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Georges Hausemer Con Dao Erzählungen

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Georges Hausemer wurde am 1. Februar 1957 in Differdingen geboren. Er lebt als Schriftstel-ler, Übersetzer und Zeichner in Esch/Alzette. Seine Reisereportagen erscheinen unter ande-rem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frankfurter Allgemeinen Zeitungder Neuen Zürcher Zeitung und im Berliner Neuen Zürcher Zeitung und im Berliner Neuen Zürcher ZeitungTagesspiegel.

1988 nahm er am International Writing Pro-gram in Iowa City (USA) teil.Neben Romanen, Erzählungen und Gedichten hat Georges Hausemer zahlreiche Reisebücher sowie das Nachschlagewerk „Luxemburger Lexikon. Das Großherzogtum von A-Z“ (2006) veröffentlicht. Zuletzt erschienen „Die heili-gen Ratten von Deshnok. Eine indische Reise“ (2008), „Die kochenden Kerle von der Muschel-bucht. Lesereise Baskenland“ (2010) sowie der Roman „80 D“ (2010).

www.georgeshausemer.comhttp://hausemer.blogspot.com

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Georges HausemerCon Dao

Erzählungen

ISBN 978-2-87954-242-3

Georges Hausemer kennt den Gegenstand sei- ner 19 Erzählungen, die in Asien und Afrika, Südamerika und der Karibik, auf verstreuten Eilanden und manchmal auch in entlegenen Winkeln Europas angesiedelt sind. Seit vielen Jahren reist der Schriftsteller und Journalist um die Welt, von Land zu Land, von

Samstag. Schlimme Nacht. Donner, Blitz, Sintflutregen, orkanartiger Sturm. Totaler Stromausfall, mehrere Stunden. Das Meer tobte, fauchte wie ein verwundetes Tier. Zündete eine der Kerzen an, die in einem Schuhkarton unter dem Nachttisch liegen. Setzte sie auf den Wannenrand, ließ Wasser ein-laufen. Stellte mir vor, in dieser Nacht zu sterben, nie gefunden zu werden.

Am Morgen lag das Gerippe eines Fischerbootes im Sand, zerschellt an den mächtigen Betonklötzen, die den Ort und seine Bewohner vor dem Meer schützen sollten.

Georges Hausemers Geschichten spielen in entlegenen Weltgegenden, auf vergessenen Inseln, an verlorenen Flecken im Nirgendwo entfernter Länder und Kontinente. Mit stoischem Gleichmut versuchen die aus der Zivilisation gefallenen Helden der Erzählungen, sich in einer unbegreifbaren Fremde zu behaupten, und scheitern doch meist mit tragischer Größe.

Kontinent zu Kontinent, stets auf der Suche nach der Realität jenseits der Fotomotive gefäl-lig inszenierter Touristenziele. Dass sich hinter den Fassaden nicht immer die hineinphanta-sierten Paradiese verbergen, dass die Begeg-nung mit dem Exotischen selten dem imagi-nierten Ideal entspricht – das sind Erfahrungen, die das Personal in Hausemers Erzählungen auf schmerzliche Weise machen muss. Es sind in der Fremde Gestrandete, die ihren Platz an den sich oft als feindselig entpuppenden Sehnsuchts-orten zu erkämpfen versuchen – und dafür teu-er bezahlen. Die Verlorenheit dieser tragischen Helden, ihre Einsamkeit in einer bedrohlichen Umgebung und die Vergeblichkeit des Versuchs, sich dennoch zu behaupten, schildern die dich-ten Erzählungen von Georges Hausemer mit beinahe körperlich spürbarer Intensität.

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Unter Palmen

Ich bewohnte eine Hütte am Strand. Sie lag unter Kokospalmen und bunten Fetzen von Plastiktüten, die sich in den Wedeln ver-fangen hatten. Eine Landschaft aus Trümmern: Steine, rostige Stäbe von Eisenzäunen, dicke Brocken aus Beton. Der Boden war mit braun und grau gewordenem Blattwerk bedeckt. Aus Erdlö-chern stieg Rauch auf. Bestialischer Gestank zog über das bucklige Gelände, als wären Exkremente vom Himmel gefallen. Kinder staksten herum, gebückt wie Schimpansen, die im Abfall nach Nahrung suchten oder sich gegenseitig am Hintern rochen.

