mehr er sichanstrengte, um so größer wurde der Bedarf anatembaren Gasen.

Dazu kam die enorme Hitze innerhalb der Festung.Die chemische Regenerationslage wurde davonangegriffen und ihre Aufbereitungsleistunggeschmälert. Je größer der Anteil ausgeatmeterGiftstoffe wurde, um so härter wurde das Aggregatbelastet.

Zu diesen Schwierigkeiten kam noch Kasomsbohrender Hunger hinzu. Jeder Ertruser war einextrem starker Esser. Melbar litt seit Stunden unterErnährungsschwierigkeiten. Er zehrte bereits vonseinen organischen Reserven.

Natürlich war sein Luftvorrat auf seineKörpergröße abgestimmt. Normalerweise hätte erebenfalls für weitere dreiundzwanzig StundenSauerstoff besessen. Bei größeren Anstrengungen

stieg sein Verbrauch jedoch wesentlich höher an, alses bei einem Normalmenschen unter gleichenBedingungen der Fall gewesen wäre. Kasom verfügtenicht mehr über den Vorrat, mit dem man gerechnethatte.

Das hatte Melbar Kasom gewußt, und das hatteauch der Haluter erkannt. Kasom ahnte überdies, daßIcho Tolot wenigstens achtzehn Stunden brauchenwürde, um das Schiff zu erreichen. Das Gewicht vondrei starken Männern mit voller Schutzausrüstungbedeutete für den Riesen normalerweise nicht sehrviel. Hier hatte er aber ebenfalls mit denUmwelteinflüssen zu kämpfen. EinDurchschnittstempo von fünfzig Kilometern proStunde konnte wohl kaum eingehalten werden.

Aus diesen Gründen hatte Kasom nach Ablauf vonsechzehn Stunden erst zweihundert anstattvierhundert Kilometer zurückgelegt. Trotzdem war erschon am Ende.

Sein Sauerstoffvorrat ging zur Neige, da schonsein leichter Trab ausgereicht hatte, den Bedarf desKörpers zu steigern.

Vor seinen Augen wallten rote Nebel. Die CRESTwar noch weit entfernt; für Kasom sogar unermeßlichweit. Selbst wenn der Haluter schon dort war und aufdie Rast verzichtete, konnte er mit denSauerstoff-Flaschen nicht schnell genug zurück sein,um den Ertruser zu retten.

Wahrscheinlich waren Rhodan oder Atlanmittlerweile zu dem gleichen Ergebnis gekommen.Sicherlich hatten sie bereits bemerkt, daß man siegetäuscht hatte, um sie zum sofortigen Rückmarschzu bewegen.

Kasom war nicht mehr in der Lage, die Situationfolgerichtig zu durchdenken. Er tappte noch zweiStunden lang automatenhaft weiter und bestimmteseine Richtung nach dem Standort des Bildschirms,der nun zu einem riesenhaften Gebilde gewordenwar. Er füllte den Horizont rechts von Kasomvollkommen aus.

Einzelheiten waren nicht zu erkennen. MelbarsMikroaugen waren trotz des vergrößertenBlickwinkels unfähig, den Schirm voll zu übersehen.Außerdem bot er keine besonderen Sensationen. Erwar schwarz und drohend. Aus ihm schien dietrostlose Öde des Leerraumes herauszuspringen.

Kasom ging noch einige hundert Meter weiter.Dann setzte er sich auf eine hochstehende Metallporeund ließ den Kopf sinken. Es spielte keine Rollemehr, ob er noch einige Kilometer weitertaumelteoder nicht. Der Haluter konnte nicht mehr rechtzeitigkommen.

Kasom winkte müde ab. Es war eine Geste, die ernoch nie gemacht hatte. Der ertrusischeUSO-Spezialist gab auf.

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*

Als die Umrisse der CREST am Horizontauftauchten, konnte Icho Tolot nur noch einmittelmäßiges Schritttempo einhalten. Die dreiMänner, die nach wie vor auf seinem Rücken saßen,hatten längst begriffen, daß Kasoms redegewandteErklärungen eine bewußte Täuschung gewesenwaren.

Tolot war anfänglich flott vorangekommen. Dannhatten sich Hindernisse über Hindernisse aufgetürmt.

Kleine Aggregate, die man vorher nicht beachtethatte, waren plötzlich zu langgestreckten Gebirgengeworden. Er hatte sie umgehen oder mühevollüberklettern müssen.

Jetzt, in Sichtweite der CREST, waren seit demAbmarsch fast achtzehn Stunden vergangen. Atlanund Rhodan wußten, daß man Kasom nicht mehrhelfen konnte. Er war zurückgeblieben, um seinendrei Gefährten das Leben zu erhalten.

Tolot setzte zu einem letzten Spurt an. Der Haluterwar völlig erschöpft. Sein Metabolismus verlangtedringend nach der Zufuhr neuer und energiereicherGrundstoffe, die sein Konvertermagen verarbeitenkonnte.

Tolot wagte es jedoch nicht mehr, seinenDruckhelm zu öffnen, um anorganische Materie zusich zu nehmen. Pflanzen und sogar Felsgesteinhätten ihn dazu bewegen können, eine Rast von einerStunde einzulegen.

Hier gab es aber nur Metalle, mit denen er weniganfangen konnte. Sie waren wahrscheinlich auch zuhart.

