26
Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze: --------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Urteil der 6. Kammer vom 22. August 2018

Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

Gericht: VG Regensburg

Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850

Sachgebiets-Nr: 710

Rechtsquellen:

Hauptpunkte:

Leitsätze:

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Urteil der 6. Kammer vom 22. August 2018

Page 2: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6
Page 3: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

Az. RO 6 K 17.30850

Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache 1. *****, geb. *****.1971 alias *****, geb. *****.1971 2. *****, geb. *****.1971 alias *****, geb. *****.1971 3. *****, geb*****.2001 alias *****, geb. *****.2001 gesetzlich vertreten durch den Vater ***** gesetzlich vertreten durch die Mutter ***** zu 1 bis 3 wohnhaft: *****, ***** - Kläger - zu 1 bis 3 bevollmächtigt: ***** *****, *****

gegen Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Rothenburger Str. 29, 90513 Zirndorf - Beklagte - beteiligt: Regierung der Oberpfalz als Vertreter des öffentlichen Interesses Emmeramsplatz 8, 93047 Regensburg

wegen Flüchtlingseigenschaft Irak erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg, 6. Kammer, durch die Richterin am Verwaltungsgericht Barth als Einzelrichterin aufgrund mündlicher Ver-handlung vom 9. August 2018

am 22. August 2018 folgendes

Page 4: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 2 -

U r t e i l :

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens je zu einem Drittel.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der am ***** 1971 geborene Kläger zu 1), die am ***** 1971 geborene Klägerin zu 2) und der

am ***** 2001 geborene Kläger zu 3), irakische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehö-

rigkeit sunnitischen Glaubens, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfs-

weise die Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungshin-

dernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).

Die Kläger reisten am 16. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten

am 17. August 2016 Asylanträge.

Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates

und der persönlichen Anhörung zur Klärung des Zulässigkeit des gestellten Asylantrages am

17. August 2016 gab der Kläger zu 1) an, dass er Familienangehörige/Verwandte in

Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat habe, nämlich seinen 1968 oder 1969 ge-

borenen Bruder. Nachweise über die verwandtschaftliche Beziehung könne er nicht vorle-

gen. Der Familienangehörige/Verwandte halte sich in Belgien auf. Für den Familienangehö-

rigen/Verwandten sei in einem anderen Mitgliedsstaat internationaler Schutz beantragt und

zuerkannt worden. Der Kläger zu 1) sei nicht auf die Unterstützung des Familienangehöri-

gen/Verwandten angewiesen. Der Familienangehörige/Verwandte sei nicht auf die Unter-

stützung des Klägers zu 1) angewiesen. Ein Aufenthaltsdokument/Visum für die Bundesre-

publik Deutschland oder einen anderen Mitgliedstaat habe der Kläger zu 1) nicht gehabt. Am

1. Oktober 2015 habe er sein Heimatland, den Irak, verlassen. Sechs Tage habe er sich in

der Türkei aufgehalten. Der Kläger zu 1) sei am 7. Oktober 2015 in Griechenland, wo er sich

drei Tage unter einer unbekannten Adresse aufgehalten habe, in das Gebiet der Mitglieds-

staaten eingereist. Seither habe er das Gebiet der Dublin-Mitgliedsstaaten verlassen. Durch

Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn sowie Österreich sei er per Flugzeug, Boot, Fähre,

Bus, Zug und zu Fuß nach Deutschland gereist. Die Reise habe ca. 15 Tage gedauert. Am

16. Oktober 2015 sei er in Deutschland eingereist. Dokumente, die die Einreise, den Aufent-

halt oder das Verlassen des Gebietes der Dublin-Mitgliedsstaaten nachwiesen, habe er

Page 5: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 3 -

nicht. Er habe in keinem anderen Mitgliedsstaat internationalen Schutz beantragt oder zuer-

kannt bekommen. Ihm seien in keinem anderen Mitgliedsstaat Fingerabdrücke abgenommen

worden. Nach Verlassen seines Heimatlandes und vor Einreise in das Bundesgebiet habe er

sich nicht länger als drei Monate in einem sonstigen Drittstaat aufgehalten.

Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates

und der persönlichen Anhörung zur Klärung des Zulässigkeit des gestellten Asylantrages am

17. August 2016 gab die Klägerin zu 2) an, dass sie Familienangehörige/Verwandte in

Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat habe, nämlich ihr am ***** 1994 geborenes

Kind. Nachweise über die verwandtschaftliche Beziehung könne sie nicht vorlegen. Der Fa-

milienangehörige/Verwandte halte sich in Zirndorf auf. Für den Familienangehöri-

gen/Verwandten sei in keinem anderen Mitgliedsstaat internationaler Schutz beantragt oder

zuerkannt worden. Ein Aufenthaltsdokument/Visum für die Bundesrepublik Deutschland oder

einen anderen Mitgliedstaat habe die Klägerin zu 2) nicht gehabt. Am 1. Oktober 2015 habe

sie ihr Heimatland, den Irak, verlassen. Über die Türkei (sechs Tage Aufenthalt), Griechen-

land (drei Tage Aufenthalt) und durch Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn sowie Öster-

reich sei sie per Flugzeug, Boot, Fähre, Bus, Zug und zu Fuß nach Deutschland gereist. Die

Reise habe ca. 15 Tage gedauert. Am 16. Oktober 2015 sei sie in Deutschland eingereist.

Sie sei am 7. Oktober 2015 über einen anderen Mitgliedstaat, nämlich Griechenland, in das

Gebiet der Mitgliedsstaaten eingereist. Dort habe sie sich ca. drei Tage unter einer unbe-

kannten Adresse aufgehalten. Seither habe sie das Gebiet der Dublin-Mitgliedsstaaten ver-

lassen. Dokumente, die die Einreise, den Aufenthalt oder das Verlassen des Gebietes der

Dublin-Mitgliedsstaaten nachwiesen, habe sie nicht. Sie habe in keinem anderen Mitglieds-

staat internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen. Ihr seien in keinem ande-

ren Mitgliedsstaat Fingerabdrücke abgenommen worden. Nach Verlassen ihres Heimatlan-

des und vor Einreise in das Bundesgebiet habe sie sich nicht länger als drei Monate in einem

sonstigen Drittstaat aufgehalten.

Der Kläger zu 1) gab bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlin-

ge (Bundesamt) am 12. September 2016 an, dass er gesund sei und die Anhörung durchfüh-

ren könne. Er sei Kurde und Muslim, Sunnit. Neben der sich bereits in den Akten befindli-

chen Geburtsurkunde und dem Personalausweis habe er noch weitere Papiere und zwar

einen Reisepass. Als sie in der Türkei gewesen seien, habe ihnen der Schleuser die Papiere

abgenommen. Der Kläger zu 1) sei in ***** geboren. ***** sei bekannt als Stadt der Künstler.

Bis zu seiner Ausreise habe er sich in *****, ***** aufgehalten. Die Ehefrau des Klägers zu 1)

sowie zwei Kinder seien in Deutschland. Seine Eltern lebten in *****, *****. Im Heimatland

habe er noch zwei Brüder und fünf Schwestern sowie die Großfamilie. Seine Tochter sei

zurück in den Irak und lebe mit ihrem Ehemann zusammen. Sie sei nach ***** gezogen und

Page 6: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 4 -

dort sei es sicher für sie. Die Tochter des Klägers zu 1) sei nicht so bekannt wie der Kläger

zu 1). Sie habe eine Privatschule besucht und sei mit dem Bus geholt und gebracht worden.

