George Orwell - Mein Katalonien

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  • 8/14/2019 George Orwell - Mein Katalonien

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    George Orwell - Mein Katalonien (1938)

    Der Eifer unserer Brennholzsuche verwandelte uns alle in Botaniker. Wir klassifizierten jede Pflanze, dieauf dem Berg wuchs, nach ihren Brennqualitten: die verschiedenen Heidekruter und Kresse waren gut,

    um ein Feuer in Gang zu setzen, aber sie verbrannten in wenigen Minuten; der wilde Rosmarin- und derwinzige Stechginsterbusch brannten nur dann, wenn das Feuer schon richtig entflammt war; derverkrppelte Eichbaum, kleiner als ein Stachelbeerstrauch, war praktisch unbrennbar. Es gab eine Artvertrockneten Rieds, das gut war, um ein Feuer zu entflammen, aber es wuchs nur auf der Hgelkuppezur Linken unserer Stellung, und man konnte nur unter Beschuss dorthin gehen, um es zu sammeln. Wenndie faschistischen Maschinengewehrschtzen jemanden sahen, gaben sie ihm ganz allein eine RundeBeschuss. Normalerweise zielten sie hoch, und die Kugeln zwitscherten wie Vgel ber unsere Kpfe.Aber manchmal prasselten und splitterten sie unangenehm nah im Kalkgestein, worauf man sich auf seinGesicht warf. Doch dann sammelte jeder sein Ried weiter, denn im Vergleich zum Brennholz gab esnichts mehr von Bedeutung.

    Neben der Klte schienen andere Unannehmlichkeiten geringfgig zu sein. Natrlich waren wir alle

    stndig schmutzig. Unser Wasser kam, wie unser Essen, auf dem Rcken von Maultieren von Alcubierre,und der Anteil jedes einzelnen betrug etwas mehr als ein Liter pro Tag. Es war ein scheuliches Wasser,kaum durchsichtiger als Milch. Theoretisch war es nur zum Trinken, aber ich stahl mir immer einKochgeschirr voll, um mich morgens zu waschen. An einem Tag wusch ich mich, und am nchstenrasierte ich mich; fr beide gab es nie genug Wasser. Die Stellung stank abscheulich, und auerhalb derkleinen Umfriedung der Befestigung lag berall Kot. Einige Milizsoldaten verrichteten ihre Notdurftgewhnlich im Schtzengraben, eine ekelhafte Sache, wenn man whrend der Dunkelheit herumlaufenmusste. Aber der Schmutz plagte mich nie. Schmutz ist etwas, worber sich die Leute zu sehr aufregen.Es ist erstaunlich, wie sehr man sich daran gewhnt, ohne ein Taschentuch auszukommen und aus demgleichen Kochgeschirr zu essen, in dem man sich auch wscht. Nach ein oder zwei Tagen war es nichteinmal mehr schwierig, in den Kleidern zu schlafen. Es war natrlich unmglich, whrend der Nacht die

    Kleider und besonders die Stiefel auszuziehen. Man musstebereit sein, bei einem Angriff sofort herauszuspringen. In achtzig Nchten zog ich meine Kleider dreimalaus, obwohl es mir auch manchmal gelang, sie sogar whrend des Tages auszuziehen. Fr Luse war esnoch zu kalt, aber Ratten und Muse gab es im berfluss. Es wird oft gesagt, dass man Ratten und Musenicht am gleichen Ort findet, aber sie sind doch zusammen da, wenn es genug Nahrung fr sie gibt.Im brigen ging es uns nicht so schlecht. Das Essen war recht gut, und es gab viel Wein. Zigarettenwurden noch immer mit einem Pckchen pro Tag ausgegeben. Streichhlzer gab es jeden zweiten Tag,und wir erhielten auch Kerzen. Es waren sehr dnne Kerzen, so wie auf einem Weihnachtskuchen, unddie gngige Meinung war, man habe sie in den Kirchen erbeutet. Jeder Unterstand erhielt tglich eineetwa acht Zentimeter lange Kerze, sie brannte ungefhr zwanzig Minuten lang. Zu jener Zeit war es nochmglich, Kerzen zu kaufen, und ich hatte mir einige Pfund davon mitgebracht. Spter machte der Mangelan Streichhlzern und Kerzen das Leben sehr schwierig. Man versteht erst, wie wichtig diese Dinge sind,wenn man sie nicht mehr hat. So bedeutet zum Beispiel die Mglichkeit, whrend eines Nachtalarms einLicht anzuznden, wenn jeder im Unterstand nach seinem Gewehr sucht und auf das Gesicht seines

    Nachbarn tritt, genau den Unterschied zwischen Leben und Tod. Jeder Milizsoldat besa einZunderfeuerzeug und einige Meter gelben Docht. Neben dem Gewehr war das sein wichtigster Besitz.Zunderfeuerzeuge hatten den groen Vorteil, dass man sie auch im Wind anschlagen konnte, aber sieschwelten und waren unbrauchbar, ein Feuer anzuznden. Als der Mangel an Streichhlzern amschlimmsten war, konnte man eine Flamme nur entznden, indem man die Kugel aus einer Patroneherauszog und das Schiepulver mit einem Zunderfeuerzeug entflammte.Wir fhrten ein auergewhnliches Leben - eine auergewhnliche Art des Krieges, wenn man es Krieg

    nennen konnte. Die ganze Miliz rieb sich an der Unttigkeit auf und klagte dauernd, um zu erfahren,warum man uns nicht erlaube anzugreifen. Aber es war vollstndig klar, dass es noch auf lange Zeit keineSchlacht geben wrde, auer wenn der Feind sie begnne. Georges Kopp war whrend seiner hufigenInspektionstouren vllig offen mit uns.Das ist kein Krieg, pflegte er zu sagen, das ist eine komische Oper mit einem Tod von Zeit zu Zeit.Tatschlich hatte der Stillstand an der Front in Aragonien politische Ursachen, von denen ich zu jener

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    Zeit wenig wusste. Jedoch die rein militrischen Schwierigkeiten ganz abgesehen vom Mangel anReserven - waren fr jeden offensichtlich.Zunchst war es die Natur des Landes. Die Frontlinien, unsere und die der Faschisten, lagen in Stellungenvon ungeheurer, natrlicher Strke, denen man sich in der Regel nur von einer Seite nhern konnte. Sinderst ein paar Schtzengrben ausgehoben, knnen solche Stellungen von der Infanterie, auer durch eineberwltigende berlegenheit, nicht genommen werden. In unserer eigenen und den meistenumliegenden Stellungen konnte ein Dutzend Leute mit zwei Maschinengewehren ein ganzes Bataillonabhalten. So wie wir auf der Hgelkuppe saen, htten wir ein ideales Ziel fr die Artillerie abgeben

    knnen. Aber es gab keine Artillerie. Manchmal schaute ich ber die Landschaft und sehnte mich - oh,wie leidenschaftlich - nach ein paar Batterien Artillerie. Man htte die feindlichen Stellungen eine nachder anderen zerstren knnen, so leicht, wie man Nsse mit einem Hammer zerschmettert. Aber aufunserer Seite waren einfach keine Kanonen vorhanden. Den Faschisten gelang es von Zeit zu Zeit, einoder zwei Kanonen aus Saragossa an die Front zu bringen und sehr wenige Granaten abzuschieen, sowenige, dass sie sich nicht einmal auf die Entfernung einschieen konnten, und harmlos strzten dieGranaten in die leeren Schluchten. Gegen Maschinengewehre und ohne Artillerie kann man nur dreiDinge tun: sich in sicherer Entfernung - sagen wir vierhundert Meter - eingraben, ber die offene Flchevorgehen und abgeschlachtet werden oder kleine nchtliche Angriffe machen, die an der allgemeinenLage nichts ndern. Praktisch sind die Alternativen Stillstand oder Selbstmord.Auerdem fehlte es uns vollstndig an Kriegsmaterial jeder Art. Nur mit groer Mhe kann man sich

    vorstellen, wie schlecht die Milizen zu jener Zeit ausgerstet waren. Jedes O.T.C.(Offiziersausbildungskorps) einer Internatsschule in England hnelt eher einer modernen Armee, als wires taten. Der schlechte Zustand unserer Waffen war so verblffend, dass es sich lohnt, darber imeinzelnen zu berichten.Die gesamte Artillerie an diesem Abschnitt der Front bestand aus vier Grabengranatwerfern mit fnfzehnSchuss fr jeden einzelnen. Natrlich waren sie zu wertvoll, um abgefeuert zu werden, und so hielt mandie Granatwerfer in Alcubierre. Maschinengewehre hatten wir im Verhltnis von etwa eines auf fnfzigMann. Es waren altmodische Maschinengewehre, aber einigermaen genau bis auf drei-oder vierhundertMeter Entfernung. ber diese Entfernung hinaus konnten wir nur Gewehre benutzen, und die meistendieser Gewehre waren Schrott. Drei Typen Gewehre waren in Benutzung. Das erste war das langeMausergewehr. Gewehre dieser Art waren selten weniger als zwanzig Jahre alt, und ihr Visier war so

    brauchbar wie ein zerbrochener Geschwindigkeitsanzeiger. Bei den meisten waren die Zge hoffnungslosverrostet, aber eins von zehn Gewehren war nicht schlecht. Dann gab es das kurze Mausergewehr odermousqueton, in Wirklichkeit eine Kavalleriewaffe. Diese Gewehre waren beliebter als die anderen, dennman konnte sie leichter tragen, und sie waren weniger unntz im Schtzengraben, auerdem waren sieverhltnismig neu und sahen brauchbar aus. In Wirklichkeit waren aber auch sie fast nutzlos. Man hattesie aus wieder zusammengebauten Teilen gemacht; kein Verschluss gehrte zu dem Gewehr, auf dem ersa. Bei Dreiviertel der Gewehre konnte man damit rechnen, dass er sich nach fnf Schssen sperrte. Esgab auch einige Winchestergewehre. Man konnte recht gut damit schieen, aber sie waren enormungenau, und da die Patronen keine Patronenrahmen hatten, konnte man jeweils nur einen Schussabfeuern. Munition war so knapp, dass jeder Soldat, der an die Front kam, nur fnfzig Schuss erhielt. Diemeisten davon waren auerordentlich schlecht. Die in Spanien hergestellten Patronen warenwiedergefllte Hlsen und klemmten selbst in den besten Gewehren. Die mexikanischen Patronen waren

    besser und wurden deshalb fr die Maschinengewehre reserviert. Am besten war die in Deutschlandhergestellte Munition, aber da sie nur von Gefangenen und Deserteuren kam, gab es nicht viel davon. Frden Notfall verwahrte ich in meiner Tasche immer einen Patronenrahmen mit deutscher odermexikanischer Munition. In der Praxis aber schoss ich im Notfall selten mit meinem Gewehr. Ich hattezuviel Angst, dass das scheuliche Ding klemmen wrde, und auerdem wollte ich auf jeden Fall nocheinige Schsse aufheben, die wirklich losgingen.Wir hatten keine Stahlhelme, keine Bajonette und kaum Revolver oder Pistolen und nicht mehr als eineHandgranate auf fnf oder zehn Leute. Die zu dieser Zeit gebruchliche Handgranate war einfrchterliches Ding, unter dem Namen >F.A.I.-Bombe< bekannt. Die Anarchisten hatten sie whrend der

    ersten Tage des Krieges hergestellt. Sie funktionierte nach dem Prinzip der Millschen Handgranate, aberder Zndhebel wurde nicht durch einen Stift, sondern durch ein Stck Klebestreifen heruntergehalten.Man zerriss den Klebestreifen und musste dann mit grtmglicher Schnelligkeit die Handgranatewegwerfen. Es hie von diesen Handgranaten, sie seien >unparteiisch

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    aber wahrscheinlich etwas weniger gefhrlich fr den Werfer waren. Erst spt im Mrz sah ich eineHandgranate, die zu werfen sich lohnte.Auer diesen Waffen fehlten auch alle kleineren Hilfsmittel fr einen Krieg. Wir hatten zum Beispielkeine Karten oder Plne. Spanien ist nie richtig vermessen worden, und die einzigen detaillierten Kartendieser Gegend waren alte Militrkarten, die fast alle im Besitz der Faschisten waren. Wir hatten keineEntfernungsmesser, keine Fernrohre, keine Grabenspiegel, keine Feldstecher (auer solchen, die einigenvon uns privat gehrten), keine Lichtsignale oder >Very

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    Peng!Aber der Wachtposten schoss an ihm vorbei. In diesem Kriege schoss immer jeder an jedem vorbei, wennes irgendwie menschenmglich war.

