Georg Trakl: Im Winter - mpg-trier.dempg-trier.de/d7/read/trakl_imwinter.pdf · Georg Trakl: Im Winter Im Winter Der Acker leuchtet weiß und kalt. Der Himmel ist einsam und ungeheuer

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  • Georg Trakl: Im Winter Im Winter

    Der Acker leuchtet wei und kalt. Der Himmel ist einsam und ungeheuer. Dohlen kreisen ber dem Weiher Und Jger steigen nieder vom Wald.

    Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt. Ein Feuerschein huscht aus den Htten. Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten Und langsam steigt der graue Mond.

    Ein Wild verblutet sanft am Rain Und Raben pltschern in blutigen Gossen. Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen. Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.1

    Im Winter wurde von Georg Trakl im Jahre 1910 gedichtet. Es ist dies dieZeit des frhen Expressionismus. Man wendet sich gegen die Aussageweise desImpressionismus, der dichterisch einen momentanen, subjektiven Eindruck ge-staltet, und drckt innerseelische Erlebnisse und innerlich Geschautes aus. Dieswar in der vorangegangenen Zeit nicht in der gleichen unmittelbaren Art wie imExpressionismus geschehen. Das Momentane des Eindrucks macht im Expres-sionismus einem Dauernderen Platz. Um innerlich Erlebtes und Geschautes dar-stellen zu knnen, erhalten die Gegenstnde und ihre Eigenschaften einen starksymbolischen Charakter.

    In der ersten Strophe des Gedichts Im Winter wird geschildert, dass dervom Schnee bedeckte Acker wei und kalt glnzt. Das leuchtet, zu Ackergehrend, darf nicht als erstrahlt deutlich hell aufgefasst werden, es hat denSinn von glnzt als Ganzes. Darauf weisen in Vers 2 die Aussage der Him-mel ist einsam und ungeheuer und in Strophe 2, Vers 4 das steigt der graueMond hin, die beide auf einen milchig grauen Himmel schlieen lassen; ergestattet es nicht, dass die Strahlen der Sonne hell zur Erde durchdringen. Den-noch heben sich die schwarzen Wipfeln der Bume des Waldes wie die Wipfelder Bume, die verstreut im Acker stehen (Strophe 2, Vers 1), deutlich vomWei des Schnees ab. Der Himmel zeigt sich in ein eintniges milchiges Graugetaucht, das unheimlich (einsam und ungeheuer) wirkt (Vers 2). Diesbeschreibt die Stimmung als niedergeschlagen. Dohlen, den Raben hnliche,

    1 Georg Trakl: Das dichterische Werk. Auf Grund der historisch-kritischen Ausgabevon Walther Killy und Hans Szklenar bearbeitet von Friedrich Kur, Mnchen 1972,S. 23 f. = Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky, S. 547696.

    http://www.digitale-bibliothek.de/band125.htm.

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  • Vgel mit dunklem Gefieder kreisen langsam, ber dem Weiher (Vers 3). Die-ser ist vielleicht noch nicht zugefrorenen (siehe die Raben in Strophe 3, die inden Gossen pltschern). Mit den ber dem Weiher kreisenden Dohlen kommtBewegung in das sonst von der Klte des Winters erstarrte Bild. Doch geradediese geringfgige Belebung, die sich in dem fast bewegungslosen Kreisen derVgel zeigt, weist darauf hin, wie bewegungslos und erstarrt die Landschaftsonst berall ist. Auch die Jger, die vom hher gelegenen Wald ins Dorf undzu ihren Husern mit dem warmen Herd herabsteigen, bringen ein wenig Lebenin dieses Landschaftsbild (Vers 4). Aber auch dies dient nur, um zu zeigen, wieeinsam sich die Landschaft sonst an diesem Wintertag zeigt.

    In der zweiten Strophe wechselt das Bild. Das lyrische Ich steht beobachtendvor oder mitten in einem Dorf. Inzwischen ist die Zeit fortgeschritten, es istNacht geworden. Starr und bewegungslos ragen die laublosen Wipfel derBume in den schwach erleuchteten Nachthimmel; deutlich sticht das Schwarzihrer Farbe vom Wei des Schnees ab. Es ist windlos und vllig still. Dass die-ser Zustand schon seit lngerer Zeit anhlt, darauf deutet das Prdikat wohnthin, das den augenblicklichen Zustand der Bume beschreibt. Das Wort drcktaber auch aus, dass das unheimliche Schweigen fest im Innern der Bumewohnt, dass es im Winter zu den Bumen gehrt. In den Versen 2 und 3gewinnt der beschriebene Zustand auch hier an Leben. Denn fr eine kurze Zeithuscht ab und zu aus einer der rmlichen Htten ein leuchtender Feuerschein,da sich pltzlich und unerwartet fr einen Augenblick eine Tr nach auen ff-net. Sonst jedoch bleibt alles unbeweglich und still: die Menschen haben sich inihren Htten eingeigelt. Nach auen hin zeigt sich das Dorf als abgeschlossen.Nur ab und zu dringt von fern her leise das Gelut eines Schlittens in die Stilleund unterbricht die Stille des Dorfes fr eine kurze Zeit.

    Der Mond steigt langsam den Himmel empor (Strophe 2, Vers 4). Das lang-sam wie auch das steigt deuten darauf hin, dass die Bewegung des Mondessich allmhlich ber einen lngeren Zeitraum erstreckt. Diese Bewegung drckteher einen Zustand als eine Bewegung aus, weist wie alles in dieser Strophe aufdie Einsamkeit der Nacht hin. Sie lsst erkennen, dass der Feuerschein aus denHtten wie auch das Schellen der Schlitten nur kurze Unterbrechungen der ein-samen Stille bedeuten. Der Mond am Himmel scheint grau, vom Wolkendunstgetrbt. Unerwartet wechselt der Blickwinkel des Betrachters. Er weitet sichvon der Nhe des Dorfes zur Weite des Himmels, der sich still und einsam berdie Landschaft wlbt.