Er gab sich keinen Illusionen hin. Kasom warschon verloren gewesen, als Tolot mit den dreihumanoiden Lebewesen gestartet war. SeineMutterinstinkte quälten ihn. Auch der Ertruser warsein „Kleines“ gewesen, ein Geschöpf, das er zubeschützen hatte.

Niemand unterbrach das dumpfe Schweigen.Rhodan und Atlan sahen unentwegt nach vorn, wodie CREST immer blickfüllender aus der Ebenehervorwuchs. Dennoch war sie inmitten dernormalgroßen Hangarhalle nur ein Stäubchen.

Der Bildschirm war nun weit genug entfernt, umihn in voller Ausdehnung übersehen zu können.Atlan blickte ab und zu hinüber.

Als der Haluter nur noch wenige hundert Metervon einem Landebein der CREST II entfernt war,stieß Wuriu Sengu plötzlich einen schrillen Schreiaus.

Atlan fuhr herum. Zuerst bemerkte er nur Wuriusverzerrtes Gesicht. Dann gewahrte er dieausgestreckte Hand. Er folgte mit den Blicken derangedeuteten Richtung, und da sah er wieder den

Bildschirm.„Vorsicht“, schrie der Mutant. „Sie nehmen Fahrt

auf. Da sehen Sie doch! Sie halten auf dieHorrorsonnen zu.“

Atlan umklammerte Rhodans Arm. Tolot hieltabrupt an und drehte sich so heftig herum, daß seinemenschlichen Reiter fast herabgeschleudert wordenwären.

Auf dem soeben noch dunklen Bildschirm glühtenunvermittelt zwei Sonnen des Dreiersystems. Siewuchsen rasch an. Das bewies, daß die Festung mitenormer Fahrtbeschleunigung auf die beiden Sternezuhielt.

Ehe Tolot eine Erklärung finden konnte, erfolgteein zweites Phänomen.

Zwischen den Sonnen entstand eine orangeroteEnergiebahn. Gleichzeitig blähten sich die beidenSterne zu flammenden Gaskugeln auf. DerEnergiestrahl wurde dichter. Schließlich leuchtete erin einer Glut, die man nur zu gut kannte.

„Der Transmitter läuft an“, schrie Rhodan. „Tolot -was bedeutet das? Wir halten darauf zu. Tolot...!“

Der Haluter antwortete nicht. Mit dem letztenAufgebot seiner Titanenkräfte raste er auf dieCREST zu, lief unter der Rumpfwölbung hindurchund kletterte die noch ausgefahrene Leiter zurMannschleuse empor.

Diesmal waren keine Andruckkräfte zu spüren.Die Maahks setzten zweifellos ihre Absorber ein.Anscheinend war die Beschleunigung so hoch, daßauch sie sie nicht mehr schadlos ertragen konnten.

Die drei Männer sprangen von Tolots Rücken. DasAußenschott schwang auf. Der Haluter drückte es zu,sicherte es ab und wartete auf den Druckausgleich.Das Innenschott ließ sich erst öffnen, wenn dieletzten Spuren des Giftgases aus der Schleuseherausgepumpt worden waren.

Es dauerte lange - viel zu lange! Rhodan schlugmit den Fäusten gegen die Impulsgeber, aber dadurcharbeitete die Pumpe nicht schneller.

Niemand sah mehr, was draußen geschah. Endlichglitt das Innenschott auf. Tolot taumelte hindurch undschlug dahinter zu Boden.

Rhodan, Atlan und Sengu schlossen das Tor undöffneten endlich ihre Druckhelme. Reine, kühle Luftumfächelte ihre schweißüberströmten Gesichter.

Tolot rief sie an.„Schnell, gehen Sie in die Untersuchungskammer

und legen Sie sich auf die Konturlager. Schnell, dieFestung fliegt in den Transmitter hinein. Wir werdengleich entstofflicht. Gehen Sie doch!“

Sie rannten in den Nebenraum und legten sich aufdie Lager. Der Haluter erstarrte durch dieUmwandlung seiner Zellstruktur zu einemunempfindlichen Stahlblock.

„Transition - wozu?“ keuchte Atlan. „Hast du eine

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Erklärung?“„Keine“, entgegnete Rhodan. „Vielleicht will uns

jemand im Andromedasystem sehen und testen.Abwarten! Wir können uns ohnehin nicht wehren.Wo wird Kasom sein?“

*

Der Ertruser hatte die Vorgänge bemerkt. Auch ererkannte, daß die Festung auf den mehrere hundertKilometer starken Transportstrahl aus orangerotflammenden Energieströmen zuraste. EinTransmittersprung nach den Maßstäben der „Meisterder Insel“ stand bevor.

Kasom sah auf seine Kontrollen. Er hatte noch fürfünfzehn Minuten Atemluft. Wenn er sich nicht mehranstrengte, konnte der Vorrat für zwanzig Minutenreichen.

Er suchte sich eine flache Bodenmulde und legtesich hinein. Wenn es zu einer Transmission kam,dann war eine ungeheure Strukturerschütterung dieFolge.

‚Also werden wir wieder einmal bewußtlos‘,überlegte Kasom grimmig.

Dann dachte er daran, daß man durch diesenhyperschnellen Transport wenigstens dasHorrorsystem verlassen würde.

