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Gerd Fischer Lineare Algebra

Gerd Fischer Lineare Algebra - download.e-bookshelf.de · schienene ,,Moderne Algebra”vonB. L. Van Der Waerden hervorzuheben. Bis in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts hatten

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Gerd Fischer

Lineare Algebra

Gerd Fischer

Lineare AlgebraEine Einführung für Studienanfänger

17., aktualisierte Auflage

STUDIUM

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Der bisherige Titel der Reihe „Grundkurs Mathematik“ lautete „vieweg studium – GrundkursMathematik“.

1. Auflage 19752. Auflage 19753. Auflage 19764. Auflage 19785. Auflage 19796. Auflage 19807. Auflage 19818. Auflage 1984

Alle Rechte vorbehalten© Vieweg+Teubner |GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010

Lektorat: Ulrike Schmickler-Hirzebruch | Nastassja Vanselow

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Tesínská Tiskárna, a. s., TschechienGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.Printed in Czech Republic

ISBN 978-3-8348-0996-4

Prof. Dr. Gerd FischerTechnische Universität MünchenZentrum MathematikBoltzmannstr. 385748 Garching

[email protected]

9. Auflage 198610. Auflage 199511. Auflage 199712. Auflage 200013. Auflage 200214. Auflage 200315. Auflage 200516. Auflage 2008

17. Auflage 2010

We must not accept the old blasphemous nonsensethat the ultimate justification ofmathematical scienceis the .glory ofthe human mind",Abstraction and generalizationare not more vitalfor mathematicsthan individuality of phenomenaand, before all,not more than inductive intuition.Only the interplay of these for ces and their synthesiscan keep mathematics aliveand prevent its drying out into a dead skeleton.

RICHARD COURANT

Vorwort zur 10. Auflage

Die erste im Jahr 1975 veröffentlichte Auflage dieses Buches war entstanden ausmeiner Vorlesung im Wintersemester 1972/73 an der Universität Regensburg undeiner von Richard Schimpl angefertigten Ausarbeitung, die als Band I der Reihe,,Der Regensburger Trichter" erschienen war. Es freut mich, daß das Buch in denvergangenen 20 Jahren so viel Anklang gefunden hat.

Im Jahr 1994/95 hatte ich an der Universität Düsseldorf wieder einmal Gele­genheit, eine Anfängervorlesung über ,,Lineare Algebra" zu halten . Dabei fandich in dem alten Buch zahllose Dinge, die man wohl besser erklären kann. Dazukam die Versuchung, die Möglichkeiten von I5fEX zu nutzen, was schließlichdazu geführt hat, daß ich fast das ganze Buch neu aufgeschrieben habe.

Geblieben ist die Überzeugung , daß am Anfang jeder Theorie Probleme stehenmüssen, und daß die entwickelten Methoden danach zu bewerten sind, was siezur Lösung der Probleme beigetragen haben. Dies deutlich zu machen , ist in derlinearen Algebra eine vordringliche Aufgabe, weil hier die axiomatische Me­thode sehr ausgeprägt ist. Mit Hilfe eines wohlorganisierten Instrumentariumsvon Begriffen können Beweise kurz und klar durchgeführt werden, Rechnungenkönnen weitgehend vermieden werden und erhalten - wo sie notwendig sind ­eine Interpretati on von einem abstrakteren Standpunkt aus.

Es hat lange gedauert , bis sich die lineare Algebra von einem Hilfsmittel dersogenannten "analytischen Geometrie" (das ist die Lehre von den linearen und

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quadratischen geometrischen Gebilden) zu einer selbständigen Disziplin ent­wickelt hat. Die größten Veränderungen gab es zu Anfang dieses Jahrhunderts,als die axiomatische Methode durch den Einfluß von D. HILBERT und speziell inder Algebra durch EMMY NOETHER ausgebaut wurde. Das zeigt ganz deutlichein Blick in Lehrbücher aus dieser Zeit, etwa die .klassische" Darstellung vonKOWALEWSKI [Kow 2]* aus dem Jahr 1910 und die 1931 erschienene ,,moder­ne" Version von SCHREIER-SPERNER [S-S]. Dieser Wandel ist vergleichbar mitdem Übergang vom Jugendstil zum Bauhaus . Inzwischen ist die lineare Algebradurchdrungen von einer Ökonomie der Gedanken sowie einer Ästhetik in derDarstellung, und sie ist unentbehrliches Hilfsmittel in vielen anderen Gebietengeworden, etwa der Analysis und der angewandten Mathematik.

Dieser eindrucksvolle Fortschritt ist nicht frei von Gefahren . Die Axiomatikbeginnt mit den allgemeinsten Situationen und schreitet fort in Richtung zu spe­zielleren Sachverhalten. Dieser Weg wurde mit letzter Konsequenz in den Wer­ken von N. BOURBAKI [Bo], [C] beschritten . Er läuft der historischen Entwick­lung - die einem ,,natürlichen Wachstum" der Mathematik entspricht - jedochmeist entgegen . So wurden etwa Determinanten schon von LEIBNIZ um 1690benutzt, CAYLEY begann 1850 Matrizen als eigenständige Objekte anzusehen,der allgemeine Begriff des Körpers ist erstmals in dem 1895 bei Vieweg er­schienenen ,,Lehrbuch der Algebra" von H. WEBER [We] zu finden. AbstrakteBegriffe und ihre Axiome entstehen aus der Entdeckung von Gemeinsamkeiten,sie setzen lange Erfahrung im naiven Umgang und kreative Auseinandersetzungmit den Gegenständen der Mathematik voraus. Eine Darstellung, die mit denAxiomen beginnt, könnte den verhängnisvollen Eindruck erwecken, als seien dieaufgestellten Regeln zufällig oder willkürlich . Einer solchen Gefahr entgegenzu­wirken, ist das stete Bestreben dieses Buches. Die neue Auflage soll helfen, dieabstrakten Begriffe noch mehr zu motivieren und die Beziehungen der linearenAlgebra zu ihren Anwendungen deutlicher zu machen.