    In der ersten Strophe verengen die Beobachtungen sich von der Weite desAckers und der Hhe und Weite des Himmels hin zur Nhe des Weihers undzur Nhe der heimkehrenden Jger. Der Blick richtet sich hier von oben herabauf die Erde. In der zweiten Strophe dagegen weitet er sich von den nahen Wip-feln der Bume und dem Feuerschein der Htten mit dem Schellen des Gelutsder Schlitten zur Ferne und mit dem Steigen des Mondes hinauf in der Weite

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  • des Himmels. In der zweiten Strophe wird von einem festen Standpunkt aus be-obachtet, der in der Nhe der Htten des Dorfes oder im Dorf selbst liegt. Inner-halb der zweiten Strophe ndert sich der Standpunkt des Beobachters nicht. Nurdie Blickrichtung wechselt im letzten Vers der Strophe 2, er geht von der Erdezum Himmel hinauf. So verschieden die beiden Bilder der zwei Strophen sind,zusammen genommen runden sie sich zu einem einheitlichen Ganzen: Der Tagin der ersten Strophe wird durch die Nacht in der zweiten ergnzt. Die Schilde-rungen, die lange andauernde Zustnde darstellen, werden in den Versen 2 und3 der zweiten Strophe durch augenblickliche Geschehnisse belebt. In beidenStrophen bleibt der Blick nicht auf einen engen Raum hin eingeschrnkt. Nebendem Auge das schaut, wird das Ohr beansprucht, wenn auch in einem geringe-ren Ma.

    In der dritten Strophe verengt sich wieder der Blick: er ist auf die Erde ge-richtet. An einem Rain, einem sanft hinabgleitenden Abhang, verblutet still(sanft 2) ein Wild. Es wird nicht gesagt, welches Tier stirbt. Alle Tiere leidenunter der Klte des Winters. Der Blick wrde zu stark in die Nhe gerckt, erwrde zu sehr konkretisiert, wrde man ein einzelnes Tier nennen. Dies passtnicht zu dem Bild der einsamen weiten Landschaft und den sonst recht allge-mein gehaltenen Einzelbildern. Der Ausdruck verblutet sanft bezeichnet einsanftes Dahinscheiden, drckt ein stilles, unaufflliges Sterben aus. Dieses stilleeinsame Sterben ist fr die Aussage des Gedichts von Bedeutung. Die Klte desWinters lsst kaum Hoffnung auf Wrme und auf innere und uere Geborgen-heit zu. Die Raben, die greren Artgenossen der Dohlen - die zuletzt erwhn-ten werden in der ersten Strophe in Vers 3 genannt - plustern sich und plt-schern mit ihren Flgeln im blutigen Wasser der Gossen. Mglicherweise sindhier mit den Gossen in Vers 2, die Abflussgrben neben den Wegen und Stra-en eine kurze Strecke weit auerhalb des Dorfes gemeint, in denen frher dasRegenwasser der Hnge und Wege abgeleitet wurde. Das Wort blutig weistauf das Blut verendeter Tiere hin. Das am Anfang von Vers 2 stehende Und,zeigt, dass die zwei ersten Verse der Strophe 3 eng zusammengehren. AmRand des Weihers bebt das drre, wie abgestorben aussehende Schilfrohr imbig wehenden, kalten Wind (Vers 3). Denn im Gegensatz zu Strophe 2 scheintin dieser Szene ein frostiger Wind zu wehen, so dass das Schilf vom Wind be-wegt erzittert (bebt).3 Vom Schilf stehen im Wasser des Weihers fast nur nochdie Stngel, die Bltter sind eingedorrt oder abgefallen. Die Stngel ragen ausdem Wasser als schmale Rohre empor. Sie werden als einzelne Stiele gesehen,stellen als Schilf im Blick des Betrachters keine zusammengehrige Gruppe dar.

    2 Das Wort sanft ist ein Lieblingswort Trakls.3 Das bebt darf hier nicht nur als ein inneres Erbeben, als inneres Erzittern gedeutet

    werden.

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  • Jedes Schilfrohr bebt fr sich. Bei diesem Anblick erinnern die Schilfstngeldeutlich an Klte und Tod.

    Der Schlussvers der Strophe 3 fast das in den drei vorangehenden StrophenGesagte noch einmal zusammen: eisiger Frost, der alles abttet, Rauch, derdeutlich sichtbar in der Klte der Luft aus den Husern aufsteigt, und vereinzel-te einsame Schritte, hrbar in einem leer erscheinenden Wald, bestimmen dasBild der Landschaft. Dem Wort Frost, dem ersten Wort des vierten Verses, et-was Abstraktem, das sich dem Auge als vielen Gegenstnden zugehrig zeigt,folgen konkret wahrgenommene Beobachtungen: Rauch und ein Schritt imleeren Hain (zwei Synekdochen). Sie sind einzeln als Rauch an verschiedenenStellen zu sehen oder nur gelegentlich als einzelne Gerusche zu hren, sindaber Teile eines greren Ganzen, das mit ihnen zum Ausdruck kommt. AlleBeobachtungen in der Schlussstrophe weisen auf den Tod hin. Es ist keine Be-wegung des Beobachteten von der Ferne zur Nhe oder von der Nhe zur Fernehin zu erkennen. Was geschildert wird, ist nicht von einem bestimmten Blick-winkel aus gesehen wie in den beiden Strophen vorher. Das alle BeobachtungenVerbindende ist gedanklicher Art: das Vergngliche allen Seins, das Ende desLebens, das Sterben, der Tod. Die Schlussstrophe verdeutlicht, was auch vorherindirekt gesagt worden ist. Dies verleiht diesem Gedicht einen zu ihm passen-den Schluss und formt die drei Strophen zu einer Einheit.

    Was die verwendeten Wortarten betrifft, sind die Substantive verglichen mitden anderen Wortarten in der berzahl.4 Sie kommen als Subjekte der Stze,hufiger aber auch innerhalb von adverbialen Bestimmungen vor. In den Sub-stantiven werden Gegenstnde, Tiere oder Personen, wird stets Konkretesbenannt. Nur in Strophe 2, Vers 1 erscheint in Ein Schweigen und in Strophe3, Vers 4 in Frost ein abstrakter Begriff. Dadurch wirkt das Gedicht anschau-lich. Dass die Substantive stark in der berzahl sind, entspricht dem nchternenStil dieser Verse und der in ihnen beschriebenen Stille und Einsamkeit.

