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Larissa Wucherer, 1252691 1 TEXT 1 Georg Auernheimer: Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz (Vgl. PPT 2. VO) 1. Einleitung es gibt kein universell gültiges Konzept von interkultureller Kompetenz (Anforderungen der Wirtschaft unterscheiden sich jenen an SozialarbeiterInnen oder TherapeutInnen Theorien: 1. Kommunikationsstörungen entstehen – nicht nur bei interkultureller Kommunikation – durch divergente Erwartungen, die zu Erwartungsenttäuschungen führen. 2. Die Erwartungen der KommunikationsteilnehmerInnen werden maßgeblich vom Kontext oder „Rahmen“ (frame) bestimmt, innerhalt dessen kommuniziert wird. offen ist dabei, wieweit die Kommunizierenden diesen Rahmen selbst beeinflussen können und wie sehr dieser Rahmen sozialstrukturell bestimmt ist John Gumperz (Begründer der Soziolinguistik) Kommunizierende seien in ihrem jeweiligen Referenzhorizont befangen Erving Goffman (Soziologe) das Konzept der „Interaktionsordnung“ (= System von regelnden Konventionen; 2 Parameter: Rollenverteilung und ungleiche Verteilung der Rechte in Interaktionen) gehört der Sphäre der kulturellen Praxis an Pierre Bourdieu das Konzept des „sozialen Raums“ lässt Interagierenden kaum Chance der Veränderung (zB der Machtgefälle) Deborah Schiffrin Diskursanalytisches Modell: wichtig sind die Beziehungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern, dh der Rahmen („framing“) ist beeinflussbar Thesen: gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind in den kulturellen Bedeutungshorizonten präsent (Über- und Unterordnung, In-Group – Out-Group) interkulturelle Kommunikationssituation ist, dass sich Mitglieder gegenseitig einer Out-Group wahrnehmen Kommunikationspsychologie die entscheidende Störungsquelle liegt nicht auf der „Inhaltsebene“, aber auf der „Beziehungsebene“ (Probleme der Sachklärung durch zB sprachliche Differenzen; Probleme der Beziehungsebene durch zB Unkenntnis fremder Höflichkeitsformen) 2. Die Mehrdimensionalität der Problematik Tendenz zur einseitig kulturalistischen Betrachtung, dh Probleme interkultureller Verständigung werden kulturellen Differenzen zugeschrieben 4 Dimensionen der kommunikations- und sozialpsychologischer Perspektive laut Auernheimer: 1. Machtasymmetrien 2. Kollektiverfahrungen 3. Fremdbilder, ethnische Grenzziehungen 4. die Differenz der Kulturmuster Laut Goffman „individuelle und kategoriale Identifikation“ des Interaktionspartners teils voneinander abhängig und ineinander verschränkt Bsp: Rassismen und deren Diskriminierungserfahrungen von „Ausländern“

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TEXT 1

Georg Auernheimer: Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz (Vgl. PPT 2. VO)

1. Einleitung • es gibt kein universell gültiges Konzept von interkultureller Kompetenz (Anforderungen der

Wirtschaft unterscheiden sich jenen an SozialarbeiterInnen oder TherapeutInnen Theorien: 1. Kommunikationsstörungen entstehen – nicht nur bei interkultureller Kommunikation – durch

divergente Erwartungen, die zu Erwartungsenttäuschungen führen. 2. Die Erwartungen der KommunikationsteilnehmerInnen werden maßgeblich vom Kontext oder

„Rahmen“ (frame) bestimmt, innerhalt dessen kommuniziert wird. → offen ist dabei, wieweit die Kommunizierenden diesen Rahmen selbst beeinflussen können und wie sehr dieser Rahmen sozialstrukturell bestimmt ist

John Gumperz (Begründer der Soziolinguistik)

Kommunizierende seien in ihrem jeweiligen Referenzhorizont befangen

Erving Goffman (Soziologe) das Konzept der „Interaktionsordnung“ (= System von regelnden Konventionen; 2 Parameter: Rollenverteilung und ungleiche Verteilung der Rechte in Interaktionen) gehört der Sphäre der kulturellen Praxis an

Pierre Bourdieu das Konzept des „sozialen Raums“ lässt Interagierenden kaum Chance der Veränderung (zB der Machtgefälle)

Deborah Schiffrin Diskursanalytisches Modell: wichtig sind die Beziehungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern, dh der Rahmen („framing“) ist beeinflussbar

Thesen: • gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind in den kulturellen Bedeutungshorizonten präsent

(Über- und Unterordnung, In-Group – Out-Group) • interkulturelle Kommunikationssituation ist, dass sich Mitglieder gegenseitig einer Out-Group

wahrnehmen • Kommunikationspsychologie – die entscheidende Störungsquelle liegt nicht auf der

„Inhaltsebene“, aber auf der „Beziehungsebene“ (Probleme der Sachklärung durch zB sprachliche Differenzen; Probleme der Beziehungsebene durch zB Unkenntnis fremder Höflichkeitsformen)

2. Die Mehrdimensionalität der Problematik • Tendenz zur einseitig kulturalistischen Betrachtung, dh Probleme interkultureller Verständigung

werden kulturellen Differenzen zugeschrieben 4 Dimensionen der kommunikations- und sozialpsychologischer Perspektive laut Auernheimer:

1. Machtasymmetrien 2. Kollektiverfahrungen 3. Fremdbilder, ethnische Grenzziehungen 4. die Differenz der Kulturmuster

• Laut Goffman „individuelle und kategoriale Identifikation“ des Interaktionspartners

teils voneinander abhängig und ineinander verschränkt Bsp: Rassismen und deren Diskriminierungserfahrungen von „Ausländern“

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3 Dimensionen der „Communication Accomodation Theory“ laut Cynthia Gallois et al.: 1. intergroup/interpersonal features = historische Konflikte, Ungleichheit, Vorurteile 2. “culture” = verschiedene Beziehungsstile, Kommunikationsmuster, unvereinbare Werte 3. “the socialstrucutral context” = Eigenheiten des Rahmens der Kommunikationssituation

Konfliktmodell laut Stella Ting-Toomy und John Oetzel:

• differente Kulturmuster (u.a. Kulturstile), Ingroup-Outgroup-Beziehungen, ethnozentrische Wahrnehmungsmuster, Beziehungsparameter (wie Macht, Vertrauen vs. Misstrauen)

3. Zu Fremdbildern und Stereotypen • Fremdbilder implizieren eine Grenzziehung ethnischer oder kultureller Art • Stereotypen und Vorurteile sind gesellschaftlicher überliefert und vermittelt • Projektion = Eigenschaften, die das Selbstbild stören und auf andere projiziert werden (z.B.

Aggressivität auf eine Out-Group) • positives Verhalten von Mitgliedern einer Fremdgruppe wird eher situativ gedeutet,

negatives Verhalten dagegen Gruppeneigenschaften zugeschrieben (Tendenz zur Ethnisierung, „Mit denen ist es aufgrund ihrer Mentalität schwierig)

4. Über Drehbücher des Alltagslebens • Konzept der „Scripts“ in der Konversationsanalyse = gleiche Kulturgruppen/Milieus

kommunizieren unbewusst nach konventionell vorgegebenen Drehbüchern (vergleichbar mit den „frames“ bei Goffman)

• Scripts bestimmen unsere Normalitätserwartungen (man ist irritiert, wenn diese nicht erfüllt werden)

• unterschiedliche Scripts können zu Kommunikationsstörungen führen, zB durch (nonverbale) kulturspezifische Ausdrucksformen von Respekt, Dank, Mimik, körperliche Nähe/Distanz, etc.

5. Machtasymmetrien und Diskriminierungserfahrungen • Machasymmetrien durch unterschiedlichen Umfang an verfügbaren Ressourcen

(zB Ungleichheit des rechtlichen und sozialen Status, Minderheiten) führen zu Frustrationen • Menschen mit Ausländerstatus haben ein übersensibles „Beziehungsohr“ (Schulz von Thun) • Reaktionstendenzen bei Minderheitenangehörigen:

o generalisiertes Misstrauen, Überempfindlichkeit wegen Diskriminierungserfahrungen, Rückzugstendenzen, Hilflosigkeit, Aggressivität

o meist wird die fremde „Mentalität“ dafür verantwortlich gemacht • Kann man dem Teufelskreis von Negativerwartungen und –zuschreibungen entrinnen? • Herstellung von Gleichheit ist teils illusorisch • Metakommunikation (= Ansprechen der Verständigungsschwierigkeiten) als mögliche Lösung

6. Probleme in multikulturellen Fachkollegien • Migranten werden oft in eine Außenseiterposition gerückt • Ausländische Kollegen/innen haben kein Vertrauen in ihren Gesprächspartner (Vgl.

Anderson) • mögliche Faktoren: Machtasymmetrie („Dominanzkultur“), Fremdbilder, kollektive

Erfahrungen

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7. Was heißt interkulturelle Kompetenz? • Wie kann das Wissen über fremde Kulturmuster zur Verbesserung der Kommunikation

beitragen? • in multikulturellen Gesellschaften ist statt Kulturwissen mehr die Fähigkeit gefragt, kulturelle

Bedeutungen und Verhaltenserwartungen auszuhandeln oder kooperativ zu erschließen • „kulturelle Deutungen sollten einen Hypothesenstatus haben“ (Gaitanides) • hilfreich für interkulturelle Kompetenz ist zB, sich auf eine fremde Kultur einzulassen sowie

Sensibilität/Empathie für die Beziehungsseite der Kommunikation • Bsp: man muss berücksichtigen, dass Diskriminierungserfahrungen problematische

Reaktionsweisen nahelegen, ohne voreilig negative Stereotype bestätigt zu finden • oft in pädagogischen Feldern: interkulturelle Dialoge über differente Werte, Normen und

Verhaltensmuster (zB Geschlechterrollen, Erziehungsvorstellungen) o dem Dialogpartner muss Anerkennung seiner Person und Haltung signalisiert werden o man muss auch bereit sein, den eigenen Standpunkt zu überprüfen (auch durch

Supervision möglich)

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Alois Moosmüller (2007): Interkulturelle Kommunikation aus ethnologischer Sicht • Interkulturelle Kommunikation entstand in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg • Edward T. Hall gilt als Begründer • IK = Kulturanthropologie mit Beimengungen aus der Psychoanalyse und der Linguistik • Zentraler Gegenstand = Kulturelle Differenz

1. Reisender – Fremder – Grenzgänger • Herodot als „der erste Ethnologe“

daraus destillierte Greenblatt 3 „Diskursprinzipien“: 1. Erkenntnisgewinn durch Reisen 2. Ethnograph als Augenzeuge 3. Deutung des Fremden aus der eigenen Perspektive

• Ethnologen als auch Interkulturalisten (=eine Person, die sich professionell mit dem Thema Interkulturalität oder interkulturelle Kommunikation beschäftigt) gelten als „Fremde“ (= potenziell Wandernde, Reisende, Grenzgänger, bindungslos, objektiv, an keine Festgelegtheiten gebunden, erleben alles wie aus der Vogelperspektive [Perspektivenwechsel betrifft v.a. Interkulturalisten wenn sie eine Mittlerrolle einnehmen])

• Interkulturalisten wollen verstehen, wie Menschen, die „zwischen den Kulturen“ leben oder zwischen Kulturen wechseln, ihre Welt konzeptualisieren und gestalten; warum errichten Menschen ständig neue Grenzen und halten an mentale Barrieren fest?

• Interkulturalisten = „Ethnographen des Umgangs mit kultureller Differenz“ • bei internationalen Beziehungen gehe es ausschließlich um Business, Politik, abstrakte Interessen;

Thema Mensch/Menschlichkeit sind bedeutungslos (aus 1975) • zentrales Anliegen der IK: „Kultursensibilisierung“ – die Reflexion der eigenen kulturellen

Prägungen, die anhand praktischer Vorfälle geschildert wird und daraus exemplarisch allgemeine kulturelle Unterschiede und Strategien herausgearbeitet werden

2. Globalisierung • Globalisierung bedeutet die (prinzipielle) Verfügbarkeit von weltweit verbreiteten kulturellen

Elementen • „study sideways“-Herangehen nach Hannerz, Darstellung der „Welt der internationalen

Korrespondenten“; Hannerz sucht nach Ähnlichkeiten in den Lebens- und Berufssituationen der Korrespondenten („anthropology of globalisation“)

• Migrationsforschung als bedeutendes Thema transnationaler Prozesse, nicht „roots“ sondern „routes“ (Clifford 1997) sind bedeutsam

• Unterscheidung zwischen privilegierten (= Elitemigranten) und nicht-privilegierten Migranten (= „ethnische Migranten“, die mit ihrer provozierenden kulturellen Andersheit den Wandel der Residenzgesellschaft anstacheln)

• Zuwanderer assimilieren sich nicht, sondern erhalten langfristig ihre Herkunftsgesellschaft • dadurch nimmt die Bedeutung transnationaler sozialer Räume (= zB multinationale

Organisationen) weiter zu – führt zur Herausbildung von komplementären Strukturen zum Nationalstaat

• Gefahr besteht bei globalen Unternehmen eher im „Sameing“ (= Individuen wird abgesprochen, kulturell geprägt zu sein) als im „Othering“ (= Zuschreibung von kulturellen Merkmalen)

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3. Kultur und Praxis • das Konzept von „Kultur“ werde von Nicht-Anthropologen missbraucht • kulturelle Modelle haben eine zugleich extrinsische und intrinsische Existenzweise, sie sind soziale

Artefakte und kognitive Repräsentationen; psychische Diversität sei erforderlich

4. Kulturelle Andersheit • Geertz (1990) charakterisiert 3 prototypische Verstehenszugänge zu fremden Kulturen:

1. alles folgt derselben Logik (nach Evans-Pritchard) 2. aus den Augen der Eingeborenen (nach Malinowski) 3. das Fremde als Kritik an der eigenen Gesellschaft (nach Ruth Benedict)

