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5 Zusammenfassung und Schlußreflexion Die Untersuchungen zum 1 Thess und 1 Kor sind bereits in Kap.2.7 bzw. 3.7 resümiert worden. Ich konzentriere mich im Folgenden darauf, die Ergeb- nisse unter Einbeziehung und damit im weiteren Horizont der in Kap.4 skiz- zierten Befunde im 2 Kor, Gal sowie Rom knapp zu bündeln und zu reflektie- ren. 1. Die Studie ist von der Kritik zweier verbreiteter und bestimmender Mo- mente der Thematisierung der paulinischen Gerichtsaussagen ausgegangen: der Engführung ihrer Erörterung unter der Fragestellung des Verhältnisses von „Rechtfertigung aufgrund von Glauben" und „Gericht nach den Werken" zum einen, der fraglosen Voraussetzung eines förmlichen Rechtsverfahrens, in dem sich alle Menschen/Christen vor Gott bzw. Christus zu verantworten haben, als Vorstellungsrahmen der Gerichtsaussagen zum anderen. Statt des- sen ist der Blick auf die konkreten ethischen und ekklesiologischen Kontexte, in denen Gerichtsaussagen bei Paulus beheimatet sind, und auf die Pluralität von sachlogisch nicht miteinander kompatiblen, geichwohl häufig aber ne- beneinander begegnenden Gerichtsvorstellungen gelenkt worden. Damit wur- de zugleich die Frage nach der Korrespondenz zwischen der jeweils aufge- griffenen Gestalt der Gerichtsvorstellung und der zugrundeliegenden Pro- blemlage und also nach dem, was eine bestimmte Aussageweise in ihrem spezifischen Kontext leistet, aufgeworfen. 2. Präzisiert man die Thematisierung des „Gerichts nach den Werken" zur Frage „Gericht nach welchen Werken" ergibt sich ein signifikanter Befund. Im 1 Thess begegnet die Gerichtserwartung zur Einschärfung von Ethosbe- stimmungen allein in 4,6 im Rahmen der Mahnung zur Meidung der von Paulus als typisch „heidnisch" erachteten (4,5) Kardinallaster Unzucht und Habgier. Im Blick sind damit die elementaren und zentralen Bereiche von Fe/z/verhalten, das sich für einen Konvertiten fortan als mit dem Christsein unvereinbar verbietet. Die Heiligung als Überschrift der Mahnungen verweist dabei auf den theologischen Zusammenhang der Aussonderung für Gott und damit der Absonderung von der „Welt". Es geht um die Markierung elemen- tarer ethischer „boundary markers", um die Einschärfung von Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Die prominente Stellung des Sexualethos in diesem Zusammenhang schreibt traditionelle jüdische ethische Entwürfe fort, in denen die Meidung von Unzucht als hauptsächliches ethisches Ab- grenzungsmerkmal gegenüber der paganen Umwelt vorgebracht wurde. Brought to you by | Columbia University Authenticated | 93.180.53.211 Download Date | 11/22/13 3:06 PM

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5 Zusammenfassung und Schlußreflexion

Die Untersuchungen zum 1 Thess und 1 Kor sind bereits in Kap.2.7 bzw. 3.7 resümiert worden. Ich konzentriere mich im Folgenden darauf, die Ergeb-nisse unter Einbeziehung und damit im weiteren Horizont der in Kap.4 skiz-zierten Befunde im 2 Kor, Gal sowie Rom knapp zu bündeln und zu reflektie-ren.

1. Die Studie ist von der Kritik zweier verbreiteter und bestimmender Mo-mente der Thematisierung der paulinischen Gerichtsaussagen ausgegangen: der Engführung ihrer Erörterung unter der Fragestellung des Verhältnisses von „Rechtfertigung aufgrund von Glauben" und „Gericht nach den Werken" zum einen, der fraglosen Voraussetzung eines förmlichen Rechtsverfahrens, in dem sich alle Menschen/Christen vor Gott bzw. Christus zu verantworten haben, als Vorstellungsrahmen der Gerichtsaussagen zum anderen. Statt des-sen ist der Blick auf die konkreten ethischen und ekklesiologischen Kontexte, in denen Gerichtsaussagen bei Paulus beheimatet sind, und auf die Pluralität von sachlogisch nicht miteinander kompatiblen, geichwohl häufig aber ne-beneinander begegnenden Gerichtsvorstellungen gelenkt worden. Damit wur-de zugleich die Frage nach der Korrespondenz zwischen der jeweils aufge-griffenen Gestalt der Gerichtsvorstellung und der zugrundeliegenden Pro-blemlage und also nach dem, was eine bestimmte Aussageweise in ihrem spezifischen Kontext leistet, aufgeworfen.