Die Ereignisse beschäftigten und faszinierten ihnso, daß er sowohl seine Schwäche, seinen bohrendenHunger als auch die Tatsache vergaß, daß er nachspätestens zwanzig Minuten infolgeSauerstoffmangels sterben mußte. Er sah nur noch zudem Bildschirm hinüber, auf dem die beiden Sonnenbereits zu einem glutenden Riesenball verschmolzen.

Sekundenbruchteile später spürte Melbar Kasomden Transitionsschmerz, der um so stärker wurde, jegrößer die aufgewendete Energie war.

Dieser Energieaufwand war groß!Er entsprach den Vorstellungen und dem

technischen Können von Lebewesen, für die esselbstverständlich war, Sterne zu vereinen und darauseine Transmitterstation zu bilden.

Kasoms Mikrokörper wurde entstofflicht, ehe derEntmaterialisierungsschmerz voll in sein Gehirnvorgedrungen war. Von da an fühlte er nichts mehr.

Er merkte auch nicht mehr, daß die Festungaugenblicklich wieder rematerialisierte.Hypertransporte, die naturgemäß den Gesetzen derfünften Dimension unterlagen, ließen keineZeitbestimmungen zu.

*

Ein Phänomen zeichnete sich ab. Etwas, was esseit der Benutzung der Großtransmitter vonAndromeda noch nie gegeben hatte; etwas, was jeder

terranische Wissenschaftler für unmöglich gehaltenhätte, geschah mit atemberaubender Schnelligkeit.

Melbar Kasom, der stärkste undwiderstandsfähigste Mensch unter den Männern derCREST II, erwachte früher als der halutischeÜberriese Icho Tolot!

Kasom hatte den fünfdimensionalenTransportschock so rasch überwunden, daß er sichdarauf besinnen mußte, ob er überhaupt in einenenergetischen Sonnentransmitter eingedrungen waroder nicht.

Noch glaubte er den Schmerz der Entstofflichungzu spüren. Es war ein Irrtum! Beide Symptome,nämlich die Qualen der Ent- und Rematerialisierung,überlappten sich. Es war nur eine Empfindung. DieNervenleiter seines Körpers hatten keine Zeit, zweiverschiedene Effekte hintereinander zu registrieren.

Kasom schrie, aber er schrie nicht lange. Ihm fielschon beim ersten Laut sein schwindenderSauerstoffvorrat ein. Er war auch abgehärtet genug,um die Schmerzwellen überfinden zu können.

Zur gleichen Zeit begann Icho Tolot mit derRückverwandlung seines Organismus. Er ahnte nochnicht, daß Kasom schon wach war, und er dachteüberhaupt nicht daran, daß Perry Rhodan, Atlan undWuriu Sengu bereits nur wenige Minuten nach ihmdie Augen aufschlagen würden.

Noch ehe der Haluter seine Starre verlor, hatteMelbar Kasom schon zwei Dinge getan. Bessergesagt: Er hatte eine Sache getan und die anderebemerkt.

Einmal war er aufgesprungen. Das war dieHandlung. Dann hatte er zu seiner grenzenlosenÜberraschung festgestellt, daß die CREST II nurnoch wenige hundert Meter von ihm entfernt war unddaß sie wieder einen Teil des Hangars ausfüllte.

Kasom erfaßte sofort, daß sich die Dimensionender Festung und des terranischen Schiffes wiedereinander angeglichen hatten. In welcher Form, warihm noch unklar.

Es gab zwei Möglichkeiten:Entweder war die Festung erneut ums

Tausendfache verkleinert worden, oder die Menschenund das von Menschen hergestellte Material hatte zuseiner ursprünglichen Normalgröße zurückgefunden.

Kasom schrie wieder; diesmal vor Freude undHoffnung. Seine physische Schwäche war vergessen.Sein Körper mobilisierte ungeahnte Kraftreserven.

Kasom lief im Sprintertempo los. Was warenschon einige hundert Meter für einen ertrusischenHochleistungssportler!

Er erreichte das Schiff in wenigen Augenblicken,rannte unter der Kugelwandung hindurch und sprangzehn Meter hoch an der ausgefahrenenSchleusentreppe hinauf.

Als er in der Schleuse ankam, richtete Icho Tolot

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sich soeben auf. Er hörte Kasoms Brüllen. In diesemAugenblick erstarrte der Haluter ein zweites Mal,diesmal aber vor Überraschung.

Er lauschte auf das Arbeitsgeräusch der Pumpen.Als das Grünlicht kam, riß er das Innenschott auf undstand verwirrt vor Kasom.

„Nein!“ sagte der Haluter fassungslos, „nein!“„Doch!“ schrie Kasom außer sich. „Stehen Sie

nicht herum, rechnen Sie! Ich bin sofort nach derGroßtransition erwacht. Weshalb? Hat das etwas mitdem Verkleinerungsprozeß zu tun? Haben meineKörperatome auf den Transportschock andersreagiert als sonst? Normalerweise müssen wir unsereLeute narkotisieren, damit sie den Sprung überHunderttausende von Lichtjahren hinwegeinigermaßen ertragen können. Jetzt bin ich sofortmunter geworden. Tolot - haben wir wieder unsereursprüngliche Größe erhalten, oder ist die Festungerneut kleiner geworden?“

Tolot rührte sich nicht. Sein Planhirn arbeitete mithöchster Kapazität. Ehe es jedoch ein Ergebnisliefern konnte, brachten seelenlose Maschinen denBeweis, daß ein Wunder geschehen war.