Während der Ferien sei sie zu den Eltern des Klägers zu 1) nach ***** gefahren. Der Kläger

zu 1) habe einen Zettel mit den Kontaktdaten seines Sohnes, welcher zur Akte genommen

wurde. Sein Großvater väterlicherseits sei bereits verstorben. Der Kläger zu 1) habe die

Kunstschule besucht und abgeschlossen. Es seien fünf Jahre gewesen und er habe einen

Diplom-Abschluss. Er habe als Bildhauer und Stuckateur gearbeitet. Wehrdienst habe er

nicht geleistet. Berufssoldat, Angehöriger von Sicherheitsbehörden oder Angehöriger der

Polizei sei er nicht gewesen. Der Kläger zu 1) sei kein Mitglied einer nichtstaatlichen, be-

waffneten Gruppen oder einer sonstigen politischen Organisation gewesen. Der Kläger zu 1)

sei selber Opfer einer Explosion im Jahre 1999 gewesen. Er sei dabei verletzt worden. Er

habe schon einiges abbekommen, an den Beinen, am Bauch und an den Armen. Zu seinem

Verfolgungsschicksal befragt, gab der Kläger zu 1) an, dass er Angst um sein Leben gehabt

habe. Aufgrund seiner Tätigkeit als Bildhauer habe er bei seiner Arbeit Ärger bekommen.

Der Grund sei gewesen, dass diese Arbeit von den Salafisten und Islamisten nicht gern ge-

sehen worden sei. Überhaupt sei die Arbeit als Bildhauer christlicher Figuren tabu. Er habe

zwei Figuren gefertigt, eine für einen Freund. Diese Figur sei ein christliches Symbol gewe-

sen und habe Jesus darstellen soll. Die Jesus-Figur sei Auslöser seines Ärgers gewesen,

weil für die Salafisten die Darstellung aller christlichen Figuren tabu sei. Die zweite Arbeit sei

ein Relief an der Wand bei einer Person namens ***** gewesen. Diese Arbeit habe er in *****

angefertigt und deshalb habe er Ärger bekommen. Das Haus sei noch nicht fertig gewesen,

als der Kläger zu 1) dort gearbeitet habe. Bei diesem Kunstwerk sei es um das letzte

Abendmahl gegangen. Gefragt, ob seine Frau den Namen des Auftraggebers des Reliefs

kenne, gab der Kläger zu 1) an, dass er nicht alles erzählt habe. Vieles habe sie auch nicht

ernst genommen, im Sinne von sie habe es sich nicht gemerkt. Auf die Frage, ob der

Freund, für den der Kläger zu 1) das Relief angefertigt habe, auch Ärger bekommen habe,

gab der Kläger zu 1) an, dass man dort, wo er dieses angefertigt habe, solche Darstellungen

an jedem Haus finde. Damit habe er die Ortschaft ***** gemeint. Auf die Frage, warum er

nicht dahin gezogen sei, wenn man dort ohne Gefahr arbeiten könne, gab der Kläger zu 1)

an, dass er vorher überhaupt keinen Ärger gehabt habe. Außerdem dürften Muslime in die-

sem Ort nicht wohnen. Dort befinde sich auch das amerikanische Konsulat. In diesem Ort

hätten schon immer nur Christen gelebt. Man dürfe dort zwar arbeiten, aber nicht wohnen.

Die Einwohner hätten einen Sonderstatus. Daraufhin habe der Kläger zu 1) zwei Anrufe be-

kommen. Man bekomme Angst, auch wenn man glaube, dass es sich bei den Anrufen um

einen Scherz handle, aber der Kläger zu 1) habe dies ernst genommen. Am 24./25. Septem-

ber 2015 habe der Kläger zu 1) diese Anrufe bekommen. Der Kläger wisse nicht, wer ange-

rufen habe, aber es seien Drohanrufe gewesen. Man habe am Telefon gesagt, dass sein

Tod sicher sei und ihn umzubringen würde religiös erlaubt sein. Auf die Frage, warum man

Page 7: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 5 -

ihn schon vorher am Telefon warne, gab der Kläger zu 1) an, dass er schon irgendwie einen

Verdacht gehabt habe, wer dahinter stecken könnte. Er habe davor in einem Hotel gearbei-

tet. Der Installateur in dem Hotel habe drei syrische Mitarbeiter gehabt und im Haus von *****

habe der Kläger zu 1) eine dieser drei Personen gesehen. Dieser habe ebenso im Haus

gearbeitet. Der Zweck solcher Anrufe sei, dass man mit seiner Tätigkeit aufhöre. Der Kläger

zu 1) habe das aber nicht ernst genommen, sondern habe dennoch weiter gemacht. Auf

Frage, wie der Kläger zu 1) den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit und den Anrufen

sehe, gab dieser an, dass in dem Hotel, in dem er gearbeitet habe, auch ein ***** arbeite und

dieser Salafist gewesen sei. Er sei der Meister gewesen. Ein Kollege von ***** arbeite in dem

Haus, in dem auch der Kläger zu 1) gearbeitet habe. Der Kläger zu 1) glaube, dieser habe

ihn angezeigt. Der Kläger zu 1) sei sehr bekannt in *****. Der Kläger zu 1) verdächtige nur

diesen Mann. Einen anderen kenne er nicht, der ihn verraten haben würde. Die anderen

Handwerker kenne er sehr gut. Er habe diesen Kollegen nicht bei der Polizei angezeigt, aber

dem Sicherheitsbeamten gesagt, dass er vorher einen Drohanruf bekommen habe. Auf die

Frage, warum die Polizei hier (im Gegensatz zum späteren Vorfall) nicht behilflich gewesen

sei, gab der Kläger zu 1) an, dass man aus Sicherheitsgründen von den Beamten auch

nichts erfahre und der Kläger zu 1) es nicht beurteilen könne. Am 30. September 2015 sei

ein Freitag gewesen. Auf die Frage, ob der Kläger zu 1) mit diesem Datum etwas Besonde-

res verbinde, gab dieser an, dass der Freitag für sie wie Wochenende sei, man habe frei. Auf

Vorhalt, dass der 30. September 2015 ein Mittwoch gewesen sei, gab der Kläger zu 1) an,

dass er an dem Tag, als er ***** verlassen habe, nach ***** gefahren sei. Am 1. Oktober

2015 habe er das Land vom Flughafen ***** aus verlassen. Der Kläger zu 1) habe das nicht

mehr im Kopf, ob es Freitag oder Mittwoch gewesen sei. Er habe auf jeden Fall an dem Tag

frei gehabt. Er wisse nur, dass er an dem Tag Ruhe gehabt habe. Für Notfälle habe der Klä-

ger zu 1) in seinem Garten einen Benzinkanister deponiert und es sei warm um die Jahres-

zeit. Der Kläger habe diesen Kanister täglich kontrolliert und zur Kontrolle den Deckel geöff-

net. An diesem Tag habe er einen Sprengstoff an diesem Kanister bemerkt. Er habe sofort

seine Frau und seine zwei Kinder aus dem Haus genommen und sie seien zu seiner Tante

gefahren. Diese wohne im Stadtteil *****. Der Kläger zu 1) habe den Vorfall den Sicherheits-

behörden gemeldet. Die Polizei habe den Sprengsatz entschärft und mitgenommen. Der

