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1 LANDESHAUPTSTADT HANNOVER Genderperspektive als Haltung Mädchenarbeit im Wandel Dokumentation der Fachtagung vom 11. April 2013 in Hannover

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LANDESHAUPTSTADT HANNOVER

Genderperspektive als HaltungMädchenarbeit im Wandel

Dokumentation der Fachtagung

vom 11. April 2013 in Hannover

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InhaltEinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Grußwort Anke Broßat-Warschun, Leiterin des Fachbereichs Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover . . . . . . . . 6

Grußwort Prof. Dr. Meike Sophia Baader, Leiterin des Fachbereichs Allgemeine Erziehungswissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim . . . . . . . . . . . . . 9

Überblick über die Vorträge . . . . . . 10 Vorträge und Präsentationen zum Nachlesen . . . . 12

Dr. Claudia Wallner: Es ist noch lange nicht vorbei! Gute Gründe für Mädchenarbeit in Zeiten vermeintlicher Gleichberechtigung . . 12

Linda Kagerbauer: Verständigung

als Politikum! Anforderungen und Herausforderungen an einen Dialog der Generationen in der feministischen Mädchenarbeit . . . . . . 20

Güler Arapi: Mädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft. . . . . . . 28

Silvia Bruinings / Astrid Bennewitz: Mädchenarbeit in der OT (offenen Tür) aktuell . . . . . . . . . . . 39

Angela Munke / Carsten Amme: Geschlechtergerechtigkeit/-diffe-renzierung in den Hilfen zur Erziehung (HzE) . . . . . . . . . . . . . . 40

Christoph Grote: Männer in der Arbeit mit Mädchen . . . . . . . . . . . 42

Volker Rohde: Neuorgansation der Kinder-/Jugendarbeit und Mädchenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . 45

Ines Pohlkamp: Queer-feministische

Reflexionen zur Mädchenarbeit zwischen Theorie und Praxis . . . . . . . 48

Dr. Ulrike Graff: Selbstbestimmung für Mädchen: Monoedukation – (kein) Schnee von gestern?! . . . . . . . . . . . . . 53

Fazit der Tagung . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Impressionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

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Einleitung Unter dem Titel „Mädchenarbeit im Wandel: Bleibt alles anders?“ wurde am 11.04.2013 im Neuen Rathaus Hannover über aktuel-le Themen und Herausforderungen in der Mädchenarbeit diskutiert. Das Referat für Frauen und Gleichstellung lud zusammen mit dem Fachbereich Jugend und Familie und in Kooperation mit der Stiftung Univer-sität Hildesheim zu Austausch und Vernet-zung ein.

Nahezu 100 engagierte Fachkräfte aus Stadt und Region Hannover, sowie dem niedersächsischen Umland nutzen die Ge-legenheit für rege fachliche Diskussionen. Anlass dafür gaben unter anderem die ak-tuellen Überlegungen zur Gründung eines MädchenJugendzentrums in Hannover.

Die Realisierung neuer Projekte wie dieses macht immer wieder deutlich: Mädchenar-beit fordert seit jeher zur Diskussion heraus. Wohlfahrtsstaatliche Sparpolitik, die ver-meintlich erreichte Gleichberechtigung der Geschlechter und aktuelle Genderdiskurse

und -politiken erfordern neue Standortbe-stimmungen und die Nutzung von Vernet-zungspotentialen.

Ziel der Fachtagung war es – aktuelle Ent-wicklungen und Impulse aufgreifend – Raum zu geben für Ideen und Diskussionen mit PraktikerInnen und ForscherInnen zu einer Neu-Verortung. Vor dem Hintergrund einer kritischen Analyse der gegenwärtigen Be-dingungen in der Kinder- und Jugendarbeit sollten nicht nur das Verhältnis und die ko-operativen Ansätze von Mädchenarbeit und Jungenarbeit reflektiert, sondern auch Mäd-chenarbeit in neuen Praxisformen weiter ge-dacht werden. Dabei sollten in Anknüpfung an und Aktualisierung von Traditionen der Mädchenarbeit aktuelle Standorte bestimmt und im Dialog der Generationen feministi-scher PraktikerInnen und ForscherInnen neue Perspektiven eröffnet werden.

Wir, die Organisatorinnen dieser Fachta-gung, freuen uns, hiermit die Dokumen-tation der Tagung vorlegen zu können und freuen uns über Ihr Interesse.

Brigitte Vollmer-Schubert Astrid Schepers Evelyn Kauffenstein Brigitte Vollmer-Schubert Astrid Schepers Evelyn Kauffenstein

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Programm 09:00 Ankunft 09:30 Grußworte Anke Broßat-Warschun | Fachbereichsleiterin Jugend und Familie der Landeshauptstadt

Hannover Prof. Dr. Meike Sophia Baader | Stiftung Universität Hildesheim, Institut für Erziehungs-

wissenschaft 10:00 Es ist noch lange nicht vorbei! Gute Gründe für Mädchenarbeit in Zeiten ver-

meintlicher Gleichberechtigung! Dr. Claudia Wallner | Referentin, Praxisforscherin und Autorin 10:45 Pause 11:00 Verständigung als Politikum! Anforderungen und Herausforderungen an einen

Dialog der Generationen in der feministischen Mädchenarbeit Linda Kagerbauer | Referentin für Mädchenpolitik und Kultur der Stadt Frankfurt/Main 11:45 Mädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft Güler Arapi | Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen 12:30 Mittagessen und Forum

Workshops 1 Mädchen in der OT-Arbeit aktuell Silvia Bruinings | Mädchenhaus Hannover e. V. Astrid Bennewitz | Kinder- und Jugendarbeit, Landeshauptstadt Hannover 2 Geschlechtergerechtigkeit in den Hilfen zur Erziehung Carsten Amme | Kommunaler Sozialdienst Angela Munke | Kita Fachberatung – Landeshauptstadt Hannover 3 Männer in der Mädchenarbeit Christoph Grote | mannigfaltig e. V., Hannover 4 Neuorganisation der Kinder-/Jugendarbeit und Mädchenarbeit Tamara Dietrich | LAG Mädchenpolitik Volker Rohde | Stadtjugendpfleger Landeshauptstadt Hannover 15:00 Kaffeepause 15:30 Queer-feministische Reflexionen zur Mädchenarbeit zwischen Theorie und

Praxis Ines Pohlkamp | Gender Institut Bremen 16:15 Selbstbestimmung für Mädchen: Monoedukation – (kein) Schnee von gestern?! Dr. Ulrike Graff | Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft 17:00 Fazit im Plenum und Ausblick Volker Rohde | Bereichsleiter Kinder- u. Jugendarbeit der Landeshauptstadt Hannover Dr. Brigitte Vollmer-Schubert | Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt

Hannover

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Herzlich willkommen beim Fachtag „Mäd-chenarbeit im Wandel“.

Ich freue mich, dass es offenbar gelungen ist, mit dieser Tagung das Interesse vieler engagierter Fachkräfte aus Stadt und Re-gion Hannover sowie dem weiteren nieder-sächsischen Umland zu treffen. Die große Resonanz resultiert sicherlich auch aus der hochkarätigen Besetzung mit ausgewiese-nen Expertinnen aus Münster, Frankfurt, Bielefeld und Bremen, die mit ihrer jewei-ligen Fachlichkeit die vielfältigen Facetten des Themas Mädchenarbeit repräsentie-ren. Zwischen den interessanten Fachvor-trägen am Vor- und Nachmittag besteht in der Workshop-Phase in der Mittagszeit Gelegenheit, sich gemeinsam mit pädagogi-schen Fachkräften aus Hannover den unter-schiedlichen Praxisfeldern zu widmen: Vom Thema „Mädchenarbeit in der Offenen Tür Arbeit aktuell“ bis zur „Neuorganisation der Kinder- und Jugendarbeit“ reicht die Palette der angebotenen Workshops.

In Hannover organisieren wir seit einiger Zeit die Kinder- und Jugendarbeit neu. Da-für sind in drei Erprobungsgebieten (Lin-den-Limmer, Südstadt-Bult, Herrenhausen-Stöcken) umfangreiche Sozialraumanalysen erstellt worden, um ein differenziertes Bild zur Lage der Kinder und Jugendlichen zu erhalten und entsprechende Maßnahmen und Aktivitäten der Kinder- und Jugendar-beit darauf abstimmen zu können. Eines der wesentlichen Ergebnisse – und das wird Sie

Grußwort Anke Broßat-Warschun, Leiterin des Fachbereichs Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover

kaum überraschen – lautet, dass Mädchen im Bereich der Offenen Jugendarbeit an vielen Stellen unterrepräsentiert sind. Sie nutzen Jugendzentrumsangebote in der Regel sehr gezielt in dem sie beispielswei-se im Rahmen von Kooperationsangeboten mit Schulen präsent sind oder geschlechts-spezifische Angebote wie Mädchengruppen, Mädchenschwimmen oder Angebote der Mädchenarbeitskreises wie „Girls on Stage“ nutzen. Im Rahmen der Offenen-Tür-Arbeit in Jugendzentren tauchen sie nach wie vor nur selten auf, obwohl an verschiedenen Stellen Anstrengungen unternommen wur-den und werden, den Anteil der Mädchen in der Arbeit zu erhöhen.

Korrespondierend dazu ist festzustellen, dass die Zahl der weiblichen, in der offenen Jugendarbeit tätigen Sozialpädagoginnen ebenfalls äußerst gering ist, sodass sich insgesamt der Eindruck aufdrängt, dass Of-fene Jugendarbeit ein männlich dominierter Bereich ist, der für Mädchen und weibliche Jugendliche wenig attraktiv ist.

Es ist zu beobachten, dass lediglich dort, wo pädagogische Fachkräfte die unter-schiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse von männlichen und weiblichen Kindern und Jugendlichen wahrnehmen, reflektie-ren und daraus geschlechtsspezifische An-sätze von Mädchen- und Jungenarbeit als selbstverständlichen Bestandteil der Arbeit entwickeln, die Einrichtungen teilweise über ein nahezu ausgeglichenes Geschlechter-

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verhältnis unter den Besucherinnen und Besuchern verfügen.

An dieser Stelle wird deutlich, dass sich hin-ter der Problematik auch eine Haltungs- und Bewusstseinsfrage der jeweiligen Pädago-ginnen und Pädagogen verbirgt. Sind sich die pädagogischen Fachkräfte der Tatsa-che bewusst, dass ihr eigenes Geschlecht Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit hat?

Nehmen sie ihre Zielgruppe als höchst unterschiedliche männliche und weibliche Individuen wahr? Oder wird unter Gender Mainstreaming fälschlicherweise verstan-den, dass alle gleich zu behandeln sind, egal ob Junge oder Mädchen, männliche oder weibliche Jugendliche.

In der Praxis müsste die Umsetzung der Standards konsequenterweise dazu führen, dass Jungen und Mädchen sowie männli-che und weibliche Jugendliche etwa jeweils zu gleichen Anteilen in den Einrichtungen präsent wären. Die Realität ist – wie eben ausgeführt – jedoch eine andere.

In der überwiegenden Zahl der Einrichtun-gen – insbesondere in den Jugendzentren – dominieren Jungen, männliche Jugendli-che und männliche Pädagogen.

Um die Teilhabe von Mädchen und jungen Frauen an den außerschulischen Bildungs-angeboten der offenen Kinder- und Jugend-arbeit zu verbessern, hat sich der Bereich Kinder- und Jugendarbeit der Landeshaupt-stadt Hannover dazu entschlossen, ein gan-zes Haus ausschließlich der Arbeit mit Mäd-chen und jungen Frauen zu widmen.

Analog zu den guten Erfahrungen im „Ju-gendSportZentrum“, soll eine vorhandene Einrichtung mit einem neuen Profil verse-hen werden. In einem künftigen „Mädchen-zentrum“ sollen Aktivitäten und Maßnah-men der offenen Kinder- und Jugendarbeit, niedrigschwellige Beratungsangebote und Veranstaltungen für diese Zielgruppe in ei-nem Haus gebündelt werden.

Dies soll als deutliches Signal zur Stärkung geschlechtsspezifischer pädagogischer Ar-beit zu verstehen sein und gleichzeitig Im-pulse für die Arbeit in anderen Einrichtun-gen der Kinder- und Jugendarbeit geben.

Bei der Konzeption und Realisierung kann der Bereich Kinder- und Jugendarbeit in der Landeshauptstadt Hannover erfreulicher-weise auf ein kompetentes Netzwerk von pädagogischen Fachkräften zurückgreifen. Die Idee wurde in den Fach-AGs stadtweite Koordinierung und Geschlechterdifferenzie-rung nach § 78 SGB VIII, im Mädchenar-beitskreis sowie in den Gremien der städti-schen Kinder- und Jugendarbeit vorgestellt und überwiegend ausdrücklich begrüßt.

Der Verein Mädchenhaus Hannover e. V. hat sich bereit erklärt, als Kooperationspartne-rin an der Realisierung mitzuwirken. Erste Schritte zur Erarbeitung einer Konzeption sind getan, allerdings sind noch räumliche und finanzielle Fragen zu klären.

Allein die Ankündigung dieses Projektvor-habens „Mädchenzentrum“ hat viele teils unterschiedliche Reaktionen auch außer-halb der Fachöffentlichkeit hervorgerufen: beginnend mit der Frage, warum es denn kein Gender-Jugendzentrum gäbe über die

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grundsätzliche Infragestellung der Notwen-digkeit eines Mädchenzentrums überhaupt bis hin zu der sicherlich berechtigten Frage, was denn mit der allgemeinen Jugendarbeit – also mit den männlichen Jugendlichen ge-schähe, wenn ein bestehendes Jugendzen-trum in ein Mädchenzentrum umgewandelt werden soll.

Kurzum: wir befinden uns in Hannover mit-tendrin in einer Debatte um geschlechtsbe-zogene Arbeit, um das Verhältnis von Mäd-chen- und Jungenarbeit und die Qualität der Arbeit insgesamt.

Deshalb freut es mich besonders, dass wir heute die Gelegenheit haben, fachlichen Beistand von ausgewiesenen Expertinnen der Thematik zu bekommen.

Der Fachtag „Mädchenarbeit im Wandel – bleibt alles anders?“ soll die aktuellen Entwicklungen und Impulse aufgreifen und Raum geben für Ideen und Diskussi-onen mit Frauen und Männern aus Praxis und Forschung. Vor dem Hintergrund einer kritischen Würdigung der gegenwärtigen Bedingungen von Kinder- und Jugendarbeit sollen nicht nur das Verhältnis und die koo-perativen Ansätze von Mädchenarbeit und Jungenarbeit reflektiert sondern Mädchen-arbeit in neuen Praxisformen auch weiter-gedacht werden.

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Grußwort Prof. Dr. Meike Sophia Baader, Leiterin des Fachbereichs Allgemeine Erziehungswissenschaft der Stif tung Universität Hildesheim

Ich begrüße Sie ganz herzlich im Namen des Institutes für Erziehungswissenschaft der Universität Hildesheim. Ich freue mich, dass diese Tagung als Kooperationsveranstaltung zwischen der Landeshauptstadt Hannover und der Universität Hildesheim stattfindet. „Mädchenarbeit im Wandel: Bleibt alles an-ders?“ – es erwartet Sie ein sehr spannen-des Tagungsprogramm. Vielen Dank auch von unserer Seite an die Organisatorinnen Evelyn Kauffenstein, Astrid Schepers und Brigitte Vollmer-Schubert. Mädchenarbeit ist ein wichtiges Thema.

Die erste pädagogische Bedeutung besteht darin, die Bedeutung und die Wichtigkeit des Themas zu verteidigen in einer Zeit, in der uns gerne eingeredet wird, dass die Kategorie ‚Gender’ überholt sei. Dass dies passiert, können wir auch tagtäglich in der Gleichstellungspolitik an den Universitäten beobachten. Dies spiegelt sich jedoch zu-teilen auch in der Lehre, das heißt, es wird uns auch von Studierenden hinsichtlich der Genderthematik immer wieder entgegen-gebracht, dass Frauen und Mädchen heute doch alle Möglichkeiten und Freiheiten hät-ten. Der Titel des ersten Vortrages, „Es ist noch lange nicht vorbei“, bezieht hier auch eine klare Position.