Eigentlich waren die Techniker der CREST II fürdiesen Beweis verantwortlich, denn als auf Horrornacheinander sämtliche Aggregate ausgefallenwaren, hatte man alle nur denkbaren Schaltungen aufAnlaufwerte einrasten lassen.

Das hatte zur Folge, daß nun plötzlich dieMaschinen des Superschlachtschiffes zu dröhnenbegannen. Alles, was bisher nicht mehr funktionierthatte, sprach unvermittelt mit größter Exaktheit an.

Die mächtigen Impulstriebwerke innerhalb desRingwulstes begannen zu donnern. Automatenschalteten. Zehntausende verschiedenartigeVorgänge, die alle die Gefechtsbereitschaft desSuperschiachtschiffes betrafen, liefen auf einmal ab.

In den Kraftwerkshallen rumorten dieStromreaktoren. Die Hauptpositronik gab Alarm undließ die Sirenen und Lärmpfeifen aufheulen.Mechanische Stimmen, von hundert verschiedenenSektorcomputern gesteuert, erstatteten Meldungen.

Die von Cart Rudo alarmierten Medo-Robotsschossen raketengleich aus ihrenBereitschaftsstationen hervor.

Die positronische Außenbordanalyse registriertehohe Temperaturen und giftige Gasschwaden. Alsoliefen die großen Regenerierungsstationen derKlimaanlage an.

Die Automatikküche arbeitete wieder. Roboterdrangen in die Kühlräume ein, orteten dieverdorbenen Frischwaren und brachten sie zu denaufglühenden Verbrennungskammern.

Zahllose Vorgänge, alle automatisch gesteuert,verwandelten die CREST in wenigen Augenblickenin ein kampfstarkes und raumklares Schiff, das nur

noch auf die Befehle seiner Erbauer wartete.Kasom schrie immer noch. Er hieb mit beiden

Fäusten auf den Haluter ein, der schließlich erklärte:„Beruhigen Sie sich. Ihr Verdacht hat sich

bewahrheitet: Die ‚Meister der Insel‘ haben einenentscheidenden Fehler begangen, als sie unszusammen mit der Festung einen Transmittersprungdurchführen ließen. Die physikalischen Vorgängekann ich Ihnen jetzt nicht erklären. Es ist aber sicher,daß die potentielle Verdichtung der betroffenenAtome durch den mit ungeheuren Gewaltenangeregten Vorgang der Entstofflichung und deranschließenden Wiederverstofflichung aufgehobenwurde. Durch diesen Transportvorgang auffünfdimensionaler Ebene ist der Einfluß desPotentialverdichters beseitigt worden. Bei derNeuordnung und dem schematischen Wiederaufbauunserer Körper und des Materials kam es zu einerjähen Entzerrung der Elementarteilchen. Wir sindwieder so groß wie vor der Katastrophe.“

„Die demnach keine Katastrophe mehr ist“, jubelteKasom. „Ich ...!“

„Ich bitte im Ruhe“, rief eine bekannte Stimme.Der Ertruser drehte sich um.

Lordadmiral Atlan stand im Eingang zumNebenraum und hielt sich an den Türrändern fest.Rhodan erschien hinter ihm.

„Kümmern Sie sich um das Schiff, Sie Narr“,schrie Atlan zornrot. „Oder haben Sie vergessen, daßwir uns in einem Hangar der Festung befinden?Feststellen, wo wir herausgekommen sind, was zuunternehmen ist und wie der Gesundheitszustand derBesatzung ist. Machen Sie das Schiff gefechtsklarund besetzen Sie die Waffenleitzentrale.Verschwinden Sie schon!“

Kasom rannte wortlos davon. Atlan fügte seinenWorten hinzu:

„Mr. Tolot, ich muß mich doch sehr wundern! Ihrewissenschaftlichen Überlegungen hätten wohl nochetwas Zeit gehabt, oder? Ich wäre Ihnen verbunden,wenn Sie ermitteln könnten, wie wir auf demschnellsten Wege aus der Festung entfliehen können.Ich schlage vor, die Schutzschirme aufzubauen, dieWandungen der Hangarhalle mit Thermo- oderDesintegratorkanonen unter Beschuß zu nehmen, sieaufzulösen und durch die entstandene Lücke mitvoller Schubleistung zu verschwinden. Berechnen Siedas bitte.“

Icho Tolot war zum ersten Mal in seinem langenLeben sprachlos. Dann lachte er mit einer Lautstärke,daß Rhodan und Atlan schimpfend in denUntersuchungsraum neben der Schleusezurückwichen und sich die Ohren zuhielten.

Wuriu Sengu richtete sich soeben von seinemKonturlager auf. Er schaute sich verwundert um.

Er begann zu stöhnen. Atlan sprang zu ihm.