(2. und 3. gilt auch für die IK, 1. nur sehr eingeschränkt) • IK beschäftigt sich kaum mit „fernen“ fremden (zB schriftlosen) Kulturen, sondern vorwiegen d

mit den „nahen“ fremden Kulturen moderner, industrialisierter Gesellschaften, mit denen es viele direkte (ökonomische, politische, informationsbezogene, etc.) Kontaktmöglichkeiten gibt

• Grundannahmen der IK gleichen der der Ethnologie: Alle Menschen sind vernunftbegabte Wesen, denen zur Lösung der überall gleichen menschlichen Grundprobleme begrenzte Mittel zur Verfügung stehen

• auch kulturrelativistische Grundüberzeugungen sind in der IK vorherrschend • IK beschäftigt sich mit kulturellen Überschneidungsbereichen und den darin handelnden

Individuen und Gruppen • IK will nur in konkreten Situationen alternative Handlungsmöglichkeiten aufzeigen • Malinowskis „from the native’s point of view” (2. Punkt)in der IK von Bedeutung:

o Fragen der Perspektivität (Perspektivenwechsel, emische Perspektive, etc.) – Lernen und Persönlichkeitsentwicklung, das Verstehen einer anderen Kultur beinhaltet immer auch das Verstehen des Eigenen

o Kernidee der IK könnte somit als das Streben nach Selbstvervollkommung durch die Begegnung mit dem kulturell Anderen formuliert werden

• weiteres Verstehensprinzip: das „kulturell Andere“ ist zugleich Konstrukt und Gegebenes • Multikulturalität in internationalen Organisationen wird immer wichtiger (Stichworte „kulturelle

Vielfalt“, „Diversität“, „interkulturelle Kompetenz“) • in der IK steht die Person des Feldforschers um vieles stärker im Vordergrund als in

Untersuchungsmethoden anderer Fächer • seit den 1950er Jahren bis heute steht das Thema Anpassung von „Elitemigranten“ bzw.

sojourners an die Kultur des Gastlandes im Mittelpunkt, es bildet gewissermaßen den Kern der Identität des Fachs IK (Anderson, Church, Okazaki-Luff)

• der Begriff „Kulturschock“ wird in der IK als notwendige Erfahrung gesehen, die jeden Anpassungsprozess belgeitet und eine erfolgreiche Anpassung überhaupt erst ermöglicht

5. Schlussbemerkung • Ethnologen beschreiben die Welt, Interkulturalisten wollen sie verbessern • es wird davon ausgegangen, dass kulturelle Besonderheiten im Moment der interkulturellen

Interaktionssituation nicht hintergehbar sind, weshalb die Akteure ihre jeweilige kulturelle Andersheit uneingeschränkt respektieren müssen

• Ethnologen und Interkulturalisten sind ständig mit der Reduktion kultureller Vielfalt konfrontiert (durch Standardisierungen und oberflächlichen Kosmopolitismus)

• zentrale Themen: Migration und Multikulturalität – IK untersucht „Migration von oben“ (Fokus auf die Befindlichkeit einzelner Elitemigranten) bzw. in den oberen sozialen Schichten (Ethnologie jedoch „von unten“)

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4 Aspekte der Konzeptualisierung von Kultur (der Mensch wird als Kulturwesen gesehen), die Ethnologen und Interkulturalisten unterschiedlich wahrnehmen:

Ethnologen Interkulturalisten 1. Kultur = Prozess, Frage nach dem Werden = Gegebenes, Frage nach dem Wirken

2. Reichweite und

Abgrenzung der Kategorie

Kultur

Beschäftigung mit lokalen Kulturen, deren Reichweite eher gering ist, unscharfe Abgrenzung von anderen Kulturen

Beschäftigung mit nationalen Kulturen, denen eine große Reichweite und eine scharfe Abgrenzung zu anderen (nationalen) Kulturen (mittels Staatsgrenzen) zugeschreiben wird

3. „Kultur“ = heuristisches Mittel = reale, isolierbare Einheit, die sich wie bei Hofstede messen lässt

4. Herausarbeitung von Abweichungen und Besonderheiten kultureller Systeme

ein Finden allgemeiner Standards und Regeln

• IK hat 2 komplementäre Grundorientierungen: eine szientistische und eine verstehende • wichtige Themen bezüglich der verstehenden Seite (Meinung des Autors):

o Beschreibung und Analyse interkultureller Handlungen aus der Perspektive der Akteure o Wie entstehen transnationale soziale Räume/Diasporagemeinden? o Gestaltung des Alltagslebens von Elitemigranten (= Diplomaten, Geschäftleute,

Wissenschaftler, Peace-Corps-Mitarbeiter) in transnationalen Räumen? o Erzählforschung und Assmanns Modell des kommunikativen Gedächtnisses o stärkere Beachtung der Methoden ethnographischer Organisationsforschung

• IK ist v.a. in Europa nur ein neues Spezialgebiet der Ethnologie (nicht so in den USA)

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Breidenbach, Joana; Nyiri, Pal (2001): Interkulturelle Kompetenz als Business

Aufgrund von Globalisierung wird von Mitarbeitern größerer Firmen erwartet, dass sie sich überall auf der Welt gesellschaftlich zurechtfinden -> Interkulturelle Trainings immer beliebter (Hall als der Erste, der solche Trainings in den 50ern anbietet). Kulturelle Kompetenz gilt heute als Schlüsselqualifikation, da (so sagen zumindest die Anbieter der Trainings) sonst für Firma teuer, da in anderer Kultur sonst nicht lebensfähig -> Abbruch des Aufenthaltes. Die einzig wirklich durchgeführte Studie zu diesem Thema gibt dem aber nur bedingt Recht. Kulturspezifische Setzkästen (a la Hofstede) aber in immer globalisierteren Welt nicht mehr brauchbar, da Kulturen nicht klar voneinander abgegrenzt werden können. Überall auf der Welt werden die gleichen Produkte konsumiert, aber kulturell unterschiedlich interpretiert -> Herkunft ist einer von vielen Bausteinen für kulturelles Verständnis. Auch geografischer Standort immer unwichtiger für kulturelle Identität. Vielzahl der angebotenen Trainings sehr banal und von Stereotypen geprägt -> Unterschiede nicht Gemeinsamkeiten werden betont. Probleme:

- Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse kommen immer erst ca. zehn Jahre später im Mainstream an.

- Einfache erlernbare Konzepte von Kultur verkaufen sich besser als die zum Teil widersprüchliche Realität

Auswirkungen: - Die chinesische Regierung benutzt diese Stereotypen über das eigene Volk (fleißig,

familienorientiert) um ihre Politik zu rechtfertigen (Rückbau der Sozialsysteme, nur schlaue Menschen dürfen sich fortpflanzen).

- Konstruktive Zusammenarbeit mit autoritären Regimen: Menschenrechtsverletzungen werden akzeptiert, da Länder nicht mit westlichen Standards gemessen werden können.

Wirkung interkultureller Trainings wurde nie bewiesen, eher im Gegenteil, da sie dazu führen, dass das Gegenüber in Schablonen gepresst wird und ihm der eigene Wille aberkannt wird. Interkulturelle Kommunikation ist demnach die Fähigkeit zuzuhören und die Bedürfnisse des Gegenübers zu erkennen und darauf eingehen zu können, ohne ihm mit vorgefertigten Lösungen die Fähigkeit zum strategischen Handeln abzuerkennen. Reaktionen auf Breidenbach und Nyiri

- Brinkmann, Ursula; van Weerdenburg, Oscan: Bedeutung von Kulturmodellen sehr hoch, da sie allgemeingültige Schlüsse

zulassen und nicht nur Einzelfallanalysen darstellen -> müssen allerdings an Zeit angepasst werden

The proof of the pudding: Es bedarf guter und sensibler Trainer, welche kulturelle Heterogenität zu vermitteln vermögen. Trainings sind dazu da die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Training dient als Anstoß zur persönlichen Entwicklung

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Gefahr der Hierarchisierung von Kulturen. Trainer darf nicht nur dazu aufrufen den Gegenüber als logisch Handelnden wahrzunehmen sondern ins seiner sozialen Identität ebenbürtig. Training soll also eine ethnorelative Einstellung (Akzeptanz / Kognitive Adaption / Verhaltensadaption) vermitteln statt ethnozentrisch (Leugnung / Abwehr / Minimierung). -> Bennettsches Modell zur Gestaltung von Seminaren.

Bereidenbach und Nyiri versäumen es die Bedeutung von Kulturunterschieden zu definieren.

Gesamt: Guter Artikel von Breidenbach und Nyiri allerdings keine aktuelle Forschung berücksichtigt.

- Thomas, Alexander: Sehr enttäuscht von Artikel -> Ethnologie für diese Thematik nicht zu gebrauchen. Zufriedenstellende Lösung in Bezug auf kulturelle Trainings noch nicht gefunden. Artikel stellt auch keine Lösung bereit. Verriss von kulturellen Trainings nützt keinem. Vorwurf, dass zitierte Arbeiten nicht gelesen wurden. Sehr rauer Ton im gesamten Brief

Antwort Breidenbach und Nyiri: „Kultur“ als Begriff heute auch oft mit „Rasse“ zu ersetzen, da sehr statisch

wahrgenommen. Kulturelle Unterschiede immer situationsabhängig Beispiel von Chinesen in Ungarn: Selbstdarstellung in Medien ≠ realem Verhalten

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TEXT 4 Jelena Andrejevski

Stephanie Rathje (2006): Interkulturelle Kompetenz – Zustand und Zukunft eines umstrittenen Konzepts Der Artikel beschreibt den Forschungsstand zum Konzept Interkulturelle Kompetenz anhand der Darstellung und Bewertung des Spektrums unterschiedlicher Definitionsansätze in der deutschsprachigen Debatte. Hierzu wird exemplarisch die Diskussion um einen Überblicksartikel zum Thema interkulturelle Kompetenz des Psychologen Alexander Thomas Einleitung In den letzten fünfzig Jahren hat sich der Forschungsgegenstand interkulturelle Kompetenz kontinuierlich verändert. Schon der amerikanische Sozialpsychologe Gardner hat als einer der ersten im Jahre 1962 interkulturelle Kompetenz formuliert, indem er beschreibt, dass „universal communicators“, also Individuen, besondere interkultureller Kommunikationsfähigkeit enthalten sollen in Kombination mit Persönlichkeitseigenschaften wie Integrität und Stabilität, Extrovertiertheit, eine an universellen Werten ausgerichtete Sozialisation sowie besondere telepathische bzw. intuitive Fähigkeiten. Die Beobachtungen zeigen, dass Menschen heutzutage besser mit Interkulturalität umgehen können als andere Wissenschaftler und Praktiker aus unterschiedlichen Fachgebieten. Heutige zahlreiche Modelle zeigen hiermit den Überblick der Diskussion zur Beschreibung und Entwicklung der interkulturellen Kompetenz, die aber auch voneinander abgrenzen können. Es gibt Ansätze, wo relevante Teilkompetenzen aufgelistet werden laut Gardner, aber auch Strukturmodelle, die Einzelfähigkeit einer bestimmten Dimension zugeordnet werden und als systematisch-prozessual verstanden werden. Es gibt also auf das Individuum bezogene Ansätze die erforscht werden, aber auch unterschiedliche interaktionistische Modelle, die neben der Kompetenz des Einzelnen, die Aspekte der Wechselwirkung zwischen den Interagierenden in den Vordergrund stellen. Dadurch, dass bislang noch kein Modell als unisono akzeptiert werden konnte, aufgrund Definitionsunterschiede des Konzepts sowie die Multidisziplinarität der Debatte, soll diese Analyse zur Beschreibung des Forschungsgegenstandes auch zur Weiterentwicklung der Definition interkultureller Kompetenz dienen. Sie soll aus ihren Wurzeln der Problematik heraus zum Versuch der Darstellung und Bewertung unterschiedlichen Definitionsansätzen geleitet werden.

- Ziel interkultureller Kompetenz: Was bewirkt interkulturelle Kompetenz, wofür ist sie gut?

- Generik/Spezifik interkultureller Kompetenz: Ist interkulturelle Kompetenz eher eine kulturspezifische Kompetenz oder eine universelle Schlüsselkompetenz?

- Anwendungsgebiet interkultureller Kompetenz: In welchen Situationen wird interkulturelle Kompetenz relevant/ gebraucht?

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TEXT 4 Jelena Andrejevski

- Kulturbegriff: Welches Verständnis von Kultur liegt dem Konzept interkultureller Kompetenz zugrunde?