    Sehr sorgfltig sind vor die Substantive die bestimmten und die unbestimm-ten Artikel gesetzt. Bestimmte und unbestimmte Artikel drcken in diesem Ge-dicht Bedeutsames aus. Auch das Fehlen des Artikels ist von Bedeutung. InStrophe 1 heit es in Vers 1 und 2 Der Acker und der Himmel, der be-stimmte Artikel begleitet das Substantiv. In Vers 1 wird nicht allgemein von ei-nem Acker, sondern von einem bestimmten Acker gesprochen, von einem Ak-ker, der in der Klte des Winters von Schnee bedeckt ist. Er soll dem Leser an-schaulich vor Augen gerckt werden. In Vers 2 wird ein sich ber dem Ackerwlbender weiter Himmel geschildert, der vom winterlichen Wolkendunst ein-getrbt ist. Auch er soll als solcher vor den Augen des Lesers deutlich sichtbar

    4 Auf 21 Substantive kommen 11 Verben, 12 Adjektive (teilweise auch als Adverbgebraucht) und 2 echte Adverbien.

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  • erscheinen. Beide zusammen werden als ein festes, streng umgrenztes Bild ge-zeichnet, das dem Leser in seiner Vorstellung vor Augen stehen soll. Was alsBeobachtung in der ersten Strophe daraufhin folgt, wird in dieses Bild einge-fgt. Der Weiher und der Wald werden noch einmal von dem bestimmten Arti-kel begleitet. Auch sie sollen als Gegenstnde deutlich wahrgenommen werden.Die Wrter Dohlen und Jger stehen ohne Artikel. Das Fehlen des Artikelslenkt den Blick auf die charakteristischen Eigenschaften dieser beiden Objekte:Die Dohlen sind Vgel, die auch den Winter ber nicht fortziehen, trotz derKlte in dieser Jahreszeit bleiben sie auch im Winter vor Ort. Wie das Vorhan-densein des Schnees erinnert ihr einsames Kreisen ber dem Weiher den Leserdaran, dass es Winter geworden ist. Ihre dunkle Farbe hebt sich deutlich vomWei der schneebedeckten Landschaft ab. Die Eintnigkeit der Farben, dasWei des Schnees und das Dunkel der Dohlen, erinnern an Klte und Einsam-keit, auch im weiteren Sinn an Vergnglichkeit und Tod. Die Jger werden we-gen des fehlenden Artikels verstrkt in ihrer Eigenschaft als Jagende gesehen.Auch sie rufen im Leser die Erinnerung an den Winter wach, denn die Jagd isteine Bettigung, die frher von Menschen mit Vorliebe im Winter ausgebtwurde, da man dann Zeit hatte und das Wild sich weniger erfolgreich als imSommer im Gestrpp des Waldes verstecken konnte. Die Dohlen und die Jgerstehen im Plural. Ihre Anzahl aber bleibt unbekannt, sie bleibt der Phantasie desLesers berlassen. Es handelt sich bei den Dohlen jedoch um eine zusammenge-hrende Schar, bei den Jgern um eine zusammengefundene Gruppe. Fr dasVerstndnis des Gedichts ist die Anzahl ihrer Mitglieder nicht von Bedeutung.

    In der zweiten Strophe erscheint der unbestimmte Artikel ein dreimal. Mitdem unbestimmten Artikel in Ein Schweigen wird betont, dass das Schweigenin den Bumen ein einziges, berall in den Wipfeln der Bume sich zeigendesSchweigen ist. Der unbestimmte Artikel fasst das Schweigen zu einer Gesamter-scheinung zusammen. Es sitzt tief verborgen in den schwarzen Wipfeln derBume. Man kann es nicht sehen und sprt es doch deutlich, es wirkt unheim-lich. Der Ausdruck in schwarzen Wipfeln steht ebenfalls ohne Artikel und hatden Plural. Die Wipfel sind hier nicht als Teil der Bume wahrzunehmen (siewirken nicht als pars pro toto), sie stellen eigene Wesen dar. Das Ein in EinFeuerschein beschreibt das Auftauchen des Feuerscheins als ein Ereignis, dasvereinzelt und nur recht kurz zu beobachten ist, das sich ab und zu wiederholt.Aus den einsam dastehenden Htten hervordringend wirkt es gespenstig. In demAusdruck aus den Htten soll der Leser die verschneiten Htten deutlich alseinzelne Htten wahrnehmen, aus denen gelegentlich der einzelne Schein einesFeuers hervorhuscht. Die Bedeutung des unbestimmten Artikels in ein Schlit-ten in Vers 3 unterscheidet sich deutlich von den beiden vorangehenden Einin Vers 1 und 2. Sie hat hier den Sinn von irgendein, einzeln sich zeigend undunbekannt bleibend. Hier meint das ein einen einzelnen, unbekannten Schlit-ten, der nicht gesehen, nur verschiedentlich durch das Schellen seines Geluts

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  • als weit entfernt gehrt wird. In Vers 4 steht der graue Mond in Begleitungeines bestimmten Artikels. Der Mond ist als sichtbarer Himmelskrper bekannt,jeder kennt ihn als der einzige Trabant der Erde. Darum steht er stets zusammenmit dem bestimmten Artikel.5 Er leuchtet grau ber der einsamen Winterland-schaft ohne die Begleitung der Sterne. Auch auf diese besondere Art derErscheinung wird durch den bestimmten Artikel hingewiesen.