2. Präzisiert man die Thematisierung des „Gerichts nach den Werken" zur Frage „Gericht nach welchen Werken" ergibt sich ein signifikanter Befund. Im 1 Thess begegnet die Gerichtserwartung zur Einschärfung von Ethosbe-stimmungen allein in 4,6 im Rahmen der Mahnung zur Meidung der von Paulus als typisch „heidnisch" erachteten (4,5) Kardinallaster Unzucht und Habgier. Im Blick sind damit die elementaren und zentralen Bereiche von Fe/z/verhalten, das sich für einen Konvertiten fortan als mit dem Christsein unvereinbar verbietet. Die Heiligung als Überschrift der Mahnungen verweist dabei auf den theologischen Zusammenhang der Aussonderung für Gott und damit der Absonderung von der „Welt". Es geht um die Markierung elemen-tarer ethischer „boundary markers", um die Einschärfung von Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Die prominente Stellung des Sexualethos in diesem Zusammenhang schreibt traditionelle jüdische ethische Entwürfe fort, in denen die Meidung von Unzucht als hauptsächliches ethisches Ab-grenzungsmerkmal gegenüber der paganen Umwelt vorgebracht wurde.

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Blickt man auf den 1 Kor, so bildet die Inkriminierung von Unzucht und Habgier die Basis hinter den Gerichtsaussagen in 5,1-6,11. Die Nähe zu 1 Thess 4,3-6 kommt dabei auch darin zum Ausdruck, daß in 1 Kor 5,1-6,11 Heiligkeit und Reinheit der Gemeinde als ekklesiologischer Leithorizont er-scheinen. Zieht man 1 Kor 8,1-11,1 hinzu, so ergänzt dies die gerichtstheolo-gische Relevanz der Kardinallaster Unzucht und Habgier noch um den Göt-zendienst als weiterer unabdingbarer Grenzmarkierung. Daß Unzüchtigen, Götzendienern und Habgierigen das Reich Gottes verschlossen bleibt (1 Kor 6,9f), gilt als Warnung auch für Christen.

Dieser Situierung der Gerichtsthematik im Kontext von „boundary markers", die christliche Identität mit jüdischer verbinden, tritt nun in 1 Kor 1,10-4,21 und 11,17-34 die Verwendung von Gerichtsaussagen zur Sanktio-nierung von Ethosbestimmungen zur Seite, die insofern als spezifisch „christlich" zu etikettieren sind, als sie sich für Paulus aus dem Kreuz als der Mitte der christlichen Sinnwelt ergeben. Aus dem Kreuzesgeschehen leitet sich ein Ethos ab, das als Ausdruck der Einheit der Glaubenden in Christus durch die Überwindung der handlungsleitenden Relevanz traditioneller „weltlicher" Statusorientierung sowie durch das von der Proexistenz Christi bestimmte Füreinanderdasein bestimmt ist. In dem korinthischen Personen-kult und dem statusorientierten Weisheitsgebaren im Kontext der Parteien-streitigkeiten sowie in den die sozioökonomische Heterogenität der Gemein-de abbildenden Mißständen beim Herrenmahl erkennt Paulus von daher mit dem Christsein in gravierender Weise unvereinbare Verhaltensorientierun-gen, die soteriologisch nicht folgenlos bleiben: Die, die spalterisch und da-mit, da die Einheit der Gemeinde ein wesentliches Kennzeichen der ecclesia ist, zerstörerisch in der Gemeinde wirken, wird Gott verderben (3,17); denen, die das „unwürdige" Mahlverhalten nicht abstellen, die sich durch das über die Gemeinde bereits ergangene Züchtigungsgericht nicht zur Umkehr bewe-gen lassen, droht, mit der Welt verdammt zu werden (11,32). Gemeinsam ist mit den oben genannten Texten, daß es auch hier im gerichtstheologischen Horizont um Strafe für FeA/verhalten geht, das Paulus als Verletzung ele-mentarer Charakteristika der ethischen Identität von Christen ansieht.

Geht der Verweis auf das Gericht zur Inkriminierung lasterhaften Wandels in 1 Thess 4,6 damit einher, daß die Gerichtserwartung als Motivationshori-zont der Mahnung zur Bruderliebe (4,9f) sowie überhaupt in der sonstigen ethischen Unterweisung keine Rolle spielt, so wiederholt sich dieser Befund mutatis mutandis im 1 Kor (zu 3,8.14f; 4,5 gleich). Zieht man die Paränese in Rom 12(f) hinzu, so zeigt sich auch hier das Fehlen einer Verwendung von Gerichtsaussagen zur Motivierung der Befolgung von Weisungen, die christ-liches Verhalten nicht bloß via negationis durch die Meidung kardinaler La-ster, sondern positiv bestimmen1. Die Mahnungen zur Selbsthingabe (12,1),

1 Rom 12,19 steht dem, wie oben in Kap.4.3.2 gezeigt, nicht entgegen.

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zur Barmherzigkeit (12,8) oder zur herzlichen Bruderliebe (12,10) werden von Paulus nicht durch einen Verweis auf das eschatologische Gericht unter-baut. Gleiches gilt für die Mahnung zur Liebe und zum Achtgeben auf das Wohl der anderen in Phil 2,1-4, und in einer sich an allgemein konsensfähi-gen Normen orientierenden Weisung wie der in Phil 4,82, nämlich darauf bedacht zu sein, „was wahrhaftig, was ehrbar, was gerecht ... ist", ist dies nicht anders.