Viele theoretische Überlegungen der linearen Algebra dienen der Rechtferti­gung oder der Entwicklung von Rechenverfahren, mit deren Hilfe man schließ­lich gegebene Probleme durch eine Iteration lösen kann. Dies wird hier in vie­len Fällen bis zur Berechnung konkreter Beispiele vorgeführt. In der Praxis läßtman besser einen Computer rechnen, aber die Schwelle zur Beschreibung vonProgrammen dafür wurde in diesem Buch mit Vorsatz nicht überschritten . Füreinen Anfänger erscheint es mir viel wichtiger, zunächst einmal ohne Ablen­kung durch Probleme der Programmierung die Struktur des Lösungsweges zuverstehen und mit einfachsten , im Kopf berechenbaren Beispielen die unmittel-

'Eckige Klammem beziehen sich auf das Literaturve rzeichnis

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bare gute Erfahrung zu machen, daß ein Algorithmus funktioniert. Danach kannman getrost die Ausführung der Rechnungen einem fertigen Programmpaket wieMaple oder Mathematica überlassen . Etwa im Rahmen der numerischen Mathe­matik hat man Gelegenheit , die Rechenverfahren genauer zu studieren und dazuweitere Hilfsmittel der linearen Algebra kennen zu lernen (vgl. etwa [Str]).

Dieses Buch ist entstanden aus Vorlesungen für Studienanfänger in den Fäch­ern Mathematik, Physik und Informatik ; an Vorkenntnissen ist nur das sogenann­te .Schulwissen" (etwa im Umfang von [Sch]) nötig. Es enthält insgesamt genü­gend viel Material für zwei Semester, dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten fürAuswahl und Reihenfolge . Der Text ist meist nach den Regeln der Logik an­geordnet, in einer Vorlesung kann es gute Gründe geben, davon abzuweichen.Einige Abschnitte sind durch einen Stern * markiert, als Anregung , sie beim ers­ten Durchgang zu überspringen und später (etwa im zweiten Semester) daraufzurückzukommen. Die Anwendungen der linearen Algebra auf affine und pro­jektive Geometrie sowie die lineare Optimierung sind in einem eigenen Band [Fi]enthalten, auch damit kann man den vorliegenden Text nach Belieben mischen .

Um Mathematik zu verstehen, genügt es nicht, ein Buch zu lesen oder eineVorlesung zu hören, man muß selbst an Problemen arbeiten. Als Anregung dazudienen die zahlreichen Aufgaben . Die dort eingestreuten Sterne sind nicht alsWarnung, sondern als besonderer Ansporn zu verstehen .

Der durch diese Neuauflage abgelöste Text war durch zahllose Hinweise vonLesern fast restlos von Druckfehlern befreit worden. Nun gibt es sicher wiederreichlich Nachschub, ich möchte auch die neuen Leser ermuntern, mir ,,Ansichts­karten" zu schreiben .

Mein Dank gilt all denen, die bei der Neubearbeitung beteiligt waren: Iners­ter Linie Hannes Stoppel, durch dessen Begeisterung , Bücher zu I5I'EX-en, ichin dieses Projekt geschlittert bin, Martin Gräf, der mit viel Sorgfalt die Übungs­aufgaben zusammengestellt hat, Carsten Töller, dem einfallsreichen Meister derBilder und dem Verlag für seine stetige Unterstützung.

Düsseldorf, im September 1995 Gerd Fischer

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Seit der 10. Auflage hat es nur wenige großere Anderungen gegeben. Sie betreffenErganzungen zu Quotientenraumen, Tensorprodukten und außeren Produkten. Die-se grundlegenden abstrakten Begriffe bereiten erfahrungsgemaß Studienanfangerneinige Schwierigkeiten; man sollte ihnen jedoch nicht zu lange ausweichen, denn sietreten spater als unentbehrliches Hilfsmittel an vielen Stellen wieder auf. Zudemsind sie im hier behandelten Fall von Vektorraumen mit Hilfe von Basen noch rechtkonkret zu beschreiben.

Birgit Griese und Hannes Stoppel haben die Aufgaben teilweise uberarbeitetund ein eigenes Buch mit Losungen veroffentlicht. Das sollte die Leser nicht davonabhalten, zunachst selbst daran zu arbeiten.

Neu in dieser Auflage ist eine Einfuhrung zum Thema Warum Lineare Algebra?Sie ist die uberarbeitete Fassung einer einfuhrenden Vorlesungs-Doppelstunde, dieGunter M. Ziegler im April 2006 an der TU Berlin gehalten hat. Zum genauerenVerstandnis der darin ausgefuhrten Beispiele sind Kenntnisse uber die einfachstenBegriffe und Techniken der Linearen Algebra nutzlich. Wer damit noch gar nichtvertraut ist, kann Einzelheiten im Laufe seines Studiums der Linearen Algebra nach-lesen.

Zu vielen Themen der Linearen Algebra findet man interaktive Visualisierungenunter

www.mathe-vital.de

Diese wurden von Jurgen Richter-Gebert an der TU Munchen im Rahmen desProjektes mathe-vital mit dem Programm Cinderella erstellt

Mein Dank gilt den zahlreichen Lesern, die mich auf Unklarheiten und Fehlerhingewiesen haben, ganz besonders Kollegen und Studierenden aus Berlin, Munchenund Regensburg. Ich habe versucht, die notigen Verbesserungen einzuarbeiten. Eswird nun schwer sein, noch etwas zu finden; wer dennoch Erfolg gehabt hat, wirdgebeten, mir das mitzuteilen.