Kläger zu 1) sei selber nicht dabei gewesen, weil er nicht ins Haus gehen habe dürfen. Er

habe draußen gewartet, bis sie fertig gewesen seien. Auf die Frage, wo seine Frau zu der

Zeit gewesen sei, als die Bombe entschärft worden sei, gab der Kläger zu 1) an, dass er

seine Familie zu ihrer Tante geschickt habe. Danach habe der Kläger zu 1) ein mulmiges

Gefühl gehabt, nachdem er den Ernst der Lage festgestellt habe. Am selben Tag habe er

alle seine Dokumente zusammengesucht und habe sich nach einer Reise im Reisebüro er-

kundigt. Er habe kein Flugticket bekommt kommen können, deswegen habe er einen Freund

namens ***** in ***** angerufen. Dieser habe dem Kläger zu 1) bei der Turkish Airline die

Page 8: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 6 -

Flugtickets gekauft. Der Kläger habe 1.480 USD für vier Tickets zahlen müssen. Auf die

Frage, ob seine Frau von den Vorfällen wisse, gab der Kläger zu 1) an, dass seine Frau von

den Drohanrufen wisse. Wenn er zu Hause sei, spreche er nicht viel über seine Arbeit. Ge-

fragt, ob seine Frau etwas von der Entschärfung mitbekommen habe, gab der Kläger zu 1)

an, dass sie im Nachhinein davon erfahren habe. Auf Vorhalt, dass er oben gesagt habe,

dass er nach dem Vorfall mit dem Sprengstoff seine Frau und seine Kinder genommen habe

und zu seiner Tante gefahren sei, gab der Kläger zu 1) an, dass er seiner Frau vom Spreng-

satz erzählt habe, als seine Frau noch zu Hause gewesen sei. Das seien alle Gründe, die

der Kläger zu 1) anführen möchte. Im Park ***** seien zwei Figuren angefertigt worden, die

einen Jungen und ein Mädchen darstellten, die sich gegenseitig küssten. Kurz danach seien

diese Figuren zerstört worden. Ein verliebtes Ehepaar habe sich an der Stelle geküsst, wo

die Figuren gestanden hätten. Das Foto hätten sie auf Facebook veröffentlicht. Das Mäd-

chen sei aus Österreich gekommen. Sie habe das Land verlassen müssen, weil sie Angst

um ihr Leben gehabt habe. Der Junge habe ***** geheißen. Er sei aus ***** gekommen, Fo-

tograf gewesen und nach diesen Drohungen verschwunden. Sein Heimatland habe der Klä-

ger zu 1) am 1. Oktober 2015 verlassen. Auf die Frage, was seine Frau glaube, warum sie

mit zwei Kindern das Land verlassen habe müssen, gab der Kläger zu 1) an, dass sie von

den Drohanrufen erfahren habe und wisse, warum sie das Land verlassen hätten. Der Kläger

zu 1) sei jetzt 45 Jahre alt und habe sein ganzes Leben in seinem Heimatland verbracht. Er

habe niemals daran gedacht, seine Heimat zu verlassen, weil er seine Heimat sehr liebe. Auf

die Frage, ob er sich keine Sorgen um seine Tochter mache, die allein zurück sei, gab der

Kläger zu 1) an, dass diese ihren Ehemann sowie ihre Großeltern liebe und nicht so bekannt

sei. Daher glaube er, dass diese zur Zeit sicher sei. Am 16. Oktober 2015 sei er in Deutsch-

land eingereist. Auf dem Weg nach Deutschland sei, als er in Griechenland gewesen sei,

eine Person mit einem Laptop von der Polizei aufgegriffen worden. Es sei ein Araber gewe-

sen. Der Kläger wolle seinen Antrag auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz beschränken.

Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr in den Irak befürchten würde, gab der Kläger an,

dass er Angst habe, dass er getötet werden könnte. Hier habe er keine Angst gefunden zu

werden. Er habe seinem Asylantrag nichts mehr hinzuzufügen.

Die Klägerin zu 2) gab bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 12. September 2016 an,

dass sie kein religiöser Mensch sei. Sie sei Kurdin. Auf die Frage, ob sie über Personalpa-

piere verfüge, gab die Klägerin zu 2) an, dass sie momentan nichts dabei habe. Ihr Ehemann

habe alle ihre Dokumente abgegeben. Sie habe aber ihre Staatsangehörigkeitsurkunde so-

wie die ihres Sohnes dabei. Die Klägerin zu 2) habe einen Reisepass gehabt, aber der

Schleuser habe ihn in der Türkei abgenommen, als sie in das Boot eingestiegen seien. Bis

zu ihrer Ausreise habe die Klägerin zu 2) sich in *****, ***** aufgehalten. Sie sei in ***** gebo-

ren, habe aber in ***** gewohnt. Ihre Eltern seien bereits verstorben. Die Klägerin zu 2) habe

Page 9: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 7 -

ihren Ehemann und zwei Söhne in Deutschland. Sie habe außerdem Verwandte hier in

Deutschland, Cousins. Im Heimatland habe sie noch ihre Tochter, zwei Brüder und zwei

Schwestern. Ihre Tochter sei mit deren Ehemann nach Kurdistan zurückgekehrt. Ihr Großva-

ter väterlicherseits sei bereits verstorben. Die Klägerin zu 2) habe die Schule bis zur 9. Klas-

se besucht. Sie sei Hausfrau gewesen. Wehrdienst habe sie nicht geleistet. Berufssoldatin,

Angehörige von Sicherheitsbehörden oder Angehörige der Polizei sei sie nicht gewesen. Die

Klägerin zu 2) sei kein Mitglied einer nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppen oder einer sons-

tigen politischen Organisation gewesen. Die Klägerin zu 2) sei nicht selbst Augenzeugin,

Opfer oder Täterin von begangenen Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen

die Menschlichkeit, Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder andere Misshandlungen) von

kämpfenden Einheiten auf die Zivilbevölkerung, Hinrichtungen bzw. Massengräbern oder

Einsätzen von Chemiewaffen gewesen. Zu ihrem Verfolgungsschicksal befragt, gab die Klä-

gerin zu 2) an, dass ihr Mann am 25. September 2015 angerufen und telefonisch bedroht

worden sei. Ihr Mann sei nach Hause zurückgekommen. An dem Tag habe er sich nicht wohl

gefühlt. Die Klägerin zu 2) habe gefragt, was ihm fehle. Er habe ihr gesagt, dass er von Un-

bekannten bedroht worden sei. Die Klägerin zu 2) habe ihm gesagt, dass sie machtlos seien

und dass diese Leute... Die Klägerin zu 2) kenne diese Leute nicht, aber man habe ihrem

Mann gesagt, es wäre helal ihn zu töten, weil er Bildhauer sei und er Werbung mache mit

seinen Werken. Und würde er sein Werk wiederholen, würde man ihn töten. Sie hätten da-

nach ein mulmiges Gefühl gehabt. Es sei nicht angenehm gewesen. Eines Tages, es sei am

30. September 2015 gewesen, habe ihr Ehemann Benzinkanister deponiert gehabt. Ihr

Ehemann habe wie jeden Tag diese Kanister kontrolliert, damit der Luftdruck entweiche. Er

habe den Deckel geöffnet. An dem Tag habe er im Kanister ein schwarzes Ding gefunden.