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„Wuriu, wir sind zurückverwandelt worden. IhreSpähergabe müßte jetzt wieder funktionieren. SehenSie etwas?“

„Ja, zwei gelbe Sonnen. Wir kommen zwischenihnen hervor. Überall in der Festung liegen Maahks.Sie sind noch besinnungslos. Nur Automatenarbeiten. Unsere Leute rühren sich ebenfalls nicht.Wieso sind wir ...!“

„Kümmern Sie sich nicht darum“, forderte Perryerregt. „Anscheinend sind nur jene Männer soforterwacht, die vorher nicht von diesem eigenartigenNarkosebeschuß getroffen wurden. Diese Männersind wir! Sie sagten, sie sähen zwei gelbe Sonnen?“

„Ja, Sir. Großer Jupiter - das ist das Twinsystem!“Mehr wollte Rhodan nicht wissen. Er ahnte, daß

die Besatzung der Festung den Befehl erhalten hatte,die Auffangstation anzufliegen, von der aus dieCREST zum Horrorsystem vorgedrungen war.

Das bedeutete größte Gefahr für die terranischeFlotte, die laut Befehl im Twinsystem stationiertworden war. Sie stand unter dem Befehl vonSolarmarschall Julian Tifflor.

7.

Perry hatte mit seiner Vermutung den Nagel aufden Kopf getroffen. Es waren nur jene Männererwacht, die von der Betäubungsstrahlung derMaahks nicht getroffen worden waren.

Das waren Icho Tolot, Melbar Kasom, Rhodan,Wuriu Sengu und ich. Somit standen wir vor derAufgabe, die gewaltige CREST II mit nur fünf Mannstartklar zu machen und überdies aus der Festungauszubrechen.

Gucky und Gecko, die beiden so wichtigenTeleporter, lagen in tiefer Bewußtlosigkeit. Denanderen Besatzungsmitgliedern erging es nicht vielbesser.

Obwohl fünf Mann dem Unheil entronnen waren,konnte man deshalb noch nicht behaupten, dieMaahks oder die „Meister der Insel“ hättenleichtfertig gehandelt Es hätte mich auch sehrgewundert, wenn den Methans ein grober Fehlerunterlaufen wäre.

Sie hatten wahrscheinlich gewußt daß wir durchdie Neuordnung der Atome bei einem großenTransmittersprung unsere ursprüngliche Größezurückerhalten würden. Sie hatten es in Kaufgenommen, da sie der Meinung gewesen waren, dieMänner der CREST für lange Zeit ausgeschaltet zuhaben.

Ihr grundsätzlicher Irrtum, uns für Arkoniden zuhalten, hatte alle anderen Beschlüsse bestimmt. Daswar unser Glück gewesen.

Ich befand mich mit Rhodan in der Zentrale. DieMedo-Robots waren damit beschäftigt, die überall

umherliegenden Männer aufzuheben und sie auf dieKonturlager zu betten. Automatspritzen zischten.Unsere Robots hatten unter einer Unzahl vonmedizinischen Programmierungen herausgefunden,wo die Ursache für den Zustand der Terraner zusuchen war.

Wir konnten uns nicht darum kümmern. WuriuSengu war von Dienstleistungen befreit worden.Dafür hatte er die Aufgabe erhalten, mit seinerphantastischen Spähereigenschaft die Umgebungabzusuchen und uns ausführlich zu berichten, wiesich die Maahks verhielten.

Es hatte sich zu unserer größten Befriedigungherausgestellt, daß sie den enormen Transportschocküber eine Distanz von dreihunderttausend Lichtjahrenhinweg auch nicht schadlos überstanden hatten. Siewürden noch etwa zehn Minuten benötigen, ehe siedas Bewußtsein zurückgewannen.

Das war unsere Chance! In der CREST arbeitetensämtliche Maschine und Nebenaggregate soeinwandfrei, als wäre niemals etwas geschehen. Wirhatten nirgends eine Fehlerquelle entdecken können.

Melbar Kasom hatte die Feuerleitzentraleübernommen. Sie lag direkt unter derKommandozentrale. Die großen Bildschirme derVisiphonanlage brachten wieder gute Ergebnisse.Alles war wie vorher.

Rhodan und ich mußten unbedingt in der Zentralebleiben. Ein Raumschiff von der Größe der CRESTkonnte nur im äußersten Notfall von einem Mannalleine geflogen werden; aber dann mußte dieserMann wenigstens ein Epsaler sein, dessenReaktionsschnelligkeit von keinem Normalmenschenerreicht werden konnte.

Wenn Erdgeborene die Notsteueranlagen bedienenwollten, mußten sie wenigstens zu zweit sein.Rhodan und ich hatten alle Hände voll zu tun, um dieDaten der Zentrale-Hauptpositronik auszuwerten unddie entsprechenden Korrekturen vorzunehmen.

Die Ingenieure des Maschinenleitstandes warenausgefallen. Die Techniker derHauptkraftwerkszentrale waren ebenfallsbesinnungslos. Wenn wir aber die CRESTunbeschadet aus der Festung herausbringen wollten,so war es mit der Steuerung der Triebwerke alleinenicht getan.

Wir hatten vor einem Gewaltstart für vielerleiDinge zu sorgen. Ein Fehler, und wir waren verloren.Die Andruckabsorber mußten mit den Triebwerkensynchron geschaltet werden. Eine kontrollierteSeparatsteuerung war in unserem Falleausgeschlossen. Wir mußten uns voll und ganz aufdie Automaten verlassen, die unsere Absorber imgleichen Sekundenbruchteil hochzufahren hatten,wenn die Schubleistung der Triebwerke anwuchs.