2.1 Streitpunkt: Ziel interkultureller Kompetenz Effizienz, ein Stichwort, der auf der einen Seite als Gelingen und Produktivität einer interkulturellen Interaktion abgeleitet wird und interkulturelle Kompetenz dementsprechend als Erfolgsinstrument positioniert wird. Auf der anderen Seite wird der Effizienz-Ansatz, Manipulationsvorwürfen ausgesetzt. Kritiker erblicken in einer an Effizienz-Gesichtspunkten ausgerichteten Definition interkultureller Kompetenz die Gefahr der Instrumentalisierung interkultureller Kompetenz zur Durchsetzung eigener Vorteile, bzw. der Vorteile des jeweils mächtiger Interaktionspartners. Zieldefinitionen interkultureller Kompetenz, beziehen Effizienz-Kriterien mit ein. Interkulturelle Kompetenz wird zum einen damit moralisch haftbar für sämtliche, auch negative Folgen einer interkulturellen Interaktion. Zum anderen bleiben die zahlreichen Rahmenbedingungen, die für den wie auch immer definierten Erfolg einer interkulturellen Interaktion ausschlaggebend sein können -> Verhandlungssituation. 2.2 Streitpunkt: Generik/Spezifik interkulturelle Kompetenz Zur Frage der Generalisierbarkeit interkultureller Kompetenz, führt die Analyse zu einem großen Spektrum unterschiedlicher Standpunkte, indem die Vorstellung als rein kulturspezifische Kompetenz bis hin zur maximalen Ausdehnung auf sämtliche Sozial- und Handlungskompetenzen reicht. Kulturspezifische Kompetenz In dem Moment wo interkulturelle Kompetenz mit spezifischer Kulturkompetenz gleichgesetzt wird, macht das Konzept interkulturelle Kompetenz mit einem Schlag obsolet, da dann, beispielsweise in Bezug auf Nationalkulturen, nur noch von einer Schweiz-Kompetenz oder USA-Kompetenz gesprochen werden könnte. Dies wiederlegt jedoch die Beobachtung, da bestimmte Menschen mit Fremdheitserfahrung in unterschiedlichen Kontexten leichter umgehen können als andere, also ein Umstand der, überhaupt erst zur Entstehung des Konzepts geführt hat. Kulturübergreifende Kompetenz In dieser Vorstellung von interkultureller Kompetenz als universell, nicht an einen bestimmten Zielkulturraum gebundene Kompetenz zu sehen, wird mit dem Ziel menschlicher Weiterentwicklung verknüpft. In Hinblick auf die allgemeinen Fremdheitserfahrungen, die das Konzept der Kompetenz sinnvoll verbreitert, fehlt eine konkrete Definition was jeweils unter der angesprochenen „Verarbeitung“ oder einem „vernünftigen Umgang“ zu verstehen sei. Allgemeine Sozialkompetenz

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TEXT 4 Jelena Andrejevski

Im Gegensatz zu den Ansätzen, die interkulturelle Kompetenz als allgemeine Fähigkeit der Fremdheitsverarbeitung zu definieren, versuchen stärker auf Handlungsziele ausgerichtete Vorschläge die zur interkulturellen Kompetenz notwendigen Teilkompetenzen zu identifizieren. Eine Zusammenfassung dieser Teilkompetenzen erfolgt häufig in Form von eingangs beschriebenen Listen bzw. Strukturmodellen. Die Analyse dieser Modelle führ dann fast zwangsläufig zur Erkenntnis, dass, Fremdsprachen- und Landeskenntnisse einmal ausgenommen, die resultierende Zusammenstellung den Teilkompetenzen einer allgemeinen Sozialkompetenz weitgehen ähnelt(Rathje Stephanie, Interkulturelle Kompetenz). Transferfähigkeit allgemeiner Handlungskompetenz Durch die Zieldefinition der interkulturellen Kompetenz, entstehen Ansätze der Handlungskompetenz und sozialen Teilkompetenz, die zur Transferfähigkeit allgemeiner Handlungskompetenz im interkulturellen Kontext führt. Nach Bolten, versteht sich interkulturelle Kompetenz als „generelle Handlungskompetenz mit ‚interkulturellen Vorzeichen’“, wo sich die Frage stellt, ob „genuin ‚interkulturelle’“ Teilkompetenz überhaupt ergibt. Beispielsweise, wenn jemanden fachliche Kompetenz in einem Bereich fehlt, dadurch erfolglos ist, obwohl er möglicherweise über die notwendige Kompetenz der Fremdheitsbewältigung verfügt. Wenn interkulturelle Kompetenz als Mittel zur Erreichung bestimmter Handlungsziele definiert wird, dann muss interkulturelle Kompetenz folgerichtig zur Transferfähigkeit allgemeiner Handlungskompetenz werden, da der Erfolg interkulturelle Interaktion selbstverständlich von allen möglichen Handlungskompetenzen abhängt. 2.3 Anwendungsgebiet interkultureller Kompetenz In welcher Art von menschlicher Interaktion interkulturelle Kompetenz relevant wird, lässt sich die Diskussion zwischen zwei Extrempunkte festlegen, einerseits der Interaktion zwischen zwei Individuen, aus unterschiedlichen Nationen bzw. Gesellschaften, andererseits die Interaktion zwischen Individuen aus unterschiedlichen Gruppen. Ansätze der internationalen Interaktion zwischen zwei Individuen aus unterschiedlichen Kulturen, stellen im Prinzip nach dem klassischen Muster die Repräsentation des Herkunftslandes des Individuums. Durch die Reduktion der Problematik der interkulturellen Kompetenz auf internationaler Ebene, ist diese Form der Interkulturalität dem subjektiven Empfinden nach häufig mit dem höchsten Grad an Fremdheitserfahrung assoziiert. Inter-kollektive Interaktion, kann man als Spezialfall sehen. Viele Autoren und Autorinnen verweisen auf unterschiedliche Ebenen von Kultur innerhalb von Nationalkulturen und allgemein kann man sagen, dass die interkulturelle Kompetenz als Interaktion zwischen Individuen aus unterschiedlichen Gruppen oder Kollektiven definiert werden kann. 2.4 Streitpunkt: Kulturbegriff Was wird eigentlich unter Kultur verstanden, wenn es um interkulturelle Kompetenz geht?

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TEXT 4 Jelena Andrejevski

Kohärenzorientierung Unter dem Stichwort Kohärenzorientierung lassen sich traditionelle Ansätze im Kulturverständnis zusammenfassen. Kultur wird in dem Sinne als ein komplexes System gesehen, das sich durch die Globalisierung und Mobilisierung nicht als universell erklären lassen kann. Im Hinblick auf das Konzept interkultureller Kompetenz empfiehlt sich daher ein Kulturbegriff, der die Widersprüchlichkeit von Kulturen explizit berücksichtigt und in das Verständnis interkultureller Interaktion integriert. Differenzorientierung Differenzorientierung wird insofern definiert, als die Differenzierung von Kulturen in ihrer strukturellen Einheitlichkeit. Daher sind Kulturen in sich heterogen und hybrid. Es gibt keine schlüssigen Erklärungen für den offensichtlichen Zusammenhalt von Kulturen, der gerade für die Untersuchung interkultureller Kompetenz wichtig ist. In der Erforschung der kulturellen Kompetenz, ist es also nicht möglich, den Kulturbegriff ohne ihren Zusammenhalt durch Differenzen zu sehen. 3. Zukunft: Vorschlag zur Weiterentwicklung des Konzepts interkultureller Kompetenz hinsichtlich der Weiterentwicklung des Konzepts der interkulturellen Kommunikation, soll die Erklärung des Zusammenhalts von Kulturen, trotz Differenz übermittelt und verstehen werden. Kulturen existieren innerhalb menschlicher Kollektive, daher gemeinschaftlich. In allen komplexeren Kollektiven herrscht „nicht nur Vielfalt, sondern Diversität, Heterogenität, Divergenzen und Widersprüche“ (Hansen 2000: 182). Differenz wird so zur Grundlage für die Erzeugung des Individuellen. Ausschlaggebend für das Zusammenhalten von Kulturen ist nicht die Kohärenz und der Zusammenhalt der an Homogenität geknüpft ist, sondern der Kohäsion, aus der Bekanntheit von Differenzen und an Normalitätserzeugung über Bekanntmachung von Differenzen. Der Anwendungsfall der Interkulturalität wird also nicht durch Homogenität bestimmt, sondern vor allem durch Bekanntheit von Differenzen. Daher zeichnet sich Interkulturalität durch Unbekanntheit, bzw. Fremdheit von Differenzen aus. Interkulturelle Interaktion als Anwendungsgebiet interkultureller Kompetenz muss dann als Interaktion zwischen Individuen aus unterschiedlichen Kollektiven aufgefasst werden, die aufgrund mangelnder Bekannt des jeweiligen Differenzspektrums Fremdheitserfahrung machen. Es werden also unbekannte Differenzen zu bekannten gemacht und wird dementsprechend als Entstehung von Kultur gesehen. Interkulturelle Kompetenz kann also als Fähigkeit betrachtet werden, die durch Fremdheit gekennzeichnete Interkultur in Kultur umzuwandeln, indem über Normalität Kohäsion erzeugt wird. Je nach Handlungsziel der Interaktionspartner, wird interkulturelle Kompetenz als Grundlage für Kommunikationsfortschreibung, weitere Interaktionen, weitere Zusammenarbeit oder weiteres Zusammenleben verschafft.

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SEN Amartya. Die Identitätsfalle. Nadine Gabron

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TEXT 5

SEN Amartya. 2007. Die Identitätsfalle: Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München: C.H.Beck, 33-53

2. Kapitel: Was heißt Identität? * Identität wird nicht nur aus den Aspekten der Geschichte und Herkunft gebildet. * Es gibt viele Kategorien, denen man gleichzeitig angehören kann. * Zugehörigkeitskategorien können je nach Umständen fesseln und bewegen und sind vom jeweiligen Kontext abhängig * Identitäten sind entschieden plural und die Wichtigkeit einer Identität, muss nicht die Wichtigkeit einer anderen zunichtemachen – man muss explizit oder implizit entscheiden welche relative Bedeutung man in einem bestimmten Kontext den unterschiedlichen Loyalitäten und Prioritäten beimisst. * Für das Leben in einer Gesellschaft kann es wichtig sein, sich auf die eine oder andere Weise mit anderen zu identifizieren. * In der Gesellschafts- und Wirtschaftsanalyse gibt es zwei Arten von Reduktionismus: a) Missachtung der Identität - Der Einfluss eines Gefühls der Identität mit anderen auf das, was wir schätzen und wie wir uns verhalten, ignoriert oder vernachlässigt wird. - Mag. John Donne: „Kein Mensch ist eine Insel, in sich selbst vollständig“. b) Singuläre Zugehörigkeit - Annahme, dass der Mensch praktisch nur einem Kollektiv angehöre. - In Wirklichkeit gehört der Mensch durch Geburt, Vereinigung und Bündnisse vielen verschiedenen Gruppen an. - Jede Gruppenzugehörigkeit kann dem Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit und Loyalität vermitteln.

* Die Aufforderung, von allen Zugehörigkeiten und Loyalitäten außer jenen abzusehen, die von einer einzigen beschränkten Identität ausgehen, kann sehr in die Irre führen und ebenfalls zu sozialen Spannungen und Gewalt beitragen.

Missachtung der Identität und der rationale Narr * Vielen modernen Ökonomen erschien die Annahme, der Mensch sei nur auf sein eigenes Interesse bedacht, offenbar ganz „natürlich“, und die Merkwürdigkeit dieser Annahme wurde noch durch die Behauptung verschärft, dies sei es, was die „Rationalität“ verlangt.

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SEN Amartya. Die Identitätsfalle. Nadine Gabron

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* Indem sie die vielfältigen Motive von Menschen, die mit unterschiedlichen Zugehörigkeiten und Engagements in einer Gesellschaft leben, vollkommen ignoriert, erklärt diese Skepsis Menschen wie Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa zu riesigen Idioten und den Rest der Menschheit zu kleineren Idioten.

* Den zielstrebigen, eigensüchtigen Menschen nannte man auch „homo oeconomicus“ oder „rationaler Akteur“.

* Wer vollkommen konsequent und vorhersagbar handelt, aber auf Fragen wie „Was soll ich tun?“, „Was soll ich rational wählen?“ oder „Was dient am ehesten meinem Interesse?“ niemals verschiedene Antworten geben kann, darf als „rationaler Narr“ gelten.

* Das Verhalten eines Menschen kann durchaus von andersartigen Erwägungen beherrscht sein, beispielsweise dem Festhalten an Normen eines akzeptablen Benehmens oder seinem Pflichtgefühl.

* Bedeutung der evolutionären Selektion von Verhaltensnormen: Führt eine Identitätsgefühl zum Erfolg der Gruppe und dadurch zur Verbesserung der eigenen Lage, so kann es dazu kommen, dass die identitätsabhängigen Verhaltensformen sich ausbreiten und durch Vererbung gefördert werden. Identitätsgefühle können sowohl bei der reflektierten Wahl als auch bei der evolutionären Selektion bedeutsam sein.

* Die Annahme, auf der die „Missachtung der Identität“ beruht, verdient endlich aus der herausgehobenen Position verdrängt zu werden.

Plurale Zugehörigkeit und soziale Kontexte * Jeder von uns hat in seinem Leben in unterschiedlichen Kontexten an Identitäten vielfältiger Art teil, die sich aus seinem Werdegang, seinen Assoziationen und seinen sozialen Aktivitäten ergeben.

* Tatsächlich gehören wir auf die eine oder andere Weise vielen verschiedenen Gruppen an, und jedes dieser Kollektive kann einem Menschen eine potentiell bedeutsame Identität vermitteln. Wir müssen dann entscheiden, ob eine bestimmte Gruppe, der wir angehören, für uns wichtig ist oder nicht.

* Zwei zusammenhängende Aufgaben des Menschen: entscheiden, welche unserer Identitäten bedeutsam sind und die relative Bedeutung dieser verschiedenen Identitäten abwiegen.

* Karl Marx: Kritik a Programm der deutschen Arbeiterpartei unter anderem dagegen, die Arbeiter „nur“ als Arbeiter zu betrachten und dabei von ihren Unterschieden als Menschen abzusehen.

* Die Bestimmung der relativen Bedeutung von Identitäten ist auch von erheblichen äußeren Einflüssen abhängig und auch vom sozialen Kontext.

* Nicht alle Identitäten müssen von dauerhafter Bedeutung sein, es gibt auch Identitätsgruppen, die von sehr flüchtiger und kontingenter Existenz sein können.

* Ob eine bestimmte Klassifikation plausibel ein Identitätsgefühl erzeugen kann oder nicht, wird von den gesellschaftlichen Umständen abhängen.

* Manchmal kann eine Klassifikation, die intellektuell kaum zu begründen ist, durch gesellschaftliche Arrangements gleichwohl wichtig werden.

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SEN Amartya. Die Identitätsfalle. Nadine Gabron

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* Pierre Bourdieu: gesellschaftliches Handeln kann am Ende „einen Unterschied erzeugen, wo keiner existierte“ und „soziale Magie kann Menschen dadurch verändern, dass sie ihnen sagt, sie seien anders“. Soziale Welt bildet Unterschiede alleine dadurch, dass sie sie benennt.

Kontrastierende und nichtkontrastierende Identität * Die verschiedenen Gruppe können zur selben Kategorie mit derselben Art von Mitgliedschaft oder zu verschiedenen Kategorien gehören. Im ersteren Fall besteht ein Kontrast zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb derselben Kategorie und daher zwischen den verschiedenen Identitäten, mit denen sie verbunden sind. Haben wir es aber mit Gruppen zu tun, die aufgrund unterschiedlicher Kriterien gebildet wurden, dann muss, was die „Zugehörigkeit“ betrifft, kein wirklicher Gegensatz zwischen ihnen bestehen.