Die zweite Herausforderung besteht darin, die Mädchenarbeit zeitgemäß zu gestalten, was sich etwa in den Themen „Mädchen-arbeit in der Migrationsgesellschaft“ und in den queer-feministischen Reflexionen spiegelt.

Und die Dritte scheint aus meiner Perspek-tive darin zu liegen, Mädchenarbeit in einer Zeit zu gestalten, in der eine medial insze-nierte und sehr präsente Mädchenkultur zum zentralen Element eines neoliberalen Geschlechterregimes geworden ist. Dass wir es mit einer Populärkultur zu tun haben, die Mädchenhaftigkeit zum Ideal erhebt, hat Angela McRobbie in ihrem Buch „Top Girls“ sehr illustrativ und anhand vieler Beispiele aus der Populärkultur ausgeleuchtet. Viel-leicht ist in diesem Zusammenhang auch der Dialog der Generationen gefragt, den Linda Kagerbauer einfordert, ein Aspekt, der mir ganz wichtig scheint, wenn wir über fe-ministische Positionen heute nachdenken.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Tagung und hoffe, dass das, was hier vorgetragen und diskutiert wird, irgendwann auch noch nachzulesen ist.

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Praxisforscherin, Autorin und Referentin Dr. Claudia Wallner veranschaulichte in ih-rem Impulsreferat „Es ist noch lange nicht vorbei! Gute Gründe für Mädchenarbeit in Zeiten vermeintlicher Gleichberechtigung“ sehr eindringlich, dass heute in der konsu-morientierten Populärkultur zum Teil schon im Kleinkindalter Mädchen durch Kleidung und Haltung als „Sexualobjekt“ stilisiert werden. Anstatt neuer Mädchenbilder wer-den jugendliche Mädchen heute vielmehr mit alten Mädchenbildern und zusätzlich mit alten Jungenbildern konfrontiert. Diese Fülle an Anforderungen und die steigenden zum Teil sehr widersprüchlichen Ansprüche führen letztendlich zu einer Überforderung. Mit einem kritischen Blick auf den Alpha-Mädchendiskurs, in dem Mädchen als die heutigen Bildungsgewinnerinnen, denen al-len Wege offen stünden, dargestellt werden, machte sie die Notwendigkeit für Räume zur Entlastung von Anforderungen und zur Vervielfältigung von Mädchenbildern und -kulturen deutlich. Wichtig in diesem Zu-sammenhang ist es zudem sozioökono-misch benachteiligte Mädchen bewusst wieder in den Blick zu nehmen, die Inter-sektionalitätsperspektive praktisch zu kon-kretisieren und auch in Hinblick auf den genderkritischen Diskurs Mädchenräume für Menschen mit nicht eindeutigen Ge-schlechtszugehörigkeiten zu öffnen. Daran anknüpfend betonte Linda Kagerbau-er, Referentin für Mädchenpolitik und -kul-tur der Stadt Frankfurt am Main, in ihrem Beitrag „Anforderungen und Herausforde-rungen an einen Dialog der Generationen in der feministischen Mädchenarbeit“, dass

Problemlagen häufig individualisiert werden und strukturelle Ursachen verdeckt bleiben. Ihr Vortrag richtete den Fokus verstärkt auf die Verständigungsprozesse und die dafür notwendigen Räume der Fachkräfte. Dabei geht es um die Erfahrungen der älteren Generation und deren Aktualisierung im offenen Dialog mit den jungen Mädchenar-beiterinnen. Während in der Gründungspha-se Mädchenarbeiterinnen aus politischen Bewegungen heraus begannen sozialpäd-agogische Praxis zu etablieren, kommt die junge Generation erst über Praxiserfah-rungen zum Nachdenken über politische Zusammenhänge und Standorte. Gerade junge Fachkräfte benötigen daher Möglich-keitsräume zur Entwicklung eines politisch-professionellen Selbstverständnisses. Diese Räume sind nicht nur knapp, sondern zuneh-mend bedroht durch die neoliberalisierten Entwicklungen in der sozialen Arbeit, in der marktförmige Leistungsansprüche und der Konkurrenzgedanke Einzug halten. Deshalb gilt es umso mehr Räume der Diskussion, der politischen Suchbewegungen und Ver-ständigungsprozesse zu öffnen. Güler Arapi, Lehrkraft für besondere Auf-gaben an der Fachhochschule Bielefeld und Mitarbeiterin des Bielefelder Mädchentreffs beschrieb in ihrem Vortrag „Mädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft“ die Perspek-tive der Migrationspädagogik und bezog sie auf die Prämisse des geschützten Raumes. Im Fokus steht in ihrer Perspektive die Dif-ferenzlinie Migration und die darin enthal-tene machtvolle Unterscheidung von „wir“ und „die Anderen“. Diese liegt alltäglichen Rassismen verschiedenster Ausprägungen

Überblick über die Vorträge

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zugrunde, die die Komplexität von Migra-tionsbiographien auf Herkunftsidentitäten verengen, welche wiederum als Grundlage gesellschaftlicher Positionierungen und Res-sourcenverteilungen fungieren. Rassismus bedeutet jede diskriminierende Unterschei-dung aufgrund körperlicher Merkmale, (zuge-schriebener) ethnisch-kultureller Merkmale oder bestimmter religiöser Zugehörigkeiten und wird unter anderem in alltäglichen sozia-len sowie pädagogischen Praxen normalisiert und reproduziert. Einen Ansatzpunkt für die Veränderung der Verhältnisse, in denen der „weiße Blick“ dominiert, sieht Arapi in der Etablierung von Räumen für Empowerment von und für People of Color. Migrations- pädagogische Mädchenarbeit beinhaltet die Reflexion von möglicherweise Ausschluss produzierende Strukturen, außerdem die Analyse von Praxen daraufhin, ob und wie sie machtvolle Unterscheidungen generieren und eine migrationssensible und rassismus-kritische Mädchenpolitik in Form von Leitli-nien und Evaluationen. Die Analyse von Strukturen und Praxen nimmt auch Ines Pohlkamp, Mitbegründe-rin des Gender Instituts Bremen mit ihrem Vortrag „Queer-feministische Reflexionen von Mädchenarbeit zwischen Theorie und Praxis“ in den Blick. Der Begriff Queer lenkt die Aufmerksamkeit auf die mit dem femi-nistischen Denken verwobenen Kategorien von Sex, Gender und Begehren und plädiert für eine grundsätzliche Hinterfragung von angenommener Natürlichkeit sowohl ge-schlechtlicher als auch sexueller Orientie-rung und den darauf basierenden Identi-tätspolitiken. In der Mädchenarbeit muss es aus queer-feministischer Perspektive um eine Heteronormativitätskritik gehen. Diese

bezieht sich auf die Kritik an der Norm des heterosexuellen Begehrens und Lebens-weisen, sowie auf dessen Grundlage – die vermeintlich eindeutige Geschlechtszuge-hörigkeit. Queer-feministische Mädchenar-beit bedeutet in diesem Sinne auch mehr Raum für geschlechtliche Non-Konformität. Die queer-feministische Perspektive kann als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen der Mädchenarbeit einfließen, angefangen von den eigenen und in der Einrichtung etablierten sprachlichen Selbstverständ-lichkeiten, über das Nachdenken über Kon-zepte, Methoden und Material bis hin zur Ausgestaltung und bewussten Öffnung von Räumen mit dem Ziel der Gewalt- und Dis-kriminierungsfreiheit für alle. Als Abschluss griff Dr. Ulrike Graff, Mitbe-gründerin des Bielefelder Mädchentreffs und Mitarbeiterin der Universität Bielefeld in ihrem Vortrag „Monoedukative Mäd-chenarbeit. (K)ein Schnee von gestern?“ die Frage der Aktualität monoedukativer Ansätze in der Mädchenarbeit auf. Ausge-hend von der Feststellung, dass Pädagogik heute selbstverständlich gleichgesetzt wird mit Koedukation, zeigte sie auf, dass Koe-dukation erziehungsgeschichtlich ein sehr junges Phänomen ist. Lange Zeit war Mo-noedukation ein Standard, dem besondere Bildungspotentiale zugesprochen wurden. Heute muss es um die Bestimmung eines neuen Verhältnisses von Ko- und Monoedu-kation gehen, um die in den jeweiligen Modi enthaltenen Bildungspotentiale zu entfalten. Das klare Plädoyer für die reflektierte Erhal-tung und Wiederbelebung monoedukativer Ansätze wurde im Abschluss eindrücklich mit Beispielen aus der Arbeit im Bielefelder Mädchentreff untermauert.

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Eigentlich hat es schon immer gute Grün-de für Mädchenarbeit gegeben und es wird noch lange gute Gründe geben. Die Frage, ob wir Mädchenarbeit brauchen, stellt sich für mich nicht. Die zu stellende Frage ist meines Erachtens eine andere – und zwar die Frage nach den aktuellen Anforderun-gen an die heutige Mädchenarbeit. Dafür möchte ich zunächst noch einmal an den Anfang zurück gehen und fragen, was hat uns eigentlich in den siebziger Jahren ange-trieben, die feministische Mädchenarbeit zu entwickeln? Um dann zweitens den Blick auf heute zu lenken und zu fragen, wo stehen wir jetzt? Wo stehen die Mädchen heute – die kleinen und die großen Mädchen? Und welche Anforderungen lassen sich daraus für die Mädchenarbeit ableiten?

Feministische Mädchenarbeit in den siebziger Jahren Die ersten Grundsätze feministischer Mäd-chenarbeit sind Anfang der siebziger Jah-re unter anderem in Berlin, Frankfurt und Darmstadt entwickelt worden. Die ersten Thesen und die Grundsätze, die uns heute immer noch tragen wurden 1978 auf einem feministischen Kongress in Köln vorge-stellt. Damals gab es gute Gründe für die Entstehung feministischer Mädchenarbeit. Das Verständnis von Gleichberechtigung ist zwar seit 1949 im Grundgesetz mit Art. 3 Abs. 2 mit dem Wortlaut: „Männer

Vorträge und Präsentationen zum Nachlesen Dr. Claudia WallnerEs ist noch lange nicht vorbei! Gute Gründe für Mädchenarbeit in Zeiten vermeintlicher Gleichberechtigung.

und Frauen sind gleichberechtigt“, veran-kert. Aber die Vorstellung davon, was denn Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen bedeutet, war bis weit in die siebzi-ger Jahre eine von sehr großer Ungleichheit. Gleichberechtigung bedeutete, wenn jeder und jede an seinem und an ihrem Platz ist. Zur Veranschaulichung noch ein paar kurze Hinweise zum Familienrecht. In dem Mo-ment, wo Frauen in den siebziger Jahren – genauer bis 1976 – geheiratet haben, gaben sie mit der Eheschließung alle ihre Rechte ab. Sowohl in Bezug auf den Körper, weil im Familiengesetz stand, dass sie ih-rem Ehemann sexuell zur Verfügung stehen müssen, als auch in Bezug auf ihr Geld, weil im Familiengesetz festgelegt war, dass der Besitz der Frau mit der Eheschließung an den Mann übergeht. Und auch hinsichtlich der Erwerbstätigkeit – Männern war nach dem Familiengesetz erlaubt, über die Er-werbstätigkeit ihrer Frauen zu bestimmen. Das heißt, Männer konnten die Arbeitsver-träge ihrer Frauen kündigen, wenn sie das wollten, beziehungsweise ihnen das nicht passte. Frauen waren gesetzlich zur Haus-arbeit und zur Kindererziehung verpflichtet. Im Grunde kann man von einer totalen Ent-rechtung von Frauen sprechen und zwar auf dem Boden vermeintlicher Gleichberechti-gung durch das Grundgesetz. Die Situation der Entrechtung von Mädchen und Frauen erstreckte sich von der individuellen Ebe-ne über die gesellschaftliche Ebene bis hin

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in Angebote der Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendhilfe. Sehr anschaulich wird dies an der Situation von Mädchen in der geschlossenen Unterbringung in den sieb-ziger Jahren. HWG, häufig wechselnder Geschlechtsverkehr, war eine Begründungs-logik, um Mädchen oftmals über Jahre in geschlossenen Heimen unterzubringen. Ul-rike Meinhoff hat mit ihrem Buch und Film „Bambule“ die Situation in geschlossenen Heimen nachrecherchiert und öffentlich ge-macht. Sie hat unter anderem Akten ana-lysiert und aufgezeigt, welche Indizien für HWG zugrunde gelegt wurden und fand Be-gründungen wie: „Spricht mit Ausländern“, „Treibt sich auf der Straße rum“ oder „Trägt kurze Röcke”. Das war eine der Situationen in den erzieherischen Hilfen. Die Motivati-on der Frauen, feministische Mädchenar-beit als geschlechtshomogenes Angebot zu entwickeln, war die Analyse, dass im Pat-riachat Frauen von Männern unterdrückt werden, dass im Patriachat das Männliche das Weibliche dominiert und dass Jungen und Männer stellvertretend für patriarchale Verhältnisse Mädchen und Frauen unterdrü-cken. Daraus entstand die Idee, dass wir als Frauen Mädchen nur dann stärken können, wenn wir eigene Räume und Strukturen schaffen. Das heißt, wir fußten mit der fe-ministischen Mädchenarbeit auf eine klare Täter-Opfer-Analyse patriarchaler Verhält-nisse mit der Konsequenz: keine Männer und keine Jungs in der Mädchenarbeit in Kontakt mit diesem pädagogischen Ansatz. Die Grundsätze, die sich aus dieser Analyse entwickelt haben, tragen uns heute auch noch: Parteilichkeit, Geschlechtshomoge-nität, Ganzheitlichkeit, eigene Räume für Mädchen, die Pädagogin als Vorbild für Mädchen, Partizipation und Mädchenpolitik.

Das hört sich heute so gängig an. Heute sind viele von diesen Grundsätzen auch in ande-ren Konzepten von Kinder- und Jugendhilfe als wesentliche und wertvolle Grundsätze zu finden. Als diese aber in den siebziger Jahren in der feministischen Mädchen-arbeit entwickelt worden sind, waren das schon eher Revolutionen. Wenngleich das Verständnis, dass Pädagogik auch politisch ist, zwar auch in einzelnen anderen Berei-chen der Jugendarbeit vertreten war, war es jedoch nicht im Kern der damaligen Kin-der- und Jugendarbeit beziehungsweise Ju-gendhilfe integriert. Ein ganzheitlicher Blick etwa war in den siebziger Jahren noch nicht grundlegend verankert. In Anbetracht des-sen sind die damals entwickelten Grundsät-ze der Mädchenarbeit im Kontext der dama-ligen Jugendhilfe als neu und revolutionär einzuschätzen.

Feministische Mädchenarbeit in Zeiten des Alphamädchendiskurses„Heute ist alles in Ordnung.“ Der mediale Diskurs ist seit geraumer Zeit geprägt von der Rede über die Alphamädchen und die armen Jungs. Diese wie kaum bei einem anderen Thema vorzufindende Einstimmig-keit von der ZEIT bis zur BILD lässt einen absichtsvollen Diskurs vermuten. Dieser einvernehmliche Gleichklang und die darin transportierten Botschaften sind hochwirk-sam und kommen auch bei den Mädchen an. Die Botschaft, dass es keinen Unterschied mehr macht und keine Ungerechtigkeiten mit sich bringe, ob ich ein Junge oder ein Mädchen bin. Was ja nicht schlecht ist, wenn es denn so wäre. Aber ein näherer Blick in die Lebenslagen von Mädchen zeigt: es ist nicht so.