Sie hätten bereits davor Angst gehabt aufgrund der Drohanrufe. Sie würden sich mit diesen

Sachen nicht auskennen. Deswegen habe ihr Ehemann bei der Sicherheitsbehörde angeru-

fen. Die Sicherheitsbeamten hätten einen Sprengsatz in dem Kanister gefunden. Ihr Ehe-

mann habe sie mit einem Taxi zu ihrer Tante geschickt. In der Zeit, als sie bei der Tante

ihres Ehemannes gewesen seien, hätten die Sicherheitsbeamten die Bombe entschärft. Die

Sicherheitsbeamten seien erst dann bei ihnen eingetroffen, nachdem sie weg gewesen sei-

en. Ihr Ehemann habe daraufhin die Dokumente gesucht, sie mitgenommen und sie hätten

das Haus verlassen. Diese Menschen, die dahinter steckten, seien gewissenlos. Ihr Ehe-

mann sei Bildhauer und Stuckateur. Er habe eine Figur für eine christliche Familie angefer-

tigt. Wahrscheinlich sei er dort in dem Haus, in dem er gearbeitet habe, beobachtet worden.

Man habe ihrem Mann am Telefon gesagt, dass er für die Ungläubigen Werbung mache

durch seine Werke. Er sei nach Hause zurückgekommen und habe gesagt, dass er mehr-

mals bedroht worden sei. Diese Leute, die angerufen hätten, seien Kriminelle. So wie sie das

von ihrem Ehemann verstanden habe, sei dieser mehrmals bedroht worden. Auf die Frage,

wie oft er Drohanrufe bekommen habe, gab die Klägerin zu 2) an, dass ihr Mann ihr nicht

Page 10: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 8 -

immer alles erzählt habe, weil sie krank sei. Sie habe eine Schilddrüsenunterfunktion. Ge-

fragt, warum sie sich an den 25. September so genau erinnern könne, gab die Klägerin zu 2)

an, dass dies der Fall sei, weil an dem Tag zweimal angerufen worden sei. Man habe ihn als

Ungläubigen bezeichnet. Für diese Menschen sei man als Bildhauer ein Ungläubiger. Es sei

helal, solche Menschen zu töten. Auf die Frage, ob ihr Mann am 30. September gearbeitet

habe, gab die Klägerin zu 2) an, dass er eigentlich mit seinem Auftrag fertig gewesen sei,

aber er sei wie jeden Tag in der Früh aufgestanden, um nach neuen Aufträgen zu suchen.

Auf die Frage, ob sie wisse, welcher Wochentag es gewesen sei, gab die Klägerin zu 2) an,

dass es ein Freitag gewesen sei. Sie werde den Tag nie vergessen. Gefragt, woher sie wis-

se, dass es ein Freitag gewesen sei, gab die Klägerin zu 2) an, dass die Kinder zu Hause

gewesen seien. Im September fingen bei ihnen die Schulen an. Daher wisse man, welcher

Wochentag sei, wenn die Kinder da seien. Außerdem gingen die Muslime in die Moschee.

Auf Vorhalt, dass der 30. September kein Freitag gewesen sei, gab die Klägerin zu 2) an,

dass der Tag, an dem sie bedroht worden seien, ein Freitag gewesen sei. Die Menschen

seien an dem Tag in die Moscheen gegangen. Auf Vorhalt, dass der Kläger zu 1) doch jetzt

in einer anderen Stadt andersartige Werke bauen könnte und dann die Gefahr vorbei wäre,

gab die Klägerin zu 2) an, dass er in ***** Figuren in Form von Rehen angefertigt habe. Sie

hätten von dieser Arbeit gelebt. Er sei Künstler und wenn er einen Auftrag bekomme, versu-

che er auch die Wünsche seiner Kunden zu realisieren. Auf Frage, ob sie die Sicherheitsbe-

hörden benachrichtigt hätten, gab die Klägerin zu 2) an, dass dies ihr Ehemann gemacht

habe. Auf die Frage, ob ihre Tochter jetzt nicht in Gefahr sei und warum diese freiwillig in

den Irak zurückgekehrt sei, gab die Klägerin zu 2) an, dass diese mit ihrem Ehemann in den

Irak zurückgekehrt sei. Das sei nicht die Entscheidung der Klägerin zu 2) gewesen. Sie habe

sie nicht umstimmen können. Die Schwiegermutter ihrer Tochter sei im Sterbebett gelegen.

Außerdem sei ihre Tochter nicht so bekannt wie ihr Ehemann es sei. Sie habe hier aber auch

einen minderjährigen und einen erwachsenen Sohn. Auf Frage, warum alles am 25. Sep-

tember angefangen habe, gab die Klägerin zu 2) an, dass er vorher auch telefonisch bedroht

worden sei. Aber im September habe sich die Sache verschlimmert, nachdem er diese Figu-

ren angefertigt habe. Auf die Frage, ob er vorher nicht solche Figuren gemacht habe, antwor-

tete die Klägerin zu 2), dass er sehr viele Werke gemacht habe, aber sie wisse nicht, was

alles. Vielleicht habe man auch nichts davon mitbekommen. Aber dort wo er gearbeitet habe,

habe es auch viele Handwerker gegeben. Vielleicht seien diese Islamisten. Wann genau der

erste Drohanruf erfolgt sei, wisse die Klägerin zu 2) nicht. Es sei im September 2015 gewe-

sen. Vielleicht sei er auch vorher bedroht worden, er habe ihr aber nichts davon erzählt. Auf

die Frage, ob sie wisse, welche Figuren Ärger ausgelöst hätten, gab die Klägerin zu 2) an,

dass – so viel sie wisse - er ihr von einem letzten Abendmahl erzählt habe. Davor habe er

mal eine Figur von Lenin angefertigt. Das sei aber für einen Freund gewesen. Dann habe er

auch eine Darstellung des Propheten Jesus angefertigt. Sogar in der Ortschaft namens *****,

Page 11: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 9 -

wo viele Christen lebten, sei man nicht sicher, dort seien Sprengstoffe explodiert. Diese Leu-

te, die dahinter steckten, seien Kriminelle. Ihr Heimatland habe sie am 1. Oktober 2015 ver-

lassen. Am 16. Oktober 2015 sei sie in Deutschland eingereist. Auf dem Weg nach Deutsch-

land oder in Deutschland seien ihr keine Personen bekannt geworden, die sie als Unterstüt-

zer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen einschätze oder

von denen sie annehmen müsse, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiteten. Die Kläge-

rin zu 2) wolle ihren Antrag auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz beschränken. Auf die

Frage, was sie bei einer Rückkehr in den Irak befürchten würde, gab die Klägerin zu 2) an,

dass sie das Land mit einem kaputten Bein verlassen habe. Sie habe das Risiko, über das

Meer nach Deutschland zu kommen, in Kauf genommen. Jetzt verlangten sie von ihr, dass

sie nach Hause zurückkehre. Sie sei am Knie operiert worden und nehme Medikamente für

die Unterfunktion der Schilddrüse. Sie kenne den Namen nicht. Das Medikament heiße

Bioflex. Sie sei sich aber nicht sicher. Atteste habe sie keine dabei. Diese seien in Kurdistan.

Aber die Narbe am Knie sei noch sichtbar. Die Operation sei in Kurdistan gewesen. Auf

nochmalige Frage, warum sie persönlich Schwierigkeiten bei einer Rückkehr in den Irak

befürchte, gab die Klägerin zu 2) an, dass sie ihrem Mann gehöre. Sie seien eins. Sie habe

schon Angst. Sie seien nur hier in Deutschland aufgenommen worden.