* Auch innerhalb kontrastierender Kategorien können wir durchaus mehrere Identitäten haben.

* Der Konflikt zwischen doppelten Loyalitäten muss auch dann, wenn man auf Ausschließlichkeit besteht, nicht verschwinden (Bsp.: Staatsbürgerschaft-en).

Wahlfreiheit und Beschränkungen * Es wird in jedem sozialen Kontext eine Reihe von potentiell praktikablen und relevanten Identitäten geben, die man nach ihrer Annehmbarkeit und relativen Bedeutung bewerten kann.

* In vielen Situationen kann, weil Merkmale wie zum Beispiel Nationalität oder Sprache relevant sind, die Pluralität eine zentrale Bedeutung bekommen.

* Wir treffen permanent Entscheidungen über die unseren verschiedenen Zugehörigkeiten und Verbindungen beizumessende Prioritäten. Oft werden solche Entscheidungen ganz explizit und nach sorgfältiger Abwägung getroffen.

* Die Ansicht der singulären Zugehörigkeit, die besagt, dass die Identität eine Sache der „Entdeckung“ sei, wird möglicherweise durch den Umstand gefördert, dass die Entscheidungen, die wir treffen können, durch praktische Zwänge beschränkt sind.

* Die Beschränkungen können besonders entscheidend sein hinsichtlich des Ausmaßes, n dem wir andere dazu bewegen können, zu akzeptieren, dass wir anders sind, als sie uns sehen wollen.

* An der Identität, welche Angreifer ihren „ethnisch anderen“ Opfern zuschreiben, können diese nichts ändern. Die Freiheit, unsere Identität aus der Sicht andere zu wählen, kann bisweilen außerordentlich beschränkt sein.

* Nichts spricht dafür, dass aus der Anerkennung oder Geltendmachung einer Identität bei praktischen Entscheidungen zwingen Solidarität folgt: das muss weiteren Überlegungen und Prüfungen überlassen bleiben. Die Notwendigkeit der sorgfältigen Abwägung gilt für alle Stadien identitätsbezogenen Denkens und Entscheidens.

Gemeinschaftsidentität und die Möglichkeit der Wahl * Der Vorrang, der auf der eigenen Gemeinschaft beruhenden Identität, wird in der kommunitaristischen Philosophie nachdrücklich vertreten.

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SEN Amartya. Die Identitätsfalle. Nadine Gabron

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* Diese Auffassung räumt nicht nur der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft Vorrang ein, sondern lässt außerdem die Neigung erkennen, die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft als eine Art Erweiterung des eigenen Ichs zu betrachten. * In einigen Versionen des Kommunitarismus wird explizit oder implizit angenommen, die Identität mit der eigenen Gemeinschaft müsse die hauptsächliche oder dominierende Identität sein, die jemand hat.

Zwei Überlegungen dazu: 1. Eine Person hat keinen Zugang zu anderen, von der eigenen Gemeinschaft unabhängigen Identitätsvorstellungen und zu anderen Auffassungen von Identität. 2. Identität sei ohnehin eine Sache der Entdeckung und die Gemeinschaftsidentität werde stets als die von höchster Bedeutung anerkannt.

* Die Behauptung einer unüberbrückbaren Kluft dient zuweilen einem politischen Zweck, so etwa, wenn bestimmte Sitten und Traditionen verteidigt werden (z.B. Ungleichbehandlung von Frauen). Hier beharrt man darauf, die große Welt in kleine Inseln aufzuteilen, die geistig füreinander unerreichbar sind.

* Die Möglichkeit der Wahlfreiheit und der vernünftigen Reflexion über die Identität wird nicht auf plausible Weise in Zweifel gezogen oder gar beseitigt.

Zwei Gründe dafür: 1. Grundlegende kulturelle Einstellungen und Anschauungen mögen zwar die Art unseres Denkens beeinflussen, aber das heißt nicht, dass sie diese vollständig determinieren. 2. Die sogenannten Kulturen müssen nicht einen einzigen Komplex von Einstellungen und Anschauungen besitzen, die unser Denken zu beeinflussen vermögen. Viele dieser „Kulturen“ weisen beträchtliche innere Variationen auf.

* Die Alternative zur „Entdeckungs“-These besteht nicht in der freien Wahl zwischen Positionen, die von jeglicher Identität unbelastet sind, sondern in Wahlmöglichkeiten, die ungeachtet, der belasteten Position, die man gerade einnimmt, weiterhin gegeben sind.

Prioritäten und Vernunft * Neben dem „Entdecken“ unserer Identität, können wir diese aber auch erwerben oder verdienen.

* Wir sind nicht in dem Maße in unsere vorgefundenen Standorte und Zugehörigkeiten eingesperrt, wie es die Verfechter der Entdeckungs-These der Identität anzunehmen scheinen.

* Der wohl stärkste Grund an der Entdeckungs-These zu zweifeln ist der Umstand, dass wir uns auch innerhalb unserer vorgefundenen Standorte auf unterschiedliche Weise identifizieren.

* Der strittige Punkt ist nicht, ob wir eine beliebige Identität wählen können, sondern ob wir tatsächlich zwischen alternativen Identitäten oder Kombinationen von Identitäten wählen können und ob wir, was vielleicht noch wichtiger ist, wirklich frei sind hinsichtlich der Priorität, die wir unseren verschiedenen Identitäten geben.

* Auch wenn der Mensch etwas sehr Wichtiges über sich entdeckt, gibt es immer noch Fragen, in denen er entscheiden muss.

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SEN Amartya. Die Identitätsfalle. Nadine Gabron

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* Wichtige Entscheidungen müssen auch dann getroffen werden, wenn man bedeutsame Entdeckungen gemacht hat.

SEN Amartya. 2007. Die Identitätsfalle: Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München: C.H.Beck, 179-193

9.Kapitel: Freiheit zu denken

* 1944: Zusammenstöße zwischen Hindus und Muslime – Weg zur Aufteilung des Landes in Indien und Pakistan. Menschen wurden auf eine einzige Identität reduziert: religiöse Zugehörigkeit.

* Die beiden Opfer hatten eine ganz unterschiedliche Gemeinschafts-Identität, aber in ihrer Klassen Identität (z.B. arme Arbeiter) stimmten sie überein. In diesen Tagen war jedoch nur der Unterschied zwischen den Identitäten aufgrund von religiöser Zugehörigkeit (unabhängig davon ob man religiös war oder nicht) von Bedeutung.

* Wenige Jahre später: Patriotismus – der Reichtum der gemeinsamen bengalischen Kultur wurde gefeiert.

* 1971: Teilung Pakistans und Bildung des neuen, säkularen und demokratischen Staates Bangladesh.

* 1971: Blutbad in Dhaka – diesmal schieden sich die Identitäten an Sprache und politischer Haltung.

Die Kultivierung der Gewalt * Die grobe Brutalität beruht auch auf einer Begriffsverwirrung bezüglich der Identitäten der Menschen, die aus vieldimensionalen Menschen eindimensionale Kreaturen macht.

* Ogden Nash: „Any kiddie in school can love like a fool, but hating, mx box, is an art“

* Diejenigen, die Verfolgung und Gemetzel befehligen, kultivieren geschickt die Illusion der singulären Identität, die ihren gewalttätigen Absichten dienlich ist.

* Der Trick, jemanden unter dem Aspekt nur einer seiner zahlreichen Identitäten zu kategorisieren, ist geistig sehr primitiv, aber offenbar wirkungsvoll und demnach eine leicht zu handhabende Täuschung.

* Man sondert die Gruppe, die angegriffen werden soll, unter dem Aspekt der einen Identität aus und erklärt, diese Identität selektiv und hetzerisch hervorhebend, die übrigen Verbindungen und Zugehörigkeiten für unwesentlich. Das Kultivieren von Gewalt stützt sich auf niedrige Instinkte und nützt sie aus.

* Um ein Mordinstrument zu schaffen, wird die Bedeutung aller übrigen Zugehörigkeiten ignoriert und die Anforderungen einer „einzigen“ Identität in besonders aggressiver Weise umdefiniert.

Die niederträchtige Wirkung einer hohen Theorie * Einflussreiche hohe Theorien über Kulturen und Zivilisationen steckt die Menschen in Schubladen einer singulären Identität.

* Menschen werden nicht als Personen mit vielfältigen Identitäten begriffen, sondern vor allem als Mitglieder einer bestimmten sozialen Gruppe oder Gemeinschaft.

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SEN Amartya. Die Identitätsfalle. Nadine Gabron

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Nachteile der solitaristischen Illusion * Die solitaristische Reduktion der menschlichen Identität hat weitreichende Folgen, wie zum Beispiel den Hader zwischen Gemeinschaften zu schüren.

* Theorien können Einfluss auf das allgemeine Denken, das politische Handeln und die staatliche Politik haben, wobei eben singuläre Identitäten Entzweiung hervorrufen kann.

* Beispiel für künstlich geschürte Gewalt ist zum Beispiel die fälschliche Bezeichnung „islamischer Terrorismus“.

* Weil sich der Irak aus der Sicht der Vereinigten Staaten als eine Gesamtheit, nicht von Bürgern, sondern von Religionsgemeinschaften darstellte, ging es in fast allen Verhandlungen um Entscheidungen und Äußerungen der Führer dieser Gemeinschaften.

* Es kommt entscheidend darauf an, die Pluralität der irakischen Identitäten zu berücksichtigen, also neben Religion auch das Geschlecht und die Klasse.

Die Rolle der globalen Stimmen * Die solitaristische Illusion hat auch Folgen für die Wahrnehmung globaler Identitäten.

* Überlegungen und Entscheidungen bei der Bestimmung unserer Prioritäten müssen nicht zwangsläufig diese Entweder-oder-Form haben.

* Die Nöte der Schwachen und Unsicheren müssen an verschiedenen Fronten angegangen werden. Notwendige Schritte auf nationaler Ebene sind ebenso erforderlich wie internationale Initiativen und Reformen. Dies würde auch zu mehr Sicherheit beitragen und die Anwerbung von künftigen Terroristen erschweren.

* Die „westliche Kultur“ ist in vielen Grundzügen von Beiträgen aus anderen Ländern rings um den Globus geprägt. Kultur- und Zivilisations-Theorien vermitteln den antiwestlichen Bewegungen einen falschen Eindruck der Getrenntheit und des Konflikts, der dazu beiträgt, Menschen entlang einer künstlichen Scheidelinie zwischen „Westen“ und „Antiwesten“ zu entzweien.

Eine mögliche Welt * Die Möglichkeit einer globalen Demokratie muss man nicht unbegrenzt auf Eis legen, wenn man unter Demokratie einen öffentlichen Diskurs und eine weltweite Diskussion über globale Probleme starten würde.

* Initiativen besorgter Bürger, die eine stärkere Beachtung globaler Gerechtigkeit verlangen, beschäftigen sich mit höchst relevanten Fragen und tragen daher konstruktiv zum öffentlichen Diskurs bei.

* Man muss heute nicht nur nach den ökonomischen und politischen Bedingungen der Globalisierung fragen, sondern auch nach den Werten, der Ethik und dem Zugehörigkeitsgefühl, die unsere Wahrnehmung der globalen Welt prägen..

* Die Beschäftigung mit diesen Problemen verlangt bei einem nicht-solitaristischen Verständnis menschlicher Identität nicht unbedingt, dass wir unsere nationalen Bindungen und lokalen Loyalitäten durch ein globales Zugehörigkeitsgefühl ersetzen. Man kann der globalen Identität nach und nach das Ihre zukommen lassen, ohne seine anderen Identitäten zu beseitigen.

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TEXT 6

Baumann, Gerd (1999):

Culture: Having, Making, or Both? From an Essentialist through a Processual to a Discursive Understanding

Warum ist essentialistisches Kulturverständnis (Kultur als statisch, abgeschlossener Prozess. Meist Nationalität, Ethnizität und Religion als Kultur verstanden) populärer als prozesshaftes Verständnis, obwohl es viele Prozesse nicht erklären kann? Mensch sucht nach Kontinuität und Identität in kultureller Umgebung. -> Essentialistisches Kulturverständnis als gelebte Realität, dennoch lebt jeder mehrere Kulturen. -> Dialektik (essentialistisch = Kultur haben und prozesshaft = Kultur machen).

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TEXT 7

Akhil GUPTA, James FERGUSON: Culture Power Place – Explorations in Critical Anthropology

Beyond „Culture“: Space, Identity and the Politics of Difference

- In Anthropologie: Thema „Raum“ erst in Postmoderne und in Feminist Theory analysiert worden Reevaluation von Kultur und kultureller Differenz durch Raum-Analyse

- Darstellung von Raum in klassischen Sozialwissenschaften: Mit Abbruch/Trennung verbunden: Diskontinuität der Räume Welt: Sammlung von Ländern, welche in unterschiedliche Räume eingeteilt sind (auf Weltkarte durch verschiedene Farben eingeteilt) Jedes Land: eigene Kultur und Gesellschaft ABER: Kulturen und Gesellschaften: müssen sich nicht unbedingt auf einen geographischen Raum beschränken Kultur: in mehreren Nationalstaaten und Multi-Kulti Nationen vorhanden

- Klassische „Ethnographische Weltkarte“: Darstellung einer räumlich abgetrennten Verteilung von Kultur, Gesellschaften, Stämmen Gemeinsame Geschichte, soziale Organisation und kulturelle Differenz Gesellschaftliche Organisation in bestimmtem Raum: abgetrennt von andern Räumen + gesellsch. Organisationen Kulturelle Differenz ZWISCHEN räumlich abgetrennten Gesellschaften

- PROBLEME dieser „isomorphischen Idee“ (Gleichgestaltigkeit) von Raum und Kultur: 1. An nationalen Grenzen wohnende Menschen + Grenzüberschreitende

Menschen: Migranten, Arbeitsmigranten, Exilanten, Nomaden,... Bringen ihre Kultur in neues Land mit (Bsp.: Indische Kultur in England)

2. Kulturelle Differenz INNERHALB einer Gesellschaft/örtlichen Gegebenheit Multikulturalismus, Entwurzelung der Kulturen, Pluralität von Kulturen, Subkulturen neben „Hauptkultur“ Frage: Wie geht man mit kultureller Differenz innerhalb eines Nationalstaates um?!