    Viertes Kapitel

    Nachdem ich etwa drei Wochen an der Front gelegen hatte, kam eine Abteilung von zwanzig oder dreiigMann in Alcubierre an, die von der I.L.P. (Independent Labour Party) aus England geschickt wurden. Umdie Englnder an diesem Frontabschnitt zusammenzuhalten, leitete man Williams und mich zu ihnen.Unsere neue Stellung lag bei Monte Oscuro, einige Kilometer weiter westlich und in Sichtweite vonSaragossa.Die Stellung sa hoch auf dem Kalkgestein wie auf der Schneide einer Rasierklinge. Die Unterstndewaren waagerecht in die Klippen gebohrt, Nester von Uferschwalben. Sie gingen ber eine erstaunlicheEntfernung hinweg in den Boden. Im Inneren waren sie pechschwarz und so niedrig, dass man nichteinmal darin knien, geschweige denn stehen konnte. Auf den Hgelkuppen zu unserer Linken lagen zweiweitere P.O.U.M.-Stellungen. Eine davon faszinierte jeden Soldaten in der ganzen Kampflinie, denn dort

    gab es drei weibliche Angehrige der Miliz, die das Essen kochten. Diese Frauen waren nicht geradeschn, aber es erwies sich als notwendig, den Soldaten anderer Kompanien den Zugang zu dieser Stellungzu verbieten. Fnfhundert Meter weiter auf unserer Rechten lag eine Stellung der P.S.U.C. an einer Kurveder Strae nach Alcubierre. Genau an dieser Stelle ging die Strae in andere Hnde ber. Nachts sah mandie Lichter unserer Nachschub-Lastwagen, die sich aus Alcubierre herauswanden, und gleichzeitig dieLichter der faschistischen Wagen, die von Saragossa kamen. Man konnte Saragossa selbst sehen: einednne Lichterkette gleich den erleuchteten Bullaugen eines Schiffes, neunzehn Kilometer sdwestwrts.Die Regierungstruppen hatten seit August 1936 aus der gleichen Entfernung dort hinbergestarrt, und siestarren immer noch dorthin.Wir waren etwa dreiig Englnder, einschlielich eines Spaniers (Ramn, der Schwager von Williams),und ein Dutzend spanischer Maschinengewehrschtzen. Auer den unvermeidlichen vereinzeltenAbenteurern wie jeder wei, zieht der Krieg Rauhbeine an - waren die Englnder sowohl krperlichwie auch geistig eine auergewhnlich gute Gruppe. Bob Smillie - der Enkel des berhmtenBergarbeiterfhrers - war vielleicht der beste der ganzen Meute. In Valencia fand er spter einenunglcklichen und sinnlosen Tod. Es ist bezeichnend fr den spanischen Charakter, dass die Englnderund Spanier trotz der Sprachschwierigkeiten immer so gut miteinander auskamen. Wir entdeckten, dassalle Spanier zwei englische Ausdrcke kannten. Einer lautete O. K., baby, der andere war ein Wort, dasdie Huren von Barcelona im Umgang mit englischen Seeleuten gebrauchten, und ich vermute, der Setzerwrde es nicht drucken.Wieder einmal ereignete sich an der ganzen Front nichts. Nur das vereinzelte Pfeifen von Kugeln und,sehr selten, das Krachen eines faschistischen Granatwerfers, worauf alle zum obersten Schtzengraben

    strzten, um zu sehen, auf welchem Hgel die Granaten explodierten. Der Gegner war uns hier etwasnher, vielleicht drei- oder vierhundert Meter weit weg. Seine nchste Stellung lag uns genau gegenber,und zwar war es ein Maschinengewehrnest, dessen Sehschlitz uns dauernd in Versuchung fhrte,Patronen zu verschwenden. Die Faschisten machten sich selten die Mhe, mit Gewehren zu schieen,aber sie berschtteten jeden, der sich zur Schau stellte, mit einem sehr genau gezieltenMaschinengewehrfeuer. Trotzdem dauerte es mehr als zehn Tage, ehe wir den ersten Verlust hatten. Dieuns gegenberliegenden Truppen waren Spanier, aber nach Aussagen von Deserteuren befanden sichunter ihnen etliche deutsche Unteroffiziere. Einige Zeit vorher waren dort auch Mauren arme Teufel,wie mssen sie die Klte gesprt haben -, ein toter Maure lag drauen im Niemandsland, eine derSehenswrdigkeiten dieser Stellung. Etwa eineinhalb bis drei Kilometer links von uns endete derzusammenhngende Verlauf der Front. Dort gab es ein Stck niedrigliegendes, dichtbewaldetes Land, das

    weder den Faschisten noch uns gehrte. Sowohl wir als auch sie schickten am Tage Sphtrupps dorthin.Das war kein schlechter Spa, eine Art Pfadfinderbung, obwohl ich niemals einen faschistischenSphtrupp nher als in einer Entfernung von mehreren hundert Metern sah. Wenn man mglichst viel aufdem Bauch kroch, konnte man sich seinen Weg stellenweise durch die faschistischen Linien bahnen undsogar ein Bauernhaus sehen, auf dem eine monarchistische Fahne flatterte. Es war das rtliche

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    faschistische Hauptquartier. Gelegentlich feuerten wir eine Gewehrsalve darauf ab und schlpften inDeckung, ehe die Maschinengewehre uns entdecken konnten. Ich hoffe, wir zerbrachen ein paar Fenster,aber es lag gut achthundert Meter weit fort, und bei unseren Gewehren wusste man nicht einmal mitSicherheit, ob man auf diese Entfernung ein Haus traf.Das Wetter war meistens klar und kalt. Manchmal mittags sonnig, aber immer kalt. Hier und da fand manim Erdreich des Abhangs grne Spitzen, wilde Krokusse oder Iris, die ans Licht drngten. Offenbar kamder Frhling, aber er kam sehr langsam. Die Nchte waren klter denn je. Wenn wir in den frhenMorgenstunden von der Wache zurckkehrten, kratzten wir zusammen, was noch vom Feuer in der

    Kochstelle brig war, und stellten uns in die rotglhende Asche. Das war schlecht fr unsere Stiefel, abersehr gut fr unsere Fe. An manchem Morgen lohnte der Anblick der Morgendmmerung ber denBergspitzen fast, zu solch gottloser Stunde nicht im Bett zu sein. Ich hasse Berge, selbst wenn siegroartig aussehen. Aber manchmal war es der Mhe wert, den Anbruch des Morgengrauens hinter denHgelspitzen in unserem Rcken, die ersten schmalen goldenen Strahlen, die wie Schwerter durch dieDunkelheit schnitten, und dann das wachsende Licht und das Meer karmesinfarbener Wolken, die sich ineine unabsehbare Ferne hinaus erstreckten, zu beobachten, selbst wenn man die ganze Nacht aufgewesenwar, die Fe von den Knien abwrts kein Gefhl mehr hatten und man mrrisch darber nachdachte,dass keine Hoffnung bestand, innerhalb der nchsten drei Stunden etwas zu essen zu bekommen. Ich sahdie Morgendmmerung in diesem Feldzug fter als in meinem ganzen brigen Leben - oder auchwhrend des Teils meines Lebens, der, wie ich hoffe, noch vor mir liegt.

    Wir hatten hier nicht gengend Leute, und das bedeutete lngere Wachen und mehr Arbeitsdienst. Ich littein wenig unter Mangel an Schlaf, das ist aber selbst whrend der ruhigsten Zeit eines Kriegesunvermeidlich. Neben dem Wachdienst und den Sphtrupps gab es dauernd Nachtalarm undSchiebereitschaft. Auf jeden Fall kann man in einem abscheulichen Bodenloch nicht richtig schlafen,wenn die Fe vor Klte schmerzen. Ich glaube aber nicht, dass ich whrend meiner ersten drei oder vierMonate an der Front mehr als ein dutzendmal jeweils vierundzwanzig Stunden ohne jeden Schlaf blieb.Andererseits erlebte ich sicher kein Dutzend Nchte mit ununterbrochenem Schlaf. Zwanzig bis dreiigStunden Schlaf in einer Woche war eine ganz normale Menge. Die Auswirkungen waren nicht soschlecht, wie man vermuten mchte. Man wurde allmhlich sehr abgestumpft, und es wurde immerschwieriger statt leichter, die Hgel hinauf- und hinunterzuklettern. Aber man fhlte sich wohl und warimmer hungrig - Himmel, wie hungrig! Jedes Essen schien gut, selbst die ewigen Stangenbohnen, deren

    Anblick schlielich jeder in Spanien hassen lernte. Was wir, wenn berhaupt, an Wasser bekamen, wurdekilometerweit auf dem Rcken von Maultieren oder kleinen, geplagten Eseln herbeigebracht. Ausirgendeinem Grunde behandelten die Bauern in Aragonien ihre Maultiere sehr gut, die Esel aberabscheulich. Wenn ein Esel sich weigerte weiterzugehen, war es durchaus blich, ihn in dieGeschlechtsteile zu treten. Jetzt wurden keine Kerzen mehr ausgegeben, und auch Streichhlzer warenknapp. Die Spanier lehrten uns, wie man Lampen fr Olivenl aus Dosen fr kondensierte Milch, einemPatronenrahmen und einem Stckchen Lumpen macht. Wenn man Olivenl hatte, was nicht oft vorkam,

    brannten diese Dinger unter rauchigem Flackern ungefhr ein Viertel so hell wie ein Kerzenlicht, abergerade genug, um bei diesem Licht das Gewehr zu finden.Es gab anscheinend keine Hoffnung auf richtige Kmpfe. Als wir Monte Pocero verlieen, hatte ichmeine Patronen gezhlt und festgestellt, dass ich whrend fast drei Wochen nur drei Schsse auf denFeind abgegeben hatte. Es heit, man brauche tausend Kugeln, um einen Mann zu tten. Bei dem Tempowrde es zwanzig Jahre dauern, bis ich meinen ersten Faschisten gettet htte. Bei Monte Oscuro lagensich die Kampflinien nher, und man feuerte fter, aber ich bin ziemlich sicher, dass ich nie jemandengetroffen habe. Tatschlich war an dieser Front und zu dieser Zeit des Krieges die wirkliche Waffe nichtdas Gewehr, sondern das Megaphon. Da man den Feind nicht tten konnte, schrie man statt dessen zuihm hinber. Diese Methode der Kriegfhrung ist so auergewhnlich, dass ich sie beschreiben muss.Dort, wo sich die Kampflinien auf Rufweite gegenberlagen, gab es immer allerhand Geschrei vonSchtzengraben zu Schtzengraben. Von uns: Fascistas - maricones! Von den Faschisten: VivaEspana! Viva Franco! oder wenn sie wussten, dass ihnen Englnder gegenberlagen: Geht nachHause, ihr Englnder! Wir wollen keine Fremden hier! Auf der Regierungsseite, in den Parteimilizen,

    hatte man das Propagandageschrei zur Unterminierung der geg-nerischen Moral zu einer richtigen Technik entwickelt. In jeder gnstig gelegenen Stellung wurdenSoldaten, gewhnlich Maschinengewehrschtzen, als Schreier vom Dienst abkommandiert und mitMegaphonen ausgerstet. Im allgemeinen verkndeten sie einen festgelegten Text voller revolutionrerTne, worin den faschistischen Soldaten erklrt wurde, dass sie blo Sldlinge des internationalen

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    Kapitalismus seien, dass sie gegen ihre eigene Klasse kmpften und so fort, und man beschwor sie, aufunsere Seite zu kommen. Diese Parolen wurden von sich ununterbrochen ablsenden Propagandistenwiederholt, manchmal dauerte es fast die ganze Nacht. Es ist kaum zu bezweifeln, dass dies eine Wirkungausbte. Jeder stimmte damit berein, dass die vereinzelt zu uns kommenden faschistischen Deserteureteilweise durch diese Parolen beeinflusst wurden. Wenn man sich vorstellt, dass irgendein armer Teufel -sehr wahrscheinlich ein sozialistisches oder anarchistisches Gewerkschaftsmitglied, gegen seinen Willenzur Wehrpflicht gezwungen - auf seinem Wachtposten fror, so musste die Parole Kmpfe nicht gegendeine eigene Klasse!, die dauernd durch die Nacht klang, vielleicht gerade die schmale Grenze zwischen