Mit Bescheid vom 21. Februar 2017 (Az.: 6233367-438) wurde in Ziffer 1 die Zuerkennung

der Flüchtlingseigenschaft versagt. In Ziffer 2 des Bescheids wurde die Zuerkennung des

subsidiären Schutzstatus versagt. In Ziffer 3 des Bescheids wurde festgestellt, dass Ab-

schiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlie-

gen. In Ziffer 4 des Bescheids forderte das Bundesamt die Kläger unter Androhung der Ab-

schiebung zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach

Bekanntgabe des Bescheids bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf.

Sollten die Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, würden sie in den Irak abgeschoben. Sie

könnten auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürften oder

der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. In Ziffer 5 wurde das gesetzliche Einreise- und

Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung

befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.

Gegen den am 23. Februar 2017 zugestellten Bescheid haben die Kläger am 28. Febru-

ar 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erheben lassen. Zur Be-

gründung wurde u.a. vorgetragen, dass der Kläger zu 1) ein im Irak weithin bekannter und

geachteter Künstler sei. Über seine Arbeit sei in einem öffentlichen Fernsehsender „Rudan“

ein Bericht gezeigt worden, der weltweit gesendet worden sei. Eine noch nachzureichende

CD enthalte eine Aufnahme des Berichts des Fernsehsenders „Rudan“ über die künstleri-

sche Arbeit des Klägers. Aufgrund seiner bildhauerischen Tätigkeit sei der Kläger zu 1) im

Page 12: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 10 -

Irak massiv bedroht worden. Er habe einen Drohbrief folgenden Inhalts erhalten: „Ich werde

Dir etwas sagen, *****, ich schwöre bei Gott, es nützt dir nichts, dass du nicht auf meine Wor-

te reagierst, ich schwöre, du weißt sehr gut, dein Schicksal wird der Untergang sein. Zerstöre

nicht dein Leben und das Leben von *****. Ich schwöre bei Gott, ich werde dich töten und ich

werde ***** deinetwegen töten. Ich weiß, dass du nicht Folge leisten wirst. Nicht ich bin es,

der Schaden erleidet. Du wirst geschädigt, ***** wird geschädigt, alle werden geschädigt,

solange du nicht Folge leistest. Das ist schlecht für dich, nicht für mich.“ In dem Drohbrief sei

dann weiterhin darauf hingewiesen worden, dass der Hadith, die islamische Scharia und die

Rechtsgelehrten sich darüber einig seien, dass bildliche Darstellungen (Statuen) verboten

seien. Bildliche Darstellungen (Statuen) seien auf jeden Fall verboten, ebenso wie das Ver-

ehren, Herstellen und Aufstellen bildlicher Darstellungen (Statuen) verboten seien. All dies

sei nach dem Koranvers verboten. Des Weiteren habe der Kläger zu 1) auf seinem Handy

Drohanrufe erhalten, in welchen ihm nach dem Leben getrachtet werde, sollte er die christli-

chen Motive nicht beseitigen. Diese Drohanrufe befänden sich auf der CD 2. Dieses, sein

Geschäftshandy, habe der Kläger zu 1) seinem Sohn überlassen. Die Drohanrufe seien auf

diesem Geschäftshandy eingegangen, nachdem er bereits geflohen und in der Bundesre-

publik angelangt gewesen sei. Auf der CD seien die Drohanrufe festgehalten. Die Überset-

zung werde umgehend nachgereicht. Die Kläger wiesen darauf hin, dass im Zuge der Offen-

sive des sog. Islamischen Staates im Juni 2014 im Irak, auch in den kurdischen Gebieten,

die Gewalt gegenüber Menschen, die sich nicht dem Gedankengut des islamischen Staates

angeschlossen hätten, ein ungeahntes Ausmaß angenommen habe und sich der Terror des

IS mit unvorstellbarer Grausamkeit gegenüber allen Andersdenkenden richte, auch gegen-

über sunnitischen Gläubigen, die sich nicht auf die Seit der radikal islamischen Gruppe IS

schlügen. So habe in der Stadt ***** ein islamistischer Salafist einen Bürger angegriffen ha-

be, um ihn zu enthaupten, „um das Paradies zu gewinnen“, wie er selbst sage. Durch den

religiösen Einfluss des Islams sei die Kunst der Malerei und Bildhauerei in den islamisch

geprägten Ländern zu Grunde gerichtet worden. Gerade die Kunst der Malerei und auch der

Bildhauerei sei bei den Sumerern, Akkaden und Assyrern vor dem Aufkommen des Islams

stark ausgeprägt gewesen. Nach den Angriffen des Islams und dessen Glaube, dass Denk-

mäler einen Partner für Gott darstellten, seien die Denkmäler durch die Muslime vernichtet

worden, wodurch die Malerei und Bildhauerei verschwunden sei. Der Kläger zu 1) werfe dem

Islam vor, dass er die Kunst vernichtet habe, um die religiösen Gedanken zu schützen. Le-

diglich Kalligraphie und Dekorationskunst sowie Baukunst seien noch möglich. Kalligraphie,

Dekorationskunst und Baukunst seien die einzigen Möglichkeiten gewesen, in denen sich

Künstler noch betätigen hätten können. Weil der Kläger zu 1) als anerkannter Bildhauer ge-

gen das Verbot, Bildnisse darzustellen, verstoßen habe, sei er, wie ausgeführt, mit dem To-

de bedroht worden. In den Werken des Klägers zu 1) sei ein Angriff auf den Islam und eine

Beleidigung des Islams gesehen worden. Dem Kläger zu 1) werde aufgrund seiner künstleri-

Page 13: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 11 -

schen Tätigkeit Abfall vom Islam vorgeworfen. Damit sei der Kläger zu 1) für Fundamentalis-

ten und gewalttätige oder gewaltbereite Fanatiker ein abtrünniger, der mit dem Tode zu be-

strafen sei. Ein ausreichender staatlicher Schutz vor den Übergriffen nichtstaatlicher Akteure

existiere im Irak nach der allgemeinen Sicherheitslage nach wie vor nicht. Der Kläger zu 1)

sei aufgrund seiner künstlerischen Tätigkeit auch im kurdischen Norden des Iraks vor einer

Ermordung durch gewaltbereite Fanatiker nicht sicher. Dem Kläger drohe als bekanntem

Künstler, der auch christliche Motive darstelle, bei einer Rückkehr in den Irak politische Ver-

folgung jedenfalls durch nichtstaatliche Akteure. Dies insbesondere deshalb, weil aufgrund

eines weltweit ausgestrahlten Fernsehberichts die künstlerische Tätigkeit des Klägers, der

als Bildhauer Personen darstelle und insbesondere auch christliche Motive dargestellt habe,

bekannt geworden sei. Dem Kläger zu 1) und seiner Familie drohe somit auch in der auto-

nomen kurdischen Region die Ermordung durch fundamentalistisch islamistisch geprägte

Fanatiker. Im Falle einer Rückkehr würde der Kläger zu 1) und dessen Familie auch deshalb

besonders bedroht sein, weil der Kläger zu 1) als Künstler immer wieder auch öffentlich auf-

treten wolle. Als in der Öffentlichkeit bekannter Künstler würde er überall im Irak von Verfol-

gung bedroht sein, weshalb es für den Kläger und auch seine Familie im Irak auch keine

inländische Fluchtalternative gebe. Dem Kläger und seiner Familie sei subsidiärer Schutz zu

gewähren.