Eine gewisse Sonderstellung nimmt hier Gal 6,8f ein, motiviert Paulus an dieser Stelle doch positiv zum Tun des Guten mit dem Ausblick auf den Empfang des ewigen Lebens3. In Kap.4.2.3 wurde nachvollzogen, wie diese Form der Verbindung von Mahnung und eschatologischer Vergeltung aus der „rhetorischen Situation" erwächst. Im Zusammenhang der Herausforderung, vor die Paulus durch die „Gegner" gestellt ist, nämlich angesichts der Attrak-tivität ihrer Toraunterweisung als ethischen Orientierungsgeländers die Suffi-zienz seiner Evangeliumsverkündigung für die Gestaltung des menschlichen bzw. speziell gemeindlichen Zusammenlebens zu profilieren, ist ebenso die Neukontextualisierung der Verbindung von Lasterkatalog und Ausschluß-formel in Gal 5,19-21 zu sehen. Rom 2,5-11 berührt sich zwar mit Gal 6,9 darin, daß hier ebenfalls positiv der Konnex von „Tun des Guten" und Emp-fang des ewigen Lebens (Rom 2,7.10) formuliert wird, doch steht dies hier nicht im Zusammenhang ethischer Unterweisung, sondern im Dienste der Darstellung der Gerechtigkeit und Unparteiischkeit des Gerichts, und dieses Moment wird im Kontext benutzt, um die dem auserwählten Volk zukom-mende Sonderstellung in gerichtstheologischer Hinsicht zu unterlaufen (s. noch unten 3.3).

Überblickt man die ethischen Aussagezusammenhänge, in denen Paulus auf das Gericht Gottes rekurriert, ergibt sich insgesamt eine signifikante Schwerpunktsetzung: Gerichtsaussagen dienen hier vor allem der Grenzmar-kierung, d.h. sie sagen Strafe an fur Verhaltensweisen, die für Paulus ele-mentare Wesensmerkmale christlicher Identität verletzen. An einem Beispiel konkretisiert: Paulus mahnt nicht, daß Christen einander lieben sollen, damit sie in das Reich Gottes kommen (so 2 Klem 9,6, vgl. 11,7), und es ist für ihn auch nicht charakteristisch, die klassischen Werke der Barmherzigkeit damit einzuschärfen, daß die Barmherzigen das Reich erben werden (vgl. Mt 25,34[-36]), sondern dominierend ist bei ihm die Perspektive, daß er mit dem Ausschluß aus dem Reich Gottes droht, wenn Christen sich in gravierender Weise eines ihrem Christsein widersprechenden Verhaltens schuldig machen. Gerichtstheologisch relevant sind weniger positiv Werke als Zeichen des Glaubens als vielmehr negativ „unchristliche" Verhaltensweisen als Zeichen des Unglaubens. Dem korrespondiert soteriologisch, daß Christen sich das

2 Zur „Inklusivität" der Mahnung vgl. Wolter, Ethos, 437. 3 Zu Phil 2,12f s. oben Kap.4.2.3, Anm.92.

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Heil nicht erwirken, wohl aber durch ihr Verhalten wieder verwirken können. Vorrangig von Bedeutung sind hier materialiter die in jüdischer Unterwei-sung traditionellen Abgrenzungsmerkmale der Meidung von Unzucht und Götzendienst (und von Habgier) sowie mit dem Kreuz nicht kompatible Ori-entierungen an dem statusorientierten Wertesystem der Umwelt.

3. Fragt man, ob Paulus durchgehend eine bestimmte Vorstellung des Ge-richts vertritt, so ist dies entschieden zu verneinen. Wie im Frühjudentum „die horizontale Diversität der Anschauungen vom 'Gericht' Gottes ... der Normalfall [ist]"4, so ergibt sich auch bei Paulus kein sachlogisch kohärentes Bild, wie er sich das Gerichtshandeln Gottes vorgestellt hat. Paulus kann vielmehr in unterschiedlichen Kontexten auf unterschiedliche Vorstellungen und Motive zurückgreifen und sie seiner Argumentation dienstbar machen.

Entgegen üblichen Zugängen zur Thematik des „Gerichts bei Paulus", die sich im Blick auf die Gerichtskonzeption stark von den Ausführungen in Rom 2 und 2 Kor 5 bestimmen lassen, ist in diesem Zusammenhang insbe-sondere festzuhalten, daß die Vorstellung eines allgemeinen Gerichts, in dem sich alle Menschen - bzw. speziell auf die Adressaten bezogen: alle Christen - vor dem Richter zu verantworten haben, bei Paulus nur in bestimmten Kontexten begegnet, aber keineswegs die dominierende Gerichtsvorstellung bzw. gar die paulinische Gerichtskonzeption schlechthin darstellt. Anders gesagt: Die Selbstverständlichkeit, mit der die Konzeption in der Regel als Basisvorstellung vorausgesetzt wird, verdankt sich eher ihrer wirkungsge-schichtlichen Bedeutung, wie sie sich in der kirchlichen Kunst manifestiert und von ihr zugleich gefördert wurde, als dem exegetischen Befund bei Pau-lus und den traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen.