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Alltägliche Sexualisierung bereits im Kleinkindalter Zunächst möchte ich auf die öffentlichen Bilder und die damit einhergehenden Bot-schaften, mit denen Mädchen in unserer Ge-sellschaft aufwachsen, genauer eingehen. Die Bilder, die immer auch Vorstellungen darüber transportieren, was ein Mädchen ist, was eine Frau ist und was wichtig ist am Mädchen und Frau sein. Aufgrund der Entwicklungen in den letzten zehn Jahren, erscheint es mir wichtig, nochmals in ju-gendliche Mädchen / junge Erwachsene und kleine Mädchen einzuteilen. Bei den kleinen Mädchen ist eine Rückführung in die Welten der fünfziger Jahre zu verzeichnen. Im Bereich von Spielzeug und Kleidung hat nicht nur die Pinkisierung à la Lillifee und jede Menge Glitzer zugenommen, sondern insbesondere auch die Sexualisierung. Es beginnt damit, dass in jedem Kaufhaus in der Kinderabteilung auf den ersten Blick die Jungen- und die Mädchenabteilung farblich unterscheidbar ist. Rot, rosa, gelb, weiß auf der einen und grün, braun und blau auf der anderen Seite. Die gesamte Spielzeugindus-trie spielt seit einigen Jahren verrückt, weil sie verstanden haben, dass durch die Ein-teilung der Welt in zwei Geschlechter alles doppelt verkauft werden kann. Und selbst viele Dinge, die über viele Jahre und Jahr-zehnte eigentlich geschlechtsneutral waren und allen Kindern Spaß gemacht haben, sind heute in zwei Welten geteilt. Ein bekann-ter Steckbausteinhersteller hat im Sommer 2012 eine neue Serie für Mädchen auf den Markt gebracht. In diesem Bausteinsystem im Stil einer amerikanischen Kleinstadt sind das erste Mal in der Geschichte des Her-stellers die Figuren schmaler als alle ande-ren, weil in dieser Welt nur Mädchen sind.

Diese Welt besteht aus einem Nagelstudio, einem Friseursalon, einem Café und einer Reitkoppel mit Pferd. Auch wenn wir unter Vermeidung von Dramatisierung in der Ana-lyse so sachlich wie möglich bleiben – die Entwicklung in der Bekleidungsindustrie und den pink-glitzernden Erprobungsräu-men mit Laufstegen zeigt in eine Richtung, in der es nicht mehr lange dauern wird, bis es Schönheitswettbewerbe für kleine Mäd-chen nach amerikanischen Vorbild auch in Deutschland geben wird. Das ist sexuelle und körperliche Gewalt schon an den ganz Kleinen. Mit diesen neuen Anforderungen an und Gestaltungen von Mädchensein geht ein Stück Kindheit verloren. Dass Fünfjähri-ge sich damit beschäftigen, ob ihre Haare sitzen oder ob das Kleidchen sitzt oder dass sie Hosen tragen müssen, die so eng sind und so tief geschnitten sind, dass immer hinten die Windel rausrutscht, sodass sie nicht ordentlich spielen können – das ist kein altersadäquates Verhalten. Die Aufgabe von kleinen Kindern ist, die Welt zu entde-cken und zu spielen und nicht, sich um sich selber zu drehen. Diese Rückführung auf ein Sexualobjekt, die Reduzierung der Mädchen auf ihre Körper, beginnt also heute schon in einem sehr viel jüngeren Lebensalter. Und es hält immer mehr Einzug in unser aller Alltag. Im Sommer 2012 wurde eine Zehn-jährige mit High Heels fotografiert und in einer sehr bekannten französischen Mode-zeitschrift abgedruckt. Junge Mädchen in Kleidung und Posen, die man eigentlich bis-her in pädophilen Kreisen vermutet hätte, werden allmählich zum selbstverständlichen Bestandteil der Alltagswelt. Mädchen lernen über diese Bilder und das ihnen präsentierte Angebot ein sehr einseitiges Mädchensein, dass von Selbstbezug bestimmt ist. Das

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Wichtigste ist es, anderen zu gefallen. Und gerade, weil es mittlerweile bereits bei den sehr kleinen Mädchen beginnt, ist es meines Erachtens erforderlich, dass wir die Arbeit in den Kitas intensivieren. Wir müssen viel mehr mit den kleinen Mädchen arbeiten und uns auch gegen die Sexualisierung von klei-nen Mädchen wehren. Vielfältige und widersprüchliche Anforderungen an jugendliche Mädchen Bei den jugendlichen Mädchen sind die Mäd-chenbilder vielfältiger. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass sie natürlich auch profitieren von dem, was wir in der Mäd-chenarbeit in den letzten dreißig Jahren erarbeitet haben, nämlich die Aufweichung der Mädchenbilder jugendlicher Mädchen. Das war unsere Zielgruppe, mit der wir ge-arbeitet haben. Das Bild jugendlicher Mäd-chen besteht heute aus einem Konglomerat aus auf der einen Seite immer noch Barbie und sexy. Aber auch cool, durchsetzungs-fähig und natürlich schlau und gebildet. Zuschreibungen an jugendliche Mädchen sind heute erfreulicherweise viel breiter gefächert als in den siebziger und achtziger Jahren. Das Schwierige daran ist, dass es zu viele sind und das sie in sich widersprüchlich sind. Mädchen wachsen auf mit einem un-glaublichen Wust von Erwartungen an sie, was sie alles abzuleisten haben und wie sie zu sein haben. Die in dem bunten Strauß an Erwartungen enthaltenen Widersprüche machen es zudem auch noch grundsätzlich unmöglich, all das zu sein und zu leben. Wie ist es dazu gekommen? Eine Ursache ist meines Erachtens darin zu sehen, dass die Emanzipationsgeschichte in unserem

Land eine Geschichte war, wo Frauen für sich Bereiche erobert haben und damit auch Zuschreibungen und Verhaltensweisen ero-bert haben, die bis dato eher den Männern zugeschrieben wurden. Das Eigene wurde aber beibehalten. Emanzipationspolitik war keine Austauschpolitik sondern Frauenpo-litik, in der Frauen auf die vorhandenen Zuschreibungen die männlichen Bereiche aufgesattelt haben. Damit haben wir es tat-sächlich nicht mit neuen Mädchenbildern zu tun, sondern mit einem Zusammenschluss alter Mädchenbilder mit alten Jungenbil-dern. Diese beiden Bereiche schieben sich übereinander und erscheinen dann als neue Mädchenbilder. Die Aufgabenbereiche wer-den nicht weniger und spätestens an diesem Punkt muss es einen Schnitt geben. Dies kann nur einhergehen mit Umverteilung zwischen Männern und Frauen und damit auch um ein neues Gesellschafts- und Ar-beitsverständnis. Die Form der Politik, in der es um eine Emanzipation im Sinne von Erweiterung von Tätigkeitsräumen geht, ist sehr deutlich an ihren Grenzen. Dies halte ich auch für ein zentrales Thema von Mäd-chenarbeit heute: Wo schaffen wir Räume, in denen Mädchen mal wieder ein bisschen runter kommen können? Wo sie feststellen oder fühlen können, dass sie gut sind, wenn sie nicht alle eierlegende Wollmilchsäue sind?

Das Thema Sexualisierung von Alltag er-leben wir auch bei jugendlichen Mädchen. Ganz viel von der Mode für jugendliche Mäd-chen ist eigentlich entlehnt aus der Prosti-tutionsmode von vor 20 Jahren. Die High Heels werden immer extremer und immer höher, Overknees sind Alltagskleidung und in diesem Jahr werden Wollstrumpfhosen

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gänzlich ohne Kleid oder Rock getragen. Die Verbreitung dieser Mädchenbilder ist so weit vorangeschritten, dass selbst die euro-päische Kommission in einem Werbefilm, in dem Mädchen für naturwissenschaftli-che Berufe begeistert werden sollen, junge Frauen in sexy Kleidung und auf High Heels im Chemielabor Lippenstifte herstellen lässt. Begründet wurde das von der Euro-päischen Kommission damit, die Mädchen da abzuholen, wo sie stehen, also an ihren Lebenswelten anzusetzen. Doch keiner fragt, wer sie dahingestellt hat und warum sie da stehen, wo sie stehen. Problematisch ist, dass den Mädchen diese sexualisierten Vorstellungen heutzutage als Emanzipation verkauft werden und Mädchen heute auch tatsächlich sagen, dass sie die Modellierung und Inszenierung ihrer Körper als Teil ihrer Emanzipation verstehen: „Ich mache meine Brüste nicht für meinen Freund, ich mache die für mich selber. Alles für mich selber. Ich habe verstanden, dass ich nicht sagen darf, dass ich es für meinen Freund mache, dann bin ich nicht modern und nicht eman-zipiert.“ Maria Bitzan hat dieses Phänomen schon vor 15 Jahren als Verdeckungszusam-menhang bezeichnet. Darin ist für Mädchen kaum noch zu erkennen, wo die Übergrif-figkeiten beginnen. Sie werden kaum noch spürbar, weil sie unter anderen Vorzeichen verkauft werden.

Eine weiteres Phänomen unter diesem ganzen einseitigen Alphamädchendiskurs, in dem alle schön, hip, erfolgreich und wun-derbar sind, ist das Problem, dass wir ganz viele Mädchen überhaupt nicht mehr im Blick haben. Sozioökonomisch benachtei-ligte Mädchen, Mädchen mit Behinderung, Mädchen, die von Vernachlässigung oder von Gewalt betroffen sind, die mit vielen

Problemen in ihren Familien aufwachsen oder die Bildungsschwierigkeiten haben. All diese Mädchen sind unter diesen einseitigen Sprechgesang von Alpha völlig unsichtbar und auch darauf müssen wir in der Mäd-chenarbeit wieder stärker ein Augenmerk werfen.

Was kann und muss also Mädchenarbeit heute anbieten? Erstens ist es vor diesem Hintergrund in Be-zug auf Mädchen wichtig, Entlastung zu er-möglichen. Entlastung ist ein wesentliches Thema für diese Generation von Mädchen, die überbelastet sind von diesen vielen und widersprüchlichen Anforderungen. Damit einhergehen Angebote zur Orientierung: Wann bin ich richtig? Wann bin ich gut? Was muss ich tun? Was muss ich nicht tun? Wo sind meine Grenzen? Wie kann ich sie set-zen und verteidigen? In diesem Zusammen-hang geht es auch um Werte – gerade in Bezug auf die Sexualisierung von Mädchen. Wer bin ich? Was ist wichtig im Leben und was ist wichtig in meinem Leben? In dieser Hinsicht ist es außerdem von besonderer Wichtigkeit, dass Mädchen Bedeutsamkeit erfahren – alle Mädchen und besonders die, die wenig Bedeutsamkeit erfahren. Bedeut-samkeit, die sich nicht immer nur einseitig über Körper und Schönheit realisiert, son-dern darüber, wer sie sind. Zweitens brauchen wir in der Mädchenar-beit ganz dringend eine Re-Politisierung. Mit dem Einzug in das Feld der Jugendhilfe sind gesellschaftspolitische Verluste ein-hergegangen. Ich glaube, dass wir an die politische Motiviertheit der Anfänge an-knüpfen müssen. Dass wir diese Kraft, die wir da in der Mädchenarbeit hatten, wieder-

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gewinnen müssen. Mädchenarbeit ist und bleibt auch Mädchenpolitik. Dass wir uns in der Rückbesinnung auf diesen Grundsatz wieder stärker an öffentlichen Diskursen über Benachteiligung, Sexismus, Ausgren-zung von sozioökonomisch benachteiligten Mädchen und Schutz der Mädchen vor öf-fentlichen Zuschreibungen beteiligen. Die Auseinandersetzung mit verschiedensten Zuschreibungen zu wagen, die medial kom-muniziert werden. Beispielsweise das Bild der Migrantin, in dem sie für alles, was in der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht erreicht ist, herhalten muss. Oder die Bilder der Unterschichtsmädchen, die im Fernse-hen permanent vorgeführt werden in diesen Scripted-Reality-Filmen, über die angeblich dramatischen Anstiege von Jugendschwan-gerschaften in der Unterschicht. Das sind alles Zuschreibungen, die jeglichen Wahr-heitsgehalt entbehren. Das ist reine Politik. Es gibt keinen Anstieg von jugendlichen Schwangerschaften. Seit dreißig Jahren ist die Rate konstant. Da passiert eine massive Abwertung und Ausgrenzung von Mädchen aus einer bestimmten Schicht, die nicht so sind, wie sie sein sollen und wie die öffent-lichen Vorstellungen von Alphamädchen es gerne hätten. Es muss uns darum gehen, das Thema Gewalt jeglicher Art gegen Mädchen öffentlich zu machen. Durch alle Themen zieht sich die Logik individueller Zuschreibung struktureller Benachteiligun-gen – diese Logik auch wieder mitzuden-ken, mit zu kommunizieren und öffentlich zu machen, das ist meines Erachtens nicht nur in der Mädchenpolitik wichtig, sondern auch in der konkreten Arbeit mit Mädchen. Dabei überhaupt mal wieder für die Mäd-chen Blickrichtungen aufzumachen, wo sie sehen, wo sind eigentlich meine eigenen

Spielräume und meine eigenen Handlungs-räume und wo begegne ich strukturellen Barrieren, an denen ich erst mal gar nichts ändern kann. Die permanente Botschaft „Du bist deines Glückes Schmiedin, wenn du es nicht schaffst, hast du persönlich versagt!“ – zu entlarven. In den achtziger Jahren sind wir sehr bewusst in der feministischen Mädchenarbeit davon weggegangen, Mäd-chenarbeit nur für benachteiligte Mädchen zu öffnen. Sie soll für alle Mädchen da sein und das ist auch richtig. Heute sind wir mei-nes Erachtens in einer Zeit, wo es wichtig wäre, wieder einen Fokus auf benachteiligte Mädchen zu setzen, um denen einfach auch Ort und Stimme zu geben. Mädchenarbeit bewegt sich meines Erach-tens immer zwischen Dramatisierung und Entdramatisierung. Wir dramatisieren die Geschlechtszugehörigkeit, weil sich Mäd-chen als Mädchen definieren müssen, um teilnehmen zu können an der Mädchenar-beit. Wenn dann die Mädchen unter sich sind, dann können wir auch Geschlechterzu-schreibungen entdramatisieren, damit Mäd-chen Raum haben, um sich anzuschauen, was für Mädchen sie sind und wie sie sein wollen. Trotzdem erfordert Gleichberechti-gung mehr als Mädchenarbeit. Wir brauchen auch Geschlechtergerechte Koedukation und Crosswork, um der Gleichberechtigung von Mädchen näher zu kommen. In diesem Zusammenhang kommt viertens auch das Thema Intersektionalität in den Blick. Geschlecht ist nur ein sozialer Platz-anweiser neben anderen. Wir werden in der Mädchenarbeit stärker daran arbeiten müssen, vielfältige soziale Platzanweiser miteinander zu verbinden, um zu verste-

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hen, unter welchen Bedingungen Mädchen in welchen Lebenslagen sich bewegen. Vom Prinzip her haben wir das verstanden. In der Arbeit mit Migrantinnen haben wir da auch ein gutes Stück des Weges schon beschrit-ten, aber auch da sind wir noch sehr in den Anfängen. Es ist noch viel Arbeit notwendig, viele unterschiedliche soziale Dimensionen ineinander zu arbeiten. In dieser Hinsicht ist ein ganz spannendes, relativ neues Thema die Frage, wer darf eigentlich bei der ge-schlechtshomogenen Mädchenarbeit mit-machen? Und damit die Frage, wann ist ein Mädchen ein Mädchen? Bislang war unser Zugang im Grunde die Biologie, wer biolo-gisch ein Mädchen ist, darf an der Mädchen-arbeit teilnehmen. Inzwischen wissen wir, dass niemand so genau weiß, wie biologisch wir nun männlich oder weiblich sind, ob wir es überhaupt sind. Und wir wissen inzwi-schen auch, dass es viele Menschen gibt, die entweder was gender oder was sex an-geht, sich zwischen den Polen männlich und weiblich bewegen. Es wurde in letzter Zeit viel über die Frage, wie ein Mädchen zu de-finieren ist, diskutiert. Momentan bin ich auf dem Standpunkt, dass alle, die sich dieser Gruppe zugehörig fühlen, in der Mädchen-arbeit willkommen sind. Das biologische Geschlecht als Zugehörigkeitskriterium ist meines Erachtens abzulehnen, weil damit Ausgrenzungen auf der Grundlage vermeint-lich biologischer Annahmen einhergehen, die eigentlich nicht haltbar sind, da sie im Grunde kulturelle Setzungen sind.