Für den Kläger wird beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Februar 2017,

in Ziff. 1, 2, 3, 4 und 5 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die

Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1

des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

Für die Beklagte beantragt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nahm das Bundesamt auf den angegriffenen Bescheid Bezug.

Mit Beschluss vom 6. Juni 2018 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung

übertragen.

Mit Beschluss vom 19. Juli 2018 wurde der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozess-

kostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt.

Page 14: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 12 -

Zur Ergänzung der Sachverhaltsschilderung wird auf den Inhalt der Gerichtsakte samt der

hierzu beigezogenen Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhand-

lung am 9. August 2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Kläger erfüllen im maßgeblichen Zeitpunkt der

gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz - AsylG) nicht die Vorausset-

zungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3

AsylG (vgl. unter 1.). Auch steht den Klägern kein subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2 Auf-

enthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1, 2 oder 3 AsylG zu (vgl. unter 2.) und es bestehen

auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. un-

ter 3.). Nicht zu beanstanden sind schließlich Ausreiseaufforderung und Abschiebungsan-

drohung (vgl. unter 4.) sowie die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsver-

bots (vgl. unter 5.). Der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Februar 2017 ist daher recht-

mäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3

AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.

a) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951

über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskommission - GFK) ein Ausländer

nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen

seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten so-

zialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind. Die Zuerkennung

der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG insbesondere voraus, dass

der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Natio-

nalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe

sich außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt

und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in

Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Auf-

enthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurück-

kehren will. Verfolgung im Sinne der Vorschrift kann nach § 3c AsylG vom Staat (Buchst. a),

von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsge-

biets beherrschen (Buchst. b), aber auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen

(Buchst. c). Letzteres gilt jedoch nur, sofern die staatlichen Akteure einschließlich internatio-

naler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne

des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten, unabhän-

Page 15: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 13 -

gig davon, ob in dem betreffenden Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder

nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil

seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor

Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort

aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort nieder-

lässt (vgl. § 3e AsylG). Die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften hat in Übereinstim-

mung mit den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie – QRL) zu

erfolgen.

b) Gemessen an diesen Maßstäben sind aber im Fall der Kläger keine hinreichenden Anhalts-

punkte für eine relevante Verfolgung im Irak geltend gemacht oder sonst ersichtlich.

aa) Den Klägern droht wegen ihres beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung

vorgetragenen Verfolgungsschicksals derzeit keine Gefahr einer landesweiten Verfolgung.

Das Gericht hegt insoweit erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vor-

trags hinsichtlich der vorgetragenen Bedrohungen aufgrund der künstlerischen Betätigung

des Klägers zu 1).

(1) Wie sich aus Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 QRL ergibt, kann entsprechend der überkommenen

Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68/81 – juris Rn. 5 m.w.N.) von

dem schutzsuchenden Ausländer erwartet werden, dass er sich nach Möglichkeit unter Vor-

lage entsprechender Urkunden bemüht, seine Identität und persönlichen Umstände sowie

die geltend gemachte Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr nachzuweisen oder jeden-

falls substantiiert glaubhaft zu machen. Für den Erfolg der Klage muss das Gericht die volle

Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schick-

sals erlangen. Angesichts des typischen Beweisnotstands, in dem sich Asylsuchende insbe-

sondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsland befinden, kommt dabei

dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeu-

gungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Anspruch auf der Grund-

lage des § 3 Abs. 4, 1 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine

Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei ist es seine Sache, unter genauer

Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und

Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das

Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U. v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – Buchholz § 108

VwGO Nr. 147). An der Glaubhaftmachung fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im

Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare

Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der

Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie

Page 16: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 14 -

auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere

wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünfti-

ge Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B. vom 29.11.1990 –

2 BvR 1095/90 – infAuslR1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – Buchholz

402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135).

(2) Das Vorbringen der Kläger beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung wird

aber nicht den genannten Anforderungen an eine Glaubhaftmachung gerecht. Den Klägern

ist es nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass ihr Vorbringen hinsichtlich der

Bedrohung aufgrund der künstlerischen Betätigung des Klägers zu 1) der Wahrheit ent-

spricht. Das Gericht ist der Ansicht, dass ihr Vortrag zu unsubstantiiert, vage und nicht plau-

sibel gehalten ist, um für den Fall einer Rückkehr der Kläger in den Irak tatsächlich mit hin-

reichender Wahrscheinlichkeit von einer Lebensgefahr für die Kläger ausgehen zu müssen.

Der Vortrag der Kläger hierzu ist bereits widersprüchlich. So hat der Kläger zu 1) zunächst in

der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die Salafisten von der Anfertigung der Jesus-

Figur erfahren hätten, als sie gemeinsam in einem Haus in ***** gearbeitet hätten. Beim

Bundesamt hat der Kläger zu 1) aber bereits angegeben, dass er die Jesusfigur nicht wie

das Relief für das Haus in *****, sondern für einen Freund angefertigt habe. Die Frage, woher

die Salafisten von der Jesusfigur erfahren haben sollen, hat der Kläger zu 1) erst auf mehr-

malige Nachfrage in der mündlichen Verhandlung beantwortet. Widersprüchlich sind auch

die Angaben der Kläger dazu, wann der Anschlagsversuch stattgefunden haben soll. Beim

Bundesamt hat der Kläger zu 1) gesagt, dass der Anschlag am 30. September 2015, einem

Freitag gewesen sei. Abgesehen davon, dass der 30. September 2015 – wie bereits im

Rahmen der Bundesamtsanhörung aufgezeigt – ein Mittwoch gewesen ist, blieb der Kläger

zu 1) in der mündlichen Verhandlung auch nicht bei dieser Zeitangabe, sondern gab an,

dass der Vorfall am 2. oder 3. Oktober gewesen sei. Diese Angabe steht aber insofern wie-

der im Widerspruch zur übereinstimmenden Aussage der Kläger zu 1) und 2) beim Bundes-

amt, dass sie ihr Heimatland am 1. Oktober 2015 verlassen hätten. Zudem hat die Klägerin

zu 2) beim Bundesamt angegeben, dass am 25. September 2015 zweimal angerufen worden

sei, während der Kläger zu 1) nur von einem Anruf am 25. September 2015 berichtet hat.

Darüber hinaus hat der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung insgesamt nur von zwei

Drohanrufen, einen am 24. September 2015 und einen am 25. September 2015 berichtet,

während die Klägerin zu 2) beim Bundesamt zunächst angegeben hat, dass ihr Mann vorher

auch telefonisch bedroht worden sei, aber die Sache sich im September verschlimmert habe,

nachdem er diese Figuren angefertigt habe. Im weiteren Verlauf der Bundesamtsanhörung

widersprach dem die Klägerin zu 2) aber selbst wieder, als sie ausführte, dass der erste

Drohanruf im September 2015 gewesen sei. Schwer nachvollziehbar erscheint für das Ge-

Page 17: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 15 -

richt weiterhin, warum der Sprengstoff im Benzin schwimmen und nicht bereits beim Öffnen

des Deckels explodiert sein sollte. Die Beschreibungen des Klägers zu 1) zum Aussehen

und zur Lage des Sprengstoffes blieben hierzu sehr oberflächlich, so dass das Gericht den

Eindruck bekommen hat, dass der Kläger zu 1) nicht von wirklich Erlebtem berichtet hat.