    Fahnenflucht und Aushalten bei ihm berhren. Natrlich stimmt dieses Verfahren nicht mit derenglischen Anschauung vom Krieg berein. Ich gebe zu, dass ich erstaunt und emprt war, als ich zumersten Mal sah, wie es gemacht wurde. Man denke sich, ein Versuch, den Feind zu berreden, statt ihn zuerschieen! Heute jedoch bin ich der Meinung, dass es in jeder Hinsicht eine legitime Kriegslist war. Imgewhnlichen Stellungskrieg ist es ohne Artillerie uerst schwierig, dem Feind Verluste beizubringen,ohne sie in gleicher Hhe selbst zu erleiden. Um so besser ist es, wenn man eine bestimmte Anzahl vonGegnern ausschalten kann, indem man sie zur Fahnenflucht berredet. Deserteure sind sogar ntzlicherals Leichen, denn sie knnen Informationen geben. Aber anfangs brachte uns das alles zur Verzweiflung.Es gab uns das Gefhl, dass die Spanier ihren Krieg nicht gengend ernst nhmen. Der Mann, der dieParolen auf dem P.S.U.C.-Posten rechts unterhalb von uns hinberschrie, war ein Knstler in seinemBeruf. Statt revolutionre Losungen zu verbreiten, erzhlte er manchmal den Faschisten, wie viel besser

    als sie wir ernhrt wrden. Sein Bericht ber die Rationen auf der Regierungsseite neigte dazu, einbisschen phantasiereich zu sein: Toast mit Butter! -man konnte seine Stimme als Echo ber daseinsame Tal schallen hren. Wir setzen uns hier gerade hin und essen gebutterten Toast! LieblicheSchnitten mit gebuttertem Toast! Ich zweifle nicht, dass er whrend der letzten Wochen oder Monategenau wie jeder von uns Butter nicht gesehen hatte. Aber wahrscheinlich lie in einer eiskalten Nacht dieAnkndigung von gebuttertem Toast vielen Faschisten das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sogar mirlief es im Mund zusammen, obwohl ich wusste, dass er log.Im Februar sahen wir eines Tages, wie sich uns ein faschistisches Flugzeug nherte. Wie gewhnlichwurde ein Maschinengewehr nach drauen gezerrt und sein Lauf aufwrts gerichtet. Jeder lag auf demRcken, um gut zielen zu knnen. Unsere isolierten Stellungen waren keine Bombe wert, und in derRegel machten die wenigen faschistischen Flugzeuge, die ber uns hinwegflogen, einen Bogen um uns

    herum, um dem Maschinengewehrfeuer zu entgehen. Dieses Mal kam das Flugzeug gerade ber unshinweg, aber zu hoch, als dass es sich gelohnt htte, darauf zu schieen. Es fielen auch keine Bomben,sondern weie, glitzernde Dinger heraus, die sich in der Luft dauernd berschlugen. Einige flatterten inunsere Stellung herab. Es waren faschistische Zeitungen, Nummern des Heraldo de Aragon, die den Fallvon Malaga ankndigten.Whrend dieser Nacht unternahmen die Faschisten einen ziemlich fruchtlosen Angriff. Ich legte michgerade todmde nieder, als ein dichter Kugelregen ber unsere Kpfe hinwegpfiff und jemand in denUnterstand rief: Sie greifen an! Ich riss mein Gewehr an mich und schlitterte auf meinen Posten aufdem Gipfel der Stellung, neben dem Maschinengewehr. Es war vollstndig dunkel, und drauen herrschteein teuflischer Lrm. Ich glaube, das Feuer aus fnf Maschinengewehren richtete sich auf uns, und manhrte eine Reihe heftiger Explosionen, die davon herrhrten, dass die Faschisten in idiotischer WeiseHandgranaten ber ihre eigene Brustwehr warfen. Es war vollstndig dunkel. Links von uns unten im Talkonnte ich die grnlichen Blitze von Gewehrfeuer sehen, dort streifte eine kleine faschistische Abteilung,vermutlich ein Sphtrupp, herum. In der Dunkelheit flogen die Kugeln um uns herum, krach - zack-krach. Ein paar Granaten rauschten ber uns hinweg, aber sie fielen nicht in unserer Nhe nieder, und diemeisten explodierten nicht (wie es in diesem Krieg blich war). Mir war nicht wohl zumute, als von derHgelkuppe hinter uns noch ein weiteres Maschinengewehr das Feuer erffnete -tatschlich hatte man einMaschinengewehr dorthin gebracht, um uns zu helfen. Aber damals sah es so aus, als seien wir umzingelt.In diesem Augenblick klemmte unser eigenes Maschinengewehr, so wie es immer mit diesen verfluchtenPatronen klemmte, und der Ladestock war in der undurchdringlichen Finsternis unauffindbar.Anscheinend konnte man nichts tun, als stillzuhalten und auf sich schieen zu lassen. Die spanischen

    Maschinengewehrschtzen hielten es fr unter ihrer Wrde, in Deckung zu gehen, ja, in der Tat stelltensie sich absichtlich heraus, und so musste ich das gleiche tun. Unbedeutend, wie es sein mochte, war dochdas ganze Erlebnis sehr aufschlussreich. Es war das erste Mal, dass ich im eigentlichen Sinne unter Feuergelegen hatte, und zu meiner Demtigung merkte ich, dass ich schreckliche Angst hatte. Man empfindet,wenn man unter heftigem Feuer liegt, immer das gleiche, nicht so sehr, dass man Angst hat, getroffen zu

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    werden, als vielmehr Angst davor, dass man nicht wei, wo man getroffen wird. Man fragt sich die ganzeZeit, wo einen die Kugel erwischen wird, und das gibt dem gesamten Krper eine fast unangenehmeEmpfindlichkeit.

    Nach ein oder zwei Stunden etwa ebbte das Schieen allmhlich ab und legte sich schlielich vollstndig.Unterdessen hatten wir nur einen Verlust. Die Faschisten hatten ein paar Maschinengewehre ins

    Niemandsland vorverlegt, aber sie hatten sich in sicherer Entfernung gehalten und machten keinenVersuch, unsere Befestigung anzugreifen. Tatschlich griffen sie berhaupt nicht an, sondernverschwendeten nur Patronen und machten einen begeisterten Lrm, um den Fall von Malaga zu feiern.

    Die hauptschliche Bedeutung dieses Vorfalls bestand darin, dass er mich lehrte, die Kriegsnachrichten inden Zeitungen mit etwas unglubigeren Augen zu lesen. Ein oder zwei Tage spter verffentlichten dieZeitungen und der Rundfunk Berichte ber einen riesigen Angriff mit Kavallerie und Tanks (einensenkrechten Abhang hinauf), der von den heroischen Englndern abgeschlagen worden sei.Als die Faschisten uns berichteten, Malaga sei gefallen, hielten wir es fr eine Lge. Aber am nchstenTag gab es berzeugendere Gerchte, und es muss ein oder zwei Tage spter gewesen sein, dass esoffiziell zugegeben wurde. Allmhlich kam die ganze schimpfliche Geschichte heraus - wie die Stadt,ohne einen Schuss abzufeuern, evakuiert wurde und wie die Wut der Italiener sich nicht auf die Truppengerichtet hatte, die abgezogen waren, sondern auf die bejammernswerte Zivilbevlkerung, die teilweiseber mehr als hundertfnfzig Kilometer verfolgt und mit Maschinengewehren niedergemacht wurde.Diese Nachricht bewirkte an der ganzen Front eine Art Abkhlung, denn was auch immer die Wahrheit

    gewesen sein mag, jedermann in der Miliz glaubte, dass der Verlust von Malaga die Folge von Verratwar. Damals hrte ich zum ersten Mal das Gerede von Verrat oder getrennten Zielen. Das weckte inmeinem Gehirn die ersten vagen Zweifel an diesem Krieg, in dem bisher das Richtige und das Falscheauseinander zuhalten so wundervoll einfach zu sein schien.Mitte Februar verlieen wir Monte Oscuro und wurden zusammen mit allen P.O.U.M.-Truppen diesesAbschnitts der Armee einverleibt, die Huesca belagerte. Das bedeutete eine Reise von achtzig Kilometernauf dem Lastwagen ber die winterliche Ebene, wo die beschnittenen Rebstcke noch nicht ausschlugenund die Halme des Winterroggens gerade durch den brckligen Boden sprieten. Vier Kilometer vorunseren neuen Schtzengrben glitzerte Huesca klein und klar wie eine Stadt von Puppenhusern. VorMonaten, nach der Eroberung Sietamos, hatte der General, der die Regierungstruppen befehligte, gutaufgelegt gesagt: Morgen werden wir in Huesca Kaffee trinken. Es stellte sich heraus, dass er unrecht

    hatte. Blutige Angriffe wurden gefhrt, aber die Stadt fiel nicht, und der Ausspruch Morgen werden wirin Huesca Kaffee trinken wurde zu einem stndigen Witz in der ganzen Armee. Wenn ich jemals nachSpanien zurckgehe, werde ich darauf bestehen, eine Tasse Kaffee in Huesca zu trinken.

    Fnftes Kapitel

    stlich von Huesca ereignete sich bis spt in den Mrz hinein nichts - fast buchstblich nichts. Wir lagen

    zwlfhundert Meter weit vom Gegner entfernt. Als die Faschisten nach Huesca zurckgetrieben wurden,hatten sich die Truppen der republikanischen Armee, die diesen Frontabschnitt hielten, bei ihremVormarsch nicht bereifrig gezeigt, und so formte sich die Front hier wie eine Tasche. Spter musste sievorverlegt werden - sicher unter Beschuss eine heikle Sache -, aber augenblicklich htte der Feind ebensogut gar nicht vorhanden sein knnen. Unsere einzige Beschftigung bestand darin, uns warm zu haltenund genug zu essen zu bekommen. Tatschlich gab es einiges, was mich whrend dieser Zeit interessierte,und ich werde spter davon berichten. Aber ich halte mich wohl enger an den Ablauf der Ereignisse,wenn ich hier zunchst versuche, eine Darstellung der innenpolitischen Situation auf der Regierungsseitezu geben.Anfangs hatte ich mich wenig um die politische Seite des Krieges gekmmert, aber ungefhr um dieseZeit begann ich meine Aufmerksamkeit auch darauf zu richten. Wer nicht an den Wirrnissen der

    Parteipolitik interessiert ist, berschlgt am besten die nchsten Seiten. Aus diesem Grund bemhe ichmich auch, die politische Seite dieser Erzhlung in getrennten Kapiteln zu halten. Es wre darber hinausganz unmglich, nur unter rein militrischen Gesichtspunkten ber den Spanischen Krieg zu schreiben.Es war nmlich vor allen Dingen ein politischer Krieg. Kein Ereignis, besonders aus den ersten Jahren, istverstndlich ohne eine gewisse Kenntnis von dem Kampf zwischen den Parteien, der sich hinter der

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    Frontlinie der Regierungsseite abspielte. Als ich nach Spanien kam, und auch einige Zeit spter,interessierte ich mich nicht nur nicht fr die politische Situation, sondern sie kam mir nicht einmal zumBewusstsein. Ich wusste, dass es Krieg gab, aber ich hatte keine Ahnung, was fr eine Art von Krieg daswar. Wenn man mich gefragt htte, warum ich mich der Miliz angeschlossen hatte, so wrde ichgeantwortet haben: Um gegen den Faschismus zu kmpfen. Wenn man mich gefragt htte, wofr ichkmpfte, wrde ich geantwortet haben: Fr allgemeine Anstndigkeit. Ich hatte mich mit der Versionvon News Chronicle - New Statesman abgefunden, die diesen Krieg als die Verteidigung der Zivilisationgegen den verrckten Aufstand einer Armee von reaktionren Obristen vom Typ des Colonel Blimp

    (Anm.: Karikaturgestalt von David Low als Sinnbild des reaktionren Englnders.) im Solde Hitlersschilderten. Die revolutionre Atmosphre von Barcelona hatte mich sehr stark gefesselt, aber ich hattekeinen Versuch gemacht, sie zu verstehen.Das Kaleidoskop der politischen Parteien und Gewerkschaften mit ihren langweiligen Namen P.S.U.C,P.O.U.M., F.A.I., C.N.T., U.G.T., J.C.I., J.S.U., A.I.T. - brachte mich nur in Verzweiflung. Auf denersten Blick sah es so aus, als leide ganz Spanien an einer Abkrzungspest. Ich wusste, dass die Gruppe,in der ich diente, P.O.U.M. hie (ich hatte mich der P.O.U.M.-Miliz und keiner anderen nur deshalbangeschlossen, weil ich in Barcelona zufllig mit I.L.P.-Papieren ankam). Aber ich hatte keine Ahnung,dass es zwischen den politischen Parteien ernstliche Unterschiede gab. Wenn jemand bei Monte Poceroauf die Stellung zu unserer Linken zeigte und sagte: Das sind die Sozialisten (also die P.S.U.C), warich verwirrt und sagte: Sind wir nicht alle Sozialisten? Ich fand es idiotisch, dass Leute, die um ihr