Auf der Insel gab es tatsächlich einen Zoo. Einmal in der Woche kam die Pendelfrau. Ich hatte das nicht

gewollt; es hatte sich so ergeben. Wortlos trat sie ein, schob mich zur Seite, wenn ich im Weg stand, und begann ihre Arbeit. An-fangs hatte ich ihr interessiert dabei zugeschaut, wenn sie mit dem Pendel zwischen den Fingern am Ende ihres ausgestreckten rechten Arms umherging, ab und zu die Stirn runzelte, gelegent-lich einen mürrischen Seufzer ausstieß, plötzlich innehielt und sich auf etwas zu konzentrieren schien.

Sie nannte sich Cindy. Und sie schwitzte. Schon bei ihrem ers-ten Besuch war mir aufgefallen, dass sie sich die Haare unter den Armen nicht rasierte. Ihr Geruch war sehr streng. Wenn sie mir

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zu nahe kam, verschlug es mir den Atem. Daher beschloss ich, in der Zeit, in der Cindy in meiner Hütte beschäftigt war, kurze Spaziergänge ans Meer zu unternehmen.

Es dauerte nie lange. Wenn die Pendelfrau ihre Tätigkeit be-endet hatte, trat sie vor die Hütte, legte Daumen und Zeigefinger der linken Hand an die Lippen und pfiff. Meist trug sie Schuhe, die für das Klima viel zu dick, zu hoch und obendrein mit Pelz gefüttert waren. Ich wartete, bis Cindy sich unter den Palmen entfernt hatte, bevor ich wieder hineinging. Nicht das Geringste schien sich verändert zu haben. Kein Gegenstand hatte den Platz gewechselt. Nichts als ein letzter Hauch von Cindys Geruch er-innerte an ihre vorübergehende Anwesenheit.

Seit drei Tagen ging ich nun schon nicht mehr zur Arbeit. Seit drei Tagen blieb ich bei gerade noch erträglicher Hitze im Bett und schlief so lange, bis ich von allein wach wurde. In der übri-gen Zeit hockte ich vor der Hütte, lauschte dem Gezischel und Geknatter der bunten Kunststofffetzen in den Palmen über mir und rauchte. Vom Strand waren gelegentlich Stimmen zu hören, manchmal ein Schrei oder Gebrüll, ein aufheulender Motor, das Mahlen einer Schiffsschraube, die sich nach und nach im nassen Sand festfraß.

Den Zoo hatte ich lediglich einmal besucht, kurz nach meiner Ankunft. Das nur notdürftig umzäunte Gehege nahm fast ein Drittel der gesamten Insel ein. Bei unserer ersten Begegnung hatte O’Neill behauptet, nachts dürften die Tiere sich frei auf der Insel bewegen.

Kurze Zeit später ertappte ich ein Wasserschwein, das in dem Tümpel hinter meiner Hütte genüsslich ein Bad nahm. Als es mich sah, hob es arrogant die Nase und tauchte dann eilig unter, als suchte es in dem brackigen Loch nach irgendeinem Schatz.

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O’Neill gab eine Zeitung heraus, die Latest Island News. Ein fo-tokopiertes Blatt, das unregelmäßig erschien, ungefähr einmal die Woche, meistens samstags, oft erst montags. O’Neills kriti-sche Artikel über den Inselzoo wurden angeblich viel gelesen und waren durchaus amüsant geschrieben. Doch sie hatten, wie er mir einmal in BJ’s Backyard erzählte, in all den Jahren nichts bewirkt. Sie hatten weder bei den Zoobetreibern noch bei den korrupten Lokalpolitikern zum Umdenken geführt. Nichts hatte sich geändert. Nach wie vor bekamen die Tiere aus dem Wildge-hege nachts Auslauf, suchten die Nähe der Inselbewohner und machten deren Schlaf, deren ganzes Leben unsicher.

Als wir uns zum ersten Mal begegneten, hatte O’Neill sein Hemd bis zur Brust hochgerollt, um die schwüle Hitze in BJs Kneipe besser zu ertragen. Er kaute Kaugummi. Die wenigen langen Haare, die ihm geblieben waren, hatte er im Nacken zu-sammengebunden.