Dieses „Hochfahren“ war wiederum von einer

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genau dosierten Energiezufuhr abhängig. DieBereitschaftsschaltung der Kraftwerke war für unsereZwecke ungenügend. Sie mußten im Augenblick desAusbruchsversuches mit voller Kapazität laufen, umdie zahlreichen Verbraucher schnell genug versorgenzu können.

Andererseits ergaben sich bei einer konstantenMaximal-Abgabeleistung Energieüberschüsse, diewir bei der Drosselschaltung von Andruckabsorbern,Abwehrschirmen, Antigravs und anderenGroßverbrauchern loswerden mußten, wenn wir dieUmformerbänke nicht in die Luft jagen wollten.

Naturgemäß waren diese Schaltungen nur mitHilfe von vielen tausend Nebenautomaten möglich.Wenn einer davon versagte, war niemand da, der denFehler rasch genug korrigieren konnte. EinSuperschlachtschiff vom Range der CREST hätteohne die Vollautomation eine Besatzung vonwenigstens fünfzigtausend Mann benötigt.

Rhodan saß im Sessel des Kommandanten. Ichhatte rechts von ihm im Sitz des ErstenKosmonautischen Offiziers Platz genommen.

Die manuelle Notsteueranlage konnte in diverseFunktionsbereiche aufgeteilt werden. Die optimaleMöglichkeit bestand in einer Zweiteilung, dieerhebliche Gefahren in sich barg. Dieses Schiff warkeine Kaulquappe, die man allein fliegen undbeherrschen konnte.

Rhodan hatte die Triebwerke undAndruckabsorber übernommen. Damit oblag ihmauch die eigentliche Steuerung, die im freien Raumnur durch die Umlenkung der Kraftfelddüsen erreichtwerden konnte.

Ich kümmerte mich um die Schaltungen desEnergie-Hauptleitstandes. Natürlich konnte ich nurmit Grobwerten arbeiten. Auch hier war dieAutomatensynchronisation lebenswichtig.

Kasom hatte sämtliche Waffentürme ausgefahren.Die schweren Desintegratorgeschütze wareneingerichtet worden. Alle anderen Waffen hatte erauf die entsprechenden Sektoren eingeschwenkt.

Mit thermisch wirksamen Strahlern konnteinnerhalb der Festung nicht gearbeitet werden. Wirhätten uns selbst vernichtet. An einen Einsatz derTransformkanonen war überhaupt nicht zu denken.Es blieben nur die Desintegratoren.

Wuriu Sengu „arbeitete“ auf seinem Fachgebiet.Er suchte die unübersehbar langen Wandungen derHalle ab, um die geeignete Ausbruchsstelle zufinden.

Augenblicke später hatte er sie entdeckt. Er riefKasom an.

Das Gesicht des Ertrusers erschien auf einemVerbindungsschirm. Melbar kaute mit vollemMunde. Während er die Geschütze feuerklar gemachthatte, hatten ihm drei Bedienungsroboter

unaufhörlich Nahrungsmittel gebracht. Dem Ertruserging es schon viel besser.

„Fertig, Ortung klar“, gab der Mutant durch. „DieSchleusenklappen liegen nicht, wie angenommen,unter der CREST, sondern auf unsererSteuerbordseite. Peilen Sie den Grünsektor an. DieSchleusentore sind so hoch wie der Hangar, also fastdrei Kilometer. Sie liegen in einer Seitenwandung derRadnabe und beginnen dicht über der unterenPolrundung. Achtung: Wenn wir durch die Öffnungausbrechen, ist auf die Waffenspeichen über uns zuachten. Die Geschütze der Festung schwenken ein.Die ersten Maahks erwachen. Maschinen laufen an.Vorsicht...!“

Alle anderen Ereignisse folgten so schnellaufeinander, daß wir kaum feststellen konnten, waseigentlich geschah.

Ungeheure Maschinen begannen zu laufen. Esmußte sich um die Kraftwerke der Festung handeln.Das Heulen und Tosen war so laut, daß wir es sogardurch die Panzerwände der CREST hörten.

Wir schlossen unsere Raumanzüge und stellten dieHelm-Sprechverbindung her. Wuriu meldete, dieFestung hätte ihren grünen Schutzschirm aufgebaut.Auch damit hatten wir gerechnet. Da es in derEigenart eines jeden Abwehrschirms lag, von derInnenseite her durchlässig zu sein, konnten wirimmer noch auf eine erfolgreiche Flucht rechnen.

Das dritte Ereignis war noch weniger willkommen.Unsere Energieorter waren durch die Maschinen derFestung hundertprozentig gestört. Massen- undEchotaster brachten ebenfalls keine Ergebnisse. Nurder Mutant konnte ungefähr feststellen, wasaußerhalb der Wandungen geschah.

„Das Twingeschwader unter Solarmarschall Tifflorgreift an“, berichtete Wuriu. „Jetzt wird es heiß!“

Und ob es heiß wurde! Ich dachte an diefünftausend schweren Kampfschiffe, die wir zumSchutz des wichtigen Twintransmitters abgestellthatten. Die Einheiten besaßen Elitebesatzungen, dienur darauf warteten, daß sich hier ein Gegner zeigte.

Nun war plötzlich eine ungeheure Stahlmasse ausder Energieballung zwischen den beiden Sonnenhervorgekommen. Es war klar, daß die vielenOrtungsstationen sofort Alarm geschlagen hatten.Jetzt war Tifflor mit seinen Verbänden im Anflug.