    In der nchsten Strophe, der Strophe 3, erscheint noch einmal das WortWild mit dem unbestimmten Artikel ein. Irgendein, nicht nher bestimmtesTier, das drauen auf dem Feld oder im Wald lebt, verblutet abseits vom Dorf.Der unbestimmte Artikel hat hier die Bedeutung des Unbestimmten, nicht nherKonkretisierten, bedeutet irgendein. Zugleich weist er darauf hin, dass eineinzelnes Wesen vereinsamt und verlassen stirbt. Die Bedeutung des Zahlwortseins ist dem Wort hier erhalten geblieben. In dem Ausdruck am Rain sind imam die Prposition an und der Artikel dem zu einem Wort verschmolzen.Dadurch wird die Wirkung des bestimmten Artikels abgeschwcht. Bei demWort Rain handelt es sich um einen kleineren Hang auerhalb des Dorfes, derin der Vorstellung des Lesers nicht in Einzelheiten und nicht als etwas Beson-deres verdeutlicht werden soll. In Vers 2 stehen erneut zwei Ausdrcke ohneArtikel: Raben und blutige Gossen. Das artikellose Wort Raben machtauf die Raben als schwarze Vgel im weien Schnee und darber hinaus aufihre symbolische Bedeutung aufmerksam, gemahnt an Sterben und an Ver-gnglichkeit. Wegen des fehlenden Artikels fllt der Blick auch auf das WortGossen. Das Wort bedeutet etwas Minderwertiges, Verabscheuenswrdiges,erinnert an Verfall und Verderbnis. In Begleitung des bestimmten Artikels stehtin Vers 3 das Substantiv Rohr. Das Artikellose Wort weist auf ein bestimmtesRohr hin, weist auf das Schilf in der Klte des Winters hin. Anstelle des Pluralssteht der Singular (Synekdoche). Mit dem Wort Rohr ist das Schilf in seinerGesamtheit gemeint, doch innerhalb dieser Gesamtheit bebt jedes Schilfrohr frsich. Infolge des Singular und des fehlenden Artikels erblickt der Leser die ein-zelnen Rohre als zitternde Stngel und hat dennoch in der Vorstellung das Gan-ze der Schilfansammlung vor Augen. Im Schlussvers erscheinen Frost undRauch noch einmal ohne Artikel im Singular. Frost wird als Begriff konkre-tisiert und als vom Frost erstarrte Gegenstnde wahrgenommen, Rauch (Sy-nekdoche) in einzelnen Objekten bildhaft gesehen. Am Schluss des Gedichtslenkt der unbestimmte Artikel in ein Schritt im leeren Hain die Aufmerksam-keit des Lesers darauf, dass nur ab und zu in der Stille des Waldes Schritte zuhren sind. Auch hier steht der Singular anstelle des Plurals (Synekdoche) und

    5 Stnde in Vers 4 ein grauer Mond, dann wrde dies bedeuten, dass das Aussehendes Mondes etwas Besonderes darstellt, das von dem blichen Aussehen im Winterstark abweicht. Es wrde auf etwas Unheimliches hindeuten.

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  • werden wegen des Gebrauchs des Singular die Schritte von einsam im Schneeeinher stapfender Menschen deutlich als einzelne Tritte gehrt. Der einzelneSchritt erscheint in der Stille des Waldes wie etwas Ungewohntes, Fremdes. Indem Ausdruck im leeren Hain ist in dem im der Artikel mit der Prpositionverbunden worden; dadurch wird auer dem Substantiv Hain auch das Adjek-tiv leer stark betont.

    Es mag vielleicht seltsam erscheinen, dass der Verwendung der verschie-denen Artikel und deren Fehlen in dieser Interpretation eine so groe Bedeu-tung beigemessen wird. In vielen anderen Gedichten hat die Verwendung dereinzelnen Artikel nicht die gleiche Bedeutung wie hier und findet darum bei ei-ner Interpretation dieser Gedichte eine geringere Beachtung. Die Bedeutung derbei Trakl in diesem Gedicht verendeten Artikel und ihr Fehlen wird deutlich,wenn man probeweise statt des unbestimmten einen bestimmten Artikel setztoder umgekehrt oder den Artikel weglsst bzw. statt des fehlenden Artikels ei-nen Artikel setzt.

    Die Verben treten in diesem Gedicht nie gehuft auf. Die Stze besitzen je-weils nur ein Prdikat, das durch Adverbien und adverbiale Bestimmungen er-weitert wird. Der letzte Vers des Gedichts hat grammatisch kein Prdikat. Hierwerden asyndetisch (ohne Konjunktion) drei Ausdrcke aneinandergereiht. Esfehlen in den Stzen die Dativ- und Akkusativobjekte, es kommt zu keinemHandeln (Akkusativobjekt) und auch zu keiner anteilnehmenden Hinwendungeiner Person zu anderen Wesen (Dativobjekt). Es werden nur Zustnde geschil-dert (adverbiale Bestimmungen). Einsam und verlassen ruht die Landschaft inder winterlichen Klte. Die Prdikate bezeichnen stets lnger anhaltende Zu-stnde oder lnger andauernde Ttigkeiten. Verschiedentlich geht das Handelnin einen andauernden Zustand ber, so in leuchtet (Strophe 1, Vers 1),wohnt (Strophe 2, Vers 1) und steigt (Strophe 2, Vers 4), vielleicht auch inbebt (Strophe 3, Vers 3). Dies entspricht der fortbestehenden Klte des Win-ters und der damit verbundenen Dauer der Einsamkeit. Nur einmal wird mitdem huscht (Strophe 2, Vers 2) ein momentanes Geschehen geschildert, dassich allerdings fter wiederholt. Da das huscht im zweiten Satz auf daswohnt im ersten Satz folgt, kommt diesem auf einen kurzen Augenblick be-schrnkten Ereignis eine besondere Ausdruckskraft zu. Manche Prdikate, wiewohnt, huscht, verblutet und bebt, sind sehr ausdrucksvoll. Sie drckeneinen dem Leser sich einprgenden Zustand oder wie in huscht ein eindrucks-volles Handeln aus.

    Neben den Substantiven und den Verben haben vor allem die Adjektive einestarke Aussagekraft. Sie stehen als Attribute vor den Substantiven oder sie sindAdverb oder Prdikatsnomen: so das wei und kalt in leuchtet wei undkalt (Adverb), das einsam und ungeheuer in ist einsam und ungeheuer(Prdikatsnomen), das schwarz in in schwarzen Wipfeln wohnt (Attribut),das sehr fern in schellt sehr fern (Adverb) wie auch das langsam (Adverb)

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  • und das grau(Attribut) in langsam steigt der graue Mond, ebenso das (ver-blutet) sanft (ein Lieblingswort Trakls, Adverb), das blutig in blutigen Gos-sen (Attribut), das (bebt) gelb und aufgeschossen (Adverb) sowie das leerim leeren Hain (Attribut). Die Adjektive werden nicht schmckend oder aus-malend gebraucht, sie charakterisieren und sind fr die Aussage dieses Gedichtsnotwendig.