3 .1 Läßt sich vom 1 Thess indirekt auf Paulus' Anfangsverkündigung zu-rückschließen, so hat Paulus in diesem Rahmen seine Heilsbotschaft offenbar nicht auf dem Hintergrund der Erwartung eben eines universalen Weltge-richts im Sinne eines Rechtsverfahrens vor dem Thron profiliert5. Als kon-stitutiver Horizont der Heilsbotschaft erscheint vielmehr die prophetische Ansage des andringenden eschatologischen Zorngerichts als eines Vernich-tungsgeschehens6, das alle, die nicht zum Glauben kommen, treffen wird. Als traditionsgeschichtliche Voraussetzung ist hier zum einen auf die Verkündi-gung Johannes des Täufers (Mt 3,7fF par Lk 3,7ff), zum anderen auf die in verschiedenen frühjüdischen Texten begegnende Verbindung der Anklage des Götzendienstes und der Lasterhaftigkeit von „Heiden" mit Strafgerichts-aussagen zu verweisen. Ein spezifisch christlicher Akzent besteht bei Paulus

4 K. Müller, Gott, 43. 5 Vgl hingegen den „lukanischen Paulus" in Apg 17,31. 6 Vgl. auch Rom 1,18; 5,9.

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darin, daß Jesus in dem Szenarium die Funktion zugewiesen ist, die Glau-benden vor dem Zorngericht zu retten (1 Thess 1,10, auch 5,9), und dies ge-schieht dadurch, daß die Seinen bei seiner Parusie auf Wolken dem Herrn entgegen in die Luft entrückt (4,17) und durch Jesus mit ihm (in die himmli-schen Sphären) einhergefuhrt werden (4,14).

Im 1 Thess bildet die Zorngerichtsvorstellung im Rahmen des parakleti-schen Anliegens, die junge Gemeinde angesichts von Irritationen durch die Umwelt zu festigen, ein bedeutsames Element der Vergewisserung: Der Heilszuspruch wird bekräftigt, Heils- und Unheilsbereich werden voneinan-der abgegrenzt, die Sonderstellung der Gemeinde tritt hervor. Die Position der „anderen", die die Christen bedrängen bzw. sich spöttisch über ihre Kehre äußern, wird disqualifiziert (2,16; 5,3), um eine Gefährdung der Bindung an das neue Überzeugungssystem abzuwehren. Die Zorngerichtsvorstellung wird im 1 Thess als cantus firmus der Gerichtserwartung also so eingesetzt, daß ihr, wie anderorts im Frühjudentum, eine eminent stabilisierende Funk-tion im Blick auf die eigene Gruppierung zukommt. „Uns" wird Jesus aus dem Zorn erretten (1,10), während Gottes Zorngericht über die „Gegner" schon beschlossene Sache ist (2,167). „Wir" sind nicht - wie „die übrigen" (4,13; 5,6) - zum Zorn bestimmt, sondern dazu, das Heil zu erlangen (5,9f).

Worauf es fur die Christen ankommt, ist allein, daß sie sich von dem ein-geschlagenen Weg nicht abbringen lassen. Dann würden sie wieder denen zugerechnet, über die - inmitten der trügerischen Wahrnehmung von „Frie-den und Sicherheit" (5,3) - das Strafgericht Gottes herabkommen wird. In ethischer Hinsicht bedeutet dies, daß Christen die Laster der „heidnischen" Vergangenheit, die Gottes Zorn evozieren, tatsächlich hinter sich lassen (s.o.). Hinter die Errettung aus dem Zorngericht noch ein Beurteilungsgericht anzusetzen, das die Christen noch zu durchlaufen hätten, liegt hier fern.

Dieser Befund ist näherhin nicht so zu verstehen, daß Paulus allein aus textpragmatischen Gründen auf die explizite Nennung eines festen Elements seiner Enderwartung verzichtet. Vielmehr ist eben in Frage zu stellen, daß es sich hierbei um ein konstitutives Element der paulinischen Gerichtsauffas-sung handelt. Dies wird erhärtet, wenn man einbezieht, daß die besagte Leer-stelle von dem den 1 Thess kennzeichnenden theologischen Denkansatz aus in keiner Weise überraschen kann. Von zentraler Bedeutung ist hier, daß Paulus das sich im Konversionsgeschehen manifestierende Erwählungshan-deln Gottes im eschatologischen Horizont als Berufung „zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit denkt (1 Thess 2,12). Die Inblicknahme des Heils-empfangs der Christen ist damit fundamental durch das Moment des Heils-handelns Gottes bestimmt. Ergibt sich hier mit der Zorngerichtsvorstellung ein stimmiger Gesamtzusammenhang - die Christen sind dank des Erwäh-lungshandelns Gottes dem Unheil des andringenden Vernichtungsgeschehens

7 Zum Hintergrund der Fokussierung auf „die Juden" oben Kap.2.3.2.3. Brought to you by | Columbia University

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entrissen, das über die götzendienerische und lasterhafte Menschheit kom-men wird (vgl. Rom 1,18-32), und zur Erlangung des Heils durch Jesus Chri-stus bestimmt (1 Thess 5,9) - , so ist der Gedanke einer endgerichtlichen Be-urteilung der Christen - und zwar auch in der Form, daß es im Gericht nicht um Heil und Unheil geht, wohl aber im Zuge einer individuellen Beurteilung unterschiedlicher „Lohn" zugeteilt wird - in diesem Vorstellungszusammen-hang nicht bloß prinzipiell entbehrlich, sondern er stünde zum genannten Ansatz quer.