    Leben kmpften, verschiedenen Parteien angehren sollten. Meine Einstellung lautete immer: Warumknnen wir nicht all diesen politischen Unsinn fallenlassen und einfach mit dem Krieg weitermachen?Das war natrlich die richtige >antifaschistische< Haltung, die von den englischen Zeitungen sehrsorgfltig verbreitet wurde, hauptschlich um die Leute davon abzuhalten, die wahre Natur des Kampfeszu begreifen. In Spanien jedoch, besonders in Katalonien, konnte niemand diese Ansicht langeaufrechterhalten. Jeder auch noch so Uneinsichtige musste frher oder spter Partei ergreifen. Selbstwenn man fr die politischen Parteien und ihre sich befehdenden Ansichten nichts brig hatte, konnteman nicht bersehen, wie eng das eigene Schicksal damit verknpft war. Als Milizsoldat war man einSoldat gegen Franco, aber man war auch eine Schachfigur in dem riesigen Kampf, der zwischen zwei

    politischen Theorien ausgefochten wurde. Wenn ich am Berghang verzweifelt nach Brennholz suchte undmich wunderte, ob das wirklich Krieg war oder ob die News Chronicle ihn nur erfunden htte, als ich

    mich vor dem Feuer der kommunistischen Maschinengewehre whrend des Aufruhrs in Barcelona duckteund als ich schlielich mit der Polizei auf meinen Fersen aus Spanien floh - geschah das, weil ich in derP.O.U.M.-Miliz diente und nicht in der P.S.U.C. So gro ist der Unterschied zwischen zweiAbkrzungen!Um die verschiedenen Auffassungen auf der Regierungsseite zu verstehen, muss man sich daran erinnern,wie der Krieg ausbrach. Als die Kmpfe am 18. Juli begannen, sprte wahrscheinlich jeder Antifaschist inEuropa eine erregende Hoffnung, denn hier stand anscheinend endlich die Demokratie gegen denFaschismus auf. Whrend der letzten Jahre hatten sich die demokratischen Staaten Schritt fr Schritt demFaschismus unterworfen. Man hatte den Japanern erlaubt, in der Mandschurei zu tun, was sie wollten.Hitler war zur Macht gekommen und fuhr fort, die politischen Gegner aller Schattierungen zumassakrieren. Mussolini hatte die Abessinier bombardiert, whrend dreiundfnfzig Nationen (ich glaube,es waren dreiundfnfzig) abseits standen und fromme Sprche von sich gaben. Aber als Franco versuchte,eine gemigt links orientierte Regierung zu strzen, lehnten sich entgegen allen Erwartungen diespanischen Menschen gegen ihn auf. Es schien - vielleicht war es sogar - die Wende der Flut.Aber es gab gewisse Einzelheiten, die sich der allgemeinen Aufmerksamkeit entzogen. Zunchst einmalkonnte man Franco strenggenommen nicht mit Hitler oder Mussolini vergleichen. Sein Aufstieg war einemilitrische Meuterei, die von der Aristokratie und der Kirche untersttzt wurde, und vor allem war es

    besonders am Anfang weniger ein Versuch, den Faschismus durchzusetzen, als den Feudalismuswiederherzustellen. Das bedeutete, dass sich nicht nur die Arbeiterklasse, sondern auch verschiedeneKreise der liberalen Bourgeoisie gegen Franco stellten - gerade jene Leute, die den Faschismus in seinermoderneren Form sonst untersttzen. Noch wichtiger war, dass die spanische Arbeiterklasse Franco nicht,

    wie es vielleicht denkbar gewesen wre, im Namen der Demokratie und des Status quo widerstand. IhrWiderstand wurde begleitet, oder man knnte fast sagen, er nhrte sich eigentlich aus einemkompromisslosen revolutionren Aufbegehren. Die Bauern bemchtigten sich des Grund und Bodens,viele Fabriken und der grte Teil des Transportsystems wurden von den Gewerkschaften bernommen,Kirchen wurden zerstrt und die Priester weggetrieben oder gettet. Unter dem Beifall des katholischen

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    Klerus konnte die Daily Mail Franco als einen Patrioten darstellen, der sein Land von einer Hordeteuflischer Roter befreite.Whrend der ersten Kriegsmonate waren Francos wirkliche Gegner weniger die Regierung als dieGewerkschaften. Sobald die Revolution ausbrach, antworteten die organisierten Arbeiter in den Stdtenmit der Ausrufung des Generalstreiks und verlangten dann Waffen aus den ffentlichen Arsenalen, die sienach einigen Kmpfen auch erhielten. Falls sie nicht spontan und mehr oder weniger unabhngiggehandelt htten, wre es gut denkbar, dass niemand Franco widerstanden htte. Natrlich gibt es darberkeine Gewissheit, aber es gibt zumindest Grnde, es anzunehmen. Die Regierung hatte wenig oder gar

    keine Versuche unternommen, dem Aufruhr zuvorzukommen, den man so lange Zeit vorausgesehenhatte. Als die Schwierigkeiten begannen, war ihre Haltung schwach und zgernd; ja so schwach, dass esin Spanien an einem Tag drei Premierminister gab (Anm.: Quiroga, Barrios und Giral. Die beiden erstenweigerten sich, Waffen an die Gewerkschaften zu verteilen.). Auerdem wurde die Bewaffnung derArbeiter, vermutlich der einzige Schritt, die unmittelbare Situation zu retten, nur unwillig und als Antwortauf den ungestmen Tumult des Volkes vollzogen. Aber schlielich wurden die Waffen doch verteilt. Inden groen Stdten Ostspaniens wurden die Faschisten durch eine gewaltige Anstrengungzurckgeschlagen, vor allem durch die Arbeiterklasse, die von einigen bewaffneten Truppen (der Guardiade Asalto und so weiter) untersttzt wurden, die der Regierung treu geblieben waren. Es war eineAnstrengung, deren wahrscheinlich nur Menschen fhig sind, die mit einer revolutionren Absichtkmpfen, das heit, die daran glauben, fr etwas Besseres zu kmpfen als fr den Status quo. Es wird

    angenommen, dass in den verschiedenen Zentren der Revolution an einem Tag dreitausend Menschen inden Straen umkamen. Mnner und Frauen rannten, nur mit Dynamitstben bewaffnet, ber offene Pltzeund strmten Gebude, die von gebten Soldaten mit Maschinengewehren verteidigt wurden.Maschinengewehrnester, die die Faschisten an strategischen Stellen aufgestellt hatten, wurden zerstrt,indem Taxis mit einer Geschwindigkeit von hundert Kilometern auf sie zurasten. Selbst wenn man nichtsvon der Landergreifung durch die Bauern gehrt hatte, von der Einrichtung rtlicher Sowjets und soweiter, konnte man kaum glauben, dass die Anarchisten und Sozialisten, die das Rckgrat desWiderstandes waren, so etwas taten, um die kapitalistische Demokratie zu erhalten. Besonders nachAnsicht der Anarchisten war die Demokratie ja nichts weiter als eine zentralisierte Lgenmaschine.Inzwischen hatten die Arbeiter Waffen in Hnden und weigerten sich, sie zu diesem Zeitpunkt wiederabzugeben. (Selbst ein Jahr spter wurde berschlgig festgestellt, dass die anarchistischen Syndikalisten

    in Katalonien dreiigtausend Gewehre besaen.) Die Gter der groen profaschistischen Landbesitzerwurden vielerorts von den Bauern erobert. Zusammen mit der Kollektivierung der Industrie und desTransportwesens machte man den Versuch, die ersten Anfnge einer Arbeiterregierung zu bilden. Eswurden rtlich Ausschsse eingesetzt, Arbeiterpatrouillen sollten die alte prokapitalistische Polizeimachtersetzen, die Arbeitermiliz baute auf den Gewerkschaften auf und so weiter. Natrlich war dieser Prozessnicht einheitlich und machte in Katalonien grere Fortschritte als anderswo. Es gab Gegenden, wo dieInstitutionen der rtlichen Regierungsgewalt fast unberhrt blieben, und andere, wo sie Seite an Seite mitden Revolutionskomitees existierten. An einigen Orten wurden unabhngige, anarchistische Kommunenerrichtet; einige bestanden ein Jahr lang, bis sie mit Gewalt durch die Zentralregierung unterdrcktwurden. In Katalonien lag die tatschliche Gewalt whrend der ersten Monate in den Hnden deranarchistischen Syndikalisten, die die meisten Schlsselindustrien kontrollierten. Was sich in Spanienereignet hatte, war tatschlich nicht nur ein Brgerkrieg, sondern der Beginn einer Revolution. Dieantifaschistische Presse auerhalb Spaniens hat sich besonders bemht, diese Tatsache zu verschleiern.Die Streitfrage wurde auf die Formel Faschismus gegen Demokratie zusammengedrngt und derrevolutionre Aspekt so gut wie mglich verborgen. In England, wo die Presse zentralisierter ist und dieffentlichkeit leichter als sonst wo betrogen werden kann, erhielten nur zwei Versionen des SpanischenKrieges irgendeine nennenswerte Publizitt: die Version der Rechtsgerichteten, wonach christlichePatrioten gegen bluttriefende Bolschewisten kmpften, und die Version der Linksgerichteten, wonachrepublikanische Gentlemen eine militrische Revolte unterdrckten. Der Hauptstreitpunkt wurde mitErfolg verschwiegen.Dafr gab es verschiedene Grnde. Zunchst einmal wurden von der profaschistischen Presse

    erschreckende Lgen ber Grueltaten verbreitet, und wohlmeinende Propagandisten dachten ohneZweifel, dass sie der spanischen Regierung halfen, wenn sie verschleierten, dass Spanien >rot gewordenliberalen< Kapitalisten in die gleiche Richtung zielte. Fremdes Kapital war in Spanien sehrstark investiert. So waren zum Beispiel in der Straenbahngesellschaft Barcelona zehn Millionen

    britisches Kapital, inzwischen aber hatten die Gewerkschaften in Katalonien das ganze Transportwesenbernommen. Falls die Revolution fortschritt, wrde es entweder gar keine Kompensation oder nur sehrwenig geben. Ging aber die kapitalistische Republik siegreich aus dem Kampf hervor, wren die

    auslndischen Investitionen sicher gewesen. Da die Revolution jedenfalls zertrmmert werden musste,vereinfachte es alles sehr, wenn man vorgab, dass keine Revolution stattgefunden habe. Auf diese Weisekonnte die wirkliche Bedeutung jedes Ereignisses verschwiegen werden. Jeder Wechsel in der Macht vonden Gewerkschaften zur Zentralregierung lie sich als ein notwendiger Schritt zur militrischenReorganisation darstellen. Die so geschaffene Situation war uerst seltsam. Auerhalb Spanienserkannten nur wenige Leute, dass es eine Revolution gab; im Inneren Spaniens zweifelte niemand daran.Selbst die Zeitungen der P.S.U.C., kontrolliert von den Kommunisten und mehr oder weniger einerantirevolutionren Politik verschrieben, sprachen ber unsere glorreiche Revolution. Whrenddessenschrieb die kommunistische Presse im Ausland, dass es nirgendwo auch nur ein Zeichen von Revolutiongbe. Die bernahme der Fabriken, die Einsetzung von Arbeiterrten und so weiter war nicht geschehenoder war nach einer anderen Lesart geschehen, hatte aber keine politische Bedeutung. Nach dem Daily

    Worker (6. August 1936) waren diejenigen, die sagten, dass das spanische Volk fr eine sozialeRevolution oder irgend etwas anderes als die Bourgeoisdemokratie kmpfe, ausgesprochen lgnerischeSchufte. Andererseits erklrte Juan Lopez, ein Mitglied der Regierung von Valencia, im Februar 1937,das spanische Volk vergiet sein Blut nicht fr die demokratische Republik und seine Verfassung aufdem Papier, sondern fr... eine Revolution. So mochte es den Anschein haben, dass die ausgesprochenlgnerischen Schufte sogar Mitglieder der Regierung waren, fr die zu kmpfen man uns aufgeforderthatte. Einige der auslndischen antifaschistischen Zeitungen lieen sich sogar zu dererbarmungswrdigen Lge herab, dass Kirchen nur dann angegriffen wurden, wenn sie als faschistischeBefestigungen dienten. Tatschlich wurden die Kirchen berall geplndert, und zwar in einerselbstverstndlichen Weise, da man sehr genau verstand, dass die spanische Kirche ein Teil deskapitalistischen Theaters war. Im Verlauf von sechs Monaten sah ich in Spanien nur zwei unzerstrte