Mädchenarbeit als Teil einer Gesamtstrategie Zum Schluss, möchte ich noch auf die Frage eingehen, warum meines Erachtens Mäd-

chenarbeit alleine nicht ausreicht. Ein Zu-gang zur Beantwortung dieser Frage ergibt sich aus den zu verwerfenden biologischen Annahmen über geschlechtliche Zugehö-rigkeit. Manche Jugendliche können oder wollen sich nicht biologisch oder sozial zuordnen. Der geschlechtlich unsortierte Zugang ist der Vorteil der Koedukation. Prinzipiell kann jeder oder jede hinkommen, ohne sich outen oder erklären zu müssen, welchem Geschlecht sie oder er oder wer auch immer angehört. Der zweite Zugang zur Beantwortung liegt darin, dass das weite Feld der alltäglichen Begegnung unbestellt ist. Im breiten Feld der koedukativen Arbeit und damit im großen Alltag der Kinder- und Jugendhilfe brauchen wir neben der ge-schlechtshomogenen Mädchenarbeit auch mädchen- und jungengerechte Ansätze von Koedukation. Das heißt, wir müssen diese Ansätze von Mädchen- und Jungenarbeit, Crosswork und geschlechtergerechter Ko-edukation ineinander denken und mitein-ander verbinden. Das heißt aber nicht, dass es nicht einzelne Träger geben darf, die nur Mädchenarbeit oder nur Jungenarbeit oder nur Koedukation anbieten oder dass jeder einzelne Träger alles leisten soll. Es muss vielmehr um das Gesamtkonzept einer Kom-mune oder eines Bundeslandes gehen, in der sich idealerweise geschlechtshomogene Ar-beit und Koedukation zusammenfügen.

Die besondere Aufgabe der Mädchenarbeit heute besteht dann in erster Linie darin themen- und gruppenspezifische Angebote für Mädchen zu machen. Sie ist aber auch, die mädchen-parteiliche Ausgestaltung des Alltags von Jugendhilfe weiterzuentwickeln und Mädchenarbeit als Demokratiearbeit zu verstehen. In Bezug auf die Weiterentwick-

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lung und Positionierung von Mädchenarbeit ist es wichtig, dass wir die Dinge wieder so benennen müssen, wie sie sind und uns da-bei vom Alphamädchendiskurs nicht beir-ren lassen, und uns eben nicht fragen, ob es überhaupt noch Sinn macht, dass wir hier was mit Mädchen machen. Ja, es macht Sinn. Es gibt bereits viele relativ neue Or-ganisationen und Aktionen, die da schon in den Widerstand gegangen sind, an denen man sich beteiligen kann. Bertolt Brecht hat gesagt und damit will ich schließen, “Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.”

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Linda Kagerbauer Verständigung als Politikum! Anforderungen und Herausforderungen an einen Dialog der Generationen in der feministischen Mädchenarbeit

„Denn im gesellschaftlichen/politischen Rahmen machen wir die Erfahrung, als Unterschiedliche gegeneinander ausgespielt zu werden. Es gibt gesellschaftlich kaum Gelegenheit für positive Erfahrungen unserer realen Differenz.“

(TIFS 2000: 66)

• Generationenkonflikt als Ausdruck fehlender Verständigungsräu-me: Projektionsfläche, an der sich neoliberale Entpolitisierungs-/Individualisierungsstategien verdeutlichen• verdeutlicht an der Frage, um politische Selbstverständnisse („unpolitische Junge und verbitterte Alte“)

• Auseinandersetzung mit dieser Differenzkategorie als widerstän-diges Potential• Raum, an dem sich individuelle Praxen in kollektive Handlungs-strategien übersetzen und das kritische, intersektionale, feminis-tische Moment von Mädchenarbeit verhandelbar wird

Verständigung als PolitikumAnforderungen und Herausforderungenan einen Dialog der Generationen

Linda Kagerbauerwww.linda-kagerbauer.de

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„Feminismus wird verstanden als (...) ein Diskurs- und Politikfeld, in dem es um die Bearbeitung der wechselseitigen Verschränkungen von Herrschaft und Geschlecht, um die Kritik an und die Überwin-dung von herrschaftlich geformten Geschlechter-verhältnissen und geschlechtlich fundierten Herr-schaftsverhältnissen geht.“

(Kurz-Scherf/Lepperhoff/Scheele 2009: 291)

Gedächtnisorte

• Offenes Archiv gesellschaftlicher Konflikte mit gespei-cherten Antworten und gesellschaftlichen Erfahrun-gen

• Räume gesellschaftlicher Erfahrungen, die dem „(...) mehr oder weniger unbestimmten Unbehagen in der Gesellschaft“ (vgl. Kessl/Maurer 2009: 96) einen Ort zur Artikulation ermöglichen

• Bedeutung dieser Räume wird vor allem vor dem Hin-tergrund einer Entwicklung, die politische Räume im-mer prekärer werden lässt, unersetzlich

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Entstehungsgeschichten

• Feministische Mädchenarbeit formuliert in ihrer Entstehung vor allem Kritik an der von Geschlechterhierarchien geprägten Sozia-len Arbeit bzw. im Besonderen an der Jugendhilfe

• Mädchenprojekt in den Anfangsjahren als Erscheinungs-/Aus-drucksform praktisch gewordener Patriachatskritik

• Kritischer Marker einer sexistischen Jugendhilfe und Ausgangs-punkt feministischer Politik und Pädagogik

• Parteilichkeit

• Politischer, persönlicher Zugang • „Politik in der ersten Person“

Mädchenarbeit als politischer AuftragPolitik in der 1. Person

EtablierungInstitutionalisierung

Abkopplung Politik – Person und Praxis

Institutionalisiertes PolitikverständnisMädchenarbeit als pädagogischer Auftrag

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Institutionalisiertes Politikverständnis

• Reduzierung von Alltagsträumen, in denen eigenes Erleben, Wi-dersprüche thematisierbar sind: „Ungleichheitstabu“

• Professionalisierung verändert Auftrag für junge Kolleg_innen

• Nutzen etablierte Strukturen, müssen diese aber nicht mehr schaffen

• Arbeitnehmer_innenstruktur

• Politische Auseinandersetzungen sind strukturell organisiert, hierarchisiert oder ins Private delegiert

• Einzelkämpfer_innen

Neoliberalismus – Aktivierender Sozialstaat

Die Delegation sozialstaatlicher Verantwortung auf indi-viduelle Bewältigungsleistung als Individualisierung und damit „(...) Aktivierung persönlicher Verantwortung für die eigenen sozialen Verhältnisse – die Entlastung einer staatlichen Verantwortlichkeit durch Verdeckung von Verursachungszusammenhängen“.

(Bitzan 2000: 341)

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Strukturelle Widersprüche

• Mädchen und junge Frauen werden somit zum Symbol der Trans-formation des Sozial- und Bildungssystems

• Als „Bildungsgewinnerinnen“ erweisen sie sich als Erfolg verspre-chende Objekte von Bildungsinvestitionen, als „Alphamädchen“ symbolisieren sie das Ende der Notwendigkeit des „alten Femi-nismus und/oder Mädchenarbeit

Verdeckungszusammenhang

„Normalität als Integration in die moderne Welt verlangt, von sich als Geschlechtswesen abzusehen, Bestätigungen da zu suchen, wo das angeblch Allgemeine verortet ist (...). Sie bedeutet, von eige-nen Erfahrungen abzusehen, sich an äußeren Bildern zu orientieren und darin „Verortung“ zu suchen. Frauen und Mädchen lernen, sich nicht auf sich selbst, auf ihre Wahrnehmungen zu verlassen. Der Selbstbezug ist prekär. Damit ist auch die Bezugnahme auf andere Frauen oder Mädchen unsicher.“

(Bitzan 1997: 78)

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„Verständigung ist damit ein Politikum, eine „Kommunikationsbrücke“, die immer beides be-deutet: sich selbst verständlich zu machen (was eine genaue Wahrnehmung und Anerkennung des eigenen Standorts erfordert) und die anderen zu verstehen, sie anzuerkennen, was wiederum die genaue Wahrnehmung wie auch die Wertschät-zung beinhaltet.“

(Tübinger Institut für frauenpolitische Sozialforschung e.V. (Hg.) 2000: 20)

„Wir* besetzen Räume!“

• Raum & Zeit für Dialoge und Beziehungen institutionalisieren • Widerständige, entschleunigende und solidarische Praxis• Generationsverhältnis als gesellschaftliches Konfliktverhältnis • Entpersonalisierung & Politisierung• Generationenkonflikte als systemische Spaltung und

Desartikulation von Feminismus• Kultur der Vernetzung reaktivieren und vor Ort

institutionalisieren • „Politik der Artikulation (McRobbie) • Selbstbezug entpräkarisieren • Eigene Widersprüche

thematisieren und politisieren

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VERSTÄNDIGUNG ALS POLITIKUM

• Anerkennungs-/Verständigungskultur ausbauen• Mitgestaltungs- und Partizipationsräume schaffen• „Intern Wertekataloge“ sowie Diskussionen um

Definitionsmacht ermöglichen • Entmonopolisierung• Dialoge zwischen unterschiedlichen Erfahrungen,

Zugängen und Verständnissen von Mädchenarbeit und Feminismus initiieren

• Generation als eine mögliche Wirkungs-/ Differenzkategorie

• Aufklärung und Übersetzung • Reaktivierung „Gedächtnissorte“• Beziehungsklärung als transparenter Umgang mit

Erwartungen, Rollen und Hierarchien und Zugängen • Entpersonalisierung von Konflikten • Reflexion der eigenen „Verstrickungen“

„Nicht das Thema Feminismus frustriert die jungen Frauen, sondern die Leute, die ihnen sagen, es gibt nur einen rich-tigen Feminismus“

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DAS PRIVATE IST POLITISCH!“

• Widersprüche als Motor/Auftrag feministischer Mädchenarbeit

• „Politik über uns“ (Lormes)• Mädchenpolitik als Knotenpunkt zwischen politi-

schen Regulierungsverhältnissen und pädagogi-scher Praxis

• Konfliktorientierung• Widersprüche als Brücke und Verständigung • Schlüssel zur integrativen Verständigung sowie Repoli-

tisierung feministischer Mädchenarbeit • Kollektive Handlungsstrategien: „strategisches Wir“

(Spivak)

„Mit Widersprüchen für neue

Wirklichkeiten“

(Busche/Meikowski/Pohlkamp et al. 2010)

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Güler ArapiMädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft

Fokus ...

Perspektive der Migrationspädagogik

(Mecheril et al. 2010)

& die Relevanz für die Prämisse des „geschützten Raums“

Mädchenarbiet in der Migrationsgesellschaft

Dipl.-Päd. Güler ArapiHannover, 11.04.2013

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Migrationspädagogik ...• Migrationsgesellschaft

• Ungleichverhältnisse anhand der Differenzlinie Migration

• Theamtisierung und Problematisierung von symbolischen Grenzen der Zugehörigkeit

• Machtvolle Unterscheidung auf der Grundlage imaginärer Grenze in WIR/Nicht-Wir

• Rolle pädagogischer Praxen in diesem Prozess

• Die Reproduktion, Erzeugung, Aufrechterhaltung, Verschiebung dieser Ordnungen in institutionellen Kontexten

P. Mecheril et al. (2010)

Mehrfachzugehörigkeiten in Migrationsgesellschaften

„Ein Beispiel: mein Kind. (...). Geboren in Buenos Aires / Argentinien vor zwölf Jahren. Großeltern väterlicherseits: ein argentinischer Großvater italienischer Abstammung, der dubiose sizilianische Flüche beherrschte und Pasta liebte; eine afroargentinische Großmutter mit chilenischem Vater, dessen Wurzeln unbekannt bleiben, da er ein Findelkind war. Groß-eltern mütterlicherseits: ein indischer Großvater, Einwanderer der ersten Generation in Deutschland, als Deutschland noch Arbeitskräfte anwarb; eine deutsche Großmutter, die perfekte indische Gerichte kochen kann und deren Mutter wiederum aus London stammte (...).Was soll ich meiner Tochter über ihre Identität sagen? Sie sei indo-anglo-deutsch-afro-italoargentinisch? Macht das Sinn?“

(Mysorekar 2007, S. 161f)

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Lebensweltorientierung ...

• unter Migrationsbedingungen: Migrationsgeschichten & -bedingungen heterogen und komplex

• Kulturalisierung: „Einengung auf (Herkunfts-)Kultur – unangemessen

• Mehrfachzugehörigkeiten, Mehrfachdiskriminierung und Widerschaftsstrategien

Sichtbarkeit in den Räumen

Machtvolle Einteilung in „Wir und die Anderen“

Zuschreibungsprozesse

Aus: Mecheril, P. (2007): „Normalität des Rassismus“ http://www.ida-nrw.de/html Tagungsdoku_Alltagsrassismus.pdf

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Herstellung von Zugehörigkeitsordnungen

„Woher kommst Du?“ist eine Frage, die People of Color aufgrund von Zuschrei-bungen des äußeren Erscheinungsbildes, des Namens, des Akzents etc. „outside the nation“ platziert und damit die Zugehörigkeit zu dem Kontext vor Ort in Frage stellt.

G. Kilomba 2008

Machtvolle Einteilung in „Wir und die Anderen“

• prägt die Perspektive auf Gesellschaft

• markiert gesellschaftliche Positionierungen und regelt Zugänge zu gesellschaftlichen Ressourcen

• ist „normal“ & alltäglich

• basiert auf Fantasien und Imaginationen

• bezieht sich auf eine rassistische Logik

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Definition Rassismus

Einteilung der Menschen in Gruppen (nach „körperlichen“ Merkmalen, Religionszugehörigkeit, ethno-natio-kultureller Herkunft

+ Zuschreibung von Bedeutungen

+ Abwertung

+ Definitionsmacht

• Diese Bedeutungen beziehen sich auf die Ideologie des biologischen Rassismus. (Stuart Hall)

• Paradox: Rassismus ohne Rassen (Etienne Balibar)

• Körperliche Merkmale als Bedeutungsträger / rassistisches Klassifikationssystem (Robert Miles)

• Bedeutung & Macht regelt Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen & Teilhabe: Dominanzgesellschaft „Ausschließungspraxen“ (Birgit Rommelspacher)

• Herstellung in sozialen Praxen (Robert Miles / Stuart Hall)

• Kulturalismus/Kultur-Rassismus (A. Kalpaka / N. Räthzel)

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„Die Logik des Rassismus konstruiert Unterschiede und übt Gewalt

gegen das Konstruierte aus.

Körper und Identität sind konstruierter Ausgangspunkt und faktische Zielscheibe des Rassismus.“

(Paul Mecheril 2004)

Rassismuserfahrungen

• grobe Rassismuserfahrungen

• subtile Rassismuserfahrungen

• antizipierte Rassismuserfahrungen(Philomena Essed 1991)

(Paul Mecheril 1997) (Grada Kilomba 2008)

• verinnerlichter Rassismus(Nivediata Prasad 2006)

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unterschiedliche Positionierungen und Perpektiven brauchen unterschiedliche Räume ...