Das Fehlen der Vorstellung eines Beurteilungsgerichts im 1 Thess ist schließlich auch in traditionsgeschichtlicher Hinsicht nicht auffällig, denn daß das eschatologische Gericht ein universales, auch die Beurteilung der Gerechten implizierendes Geschehen ist, oder anders: daß der Heilsempfang der Gerechten im Rahmen eines Gerichtsszenariums gedacht ist, stellt frühjü-disch alles andere als die übliche Erwartung dar. Umgekehrt formuliert: Daß das Zorngericht über die Sünder nicht durch die Vorstellung einer endge-richtlichen Beurteilung der Gerechten flankiert bzw. ergänzt ist, ist der Nor-malfall.

Dem dargelegten Befund fügt sich konzeptionell schließlich nahtlos ein, daß Paulus die Auferstehung nicht als eine universale, sondern als Auferste-hung allein der Christen denkt (1 Thess 4,13-18, s. auch Rom 8,11; 1 Kor 6,14; 15; 2 Kor 4,14; Phil 3,11). Die Vorstellung eines universalen Weltge-richts, das Gerechte und Sünder voneinander scheidet, erübrigt sich daher. Auferstehung bedeutet Auferstehung zum Heil.

Blickt man über den Befund speziell im 1 Thess hinaus, so ist hinsichtlich der insgesamt relativ begrenzten Bedeutung der Vorstellung eines universa-len oder nur Christen betreffenden Beurteilungsgerichts - neben dem eben Ausgeführten - insbesondere auf den Zusammenhang dieses Befundes mit der unter 2. dargestellten Ausrichtung der Verwendung von Gerichtsaussagen in ethischen Zusammenhängen zu verweisen, also damit, daß Paulus hier auf das Gericht vorrangig im Kontext der Inkriminierung von Fehlverhalten bzw. der ethischen Grenzziehung rekurriert. Der einseitige Blick auf Bestrafung von Fehlverhalten erfordert nicht die Ausmalung eines Gerichtsverfahrens, in dem das Werk eines Christen aufgedeckt und beurteilt wird. Die explizite Einbindung der Vorstellung eines förmlichen Gerichtsszenariums spielt frei-lich selbst in Gal 6,9, also auch dort keine Rolle, wo Paulus einen Konnex zwischen dem Tun des Guten und dem Empfang des ewigen Lebens herstellt. Kurzum: Die Konzeption eines Gerichtsverfahrens vor dem Thron Gottes bzw. Christi ist für Paulus kein bestimmendes Element, wenn es positiv um den Empfang des Heils geht. Mit Phil 3,20f gesprochen: Wenn Christus vom Himmel kommt (vgl. 1 Thess 1,10), wird er nicht als Richter der Christen auftreten, sondern „den Leib der Niedrigkeit verwandeln".

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3.2 Nun ist andererseits aber auch die geschlossene Konzeption, wie sie fur den 1 Thess kennzeichnend und fur die Missionsverkündigung vorauszuset-zen ist, eben nicht zu verallgemeinern. Der hier konstitutive und die Verwen-dungsweise und Ausformulierung der Gerichtserwartung wesentlich bestim-mende Problemzusammenhang von menschlicher Unheilssituation und gött-lichem Rettungshandeln tritt in anderen „rhetorischen Situationen" in den Hintergrund. So kann Paulus in bestimmten Zusammenhängen, die in den voranstehenden Analysen im einzelnen aufgefächert wurden, durchaus auch die Vorstellung eines (die) Christen betreffenden Beurteilungsgerichts oder Elemente davon aufnehmen (1 Kor 3,13-15, 4,5; 2 Kor 5,10; Rom 14,10).

Die ausdrückliche Rede von einem Lohn bei Gott ist bei Paulus auf seine Thematisierung der Rolle der Apostel und der gemeindlichen Verantwor-tungsträger in 1 Kor 3,8.14f beschränkt; sie steht hier unmittelbar mit der Inblicknahme der Missionare als Diener und Mitarbeiter Gottes (3,5-9) bzw. mit der metaphorischen Rede von den korinthischen Lehrern und Verkündi-gern als Bauhandwerkern (3,10-15) im Zusammenhang. In 4,5 ergibt sich die Schilderung des Gerichtsforums aus der Abwehr des vorzeitigen Richtens der Korinther: Christus, der auch das den Menschen Verborgene sieht, ist der einzig kompetente Richter! Dabei geht es thematisch wiederum um die Be-urteilung der Missionare, näherhin vor allem von Paulus selbst. Dieser Pro-blemzusammenhang verbindet 1 Kor 4,5 zugleich mit 2 Kor 5,10, denn hier ist die Gerichtsaussage in Paulus' Apologie seines Verkündigungsdienstes eingebunden und in diesem Zusammenhang zu verstehen. Blickt Paulus in 1 Kor 3,8 und 4,5 allein positiv auf Lohnempfang bzw. Lob, so impliziert im Kontext von 2 Kor 5,10 V. 11 die persönliche Gerichtszuversicht des Paulus.