    Die Stze bestehen aus dem Subjekt und dem Prdikat, das durch ein oderzwei Adverbien und/oder durch eine adverbiale Bestimmung erweitert ist.6 InStrophe 1, Vers 1 sowie in Strophe 3, Vers 3 besteht die adverbiale Bestimmungaus zwei Teilen (zwei Adjektiven oder einem Adjektiv und einem Partizip). InStrophe 1, Vers 2 erscheint in ist einsam und ungeheuer das Verb seinzusammen mit einem Prdikatsnomen, das aus zwei Adjektiven besteht. DasSubjekt des Satzes wird nur einmal in der graue Mond durch ein kurzesAdjektivattribut erweitert, sonst werden nur die Prdikate durch Adverbien undadverbiale Bestimmungen ergnzt. Fast immer ist der Satzbau der gleiche: DemSubjekt folgt das Prdikat und daraufhin erscheinen die Adverbien und/oder esfolgt eine adverbiale Bestimmung. In den Versen 3 und 4 der Strophe 2 stehtder Satz ausnahmsweise in der Inversion: dort steht ein Adverb statt des Sub-jekts vor dem Prdikat. Nur einmal in Strophe 2, Vers 1 ist das Prdikat entge-gen der Satzstellung, wie sie in der Prosa blich ist, an das Ende des Satzesgestellt. Die Stze sind asyndetisch (d. i. ohne Konjunktion) aneinander gereiht.Dies entspricht dem Stil des jngeren Trakl der es liebt, Stze und Satzgliedernicht durch Konjunktionen verbunden aneinander zu reihen (Reihungsstil). Nurder letzte Satz in den Strophen 1 und 2 und der erste Satz in Strophe 3 werdendurch ein Und an die vorangehenden Stze angebunden. Da die Prdikatekeine Objekte mit sich fhren, entsteht keine grere Satzspannung. Auch vomSatzbau gesehen unterstreicht dies den streng beschreibenden und nchternbeobachtenden Charakter der Stze. Auch die Klte des Winters und das Erstar-ren des Lebens in der Natur werden so durch den Mangel an einer Satzspannungdichterisch gestaltet.

    Das Gedicht ist strophisch gegliedert. Jede Strophe hat den umarmendenReim: reimt a b b a. Die Verse 1 und 4 reimen mnnlich (reimen auf einer He-bung), die Verse 2 und 3 aber reimen weiblich (sie enden auf einer Senkung). Indem eintnigen Rhythmus, der diesem Gedicht eigen ist, sorgt dies innerhalbdes Reims fr eine gewisse Abwechslung. Es herrscht der strenge Zeilenstil.Dies bedeutet: Vers- und Satzbau decken sich: jeder Vers enthlt einen Satz, dervom Satzbau, aber auch von seiner Aussage her in sich geschlossenen ist. Dieskommt daher, dass das Weltbild Trakls keine harmonische in sich geschlossene

    6 In Strophe 2, Vers 3 stehen zwei Adverbien, in Strophe 3, Vers 1 kommt ein Adverbund eine adverbiale Bestimmung vor.

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  • Einheit darstellt. Trakls Weltbild zerfllt in einzelne Teile, die nur lose mitein-ander verbunden sind. Was die einzelnen Teile zusammenhlt, ist das Gefhlder inneren Leere und Verlassenheit. Dieses Gefhl wird u. a. auch durch denZeilenstil bewirkt.

    Das Versma ist alternierend. Ausgenommen davon sind die zweiten Verseder Strophen 1 und 3 und der erste Vers der Strophe 2. Hier kommt es zu einemoder zwei dreisilbigen Takten. Jeder Vers ist rhythmisch durch eine Sprechpau-se, in Strophe 2, Vers 1 und in Strophe 3, Vers 4 durch zwei Sprechpausen insich geteilt (siehe die Tabelle 2 im Anhang). Somit gliedert sich der Vers inzwei, in Strophe 2, Vers 1 sowie in Strophe 3, Vers 4 sogar in drei Kola(Spracheinheiten zwischen zwei Atempausen). In den Strophen 1 und 2 liegendie Pausen fast immer an der gleichen Stelle: in Strophe 1 nach dem zweitenTakt, in Strophe 2 nach der zweiten Hebung. Ausgenommen hiervon sind nurVers 2 in Strophe 1 und Vers 1 in Strophe 2. In Strophe 3 wechselt die Stelleder Pausen von Vers zu Vers. Damit ndern sich auch stets die Lngen der Ko-la. Sogar dadurch setzt sich die dritte Strophe von den beiden vorangehendenab. Verstrkt tritt hier die Brchigkeit von Trakls Weltbild zutage. SchwebendeBetonungen (bei diesen erhalten neben der Hebung auch die Senkung einenmehr oder weniger starken Akzent) kommen in Strophe 2, Vers 2 und 3 sowiein Strophe 3, Vers 4 vor. Dadurch wird in Strophe 2, Vers 2 das huscht strkerals das aus betont, in Vers 3 erhlt das sehr eine fast gleich starke Betonungwie das fern. In Strophe 3, Vers 4 wird Frost infolge der schwebenden Be-tonung in seiner Bedeutung hnlich stark wie das ihm folgende Rauch hervor-gehoben.

    Die Verse 1 und 2 wie auch die Verse 3 und 4 (auer in Strophe 1) schlieensich gefugt aneinander, auf die Hebung am Ende der Verse 1 und 3 folgt amAnfang der Verse 2 und 4 eine Senkung. Dies ist zwischen den Versen 2 und 3nicht der Fall: hier endet Vers 2 katalektisch auf einer Senkung und Vers 3beginnt wie alle Verse (auer Vers 3 in Strophe 1) in diesem Gedicht unbetontmit einer Senkung. Darum entsteht an dieser Stelle eine lngere Pause. DieVerse 1 und 2 sind von den Versen 3 und 4 rhythmisch strker als Vers 1 vonVers 2 und Vers 3 von Vers 4 getrennt. Abgemildert wird die Wirkung der tren-nenden Pause durch den Paarreim in der Mitte der Strophe, er bindet die Verse2 und 3 durch den Gleichklang der Kadenzen aneinander. Dadurch dass dieStze 3 und 4 der Schlussstrophe nicht wie die zwei Schlussstze der Strophen1 und 2 durch ein Und verknpft sind, schlieen sich die Verse 3 und 4 derStrophe 4 nicht aneinander an. Nicht nur mit dem asyndetischen Aneinanderrei-hen der drei Ausdrcke im Schlussvers, sondern auch mit der asyndetischenAneinanderreihung der beiden Schlussstze endet das Gedicht. Auch auf dieseWeise zeigt sich, dass das Weltbild bei Trakl brchig geworden ist. Die ber-zeugung davon, dass das Leben auf dieser Welt mehr und mehr vereinsamt, dassstatt belebender Wrme sich berall nur frostige Klte ausbreitet, durchzieht das

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  • Gedicht und bindet die isoliert stehenden Teile zu einer Einheit, formt sie zueinem dichterischen Kunstwerk.