Empowermen(t)räume „von und für PoC“

• Selbstermächtigung und Befreiung vom „weißen Blick“

• Thematisieren von Rassismuserfahrungen in der Verstrickung mit anderen Verletzungslinien und verinnerlichtem Rassismus

• Entwickeln von Strategien gegen Rassismus & Durchbrechen Täter-Opfer-Dualismus

• Sensibilisierungs- und Bewusstwerdungsprozesse

• Thematisieren von Widerstand von Mädchen & Frauen of Color

• Raum für Utopien

„Diese Empowerment-Räume bilden in unseren Augen sowohl wichtige Zentren der Begegnung, des Erfahrungs- und Wissensaustausches und der gegenseitigen Stärkung gegen Diskriminierung und Rassismus von und für PoC, als auch Keimzellen für eine solidarische und gleichberechtigte Gesellschaft.“

(Ygit und Can 2006)

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„Selbstbestimmung kehrt herrschende Verhältnisse radikal um!“

(Ha et al. 2007, S. 12)

migrationspädagogische Mädchenarbeit bedeutet ...

1. Reflexion eigener Strukturen/Institutionen im Hinblick auf die Reproduktion & Aufrechterhaltung von Machtstrukturen, die Ausschlüsse produzieren

beispielsweise Stellenpolitik: Trankulturelle Teams, Quotierung, Netzwerke, Sprache, Angebote, Methoden, rassismuskritische Mädchenpolitik etc.

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bedeutet ...

2. Analyse & Beschreibung der eigenen Praxen im Hinblick auf das „WIR“ & „NICHT-WIR“ & Nachdenken „über Möglichkeiten der Verflüssigung und Versetzung dieser Ordnungsschemata und Praxen“

(Mecheril et al. 2010)

Beispielsweise Perspektive & Wahrnehmung der Pädagogin, Empowerment /Critical Whitness, klare Positionierung, Selbstreflexion, Sensibilisierung – Bewusstsein – Stär-kung bezüglich der Verstricktheit in (rassistische) Dominanzstrukturen, Powersharing / Transkulturelle Teams. Auch: Begrifflichkeiten, wie wird über Rassismus und Ungleichheit gesprochen, (rassismussensible) Supervision, Sichtbarkeit von Of-Color-Perspektiven und Widerstandsformen etc.

bedeutet ...

3. Entwicklung & Verankerung migrationssensibler & rassismuskritischer Leitlinien, die Evaluierung & die kontinuierliche Reflexion, Überarbeitung (mit Hilfe von Professionellen)

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Mädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft als

Antidiskriminierungsarbeit verstehen

Vielen Dank für das interessierte Zuhören!

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MECHERIL, PAUL ET AL. (2010): Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim/Basel: Beltz Verlag

OGUNTOYE, KATHARINA / OPITZ, MAY & SCHULTZ, DAGMAR (HG.) (1986): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Ge-schichte. Berlin: Orlando Frauenverlag

PRASAD, NIVEDITA (1994): Verinnerlichter Ko-lonialismus. In: UREMOVIC, OLGA & OERTER, GUNDULA (HG.): Frauen zwischen Grenzen. Rassismus und Nationalismus in der fe-ministischen Diskussion. Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag. S. 161-166

RÄTHZEL, NORA (HG.) (2000): Theorien über Rassismus. Hamburg

TERKESSIDIS, MARK (2004): Die Banalität des Rassismus. Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive. Biele-feld: transcript-Verlag

WIEDENROTH-COULIBALY, ELEONORE (2006): em-POWERment heißt erMACHTigung. In: LÜCK, SABINE & ARAPI, GÜLER: Dokumenta-tion „Tagung – Transkulturelle Teams. Ein Qualitätsstandard in der Sozialen Ar-beit?!“. Bielefeld. S. 10-15

WIEDENROTH-COULIBALY, ELEONORE (2007): Zwanzig Jahre Schwarzer Widerstand in bewegten Räumen. Was sich im Kleinen abspielt und aus dem Verborgenen er-wächst. In: HA, KIEN NGHI / LAURA AL-SA-MARAI, NICOLA & MYSOREKAR, SHEILA (HG.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kul-turpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster: Unrast-Verlag. S. 9-21

Yigit, Nuran & Can, Halil (2006): Politische Bildungs- und Empowerment-Arbeit ge-gen Rassismus in People-of-color-Räu-men – das Beispiel der Projektinitiative HAKRA. In: Elverich, Gabi / Kalpaka, An-nita & Reindlmeier, Karin (Hg.): Spurensi-cherung – Reflexion von Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft. Frankfurt a.M./London. S. 167-194

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Silvia Bruinings / Astrid BennewitzMädchenarbeit in der OT (offenen Tür) aktuell

Der Workshop bestand aus drei Teilen:

1. Fotos und Materialansicht der Arbeit des Mädchenarbeitskreises (MAK) HannoverDer MAK besteht seit 1987, vertreten sind Fachfrauen der städtischen und freien Kin-der- und Jugendeinrichtungen und des Mäd-chenhauses KOMM – Kompetenzzentrum Mädchen e. V. Hannover. Die Mitarbeite-rinnen arbeiten zu aktuellen und mädchen-relevanten Themen, Entwicklungen und Strömungen. Der MAK fördert Mädchen in der Vielfalt ihrer persönlichen Lebenswel-ten, bringt Mädchenarbeit und -angebote in die Öffentlichkeit. Jährlich wiederkehrende Angebote, wie zum Beispiel „Fit, Stark und Bewegend“ – ein Sport- und Erlebnisange-bot, Schwimmkurs, Fotojagd, Girls on Stage – eine offene Bühne für Mädchen und neue Angebote sind orientiert an den Wünschen der Mädchen.

2. Fragebogenaktion der UnterAG Mädchen (Fach AG Geschlechterdiffe-renzierte Arbeit nach § 78 KJHG)

3. Praxistest für MädchenDas Mädchenhaus KOMM bietet einmal im Jahr bei einer Ausbildungsbörse an einer Hannoverschen Schule in Zusammenarbeit mit dem deutschen Ingenieurinnenverbund einen Praxistest für Mädchen an. Dieser Praxistest soll Mädchen an Naturwissen-schaften und Technik heranführen. Er bie-tet ihnen die Möglichkeit ihre handwerk-

lich-technischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, jede Menge Erfolgserlebnisse zu haben und viel Spaß an Technik zu entde-cken. Verschiedene Elemente dieses Tests konnten die TeilnehmerInnen des Work-shops selbst ausprobieren. Sie konnten dabei auch erfahren, welche Auswirkungen positive und negative verbale Botschaften von Umstehenden haben können (wie es Mädchen häufig erfahren).

Silvia BruiningsMädchenhaus KOMM –

Kompetenzzentrum Mädchen e. V. Hannover

Astrid BennewitzBereich Kinder- und Jugendarbeit

Landeshauptstadt Hannover

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Angela Munke / Carsten AmmeGeschlechtergerechtigkeit/-dif ferenzierung in den Hilfen zur Erziehung (HzE)

Im Workshop wurde das Gender-Projekt vorgestellt und diskutiert, das im Kommu-nalen Sozialdienst (KSD) des Fachbereiches Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover durchgeführt wurde. In der Dis-kussion ging es u.a. um die Übertragbarkeit auf andere Kommunen.

Auswertung des Gender-ProjektesQualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kommunalen Sozialdienst (KSD) Die Qualifizierung wurde von 2008 bis 2012 durchgeführt. Sie bestand aus zwei aufein-ander aufbauenden Teilen.

Der halbtägige Grundlagenteil wurde KSD-intern durch die Fachberatung geleistet. Die Grundlagenschulung des Zentralbereichs und der Leitungsebenen (Sachgebiets- und Dienststellenleitungen) wurde gemeinsam mit der Fachplanung durchgeführt.

Der eintägige Aufbau- und Vertiefungsteil wurde extern vergeben – und durch eine Referentin des „Mädchenhauses“ und ei-nen Referenten von „mannigfaltig“ durch-geführt.

Es wurden alle MitarbeiterInnen des KSD (bis Anfang 2013) entsprechend qualifiziert. Die Qualifizierung wurde anhand eines indi-viduellen Bewertungsbogens ausgewertet. Das Thema „Genderkompetenz im KSD“ wurde 2013/14 in das Einarbeitungskon-

zept für alle neuen MitarbeiterInnen im KSD übernommen.

In den Auswertungsergebnissen wird deut-lich, dass die Entscheidung zur Durchfüh-rung einer (verpflichtenden) Qualifizierung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kommunalen Sozialdienst (KSD) zur Ge-schlechtergerechtigkeit/-differenzierung in den Hilfen zur Erziehung (HzE) als we-sentlichen Arbeitsschwerpunkt folgerich-tig war. Es wurde dadurch „in die Fläche“ qualifiziert.

Im Anschluss daran wurde im Rahmen einer Arbeitsgruppe daran gearbeitet, in Teilbe-reichen der Organisation „in die Tiefe“ zu gehen, um im Sinne der Nachhaltigkeit eine Sicherung der Qualifizierungsinhalte und deren Ergebnisse über die Qualifizierung hinaus zu erreichen.

In der Qualifizierung selbst und in den Bewertungs- und Evaluationsbögen wird deutlich dass auf einer individuellen Ebene und auf Teamebene eine Reflexion eigener Einstel-lungen und Geschlechterbilder, eine persönliche Sensibilisierung bezie-hungsweise Auseinandersetzung mit der eigenen Person und der eigenen Rolle als Frau beziehungsweise Mann (als Fachkraft) sowie eine geschlechtersensible Wahrnehmung von Strukturen und Prozessen im Kontext von HzE stattgefunden hat beziehungsweise stattfindet,

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die sich wiederum entsprechend auf die konkreten Arbeitsprozesse und -ergebnisse auswirken (werden).

Dies ist umso mehr zu bewerten, weil es sich um eine „verpflichtende Qualifizierung“ handelte, die bei einzelnen MitarbeiterInnen auch zu Skepsis und einer (zunächst) ab-lehnenden Haltung führte. Im Rahmen der Qualifizierung wurden „Leitfragen für eine Geschlechterdifferenzierung in den Hilfen zur Erziehung“ erarbeitet. Diese wurden in-zwischen um Punkte zur „Berücksichtigung interkultureller Aspekte“ (im Sinne eines Diversity-Denkens) erweitert.

Im Rahmen der weiteren „Vertiefung“ des Themas wurden unter anderem interne Ar-beitshilfen zur Kollegialen Beratung und Hil-feplanung um Gender Aspekte ergänzt, sowie Fragen zum Fallverstehen und zur entspre-chenden Selbstreflektion erarbeitet.

Über die Fach-AG nach § 78 SGB VIII HzE wurde das Thema auch mit den Trägern der freien Jugendhilfe bearbeitet. Diese waren unter anderem an der Erarbeitung der oben genannten Ergänzungen mit beteiligt.

Der Abschlussbericht zur Qualifizierung beziehungsweise zum Gender-Prozess im Fachbereich Jugend und Familie ist für 2013 vorgesehen.

Angela Munke, Carsten AmmeKommunaler Sozialdienst

Landeshauptstadt Hannover

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Christoph GroteMänner in der Arbeit mit Mädchen

Im Rahmen eines Fachtages zur Mädchenar-beit einen Workshop mit dem Titel „Männer in der Arbeit mit Mädchen“ anzubieten, bei der zu über 95 Prozent Frauen teilnehmen würden, erschien mir bei der Vorbereitung als echte Herausforderung.

Ich habe die Herausforderung für die Teil-nehmenden gelöst, indem ich verschie-dene Fallbeispiele zur Diskussion gestellt habe und die Teilnehmenden ihre eigenen Assoziationen und Gedanken habe machen lassen. Alle Beispiele bleiben bewusst im Ungenauen, weil gerade hier die Bilder und Interpretationen vor dem Hintergrund der (eigenen) Werte und Annahmen beginnen.

Sich dieses bewusst zu machen und zu merken, dass verschiedene Menschen Fall-beispiele anders sehen, unterschiedliche Aspekte vor anderen Maßstäben verstehen oder zumindest verstehen können und ins-gesamt zu erweiternden Handlungsoptionen kommen, war meinerseits mit der Hoffnung verbunden, neue Blickwinkel zu eröffnen.

Dabei ist in vielen Fallbeispielen die Katego-rie von Bewertung in „richtig“ und „falsch“ wenig ressourcenorientiert und hilfreich.

Alle Fallbeispiele können bei den Akteuren vor dem Hintergrund der eigenen wertenden Beobachtung zu Handlungsschwierigkeiten beziehungsweise auch in Handlungsdilem-mata führen.

Zu den diskutierten Beispielen:

1.) Ein Mädchen (14 Jahre) zeigt nach einer Shoppingtour dem Mitarbeiter mit einem hochgezogenen Pullover die neuen Des-sous.

Assoziierte Begriffe/Fragen Grenzverletzung Sympathie Intime Begegnung Bindung Überschreitung Beziehung Unpassend Vertrauen Empowerment

2.) Ein Mädchen (3 Jahre) hat sich beim Spielen in die Hose gemacht. Es geht ums Wickeln.

Assoziierte Begriffe/Fragen Generalverdacht Fürsorglichkeit Täter-Opfer-Dynamiken Auftrag

3.) Eine Mädchengruppe tanzt mit einem Jungen einen Breakdance auf der Bühne. Die Mädchen tanzen im Hintergrund, der Junge vorne

Assoziierte Begriffe/Fragen Mädchen im Hintergrund Der Mann

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Was trauen sie sich? Was finde ich als Mann erstrebenswert? Wie behaupten sie sich? Was wertschätze ich bei den Mädchen? Wie zeigen sie sich? Wie stärke ich die Mädchen?

Gedanken zur ordnenden ÜbersichtDie hier aufgeschriebenen Assoziationen möchte ich noch mit übergeordneten Ge-danken versehen. Die festgehaltenen Ka-tegorien erscheinen mir wichtig, weil sie jedem Mann in der erneuten und ehrlichen Betrachtung von Situationen hilfreich sein können und damit das professionelle Han-deln prozesshaft qualifizieren. Ein paar Ge-danken dazu in aller Kürze:

Dreifache HierarchieAls männliche Fachkraft ist es wichtig zu verstehen, dass die Beziehung zu den Mädchen durch eine dreifache Hierarchie geprägt ist. Eine Hierarchielinie ist die von weiblich – männlich, die in der Geschlech-terbegegnung allgegenwärtig ist. Die zwei-te Hierarchielinie ist die vom Erwachsenen zum Kind beziehungsweise zur Heranwach-senden. Die größere Verantwortung für das Handeln liegt bei dem Erwachsenen. Eine weitere Hierarchielinie ist in der Dimension von Professionellem und Klientel zu sehen, die dem Mann auch berufsrechtliche Not-wendigkeiten in der Begegnung nahe legt.

Mann als ModellIn der Arbeit mit Mädchen bin ich als Mann gefragt und bringe mich als erlebbare, be-greifbare männliche Person in die Begeg-

nung ein. Hier werden sich etliche Mädchen an mir erproben, Rückmeldung auf ihr Han-deln und Tun als Mädchen auf der Ebene des Gegengeschlechtes bekommen wollen.

Damit steht jeder Mann als ein Modell für Männlichkeit. Jeder Mann repräsentiert so-mit das Feld der Männlichkeit, schafft Bilder und Möglichkeitsstrukturen, wie Mann-Sein gelebt werden kann. Ihm werden indirekt ständig Fragen zu und Werte von Gleich-berechtigung der Geschlechter gestellt. Für wie viel Gleichberechtigung stehst du? Hat Emanzipation für dich eine Bedeutung? Willst du eine Erweiterung von Männlich-keiten?