Rhodan trocknete sich die schweißnasse Stirn ab.Er schien sich ebenfalls vorzustellen, wie seineTerraner auf ihren Gefechtsstationen saßen undstanden.

Für die Festung gab es kein Ausweichen mehr. Siemußten dem Atomorkan aus terranischen Geschützenstandhalten oder in einer verheerenden Detonationuntergehen. Mit einem solchen Aufgebot anWachschiffen hatten die Maahks bestimmt nichtgerechnet. Vor allem ahnten sie nicht im

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entferntesten, daß sie es mit den hartnäckigsten undwohl auch fähigsten Lebewesen der Milchstraße zutun hatten; nämlich mit Terranern! Das waren keinedegenerierten Arkoniden oderArkonidenabkömmlinge. Das waren Mitglieder einesjungen, starken und unverbrauchten Volkes, das mitunglaublicher Hartnäckigkeit nach den Sternengegriffen hatte.

Sekundenbruchteile später brach in der Festung dieHölle los. Ich wurde aus meinem Sitz geschleudert.Rhodan hielt sich krampfhaft fest, bis dieautomatischen Sicherheitsgurte über seinem Körperzusammenschnappten.

Ich kletterte stöhnend und von neuen Einschlägendurchgeschüttelt in meinen Sessel zurück undschnallte mich ebenfalls fest.

Wuriu Sengu strahlte, als wäre es ein Vergnügengewesen, im Kreuzfeuer der eigenenSuperschlachtschiffe zu stehen.

„Klasse, was?“ brüllte Kasom über dieRadioverbindung. Ich nannte ihn einen Narren, undda lachte er. Diese Burschen schienen bereitsvergessen zu haben, daß sie vor einer Stunde nochkleiner als eine terranische Stubenfliege gewesenwaren.

„Wo bleibt Icho Tolot?“ rief mir Rhodan zu. SeinGesicht war angespannt und farblos. Seine Händeruhten auf den Triebwerksschaltern.

Ich wußte keine Antwort. Der Haluter hatte bereitsvor einer Viertelstunde das Schiff verlassen, um inirgendeinem versteckten Winkel der Halle eineZeitzünderbombe niederzulegen. Wir hatten unsdeshalb dazu entschlossen, weil wir uns dieunglaubliche Kampfkraft der Festung vorstellenkonnten. Unter Umständen hing das Schicksal desTwintransmitters davon ab, ob es uns gelang, dasfliegende Riesenrad zu sprengen oder nicht. Wo bliebIcho Tolot?

Sengu schaltete sämtliche Außenbordkameras ein.Die Halle erschien auf unseren Bildschirmen. DerHaluter war nirgends zu erblicken, doch dafür „sah“der Mutant, daß ein Maahkkommando mit fahrbarenNarkosestrahlern auf dem Weg zum Schleusenhangarwar.

Dreißig Sekunden später sahen wir plötzlich denHaluter. Er raste über die Bodenfläche hinweg undverschwand unter dem Rumpf der CREST. Wirwarteten, bis wir Tolots Gesicht auf einemBildschirm der Bordverständigung auftauchen sahen.Das bewies, daß er im Schiff war.

„Fangen Sie an“, dröhnte seine Stimme aus denLautsprechern. „Ich bin von Maahkrobotern geortetund aufgehalten worden. Die Gigabombe liegt ineiner Sockelvertiefung der Beladungsmaschine,hinter der wir uns einmal versteckt hatten. DieZündung erfolgt in fünfzig Minuten.“

„Kasom, Feuer frei“, schrie Rhodan in seinHelmmikrophon.

Der Ertruser handelte sofort. Wir beobachteten aufden Schirmen, wie er auf die Knöpfe drückte.

Schon nach wenigen Augenblicken erfolgte eineexplosive Dekompression. Die unter hohemÜberdruck stehende Atmosphäre der Festung hattesich durch die zerschossenen Panzerblechegewaltsam Bahn gebrochen.

Von da an verstanden wir unsere eigenen Wortenicht mehr. Ich fuhr die Kraftwerkmeiler hoch. DieÜberschußenergie wurde von den Schirmprojektorenaufgenommen. Als Folge davon bauten sich unseredreifach gestaffelten Schutzschirme schneller auf, alses uns lieb war.

Der Hangar glühte plötzlich auf. Ungeheure Kräftewurden frei.

Kasom schoß immer noch. Die Öffnung in derSchleusenwand wurde größer. Als sie schon fasteinen Kilometer durchmaß, wurde der Ertruserungeduldig. Er eröffnete das Feuer aus zweiImpulsgeschützen des Grünsektors.

Das Tosen der Kanonen war so laut, daß ichbefürchtete, die Festung müsse jetzt schonexplodieren. Unsere Bombe fiel mir ein. War Kasomverrückt geworden, solche Temperaturen zuerzeugen?

Nur einen Kilometer von uns entfernt wurdeweißflüssiger Stahl nach außen gewirbelt. Dann wardie Öffnung groß genug, um der fünfzehnhundertMeter durchmessenden CREST den Durchflug zuermöglichen.

Ich schaltete die Antigravautomaten ein. Siereagierten einwandfrei. Das Schiff wurde schwerelosund hob unter dem Rückstoß der feuerndenGeschütze langsam vom Boden ab.