    Der Rhythmus des Gedichts ist alternierend (verschiedentlich jedoch vondreisilbigen Takten durchsetzt). Nach dem weiblichen Ende von Vers 2 derStrophe 1 folgt am Anfang von Vers 3 unerwartet und anders als in den brigenVersen des Gedichts eine Hebung. Dies hat einen Wechsel im Rhythmus zurFolge: der jambische Rhythmus geht in einen trochischen ber. Das WortDohlen, aber auch der ganze Vers erweckt dadurch die Aufmerksamkeit. Wasin diesem Vers gesagt wird, soll betont werden. In der ersten Strophe sind hu-fig Daktylen eingestreut. (Siehe dazu die Tabelle 1 im Anhang.) Dies ndertsich in den folgenden Strophen. Daktylen finden sich hier nur in Vers 1 oderVers 2. Auf diese Weise wird der Rhythmus in den Strophen 2 und 3 eintniger.Dies entspricht der Aussage des Gedichts, in dem die Stimmung zunehmendeintniger und trostloser wird. Schwebende Betonungen kommen in Strophe 2in den Versen 2 und 3 und in Strophe 3 in Vers 4 vor. Dadurch werden in Stro-phe 2 auch die Wrter huscht und sehr und in Strophe 3 das Wort Frostbetont, die in einer Senkung stehen und vom Takt her unbetont sind. Auffallendstark sind in diesem Gedicht die Hebungen von den Senkungen abgestuft. Diesverleiht den Versen den festen, nchtern-ernsten Ton. Die deutliche Abstufungzwischen den Hebungen und Senkungen wird durch die Alliterationen noch ver-strkt.

    Von groer Bedeutung ist in diesem Gedicht die Lautgestaltung, sind hiervor allem die Alliterationen und die Assonanzen. (Siehe dazu die Tabelle 3.) ImAnlaut der betonten Silben erscheint fter der Konsonant w. Dies geschieht vorallem in den zwei ersten Strophen. Auch im ersten Vers der dritten Strophe istdas w zu finden. Dieser Gleichklang mit den beiden vorangehenden Strophenbindet die dritte Strophe an die zwei ersten an. Deutlich hrbar alliterieren mitdem h Himmel und ungeheuer. Dies setzt die beiden Wrter in eine engeBeziehung zueinander und verstrkt den Eindruck des Befremdlichen, den derwinterlich trbe Himmel beim Leser erweckt. In Strophe 2 alliterieren in denVersen 1 bis 3 mehrere Wrter, u. a. auch das Wort Schweigen (Vers 1), mitdem anlautenden schw oder sch. Auf diese Weise wird die Wirkung hervorge-hoben, die das einsame, unheimliche Schweigen hervorruft, das sich deutlichwahrnehmbar ber das Dorf und seine Umgebung ausbreitet. Das w in den zweiaufeinander folgenden alliterierenden Wrtern Wipfeln wohnt (Vers 1) ver-bindet diese beiden Wrter zu einer in sich einheitlichen Aussage: stndigwohnt das Schweigen in den schwarz aussehenden, kahlen Wipfeln der Bume;es hat sich dort eingenistet. Aber auch von der ganzen mit Schnee bedecktenWinterlandschaft hat es Besitz ergriffen, wie die folgenden Verse zeigen, denndort kommen weiterhin das sch und das w anlautend in mehreren Silben vor.Die beiden sch in Feuerschein und huscht wie ebenfalls das h in huschtund Htten ahmen das pltzliche Hervorschieen des Feuerscheins nach

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  • (Vers 2), der ab und zu aus einem der Huser heraus ins Freie dringt, wenn sichzufllig eine Tr ffnet. So wird deutlich, wie sehr das Dorf durch den Schneeund die Klte des Winters nach auen hin abgeschlossen ist. Mit dem alliterie-renden schellt und Schlitten (Vers 3) wird betont, dass gelegentlich weitentfernt ein Schlitten am Dorf vorbeifhrt und lutet. Mit dem Gleichklang desehr/er in sehr fern wird dieses Ereignis unterstrichen. Im letzten Vers derStrophe 2 kommen keine Alliterationen vor. Weil sie fehlen, wird damit nachihrem sehr hufigen Vorkommen in den vorangegangenen Versen noch einmaldie Leere, die Einsamkeit und Stille im Dorf und in der Landschaft rings umherhervorgehoben.

    Die Alliterationen bewirken in der Strophe 2 aber auch noch etwas anderes.Dies betrifft den Rhythmus der Strophe. In den ersten drei Versen ordnen dieAlliterationen sich in Strophe 2 zu Paaren. Mit den gleichlautenden schw und wsind es in Vers 1 in Ein Schweigen in schwarzen und in Wipfeln wohntzwei Paare. In den Versen 2 und 3 fgen sich wegen der Alliterationen mit demh in huscht aus den Htten (Vers 2) und dem sch in schellt sehr fern einSchlitten (Vers 3)zwei weitere Paare hinzu. Zu dem Endreim der Verse geselltsich auf diese Weise der Stabreim, wie er in hnlicher Weise in der germani-schen und der frhdeutschen Dichtung blich war, wie er aber, wenn auch leichtabgewandelt, verschiedentlich auch heute noch Verwendung findet. Die Verse 1bis 3 der Strophe 2 sind skandiert zu lesen, die alliterierenden Silben werdensomit verstrkt akzentuiert und lassen das in Strophe 2, Verse 1 bis 3 Gesagtenachdrcklich wirken. Auch vom Rhythmus her gesehen fllt wegen der Skan-dierung auf die genannten Wrter ein starker Ton, erhalten diese Wrter, wasden Gehalt ihrer Aussage betrifft, eine besondere Bedeutung. Der Ton der Verseist wegen der Skandierung kraftvoll, und mit dem Endreim zusammen klingendie Verse sehr klangvoll. Mit den Gleichklngen der Konsonanten verbndensich die Gleichlautungen der Vokale, die weiter unten genauer betrachtet wer-den.