Ich hasste es nicht nur, mich während Cindys Anwesenheit in meiner Hütte aufzuhalten. Genauso unangenehm war es mir, wenn sie nach getaner Arbeit in die Tür trat und so laut nach mir pfiff, dass es in einem Umkreis von einem halben Kilometer je-der hören konnte. In diesen Momenten hätte ich mich am liebs-ten auf den Boden geworfen, mich in den Sand gegraben und so tief wie möglich in der Erde Wurzeln geschlagen. Mit hellen, dünnen Trieben, die mir aus den Fingern und Zehen sprossen, die sich in die Eingeweide der Insel bohrten, tief hinein, in Ge-genden, die zuvor nie jemand ausgekundschaftet hatte.

BJ’s Backyard war unsere Stammkneipe. Ein enger, düsterer Raum, der aussah wie das noch immer nicht entrümpelte Wohn-zimmer eines längst verstorbenen Sozialhilfeempfängers. Doch

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hier gab es immer eisgekühltes Bier und was zum Rauchen. O’Neill ließ die Finger von den Tütchen, die einem die Lungen mit Licht füllten und im Kopf leicht und übermütig machten. Gelegentlich hatte er eine kalte Zigarre zwischen den Zähnen und verzog den Mund zu einem gequälten Grinsen. Was O’Neill dann sagte, war kaum zu verstehen.

Auf dem Weg zum Klo saß BJs Papagei, den sie Green Dog nannte und der sich für einen Hund hielt. Green Dog war vor langer Zeit zwischen Welpen geboren worden und aufgewach-sen. Die Hunde waren längst tot, BJ hatte ein paar Zähne und beinahe sämtliche Haare verloren. Green Dog aber bellte immer noch. Er hockte auf einer aus der Wand ragenden Eisenstange, an der er mit einem Bein festgekettet war. Manchmal brach Green Dog ohne erkennbaren Grund in Gelächter aus. Einmal wurde ich Zeuge, wie O’Neill ihn mit einem alten Hühnerkno-chen ärgerte und der Vogel um ein Haar daran erstickt wäre.

Als gewissenhafter Journalist versäumte O’Neill es nicht, in seinen Latest Island News regelmäßig über das seltsame Feder-vieh zu berichten. Mit der Zeit war Green Dog zu einer Art Wappentier des Blattes geworden. Fehlte nur noch, dass sein Abbild neben der Titelzeile prangte.

Als ich am Morgen des vierten Tages aufwachte, wimmelte es über mir von kleinen, fetten Schmetterlingen mit fransigen Flü-geln, aus denen beständig graubrauner Staub rieselte. Hastig schlug ich das Leintuch zurück, sprang aus dem Bett, riss die Tür meiner Hütte auf und rannte über den Strand, bis ich bis zu den Knien im Meer stand. Es fühlte sich an wie abgestandenes Bade-wasser. Die Sonne schien so grell, dass der Glanz der Meeres-oberfläche in meinen Augen schmerzte. Als ich mich umdrehte und zu meiner Hütte zurückschaute, glitzerten und funkelten

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die Plastikreste in den Palmen wie billiger Schmuck an krank-haft in die Höhe geschossenen Christbäumen.

Etwa fünfzig Meter von der Hütte entfernt betrieb Kiran ihre Imbissbude. Sie war schlecht zu Fuß und verabscheute das Meer. Seit jenem katastrophalen Weihnachtsfest vor ein paar Jahren eiterte an ihrer linken Ferse eine Wunde, die einfach nicht mehr heilen wollte. Meist winkten Kiran und ich uns nur von weitem zu. Miteinander gesprochen hatten wir nicht mehr, seit Dalap, ihre Tochter, mich nicht mehr besuchte.

Mir gefiel Kirans Art zu kochen nicht. Ich mochte weder Ko-kosmilch noch Zitronengras. Die faserigen Nüsse fielen meiner Nachbarin förmlich in den Topf, nachdem sie krachend das Blechdach ihres Strandrestaurants durchschlagen hatten. O’Neill jedoch ließ sich gelegentlich von Kiran bedienen.

BJ konnte überhaupt nicht kochen. Sie ernährte sich haupt-sächlich von Limonade, in die sie kräftige Portionen Gin schüt-tete. Green Dog gefiel es, auf BJs Schulter zu sitzen und an ihrem Glas zu nippen. Vor lauter Freude kläffte er durch das Lokal sei-ner Herrin, bevor er sich noch einen Schluck von deren Getränk genehmigte.

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