Dies wird besonders deutlich, wenn man die Ausführungen des Klägers zu 1) hierzu mit sei-

nen Ausführungen beim Bundesamt zum Geschehen im *****-Park vergleicht. Diesbezüglich

gab der Kläger viele Details und Informationen an, obwohl er diese Geschichte nur vom Hö-

rensagen kannte. Insofern wäre zu erwarten gewesen, dass er eine von ihm selbst erlebte

und für ihn einschneidende Geschichte nicht nur mit kurzen, nicht näher ausgeführten Stich-

worten erzählen könnte. Allgemein antwortete der Kläger zu 1) auf die Fragen des Gerichts

zunächst immer ausweichend und ging nur kurz auf die eigentliche Frage ein. Nicht nach-

vollziehbar ist auch, warum der Kläger seine Vermutung, wer für den versuchten Anschlag

auf sein Haus verantwortlich gewesen sein könnte, nicht der Polizei mitgeteilt hat. Er hätte

den Sicherheitsbehörden zumindest mitteilen können, dass er den Arbeiter aus dem Hotel

verdächtige, so dass die Sicherheitsbehörden diesem Verdacht nachgehen und ihn möglich-

erweise dann auch dementieren hätten können. Wie bereits in der mündlichen Verhandlung

aufgezeigt, waren auch die Angaben des Klägers zu 1) beim Bundesamt zur Frage, ob er

seine Familie vor der Entschärfung der Benzinkanisterbombe selbst zur Tante gefahren hat

oder ob er für die Familie ein Taxi gerufen hat, widersprüchlich.

Auch die vorgelegten Unterlagen der Kläger können an der fehlenden Glaubhaftigkeit nichts

mehr ändern. Insoweit muss festgehalten werden, dass werden, dass es sich dabei nicht um

einen Originaldrohbrief handelt, sondern um eine von den Klägern eigenhändig angefertigte

Transkription einer angeblichen Mailboxaufnahme.

Damit ist das Vorbringen der Kläger in sich nicht stimmig und plausibel; es enthält so viele

Ungereimtheiten, dass ihnen ihr Vorbringen zum Verfolgungsschicksal insgesamt nicht ge-

glaubt werden kann. Das Vorbringen der Kläger zu ihrer Verfolgung, ist damit auch der wei-

teren Prüfung nicht mehr zu Grunde zu legen, etwa als gefahrerhöhender Umstand.

(3) Selbst wenn man aber den Vortrag der Kläger zur Verfolgung durch islamische Funda-

mentalisten aufgrund der künstlerischen Betätigung des Klägers zu 1) als wahr unterstellen

würde, ist nichts dafür ersichtlich, dass der kurdische Staat den Klägern keinen ausreichen-

den Schutz dagegen bieten würde.

Flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung kann zwar nach dem oben Gesagten auch von nicht-

staatlichen Akteuren ausgehen. Zusätzliches Erfordernis ist aber in solchen Fällen, dass die

staatlichen Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in

Page 18: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 16 -

der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung durch

nichtstaatliche Akteure zu bieten. Davon ist vorliegend gerade nicht auszugehen. In diesem

Zusammenhang ist festzustellen, dass der Kläger zu 1) trotz seiner bekannt gewordenen

Tätigkeit als bildender Künstler enge Beziehungen zur kurdischen Führungsriege hat. So hat

der Kläger zu 1) ausweislich des vorgelegten Videos mit seiner Firma den Innenausbau des

kurdischen Justizministeriums bestritten und der Bericht über seine berufliche als auch

künstlerische Tätigkeit wurde im Sender Rudaw ausgestrahlt. Dieser TV-Sender steht der

Demokratischen Partei Kurdistans und dem Ministerpräsidenten der kurdischen Autonomie-

regierung Nêçîrvan Barzanî nahe (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Rudaw_Media_Network).

Die künstlerische Tätigkeit des Klägers zu 1) dürfte daher der kurdischen Führungsriege

bekannt gewesen und durch die Berichterstattung auf Rudaw sogar gefördert worden sein.

Obwohl das Schaffen des Klägers zu 1) aber aufgrund des von Anfang 2015 stammenden

TV-Berichts einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden ist, waren die kurdischen Si-

cherheitsbehörden ausweislich seines eigenen Vortrags willens und in der Lage ihm Schutz

vor einem geplanten Sprengstoffattentat zukommen zu lassen. Selbst wenn man den Vortrag

der Klägerseite zu ihrem individuellen Verfolgungsschicksal also als wahr unterstellt – wie

nicht -, lässt sich daher feststellen, dass die kurdischen Sicherheitsbehörden den Klägern

Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure gewährt haben und sofort nach Benach-

richtigung von einem möglichen Sprengkörper im Benzinkanister zu diesen hingefahren sind,

um ihn zu entschärfen. Anderslautende Anhaltspunkte, aus denen sich ergeben würde, dass

die staatlichen Akteure nicht willens oder in der Lage sind, die Kläger vor Verfolgung durch

islamistische Fundamentalisten zu schützen, sind nicht ersichtlich.

bb) Dem Kläger zu 1) droht auch keine Gruppenverfolgung als Zugehörigem zur Gruppe der

bildenden Künstler.

(1) Das Gericht geht in Anbetracht des vorgelegten Fernsehberichts über die Tätigkeit des

Klägers zu 1) und angesichts seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung davon

aus, dass dieser mit seiner Firma hauptberuflich Innenausbau- und Stuckaturarbeiten in

Hotels oder beispielsweise dem kurdischen Justizministerium ausgeführt hat und in seiner

Freizeit am Wochenende seinen künstlerischen Neigungen nachgegangen ist. Aufgrund

dieser Freizeittätigkeit sieht das Gericht den Kläger zu 1) grundsätzlich als der Gruppe der

Kunstschaffenden in Kurdistan zugehörig an.

(2) Von einer Gruppenverfolgung von Künstlern kann jedoch nach den vorliegenden Er-

kenntnisquellen nicht ausgegangen werden.

Für die Annahme einer Gruppenverfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 5 AsylG) ist die Gefahr einer

Page 19: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 17 -

so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter

erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe

oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen

vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden

Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten,

wiederholen und um sich greifen, das daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die

Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht

(vgl. BVerwG, U.v. 31.4.2009 – 10 C 11.08 – AuAs 2009, 173; BVerwG, U.v. 1.2.2007 –

1 C 24.06 – NVwZ 2007, 590; BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243).

Von einer Gruppenverfolgung von Künstlern kann jedoch nach den vorliegenden Erkenntnis-

quellen nicht ausgegangen werden. Nach Jahren, in denen es Berichten zufolge zu anhal-

tenden Angriffen auf Künstler, Schauspieler und Sänger wegen „unislamischer“ oder „westli-

cher“ Aktivitäten gekommen sei, heißt es nun, dass die Kulturszene im Irak erneut aufblühe.