Munchen, im Juni 200 Gerd Fischer

Vorwort zur 17. Auflage

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Warum Lineare Algebra?(von Gerd Fischer und Gunter M. Ziegler)

Was ist Lineare Algebra?Die Lineare Algebra gehort neben der reellen Analysis zum Curriculum fur Studie-rende der Mathematik und anderer Facher, die mathematische Methoden intensivbenutzen. Das liegt daran, dass sie zu den Grundpfeilern der Mathematik zahlt, aufdenen alles andere aufbaut. Zu den daruberliegenden Gebaudeteilen der Mathema-tik gehoren beispielsweise Algebra, Differentialgleichungen, Numerik, Differential-geometrie, Funktionalanalysis usw. Die Beziehungen und Verwindungen zwischen alldiesen Gebieten sind vielfaltig und schwer schematisch zu skizzieren. Aber Konsensbesteht, dass Lineare Algebra zur unverzichtbaren Basis gehort. Sie ist entstandenaus der Aufgabe, lineare Gleichungssysteme zu losen und solche Aufgaben tretenin allen Gebieten der Mathematik und ihren Anwendungen immer wieder auf. Wieschon in der Einleitung erwahnt wurde, hat es lange gedauert, bis die Lineare Al-gebra als eigenstandiges Gebiet in die Lehrplane aufgenommen wurde. Lange Zeitwurde sie vorwiegend als technisches Hilfsmittel der Geometrie angesehen, zur Be-schreibung von linearen Gebilden wie Geraden und Ebenen, sowie Kegelschnitten.Eine der ersten zusammenfassenden aber wenig beachteten Darstellungen war die1844 in Leipzig erschienene ,,Ausdehnungslehre” von H. Grassmann. Erst in derGottinger Schule wurden die abstrakten Hintergrunde konsequent herausgearbeitet,und Vektorraume als die wesentlichen Objekte der Untersuchung eingefuhrt. Nebendem Buch von Schreier und Sperner [S-S] ist hierzu auch die 1931 erstmals er-schienene ,,Moderne Algebra” von B. L. Van Der Waerden hervorzuheben. Bisin die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts hatten die entsprechenden Anfanger-vorlesungen meist noch den Titel ,,Analytische Geometrie”, erst danach wurde dieGeometrie als eine von mehreren moglichen Anwendungen in den Hintergrund ge-drangt. Sorgfaltige historische Hinweise zu dieser langen Entwicklung findet manbei Brieskorn [B].

Seither wird in der Ausbildung in Linearer Algebra neben der Beschaftigung mitlinearen Gleichungssystemen auch der Umgang mit abstrakten mathematischenStrukturen, wie Gruppen, Ringen, Korpern, Vektorraumen usw. geubt. Dabei mussman zunachst die mathematische Sprache lernen, d.h. prazise Formulierungen fin-den, mit denen Strukturen definiert sind, sowie korrekte Behauptungen daruberaufstellen, und stichhaltige Begrundungen dafur erarbeiten. Die Anschauung kanndabei helfen, Beweise zu finden; aber dann beginnt die Knochenarbeit, sie praziseaufzuschreiben. Das ist erfahrungsgemaß die großte Hurde fur Studienanfanger.

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Anwendungen der Linearen AlgebraMan sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass ein einzelnes mathematisches Teil-gebiet, wie die Lineare Algebra, die Hilfsmittel zur Losung großer praktischer Pro-bleme liefern konnte. Wenn Mathematik in die Praxis geht, dann gehen da immerverschiedene mathematische Teilgebiete gemeinsam. Aber trotzdem: Es gibt sehrmarkante Beispiele fur Anwendungen der Linearen Algebra - ein paar wollen wir imFolgenden beschreiben.

1 Statik von Gerusten. Das Problem, Bauwerke und andere Konstruktionenauszufuhren, die stabil sind, ist alt und bei weitem nicht trivial. Betrachten wir etwaein Gerust, d.h. ein Gebilde, das aus Streben und Knoten besteht (in der Baustatikspricht man von einem Fachwerk). Soll es stabil gebaut werden, so muss manwissen, welche Krafte auf die Bauteile wirken. Grundlegende Untersuchungen dazuhat u.a. J. C. Maxwell (1831 - 1879) geleistet, den man vor allem wegen seinerBeitrage zur Elektrodynamik kennt; dann aber auch C. Culmann, von dem 1866das Buch ,,Die Graphische Statik” erschien. Die Methode benutzt Lineare Algebra,sein Schuler M. Koechlin hat als Ingenieur die Statik des Eiffel-Turms gerechnet,der seit der Weltausstellung 1889 noch heute steht.

Wir wollen die Methode in ihrer graphischen und ihrer rechnerischen Form an einemganz einfachen, aber doch charakteristischen Beispiel illustrieren.

Zur Vereinfachung betrachten wir ein ebenes Problem, namlich die Aufhan-gung eines Gewichtes (etwa einer Lampe) an einer Mauer mit Hilfe eines Gestangesin Form eines rechtwinkligen Dreiecks. Die Stangen und ihre Befestigungen mussenso ausgelegt sein, dass sie den entstehenden Zug- und Druckkraften standhalten.Zunachst wirkt im Punkt 1© eine Kraft K senkrecht nach unten, sie soll groß seinim Vergleich zum Gewicht der Stangen.

Krafte addieren sich wie Vektoren, im Punkt 1© ist K = K1 Summe von K2 und K3;K2 verursacht einen Zug in Richtung 2©, K3 einen Druck in Richtung 3©. Graphischkann man K2 und K3 durch eine Parallelogrammkonstruktion ermitteln.

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Im Punkt 2© zerfallt die Zugkraft K4 = K2 in K5 = −K3 und K6 = K1, im Punkt3© ist die Druckkraft K7 = K3. Der gesamte Fluss von Kraften und Gegenkraftensieht dann so aus:

Gleichgewicht bedeutet, dass in jedem Befestigungspunkt die Summe aller angrei-fenden Krafte verschwindet; rechnerisch ergibt sich daraus ein System von linearenGleichungen. Dazu beschreibt man jede der beteiligten Krafte Ki als Vektor

Ki = (xi,yi,zi)

mit reellen Komponenten xi,yi,zi. Im obigen ebenen Beispiel sind die zi = 0, dasGleichgewicht im Punkt 1© ergibt folgende Bedingungen: K1 ist vorgegeben, etwaK1 = (0, − 1), das bedeutet

x1 = 0 und y1 = −1 .

Aus der Geometrie des Dreiecks und tan(15◦) ≈ 0.268 folgt

0.268x3 + y2 = 0 und y3 = 0

Schließlich ergibt die Gleichgewichtsbedingung K1 − K2 − K3 = 0, dass

x1 − x2 − x3 = 0 und y1 − y2 − y3 = 0 .

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Das sind 6 lineare Gleichungen fur die 6 Komponenten der drei Krafte, die Losungist

K1 = (0, − 1), K2 = (−3.732, − 1), K3 = (3.732,0) .