Zieht man zusammen, so tritt die Thematisierung seines apostolischen Dienstes auffallend als ein Schwerpunkt der Verwendung von Beurteilungs-vorstellungen bei Paulus hervor. Näherhin dient sie Paulus dazu, durch den Verweis auf das positive Urteil Gottes, das in 1 Kor 3,8; 4,5 offen benannt und in 2 Kor 5,10, wie gesehen, durch den Fortgang deutlich wird, negativen Beurteilungen seines Dienstes in der Gemeinde entgegenzutreten.

In 1 Kor 4,5 ist dies, wie angesprochen, damit verbunden, daß der Verweis auf das Gericht Christi bzw. Gottes menschliches Richten delegitimiert. Da-mit verwandt ist die konfliktentschärfende Funktion des Verweises auf das Endgericht in Rom 14,10-12 (vgl. in anderer Weise auch Rom 12,19), mit dem Paulus auch hier zwischenmenschliches Urteilen auszuhebeln sucht. Die genannten Texte repräsentieren also einen zweiten Problemzusammenhang, in dem der Rekurs auf die Vorstellung eines die Christen betreffenden Beur-teilungsgerichts „funktional" erscheint: Richten ist Gott vorbehalten.

Der Fall, daß Paulus mittels der Vorstellung einer endgerichtlichen Beur-teilung der Werke, einen konkreten Imperativ unterbaut, liegt in 1 Kor 3,10-

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15 vor8. An dieser Stelle begegnet auch eine Differenzierung innerhalb des grundsätzlich positiven Ergehens, nämlich zwischen denen, die Lohn emp-fangen, und denen, die leer ausgehen, ja nur mit knapper Not gerettet werden. Die Vorstellung unterschiedlicher eschatologischer Ehrengrade ist für Paulus aber in keiner Weise typisch. Auch von daher wird wiederum verständlich, warum die Vorstellung eines die Christen betreffenden Beurteilungsgerichts bei Paulus keine bedeutendere Rolle spielt, und insbesondere, warum Ge-richtsrekurse bei Paulus in ethischen Zusammenhängen im Blick auf die Ein-schärfung positiver Verhaltensweisen nicht von Belang sind. Ist im Gefolge des charakteristischen Ansatzes der paulinischen Verkündigung, die Erlan-gung des Heils im wesentlichen von der Heilsinitiative Gottes aus zu den-ken9, der Einbau eines die Christen betreffenden, über Heil und Unheil ent-scheidenden Beurteilungsgerichts in das eschatologische Szenarium prinzipi-ell entbehrlich, so benötigt Paulus die Vorstellung eines Beurteilungsgerichts also auch nicht in der Gestalt einer Bewertung, wie jemand Christ war10, weil in seiner Soteriologie der Gedanke unterschiedlicher eschatologischer Ehren-grade nicht von Gewicht ist. Der Gebrauch der Lo/invorstellung in 1 Kor 3,14 hängt, wie ausgeführt, mit der Metaphorik im Kontext zusammen. Die Diffe-renzierung positiven eschatologischen Ergehens in 1 Kor 3,14f ist eine kon-textgebundene, ad hoc gebildete Hilfskonstruktion, die daraus resultiert, daß Paulus denen, deren Verkündigungsarbeit in der Gemeinde für deren Aufer-bauung zwar wertlos ist, die aber nicht zerstörerisch in „Gottes Tempel" wir-ken (3,16f), nicht mit Heilsverlust drohen möchte. Worin der Lohn besteht, bleibt dabei - bezeichnenderweise - offen11.

8 Im Unterschied dazu blickt zum Beispiel 1 Thess 4,6 allein auf ein Strafgeschehen. Von einem endgerichtlichen Offenbarwerden und einer Bewertung der Werke ist hier nicht die Rede.

9 Siehe nur Rom 8,28-31; 1 Kor 1,9; Phü 1,6; 1 Thess 2,12; 5,9. 10 Siehe hingegen Mattern, Verständnis, 141-212 (Kap.B. II. „Das Gericht urteilt, wie der

Christ Christ war", vgl. zu Mattern oben Kap. 1.1, S.3) oder auch den Ansatz von Kuck, Judgment sowie Kuck, Burden, der die Vorstellung von „varying eschatological re-wards" (Judgment, 185) als ein wesentliches Moment der paulinischen Gerichtsvorstel-lung postuliert (zur Auseinandersetzung mit Kuck s. die Auslegung von 1 Kor 3,5-4,5 oben Kap.3.2.2).