Mädchen(an)sichtenEs ist hilfreich die Perspektive von Mädchen einzunehmen, zu versuchen, die Situationen aus den Augen von Mädchen zu verstehen und Werteorientierungen aus der Mädchen-welt in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dann werden Werte von Emanzipation, von Empowerment und von Selbstverantwor-tung anders mit eingeschlossen. Und die Erkenntnis „Nicht alle Mädchen sind gleich“ gewinnt mit der Freude an der Vielfalt eine ganz neue Begegnungsqualität.

Verantwortlichkeit und ReflexionDie männliche Fachkraft ist in der Verant-wortung, eigene und andere Grenzen zu se-hen und zu halten. Mit Umsichtigkeit sind die Körper- und Gefühlsgrenzen einer jeden Person zu beachten, gerade das Anfassen und Berühren ist aufmerksam und grenz-achtend einzusetzen.

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Beziehung und Begegnung ist immer eine Dimension von Miteinander und Sympathie. Im verantwortlichen Umgang ist somit das Nähe-Distanz-Bedürfnis einer jeden Person zu akzeptieren.

Männer haben sowohl der eigenen als auch der kollegialen Reflexion Raum zu geben und dies nicht nur aus der Sorge für die Mädchen, sondern gerade auch wegen des fürsorglichen Umgangs mit sich selbst. So ist es notwendig und sinnvoll, das eigene Handeln auf den Prüfstand zu stellen und die eigenen Intentionen des Handelns zu hinterfragen. Dabei sind eigene biographi-sche Momente zu entdecken und prägende Sätze zu entschlüsseln, die die Begegnun-gen prägen.

Als Mann die Erfordernisse und die erwei-terten Aufmerksamkeiten der Cross-Work-Arbeit (Arbeit mit dem Gegengeschlecht) in den Blick zu nehmen, ist spannend und eröffnet neue Perspektiven und somit auch neue Sicherheiten im Arbeiten mit Mäd-chen.

Literatur zum WeiterlesenGLÜCKS, E. / OTTEMEIER-GLÜCKS, F. G.: Was Frau-

en Jungen erlauben können. Was Männer Mädchen anzubieten haben, in: RAUW U.A.: Perspektiven geschlechtsbezogener Päd-agogik, Opladen 2001

JANTZ, OLAF: Das andere Gegenüber: Cross Work / geschlechtssensible Überkreuz-pädagogik, In: Betrifft Mädchen 2012, Heft 3

Christoph Grotemannigfaltig e. V.

Institut für Jungen- und Männerarbeit

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Volker RohdeNeuorganisation der Kinder-/Jugendarbeit und Mädchenarbeit

In der Landeshauptstadt Hannover wurde von Anfang 2010 bis Ende 2012 im Auftrag des Rates eine Neuorganisation der von der Stadt finanzierten bzw. mitfinanzierten Kinder- und Jugendarbeit entwickelt und Anfang 2013 eine entsprechende Rahmen-konzeption beschlossen.

Die Workshops im Rahmen des Fachtages sollten sich damit befassen, ob die Neuor-ganisation der Kinder- und Jugendarbeit ein geeignetes Instrument darstellt, die Entwicklungschancen von Mädchen durch Angebote der Kinder- und Jugendarbeit zu fördern und zudem das bereits in einer In-formationsdrucksache zur städtischen of-fenen Jugendarbeit wie folgt beschriebene Ziel zu erreichen:

Mädchen und Jungen werden gleicherma-ßen in jedem Einrichtungskonzept berück-sichtigt. Entsprechend ihrem tatsächlichen Anteil in der Bevölkerung sind Angebote differenziert auszuweisen.

Ausgangssituation für die Neuorganisation der Kinder- und Jugendarbeit In Hannover werden über 90 Einrichtungen und Angebote an 47 Standorten von Sei-ten der Stadt gefördert, darunter befinden sich: 18 Jugendzentren mit maximal zwei Per-sonalstellen (13 öffentlicher Träger, zwei Unabhängige Jugendzentren, drei freie Träger),

über 50 kleine Jugendtreffs beziehungs-weise Lückekindertreffs mit maximal einer Personalstelle, neun Spielparks, diverse „außerschulische“ Bildungsan-gebote wie die mobile Straßensozialarbeit, den Jugendferienservice und die kulturelle Jugendbildung, über 30 verschiedene Träger sowie ein Mädchenhaus mit einem offenen Mädchenangebot.

Die Umsetzung dieser Angebote, insbeson-dere der klassischen offenen Angebote in den Jugendzentren, sah sich einer zuneh-menden starken Kritik ausgesetzt. Zu den Kritikpunkten gehörten, dass Jugendarbeit entweder zu wenig Jugendliche erreicht oder nicht die „Richtigen“. Insgesamt wur-de kritisiert, dass sich die offene Jugend-arbeit konzeptionell nicht weiterentwickelt hatte.

In der vom Rat beschlossen Neuorganisa-tion wurden dementsprechend folgende Zielsetzungen definiert: eine Struktur für eine moderne und am Bedarf orientierte Förderung und Gestal-tung der Kinder- und Jugendarbeit zu erar-beiten, mit allen am Prozess des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen in öffentli-cher Verantwortung beteiligten Einrichtun-gen und Diensten neue Wege der Zusam-menarbeit und Vernetzung im Sozialraum zu entwickeln,

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durch die Verschränkung der Angebote aller Akteure Voraussetzung für eine struk-turierte Abstimmung von Angeboten zu schaffen sowie verbindliche Kooperationsstrukturen zwi-schen den Trägern zu entwerfen.

Kernpunkte des Rahmenkonzeptes zur NeuorganisationDie Grundlage aller Aktivitäten bildet eine sozialräumliche Bedarfsermittlung. Dies setzt sich zusammen aus den Sozialda-ten, einer „externen“ Jugendbefragung zu ihren Bedürfnissen und Bedarfen und den sich aus einem Partizipationsprozess ermittelten Anliegen der BesucherInnen der jeweiligen Einrichtungen. Aus den sich hieraus ergebenen Bedarfen wird ein trä-gerübergreifendes, kooperatives Stadtteil-konzept entwickelt, das insbesondere auf eine Stärkung der sozialpädagogischen und bildungsorientierten Fachlichkeit aufbaut. Das Stadtteilkonzept beschreibt für einen Zeitraum von drei Jahren welche Leistun-gen von der sozialräumlichen Kinder- und Jugendarbeit unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen zu erwarten sind, aber auch welche Bedarfe oder Themen aufgrund fehlender Ressourcen oder we-gen geringerer Bedeutung nicht abgedeckt werden können.

Erste Erkenntnisse und Überlegungen zu Umsetzung aus dem Prozess in Bezug auf MädchenarbeitEine erste wesentliche Erkenntnis aus dem Entwicklungsprozess ist, dass Mädchen und junge Frauen durch die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit nach wie vor nicht ausrei-

chend erreicht werden. Spezielle Angebote für Mädchen sind daher zu verstärken. Im Zuge der Entwicklung von Gender Aspek-ten sind zudem spezifische und qualifizierte Angebote für Jungen zu intensivieren. Zu-dem müssen die Möglichkeiten verbessert werden, Räume in den Einrichtungen nach geschlechtsspezifischen Bedürfnissen ein-zurichten.

Als erste konkrete Maßnahmen haben sich die städtische Kinder- und Jugendarbeit gemeinsam mit der Trägerin Mädchenhaus e. V. entschieden, ein großes, zentrales und stadtweit ausgerichtetes Mädchenjugend-zentrum neu zu entwickeln. Dieses Vorha-ben wurde bereits vom Rat der Stadt durch einen entsprechenden Beschluss unter-mauert. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Arbeitsleitlinien für die sozialräumliche Konzeptentwicklung festgelegt, die Be-darfsermittlung in Bezug auf Mädchen- und Jugendangebote, Gender beziehungsweise Geschlechtergerechtigkeit mit einer beson-deren Priorität zu versehen.

Diskussionen und Anregungen aus den WorkshopsDie TeilnehmerInnen begrüßten überwie-gend die mit der Neuorganisation verbunde-ne Initiative insbesondere die Belange der Mädchen durch entsprechende Bedarfser-mittlungen zu stärken. Es mischten sich al-lerdings auch Zweifel, ob diese sehr wissen-schaftliche Methode tatsächlich dazu führt, die Belange der Mädchen und jungen Frauen in der Angebotsstruktur zu verbessern.

Aus der Diskussion ergaben sich folgende ausgewählte stichwortartige Anregungen:

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verpflichtende geschlechterparitätische Besetzung der mitarbeitenden Teams bei einer Mindestbesetzung von zwei Personen pro Einrichtung, Aufstockung des Personals durch eine spezielle Kraft für Mädchen- beziehungswei-se Genderbelange in den Einrichtungen, verstärkte Entwicklung der spezifischen inhaltlichen Ziele einer Mädchen- bezie-hungsweise Genderarbeit in den Einrich-tungen und Sozialräumen, Benennung von „Mädchenbeauftragten“ in den jeweiligen Konzeptionsrunden bei der Entwicklung der sozialräumlichen Stadtteil-konzepte, Förderung einer stadtweiten, sozialraum-übergreifenden Zusammenarbeit der Mäd-chenarbeiterinnen und Einbeziehung von anderen mädchen- be-ziehungsweise frauenspezifischen Angebo-ten der Jugendhilfe in die jeweilige Konzep-tentwicklung.

Darüber hinaus wurde insbesondere von TeilnehmerInnen, die nicht in Hannover tätig sind, eingebracht, inwieweit ein ver-gleichbarer Ansatz beispielsweise in klei-neren Städten oder im ländlichen Raum umgesetzt werden kann.

Der eher provokanten These, dass offene Jugendarbeit nun mal Jungenarbeit sei und dementsprechend weiterhin Jungen zur be-vorzugten Zielgruppe gehören, wurde deut-lich widersprochen. Allerdings müssten sich die Angebotsinhalte und -strukturen der offenen Kinder- und Jugendarbeit ändern, damit sie auch für Mädchen interessanter werden. In diesem Zusammenhang wurde das Vorhaben in Hannover, ein stadtweites zentrales Mädchenzentrum weiterzuentwi-ckeln, ausdrücklich unterstützt.

Volker Rohde (Stadtjugendpfleger

Landeshauptstadt Hannover)

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Ines Pohlkamp Queer-feministische Reflexionen zur Mädchenarbeit zwischen Theorie und Praxis Zusammenfassung des Vortrags von Evelyn Kauffenstein Einleitung: Was heißt queer-feministisch? Wenn man über eine queer-feministische Perspektive in der Mädchenarbeit sprechen möchte, gilt es zunächst zu klären, was der Begriff queer-feministisch bedeuten kann. Das Attribut feministisch ist in seiner Be-deutung sehr vielgestaltig und bezieht sich auf feministische Theorien, die Kritik am Androzentrismus und die Offenlegung von weiblichen Lebenswelten. Wichtig für den hier zu beleuchtenden queer-feministi-schen Zusammenhang ist der gemeinsame Nenner, dass feministisches Denken immer auch kritisches Denken ist und damit auch normativitätskritische Handlungspraxen zur Folge hat. Doch was bedeutet Queer? Gudrun Perko näherte sich dem queeren Denken wie folgt:

„Queeres Denken ist Kritik gegen eindeutige und vermeintlich natürliche Identitäten und richtet den Blick auf Strukturen einer mit Iden-tität operierenden Ordnung: sowohl hinsichtlich einer heteronormativen als auch in Bezug auf eine lesbische oder schwule Identitätspolitik. Im Zuge dieser Kritik werden Annahmen über Sex, Gender und Begehren als soziales und kulturel-les Konstrukt dekonstruiert, die in einem jewei-ligen gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind und von Wissenschaft, Medien, Literatur, Musik, Film und Institutionen wie Kirche, Recht, Gesundheits- und Bildungswesen etc. untermau-ert werden.“

(Gudrun Perko 2005: 31)

Perko folgend, lenkt der Begriff Queer auf die mit dem feministischen Denken verwo-benen Kategorien von sex, gender und Be-gehren und plädiert für eine grundsätzliche Hinterfragung von angenommener Natür-lichkeit sowohl geschlechtlicher als auch heterosexueller Orientierung und komple-mentärer homosexueller Orientierung und den darauf basierenden Identitätspolitiken. Der Begriff Heteronormativität beschreibt in diesem Zusammenhang die hegemoni-ale Norm einer eindeutigen Zugehörigkeit zu einem der beiden als biologisch gesetzt angenommenen Geschlechtern, sowie das dazugehörige Begehren, das sich der Norm entsprechend auf das jeweils andere Ge-schlecht bezieht. In der Mädchenarbeit muss es aus queer-feministischer Perspek-tive um die Implementierung einer Hete-ronormativitätskritik in Theorie und Praxis gehen. Diese bezieht sich auf die Kritik an der Norm des heterosexuellen Begehrens, sowie auf dessen Grundlage – die vermeint-lich eindeutige und zu unterscheidende Geschlechtszugehörigkeit. Queer-feminis-tische Mädchenarbeit bedeutet in diesem Sinne auch mehr Raum für geschlechtliche Non-Konformität, das bedeutet, mehr Raum für die Vielfalt an geschlechtlichen Existen-zweisen in dieser Gesellschaft.

Anregungen für heteronormativitäts-kritische Mädchenarbeit Im Sinne der grundsätzlich hinterfragen-den und normkritischen Haltung von queer

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geht es zunächst erst einmal darum beste-hende und stillschweigend als gesetzt an-genommene geschlechtliche und sexuelle Realitäten bewusst in den Blick zu nehmen. Folgende Fragen können dafür eine erste praktische und exemplarische Anregung bieten: Wie gehe ich, beziehungsweise gehen wir im Team mit den eigenen sexuellen, ge-schlechtlichen Lebenswirklichkeiten um? Benennen wir nur die Ausnahme oder auch die Normalität? Wo wird Geschlecht und wo Sexualität in der Einrichtung jenseits der Normalität thematisiert? Ist mein Team in der Lage, geschlechtli-che & sexuelle Gewaltverhältnisse zu the-matisieren? Wie gehe ich, beziehungsweise gehen wir im Team damit um, wenn sich ein Mädchen als Trans-Person outet, beziehungsweise wenn ein Trans-Mädchen unsere Einrich-tung besuchen will? Wo haben die Lust und der Genuss an Geschlecht und Sexualität einen Raum? Sind im „Verhütungskoffer“ auch Dental Dam und Dildos zu finden? Wie sieht mein Bild von „Familie“ aus, was vermittele ich den Mädchen? Queer-feministische Mädchenarbeit bedeu-tet also, bestehende Konzepte und Metho-den weiter zu denken. Sie tritt mit dem Ziel an, Zweigeschlechtlichkeit aus der Dramati-sierung herauszuholen und damit auch den Begriff „Mädchen“ kategorial zu dekonstru-ieren. Es geht dann darum, das Denken und die praktische Ermöglichung von Nonkon-formität von Geschlecht und Sexualität mit dem Ziel der Diskriminierungs- und Gewalt-freiheit für alle zu forcieren. Queer-feminis-

tische Mädchenarbeit ist dabei untrennbar mit der Anerkennung von Intersektionalität verbunden – die permanent gleichzeitige und ineinander verflochtene Wirkung von verschieden sozial konstruierten und sozi-al wirksamen Ungleichheitsdimensionen. Queer-feministische Mädchenarbeit be-deutet Mut zu machen – beim Spaß haben, beim Kritisieren, beim genau Hinsehen. Es bedeutet Raum für Spaß, Wut und Leiden-schaft.

Queer-feministische Mädchenarbeit kann ihre Impulse für die Praxis aus der Theorie holen und für die Theorie aus der pädagogi-schen Praxis Annäherungen ziehen. In die-sem Sinne ist ein erstes Hinterfragen, ein Selbstverständlichkeiten-in-Frage-Stellen eine notwendige Ausgangsvoraussetzung, um Mädchenarbeit queer-feministisch wei-ter zu entwickeln. In der Praxis werden da-mit zentrale Paradigmen der Mädchenarbeit auf den Kopf gestellt und auf ihre aktuelle Brauchbarkeit überprüft. Die eigene päda-gogische Praxis steht zur Disposition, ohne dass sie verworfen wird. Zu klären ist bei-spielsweise:

Welche Praxisformen eignen sich ein sol-ches Nachdenken und Hinterfragen zu er-möglichen und zu transportieren?