Daraus ergeben sich einfach die Krafte in den Punkten 2© und 3©. Wie man sieht,ist die Zugkraft auf die Befestigung im Punkt 2© fast viermal so groß wie dasangehangte Gewicht.

In komplizierteren Fallen sind die Gleichungssysteme zu den einzelnen Punktenstarker gekoppelt, man kann sie dann nur gemeinsam losen. Hat man n Punkte undin jedem Punkt drei raumliche Krafte, so ergibt das insgesamt 9n zu bestimmendeKoordinaten. Wie groß n sein kann, sieht man nicht nur am Eiffel-Turm, sondernschon an jedem Baukran.

Neben den statischen Kraften gibt es aber auch dynamische Effekte, da durch elasti-sche Verformungen Schwingungen ausgelost werden konnen. So wird berichtet, dassim Jahr 1850 eine Brucke uber den Fluss Maine bei Angers einsturzte, wahrendSoldaten im Gleichschritt daruber marschierten. Seither ist dem Militar verboten,Brucken auf diese Art zu uberqueren.

Ein aktuelleres Beispiel ist die von Sir Norman Foster und Partnern entwor-fene Millenium Bridge uber die Themse in London, eine Fußgangerbrucke, dieSt. Paul’s Cathedral mit der Tate Modern Gallery verbindet. Sie ist konzipiert als,,blade of light”, die Tragseile zwischen den 144 m entfernten Pylonen haben einenDurchhang von nur 2.3 m; das Ingenieurburo ARUP berechnete die diffizile Statik.Nach der Einweihung durch Konigin Elisabeth II wurde die Brucke am 10. Ju-ni 2000 eroffnet - am 12. Juni 2000 musste sie wieder geschlossen werden, da siebedrohlich zu wackeln anfing; seither heißt sie ,,the wobbly bridge”.

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Nach vielen Experimenten und Rechnungen von ARUP wurde die Ursache gefunden:Die Statik war in Ordnung, aber es entstanden seitliche Schwingungen, die durchdie Reaktionen der Fußganger noch verstarkt wurden: Durch Resonanz schaukeltensich die Schwingungen gefahrlich auf. Einzelheiten dazu findet man unter [ARUP].Der Umbau und Einbau von Schwingungsdampfern kostete 5 Millionen Pfund. ImFebruar 2002 wurde das Ergebnis mit bis zu 20 000 Freiwilligen getestet und furgut befunden. Seither ist die Brucke wieder geoffnet.

Was hat das mit Linearer Algebra zu tun? Schwingungen und ihre Dampfung hangenmit Matrizen und ihren Eigenwerten zusammen.

2 Linearisierung. In der Praxis gibt es kaum eine strikt lineare Beziehungzwischen zwei Großen; selbst fur Preise wird bei Abnahme großerer Mengen einNachlass gewahrt. Aber die Tangente an eine Funktion gibt in einem begrenztenBereich wenigstens eine brauchbare Naherung. Dieses Prinzip der Analysis heißt li-neare Approximation, hier helfen die Methoden der Linearen Algebra. Man kannes ausbauen und eine gegebene oder gesuchte differenzierbare Funktion in ihremgesamten Definitionsbereich durch eine stuckweise lineare Funktion approximie-ren, etwa bei der Losung von Differentialgleichungen durch Diskretisierung undstuckweise Linearisierung.

Als einfaches Beispiel sei die Berechnung einer Warmeverteilung in der Ebene an-gegeben. Bezeichnet f(x,y) die Temperatur im Punkt (x,y), so erfullt die Funktionf bei Temperaturgleichgewicht die partielle Differentialgleichung zweiten Grades

( ∂2

∂x2+

∂2

∂y2

)f(x,y) = 0 ,

man nennt sie Laplace-Gleichung, die Losungen heißen harmonisch. Wir neh-men an, dass die Temperaturverteilung am Rand eines Quadrats vorgegeben istund unverandert bleibt. Eine ubliche Grundlage fur die approximative numerischeBerechnung der Losung f ist eine Diskretisierung: Man uberzieht den quadratischenBereich mit einem genugend feinen quadratischen Gitter von Messpunkten (xi,yj).Ersetzt man in der Laplace-Gleichung Differentialquotienten durch Differenzenquo-tienten und schafft man die Nenner weg, so ergibt sich an der Stelle (xi,yj) dieBedingung

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(f(xi+1,yj) − f(xi,yj)) − (f(xi,yj) − f(xi−1,yj))

+(f(xi,yj+1) − f(xi,yj)) − (f(xi,yj) − f(xi,yj−1)) = 0 ,

das ist gleichbedeutend mit

f(xi,yj) = 14 (f(xi+1,yj) + f(xi−1,yj) + f(xi,yj+1) + f(xi,yj−1)) . (∗)

Physikalisch bedeutet diese Bedingung, dass die Temperatur an jeder Stelle (xi,yj)im Inneren gleich dem Mittelwert der Temperaturen an den vier nachstgelegenenGitterpunkten ist. Insgesamt erhalt man mit Hilfe von (∗) fur die Temperaturenf(xi,yj) so viele lineare Gleichungen, wie man Gitterpunkte hat; dieses Gleichungs-system ist zu losen.

Als Beispiel wahlen wir ein relativ grobmaschiges Gitter, mit folgenden Werten vonf auf den relevanten Gitterpunkten am Rand:

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Fur die vier gesuchten Werte

fij := f(xi,yj) mit 1 ≤ i,j ≤ 2

erhalt man daraus die linearen Gleichungen

4f11 − f12 − f21 = 3−f11 + 4f12 − f22 = 10−f11 + 4f21 − f22 = 2

− f12 − f21 + 4f22 = 4

mit den Losungen

f11 = 4924 ≈ 2.042 , f12 = 43

12 ≈ 3.583 , f21 = 1912 ≈ 1.583 , f22 = 55

24 ≈ 2.292 .