Als ich nur noch zuckende Blitze unddavonfließenden Stahl bemerkte, nahm Rhodan Fahrtauf. Das Dröhnen der Triebwerke hörte niemandmehr. Ich bemerkte nur noch, daß wir mit hoherBeschleunigung auf die Schußöffnung zurasten, siedurchstießen und dabei mit unseren hochverdichtetenSchutzschirmen riesige Teile der Festungswandungenvergasten.

Dann waren wir durch. Vor uns glühte der Raumin grünem Feuer. Das war der Energieschirm derFestung, auf den zur Zeit wenigstens tausendterranische Großkampfschiffe ein beispiellosesTrommelfeuer eröffnet hatten. Aber selbst diesesAufgebot wehrte der grüne Schirm ab.

In dem Augenblick war ich sehr froh, daß Tolotauf die Idee gekommen war, in dem Hangar eineZeitzünderbombe zu verstecken.

Aus unseren Abwehrfeldern schossenkilometerlange Entladungen hervor. Wirdurchbrachen den Maahkschirm von innen, und

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plötzlich fingen unsere Bildschirme die tiefschwarzeÖde des kosmischen Leerraumes ein.Zugleich sprachen sämtliche Ortungsgeräte an.Zahllose Schiffe wurden als grüne Echopünktchensichtbar. Wir flogen durch einen Feuervorhanghindurch, absorbierten einige Treffer und rastenweiter.Die Heckbildschirme bewiesen, daß die Zerstörungenim Hangar für die Festung nur einen Mückenstichbedeutete. Wir konnten nur einen winzigen Glutfleckam Ende der riesenhaften Zellenwandungenfeststellen. Das war alles, was wir dem Gigantenzugefügt hatten.Unsere Triebwerke brüllten. Rhodan stieß mitHöchstbeschleunigung durch die vordersteAuffanglinie seiner Schiffe hindurch.„Superschiachtschiff CREST ruft Julian Tifflor,Tifflor auf Flaggschiff RASPUTIN melden. Rhodanspricht. Tifflor melden. Feuer in Ausbruchsektoreinstellen. Flaggschiff Twinsystem melden!Antworten Sie, Tifflor! Verdammt, so stellt dochendlich euer Feuer ein. Wir können die Treffer nichtmehr auffangen.“Die CREST war von mehreren Impulsstrahlengetroffen worden. Niemals zuvor hatte ich dieWirkung terranischer Geschütze so deutlich kennengelernt wie in diesen Augenblicken. Dabei hatten unshöchstens einige Schwere Kreuzer unter Beschußgenommen.Als ich schon glaubte, von den eigenen Leutenvernichtet zu werden, meldete sich ein mißtrauischerFunker des Superschiachtschiffes RASPUTIN. Daswar Tifflors Flaggschiff.„Major Waslinger spricht. Wer wollt ihr sein? SofortFahrt aufheben, beidrehen und Maschinenabschalten, oder ihr hört die fünfundneunzigsteSymphonie in Thermo-Moll.“„Darüber reden wir noch, Major Waslinger“, schrieRhodan außer sich. Ich lachte schallend. Da hatte einganz typischer Terraner gesprochen! Ein Arkonidewäre niemals auf einen solchen Vergleichgekommen.Waslinger erschien plötzlich auf den Bildschirmen

der hyperschnellen Verbindung. Zugleich mußten wirauf der RASPUTIN erkennbar werden.Waslingers Kinn klappte nach unten. Er sah rechtalbern aus. Dann wurde er blaß, und schließlichbrüllte er nur noch.Perry grinste mich an. Die Maschinen der CRESTliefen aus. Weit hinter uns, kaum noch erkennbar,glitt die Festung mit erstaunlich geringer Fahrt durchdas künstliche System des Twintransmitters.Wenig später meldete sich Solarmarschall JulianTifflor. Er glaubte uns kein Wort - was ich für sehrvernünftig hielt! - und ordnete eine Untersuchung an.Seine RASPUTIN schwenkte aus der Angriffsfrontaus. Rhodan wartete, bis ein Beiboot längsseits kam.Zehn Minuten später stürmte Tifflor in die Zentrale.Als er uns sah, schloß er die Augen und hielt sich amZentraleschott fest.Rhodan ergriff die Initiative. Er wirkte jetzt sehrmüde.„Tiff, wir sind durchaus keine Gespenster. Reden Siekeinen Ton, sondern rufen Sie sofort Ihre Schiffezurück. Die Festung wird in knapp fünf Minutenexplodieren. Wir haben eine Gigabombezurückgelassen. Erklärungen erhalten Sie später.Benutzen Sie unsere Funkstation und fordern Sie einLazarettschiff an. Wir sind fast so gut wie tot.“

*

Es war alles vorüber. Die CREST hatte eineNotbesatzung erhalten. Die Einheiten der Wachflottezogen sich fluchtartig aus dem Feuerbereich derFestung zurück.Ich kümmerte mich auch nicht mehr um dieEreignisse. Tifflor war genau der richtige Mann, umdie Sache zu einem positiven Abschluß zu bringen.Die Festung war für uns nur noch ein Alptraum;keine reale Wirklichkeit mehr.Noch zwei Minuten! Länger würde der Zeitzündernicht mehr laufen. Unsere lange Reise war zu Ende.

E N D E

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