    Kirchen. Bis zum Juli 1937 erlaubte man nicht, dass eine Kirche geffnet und Gottesdienste abgehaltenwurden, auer ein oder zwei protestantischen Kirchen in Madrid.Aber im Grunde genommen war es nur der Beginn einer Revolution und nicht deren Vollendung. Selbstwenn die Arbeiter, sicherlich in Katalonien und mglicherweise auch sonst wo, die Macht gehabt htten,so etwas zu tun, strzten oder verdrngten sie die Regierung nicht. Offensichtlich konnten sie es nicht tun,solange Franco gegen das Tor hmmerte und Teile des Mittelstandes auf seiner Seite waren. Das Land

    befand sich in einem Stadium des bergangs, und es war mglich, dass es sich entweder in der Richtungdes Sozialismus entwickelte oder aber zu einer normalen kapitalistischen Republik zurckkehrte. DieBauern hatten jetzt das meiste Land, und sie wrden es wahrscheinlich behalten, es sei denn, Francoerrnge den Sieg. Alle groen Industrien waren kollektiviert worden. Ob sie aber kollektiviert bliebenoder ob der Kapitalismus wieder eingefhrt wrde, hing schlielich davon ab, welche Gruppe dieKontrolle gewinnen wrde. Fr den Anfang konnte man sicher sagen, dass sowohl die Zentralregierungals auch die Generalidad de Catalufia (die halbautonome katalanische Landesregierung) dieArbeiterklasse reprsentierten. An der Spitze der Regierung stand Caballero, ein Sozialist des linkenFlgels, die Minister waren Vertreter der U.G.T. (Sozialistische Gewerkschaften) und der C.N.T.(Syndikalistische Gewerkschaften, die von den Anarchisten kontrolliert wurden). Eine Zeitlang wurde diekatalanische Generalidad praktisch von einem antifaschistischen Verteidigungskomitee ersetzt (Anm.:Comit Central de Milicias Antifascistas. Die Delegierten wurden im Verhltnis zur Mitgliedschaft ihrerOrganisationen gewhlt. Neun Delegierte vertraten die Gewerkschaften, drei die katalanische liberalePartei und zwei die verschiedenen marxistischen Parteien (P.O.U.M., Kommunisten und andere).), dashauptschlich aus Delegierten der Gewerkschaften bestand. Spter wurde das Verteidigungskomitee

    aufgelst und die Generalidad neu gebildet, um die Gewerkschaften und die verschiedenenlinksgerichteten Parteien zu vertreten. Aber jede der folgenden Umbildungen brachte die Regierungweiter nach rechts. Zunchst wurde die P.O.U.M. von der Generalidad ausgestoen. Sechs Monate spterwurde Caballero durch den rechtsgerichteten Sozialisten Negrin ersetzt. Kurze Zeit spter wurde dieC.N.T. aus der Zentralregierung ausgeschlossen, dann die U.G.T. Danach wurde die C.N.T. aus der

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    Generalidad entfernt, und ein Jahr nach Ausbruch des Krieges und der Revolution gab es schlielich eineRegierung, die vollstndig von rechtsgerichteten Sozialisten, Liberalen und Kommunisten gebildet wurde.Der allgemeine Umschwung nach rechts begann ungefhr im Oktober und November 1936, als dieUdSSR anfing, die Zentralregierung mit Waffen zu versorgen, und als die Macht von den Anarchisten aufdie Kommunisten berging. Auer Russland und Mexiko besa kein anderes Land den Anstand, derZentralregierung zu Hilfe zu kommen, und Mexiko konnte aus einleuchtenden Grnden Waffen nicht ingroen Mengen liefern. So waren also die Russen in der Lage, die Bedingungen zu diktieren. Es bestehtkaum ein Zweifel daran, dass diese Bedingungen vor allem lauteten: Verhindert die Revolution, oder ihr

    bekommt keine Waffen. So wurde die erste Manahme gegen die revolutionren Elemente, nmlich dieVerdrngung der P.O.U.M. aus der katalanischen Generalidad, nach Befehlen der UdSSR durchgefhrt.Man hat abgeleugnet, dass die russische Regierung irgendeinen direkten Druck ausgebt habe. Aber dieseTatsache ist nicht von groer Bedeutung, denn man kann annehmen, dass die kommunistischen Parteienaller Lnder die russische Politik ausfhren. Es wird aber nicht geleugnet, dass die kommunistische Parteidie hauptschliche Triebkraft zunchst gegen die P.O.U.M., spter gegen die Anarchisten, den vonCaballero gefhrten Flgel der Sozialisten und allgemein gegen eine revolutionre Politik war. Nachdemsich die UdSSR einmal eingemischt hatte, war der Triumph der kommunistischen Partei gesichert.Zunchst wurde das kommunistische Prestige dadurch enorm gehoben, dass man Russland gegenberdankbar war fr die Waffen und die Tatsache, dass die kommunistische Partei besonders nach Ankunftder Internationalen Brigade den Anschein erweckte, als knnte sie den Krieg gewinnen. Zweitens wurden

    die russischen Waffen durch die kommunistische Partei oder die mit ihr verbndeten Parteienausgeliefert, und sie achteten darauf, dass ihre politischen Gegner sowenig wie mglich davon erhielten(Anm.: Das war der Grund dafr, dass es an der aragonischen Front so wenig russische Waffen gab, dadie Truppen dort hauptschlich Anarchisten waren. Bis zum April 1937 sah ich als einzige russischeWaffe - mit Ausnahme einiger Flugzeuge, die vielleicht russisch waren, vielleicht aber auch nicht - nureine einzelne Maschinenpistole.). Drittens gelang es den Kommunisten durch die Verkndung einernichtrevolutionren Politik, alle diejenigen um sich zu scharen, die von Extremisten verscheucht wordenwaren. Es war beispielsweise leicht, die wohlhabenderen Bauern gegen die Kollektivierungspolitik derAnarchisten zu sammeln. Die Mitgliedschaft der Partei wuchs gewaltig an, der Zufluss speiste sichhauptschlich aus dem Mittelstand: Ladenbesitzer, Beamte, Armeeoffiziere, wohlhabende Bauern und soweiter, und so weiter. Im Grunde genommen war der Krieg ein Dreieckskampf. Das Ringen mit Franco

    musste fortgesetzt werden, aber gleichzeitig war es das Ziel der Zentralregierung, alle Machtzurckzugewinnen, die noch in den Hnden der Gewerkschaften verblieben war. Dies geschah durch eineReihe kleiner Manver, es war eine Politik der Nadelstiche, wie es jemand genannt hat, und man tat es,im ganzen gesehen, sehr klug. Es gab keine allgemeine, offene Gegenrevolution, und bis zum Mai 1937war es nicht einmal ntig, Gewalt anzuwenden. Man konnte die Arbeiter immer durch ein Argument zurRson bringen, das fast zu augenfllig ist, um es zu nennen: Wenn ihr dieses oder jenes nicht tut, werdenwir den Krieg verlieren. In jedem Fall natrlich verlangte anscheinend die militrische Notwendigkeit,etwas aufzugeben, das die Arbeiter 1936 fr sich errungen hatten. Aber dieses Argument war immerstichhaltig, denn das letzte, was die Revolutionsparteien wnschten, war, den Krieg zu verlieren. Verlorman den Krieg, wrden Demokratie und Revolution, Sozialismus und Anarchismus zu bedeutungslosenWorten. Die Anarchisten, die einzige Revolutionspartei, deren Gre von Bedeutung war, wurdengezwungen, Stck fr Stck nachzugeben. Das Fortschreiten der Kollektivierung wurde angehalten, diertlichen Ausschsse wurden entfernt, die Arbeiterpatrouillen wurden aufgelst, die Polizeikrfte derVorkriegszeit wurden, weitgehend verstrkt und schwer bewaffnet, wieder eingesetzt, und verschiedeneSchlsselindustrien, die unter der Kontrolle der Gewerkschaften gestanden hatten, wurden von derRegierung bernommen. (Die bernahme des Telefonamtes von Barcelona, die zu den Maikmpfengefhrt hatte, war ein Beispiel dieser Entwicklung.) Schlielich, und das war das allerwichtigste, wurdendie Milizeinheiten der Arbeiter, die sich auf die Gewerkschaften grndeten, allmhlichauseinandergebrochen und in die neue Volksarmee aufgeteilt. Das war eine >unpolitische< Armee, siehatte einen halben Bourgeoischarakter. Es gab unterschiedlichen Sold, eine privilegierte Offizierskasteund so weiter, und so weiter. Unter den besonderen Umstnden war das tatschlich ein entscheidender

    Schritt. In Katalonien vollzog man ihn allerdings spter als an anderen Orten, denn hier waren dieRevolutionsparteien am strksten. Offensichtlich bestand die einzige Garantie fr die Arbeiter, ihreErrungenschaften zu festigen, nur darin, einen Teil ihrer Streitkrfte unter ihrer eigenen Kontrolle zuhaben. Wie gewhnlich wurde auch das Auseinanderbrechen der Miliz im Namen militrischerLeistungsfhigkeit vollzogen, und niemand leugnete, dass eine grndliche militrische Reorganisation

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    notwendig war. Es wre aber durchaus mglich gewesen, die Miliz zu reorganisieren und leistungsfhigerzu machen und sie gleichzeitig unter der direkten Kontrolle der Gewerkschaften zu belassen. DerHauptzweck des Wechsels lag darin, dafr zu sorgen, dass die Anarchisten keine eigenen Waffen mehr

    besaen. Auerdem war der demokratische Geist der Miliz ein Brutnest fr revolutionre Ideen. DieKommunisten wussten das sehr genau und schimpften ohne Unterlass und erbittert ber die P.O.U.M. unddas anarchistische Prinzip des gleichen Lohns fr alle Rnge. Es fand eine allgemeine>Verbrgerlichung< statt, eine absichtliche Zerstrung des Gleichheitsgeistes aus den ersten Monaten derRevolution. Alles ereignete sich so geschwind, dass Leute, die Spanien innerhalb von wenigen Monaten

    mehrmals besucht hatten, erklrten, dass sie anscheinend kaum das gleiche Land besuchten. Was an derOberflche und fr eine kurze Weile ein Arbeiterstaat zu sein schien, verwandelte sich vor den eigenenAugen in eine herkmmliche Bourgeoisrepublik mit der normalen Unterscheidung von reich und arm. ImHerbst 1937 erklrte der >Sozialist< Negrin in ffentlichen Ansprachen, dass wir privates Eigentumrespektieren, und Mitglieder des Cortes, die zu Beginn des Krieges aus dem Land fliehen mussten, daman sie faschistischer Sympathien verdchtigte, kehrten nach Spanien zurck.Man kann den ganzen Vorgang leicht verstehen, wenn man sich daran erinnert, dass er aus derzeitweiligen Allianz herrhrt, die der Faschismus in verschiedenen Formen der Bourgeoisie und denArbeitern aufzwingt. Dieses Bndnis, bekannt als Volksfront, ist eigentlich eine Allianz zwischenFeinden, und es erscheint als wahrscheinlich, dass es immer damit enden muss, dass ein Partner denanderen verschlingt. Das einzige unerwartete Merkmal an der spanischen Lage - und auerhalb Spaniens

    hat es in erheblichem Umfange Missverstndnisse hervorgerufen - besteht darin, dass unter den Parteienauf der Seite der Zentralregierung die Kommunisten nicht auf der extremen Linken, sondern auf derextremen Rechten standen. In Wirklichkeit sollte das nicht berraschen, denn die Taktik derkommunistischen Partei in anderen Lndern, besonders in Frankreich, hat klar gezeigt, dass man denoffiziellen Kommunismus zumindest zur Zeit als eine antirevolutionre Kraft betrachten muss. Die ganzeKominternpolitik ist jetzt der Verteidigung der UdSSR untergeordnet (entschuldbar, wenn man dieWeltsituation betrachtet), und diese Verteidigung beruht auf einem System militrischer Bndnisse.Vornehmlich hat sich die UdSSR mit Frankreich, einem kapitalistisch-imperialistischen Land, verbndet.Dieses Bndnis ntzt Russland wenig, es sei denn, der franzsische Kapitalismus ist stark. Darum mussdie kommunistische Politik in Frankreich antirevolutionr sein. Das heit nicht nur, dass diefranzsischen Kommunisten hinter der Trikolore hermarschieren und die Marseillaise singen, sondern,

    und das ist noch wichtiger, sie mussten jegliche wirksame Agitation in den franzsischen Kolonienfallenlassen. Vor weniger als drei Jahren erklrte Thorez, der Sekretr der franzsischenkommunistischen Partei, die franzsischen Arbeiter knnten nie zu einem Kampf gegen ihre deutschenKameraden angestachelt werden (Anm.: In der Deputiertenkammer im Mrz 1935.). Heute ist er inFrankreich einer der laut-halsigsten Patrioten. Der Schlssel zum Verhalten der kommunistischen Parteiin irgendeinem Lande ist die tatschliche oder potentielle militrische Beziehung dieses Landes zurUdSSR. In England zum Beispiel ist die Lage noch ungewiss, deshalb ist die englische kommunistischePartei der Nationalregierung gegenber immer noch feindlich eingestellt und widersetzte sich angeblichder Aufrstung. Wenn aber Grobritannien ein Bndnis oder ein militrisches Abkommen mit derUdSSR abschliet, werden die englischen hnlich den franzsischen Kommunisten keine andere Wahlhaben, als gute Patrioten und Imperialisten zu werden. Dafr gibt es schon erste Anzeichen. In Spanienwurde die kommunistische >Linie< zweifellos durch die Tatsache beeinflusst, dass Frankreich alsVerbndeter Russlands sich gegen einen revolutionren Nachbarn wenden und Himmel und Erde inBewegung setzen wrde, um die Befreiung Spanisch-Marokkos zu verhindern. Die Daily Mail, mit ihrenGeschichten einer von Moskau finanzierten roten Revolution, hatte diesmal noch mehr unrecht alsgewhnlich. In Wirklichkeit waren es die Kommunisten, die vor allen anderen in Spanien eine Revolutionverhinderten. Als die Krfte der Rechten spter im vollen Besitz der Kontrolle waren, zeigten sich dieKommunisten willig, bei der Jagd auf revolutionre Fhrer noch ein gutes Stck weiter als die Liberalenzu gehen (Anm.: Der beste Bericht ber das Wechselspiel zwischen den Parteien auf der Regierungsseiteist Franz Borkenaus The Spanish Cockpit. Es ist das weitaus aufschlussreichste Buch, das bis jetzt berden Spanischen Krieg erschienen ist.).