Das entstehende stuckweise lineare ,,harmonische” Funktionsgebirge sieht so aus:

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3 Der Page Rank bei Google. Ein aktuelleres Beispiel fur eine An-wendung der Linearen Algebra ist die Internet-Suchmaschine Google, die in ihrerursprunglichen Form in den 90er Jahren von den beiden Studenten S. Brin undL. Page entwickelt und 2001 patentiert wurde. Wichtiger Bestandteil ist eine Me-thode fur die Anordnung der Suchergebnisse im Browser, Grundlage dafur ist der,,PageRank” p(S) fur jede Web-Site S. Er ist ein Maß dafur, wie stark die Seite mitanderen vernetzt ist, sagt allerdings nichts uber die Qualitat des Inhalts der Seiteaus. Die Definition des PageRank kann wie folgt motiviert werden.

Man stellt sich einen Surfer vor, der einen Weg auf den vorhandenen SeitenS1, . . . , SN des Internets zurucklegt. Er beginnt auf einer zufallig ausgewahlten Seiteund folgt in der Regel einem der angegebenen Links. Da er aber entmutigt werdenkann (etwa weil die Links nicht mehr weiterhelfen), darf er gelegentlich auch einmalauf eine beliebige andere Seite springen. Um das zu prazisieren wird zunachst einDamping Faktor d mit 0 ≤ d ≤ 1 festgesetzt (meist wird d = 0.85 gewahlt). Erhat folgenden Einfluss: Auf irgendeiner Seite angekommen folgt der Surfer mit derWahrscheinlichkeit d einem zufallig ausgewahlten Link, mit der Wahrscheinlichkeit1 − d springt er vom Zufall gesteuert auf eine beliebige andere Seite des Netzes.Der PageRank p(S) ist nun erklart als die Wahrscheinlichkeit dafur, dass sich derSurfer auf einem sehr langen Weg zu einem zufallig gewahlten Zeitpunkt auf derSeite S befindet. Da N sehr groß ist, wird p(S) eine sehr kleine Zahl sein, auf jedenFall gilt

0 ≤ p(S) ≤ 1 .

Nach den elementaren Regeln fur eine Wahrscheinlichkeitsverteilung ist

p(S1) + . . . + p(SN ) = 1 .

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ergibt nun eine Beziehung zwischen den verschie-denen PageRanks. Dazu betrachtet man fur eine Seite S alle Seiten, die einen Linkauf S enthalten, wir bezeichnen sie mit T1, . . . , Tn, wobei 0 ≤ n ≤ N −1. Bezeichnetci die Anzahl der Links, die von Ti ausgehen, so gilt

p(S) = d · (p(T1)c1

+ . . . +p(Tn)

cn

)+

1 − d

N.

Damit konnte man p(S) nur ausrechnen, wenn die Werte p(Ti) schon bekannt waren.Aber immerhin erhalt man auf diese Weise ein System von N linearen Gleichungenfur die N gesuchten Zahlen p(S1), . . . , p(SN ).

Nach der Theorie kann man ein solches Gleichungssystem losen, aber in der Praxisbenotigt man bei großem N sehr gute und schnelle numerische Verfahren. In derGrunderzeit des Internets rechnete man noch mit etwa 20 Millionen Seiten, inzwi-schen ist die Gesamtzahl N unuberschaubar geworden. Daher kann der PageRanknur noch fur ausgewahlte Seiten berechnet werden. Mehr dazu findet man bei [LM].

XVII

Um das Prinzip erlautern zu konnen, geben wir ein ganz einfaches Beispiel mitN = 3, das schematisch so aussieht:

S1

������

���

�����

����

S2�� S3

���������

Wie man daran erkennt, ist

c1 = 2 und c2 = c3 = 1 .

Also lauten die drei Gleichungen fur pi = p(Si) mit b := 13 (1 − d):

p1 − dp3 = b

−d2p1 + p2 = b

−d2p1 − dp2 + p3 = b

Fur d = 0.85 erhalt man die Losungen

p1 ≈ 0.388 , p2 ≈ 0.215 , p3 ≈ 0.397 .

Da S2 weniger verlinkt ist, als S1 und S3 ist p2 nur etwa halb so groß wie p1 undp3. Bei kleinerem d haben die Links weniger Einfluss. Etwa fur d = 0.1 wird

p1 ≈ 0.335 , p2 ≈ 0.317 , p3 ≈ 0.348 ,

da sind die PageRanks schon beinahe gleichverteilt.

Eine Variante des Gleichungssystems erhalt man mit Hilfe der Linking Matrix A.Bezeichnet ci fur 1 ≤ i ≤ N die Anzahl der Links, die von der Seite Si ausgehen,so hat A fur 1 ≤ i, j ≤ N die Eintrage

aij :=

⎧⎨⎩

d

ci, falls i �= j und Si einen Link auf Sj enthalt;

0 sonst.

Im Extremfall d = 1 ist dann (p(S1), . . . , p(SN )) ein Eigenvektor der Matrix Azum Eigenwert 1. Zur Losung solcher Probleme gibt es auch schnelle numerischeVerfahren.

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4 Der Satz vom Politiker. Eine ganz andersartige Fragestellung betrifftGraphen, das sind Konfigurationen, die aus Punkten und Verbindungsgeraden(oder Ecken und Kanten) bestehen. Ein Beispiel ist der Windmuhlengraph.

Er hat eine zentrale Ecke und eine gerade Zahl von Ecken am Rand, kann also furjede ungerade Zahl von Ecken konstruiert werden. Interpretiert man die Punkte alsPersonen und die Kanten als gegenseitige Freundschaften, so stehen am Rand be-freundete Paare, und jeder ist mit der Person in der Mitte befreundet. Eine solchePerson, die mit jedem befreundet ist, wird als Politiker bezeichnet, seine ,,Freund-schaften” sind berufsspezifisch. In dieser Interpretation hat der Windmuhlengraphdann folgende Eigenschaft:

Je zwei beliebige Personen haben immergenau einen gemeinsamen Freund (∗)

Der Satz vom Politiker sagt nun aus, dass Bedingung (∗) fur n Personen nurdann erfullt sein kann, wenn n ungerade ist und es einen Politiker gibt. Außerdemmuss der entsprechende Graph ein Windmuhlengraph sein.