Einhergehend mit dem Wunsch einer Wie-derbelebung feministischer Politik und Pra-xis, geht es zunächst erst einmal darum, die eigene Haltung und die eigenen Gefühle (neu) zu entdecken.

Im Team kann gemeinsam überlegt werden. Wo sind bei uns Selbstverständlichkeiten, die Binarität und Hierarchie hervorrufen?

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Alltägliche Beispiele sind etwa die selbst-verständliche Frage: „Na, hast du einen Freund?“ oder das scheinbar nebensächli-che Einflechten der Information, dass „mein Freund draußen wartet“.

Im Team können Erfahrungen beispiels-weise von Fortbildungen und Fachtagungen ausgetauscht werden und damit Interesse geweckt werden, daran weiter zu arbeiten. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist sprachliche Wendungen zu überprüfen, im Sprechen aber auch in Texten auf Flyern, der Home-page, auf Facebook etc.

Das Material, mit dem gearbeitet wird, überprüfen und gegebenenfalls erweitern. Beispielsweise Filmangebote entsprechend auswählen, Kursinhalte überdenken. Queer muss lange nicht bei einem speziellen Kurs zum Thema stehen bleiben. Das Quer-schnittpotential von Queer regt idealerwei-se dazu an, alle Themen und Angebote in dieser Perspektive zu hinterfragen.

Auch in Bezug auf Räume: Sind Mädchen-räume wirklich für lesbische, Trans-Jungen oder Trans-Mädchen offen? Für wen wol-len wir unsere Räume öffnen und warum / warum nicht? Wie können wir sie offener gestalten?

Aber auch über die eigene Einrichtung hin-aus gilt es über den Tellerrand zu schauen und Netzwerke zu knüpfen.

Qualifizierung von Mädchenarbeiter_innen ist dabei ein sehr wichtiges Stichwort.

Als Ausblick auf die Mädchen(arbeiter_in-nen) von morgen ein Zitat von Busche und Wesemüller:

„... wir [Mädchen_arbeiter_innen] müssen un-sere Arbeit seit Anbeginn immer wieder aufs Neue legitimieren. Das tun wir hiermit gerne, laut, widersprüchlich und kritisch. In Zukunft wollen wir noch viele unterschiedliche Mäd-chen_ treffen, mit und von ihnen lernen, wenn wir mit ihnen arbeiten. Was wir nicht wollen, ist, die Geschichte der Zweigeschlechtlichkeit fort-schreiben. Die Zeit der historischen Männer und Frauen ist vorbei, die der Eindeutigkeit ebenso. Wir sind mitten drin im Kampf für soziale Ge-rechtigkeit. Mit den Mädchen_ ist zu rechnen. Mit den Mädchen_arbeiter_innen auch.“

(Busche/Wesemüller (2010): 322)

Literatur BUSCHE, MART / MAIKOWSKI, LAURA / POHLKAMP,

INES & WESEMÜLLER, ELLEN (2010)(HG.): Fe-ministische Mädchenarbeit weiterdenken: Zur Aktualität einer bildungspolitischen Praxis, Transkript: Bielefeld.

PERKO, GUDRUN (2005): Queer-Theorien. Ethi-sche, politische und logische Dimen-sionen plural-queeren Denkens, Pappy Rossa: Köln.

Ines PohlkampGender Institut Bremen

www.genderinstitut-bremen.de

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Geschlechtshomogenität/Monoedukation ist eine wesentliche Organisationsform emanzipatorischer Mädchenarbeit und auch Jungenarbeit. Ihr Ziel ist, Jungen und Mädchen Freiraum für persönliche Entwick-lungen zu geben, die kulturelle Normierun-gen überschreiten können und damit einen Beitrag zur Dekonstruktion von Geschlech-terstereotypen zu leisten. Da es im Vortrag um Überlegungen zur Frage geht, ob Mo-noedukation Schnee von gestern ist oder nicht, stelle ich in meinem Beitrag einen speziellen Aspekt der aktuellen genderpä-dagogischen Debatte in den Mittelpunkt: mich interessiert das Verhältnis zwischen Ko- und Monoedukation und die Bedeutung dieses Verhältnisses für die Realisierung des pädagogischen Ziels „Unterstützung von Selbstbestimmungsprozessen“.

Ich spreche von folgendem Ort aus:

Ausgehend von praktischer und wissen-schaftlicher Beschäftigung in der außerschu-lischen feministischen Mädchenpädagogik setze ich mich seit vielen Jahren mit der Frage auseinander, wie eine Geschlechter-hierarchie überwindende, an Selbstbestim-mung für Mädchen und Jungen orientierte Pädagogik allgemein etabliert werden kann auf den Ebenen von Theorie und Konzep-ten und in der Praxis von außerschulischer und schulischer Bildung, von Jugendarbeit und Jugendhilfe. Dabei stelle ich fest, dass geschlechtsreflektierte monoedukative For-men häufig den Status von Ergänzung und Kompensation koedukativer Mängel haben

und nicht als Teil einer differenzsensiblen Gesamtperspektive gedacht wird.

Mein Anliegen ist, den Diskurs um die ge-meinsame beziehungsweise getrennte Er-ziehung von Mädchen und Jungen, der in Alltag und Wissenschaft deutlich in einer Struktur von entweder oder geführt wird, zu erweitern hin zu einem sowohl als auch – in Gleichwertigkeit. Ich verorte mich erzie-hungswissenschaftlich dabei im Paradigma der Pädagogik der Vielfalt von Prengel.

1. Die These: Pädagogik wird heute mit Koedukation gleichgesetzt Koedukation hat seit ihrer allgemeinen Ein-führung in den 60er Jahren in der BRD den Status eines Paradigmas für die Pädagogik. Sie wird heute in der Regel koedukativ or-ganisiert und als Normalität weitgehend mit Koedukation gleichgesetzt. Sprache verrät viel über unsere Überzeugungen: Koeduka-tion ist heute ein ganz selbstverständlicher Begriff. Bis vor gut 100 Jahren hatte er noch keine Bedeutung, weil Pädagogik als höhere Bildung in der Regel geschlechtshomogen organisiert wurde. Heute hingegen fehlt eine geläufige Bezeichnung für getrenntge-schlechtliche Erziehung. Selbst im pädago-gischen Diskurs sind „geschlechts-homoge-ne Pädagogik“ oder auch „Monoedukation“ noch immer eher umständliche Begriffe. Die Geläufigkeit des Terminus „Koedukation“ bildet hier auf der Ebene des Sprachge-brauchs das hohe Maß kultureller Selbst-verständlichkeit dieses Konzeptes ab. Inte-

Dr. Ulrike Graff Selbstbestimmung für Mädchen: Monoedukation – (kein) Schnee von gestern?!

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ressant ist auch, dass Monoedukation und Geschlechtshomogenität in aktuellen päda-gogischen Wörterbüchern nicht auftauchen (vgl. Lenzen (Hrsg.) 2007, Böhm 2005, Rein-hold/Pollak/Heim (Hrsg.) 1999).

Hannelore Faulstich-Wieland hat den Begriff „reflexive Koedukation“ geprägt und mit ihren kritischen Forschungen bereits Mitte der 70er Jahre erste Bewegung in die Schul-pädagogik gebracht. Reflexive Koedukation sagt, dass alle pädagogischen Gestaltungen daraufhin zu durchleuchten sind, ob sie die bestehenden Geschlechterverhältnisse eher stabilisieren oder eine kritische Auseinan-dersetzung fördern. Dabei sind getrennte Gruppen keineswegs ausgeschlossen (dies. zum Beispiel 1999). Diese getrennten Grup-pen haben sich im schulischen und außer-schulischen Bereich vielfach als Maßnahmen der „Jungenförderung“ und „Mädchenför-derung“ etabliert und pädagogische Insti-tutionen bereichert, aber häufig haben sie einen defizitorientierten Ansatz.

Um positive Potentiale geschlechtshomoge-ner Pädagogik nutzen zu können, die in der Möglichkeit liegen, dass Raum für Reflexion und Überschreitung geschlechtsspezifischer kultureller Zuschreibungen eröffnet wird (zum Beispiel Kessels 2002, Pfister 1998, Baumert 1992), scheint es überlegenswert, Koedukation als Normalpädagogik zu re-lativieren und homogene und heterogene Settings gleichrangig zu denken – womit allerdings keine Aussage über Quantitäten gemacht werden soll. Sowohl Gemeinsam-keit als auch Unterschiedlichkeit würden im Hinblick auf Geschlecht für Bildungs- und Erziehungssettings zunächst strukturell eta-bliert werden. Dass dies für Ziele und Inhal-

te nicht egal ist, soll im Folgenden historisch aufgezeigt werden.

2. Der erziehungsgeschichtliche Hintergrund Die Geschichte der Pädagogik zeigt, dass vom Altertum bis ins 19. Jahrhundert hinein öffentliche Erziehung und Bildung in erster Linie den Jungen galt. Mädchenbildung war selten und ebenfalls monoedukativ. Erst die Forderung nach allgemeiner höherer Mäd-chenbildung hatte die Geschlechterfrage im Hinblick auf Inhalte und Form von Erzie-hung thematisiert, die in den Jahrhunderten selbstverständlicher Geschlechtertrennung keiner expliziten Begrifflichkeit bedurfte.

Monoedukation und Koedukation sind Or-ganisationsformen von Pädagogik in Be-zug auf Geschlecht, in denen bestimmte Erziehungsziele verfolgt werden. Es geht hier also auch, wenn man so will, um die Klärung des Verhältnisses von Form und Inhalt oder richtiger, Formen und Zielen in der Pädagogik.

Folgende Konstellationen lassen sich erzie-hungsgeschichtlich aufzeigen: Das Leitbild komplementär hierarchischer Geschlechtskonstruktionen korrespondiert mit geschlechtshomogener Pädagogik. Sie hat sich für in diesem Sinne traditionelle Erziehungsziele als die geeignete Form er-wiesen (Naundorf u. a. 1986). Das Modell der Gleichberechtigung von Frauen mit Männern drückt sich in der Ko-edukation aus (Schimpf 1999). Beim Wan-del zum Erziehungsziel Gleichberechtigung wurde Mitte des 20sten Jahrhunderts mit der Koedukation lediglich die äußere Form

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geändert. Die Einführung war eher politisch-pragmatisch als erziehungswissenschaftlich begründet. Eine Theorie der Koedukation gab es nicht, wie Doris Knab bereits 1970 feststellt. Inhalte und Interaktion blieben lange unbeachtet. Die Praxis hat dann ge-zeigt, dass auch traditionelle Verhältnisse reproduziert werden. Dass dies spezifische Gewinne und Verluste für Mädchen und Jun-gen bedeutet, ist spätestens seit PISA für den schulischen Bereich deutlich geworden. Die Organisationsform Koedukation scheint also für die Realisierung ihres fortschrittli-chen Erziehungszieles „Jungen und Mäd-chen lernen gleichberechtigt miteinander und voneinander“ nicht hinreichend förder-lich zu sein. Nach dieser Erfahrung will Gender Pä-dagogik nun „Selbstbestimmung“ für Mädchen und Jungen statt „Gleichberech-tigung“ und kombiniert dieses Ziel wieder-um mit der Form Geschlechtshomogeni-tät. Die Praxis von, im außerschulischen oder schulischen Kontext eingerichteten, geschlechtshomogenen Einrichtungen, Gruppen oder Projekten hat gezeigt, dass sie geeignet sind, Freiraum für persönli-che Entwicklungen bieten, die bestehende geschlechtsspezifische Zuschreibungen überschreiten können (Tillmann 2008, Kre-ienbaum 2008, Boldt/Grote 2012, Sturzen-hecker 2002).

Ich halte fest:

Koedukation ist ein Fortschritt gegenüber der konservativen Geschlechtertrennung. Sie kann jedoch innerhalb bestehender Geschlechterhierarchie vorhandene Domi-nanzstrukturen nur schwer aufheben.

3. Bildungspotenziale monoedukativer Praxis Positive Effekte der Monoedukation können darin liegen, dass bestimmte geschlechts-bezogene Dominanzstrukturen, die im koedukativen Miteinander das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen eher repro-duzieren, im homogenen Kontext ausgesetzt sind. Dies bedeutet nicht, dass geschlechts-homogene Kontexte machtfreie Räume sind. Sie können aber den Charakter „paradoxer Intervention“ (Teubner 1997, zit. in Metz-Göckel 1999, 136) haben, wenn sie nicht mit normierenden Vorstellungen von Weiblich-keit und Männlichkeit verbunden sind. Eine differenzierte Organisationsform muss an die Offenheit gegenüber Geschlecht gebun-den sein, das heißt, an différance (Derrida), die unhintergehbar ist jedoch unbestimmt bleibt, wenn sie im Sinne demokratischer Geschlechterverhältnisse Gültigkeit haben soll. (Als wichtiger Aspekt von Genderkom-petenz gilt dieser Anspruch ebenso für he-terogene Kontexte.)

Unter bestimmten Voraussetzungen kann also ein monoedukatives Setting Ju-gendlichen einen anderen Freiraum für Selbstbestimmungsprozesse bieten, als ein koedukatives. Dennoch wird der ge-schlechtshomogene Ansatz auch heute noch immer wieder als „eigentlich über-holt“ angesehen: Nur für Mädchen oder nur für Jungen – das hatten wir doch schon – damals! Und zu Recht wollen Mädchen kei-nen Physikkurs, wenn sie spüren, dass er im Grunde als Mädchenförderung angesehen wird. Die Konsequenzen aus der Koedukati-onskritik waren bisher weitgehend Maßnah-men zu ihrer Verbesserung und keine Relati-vierung ihres paradigmatischen Charakters.

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Diagnostiziert wurde im schulischen wie im außerschulischen Bereich zunächst eine Be-nachteiligung von Mädchen, auf die in der Logik von Gleichstellung mit spezifischer „Mädchenförderung“ reagiert wurde. Die Erfahrungen dieser Arbeit sind im Hinblick auf emanzipatorische pädagogische Ziele durchaus positiv (sowohl bezogen auf fach-liche Leistungssteigerungen, als auch bezo-gen auf erweiterte Selbstbilder). Insgesamt muss aber festgestellt werden, dass sie als Reform der Koedukation, als Instrumente einseitiger Mädchenförderung institutionell einen nachrangigen Charakter haben.

4. Mädchenförderung/Jungenförderung: problematische Konzepte Der aktuelle Diskurs über Alpha-Mädchen und Bildungsverlierer speist sich auch aus diesem defizitorientierten Verständnis von Genderpädagogik. Er formuliert eine un-sinnige Konkurrenz zwischen Mädchen und Jungen.

Allerdings finde ich einen Aspekt positiv an dieser Debatte, denn sie zeigt, die Bedeu-tung geschlechterreflektierter Pädagogik ist im Alltagsverständnis der Gesellschaft an-gekommen. Damit meine ich, es wird auch verstanden, dass diese Art von Erziehung, Bildung, Kultur erfolgreich ist und auch für Jungen sinnvoll sein könnte. So jedenfalls versuche ich der Argumentation zu begeg-nen, wenn ich sage: „Ja, es zeigt sich, dass eine geschlechtsbezogene Perspektive auf Mädchen mit emanzipatorischen Anliegen sie in der Tat positiv unterstützt und befä-higt. Dasselbe gilt für Jungen.“

In der Argumentation zeigt sich auch, dass ein Verständnis von „Mädchen- und Jungenförderung“, die ich als Effekt ihrer Einordnung im Verständnis einer „reflexi-ven Koedukation“ begreife, zu kurz greift. Warum ist der Förderbegriff im genderpäd-agogischen Kontext so wenig hilfreich? Der Ansatz transportiert einen defizitären Blick auf Jungen und Mädchen, sie erscheinen der besonderen Förderung bedürftig qua Geschlecht.