    Ich habe versucht, den allgemeinen Ablauf der spanischen Revolution whrend des ersten Jahres zuskizzieren, denn das erleichtert das Verstndnis der Situation fr jeden einzelnen Augenblick. Aber ichmchte nicht den Eindruck erwecken, als ob ich im Februar schon die gleichen Ansichten gehabt htte,wie ich sie hier geschildert habe. Vor allem hatten die Ereignisse, die mir die Augen ffneten, noch nichtstattgefunden, und meine Sympathien lagen jedenfalls etwas anders als heute. Das kam zum Teil daher,

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    weil mich die politische Seite des Krieges langweilte, und ich opponierte natrlich gegen die Ansichten,die ich am hufigsten hrte, das heit die Ansichten der P.O.U.M.-I.L.P. Die Englnder, mit denen ichaugenblicklich zusammen lebte, waren die Mitglieder der I.L.P, einige auch der KP. Die meisten vonihnen waren politisch viel besser unterrichtet als ich selbst. Whrend vieler Wochen dieser langweiligenZeit, als vor Huesca nichts geschah, fand ich mich selbst mitten in einer politischen Diskussion, die

    praktisch niemals endete. In der zugigen, bel riechenden Scheune des Bauernhauses, in dem wireinquartiert waren, in der stickigen Dunkelheit der Unterstnde und whrend der kaltenMitternachtsstunden hinter der Brustwehr wurde endlos ber die miteinander in Konflikt liegenden

    Partei->Linien< debattiert. Auch die Spanier taten nichts anderes. Die meisten Zeitungen, die wir zuGesicht bekamen, beschftigten sich auch vorwiegend mit dem Kampf zwischen den Parteien. Manmusste taub oder schwachsinnig sein, um nicht etwa zu begreifen, wofr sich die verschiedenen Parteieneinsetzten.Es gab nur drei Parteien von politisch-theoretischer Bedeutung, die P.S.U.C., die P.O.U.M. und dieC.N.T.-F.A.I., ungenau als Anarchisten bezeichnet. Ich beschreibe zuerst die P.S.U.C., da sie die

    bedeutendste war. Es war die Partei, die zum Schluss triumphierte, und selbst zu dieser Zeit war sie schonsichtbar im Aufstieg.Es ist notwendig zu erklren, dass in Wirklichkeit die kommunistische Parteilinie gemeint ist, wenn manvon der P.S.U.C.>Linie< spricht. Die P.S.U.C. (Partido Socialista Unificado de Catalufia) war diesozialistische Partei Kataloniens. Sie war zu Beginn des Krieges durch den Zusammenschluss

    verschiedener marxistischer Parteien, einschlielich der katalanischen kommunistischen Partei, gegrndetworden. Aber sie stand jetzt vollstndig unter kommunistischer Kontrolle und gehrte zur DrittenInternationale. Nirgendwo sonst in Spanien hatte es eine formale Einigung zwischen Sozialisten undKommunisten gegeben. Aber man konnte annehmen, dass berall der kommunistische und derrechtssozialistische Standpunkt identisch waren. Grob gesprochen war die P.S.U.C. das politische Organder U.G.T. (Union General de Trabajadores), der sozialistischen Gewerkschaften. Die Mitgliederzahldieser Gewerkschaften betrug jetzt in ganz Spanien etwa eineinhalb Millionen. Darunter befanden sichgroe Teile der Handarbeiter, aber seit dem Ausbruch des Krieges waren sie auch durch den Zustrom ausdem Mittelstand angeschwollen. Denn whrend der ersten Revolutionstage hatten es viele Leute alsntzlich empfunden, sich entweder der U.G.T. oder der C.N.T. anzuschlieen. Die beidenGewerkschaftsblocks deckten sich zum Teil, aber unter den beiden war die C.N.T. eindeutiger eine

    Organisation der Arbeiterklasse. Deshalb war die P.S.U.C. teilweise eine Partei der Arbeiter und teilweiseder kleinen Bourgeoisie, der Ladenbesitzer, der Beamten und der wohlhabenderen Bauern.Die >Linie< der P.S.U.C., die in der kommunistischen und prokommunistischen Presse der ganzen Weltgepredigt wurde, lautete ungefhr so:Im Augenblick ist nichts von Bedeutung, als den Krieg zu gewinnen. Ohne Sieg in diesem Krieg ist allesandere bedeutungslos. Darum ist es nicht der richtige Augenblick, davon zu sprechen, die Revolutionvoranzutreiben. Wir knnen es uns nicht leisten, uns die Bauern zu entfremden, indem wir ihnen dieKollektivierung aufzwingen, und wir knnen es uns auch nicht leisten, die Mittelklasse abzuschrecken,die auf unserer Seite kmpft. Vor allem mssen wir um der Leistung willen das ganze revolutionreChaos beseitigen. An Stelle von rtlichen Ausschssen brauchen wir eine starke Zentralregierung undeine richtig ausgebildete, voll leistungsfhige Armee unter einem einheitlichen Kommando. Es ist mehrals nutzlos, sich an die berreste einer Kontrolle durch die Arbeiter zu halten und revolutionre Phrasennachzuplappern. Das ist nicht nur hinderlich, sondern sogar konterrevolutionr und fhrt zuAufspaltungen, die die Faschisten gegen uns benutzen knnen. In diesem Stadium kmpfen wir nicht frdie Diktatur des Proletariats, wir kmpfen fr die parlamentarische Demokratie.Wer versucht, den Brgerkrieg in eine soziale Revolution zu verwandeln, spielt in die Hnde derFaschisten und ist in der Wirkung, wenn nicht sogar in der Absicht, ein Verrter.Die Parteilinie der P.O.U.M. unterschied sich hiervon in jedem Punkt, auer der Forderung natrlich, dasses wichtig sei, den Krieg zu gewinnen. Die P.O.U.M. war eine jener sezessionistischen kommunistischenParteien, die whrend der letzten Jahre in vielen Lndern als Resultat der Opposition gegen den>Stalinismus< entstanden sind, also als Antwort auf einen wirklichen oder scheinbaren Wechsel in der

    kommunistischen Politik. Sie bestand teilweise aus ehemaligen Kommunisten und teilweise aus einerehemaligen anderen Partei, dem Block der Arbeiter und Bauern. Zahlenmig war sie eine kleine Partei(Anm.: Die Mitgliedszahlen der P.O.U.M. betrugen im Juli 1936 10 000, Dezember 1936 70000, Juni1937 40000. Diese Zahlen stammen aber aus P.O.U.M.-Quellen. Eine gegnerisdie Schtzung wrde siewahrscheinlich durch vier teilen. Das einzige, was sich mit einiger Gewissheit ber die Mitgliedszahlen

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    Trotzdem bewirkte die kommunistische Taktik ein Zusammengehen der beiden Parteien.Als die P.O.U.M. sich im Mai an den unheilvollen Kmpfen in Barcelona beteiligte, geschah dieshauptschlich in einem Gefhl des Beistandes fr die C.N.T., und als spter die P.O.U.M. unterdrcktwurde, wagten es allein die Anarchisten, eine Stimme zu ihrer Verteidigung zu erheben.Grob gesprochen hatten sich die Krfte etwa so gegliedert: auf der einen Seite die C.N.T.-F.A.I., dieP.O.U.M. und der Flgel der Sozialisten, die fr die Kontrolle durch die Arbeiter waren; auf der anderenSeite der rechte Flgel der Sozialisten, die Liberalen und die Kommunisten, die sich fr eineZentralregierung und eine militarisierte Armee einsetzten.

    Es ist leicht verstndlich, warum ich zu dieser Zeit den kommunistischen Standpunkt dem der P.O.U.M.vorzog. Nach dem gesunden Menschenverstand, der nur die nahe Zukunft im Auge hat, besaen dieKommunisten eine entschiedene, praktische Politik, also offensichtlich eine bessere Politik. Sicher warenauerdem die tagtgliche Politik der P.O.U.M., ihre Propaganda und so weiter unaussprechlich schlecht.Das war sicher so, denn sonst htten sie eine grere Gefolgschaft anziehen mssen. Den Ausschlag abergab -so schien es mir -, dass die Kommunisten in diesem Krieg vorankamen, whrend wir und dieAnarchisten stillstanden. Dieses Gefhl hatte zu jener Zeit jeder. Die Kommunisten hatten die Macht undeinen groen Zuwachs ihrer Mitgliedschaft teilweise dadurch gewonnen, weil sie sich, die Revolutionre

    bekmpfend, an die Mittelklasse wandten, aber teilweise auch, weil sie die einzigen Leute waren, dieaussahen, als ob sie fhig seien, den Krieg zu gewinnen. Die russischen Waffen und die groartigeVerteidigung Madrids durch Truppen, die hauptschlich unter kommunistischer Kontrolle standen, hatte

    die Kommunisten zu den Helden Spaniens gemacht. Jedes russische Flugzeug, das ber unsere Kpfeflog, war, wie es jemand einmal ausdrckte, kommunistische Propaganda. Der revolutionre bereiferder P.O.U.M. erschien mir ziemlich fruchtlos, obwohl ich seine Logik einsah. Denn schlielich kam es indiesem Krieg allein auf den Sieg an.Whrenddessen aber tobte berall der teuflische Kampf zwischen den Parteien, in Zeitungen,Flugblttern, auf Plakaten und in Bchern. Ich bekam damals vor allem die P.O.U.M.-Zeitungen LaBatalla und Adelante zu Gesicht. Ich fand ihre endlose Krittelei an der konterrevolutionren P.S.U.C.ermdend und pedantisch. Als ich spter die Presse der P.S.U.C. und der Kommunisten etwas nherstudierte, erkannte ich, dass die P.O.U.M. im Vergleich zu ihren Feinden beinahe tadellos war. Auerdemwaren ihre Mglichkeiten sehr beschrnkt. Im Gegensatz zu den Kommunisten fanden sie in der Presseauerhalb ihres eigenen Landes keine Untersttzung, und in Spanien selbst waren sie in einem gewaltigen

    Nachteil, weil die Zensur der Presse hauptschlich von Kommunisten ausgebt wurde. Das bedeutete,dass die Zeitungen der P.O.U.M. hufig unterdrckt oder bestraft werden konnten, wenn sie etwasSchdliches sagten. Man muss auerdem fair sein und sagen, dass die P.O.U.M. sich nicht in persnlichenAngriffen erging, obwohl sie endlose Predigten ber die Revolution hielt und Lenin bis zum Erbrechenzitierte. Auerdem beschrnkte sie ihre Polemik vor allem auf Zeitungsartikel. Ihre groen, buntenPlakate, die fr eine breitere ffentlichkeit entworfen waren (Plakate sind in Spanien mit seinergrtenteils des Lesens unkundigen Bevlkerung wichtig), griffen nicht die gegnerischen Parteien an,sondern hatten einfach antifaschistische oder abstrakte revolutionre Inhalte. Das galt auch fr die Lieder,die die Milizsoldaten sangen. Die Anschuldigungen der Kommunisten dagegen waren eine ganz andereSache. Ich werde mich spter in diesem Buch damit noch befassen mssen. An dieser Stelle kann ich diekommunistischen Angriffe nur kurz andeuten.