    In der Schlussstrophe zeigt sich in allen Versen eine Hebung mit einemanlautenden r. Sie steht in Vers 1 im Anlaut des Reims, in den Versen 2 und 3im Anlaut des ersten Taktes, in Vers 4 infolge einer Tonbeugung betont imAnlaut des Auftakts. Dies kettet vom Klang her die vier Verse aneinander undformt sie zu einer Einheit. Die Lautverbindung blu steht in verblutet (Vers 1)und in blutigen (Vers 2) im Anlaut von zwei Hebungen, somit alliterieren undassonieren die beiden betreffenden Silben. Auch zwischen dem pl und dembl in pltschern und blutigen ist ein gewisser Gleichklang zu hren (Vers2). Auch wenn die Anfangssilben dieser zwei Wrter nicht alliterieren, entstehtein Klang, der einer Alliteration hnlich ist. Nicht nur vom Inhalt des Gesagtenauch durch die Alliterationen werden die Verse 1 und 2 aneinander gerckt, zer-fllt die Strophe nicht in einzelne, unzusammenhngende Teile. Erneut erscheint

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  • im dritten Vers das b in bebt.7 Auch das g in Gossen, gelb und aufge-schossen bindet die drei genannten Wrter im Klang und damit auch in ihrerBedeutung aneinander,8 indem sie an Vergnglichkeit und Tod erinnern. Nocheinmal alliterieren in den beiden letzten Versen mit dem sch (aufge)schossenund Schritt.9 Auf diese Weise wird mit Hilfe von Lauten und Lautverbindun-gen im Zusammenhang mit der Bedeutung der Wrter auf die Vergnglichkeitallen Lebens hingewiesen.

    Von groer Bedeutung in diesem Gedicht ist auch der Klang der Vokale. Inallen Versen der Strophen 1 und 2 erscheint in einer der Hebungen der Vokal ei,in Strophe 1, Vers 3 taucht er zweimal auf. Er kommt auch im Reim der Verse 1und 4 der Strophe 3 und unrein im Reim der Strophe 1, Verse 2 und 3 vor.Daneben erscheint das ei im Ein in Vers 1 und 2 der Strophe 2 in unbetonterSilbe im Auftakt der Verse, aber innerhalb einer Anapher. Dies bindet die Verseder beiden Strophen von den Lauten her aneinander, die sonst wegen der asyn-detischen Verknpfung der Stze und wegen des Zeilenstils von der Form hernur zu einer Ansammlung von Versen zu zerfallen drohten. Die Wiederholungdieser Vokale sorgt zudem fr den eintnigen Klang, der sich fr die Darstel-lung einer Stimmung eignet, die eine einsame, von Schnee bedeckte Landschaftaussendet. Zusammen mit dem ei erscheint das kurze, hell klingende a in Stro-phe 1 zweimal in Vers 1 und in den Reimen der Strophe 1, Verse 1 und 4. Esdrfte nicht als zu sehr in die Aussage der Verse hineingedeutet gelten, wennman feststellt, dass in der ersten Strophe nicht nur im Klang des ei eine gewisseKlte und Einsamkeit ausgedrckt ist, sondern dass dies ebenso im Klang deskurzen a in Acker, kalt und Wald zum Ausdruck kommt. Neben dem eiund dem a ist an einigen Stellen auch das kurze i fr den Klang der Verse vonBelang. Dies trifft auf Vers 2 in Strophe 1, auf die Verse 1 und 3 in Strophe 2und auf Vers 4 der Strophe 3 zu. Im Zusammenhang mit den Wrtern, in denendieses i erscheint, drckt es mit seiner Krze unerbittliche Klte, Einsamkeitund Stille aus, wirkt es in seinem Klang verschiedentlich wie vor Klte fr-stelnd auf sich zurckgezogen. Die drei kurzen o in Strophe 3 in Gossen,aufgeschossen und in Frost wirken erschaudernd und ermahnen im Zusam-menhang mit dem Sinngehalt der Wrter, in denen sie stehen, dass berall imWinter Elend und Tod herrschen. Auch die dunklen langen u und o und das

    7 Das bebt wird weniger stark als verblutet und blutigen betont, da es in einerSenkung steht und die zwei Wrter nicht assonieren. Der Gleichklang ist allerdingsnicht unbedeutend, weil das b sowohl im Anlaut als auch im Wortinneren vorkommt

    8 Die Silbe -ge- in aufgeschossen ist zwar weniger deutlich als die Wrter Gossenund gelb betont, da die Silbe in einer Senkung und im Innern eines Wortes steht.Sie erscheint jedoch in der Nhe des gelb und der Gleichklang ist hrbar.

    9 Kursivdruck K. H. W.

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  • lange a in verblutet, blutigen, Rohr und Raben erinnern im Zu-sammenhang mit den Wrtern, bei denen sie auftauchen, an Tod, Verfall undSterblichkeit. Schon durch den dunklen Klang in langer z. T. auch offener Silbebewirken die langen Vokale ein Gefhl der Resignation und Niedergeschla-genheit. Der Klang und die Bedeutung der Wrter fordern den Leser zum Nach-denken auf. Dies passt zu der Stimmung in der letzten Strophe dieses Gedichts.Darber hinaus bringen diese dunkel klingenden Vokale Farbe in den Klang derletzten Strophe.

    Der Klang des Gedichts ist eintnig, bestimmte Laute werden wiederholt.Doch trotz ihrer Eintnigkeit klingen die Verse nicht monoton, sie klingen nichtgeleiert. Infolge der vielen Alliterationen und der anderen Gleichklnge anVokalen mangelt es den Versen nicht an Wohlklang. Dass der Ton objektivberichtend und nchtern ist, dazu tragen neben den Vokalen aber auch die Kon-sonanten bei. Sie klingen in ihrer Gesamtheit weder sehr weich noch sehr hart.Affrikaten und andere hart tnende Konsonantenverbindungen kommen seltenvor. ber dem Ganzen liegt trotz der Hrte des Winters gelegentlich ein Hauchvon Melancholie: Sanft verblutet das verwundete Wild am abgelegenen Rain.Deshalb fehlt den Lauten eine extreme Hrte. Die Lautgestaltung passt sich dernchtern sachlichen Beschreibung der hier geschilderten Winterlandschaft an.Die Eintnigkeit der Laute, der es nicht an Wohlklang mangelt, erinnert anKlte, Einsamkeit und Tod.