3. Frage der Postkolonialität: Haben Kolonialmächte „neue Kulturen“ kreiert?! Postkolonialität: Problematisierung der Beziehung Raum-Kultur

4. Unabhängige Nationen und autonome Kulturen: Bruch der klassischen Landschaftseinteilung Frage des sozialen Wandels und der kulturellen Transformation zwischen vernetzten Räumen / durch vernetzte Räume

- Raum: durch bestimmte Ortszuschreibung: eigene Identität Raumidentität: kann durch Vernetzung mit hierarchisch organisierte Räume und deren kulturellen Konstruktionen neu definiert werden

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„Postmoderner Hyperraum“ (Fredric Jameson): Herausforderung an herkömmliche Idee der Verteilung von Kulturen auf bestimmten Raum und dessen Gesellschaft

- Durch Idee von transnationalem öffentlichem Raum: Idee von strikt abgetrennten Räumen wird obsolet Entstehung von neuen Formen von Solidarität und Identität, die sich nicht auf einen bestimmten Raum beschränken

- Postmoderne Raum: REterritorialisierte Raum Ideen von Gemeinschaft, Solidarität, Identität, kulturelle Differenz: Müssen neu überdacht werden

Imagined Communities, Imagined Places

- Heute: höhere Mobilität von Menschen: Gefühl von Verlust territorialer Wurzeln, Erosion ortsgebundener kultureller Unterschiede Deterritorialisierung von Identitäten James Clifford: „What does it mean, at the end of the twentieth century, to speak...of a „native land“?“, Was ist kulturelle Identität? Edward Said: „universelle Zustand von Heimatlosigkeit“

- Leben in Welt mit Diasporen, transnationalen „cultural flows“, sozialen Massenbewegungen/Massenmigrationen Kulturelle Regionen: nicht mehr klar abgetrennt Problem: kulturelle Konflikte innerhalb eines Nationalstaates Vorstellungen von Hier/Dort, Zentrum/Peripherie: verzerrt!

- Nicht nur Deplatzierte (Migranten, Flüchtlinge,..) spüren ein „Displacement“: Auch Menschen die in ihrer „Heimat“ geboren sind und immer noch dort leben Veränderung ihrer Verbindung zum Heimatort Bruch der Beziehung zwischen Kultur und Heimatort Vermeintlich natürliche Beziehung: entspricht nicht der modernen „globalen kulturellen Homogenisierung“

- Lokalitäten: immer unbestimmter, unklarer. ABER: Idee von Kultur und ethnisch unterschiedlichen Örtlichkeiten werden immer auffälliger! Imaginäre Gemeinschaften sind mit imaginären Orten verbunden Erinnerung an Heimat: Bildet Gemeinschaftsgefühl von displaced people Migranten nutzen Erinnerung an Heimat um sich ihren neu bewohnten Ort imaginär so zu konstruieren, dass er ihnen gefällt/passt Anthropologie: Fokus auf Heimatkonstruktion von „displaced people“; auf Frage, wie Ort imaginiert/vorgestellt wird; und auf Beziehung zwischen „Place and Space“ (Ort und Raum)

- Durkheim: Raum=gesellschaftlich konstruiert Doch obwohl der „nationale Naturalismus“ genaue, solide Vorstellungen der Definition von Raum und Gesellschaft hat, so ist diese Definition/Zuschreibung eher ungewiss, umstritten und dauernd veränderbar

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Bsp. USA: Man redet von amerikanischer Kultur, US-Amerikanern (genau definierte Gesellschaft) und den USA (genau abgegrenzter Raum). Doch wie werden diese 3 Elemente von den unterschiedlichen Amerikanern (auch von jenen die außerhalb der USA leben) selbst gesehen, definiert oder imaginiert!? Staatliche Ideologien: nicht die einzige Sichtweise auf Raum-Vorstellung

- Idee von „Heimat“ oder „Gemeinschaft“: Mit Erinnerung, Verlust und Nostalgie verbunden Durch Erinnerung und Nostalgie: Verlust des Heimat-Raums wird in neu bewohnten Raum hineinimaginiert!

Space, Politics and Anthropological Representation

- Veränderung der Sichtweise auf die Beziehung zwischen Raum und Kultureller Differenz ermöglicht der Anthropologie eine neue Form der Darstellung von und Schreiben über Kulturen und Gesellschaften Neue Sicht auf Konstruktion/Darstellung des „Anderen“ in anthropologischen Schreiben/Texten

- „Kulturelle Kritik“: Räumliches Verstehen von kultureller Differenz Analyse einer „anderen“ Kultur ermöglicht kritische Sicht auf „unsere“ Kultur Marcus + Fischer: Idee hinter „kulturellen Kritik“: Erforschen einer Gesellschaft um die andere kritisch zu hinterfragen

- Kulturelle Kritik: Auseinandersetzung mit kultureller Differenz Kulturelle Differenz: Auch „hier, zu Hause“, muss nicht „exotisch oder weit weg“ sein: „Hier“ und „Da“ können direkt nebeneinander innerhalb einer Gesellschaft stehen

- PROBLEME bei Auseinandersetzung mit kultureller Differenz

1. Frage nach der Identität der eigenen/unseren Gesellschaft: Wer ist „Wir“? Falls Wir=Westen, dann: Wer ist inbegriffen, wer ausgeschlossen? Identität der eigenen Gesellschaft: kann nicht klar definiert werden

2. Ausgeschlossene „unserer Gesellschaft“ werden in anderen Raum und andere Kultur platziert Kulturelle Kritik geht von einer Trennung/Differenzierung der Kulturen und Gesellschaften aus KK: Hinterfragung der Produktion von Differenz in einer kulturell, sozial und wirtschaftlich vernetzten Welt!

- Bsp.: !Kung San in Botswana: Eins der letzten Jäger-Sammler Gesellschaften Erfahrungen mit kulturellem Wandel: (anscheinend) noch rezent und minimal ABER: Thema kulturelle Differenz in Region: schon länger präsent als gedacht Wilmsen: Kritik an anthropologischer Darstellung des „Bushman“: Er zeigt, dass San-Stämme in ständiger Interaktion miteinander sind und waren Produktion von kultureller Differenz durch ständig in Verbindung stehende Räume Wilmsen’s Forderung an Anthropologie: gründlicheres Hinterfragen des „Anderssein“ der Anderen + Situieren der Produktion kultureller Differenz in den historischen Kontext einer sozial und räumlich vernetzten Welt!

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- Ziele der Kulturellen Kritik: 1. Kulturelle Differenz muss als Produkt von geteilten historischen Prozessen

verstanden werden, welche die unterschiedlichen Räume der Welt trennen/einteilen und sie gleichzeitig miteinander vernetzen/in Verbindung setzen

2. Überdenkung der Darstellungsformen der „Anderen“ in anthropologischen Texten und der Konzepte von Kultur, Gesellschaft, Gemeinschaft und Nation „Westen“ und die „Anderen“: Andere sind mittlerweile Teil des Westen Ursprüngliche räumliche Einteilung der kulturellen Differenz: obsolet Bsp.: Migranten: Verzerrung der Einteilung von Örtlichkeiten aufgrund von Kultur! Aufgabe der Anthropologie: Ausbürgerung kultureller und räumlicher Einteilung. Grund: Menschen können räumliche Anordnungen vermischen/widerlegen entweder durch physische Bewegungen (Migration) oder durch ihre Imaginations-Fähigkeiten Raum und Ort sind keine fixen Gegebenheiten Anthropologische Analyse-Elemente sind nicht mehr an einen bestimmten Raum gebunden. Anthropologen müssen auf imaginierten und konstruierten Aspekt von Raum eingehen

- Ziele für Zukunft: 1. Theoretisierung von Zwischenräumlichkeit und Hybridität Welche Art von Politik ermöglicht Hybridität!? Rücksichtnahme auf displaced + deterritorilized People in politischen Entscheidungen

2. Auseinandersetzung mit „Massenmedien“, „Öffentliche Kultur“, „Kultur Industrie“ Massenmedien (Film, TV, Radio, Zeitschriften): werden von multinationalen Konzernen kontrolliert In transnationalem, öffentlichem Bereich/Raum: Austausch von Kulturen

Conclusio

- Überdenken des Konzepts von Raum und kultureller Differenz - Kulturen: nicht mehr fix räumlich sichtbar und räumlich trennbar - Kulturelle Differenz: lange Zeit in Verbindung mit physischem Standort einer

Person, jetzt nicht mehr! - Durch Deterritorialisierung: Destabilisierung der Begriffe „Wir“ und „Andere“ Andere: Teil von „Wir“/ „Hier“

- Auseinandersetzung mit REterritorialisierung: Neu bewohnter Raum wird so imaginiert dass man sich wohl fühlt

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Text 8: „Transnationality“ Patricia Urban

TEXT 8: „Transnationality“ – Nina Glick Schiller Kurze Zusammenfassung Im Prinzip handelt dieser Text von der Entwicklung der Transnational Studies, von ihren verschiedenen Subbereichen, von ihrem Potential sowie von ihren blind spots Einleitung 1986: Autorin untersucht ImmigrantInnen, die gleichzeitig über Grenzen hinweg in mehrere Nationalstaaten inkorporiert sind in der akademischen Diskussion über Assimilation und Multikulturalismus gab es keinen konzeptuellen Raum, solche MigrantInnen zu erforschen man brauchte ein neues Paradigma für migration studies „Transnationalismus“, „TransmigrantInnen“ das neue Paradigma vereinfachte die Analyse von Strukturen von Macht, welche soziale Ungleichheiten legitimiert Differenzierung: „global“ vs. „transnational“

• global: Phänomene des Weltsystems, die den Planeten beeinflussen – unabhängig von Grenzen oder lokalen Unterschieden (z.B. Kapitalismus)

• transnational/Transnationalismus: o Prozesse der andauernden gegenseitigen Verbindung o flows von Ideen, Menschen, Objekten und Kapital über Grenzen von

Nationalstaaten hinweg o der Staat formt solche Bewegungen, grenzt sie aber nicht ein

• Untersuchungsfelder der Transnational Studies:

o Ausübung politischer Macht durch Regierungen o nationale Formen von governmentality o identitätsstiftende Faktoren, die das Errichten von Nationalstaaten

begründen Barrieren des Transnationalen Paradigmas Nationalstaaten <-> Kapitalismus: Nationalstaaten sind Produkte des Modernismus, sie entspringen der globalen Entwicklung des Kapitalismus und steuern ihr gleichzeitig bei Transnational Studies: Prozesse und Aktivitäten, innerhalb derer Nationalstaaten konstruiert werden, sind nicht notwendigerweise innerhalb eines einzelnen nationalen Territoriums lokalisiert Transnational Studies richten sich gegen:

1. ein begrenztes Konzept von Kultur und Gesellschaft 2. methodologischen Nationalismus 3. migration studies aus Paradigmen der Assimilation oder des Multikulturalismus

Konzepte von Kultur und Gesellschaft entgrenzen Die Wichtigkeit von Grenzen in der Anthropologie gibt es erst seit dem 2. WK – davor waren Konzepte von Kultur und Gesellschaft nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden (Migration als wichtiges Element, Diffusionismus, cultural flows)

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Text 8: „Transnationality“ Patricia Urban

Jetzt beginnen die Transnational Studies damit, sich von diesen begrenzten Konzepten zu erholen von einigen Sichtweisen müssen sie sich im Zuge dessen abgrenzen:

1. Britischer Funktionalismus 2. Britischer Strukturfunktionalismus

o beide übersehen die Wichtigkeit von Kolonialismus und Kapitalismus in sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen

3. Clifford Geertz: Kultur als lokalisierter Text o immer noch begrenzte Vorstellung von Kultur (stabil, eigenständig,

historisch spezifisches lokales Bedeutungssystem) WissenschaftlerInnen, die Migration im Sinne eines transnationalen Paradigmas untersuchen (wie die Autorin) haben einen ganz anderen Zugang zu Kultur

1. Viele verwenden das Tyler’sche Kulturkonzept: o soziale Beziehungen o Sozialstruktur o über Generationen hinweg vermittelte Handlungs-, Glaubens- und

Sprachmuster 2. Vom Ort unabhängige Theorie, Methodologie und Daten 3. Ethnographien: Südafrika und Copperbelt 4. Max Gluckman und Manchester School

o komplexe Gesellschaften o koloniale Beziehungen o Untersuchungen über andauernde Verbindungen von MigrantInnen zu

ihrem Herkunftsland (Afrikanische ArbeiterInnen, remittances) o Netzwerkanalysen o soziale Situationen als dynamische Prozesse o wichtige Schritte zur Dokumentation von Globalisierungs-Effekten

Methodologische Barrieren Methodologischer Nationalismus

• intellektuelle Orientierung • Annahme: Nationale Grenzen sind die natürliche Einheit von Forschung • Gesellschaft = Nationalstaat • Nationale Interessen = Zweck von Wissenschaft

WissenschaftlerInnen des (Post-)Kolonialismus haben aber gezeigt, dass Konzepte des auf Territorium basierenden Nationalstaats innerhalb des Kontexts von Kolonialreichen entstanden sind sie sind also in Debatten entstanden, die über Grenzen hinweg erfolgt sind Die meisten geschichtlichen Schriften über Staaten zeigen diese als eigene, abgeschlossene Einheiten transnationale Prozesse sind in diesen Berichten minimalisiert Diese beschränkte Sichtweise auf nationale Geschichte verstärkte sich nach dem 1. WK. und dauerte bis zum Ende des Kalten Krieges an obwohl es transnationale Prozesse schon so lange gibt wie moderne Nationalstaaten, sind Transnational und Global Studies erst Ende des 20. Jh. aufgekommen (während eines Höhepunkts der Globalisierung)

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Text 8: „Transnationality“ Patricia Urban