Fur diesen Satz ist gibt es elementare Beweise. Aber der klarste und uberzeugendstewurde von P. Erdos, A. Renyi und V. Sos mit Hilfe von Linearer Algebra,genauerEigenwerten symmetrischer Matrizen gegeben; das findet man bei [A-Z, Kap. 34].Der Schlussel dazu ist die Adjazenzmatrix A des Graphen: Sind die Personen mit1, . . . , n nummeriert, so sind die Eintrage von A gegeben durch

aij :={

1 , wenn i �= j und i mit j befreundet,0 sonst.

XIX

FazitUnsere kleine Liste von Beispielen fur Fragen, hinter denen Lineare Algebra steckt,konnte man beliebig erweitern. Etwa in [A-B] kann man nachlesen, was in einerCD versteckt ist, in [A-Z, Kap. 15] findet man Ergebnisse zur beruhmten Borsuk-Vermutung uber die Zerlegung von Teilmengen des R

n mit beschranktem Durch-messer. Viele weitere Anwendungen findet man bei G. Strang [St1] und [St2].

Um eine mathematische Theorie sachgemaß anwenden zu konnen, muss man siezunachst sorgfaltig studieren und genugend verstehen; das gilt auch fur die Li-neare Algebra. Daneben kann die Mathematik durch ihren klaren Aufbau und dieSchonheit ihrer Strukturen begeistern; das zeigt sich zu Beginn des Studiums beson-ders in der Linearen Algebra, fur die der Leser nun hoffentlich nachhaltig motiviertist.

Literatur zur Einfuhrung

[A-B] Aigner, M. und E. Behrends (Hrsg.): Alles Mathematik. Vieweg 20083

[A-Z] Aigner, M. und G. M. Ziegler: Das BUCH der Beweise. Springer 20042

[ARUP] www.arup.com/MilleniumBridge/[B] Brieskorn, E.: Lineare Algebra und Analytische Geometrie (mit historischen

Anmerkungen von E. Scholz). Vieweg 1983[LM] Langville, A. N. and C. D. Meyer: Google’s PageRank and Beyond,

The Science of Search Engine Rankings. Princeton 2006[S-S] Schreier, O. und E. Sperner: Einfuhrung in die Analytische Geometrie

und Algebra. Teubner 1931[St1] Strang, G.: Linear Algebra and its Applications. WB Saunders 20054

[St2] Strang, G.: Linear Algebra: A Happy Chance to Apply Mathematics.Proc. Int. Congress on Math. Education (ICME - 10). Denmark 2004

Inhaltsverzeichnis

o Lineare Gleichungssysteme 10.1 Der reelle n-dimensionale Raum 10.2 Geraden in der Ebene . . . . . . 40.3 Ebenen und Geraden im Standardraum IR3 110.4 Das Eliminationsverfahren von GAUSS . 20

1 Grundbegriffe 321.1 Mengen und Abbildungen 321.2 Gruppen . . . . . .. . . . 431.3 Ringe, Körper und Polynome . 541.4 Vektorräume . . . . . . . . . 751.5 Basis und Dimension . . . . 861.6 Summen von Vektorräumen* 100

2 Lineare Abbildungen 1062.1 Beispiele und Definitionen . . . . . . . . . . . 1062.2 Bild, Fasern und Kern, Quotientenvektorräume* 1142.3 Lineare Gleichungssysteme . . . . . 1292.4 Lineare Abbildungen und Matrizen. 1372.5 Multiplikation von Matrizen . . . . 1432.6 Koordinatentransformationen . . . . 1542.7 Elementarmatrizen und Matrizenumformungen 163

3 Determinanten 1743.1 Beispiele und Definitionen 1743.2 Existenz und Eindeutigkeit 1863.3 Minoren* 2013.4 Determinante eines Endomorphismus und Orientierung* 212

4 Eigenwerte 2224.1 Beispiele und Definitionen 2224.2 Das charakteristische Polynom 2284.3 Diagonalisierung . . . . . . . 2344.4 Trigonalisierung* . . . . . . . 2424.5 Potenzen eines Endomorphismus* 2504.6 Die Jordansehe Normalform* . . . 259

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Diese Blume der Linearen Algebra wurde entworfen von Bettina Meserle, ClaudiaJochum und Jonathan Zinsl.

Kapitel 0

Lineare Gleichungssysteme

Schon die Nummer dieses Kapitels deutet an, daß es zur Motivation und Vorbereitungder in Kapitel I beginnenden systematischen Darstellung dient. Wir haben dafür daswichtigste Problem der elementaren linearen Algebra gewählt, nämlich lineare Glei­chungssysteme. Dabei kann man sehr schön die wesentlichen Aspekte vorführen: dengeometrischen Hintergrund und die algorithmische Methode. Was auf die späteren Ka­pitel verschoben wird, sind die präzisen Beweise mit Hilfe der üblichen theoretischenHilfsmittel.

Wer mit den verwendeten Notationen von Mengen und Abbildungen nicht vertrautist, kann bei Bedarf in 1.1 nachsehen.

0.1 Der reelle n-dimensionale RaumEin großer Fortschritt in der Geometrie gelang durch Einführung von Koordinaten, dieman zur Erinnerung an R. DESCARTES auch kartesische Koordinaten nennt. Dadurchkann man Punkte in den Räumen der Geometrie beschreiben durch Systeme von Zahlen,und mit den Zahlen kann man rechnen. Diese Methode zur Behandlung geometrischerFragen nennt man analytische Geometrie. Die elementarsten Begriffe hierzu seien kurzerklärt.

0.1.1. Wir gehen aus von den reellen Zahlen, deren Gesamtheit wir mit IR be­zeichnen . Ihre Einführung ist Gegenstand der Analysis , in der Geometrie dienensie als Zahlengerade, und diese Zahlen kann man nach den üblichen Regeln ad­dieren und multiplizieren.

Punkte der Ebene sind festgelegt durch Paare, Punkte des gewöhnlichen Rau­mes durch Tripel von reellen Zahlen . Für die Theorie macht es keine Probleme,gleich n-Tupel zu betrachten, wobei n eine beliebige natürliche Zahl ist. Damiterhält man den reellen Standardraum der Dimension n

IRn = Ix = (XI> • •• , Xn ) : Xl , ' " . x; E IR} ,

d.h. die Menge der geordneten n-Tupel (oder Vektoren) von reellen Zahlen. Ge­ordnet heißt, daß die Reihenfolge wichtig ist, d.h. zwei n-Tupel (x I, . . . ,xn ) und(YI , . • . ,Yn) sind genau dann gleich, wenn X I = YI, .. . ,Xn = Yn ' Die ZahlenXI, •• • , Xn heißen Komponenten von x .