    Neben dem Bild des Lebens in den Stdten hat Trakl in seinen Gedichtenhufiger Bilder von Landschaften auerhalb der Stdte beschrieben. Oft sind esLandschaften, wie sie sich zur Zeit des Herbstes und des Winters zeigen. Fastimmer liegt bei den lteren Gedichten Trakls ber diesen Bildern ein Hauch vonMelancholie. In vielen dieser Gedichte ist von Tod und Verfall die Rede,manchmal aber auch von einer Einkehr in die Geborgenheit eines Zuhause odervon der Zuflucht in die Geborgenheit bei Gott. In dem Gedicht Im Winterwird von Klte, vom Sterben und vom Tod gesprochen, noch nicht, wie in denspteren Gedichten, von Katastrophe, Chaos und von einem Untergang der Kul-tur. Noch halten in dem Gedicht Im Winter trotz der Verschiedenartigkeit derBilder, trotz des Reihenstils mit den meist konjunktionslos verbundenen Haupt-stzen die von einem einheitlichen Gedanken getragene Vorstellung und derumarmende Reim, die Parallelismen, die Alliterationen sowie die anderenGleichlautungen von Vokalen die Strophen zusammen. Auch zwischen den ein-zelnen Strophen besteht aufgrund der dichterischen Form ein Band, das die dreiunterschiedlichen Bilder aneinander knpft. Dies ndert sich in den spterenGedichten Trakls. Wahrscheinlich von Drogen beeinflusst - Trakl war drogen-abhngig - zerfiel Trakls Weltbild in unzusammenhngende Bilder, die derDichter nicht mehr in eine knstlerisch geschlossene Form zu bannen wute.Feste Strophen wichen Strophen von unterschiedlicher Lnge und unterschiedli-cher Form, freie Rhythmen traten an die Stelle von geregelten Versen. Trakl

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  • ahnte den Untergang der damals bestehenden Gesellschaft sterreichs voraus.Dies kommt in Inhalt und Form in seinen dichterischen Werken zum Ausdruck.Trakl starb im November 1914 psychisch erkrankt an einer berdosis Kokain.

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  • Anhang

    Tabelle 1Takte innerhalb der Verse

    Der Acker leuchtet wei und kalt. Der Himmel ist einsam und ungeheuer. Dohlen kreisen ber dem Weiher Und Jger steigen nieder vom Wald.

    Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt. Ein Feuerschein huscht aus den Htten. Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten Und langsam steigt der graue Mond.

    Ein Wild verblutet sanft am Rain Und Raben pltschern in blutigen Gossen. Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen. Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

    x / x' x / x' x / x' x / x' x / x' xx / x' xx / x' x / x' x- / x' x / x' x / x' xx / x' xx / x' x / x' x / x' xx / x'

    x / x' xx / x' x / x' x / x' x / x' x / x' x' / x x / x' xx / x' x / x' x' / x' x / x' xx / x' x / x' x / x' x / x'

    x / x' x / x' x / x' x / x' x / x' x / x' xx / x' xx / x' xx / x' x / x' x / x' x / x' xx / x' x / x' x / x' x / x'

    2 Daktylen1 Daktylus1 Daktylus

    1 Daktylusschweb.Bet. schweb.Bet

    2 Daktylenschweb.Bet.schweb.Bet.

    In Spalte 2 bedeutet das Zeichen x' eine betonte, das Zeichen x eine unbetonte Silbe. In Strophe 1Vers 3 weist das Zeichen - darauf hin, dass dieser Vers keinen Auftakt hat. Die Stellen mit einerschwebenden Betonungen sind unterstrichen.

    Tabelle 2Pausen bzw. rhythmische Einschnitte (Kola) innerhalb der Verse

    Der Acker leuchtet // wei und kalt. Der Himmel ist einsam // und ungeheuer. Dohlen kreisen // ber dem Weiher Und Jger steigen // nieder vom Wald.

    Ein Schweigen // in schwarzen Wipfeln // wohnt. Ein Feuerschein // huscht aus den Htten. Bisweilen schellt // sehr fern ein Schlitten Und langsam steigt // der graue Mond.

    Ein Wild verblutet // sanft am Rain Und Raben pltschern // in blutigen Gossen. Das Rohr bebt gelb // und aufgeschossen. Frost, Rauch, // ein Schritt // im leeren Hain.

    x / x' x / x' x // x' x / x' x / x' xx / x' x//x / x' x / x' x - / x' x / x' x // x' xx / x' xx / x' x / x' x // x' xx / x'

    x / x' x//x / x' x / x' x // x' x / x' x / x' // x / x' x / x' xx / x' x / x' // x / x' x / x' xx / x' x / x' // x / x' x / x'

    x / x' x / x' x // x' x / x' x / x' x / x' x//x / x' xx / x' xx / x' x / x' // x / x' x / x' xx / x' //x / x' // x x' x / x'

    Die Pausen bzw. Einschnitte (Kola) im Vers sind in Spalte 1 und 2 durch einen doppeltenSchrgstrich gekennzeichnet. In Spalte 2 sind die Einschnitte innerhalb zweier Senkungen dazunoch unterstrichen.

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  • Tabelle 3 Alliterationen und andere Gleichklnge von Konsonanten

    Der Acker leuchtet wei und kalt. Der Himmel ist einsam und ungeheuer. Dohlen kreisen ber dem Weiher Und Jger steigen nieder vom Wald.

    Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt. Ein Feuerschein huscht aus den Htten. Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten Und langsam steigt der graue Mond.

    Ein Wild verblutet sanft am Rain Und Raben pltschern in blutigen Gossen. Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen. Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

    Assonanzen und andere Gleichklnge von Vokalen

    Der Acker leuchtet wei und kalt. Der Himmel ist einsam und ungeheuer. Dohlen kreisen ber dem Weiher Und Jger steigen nieder vom Wald.

    Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt Ein Feuerschein huscht aus den Htten. Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten Und langsam steigt der graue Mond.

    Ein Wild verblutet sanft am Rain Und Raben pltschern in blutigen Gossen. Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen. Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

    In Spalte 1 sind die Alliterationen kursiv und fett gedruckt. Die brigen Gleichklnge der Konso-nanten erscheinen kursiv markiert und unterstrichen. In Spalte 2 erscheinen die Assonanzen fett markiert. Die brigen Vokale, die gleich oder sehrhnlich klingen, sind nur dann unterstrichen, wenn sie nahe beieinander stehen und als Gleich-klnge gehrt werden. Unterstrichen in Spalte 2 sind ebenfalls gleiche Wrter sowie gleiche Laut-kombinationen.

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