Migrationsstudien und Identitäten von ImmigrantInnen 1. Assimilatorisches Paradigma

• sowohl in den USA als auch in Europa haben WissenschaftlerInnen Migration im Hinblick auf die politische Agenda ihrer eigenen Staaten untersucht

• Von ImmigrantInnen wurde Assimilation erwartet

2. Multikulturelles Paradigma • Beginn: 1960er, USA • kulturelle Unterschiedlichkeiten und Identitäten können auch nach

Migration erhalten bleiben • aber: trotz dieses Zugeständnisses keine Theorie der transnationalen

Verbindungen • Methodologischer Nationalismus setzte sich durch

3. Rückkehr zu einem Assimilatorischen Paradigma in den dominanten Paradigmen wurde nie anerkannt, dass MigrantInnen gleichzeitig in mehrere Staaten inkorporiert sein können Das Auftreten der Transnational Studies Beginnen in 1980ern und weiten sich während den 1990ern aus Gliederungen und Verbindungen der Transnational Studies 1. Trans-cultural Studies:

o globale cultural flows o Kommunikation (Medien) o aber: ignorieren Machtverhältnisse

2. Diasporic Studies:

o Identität o Bevölkerungen mit Verbindungen über Grenzen hinweg o Basis der Verbindungen: geteilte Sicht auf Geschichte, Kultur,

Abstammung o Fokus auf kulturelle Repräsentation o aber: kein Fokus auf politische Praxis / Staat

3. Migrationsstudien:

o Beziehungen über Grenzen hinweg o „transnationale Gemeinschaft“: Netzwerke über politische Grenzen

hinweg, durch Migration erschaffen o Manchester School bevorzugt den Ausdruck „transnational circuit“ oder

„transnational social field“

4. Globalisierungsstudien: o Kommunikationstechnologien als Motor für soziale Veränderung o technologischer Determinismus

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Text 8: „Transnationality“ Patricia Urban

o Anfangs: Vorstellung, dass wir erst seit Kurzem in einer hybriden und komplexen Welt leben

o Wende: Globalisierung gibt es schon länger, zumindest seit der Expansion Europas

o Gegenwärtige Globalisierung unterscheidet sich von früheren derartigen Prozessen durch die Art, wie Kapital akkumuliert wird und durch die Schnelligkeit der Bewegung von Kapital und Information

Transnational Studies heute: Wieder Untersuchungen staatlicher Prozesse

• momentane Globalisierungsphase wird durch Hyper-Präsenz und Hyper-Absenz des Staats geprägt (Regulationsmechanismen im finanziellen Bereich haben sich gelockert, während Grenzkontrollen stärker werden)

• die Rolle des Staats als Identitäts-„Container“ Transnationale soziale Felder, kulturelle Praktiken, AkteurInnen, MigrantInnen Unterscheidung: Transnationale soziale Felder vs. Transnationale Kommunikationsprozesse

1. Transnationale soziale Felder Inkludieren Individuen, die selbst noch nie Grenzen überquert haben sind durch soziale Beziehungen mit anderen Leuten an anderen Orten verbunden Verschiedene Akteure mit verschiedenen Arten von Macht interagieren über Grenzen hinweg sie schaffen und erhalten dieses Feld der Beziehungen Transnationale soziale Felder = Menschen-zu-Menschen-Beziehungen über Grenzen hinweg, durch die Information, Ressourcen, Güter, Ideen, Services ausgetauscht werden Netzwerk von Netzwerken

2. Transnationale Kommunikationsprozesse nicht zwingend zwischen Personen, auch durch Rezeption von Medien Informationen können durch sie Grenzen überschreiten

Identität und soziale Praxis Unterscheidung: transnational ways of belonging vs. transnational ways of being

1. Transnational ways of being Handlungen, durch die Leute ihre Leben über Grenzen hinweg leben Leute sind TransmigrantInnen durch ihre Lebensweisen (ohne zwingend Grenzen zu überqueren), innerhalb transnationaler sozialer Felder

2. Transnational ways of belonging Art, wie Handlugen repräsentiert und verstanden werden, wie sie in eine Identitätspolitik übersetzt werden kulturelle Repräsentation, Ideologie, Identität, durch die Menschen ferne Länder oder Personen erreichen, unabhängig davon, ob sie in transnationalen sozialen Feldern leben emotionale Verbindung zu Menschen an einem anderen Ort

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Text 8: „Transnationality“ Patricia Urban

Transnationale Akteure = Personen, die andauernde grenzüberschreitende Verbindungen unterhalten

• MigrantInnen und Flüchtlinge (sowie deren Nachkommen) mit Verbindungen zum Heimatland

• Transnationale Organisationen • Regierungen

Problem: long-distance Nationalismus (von vielen EmigrantInnen-sendenden Staaten bestärkt) Transnationale Theorie heute 2. Welle der Transnational Studies: vereint Erforschung der transnationalen Migration und der transnationalen kulturellen Prozesse

• Kritik am Konzept der transnational community ( transnationale Netzwerke sind zu groß, um von Gemeinschaft oder überhaupt geteilter Identität sprechen zu können), Interesse an der Untersuchung transnationaler sozialer Felder und wie diese durch transnationale kulturelle Prozesse geformt werden

• Erforschung der gleichzeitigen Inkorporation von MigrantInnen (Simultanität) • Erforschung von grenzübergreifender sozialer Staatsbürgerschaft

Weitere Themen:

• transnational kinship • Spannungen und Widersprüche innerhalb der Transnational Studies • Kapitalistische Macht • Grenzüberschreitende Bürgerschaft • Ungleiche Machtverhältnisse • Globalisierung „von unten“

Über transnationale Prozesse hinaus denken Errungenschaften der Transnational Studies: neue Wege, kulturelle Prozesse und Repräsentationen, das Wesen des Entstehens von Nationalstaaten sowie soziale Praxis von MigrantInnen zu verstehen Blind Spots der Transnational Studies:

• Reaktionen auf wachsende wirtschaftliche Ungleichheiten • wachsendes Ungleichgewicht zwischen Reich und Arm • Grad, bis zu dem weltweite wirtschaftliche Probleme die Strategien von

MigrantInnen untergraben • Komplexe Rollen von MigrantInnen und ihr long-distance Nationalismus • das große globale Ganze (stattdessen oft Fokus auf spezifische Prozesse)

Vorschlag der Autorin:

• Um transnationale Prozesse und gegenwärtige Globalisierung zu verstehen, muss man ältere Auffassungen von Imperialismus wiederbeleben.

• Man muss über transnationale Forschung hinweg denken, um die Umgestaltung von Macht in der Welt zu untersuchen, die durch eine neoliberale Agenda (durch das US-Militär gestützt) strukturiert wird

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Text 8: „Transnationality“ Patricia Urban

• Man muss kontinuierlich die globalen Dynamiken von Kapitalismus untersuchen

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TEXT 9 VERTOVEC, Steven and COHEN, Robin(1999). Introduction. In: VERTOVEC, Steven and COHEN, Robin(1999) "Migration, Diasporas and Transnationalism" Zusammenfassung von Julia KREUZER In diesem Band wird versucht drei große und komplexe Themen miteinander in Verbindung zu bringen, nämlich Migration und Migrationsflüsse, die "alte" Idee Diaspora sowie das Aufkommen von der "neuen" Idee des Transnationalismus als ein zentrales Konzept um verstehen zu können wie globale Identitäten von den Menschen selbst konstruiert werden. Um die Komplexität dieser Dreiecksbeziehung zu veranschaulichen, geben die Autoren gleich ganz am Anfang des Textes drei Beispiele. (Nicht sicher ob wichtig deswegen bei Bedarf selber nachlesen!) Trotz der Komplexität und dem Wissen, dass die Zusammenhänge sicher nur sehr unzureichend vorstellbar sind, hoffen die Autoren den Prozess des Vergleichs und der Theoretisierung der Themen in ihrem Werk in Angriff zu nehmen. Contemporary Migration Vor allem in der Politik wird davon gesprochen, dass Migration in den letzten dreißig Jahren zu einem Stillstand gekommen ist. Vertovec und Cohen gehen vom Gegenteil aus. Migration aller Arten ist angestiegen. Das beweisen sie an sechs Formen zeitgenössischer Migration. 1) Legale Arbeitsmigration Mittlerweile halt nicht mehr nur in Nordamerika und Europa sondern auch in anderen Ländern. Zb. Asien. Geht von 3 Millionen aus die außerhalb Asiens arbeiten und von 3 Millionen die innerhalb Asiens aber in einem anderen Land arbeiten. 2) Illegale oder undokumentierte Arbeitsmigration Vor allem in Süd Afrika angestiegen. 2 Hauptformen: Überbeanspruchte Arbeitsmigration(über Visa hinaus im Land bleiben) oder geplante illegale Arbeitsmigration. Anstieg von Organisationen die beim illegalen Einwandern helfen mit Passfälschungen etc. 3) Flüchtlingsmigration weltweit: 18-20 Millionen / dabei Begriff des Flüchtlings weit gefasst, schon fast journalistisch. 4) Eigenständige Migration von Frauen Früher im Zusammenhang Migration und Frau vor allem als die zurückgelassenen gegolten und dort wo sie Grenzen überschritten haben taten sie es immer als Familienmitglieder. Nun ist das Zeitalter - so Vertovec und Cohen - der eigenständigen Migration von Frauen angetreten. Vieles davon passiert in der Sex Industrie (v.a. Südost Asien) aber auch in Form der Migration von Frauen in Servicetätigkeiten. 5) Begabte Durchreisende zb. Computerexperten, Anwälte, die für internationale Unternehmen arbeiten und in verschiedenen Ländern versuchen Kunden zu generieren, Verträge abzuschließen etc.

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Haben in den neuen Ländern in denen sie arbeiten keine besondreren Bürgerrechte wie wählen gehen etc, aber die brauchen sie meist auch nicht. Werden von ihren Chef meist durch hohe Pensionen, Versicherungen etc "belohnt". 6) Begabte langzeit Migranten Arbeitsmigranten denen angeboten wird permanent zu bleiben. Kanada und Australien betreiben sogar schon "Immigration Shopping" suchen sich also qualifizierte Arbeiter und kaufen die ein. Alle diese Phänomene alleine nichts neues. Zusammengenommen illustrieren sie jedoch eine Anzahl von wichtigen Verbindungen zu den Themen der Diaspora und Transnationalität. Zum einen durch Transport, Elektronik etc fällt es Migranten zunehmend leichter sich mit multiplen Lokalitäten zu verbinden und multiple Identitäten zu haben, also einen Schritt in Richtung Transnationalität zu machen. Zum zweiten breiten sich Familien Netzwerke immer weiter aus. Zum dritten wird das Ausmaß der Remittances - Zahlungen der Migrierten an die Zurückgebliebenen - immer weitreichender da vor allem Entwicklungsländer wie die Philippinen, diese Zahlungen als Möglichkeit nutzen wollen ihr Land zu modernisieren und aus der Krise zu holen. Das Zuhause und das Migrationsland "vermischen" sich zusehends. Diaspora Vertovec sagt: Diaspora ist der Begriff, der heute oft verwendet wird um jegliche Population zu beschreiben die als deterritorialisiert oder transnational gilt - das bedeutet, sie haben sich in einem Land ausgebreitet aus dem sie ursprünglich nicht stammen und weisen soziale, ökonomische und politische Netzwerke auf, die über die Grenzen staatliche Grenzen hinweg gehen oder sogar den ganzen Globus umspannen. Der Begriff wurde von Akademikern wieder geboren um transnationale ethnische Gruppen zu beschreiben. Heute ist es eine positive Umschreibung von hybriden kulturellen und politischen Identitäten. Außerdem wird der Begriff oft lose verwendet um Immigranten, Gastarbeiter, ethische Minderheiten, Flüchtlinge etc zu beschreiben. Vertovec schlägt weiterhin vor, dass es zumindest 3 Bedeutungen des Begriffs Diaspora gibt. Diaspora as Social Form Zu einer anderen Zeit wurde die Diaspora vor allem mit den Juden, sowie mit gezwungener Migration, Viktimisierung und Verlust assoziiert. Später wurde diese Bedeutung des Konzeptes auf Armenier, Afrikaner und Palästinenser ausgeweitet. Die Diaspora als soziale Form wird außerdem mit spezifischen sozialen Beziehungen sowie speziellen Verbindungen zu Geschichte und Geographie verbunden. Auch zerrissene Loyalitäten zu Heim- und Gastland sind typisch (tensions of political orientations) Spezielle ökonomische Strategien geben einigen diasporische Gruppen Macht in internationalem Verkauf und Wirtschaft. Dies wird vor allem auf ihre Netzwerke und