    Nach auen war der Streit zwischen den Kommunisten und der P.O.U.M. nur eine taktische Frage. DieP.O.U.M. setzte sich fr die sofortige Revolution ein, die Kommunisten nicht. So weit, so gut, dafrkonnte man auf beiden Seiten viel sagen. Darber hinaus behaupteten die Kommunisten, die Propagandader P.O.U.M. entzweie und schwche die Regierungstruppen und gefhrde so den Sieg in diesem Krieg.Auch dieses Argument enthlt einen wahren Kern, obwohl ich letzten Endes nicht damit einverstanden

    bin. Aber hier zeigte sich die Eigentmlichkeit der kommunistischen Taktik. Anfangs noch vorsichtig,dann aber lauter behaupteten sie, die P.O.U.M. zersplittere die Regierungstruppen nicht allein durch ihreschlechte Urteilskraft, sondern durch wohlberlegte Absicht. Die P.O.U.M. wurde als eine Bandeverkleideter Faschisten angeprangert, die von Franco und Hitler bezahlt seien und eine

    pseudorevolutionre Politik verfolgten, um so der faschistischen Sache zu helfen; die P.O.U.M. sei eine

    >trotzkistische< Organisation und die >Fnfte Kolonne Francos

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    in der kommunistischen und prokommunistischen Presse der ganzen Welt stndig wiederholt. Ich knnteein halbes Dutzend Bcher mit Zitaten fllen, wenn ich mir vorgenommen htte, sie zu sammeln.So sagten sie also von uns, wir seien Trotzkisten, Faschisten, Verrter, Mrder, Feiglinge, Spione und soweiter. Ich gebe zu, dass das nicht angenehm war, besonders wenn man an einige der Leute dachte, diedafr verantwortlich waren. Es ist nicht schn, wenn man sieht, wie ein fnfzehnjhriger spanischerJunge auf einer Bahre aus der Front getragen wird, mit seinem verwirrten, weien Gesicht unter derDecke hervorschaut, und man sich dann die gewissenlosen Leute in London und Paris vorstellt, dieBroschren schreiben, um nachzuweisen, dass dieser Junge ein verkappter Faschist sei. Es ist einer der

    scheulichsten Zge des Krieges, dass alle Kriegspropaganda, alles Geschrei, alle Lgen und aller Hassstndig von Leuten kommen, die nicht mitkmpfen. Die Milizsoldaten der P.S.U.C., die ich an der Frontkennenlernte, oder die Kommunisten aus der Internationalen Brigade, die ich von Zeit zu Zeit traf,

    bezeichneten mich niemals als Trotzkisten oder Verrter; so etwas berlieen sie den Journalisten hinterder Front. Die Leute, die Broschren gegen uns schrieben und uns in den Zeitungen beschimpften,

    blieben wohlbehtet zu Hause. Schlimmstenfalls aber saen sie in den Zeitungsredaktionen von Valencia,Hunderte von Kilometern von Kugelregen und Schlamm entfernt. Der Kampf zwischen den Parteienwurde mit Verleumdung geschrt, dazu kamen wie blich die gewhnlichen Kriegsgeschichten, manrhrte die Propagandatrommeln, erzhlte Heldentaten und schmhte den Feind. Das alles war das Werkvon Leuten, die nicht kmpften und die in vielen Fllen lieber zweihundert Kilometer gelaufen wren, alssich am Kampf zu beteiligen. Als eine der traurigsten Wirkungen dieses Krieges erkannte ich, dass die

    Presse der Linken bis ins kleinste genauso falsch und unehrlich ist wie die der Rechten (Anm.: Ichmchte als einzige Ausnahme den Manchester Guardian nennen. Im Zusammenhang mit diesem Buchmusste ich die Archivbnde einer ganzen Anzahl englischer Zeitungen durchblttern. Allein derManchester Guardian unter unseren greren Zeitungen hinterlsst in mir einen wachsenden Respekt frseine Ehrlichkeit.). Ich bin ernsthaft davon berzeugt, dass sich dieser Krieg auf unserer Seite, also derZentralregierung, von den normalen, imperialistischen Kriegen unterschied. Das htte man jedoch nachder Art der Kriegspropaganda niemals annehmen knnen. Kaum hatten die Kmpfe begonnen, tauchtendie Zeitungen der Rechten und der Linken gleichzeitig in dieselbe Senkgrube von Beschimpfungen. Wiralle erinnern uns an das Plakat der Daily Mail mit der berschrift Rote kreuzigen Nonnen. Nach denWorten des Daily Worker hingegen setzte sich die Fremdenlegion Francos aus Mrdern, weienSklavenhndlern, Rauschgiftschtigen und dem Ausschuss jedes europischen Landes zusammen. Selbst

    noch im Oktober 1937 traktierte uns der New Statesman mit Geschichten von faschistischen Barrikaden,die man aus den Krpern lebendiger Kinder errichtet habe (ein sehr unpraktisches Material, umBarrikaden daraus zu machen). Mr. Arthur Bryant erklrte gleichzeitig, dass es im loyalistischen Spaniendurchaus blich sei, die Fe eines konservativen Geschftsmannes einfach abzusgen. Leute, die solcheGeschichten schreiben, beteiligen sich nie am Kampf. Vielleicht glauben sie, so zu schreiben sei einErsatz fr das Kmpfen. Das ist in allen Kriegen immer das gleiche. Die Soldaten kmpfen, dieJournalisten schreiben, und kein wahrer Patriot kommt je einem Schtzengraben an der Front nahe, auerauf ganz kurzen Propagandatouren. Manchmal trstete es mich zu wissen, dass das Flugzeug dieBedingungen eines Krieges ndert. Vielleicht sehen wir im nchsten Krieg etwas, was es nie zuvor in derGeschichte gegeben hat: einen Sbelrassler mit einem Kugelloch im Bauch.Vom journalistischen Standpunkt aus war dieser Krieg wie alle anderen Kriege ein Schauspiel. Aber inSpanien gab es einen Unterschied. Wenn normalerweise die Journalisten ihre mrderischen Schmhungenfr den Feind reservieren, kamen im Laufe der Zeit die Kommunisten und die P.O.U.M.-Leute dazu,erbitterter voneinander als von den Faschisten zu schreiben. Trotzdem konnte ich mich damals nicht dazuaufraffen, das alles sehr ernst zu nehmen. Der Kampf zwischen den Parteien war rgerlich und sogarwiderwrtig, aber er kam mir vor wie ein huslicher Hader. Ich glaubte nicht, dass er irgend etwas ndernwrde oder dass es wirklich unberbrckbare Unterschiede in der Politik gebe. Es leuchtete mir ein, dasssich die Kommunisten und die Liberalen vorgenommen hatten, die Revolution nicht weiter fortschreitenzu lassen. Ich konnte jedoch nicht begreifen, dass sie fhig sein knnten, sie zurckzudrehen.Dafr gab es gute Grnde. Whrend der ganzen Zeit war ich an der Front, und an der Front verndertesich die gesellschaftliche oder politische Atmosphre nicht. Ich hatte Barcelona Anfang Januar verlassen

    und trat meinen Urlaub nicht vor Ende April an. Whrend dieser ganzen Zeit, ja selbst spter noch,blieben die Bedingungen in diesem Teil von Aragonien, der von den Anarchisten und den Truppen derP.O.U.M. kontrolliert wurde, die gleichen, zumindest nach auen hin. Die revolutionre Atmosphre

    blieb so, wie ich sie am Anfang kennen gelernt hatte. Generale und einfache Soldaten, Bauern undMilizsoldaten begegneten sich als ebenbrtig, jeder erhielt den gleichen Lohn, trug die gleiche Kleidung,

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    a die gleiche Nahrung und nannte jeden anderen du und Kamerad. Es gab keine Klasse der Bosse, keineKlasse der Lakaien, keine Bettler, keine Prostituierten, keine Rechtsanwlte, keine Priester, keineSpeichelleckerei und keine Unterwrfigkeit. Ich atmete die Luft der Gleichheit und war einfltig genug,mir vorzustellen, dass sie in ganz Spanien existierte. Es fiel mir nicht auf, dass ich mehr oder minderzufllig unter dem revolutionrsten Teil der spanischen Arbeiterklasse isoliert war. Ich neigte dazu, bermeine politisch besser unterrichteten Kameraden zu lachen, wenn sie mir erzhlten, dass man dem Krieggegenber nicht eine rein militrische Haltung einnehmen knne oder dass es nur die Wahl zwischenRevolution und Faschismus gebe. Im groen und ganzen akzeptierte ich die kommunistische Ansicht, die

    man mit den Worten zusammenfassen kann: Wir knnen nicht ber die Revolution sprechen, ehe wirnicht den Krieg gewonnen haben. Und ich stimmte nicht mit der Ansicht der P.O.U.M. berein, dieungefhr lautete: Wir mssen vorwrts gehen oder wir gehen zurck. Wenn ich mich spter dazuentschloss, den Standpunkt der P.O.U.M. als den richtigen anzusehen, jedenfalls als richtiger als den derKommunisten, geschah dies nicht aus rein theoretischen Grnden.Auf dem Papier machte sich die Sache der Kommunisten gut aus. Leider aber erschwerten sie durch ihrtatschliches Verhalten den Glauben daran, dass sie ihre Sache mit gutem Willen vorantrieben. Der oftwiederholte Leitspruch Zuerst der Krieg und dann die Revolution war leeres Geschwtz, obwohl dergewhnliche P.S.U.C.-Milizsoldat davon berzeugt war und ehrlich meinte, die Revolution knneweitergefhrt werden, wenn der Krieg gewonnen sei. Die Kommunisten bemhten sich nicht etwa, diespanische Revolution auf einen besser geeigneten Zeitpunkt zu verschieben, sondern sorgten dafr, dass

    sie nie stattfnde. Das wurde mit der Zeit immer deutlicher, als sie die Macht in zunehmendem Mae denHnden der Arbeiterklasse entwanden und als mehr und mehr Revolutionre aller Schattierungen insGefngnis geworfen wurden. Jede Manahme wurde im Namen der militrischen Notwendigkeitvollzogen, denn dieser Vorwand lag sozusagen griffbereit. Aber tatschlich lief alles darauf hinaus, dieArbeiter aus einer gnstigen Position zu verdrngen und sie in eine Position hineinzumanvrieren, in deres ihnen im Moment, da der Krieg vorbei war, unmglich sein wrde, der Wiedereinfhrung desKapitalismus zu widerstehen. Ich mchte klarmachen, dass ich damit nichts gegen den einfachenKommunisten sagen will, vor allem nicht gegen die vielen tausend Kommunisten, die bei Madrid soheroisch starben. Aber sie lenkten nicht die Parteipolitik. Man kann sich nicht vorstellen, dass die Mnnerin den oberen Rngen handelten, ohne ihre Augen offen zu haben.Aber schlielich war es schon der Mhe wert, diesen Krieg zu gewinnen, selbst wenn die Revolution

    nicht erfolgreich war. Zum Schluss kamen mir Zweifel, ob auf lange Sicht die kommunistische Politik aufden Sieg abzielte. Sehr wenige Menschen scheinen darber nachgedacht zu haben, dass in verschiedenenAbschnitten des Krieges eine unterschiedliche Politik angebracht sein knnte. Vermutlich retteten dieAnarchisten whrend der ersten zwei Monate die Lage, aber sie waren unfhig, ber eine bestimmte Zeithinaus den Widerstand zu organisieren. Wahrscheinlich retteten im Oktober bis Dezember dieKommunisten die Lage, aber es war wieder eine ganz andere Sache, den Krieg vollstndig zu gewinnen.Fraglos wurde in England die kommunistische Kriegspolitik anerkannt, denn nur sehr wenig kritischeuerungen waren wirklich verffentlicht worden. Die allgemeinen Grundlinien klangen auerdem sorealistisch und wirkungsvoll, so etwa, dass man das revolutionre Chaos beseitigen, die Produktionankurbeln und die Armee nach militrischen Grundstzen aufbauen msse. Es lohnt sich, auf die diesenPrinzipien innewohnende Schwche hinzuweisen.Um jede revolutionre Tendenz im Zaum zu halten und den Krieg soweit wie mglich zu einem normalenKrieg zu machen, wurde es notwendig, die tatschlich existierenden strategischen Gelegenheitenvorbergehen zu lassen. Ich habe schon beschrieben, wie wir an der aragonischen Front bewaffnet oder,

    besser gesagt, nicht bewaffnet waren. Es bestehen wenig Zweifel, dass die Waffen absichtlichzurckgehalten wurden, damit mglichst wenig in die Hnde der Anarchisten gelangten, die sie spter zurevolutionren Zwecken benutzen knnten. Folglich fand die groe aragonische Offensive nie statt, dieFranco gezwungen htte, sich von Bilbao, ja vielleicht sogar von Madrid zurckzuziehen. Das war abereine verhltnismig kleine Angelegenheit. Viel wichtiger war, dass in dem Augenblick, da man denKrieg erst einmal auf den Begriff eines >Krieges fr die Demokratie< beschrnkte, es unmglich wurde,in grerem Mastabe an die Hilfe der Arbeiterklasse anderer Lnder zu appellieren. Wenn wir den

    Tatsachen ins Gesicht sehen, mssen wir zugeben, dass die Arbeiterklasse der Welt den Spanischen Kriegmit einer gewissen Gleichgltigkeit betrachtet hat. Zehntausende kamen einzeln, um mitzukmpfen, aberviele Millionen blieben apathisch zurck. Man nimmt an, dass whrend des ersten Kriegsjahres diegesamte britische Bevlkerung etwa eine Viertelmillion Pfund fr verschiedene Spanien-Hilfsfondsgestiftet hat, das ist wahrscheinlich halb soviel, wie sie in einer einzigen Woche ausgab, um ins Kino zu