Der Fall n = 0 ist sinnlos , IR I ist die Zahlengerade, IR2 entspricht der Ebeneund IR3 dem .Raum". Für größere n hat man zunächst keine unmittelbare geo­metrische Vorstellung mehr, dafür aber eine ganz andere und sehr realistischeInterpretation. Hat etwa eine Bank n Kunden, so kann man deren Kontoständezu einem bestimmten Zeitpunkt mit XI, •. • , x; bezeichnen, alle zusammen (und

2 o Lineare Gleichungssysteme

geordnet!) sind ein "Punkt"

x = (XI, ... ,xn) E lRn•

Die Entwicklung der Kontostände im Laufe der Zeit wird dann durch eine "Kur­ve" im R" beschrieben, ihre Beschreibung geht schon über den Rahmen der li­nearen Algebra hinaus. Eine lineare Operation ist etwa die Berechnung der au­genblicklichen Bilanz. Haben die Einlagen neben dem Nennwert x, einen Bör­senkurs a., so ist das bewertete Kapital gegeben durch

ein typischer Fall für eine lineare Gleichung.In der Praxis hat man mehrere Bedingungen, und diese sind meist nicht durch

Gleichungen, sondern durch Ungleichungen gegeben, von der Art, daß für dieobige Summe Begrenzungen vorgegeben sind. Und das Problem besteht darin,einen "Gewinn" zu optimieren. Zur Lösung solcher Aufgaben in der linearenOptimierung (vgl. etwa [Fi]) benötigt man genügende Kenntnisse über lineareGleichungen, was vielleicht auch einen gewinnorientierten Leser eine Zeit langbei der Stange halten kann.

0.1.2. In der linearen Algebra muß man mit n-Tupeln rechnen. Die grundlegen­den Operationen sind eine Addition

(XI,'" ,Xn)+(Yl, ... ')'11) :=(XI+Yl,'" ,XII+YII)

und eine Multiplikation mit einer Zahl A E lR

A . (XI, ... ,XII) := (A . X" ... ,A . XII)'

Man kann diese Operationen geometrisch deuten, wenn man die n-Tupel als Vek­toren ansieht, d.h. naiv als Pfeile vom Ursprung 0 = (0, ... ,0) mit Spitze inX = (XI,'" ,XII)' Für n = 2 kann man das einfach zeichnen:

X 2 +Y2 + ·············································· ·cc_x +Y

AX2 + ··················································..._."'~

AX,Bild 0.1

x

1 x,o

X 2 + ·· ········ .~~

X, X,+Y,Y,

Y

0.1 Der reelle n-dimensionale Raum 3

Der Ursprung selbst heißt auch Nullvektor, wenn man ihn addiert, hat das keineWirkung. Multipliziert man mit A = 0, so wird jedes x zum Nullvektor. DasNegative von x ist gegeben durch

-x := (-Xl,'" , -Xn ) ,

es gilt X + (-X) = O. Statt x + (-y) schreibt man kürzer .r - y.

X2X

-Xl

0 Xl-X -x2

Bild 0.2

Nach diesen wenigen Formalitäten können wir nun die einfachsten Beispielevon linearen Gleichungen behandeln. Um die geometrische Anschauung dabeizu benutzen, betrachten wir zunächst ausführlich die Fälle n = 2 und n = 3.

4 0 Lineare Gleichungssysteme

0.2 Geraden in der Ebene0.2.1. Durch zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade, das gehört zuden wenigen Tatsachen der Geometrie, die auch Nicht-Mathematikern einleuch­ten. Mit Hilfe von Vektoren kann man das so beschreiben: Sind v, v' E IRz diebeiden Punkte, so ist W := v' - u i= O. Die Punkte auf der Geraden L durch vund v' kann man unter Benutzung eines reellen Parameters A darstellen als

L = {x E IRz: es gibt ein A E IR mit x = v + AW) = : v + IRw .

X2 v+lRw

L ---..,,~---------X,

Bild0.3

Man kann L auch ansehen als Bild der Zahlengerade IR unter der Abbildung

<t> : IR -+ L C IRz , A t-+ V + AW.

Das nennt man eine Parametrisierung der Geraden.

0.2.2. Die zweite Möglichkeit der Beschreibung benutzt eine lineare Gleichungder Form

alxl +azxz = b .

Dabei gelten XI , Xz als Unbestimmte und al, a: E IR als Koeffizienten. Die Un­bestimmten sind variabel, die Koeffizienten fest. Man betrachtet die Menge derLösungen

L := !(XI,XZ) E IRz; alXI +azxz = b} .

Ist al = az = 0, so ist L = 0 für b i= 0 und L = IRz für b = O. DieserFall gilt als "entartet" . Andernfalls müßte man im Prinzip alle Paare (x I, xz) indie Gleichung einsetzen und feststellen , ob sie erfüllt ist. Wenn man das ohneSystem tut, wird man dabei sehr selten Glück haben .

Ein gutes System ist eine Parametrisierung, mit deren Hilfe sich alle Lösungenproduzieren lassen . Das ist in diesem Fall leicht zu erhalten .

0.2 Geraden in der Ebene 5

I) Ist G2 = 0 und GI =1= 0, so wird die gegebene Gleichung zub

XI =-,GI

das ist eine zur x2-Achse parallele Gerade, und eine Parametrisierung ist gegebendurch

R~ L, A~ (:I ,A).Hier ist also die erste Koordinate fest, die zweite frei wählbar.

Ist GI = 0, aber G2 =1= 0, so hat man nur die Rollen von XI und X2 zu vertau­schen.