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ihren Sinn für Kollektivismus zurückgeführt. Alle diese Kategorien vereinen 3 Arten von Beziehungen die Diaspora ausmachen. 1) Global getrennte und doch kollektive selbstdefinierte ethnische Gruppen 2) Territoriale Kontext der jeweiligen Gruppen 3) Heimat und Kontexte aus denen diese Gruppen oder ihre Vorfahren kamen. Diaspora as type of consciousness Dieses Verständnis des Konzepts geht davon aus, dass Diaspora eine spezielle Art des Bewusstseins ist, dass innerhalb von transnationalen Communities entsteht. Dieses ist gekennzeichnet von sowohl negativen(Diskriminierung und Exklusion) als auch positiven (historisches Erbe etc) Erfahrungen. Diese Multiplizität wird von vielen Diaspora Mitgliedern als positive Stärke bewertet. Einige Anthropologen verstehen unter Diaspora consciousness auch kollektive Erinnerungen dieser Gruppe. Außerdem versteht man darunter auch die Quelle der Resistenz durch Engagement mit und dauernder Sichtbarkeit in öffentlichen Räumen. Spezifisch für religiöse Gruppen ist die von Vertovec bezeichnete "religious Diaspora consciousness" die zb. die Zerrissenheit von Gläubigen umschreibt die sich in weniger gläubigen Ländern befinden. Oder den Einfluss von Diaspora Religionen auf die neuen Heimatländer. Diaspora as mode of cultural production In dieser Sicht geht man davon aus, dass Diaspora transnationale, soziale und kulturelle Phänomene produziert und reproduziert. (Sowohl Gegenstände als auch Symbole etc) Es entstehen hybride, synkretistische etc Formen. Diese Produktion von neuen kulturellen Phänomenen und neuen Ethnizitäten findet man angeblich vor allem in der Jugend der Diaspora, die ihre primäre Sozialisation im Kreuzfeuer mehrerer kultureller Felder erhalten haben. Die Möglichkeiten das solche Flüsse von kulturellen Phänomenen stattfindet, sind vor allem in Medien und Kommunikation zu finden. Transnationalism Der Begriff wurde das erste Mal während einer Studie zu internationalen Beziehungen im Kontext vom Wachstum internationaler Organisationen berühmt. Man erkannte: Trans ist anders als Inter. In Transnationalen Beziehungen werden Grenzen gekreuzt anstatt aufrecht erhalten oder negiert was im Sinne aller Nationalstaaten zu stehen scheint um sich aufrecht zu erhalten. Transnationalismus ist genauso wie Diaspora gekennzeichnet von "home away from home" und "here and there" Transnationalism as the Reconstruction of Place oder Locality Durch die hohe Mobilität zusammen mit Telekommunikation, Internet etc haben sich translokale Verständnisse gebildet oder wiedergebildet. Transnationalismus hat das Verhältnis von Person und Raum verändert, vor allem dadurch dass immer mehr soziale Felder entstehen, die Leute mit ähnlichen Interessen etc aber in unterschiedlichen Ländern miteinander verbinden. Laut Appadurai haben viele sogar schon ein Problem sich Lokalität vorzustellen beziehungsweise diese zu produzieren. Es kommt zu einer wachsenden Ruptur zwischen Territorium, Subjektivität und kollektiven sozialen Bewegungen. Es entstehen Translokalitäten (nach Appadurai)

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Transnationalism as the Movement of Capital Neben großen transnationalen Corporationen (TNCs) die als Hauptform transnationaler Praxis Langezeit verstanden wurden, spielen auch die relativ kleinen Geldsummen - auch bekannt als Remittances - die von den Migranten in ihre Heimat zurückgeschickt werden eine große Rolle. Machen schätzungsweise 75 Billionen weltweit aus. Transnationalism as a Mode of Cultural Reproduction Wie auch die Diaspora wird Transnationalismus mit fließenden, hybriden, synkretistischen Formen von Kultur, Institutionen etc verbunden. Transnationalism as a Site for Political Engagement Auch für politische Problemstellungen gilt: Vieles kann nicht mehr in einem nationalen Rahmen angegangen werden. Kommunikationstechnologien machen in diesen Bereichen vieles Möglich (Informationen bekommen, Diskutieren, Feedback geben, Meinungen bilden) Eine beträchtliche Menge an politischer Aktivität passiert nun transnational. Die meisten dieser Aktivitäten von NGOS und INGOS deren Zahl sich rapide gesteigert hat. Aber auch ethnische Gruppen rufen zu politischen Aktivitäten auf. The Making of Transnational Communities and Networks Die am meisten anerkannte Definition von Transnationalismus unter Anthropologen ist die der sozialen Formationen die Grenzen umspannen. D Darunter sind Diaspora Gruppen zu verstehen, aber nicht nur solche. Transnationale soziale Formationen können zum Beispiel Gruppen sein, die aufgrund von Religion zueinander gehören, oder aufgrund ihrer Interessen oder ihres Jobs. Auch viele illegale und gewalttätige Netzwerke agieren transnational. Neue Technologie ist das Herz von heutigen transnationalen Netzwerken.

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Patricia M. 03. Februar 2014

S. 1

Text 10:

Handeln und Aushandeln in transkulturellen Geschlechterbeziehungen v. Judith SCHLEHE

aus d. VO „Wir und die Anderen?“ (WS 2013/14)

Einleitung [205]

In neueren Arbeiten geht es eher darum, wie das tägliche Verhalten – welches zunehmend in so ge-

nannte ,raum-zeitlich gedehnte‘ soziale Zusammenhänge eingebettet ist – betrachtet wird. Die Kon-

zeption transnationaler sozialer Räume zielt auf „dritte‘ Lebensformen (heben Entfernungen auf, wer-

den erfunden und ausgehandelt), auf nationalstaatliche Grenzen unterlaufende, übergreifende Hand-

lungsräume des Sozialen ab.

Zu beachten ist, dass Handlungsfreiheit nicht gleich verteilt ist und freie Wahl sowie wirksames Han-

deln v. a. den ,globalisierten‘ Reichen und Privilegierten vorenthalten ist. Die meisten Menschen sind

davon ausgeschlossen. Es gibt aber Menschen, wie u. a. Arbeitsmigrant_innen oder binationale Paare,

die zunehmend mehr interkulturelle – soziale und kommunikative – Handlungskompetenzen erwer-

ben. Diese Kompetenzen ermöglichen einer Person, den kulturellen und persönlichen Hintergrund

eines Gegenübers zu erfassen, und mit kultureller Verschiedenheit – produktiv und konstruktiv – um-

zugehen. „Inter- bzw. Transkulturalität ist somit als fortdauerndes Aushandeln und verwandelnde Pra-

xis zu verstehen“ (206, vgl. Schlehe 2001a: 13).

Der Autorin ist es ein Anliegen, auf die geschlechtliche Dimension sozialen Handelns hinzuweisen,

denn die Entwürfe von Weiblich- und Männlichkeit entstehen im Handeln, werden aktiv erzeugt bzw.

müssen neu verhandelt werden (Vorstellungen von gender-Rollen!). Laut der Soziologin Ilse Lenz

wählen Subjekte einzelne Elemente der Geschlechterrollen, ihres ethnischen Hintergrundes usw. aus,

kombinieren oder aber spielen sie herunter und vermeiden sie (konfiguratives Handeln) – das Hybride

wird gebildet. Nach Schlehe sollte dies vom konstruktivistischen Ansatz Judith Buttlers unterschieden

werden (gender wird bei ihr als anhaltende diskursive Praxis betrachtet). Wenn wir wissen möchten,

welche Geschlechterverhältnisse und Identitäten in transnationalen Räumen entstehen, sollten verän-

derte soziale, ökonomische und politische Umstände untersucht werden und gleichzeitig konkrete

Akteur_innen beachtet werden. Es handelt sich hier also um einen Beitrag zur Globalisierungsdebatte

– mit Einbezug der gender-Dimension (die ihrer Meinung nach wenig beachtet wurde).

Indonesien: Reisende Frauen und einheimische Männer [208ff.]

Im Rahmen ihres Forschungsprojektes „Genderidentitäten und kulturelle Formen in Bewegung. Rei-

sende Frauen und einheimische Männer in Indonesien“, untersuchte sie (mit den klassischen Metho-

den der Ethnologie) transkulturelle Paarbeziehungen – entwickelt aus der Verbindung von westlichen

Touristinnen und indonesischen Männern. Dabei spielt verbale interkultureller Kommunikation mit

Sexualität, emotionalem Sich-aufeinander-Einlassen, der Entwicklung/dem Aushandeln gemeinsamer

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Patricia M. 03. Februar 2014

S. 2

Alltagsgewohnheiten und neuer sozialer Verortung sowie neuen Verwandtschaftsbeziehungen zu-

sammen.

Im kolonialen Alltag waren noch Beziehungen zwischen niederländischen Kolonialherren und einhei-

mischen Frauen üblich. Heute ist es fast umgekehrt: Immer mehr reisende Frauen gehen verschiedens-

te Beziehungen (v. ,just for fun‘ bis zur Ehe) mit einheimischen Männern ein.

[209] Es gibt schon etliche Arbeiten über bikulturelle od. interethnische Ehen, aber es sind in Schlehes

Untersuchung weitaus größere Differenzen (Klassen-, Bildungs- und manchmal auch Altersunter-

schiede) zu überbrücken. Wobei sich hier Frauen in der vorteilhafteren Position – und finanziell besse-

ren Situation – befinden. Interessant sind v. a. die Gründe, weshalb sie sich überhaupt auf indonesi-

sche Männer einlassen: Ob Lehrerin, Krankenschwester, Künstlerin – sie sind u. a. fasziniert von der

Gelassenheit, der Ruhe, der Emotionalität und v. a. von seiner Zufriedenheit. Es sind imaginierte

Wunschbilder und Projektionen, Gegenbilder zum Klischee des westlichen Mannes und eigenes Man-

gelerleben („I could see what I wanted because anyway I didn’t understand […]“).

[209f.] Manche Frauen wussten nicht, ob der Freund aus Liebe mit ihnen zusammen war oder des

Geldes wegen, den die Männer bezahlten immer. Schlehe beschränkt sich in ihrem Artikel auf die

häufigere Variante: Die Frau übersiedelt nach Indonesien. Meist eröffnet das Paar ein Geschäft von

ihrem Geld. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: (1) Die Frau leitet den Laden, weil sie das nötige know

how besitzt und die Disziplin hat. Häufig kommt es vor, dass sie ihm bald Untätigkeit und Passivität

vorwirft. Machtkämpfe und Konflikte ums Geld sind keine Seltenheit. (2) Er sucht seine Rolle als

Chef, wächst mit und übernimmt bestimmte Bereiche (sichert sich ihren Respekt und den, der Umge-

bung). Bei Paaren, deren soziale und Bildungsdifferenz geringer ist und die ein gemeinsamen, nicht

nur kommerzielles Projekt haben (eher ein Künstlerisches), ist ihrer Meinung nach das Verhältnis per

se eher ausgeglichen.

[211] Ein geschiedener Javaner meinte, dass er mit seiner zweiten Frau kulturelle Unterschiede nur aus

Spaß verwendet („Komm du fauler Javaner – steh jetzt auf!“ oder „Ach du Schweizerin, kannst wieder

kein bisschen lächeln.“).

Interessanterweise haben indonesische Männer genau diese Vorstellungen von westlichen Frauen, die

Gegenbilder zu Geschlechterstereotpyen u. –idealen der eigenen Gesellschaft darstellen. Sie mögen

nämlich u. a. ihre Offenheit, Leistungsbereitschaft und Selbstständigkeit. Außerdem suchen sie durch

eine Ausländerin soziales Prestige, denn diese Männer sind drop-outs – sozial Benachteiligte, die ihr

Englisch auf den Straßen gelernt haben (primäre Handlungs- und Lebensräume). Die Indonesier haben

bemerkenswerte interkulturelle Kompetenzen und Strategien entwickelt, um für Touristinnen attraktiv

zu sein. Sie pflegen einen sehr eigenen Lebensstil (Habitus, Kleidung, Umgangsformen, Redeweisen

und Alltagshandlungen), der ein perfektes Beispiel kultureller Hybridität ist.

[212] Denn die Männer eignen sich Einflüsse durch Tourist_innen aus aller Welt an, integrieren sie

und bringen sie mit Prägungen durch die Herkunftskultur sowie durch die lokale Kultur (Wohnort)

zusammen. Gleichzeitig nehmen sie nationalkulturelle Dynamiken, Medieninputs, globale Gegenkul-

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Patricia M. 03. Februar 2014

S. 3

turen (z. B. Rastafari) oder künstlerische Strömungen auf. Schlehe findet es bemerkenswert, dass es

sich anscheinend um Hybridität von Unterschichts-Angehörigen handelt. Dies relativiert neuere An-

sätze, wie z. B. von Friedman (1999) oder Hannerz (1996), die Hybridität bzw. Kreolisierung zwi-

schen (privilegierten, gebildeten) Eliten in Verbindung bringen. Dieses Bsp., in dem drop-outs (Ar-

beitslose, sozial Benachteiligte) sehr kreativ und kompetent hybride, kosmopolitische kulturelle For-

men und Handlungsweisen entwickeln und leben, steht dem häufig unterstellten Zusammenhang (Ko-

härenz) v. Klassenlage und –habitus entgegen.

[213] Viele können die neuen Einflüsse und Mischformen allerdings nicht nachhaltig nützen (Glück-

spiel, Alkohol und Drogen setzen oft Grenzen). Schlehe findet es wichtig, genauer hinzusehen, was

sich überhaupt verändert und vermischt (Transformationen auch in Bezug auf gender-Bilder u. Ge-

schlechteridentitäten).

Aushandeln zwischen dem Fremden und dem Eigenen [213f.]

Ein älterer guide meinte am Strand, dass eine Europäerin links rum zum Kaufhaus geht, er rechts rum

und dort treffen sie sich wieder. Eine Japanerin geht mit ihm mit, folgt ihm [aus Schlehes Feldnoti-

zen]. Für eine kurze Zeit ordnen guides sich unter, wenn die Beziehung aber länger anhält, wird an-

fängliche Attraktivität für Männer schnell zum Problem. So interpretieren sie z. B. ,Offenheit und

Direktheit‘ als ,ständige Krittelei‘ oder ,Leistungsbereitschaft‘ als ,Ruhelosigkeit‘. Man muss dann ,an

den Grenzen‘ arbeiten, viel verhandeln und vermitteln.

[214] Es gibt also nicht nur bezüglich Werte, Normen und Beziehungsmuster Aushandlungsprozesse,

sondern v. a. auch hinsichtlich alltagspraktischer Entscheidungen (v. Essen über Arbeitsteilung und

Freizeitgestaltung bis hin zur Religionsausübung). Westliche Frauen gehen davon aus, dass Probleme

über miteinander Reden oder streiten bewältigbar sind. Indonesier allerdings wurden dazu erzogen,

ruhig zu sein, den Ärger bei sich zu behalten und im Zweifelsfall zu lügen. Klingt nach manchmal

bleibenden Konflikten u. a. in den Bereichen Kommunikationsverhalten und Ehrlichkeit. Ein Paar hat

Schlehe allerdings erzählt, dass sie beide dazugelernt haben. So drückt sie ihren Ärger nicht mehr di-

rekt aus, aber nach einer gewissen Zeit reden beide offen darüber.