11 Man könnte in diesem Zusammenhang noch auf Phil 4,17 verweisen (s. dazu oben Kap.4, Anm.2), doch gilt auch hier, daß die Metaphorik schwerlich zu pressen ist, und vor allem ist zu bedenken, daß hier nichts von einer Zuteilung besonderer Ehren oder besonderen „Lohns" in einem förmlichen Gerichtsverfahren verlautet. In Gal 6,9 geht es allein um den Empfang des ewigen Lebens als Ernte. Und in 1 Kor 15,58 bezieht sich der Verweis darauf, daß die Mühe im Herrn nicht vergeblich ist, nicht auf eine dif-ferenzierte individuelle Vergeltung, sondern darauf, daß mit dem Tod nicht alles aus ist (vgl. 15,32b).

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3.3 Die Konzeption einer universalen endgerichtlichen Vergeltung begegnet in Rom 2,1-1612. Sie erwächst hier daraus, daß Paulus im Gefolge der den Römerbrief prägenden Argumentationssituation, nämlich der Auseinander-setzung mit vom jüdischen Selbstverständnis aus vorgebrachten Einwänden gegen die paulinische Verkündigung, die Ansage des universalen Zornge-richts (1,18) als Horizont seines Evangeliums dahingehend ausformuliert, daß er zu veraeinen sucht, daß Juden als Glieder des auserwählten Volkes im Blick auf das Gericht prinzipiell gegenüber dem Rest der Menschheit im Vorteil sind. Dazu betont Paulus in Rom 2 die Gerechtigkeit und Unpartei-ischkeit des Gerichts, die sich gut anhand der Rede von der „Vergeltung ge-mäß den Werken" illustrieren läßt. Die Gestalt der Ausformulierung der Ge-richtserwartung steht also auch und gerade in Rom 2 mit der angegangenen Sachproblematik im Zusammenhang.

Die Konsequenz dieser Einsicht liegt auf der Hand: Sowenig man die Er-wartung eines Gerichts nach den Werken (der Tora) in Rom 2,1-16 kurzer-hand einer heilsgeschichtlich vergangenen, durch das Heilsangebot der Glau-bensgerechtigkeit überholten Epoche zuweisen kann - die Gerichtserwartung ist vielmehr konstitutives Element der paulinischen Zukunftserwartung und kann, wie gesehen, auch explizit zur Sanktionierung des Handelns von Christen herangezogen werden - , sowenig kann man die hier vorliegende Ausformulierung der Gerichtsvorstellung ohne weiteres aus dem Aussagezu-sammenhang herauslösen und als die Leitvorstellung des Gerichts über die Christen ausgeben. Es ist insofern kurzschlüssig, wenn die These einer über den engeren Aussagezusammenhang von Rom 2 hinausreichenden Bedeu-tung der Gerichtsvorstellung von Rom 2,6-11 damit begründet wird, daß der Gerichtsgedanke auch anderorts in den paulinischen Briefen von selbstver-ständlicher Bedeutung ist13. Pointiert formuliert: Die Frage, inwiefern Rom 2,1-16 auch auf durch den Glauben gerechte Christen zu beziehen ist, stellt sich in dieser Weise gar nicht, wenn man bedenkt, daß es sich hier um eine auf die im Kontext verhandelte Sachproblematik hin bezogene Ausformulie-rung handelt.14

12 Streng genommen ist allerdings auch hier einzuschränken, denn von der Auferstehung der Toten zum Gericht ist hier mit keinem Wort die Rede.

13 Siehe nur die Argumentation bei Heiligenthal, Werke, 187: „Die oftmalige Betonung des Gerichtsgedankens innerhalb des gesamten Corpus Paulinum verbietet sowohl eine 'hypothetische' Bewertung ... von Rom 2,6-11 als auch eine temporäre Eingrenzung des Gerichtshandelns Gottes auf eine Zeit ante fidem."

14 In diesem Lichte ist auch die - systematisierende - Konzeption von Heiligenthal kri-tisch zu hinterfragen, nach dem im Rahmen der Vorstellung des Gerichts nach den Werken die Werke „als Zeichen für die im Gericht offenbar werdende 'innere' Wirk-lichkeit des Menschen anzusehen sind" (Werke, 195), die sich im Falle des Christen durch die Gabe des Geistes in der Taufe grundlegend gewandelt hat. Dort, wo Paulus, wie im Falle des 1 Kor, Verhaltensweisen von Christen konkret mit der Gerichtsvor-

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3.4 Als Fazit ergibt sich damit: Daß Gott die Welt richtet (Rom 3,6), ist fester Bestandteil paulinischen Denkens. Darüber, wie Gott dies tut, kann Paulus sich je nach rhetorischem Anforderungsprofil unterschiedlich äußern15. Im Rahmen der Analyse des 1 Thess und des 1 Kor sind die durch die unter-schiedlichen Kommunikationssituationen bedingten Differenzen in der Art und Weise, wie Paulus die Gerichtsthematik anbringt, ausführlich zur Spra-che gekommen. Daß etwa die vergewissernde Rede von der Rettung aus dem Zorngericht im 1 Kor kein Pendant hat, ist auf dem Hintergrund der anderen Problemkonstellation des 1 Kor ohne weiteres verständlich, ja dies erscheint als geradezu zwingend. Die Einbeziehung von 2 Kor 5, Gal 5,13-6,10 und von Gerichtsaussagen des Rom hat die Korrespondenz zwischen Problemlage und der jeweiligen Gestalt der Gerichtsaussage weiter illustriert16.