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    gehen. In Wirklichkeit htte die Arbeiterklasse der demokratischen Lnder ihren spanischen Kameradendurch industrielle Aktionen helfen knnen, durch Streiks und Boykotts. Dazu zeigten sich aber nichteinmal Anstze. Die Fhrer der Arbeiterbewegung und der Kommunisten erklrten berall, so etwas seiundenkbar. Ohne Zweifel hatten sie recht, solange sie lauthals beteuerten, dass das >rote< Spanien nicht>rot< sei. Seit 1914-18 hat der >Krieg fr die Demokratie< einen bsen Beigeschmack. Jahrelang hattendie Kommunisten selbst den militanten Arbeitern in allen Lndern beigebracht, dass Demokratie einhflicher Name fr Kapitalismus sei. Es ist keine gute Taktik, wenn man zuerst sagt: Demokratie ist einSchwindel und dann: Kmpft fr die Demokratie! Htten sie, mit dem riesigen Ansehen

    Sowjetrusslands hinter sich, die Arbeiter der Welt nicht im Namen eines demokratischen Spaniens,sondern eines revolutionren Spaniens aufgerufen, kann man sich kaum vorstellen, dass eine Antwortausgeblieben wre.Das Wichtigste aber ist, dass eine nichtrevolutionre Politik es schwer, wenn nicht sogar unmglichmachte, einen Schlag gegen Francos Hinterland zu fhren. Im Sommer 1937 kontrollierte Franco einengreren Teil der Bevlkerung als die Regierung, sogar viel grer, wenn man auch die Kolonienmitzhlt. Er tat das mit der gleichen Anzahl Truppen. Wie jedermann wei, ist es unmglich, mit einerfeindlichen Bevlkerung im Rcken eine Armee im Feld zu halten, ohne eine gleich groe Armee zurBewachung der Verbindungswege und zur Unterdrckung von Sabotage und so weiter zu haben.Offensichtlich gab es also keine richtige volkstmliche Bewegung im Rcken Francos. Es war undenkbar,dass die Bevlkerung in seinem Herrschaftsbereich, jedenfalls die Arbeiter in den Stdten und die

    rmeren Bauern, Franco gern hatten oder sogar seine Regierung wnschten. Aber der Vorzug derZentralregierung wurde mit jedem Schritt zur Rechten hin weniger offensichtlich - Marokko gab denAusschlag. Warum gab es keine Revolution in Marokko? Franco versuchte, dort eine berchtigte Diktatureinzurichten, und die Mauren zogen ihn tatschlich der Volksfrontregierung vor! Die harte Wahrheit ist,dass kein Versuch gemacht wurde, einen Aufruhr in Marokko anzustiften, denn das htte bedeutet, demKrieg wieder eine revolutionre Konstruktion zu geben. Die erste Notwendigkeit wre gewesen, dieFreiheit Marokkos zu verknden, um die Mauren von den guten Absichten zu berzeugen. Wir knnenuns vorstellen, wie sich die Franzosen darber gefreut htten! Die beste strategische Gelegenheit desKrieges wurde weggeworfen in der vagen Hoffnung, so den franzsisch-britischen Kapitalismus zu

    besnftigen. Die gesamte Tendenz der kommunistischen Politik bestand darin, den Krieg auf einennormalen, nichtrevolutionren Krieg zu reduzieren, in dem die Zentralregierung sehr stark benachteiligt

    war. Denn ein Krieg dieser Art muss durch mechanische Mittel, das heit letzten Endes durch einenunbegrenzten Waffennachschub gewonnen werden. Der Hauptwaffenlieferant der Zentralregierung, dieUdSSR, hatte aber im Vergleich mit Italien und Deutschland einen groen geographischen Nachteil.Vielleicht war die Losung der P.O.U.M. und der Anarchisten Der Krieg und die Revolution sinduntrennbar weniger visionr, als es klang.Ich habe meine Grnde dargelegt, warum ich glaubte, die kommunistische, antirevolutionre Politik seifalsch gewesen. Ich hoffe jedoch nicht, dass sich mein Urteil im Hinblick auf ihre Auswirkung auf denKrieg als richtig erweist. Ich hoffe tausendmal, dass mein Urteil falsch ist. Ich mchte gerne sehen, dassdieser Krieg durch jedes nur mgliche Mittel gewonnen wird, und wir knnen natrlich nicht sagen, wassich ereignen wird. Die Regierung wird sich vielleicht wieder der Linken zuwenden. Vielleichtrevoltieren die Mauren aus eigener Initiative. England mag sich dazu entschlieen, Italien aufzukaufen.Vielleicht kann der Krieg auch durch direkte militrische Manahmen gewonnen werden. All das kannman nicht wissen. Ich lasse die oben geschilderten Ansichten stehen, wie sie sind, und die Zukunft wirdzeigen, ob ich recht oder unrecht gehabt habe. Aber im Februar 1937 sah ich die Dinge nicht ganz imgleichen Licht. Ich war des Nichtstuns an der aragonischen Front mde und war mir vor allen Dingendarber im klaren, dass ich meinen gerechten Anteil am Kampf noch nicht geleistet hatte. Ich entsannmich des Rekrutierungsplakates in Barcelona, das die Passanten mahnend fragte: Was hast Du fr dieDemokratie getan?, und ich fhlte, dass ich nurantworten knnte: Ich habe meine Rationen in Empfang genommen. Als ich mich der Miliz anschloss,hatte ich mir selbst das Versprechen gegeben, einen Faschisten zu tten. Wenn schlielich jeder von unseinen ttete, wrden sie bald ausgerottet sein. Aber bisher hatte ich noch niemanden gettet, und es gab

    kaum eine Chance dazu. Auerdem wollte ich natrlich nach Madrid gehen. Jeder in der Armee, wie auchseine politischen Ansichten lauten mochten, wollte nach Madrid gehen. Das bedeutete fr michwahrscheinlich einen Wechsel zur Internationalen Brigade. Denn die P.O.U.M. hatte jetzt nur wenigTruppen bei Madrid, und auch die Anarchisten hatten nicht mehr soviel wie frher.Im Augenblick musste man natrlich an der Front bleiben, aber ich sagte jedem, dass ich beim nchsten

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    Urlaub nach Mglichkeit zur Internationalen Brigade berwechseln wrde. Das hie, ich musste michunter kommunistische Kontrolle stellen. Verschiedene Leute versuchten, mir diesen Gedankenauszureden, aber niemand versuchte, sich in meine persnlichen Angelegenheiten einzumischen. Manmuss fairerweise zugeben, dass es in der P.O.U.M. sehr wenig Gewissenszwang gab, vielleicht nichtgenug, wenn man sich der besonderen Umstnde erinnert. Wenn nicht jemand gerade profaschistisch war,wurde er nicht zur Rechenschaft gezogen, falls er die falschen politischen Ansichten hatte. Ich verbrachteeinen Teil meiner Zeit in der Miliz damit, die Ansichten der P.O.U.M. heftig zu kritisieren, aber ich hattedeshalb niemals Schwierigkeiten. Man bte nicht einmal einen Druck auf jemand aus, politisches

    Mitglied der Partei zu werden, obwohl ich glaube, dass die Mehrheit der Milizsoldaten ihr beitrat. Ichselbst wurde nie Mitglied der Partei, was ich hinterher, als die P.O.U.M. unterdrckt wurde, sehrbedauerte.

    Sechstes Kapitel

    Whrend der ganzen Zeit absolvierten wir unsere tgliche, genauer gesagt, nchtliche Runde. Es war diebliche Beschftigung: Wache schieben, Sphtrupps unternehmen, Schtzengrben ausheben und dazu

    Schlamm, Regen, heulende Winde und gelegentlich Schnee. Erst spt im April wurden die Nchtesprbar wrmer. Hier auf der Hochebene waren die Mrztage grtenteils wie ein englischer Mrz, mitstrahlend blauem Himmel und stndigem Wind. Die Wintergerste stand dreiig Zentimeter hoch, auf denKirschbumen bildeten sich rosa Knospen, denn die Front verlief hier durch verlassene Obstgrten undGemsegrten. Wenn man in den Wassergrben suchte, konnte man Veilchen und eine Art wilderHyazinthen finden, die wie eine bescheidene Abart der Sternhyazinthe aussahen. Unmittelbar hinter derFront floss ein wunderschner grner, schumender Bach, es war das erste klare Wasser, das ich seitmeiner Ankunft an der Front gesehen hatte.Eines Tages biss ich die Zhne zusammen und schlpfte in den Fluss, um mein erstes Bad nach sechsWochen zu nehmen. Es war allerdings ein kurzes Bad, denn das Wasser war vor allem Schneewasser undnur wenig ber dem Gefrierpunkt.Whrend dieser Zeit ereignete sich nichts, es ereignete sich berhaupt nie etwas. Die Englnder pflegtenzu sagen, dies sei kein Krieg, sondern eine verdammte Pantomime. Wir lagen nur selten unter demdirekten Beschuss der Faschisten. Die einzige Gefahr drohte durch verirrte Kugeln, die aus verschiedenenRichtungen kamen, da die Front sich auf beiden Seiten nach vorne ausbuchtete. Die Verluste wurden zudieser Zeit nur von Irrlufern verursacht. Arthur Clintonwurde von einer geheimnisvollen Kugel getroffen, die seine linke Schulter zerschmetterte und seinenArm, wie ich befrchtete, fr immer unbrauchbar machte. Wir hatten gelegentlich Artilleriebeschuss, aberer war auergewhnlich unwirksam. Das Heulen und Krachen der Granaten galt in Wirklichkeit als einemilde Ablenkung. Die Faschisten feuerten ihre Granaten nie auf unsere Brustwehr. Einige hundert Meterhinter uns stand ein Landhaus, La Granja genannt. Seine groen landwirtschaftlichen Gebude dienten als

    Lager, Hauptquartier und Kche fr diesen Frontabschnitt. Die faschistischen Artillerieschtzen zieltenauf diese Gebude. Aber sie lagen fnf oder sechs Kilometer weit weg und zielten nie genau genug, ummehr als die Fenster zu zerschmettern oder die Wnde anzukratzen. Man war nur dann in Gefahr, wennman gerade die Strae hinaufkam, wenn der Beschuss anfing und die Granaten auf beiden Seiten in dieFelder schlugen. Man lernte beinahe am ersten Tag die geheimnisvolle Kunst, aus dem Pfeifen derGranaten zu erkennen, wie nah sie einschlagen wrden. Die Granaten, die die Faschisten damalsabfeuerten, waren jmmerlich schlecht. Obwohl sie ein Kaliber von hundertfnfzig Millimeter hatten, warder Krater eines Einschlages nur etwa zwei Meter breit und eineinviertel Meter tief, unter vier Granatenexplodierte mindestens eine nicht. Man erzhlte sich darum die blichen romantischen Geschichten vonSabotage in den faschistischen Fabriken und von Granaten, die nicht explodierten und statt Sprengstoffein Stck Papier enthielten, auf dem stand: Rotfront. Ich habe nie etwas Derartiges gesehen. In

    Wirklichkeit waren die Granaten hoffnungslos alt. Jemand fand eine bronzene Znderkappe, auf der einDatum eingestempelt war: es war 1917. Die Kanonen der Faschisten hatten das gleiche Fabrikat undKaliber wie unsere eigenen, und die nicht explodierten Granaten wurden oft wiederhergerichtet undzurckgeschossen. Man erzhlte sich, es gebe eine alte Granate, die es schon zu einem Spitznamengebracht habe, tglich hin- und herreise, aber nie explodiere.

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    Nachts wurden kleine Sphtrupps ins Niemandsland geschickt, um in den Grben nahe der faschistischenLinie zu liegen und auf Gerusche (Hornsignale, Hupen und so weiter) zu horchen, die auf Bewegungenin Huesca schlieen lieen. Wir beobachteten ein stndiges Kommen und Gehen der faschistischenTruppen und konnten ihre Zahl nach den Berichten der Lauscher einigermaen genau feststellen. Wirwaren vor allem angewiesen worden, ber das Luten der Kirchenglocken zu berichten. Es schien, dassdie Faschisten jedes Mal zur Messe gingen, ehe sie in die Schlacht zogen. Zwischen den Feldern undObstgrten lagen verlassene Lehmhtten, und es war ungefhrlich, sie beim Licht eines Streichholzes zudurchforschen, nachdem man die Fenster aufgebrochen hatte. Manchmal fand man wertvolle

    Beutestcke, wie zum Beispiel ein Beil oder eine faschistische Wasserflasche (die besser als unsere warenund deshalb sehr gesucht wurden). Man konnte