[214f.] Es handelt sich bei solchen Kompromissen aber oft mehr um Projektionen. Die anfängliche

Sozialromantik reduziert sich meist sehr schnell, verkehrt sich oft sogar ins Gegenteil (sie sehe ,die

Indonesier‘ sehr kritisch). Frauen aus Australien, Europa und Amerika sind im Gastland einerseits

durchaus angesehen (Geld, moderne Bildung, persönliche Stärke) und ihnen wird (in mancher Hin-

sicht) Achtung und Toleranz entgegengebracht. Andererseits werden sie auf Distanz gehalten (einge-

heiratete Japanerinnen sind beliebter). Transnationale, globalisierte soziale Räume sind ihr eigener

primärer Bezugsbereich.

[216] Auch die Ehemänner beziehen sich oft auf diese transnationalen Gemeinschaften – insbesondere

dann, wenn sie selber Migranten sind. Beispielsweise unternehmen sie gemeinsam was oder kümmern

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sich gemeinsam um die Kinder. Damit stoßen sie in der transnationalen community nicht auf Unver-

ständnis.

Außerdem können zwar viele Konfliktpunkte durch weibliche Hausangestellte gemildert werden, was

aber nicht bedeutet, dass die untersuchten Geschlechterbeziehungen im Vergleich zu anderen Dimen-

sionen insgesamt weniger innovativ sind.

[215] So soll ,er‘ nicht dominant, aber eben auch nicht abhängig sein. ,Sie‘ wiederum soll sich zwar

nicht vollkommen unterwerfen, aber doch maßvoll unterordnen. Da der Partner bzw. die Partnerin die

Rollenerwartungen nicht erfüllt, scheitern viele Ehen sehr schnell daran.

Ein Informant kündigte an, dass er sich jetzt nach drei langjährigen Beziehungen mit westlichen Frau-

en mit einer Japanerin versucht. Es sei mehr kulturelle Nähe vorhanden. Damit meinte er das Ge-

schlechterverhältnis, da sich der Mann in beiden Gesellschaften die überlegene Position zuspricht.

Viele Paare haben also die gegenseitigen, jeweils kultur- und geschlechtsspezifischen Projektionen

zusammengebracht, die in persönlicher, sozialer, bildungs- und altersmäßiger Hinsicht stark auseinan-

der gehen und deren Bilder nicht übereinstimmen. Manche Paare finden einen Weg, müssen aber viele

Opfer bringen. Eine Frau meinte, dass sie sich anfangs sehr um Anpassung bemüht hat, sich aber nach

dem dritten Kind die Haare hat färben und kurz schneiden lassen.

Zusammenfassung [218]

Was also in welcher Weise verändert wird, wird durch die Akteur_innen und durch die Situation be-

stimmt, in der sie sich befinden und die sie sich schaffen.

Die Frauen kommen aus wirtschaftlich dominanten Gesellschaften und halten mit ihren Herkunftslän-

dern oft enge Verbindungen aufrecht. Es steht ihnen rechtlicher und oftmals auch finanzieller Rückhalt

zur Verfügung sowie entsprechendes kulturelles Kapital (höhere Bildung und mehr Welterfahrung als

indonesische Männer) und sie leben in globalisierten Räumen (sozialer Bezug zu transnationalen Ge-

meinschaften). Es kommt zu kulturellen Mischformen, geprägt von beiden Partnern und vom Kontext

ihres täglichen sozialen Lebens.

Auf der Makroebene handelt es sich um veränderte soziale, politische, ökonomische Umstände, die

mit Hybridisierung und Vernetzung von Kulturen einher gehen. Schlehe nimmt hier Bezug auf das

Transkulturalitätskonzept von Wolfgang Welsch (hat aber Vorbehalte gegenüber Machtaspekten und

Herrschaftsgefügen). Denn kulturelle Formen durchdringen einander im Rahmen von Dominanzstruk-

turen. Dementsprechend entwickelt jedes binationale Paar eine spezifische kulturelle Mischform, die

jeweils von politischen Verhältnissen zwischen Herkunftsländern und vom Ansehen, welches die Her-

kunftskultur der Frau in derjenigen des Mannes (und umgekehrt) genießt, mitgeprägt ist.

[218f.] Eine gewisse transkulturelle Prägung der Individuen zeigt sich auch auf der Mikroebene. Er

od. sie wird durch viel Herumreisen manch Gewohnheiten zeigen, die nicht klar zuzuordnen sind (man

isst z. B. Spaghetti mit Chilisauce oder hat westliche Möbel und einen Haustempel etc.).

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[219] Bei eingehender ethnologischer Untersuchung zeigt sich, dass die Zwischenräume und ,dritten

Räume, nicht immer so innovativ sind, wie man sie gerne hätte. Um einiges größer als die unsichtba-

ren, inneren Bewegungen, sind die Sichtbaren. Bzgl. Interaktion zwischen Globalem und Nationalem

stimmt die Autorin Saskia Sassen zu, die schreibt, dass das Globale (nocht) nicht vollständig die ge-

lebte Erfahrung der Akteur_innen oder die kulturelle Formation er-/umfasst. Es bleibt als eine

Teilkondition/ein Teilzustand bestehen. („The global does not (yet) fully encompass the lived experi-

ence of actors […] or cultural formations; it persists as a partial condition” [Sassen 2001: 260]. Neue

Lebenswirklichkeiten und neue gesellschaftliche Realitäten bringen eingeschränkt veränderte Ge-

schlechterverhältnisse hervor. Zunächst wollen beide Partner das Andere, doch kämpfen später darum,

das Eigene im Fremden durchzusetzen. So zeigt sich, dass in der interkulturellen Geschlechterbezie-

hungen häufig ziemlich verhaltene, sehr langsame und widersprüchliche Wandlungen und kreative

Prozesse der kulturellen Neugestaltung gibt. Der äußere Anschein in der globalisierten Welt mag das

oft nicht glauben machen. Geschlechterbilder sind nicht einfach optional oder situativ kontrollierbar

(vgl. Judith Butler), Geschlechtsidentitäten lösen sich nicht ohne Probleme in einer Flut von Hybridität

auf (s. teilweise Postmodernismus und –feminismus) und bleiben doch (im Rahmen radikal veränder-

ter Lebensumstände, sich vermischenden kultureller Normen und neuer Einflüsse) mit langanhalten-

den sozialen Auseinandersetzungen sowie mit individuellen Sozialisationsgeschichten verbunden.

Ethnologische Untersuchungen sind deswegen auch in neuen globalen Handlungsräumen sinnvoll, um

alte und neue Ungleichheitsverhältnisse aufzuzeigen (und damit zu unterlaufen).

Quellen:

Butler, Judith (1993): Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der „Postmoderne“. In:

Benhabib, Seyla/Judith Butler u. a. (ed.): Der Streit um Differenzen. Frankfurt/Main: Fischer: 31-58.

Sassen, Saskia (2001): Spatialities and Temporalities of the Global: Elements for a Theorization. In:

Arjun Appadurai (ed.): Globalization. Durham Duke University Press: 260-278.

Schlehe, Judith (2001a): Lebenswege und Sichtweisen im Übergang: Zur Einführung in die interkultu-

relle Geschlechterforschung. In: Judith Schlehe (ed.): Zwischen den Kulturen – Zwischen den Ge-

schlechtern. Kulturkontakte und Genderkonstrukte. Münster [u. a.]: Waxmann: 131-148.

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VO: Wir und die anderen

Text 11: “Global Culture: An Introduction” von Mike Featherstone

FEATHERSTONE, Mike (1990): “Global Culture: An Introduction“, in: Featherstone, Mike (Hrsg.): “Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity“, London (et al.): Sage Publications,p.1-14.

Stichworte: global culture, cultural flows, Theorien, “third culture”, cosmopolitanism

Fragestellung des Textes: Gibt es eine global culture? Entsteht aus der „third culture“ eine Generation von Weltbürger_Innen?

- Global culture ist auf jeden Fall nicht zu vergleichen mit Nationalstaaten- Kultur, da diese kulturelle Homogenität und Integration betont: global culture ≠ homogene Weltkultur

- Binäre Logik muss aufgebrochen werden: es geht nicht um Homogenisierung vs. Heterogenisierung usw. , sondern um dynamische Prozesse von der „diverse cultural flows“ (-> cultural flows von Appadurai: mediascapes, ideoscapes, ethnoscapes, technoscapes, finanscapes) (Featherstone 1990: 2, 6)

- Cultural flows produzieren beides: 1. kulturelle Homogenität generiert komplexere Vorstellungen von Kultur und kann somit zu einem „kulturellen Chaos“ führen 2.Transnationale Kulturen (eine „Third culture“: Kultur über Grenzen hinweg, Kultur die sich du Menschen entwickelt hat, die in verschiedenen Ländern, in verschiedenen Sprachen aufwachsen… ) (Featherstone 1990:6)

- Wenn man Kultur als Prozess sieht, kann man global culture in Verbindung mit der Globalisierung der Kultur betrachten

- Kulturelle Integration/Desintegration findet auf transnationaler Ebene, oder zwischen Gesellschaften statt: transgesellschaftliche kulturelle Prozesse • Finden in verschiedenen Formen statt • Kultur geht über Grenzen hinweg • Durch Austausch von Gütern, Infos, Wissen, Menschen, Vorstellungen,… • Daraus entstehen Kommunikationsprozesse, welche eine gewisse Unabhängigkeit auf

globaler Ebene erzielen • Es entsteht eine Art „third culture“ (die als Art Leitung für cultural flows fungiert)

- Historische Entwicklungen (z.B. Imperialismus, Hegemonialstellung eines Staates in der Welt…) und Globalisierung führen zu Integration und Differenzierung und produzieren damit eine globale Kultur (Featherstone 1990:4f)

- Durkheim: • Gesellschaften werden immer komplexer, daher steigt der Grad an kultureller und

sozialer Differenz. Die Folge davon ist, dass sogar Menschen der gleichen Gesellschaft nur noch „humanity“ gemeinsam haben: „idea of human person“

• Welt: Differenzierung und Unabhängigkeit, Person: Individualisierung (auf der ganzen Welt gleich!! Universaler Prozess!!)

- Wallerstein: Weltsystemtheorie • Weltsystem beruht auf der Akkumulation von Kapital

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• Heute haben die Menschen den Traum einer globalen Kultur und das Ideal der Entwicklung

• alles muss und soll global sein, Mobilität usw., alle und alles muss entwickelt werden, Wallerstein kritisiert dies in der Dependenztheorie!!) (Featherstone 1990: 4)

- Worsley: • Kritisiert Wallerstein, dass er die Kultur in seiner politischen Ökonomie nicht beachtet • Generiert kulturelle Dimensionen: Nationalismus, Religion, Ethik

- Bergeson: • Konzept des Neoutilitarismus (=Handlung, die den größten Nutzen bringt, ohne jegliche

ethische Überlegung) • Es gibt ein zwischenstaatliches System, das auch Machtbeziehungen und kulturellen

Beziehungen besteht • Theorie der internationalen Beziehungen (=kulturell eingebettete Ökonomie)

- Robertson: • Theorie der Globalisierung • Nationalstaaten interagieren miteinander und konstituieren damit eine globale Welt

- Folgen: immer mehr Menschen haben mehr wie eine Kultur - Problematik der interkulturellen Kommunikation - Daraus entsteht die „third culture“ für transnationale Kommunikation Entsteht aus der „third culture“ eine Generation der Weltbürger_Innen?

- Hannerz: Dichotomie Lokalität (bounded cultures) vs. Cosmopolitanism (transnationale Kulturen)

- Baumann: „der Fremde“ kann keiner Dichotomie zugordnet werden

- Perspektive für eine vereinheitlichte global culture? besser sagt man es gibt globale Kulturen (Plural)

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TEXT 12

Hannerz, Ulf (2004):

Cosmopolitanism

Laut Richard Shweder wird es mit zunehmender Globalisierung zu unterschiedlichen Klassen kommen: die „cosmopolitan liberals“ und den „local non liberals“. Ziel von Hannerz ist es die Beziehung zwischen dem Lokalen und dem Globalen veranschaulichen. Kosmopoliten werden immer als global orientiert und Diversität gegenüber offen definiert. Das Konzept des Kosmopoliten eröffnet den Menschen die Möglichkeit zum Weltbürger zu werden und stellt sich gegen Nationalismus, damit geht aber auch die „Nestwärme“ eines gewissen Patriotismus verloren. Kosmopolitismus wendet sich auch gegen die Strömung des Kulturfundamentalismus, welche die These vertritt, dass Kultur etwas Statisches ist und dem Menschen angeboren, sodass Träger unterschiedlicher Kulturen von Natur aus fremdenfeindlich sind. Hannerz unterscheidet zwischen dem von Konsum geprägten Kosmopolitismus (Essen, Musik aus aller Welt) und dem politischen Kosmopolitismus welcher eher mit Sorgen verbunden ist. Ziel einer interkulturellen Begegnung ist Vertrautheit, welche verhandelt werden muss: „I know, that you know…“. Kosmopoliten müssen nicht zwangsweise mobil sein, sondern können diese Eigenschaft auch durch ein harmonisches Zusammenleben mit Neuankömmlingen äußern. Medien werden immer mehr zum Antrieb für Kosmopolitismus bzw. kosmopolitisieren, da sie Meinungsäußerung und Aktionismus fördern, auch wenn große Entfernungen bestehen. Kosmopoliten nicht nur elitär geprägt (elitär wird Kosmopolitismus nicht als Interaktion sondern als Darbietung angesehen, meint Hannerz -> Nationalismus), so gibt es auch Kosmopoliten der unteren Ränge (wie z.B. Wanderarbeiter und Au Pairs), Hauptsache: nicht an ein Land gebunden. Hannerz führt mehrere Beispiele zu diesen Kosmopoliten unterer Ränge auf: Haji Suleiman (Pakistani, arbeitet am arabischen Golf, spricht mehrere Sprachen, pilgert nach Mekka, offen dafür nach Amsterdam zu ziehen). -> Kompetenz sich in fremder Kultur zurecht zu finden und offen für neue Erfahrungen = Kosmopolit. Hannerz unterscheidet zudem zwischen

- bottom-up: Global Governance - top- down Kosmopolitismus: Minoritäten und Migration.