Ist die Variationsbreite in den Ausformulierungen der Gerichtserwartung als generelles Charakteristikum zu notieren, so ist zugleich festzuhalten, daß vom Ansatzpunkt der Missionsverkündigung beim Zorngericht über die Vor-stellung der Auferstehung allein der Gerechten bis hin zur dargelegten domi-nierenden Ausrichtung der Verwendung von Gerichtsaussagen in ethischen Zusammenhängen Faktoren zu benennen sind, die es verständlich machen, warum die Vorstellung eines Beurteilungsgerichts bei Paulus nicht stärker hervortritt. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang insbesondere, daß kei-neswegs von der Universalität des Gerichts als einem notwendigen bzw. konstitutiven Element der paulinischen Gerichtsanschauung auszugehen ist. Eine Konstante ist bei ihm, daß die „Welt", d.h. die nichtchristliche Mensch-heit, von Gott gerichtet wird (1 Thess 1,10; 2,16; 5,3.9; 1 Kor 5,13; 6,2; 11,32; Rom 1,18ff u.ö.). Aber das verbreitete Postulat, daß Paulus die feste Erwartung hegte, daß Christen sich noch vor Gott als Richter werden verant-worten müssen, läßt sich an den Texten nicht verifizieren. Diese Vorstellung ist vielmehr nur in einigen Aussagezusammenhängen beheimatet und ins-gesamt von begrenzter Relevanz. In traditionsgeschichtlicher Hinsicht ist ihr häufiges Fehlen nicht auffallend. Das Gericht ist im Frühjudentum nicht durchgehend, aber verbreitet nur etwas für Sünder - als Strafgericht.

Stellung konfrontiert, geht es, wie gesehen, eher negativ um Werke als „Zeichen des Unglaubens", während das έργάζέσθοα το αγαθόν von Rom 2,10 hier im Blick auf das Gericht faktisch keine Rolle spielt.

15 In Kap.3.7 ist ferner darauf verwiesen worden, daß zuweilen überhaupt nicht vorstel-lungsmäßig ausformuliert wird, wie Gott sein Gerichts- bzw. Vergeltungshandeln voll-zieht. Von argumentativem Interesse ist dann allein das Ergebnis (s. z.B. 1 Kor 6,9f).

16 Ich verweise exemplarisch noch einmal auf das Ineinander von Berührungen und Diffe-renzen zwischen 1 Kor 4,5 und 2 Kor 5,10, die jeweils mit Berührungen und Differen-zen in der Problemkonstellation in Verbindung zubringen waren.

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4. Ich schließe mit einem Ausblick: Beachtet man die „Physiognomie" der Gerichtserwartung bei Paulus und berücksichtigt man, statt allgemein vom „Gericht nach den Werken" zu reden, ferner, in welchen ethischen Zusam-menhängen Paulus wie auf das Gericht rekurriert, ergibt sich schließlich, daß sich auch die Frage nach dem Verhältnis von Gericht und Rechtfertigung in anderer Weise stellt, als sie üblicherweise verhandelt wird. Dies im einzelnen auszuformulieren, setzte eine Erörterung der paulinischen Rechtfertigungs-aussagen voraus, die hier nicht noch anzuschließen ist. Seitens der Untersu-chung der Gerichtsaussagen ist in diesem Zusammenhang grundlegend daran zu erinnern, daß es im wesentlichen nicht darum geht, daß Christen sich für ihr Heil qualifizieren müssen, sondern darum, daß sie sich nicht ¿¿«qualifi-zieren, indem sie gegen zentrale Wesensmerkmale christlicher Identität ver-stoßen, wie sie sich aus der Berufung kv άγιασμώ (1 Thess 4,7) sowie aus dem Gegründetsein christlicher Existenz im Kreuzesgeschehen (1 Kor!) er-geben. Ist der Ansatz von Donfried u.a.17 prinzipiell im Recht, daß zum Glauben der „Gehorsam" wesentlich dazugehört, so ist dies im Blick auf die Bedeutung der Gerichtserwartung freilich in dem eben genannten Sinne zu modifizieren.

Deutlich machen die Gerichtsaussagen zugleich: Der Aspekt des Lebens-wandels gehört in Paulus' theologischem Denken keineswegs prinzipiell in den Bereich soteriologischer Irrelevanz. Anderes zu behaupten, ginge an der ethischen Dimension der paulinischen Sicht christlicher Identität vollkom-men vorbei.

17 Siehe oben Kap. 1.1. Brought to you by | Columbia University

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