In Schule und Jugendarbeit ist die Begriff-lichkeit „Mädchen-/Jungenförderung“ sehr gebräuchlich, wenn es um geschlechtsho-mogene Gruppen, Projekte oder auch Ein-richtungen geht. Ich habe ihn aus meinem Wortschatz gestrichen und durch Mädchen-arbeit oder Angebote für Mädchen, Angebo-te für Jungen ersetzt. Denn es geht hier um die Konzipierung von Bildung, die Kindern und Jugendlichen Raum, Zeit und Bezie-hung bietet, die Ambivalenzen erweiterter Geschlechterbilder zu verhandeln.

Pädagogik kann koedukativ und monoedu-kativ strukturiert sein – und darüber hinaus vielfältig differenziert, wie queere, trans-gender oder schwul-lesbische Initiativen zeigen.

5. Das Verhältnis zwischen Koeduka-tion und Monoedukation neu denken Veränderungen beginnen im Kopf. Einiges spricht dafür, das Denkmuster „Pädagogik = Koedukation“ zu verändern. Wie wäre es, in die erziehungswissenschaftliche Sys-tematik eine neue Kategorie einzuführen? Der Arbeitstitel hieße: „Organisationsform in Bezug auf Geschlecht“, mit Koedukation

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und Monoedukation als zwei gleichrangigen Möglichkeiten. Dort wären Geschlechterdif-ferenzen gut aufgehoben, ganz im Sinne ei-ner „Pädagogik der Vielfalt“ von Annedore Prengel (1993).

6. Selbstbestimmung als Bildungsziel in der Praxis eines Mädchentreffs Im Folgenden beziehe ich mich auf Ergeb-nisse einer qualitativen Studie, die von mir als Auswertung der Theorie und Praxis des Mädchenreffs Bielefeld durchgeführt wurde (Graff 2004). Ich wollte wissen, wie sich das Ziel der Selbstbestimmung für Mädchen in diesem neuen geschlechtshomogenen Pra-xisfeld realisiert. Der Mädchentreff wurde 1985 als eine der ersten Einrichtungen außerschulischer Mädchenbildungs- und Kulturarbeit in Nordrhein-Westfalen ge-gründet.

Ein Mädchentreff als Ort für Mädchen – wie beschreiben ihn die Mädchen?

1. „Wir werden akzeptiert, wie wir sind!“ Ein wesentliches Ergebnis der Interviews mit den Mädchen ist ihre durchgängige Aussage, sie fühlten sich im Mädchentreff so akzeptiert, wie sie sind. Dieses Akzeptie-ren geht für sie über das hinaus, was sie in Schule oder Freizeit erleben: Sie fühlen sich ernst genommen sowohl mit ihren Bedürf-nissen nach „Abhängen, Spaß, Rumflippen“ als auch mit Anliegen und Problemen, die sie außerhalb des Mädchentreffs haben. Dabei ist für sie wichtig, nicht danach beurteilt zu werden, was ein „richtiges” Mädchen macht. In der Anerkennung der Vorlieben und Neugierden müssen sie nicht mit Jun-gen konkurrieren.

Diese ungewöhnliche Erfahrung stärkt ihr Selbstbewusstsein und unterstützt sie in ihrer Selbstbestimmung sowohl bei alltägli-chen Entscheidungen als auch bei Entschei-dungen, die ihre Berufs- und Lebensplanung betreffen. Die Mädchen sagen, dass die Pä-dagoginnen „für sie da sind”. Dabei geht es um „da sein” in Bezug auf Interessen bei anderen, in der Schule oder zu Hause. Sie erleben, dass sie legitime Rechte haben und die Pädagoginnen sich für sie und ihre Rechte einsetzen. Sie werden ermutigt, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. Insofern macht der Mädchentreff Selbst-bestimmung relevant als etwas, was Mäd-chen zusteht, und bricht mit der kulturellen Haltung Mädchen gegenüber, in erster Linie „nett” zu sein, und das heißt oft, ihre eige-nen Interessen denen anderer unterzuord-nen (vgl. Brown/Gilligan 1992).

2. „Der Mädchentreff unterstützt uns Mädchen in Krisen!“Viele Mädchen erzählen, dass sich die Pä-dagoginnen in großen persönlichen Krisen parteilich für sie eingesetzt haben. Dabei ma-chen sie deutlich, dass sie es keineswegs als selbstverständlich erleben, dass Menschen in ihrem Umfeld sich in Konfliktsituationen auf die Seite von Mädchen stellen. In einer Kultur, die Mädchen noch immer sehr viel weniger Experimente und Fehler zugesteht als Jungen, empfinden sie es als etwas Be-sonderes, wenn ihre Interessen gegenüber anderen verteidigt, wenn sie bei der Bewäl-tigung von Fehlern unterstützt werden und wenn versucht wird, für die Realisierung ihrer Pläne Raum zu schaffen. Mädchenparteiliche Ressourcen dieser Art scheinen angesichts des aktuellen, „modernen“ Mädchenbildes zunehmend wichtig zu sein.

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3. „Es ist nicht selbstverständlich für uns Mäd-chen, in den Mädchentreff zu kommen!“ Die Mädchen beschreiben, dass sie immer wieder erklären müssen, warum sie in den Mädchentreff gehen. Ein Mädchentreff provoziert eine Stellungnahme zum Ge-schlechterverhältnis, weil er eine Kategorie Geschlecht explizit macht: „Mädchen“. Wa-rum ein extra Mädchentreff in einer Gesell-schaft, die von der Gleichberechtigung aus-geht? Wenn Mädchen in den Mädchentreff gehen, müssen sie sich mit dem Status von Mädchen in dieser Gesellschaft auseinan-der setzen. Ein Mädchentreff ist in diesem Sinne eine „kulturkritische“ pädagogische Einrichtung, die Mädchen eine eigene Kul-tur einräumen will, neben einer von Jungen dominierten Jugendkultur. (Die Daten der 4. Strukturdatenerhebung zur OKJA in NRW sagen zum Berichtszeitraum 2008, dass 20 Prozent Jungen und 9 Prozent Mädchen die Stammbesucherinnen im Alter von 15 bis 18 Jahren ausmachen; diese Zahl ist gegenü-ber 2004 gleich geblieben (vgl. LWL, LVR 2012, S. 14 f.). Im Rahmen offener Jugend-arbeit wird mit einem Mädchenzentrum ein öffentlicher Raum für mädchenbezogene Geselligkeit geschaffen. Im Sinne des § 11 SGB 8 können Mädchen kommen und gehen, wann sie wollen, ohne etwas lernen zu müs-sen und ohne Probleme haben zu müssen. Mädchen prägen und gestalten ihre eigene Kultur (vgl. Möhlke/Reiter 1995). Mit diesem Bildungspotenzial wird institutionell umge-setzt, was Annedore Prengel in der „Päd-agogik der Vielfalt“ (1993) als Gegenent-wurf zu „Assimilationspädagogik“ fordert. Der gleichberechtigten Anerkennung und Pflege differenter Kulturen soll Ausdruck in eigenen Orten gegeben werden.

Statt eines Fazits (m)eine fiktive Liste von Interessen von Mädchen in der offenen Jugendarbeit: Mädchen wollen nicht: Gegenstand von „Mädchenförderung“ sein, sie wollen keine Extra-Schonraum-Ange-bote, mit denen immer auch vermittelt wird: „Den habt ihr wohl nötig ...“, sie wollen sich nicht immer gegen Jungen durchsetzen müssen, sie wollen keine Mädchengruppe, wenn „das richtige Leben“ woanders stattfindet.

Ja – sie wollen: Räume, die ihnen gefallen, Platz für ihre Vorlieben, sie wollen mit Jungen zusammen sein, ohne lediglich einen Gaststatus zu haben, sie wollen Schutz vor Übergriffen sie wollen sich ungestört mit Freundinnen treffen und sie wollen erwachsene Frauen und Män-ner als Gegenüber, an dem sie sich messen und orientieren können auf ihrem eigenen Weg.

Literatur BAUMERT, JÜRGEN (1992): Koedukation oder

Geschlechtertrennung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 38. Jg., S. 83-110

BÖHM, WINFRIED (2005): Wörterbuch der Pä-dagogik. Stuttgart. 16., vollständig über-arbeitete Auflage unter Mitarbeit von Frithjof Grell

BOLDT, ULI & GROTE, CHRISTOPH (2012): „Weil wir Jungen sind!“. Jungenbezogene Gen-derkompetenz in der Schule. In: DORO-THEA CHWALEK, MIGUEL DIAZ, SUSANN FEGTER UND UL-RIKE GRAFF (HG.): Jungen Pädagogik. Praxis

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und Theorie von Genderpädagogik. Wies-baden: Springer Fachmedien Wiesbaden (Kinder, Kindheiten, Kindheitsforschung, 6), S. 164-172

BROWN, LYN M. & GILLIGAN, CAROL (1992): Mee-ting at the crossroads. Women’s psycho-logy and girls’ development. New York: Ballantine Books.

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GRAFF, ULRIKE (2004): Selbstbestimmung für Mädchen. Theorie und Praxis feministi-scher Pädagogik; Königstein/Taunus

KESSELS, URSULA (2002): Undoing Gender in der Schule. Eine empirische Studie über Koedukation und Geschlechtsidentität im Physikunterricht. Weinheim und Mün-chen

KREIENBAUM, MARIA-ANNA (2008): Schule: Zur reflexiven Koedukation: In: BECKER/KOR-TENDIEK (HRSG.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden, S. 689-696

LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND LANDESJUGENDAMT, LANDSCHAFTSVERBAND WESTFALEN-LIPPE LANDES-JUGENDAMT (HG.) (2010): Entwicklungslini-en der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Befunde der 4. Strukturdatenerhebung zum Berichtsjahr 2008 für Nordrhein-Westfalen. Köln/Münster

LENZEN, DIETER (HRSG.) (2007): Pädagogische Grundbegriffe. 2 Jugend – Zeugnis. Rein-bek bei Hamburg. 8. Auflage

MÖHLKE, GABRIELE & REITER, GABI (1995): Fe-ministische Mädchenarbeit – gegen den Strom. Münster: Votum.

NAUNDORF, GABRIELE U. A. (HRSG.) (1986): Koe-dukation – Jungenschule auch für Mäd-chen? Opladen

NYSSEN, ELKE & SCHOEN, BÄRBEL (1992): Traditi-onen, Ergebnisse und Perspektiven femi-nistischer Schulforschung. Zeitschrift für Pädagogik, 38. Jg., S. 855-871.

PFISTER, GERTRUD (HRSG.) (1988): Zurück zur Mädchenschule? Beiträge zur Koedukati-on. Pfaffenweiler

PRENGEL, ANNEDORE (1993): Pädagogik der Vielfalt. Opladen

REINHOLD, GERD / POLLAK, GUIDO & HEIM, HEL-MUT (HRSG.) (1999): Pädagogik – Lexikon. München Wien

SCHIMPF, ELKE (1999): Geschlechterpolarität und Geschlechterdifferenz in der Sozi-alpädagogik. In: RENDTORFF/MOSER (HRSG.) S. 265-282

STURZENHECKER, BENEDIKT (HRSG.) (2002): Pra-xis der Jungenarbeit: Modelle, Methoden und Erfahrungen aus pädagogischen Ar-beitsfeldern. Weinheim und München

TILLMANN, ANGELA (2008): Identitätsspielraum Internet. Lernprozesse und Selbstbil-dungspraktiken von Mädchen und jungen Frauen in der virtuellen Welt. Weinheim und München

Dr. phil. Ulrike Graff

Lehrkraft für besondere Aufgaben Universität Bielefeld

Fakultät für Erziehungswissenschaft Arbeitsschwerpunkte: Pädagogik der Vielfalt,

Genderpädagogik, Adoleszenz, Biografische Selbstreflexion und

pädagogische [email protected]

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Mädchenarbeit ist aktueller denn je! So das Hauptergebnis der Tagung, auf der ausge-wiesene Expertinnen mit ihrer jeweiligen Fachlichkeit die vielfältigen Facetten der Mädchenarbeit repräsentierten.

In den von pädagogischen Fachkräften aus Hannover angebotenen Workshops zu un-terschiedlichen Praxisfeldern gab es Gele-genheit zu themenspezifischen Austausch. Die Wichtigkeit der Verteidigung des The-mas Mädchenarbeit gerade in Zeiten neo-liberalisierter Geschlechterpolitik wurde besonders deutlich herausgearbeitet. Vor dem Hintergrund der Analyse der aktuellen Situation von Mädchen und jungen Frauen und den neoliberalisierten Entwicklungen in der Kinder- und Jugendarbeit ergeben sich für die heutige Mädchenarbeit vielfältige Herausforderungen und Anforderungen. Sehr deutlich ist die Notwendigkeit einer Re-Politisierung, die in Anknüpfung an Tra-ditionen im Sinne einer Rückbesinnung und Aktualisierung der politisierten Anfänge von Mädchenarbeit, einhergehend mit einer kontinuierlichen kritischen Gesellschaftsa-nalyse und dem zugewandten und neugieri-gen Austausch zwischen den Generationen von Mädchenarbeiterinnen.

Räume für Verständigung und Entwicklung von politischen Positionen und Schluss-folgerungen können unter den aktuellen Bedingungen nur bewusst geschaffen und verteidigt werden. Das politische Moment braucht aber auch wieder mehr Platz in der Arbeit mit Mädchen selbst, wo beispielswei-se die strukturellen Bedingungen, Barrieren und Zwänge in die Analyse des vermeintlich

individuellen Erfolgs oder Scheiterns ein-gehen müssen.

Eine andere Ebene, auf der Mädchenarbeit weiter gedacht und entwickelt werden kann, ist die der Selbstreflexion hinsichtlich ver-schiedener Ungleichheitsdimensionen, die auf der Tagung an den Beispielen des ras-sismuskritischen Blicks der Migrationspäd-agogik und der queer-feministischen Pers-pektive eröffnet wurden. Nicht nur in diesen Beiträgen standen die Themen Selbstbe-stimmung und Raum für Entwicklung im Fokus. Es geht darum immer wieder Räume einzufordern, zu gestalten, zu eröffnen, zu verschieben und zu erweitern und danach zu fragen, wie sie Selbstbestimmung ermög-lichen oder behindern. Hinsichtlich dieser Kristallisationspunkte ist ein Angebot aus-schließlich für Mädchen – auch wenn dieser Begriff der Reflexion bedarf – keineswegs Schnee von gestern.

In Bezug auf die Planungen eines Mädchen-zentrums in Hannover ist als Ergebnis zum einen eine hohe Zustimmung zu diesem Vorhaben zu verzeichnen. Über die überzeu-gende Begründung eines solchen Vorhaben hinaus, sind zudem viele Anregungen ange-stoßen worden, die sich auf die Ausgestal-tung eines solchen neuen Projekts bezie-hen und viele wichtige Anregungen für die Konzeption und Umsetzung anbieten. Die hohe Resonanz der Tagung über den Han-noverschen Raum hinaus verweist auf die Relevanz der Fragestellungen und Themen auch jenseits des einzelnen Projekts.

Fazit der Tagung

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Impressionen

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Landeshauptstadt

LANDESHAUPTSTADT HANNOVERDER OBERBÜRGERMEISTER

REFERAT FÜR FRAUEN UND GLEICHSTELLUNGFACHBEREICH JUGEND UND FAMILIE

Neues Rathaus | Trammplatz 230159 Hannover

Gestaltung:m.göke, Hannover

Druck:Druckerei Balzer, HannoverGedruckt auf 100 % Recyclingpapier

Stand:September 2013

www.hannover.de