2) Ist GI =1= 0 und G2 =1= 0, so kann man die Gerade leicht zeichnen, indem mandie Schnittpunkte mit den Achsen XI = 0 und X2 = 0 berechnet:

x2

-----t-----:;;:.<:----------x,

LBild 0.4

Wählt man wieder die xrKoordinate eines Punktes der Geraden als ParameterA, so kann man daraus

b G2AXI =---

GI GI

berechnen, und eine Parametrisierung der zunächst durch die Gleichung gegebe­nen Geraden ist gefunden :

R~ L, A~ (~ _ G2A

, A) .GI GI

0.2.3. Zwei Geraden in der Ebene schneiden sich in genau einem Punkt , es seidenn, sie sind gleich oder parallel. Sind sie durch Gleichungen gegeben, so stelltsich die Frage, wie man entscheiden kann, welcher Fall vorliegt, und wie maneventuell den eindeutigen Schnittpunkt findet. Dazu einige

6 o Lineare Gleichungssysteme

Beispiele. a) Die Geraden seien gegeben durch

XI - Xz = I ,Xz = 2 .

Der Schnittpunkt p ist ganz einfach zu finden, indem man Xz = 2 aus der zweitenGleichung in die erste einsetzt: XI = I + 2 = 3, also p = (3,2).

Eine Variante sind die Gleichungen

XI - Xz I ,X I + 3xz 9 .

x. X, + 3x. = 9 X.

2px. = 2---+---~--

~------1-~-~---X,3

X, - x. = 1 X, - x. = 1Bild 0.5

Zieht man die erste Gleichung von der zweiten ab und dividiert die Differenzdurch vier, so erhält man wieder die obigen Gleichungen , und man sieht an denZeichnungen, daß der Schnittpunkt der gleiche ist.

b) Die Geraden seien gegeben durchXI - Xz I ,

2xI - 2xz b ,

---h---t--,.'-----X,

Bild 0.6mit beliebigem b. Man sieht sofort, daß sie für b = 2 gleich und für b #- 2parallel, also ohne Schnittpunkt sind. Darauf kommt man auch durch formales

0.2 Geraden in der Ebene 7

Rechnen, wenn man wieder die 2-fache erste Gleichung von der zweiten abzieht.Das ergibt

XI - Xz = I ,OXI - OXz = b - 2 .

Die zweite Gleichung lautet in jedem Fall b = 2. Ist b so gewählt, kann man sieweglassen und es bleibt die erste. Ist b =1= 2 gewählt , so ist die zweite Gleichungnie erfüllt und man kann die erste weglassen .

c) Nun nehmen wir zu den zwei Geraden aus Beispiel a) eine dritte hinzu:

XI -Xz 1 , I

XI + 3xz 9 , 11

XI +xz 2 . mx 2 x 2

ü

nffI

Xl Xl

III

Bild0.7

Daß sie keinen gemeinsamen Schnittpunkt haben, sieht man an Bild 0.7, wirwollen es auch durch formales Umformen zeigen. Wie umgeformt wurde, istrechts vermerkt.

XI -Xz 1 , I

4xz 8, 11=11-1

2xz l. Irl = m - I

Die Gleichungen fI und III verlangen Xz = 2 und Xz = ~ ,das ist ein Widerspruch .

Wie man sieht, sind derartige Umformungen von Gleichungssystemen sehrwirksam, wir werden in 0.4.6 eine Rechtfertigung dafür geben. In obigem Bei­spiel sollte man bemerken, daß die gemeinsamen Schnittpunkte von I mit 11 undI mit m erhalten bleiben.

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0.2.4. Den Begriff Gerade hatten wir bisher noch nicht präzise erklärt, das sollschleunigst nachgeholt werden:

Definition. Eine Teilmenge L C lR2 heißt Gerade, wenn es al, a2, b E lR mit(al, a2) i- (0,0) gibt, so daß

L = {(Xj,X2) ElR 2: alxl+a2x2=bj.

Daß man eine Gerade genauso gut mit Hilfe einer Parametrisierung beschreibenkann, ist die Aussage von folgendem

Satz. Eine Teilmenge L C lR2 ist genau dann eine Gerade, wenn es v, W E lR2

mit W i- 0 gibt, so daß

L = v + lRw.

Dieser Satz folgt später sehr leicht aus der allgemeinen Theorie. Ohne weitereHilfsmittel ist der Beweis etwas mühsam, wir wollen es dennoch vorführen:

I) Ist L eine Gerade im Sinne der obigen Definition, so gibt es v und w mit denangegebenen Eigenschaften.

Sei also L gegeben durch a" a2, b mit (al, a2) i- (0,0). Wir führen den Fallal i- 0 aus, der Fall a2 i- 0 geht analog. Indem man im Ergebnis von 0.2.2 A = 0und A = al setzt (siehe Bild 0.8), kommt man zu der Definition

v:=(:j'O)' w:=(-a2,aj), L':=v+lRw,

und es ist zu zeigen, daß L = L'. Dazu ist L c L' und L' c L zu beweisen.x 2

w

L'Bild 0.8

0.2 Geraden in der Ebene 9

a) L C L': Ist (XI, Xz) E L, so ist alXj + azxz = b. Also gilt für A := xz/al

(XI,XZ)= (~-azA,aIA)=V+AW.

Somit ist (x I, Xz) E L'.

b) L' c L: Ist x E L', so gibt es ein Amit

x = v + AW = (~ - aZA, ajA) = (XI, Xz) .

bSetzt man XI - - aZA und Xz = alA in die Gleichung von L ein, so erhält

alman

Also ist X E L.

2) Ist L = v + lRw, so ist eine Gleichung zu finden. Ist v = (u,. vz) undW = (WI, wz) mit Wj i= 0, so zeigt eine einfache Überlegung (siehe Bild 0.9),daß

Xz - Vz Wzalso WZXj - WjXZ = WZVI - Wj Vz

XI - Vj WI

sein muß. Wir definieren daher al := Wz,az := -W], b := WZVj - WIVz und

L' := {(XI, Xz) E lRZ: alxl + azxz = b} .

a) L C L': Dazu muß man X = v + AW = (VI + AWI, Vz + AWZ) E L in dieGleichung einsetzen. Das ergibt

WZ(VI + Awd - Wl (vz + AWZ) = WZVI - Wj Vz.

Also ist X E L'.

L'

v + lRw

Bild 0.9