Laut Künstlern seien die Einschränkungen, mit denen sie konfrontiert seien, eher das Ergeb-

nis von Intoleranz und strengen Interpretationen islamischer Werte als von direkten Angrif-

fen. Eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte ist im

Irak daher hinsichtlich künstlerisch tätiger Personen weder landesweit noch regional fest-

stellbar (vgl. VG Saarlouis, U.v. 9.2.2018 – 6 K 2260/16 – juris Rn. 34). Eine eigene Betrof-

fenheit des Klägers zu 1) im Sinne einer Gefahr von konkreten, individualisiert auf seine

Person gerichteten Verfolgungshandlungen wegen seiner künstlerischen Tätigkeit liegt dabei

umso ferner, als bildliche Darstellungen im Islam nicht per se verboten sind. Vielmehr wird

die Frage eines Bilderverbots von islamischen Rechtsgelehrten kontrovers diskutiert

(https://de.wikipedia.org/wiki/Bilderverbot _im_Islam). Entgegen den Ausführungen des Klä-

gervertreters in der Klagebegründung enthält insbesondere der Koran selbst kein Bilderver-

bot. Gegen ein strenges Bilderverbot im Islam und damit auch gegen eine Gruppenverfol-

gung von bildenden Künstlern spricht weiterhin, dass bereits in früherer Zeit im kurdisch-

islamischen Kulturraum bildliche Darstellungen von Menschen angefertigt wurden. So stellt

die Statue von Mubarak Ben Ahmad Scharaf-Aldin am Eingang der Zitadelle eine der Se-

henswürdigkeiten von ***** dar (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/*****).

cc) Soweit der Kläger zu 1) ausgeführt hat, dass er christliche Figuren bzw. Reliefs angefer-

tigt hat, ist nichts dafür ersichtlich, dass er bei einer Einschränkung seiner Tätigkeit auf die

Anfertigung nichtchristlicher Motive in seiner Religionsfreiheit verletzt werden würde.

Eine Verfolgung kann zwar auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1

der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Rechtes auf

Page 20: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 18 -

Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt, Art. 9 Abs. 1 a), 10

Abs. 1 b) QRL (vgl. dazu EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 u. C-99/11).

Der Kläger zu 1) hat aber nicht dargetan, dass die Anfertigung der christlichen Kunstgegen-

stände einer christlichen Gesinnung entspricht und es für ihn unverzichtbar wäre, diese Ge-

genstände weiter anzufertigen. Im Gegenteil hat der Kläger zu 1) in der mündlichen Ver-

handlung ausgeführt, dass er die Figuren auf Bestellung angefertigt habe und damit den

Wünschen seiner Kunden nachgekommen sei. Zudem hat er beim Bundesamt angegeben,

dass er Sunnit sei. Nach alledem wäre es dem Kläger zu 1) zumutbar, bei einer Rückkehr in

den Irak auf die Anfertigung von christlichen Kunstgegenständen als Teil der Ausübung sei-

ner künstlerischen Freizeitbeschäftigung zu verzichten.

dd) Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass sich der

Kläger zu 1) im Irak künstlerisch nicht so entwickeln könnte, wie er dies in den letzten Mona-

ten in Deutschland getan habe, führt auch dies nicht zur Zuerkennung von Flüchtlingsschutz.

Das Flüchtlingsrecht gewährt keinen Schutz vor Eingriffen in die Kunstfreiheit. Nach § 3a

Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die entweder gemäß Nummer 1 auf Grund

ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung

der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder die nach Nummer 2 in einer Kumulie-

rung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte,

bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1

beschriebenen Weise betroffen ist. Um als „Verfolgung“ zu gelten, muss eine Handlung

demnach eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen. Wel-

che Rechte dies im Einzelnen sind, lässt sich weder dem Gesetzestext noch der Qualifikati-

onsrichtlinie entnehmen. Zu ihnen gehören auf jeden Fall nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2

AsylG die nach Art. 15 Abs. 2 EMRK „notstandsfesten“ Rechte, mithin das Recht auf Leben

(Art. 2 EMRK), der Schutz vor Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedri-

gender Behandlung oder Strafe (Art. 3 EMRK), das Verbot der Sklaverei oder Leibeigen-

schaft (Art. 4 Abs. 1 EMRK) sowie der Schutz vor Bestrafung ohne gesetzliche Grundlage

(„Nulla poena sine lege“, Art. 7 EMRK). Ausweislich der Formulierung „insbesondere“ kann

aber auch die Verletzung anderer Menschenrechte einen Anspruch auf Flüchtlingsschutz

auslösen. So kommt etwa ein Eingriff in das Recht auf Freiheit als Verfolgungshandlung in

Betracht. Nach dem EuGH kann ein Eingriff in das in Art. 10 Abs. 1 der EU-Grundrechte-

Charta verankerte Recht auf Religionsfreiheit „so gravierend sein, dass er einem der in

Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann.“ Auch die Ausbürgerung

kann zu den Verletzungen grundlegender Rechte gehören. Ebenso stellt die Verletzung wirt-

schaftlicher oder sozialer Rechte nach internationalem Verständnis Verfolgung dar. Nicht

Page 21: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 19 -

jede Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ist jedoch flüchtlingsrechtlich rele-

vant, sondern sie muss „aufgrund ihrer Art oder Wiederholung“ eine „schwerwiegende Ver-

letzung“ darstellen (vgl. Stefan Keßler in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016,

AsylVfG § 3a Rn. 4 ff.). Sollte es dem Kläger zu 1) im Irak nicht möglich sein, ebenso wie in

Deutschland z.B. auch Aktbilder anzufertigen, läge zwar ein Eingriff in die von Art. 13 Satz 1

Alt. 1 EU-Grundrechte-Charta geschützte Kunstfreiheit vor. Dieser ist nach seiner Art und

Intensität jedoch nicht mit einem flüchtlingsrechtlich relevanten Eingriff beispielsweise in das

Recht auf Leben, den Schutz vor Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder er-

niedrigender Behandlung oder in das Recht auf Freiheit vergleichbar.

ee) Den Klägern droht auch allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensge-

meinschaft derzeit keine Gruppenverfolgung.

In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass die Ver-

folgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, im Staat Irak die

für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte nicht

aufweisen (BayVGH, U.v. 9.1.2017 – 13a ZB 16.30740 – juris). Der Umfang der Eingriffs-

handlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, die an die sunnitische Religionszugehö-

rigkeit anknüpfen, rechtfertigt in der Relation zu der Größe dieser Gruppe nicht die Annahme

einer alle Mitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung. Das gilt auch, wenn man

nur die Zahl der kurdischen Sunniten betrachtet. Die irakische Bevölkerung setzt sich zu 60

bis 65 % aus arabischen Schiiten, zu 17 bis 22 % aus arabischen Sunniten und zu 15 bis

20 % aus (überwiegend sunnitischen) Kurden zusammen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen

Amts vom 12.2.2018, S. 6). Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern

(vgl. www.auswaertiges-amt.de – Länderinfos Stand März 2017) würde das bedeuten, dass

5,4 bis 7,2 Millionen kurdische Sunniten im Irak im oben geschilderten Sinn als Gruppe ver-

folgt würden. Für eine solche Annahme gibt es nicht annähernd ausreichende Hinweise

(vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 8.1.2018 – 20 ZB 17.30839 – juris Rn. 10).

ff) Für das Gericht ist aufgrund des Vortrags der Kläger beim Bundesamt und in der mündli-

chen Verhandlung nach alledem nicht erkennbar, dass diese wegen einer von ihnen vertre-

tenen Meinung, politischen Grundhaltung oder Überzeugung einer Gefahr ausgesetzt wären.

Entsprechendes gilt für die anderweitigen flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe der

Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmen sozialen Gruppe

oder des Geschlechts.

b) Auch andere Verfolgungsgründe bestehen nicht.

Page 22: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 20 -

2. Den Klägern steht auch kein subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1

Satz 2 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder

erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) oder § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15

Buchst. c QRL in Bezug auf den Irak, wohin den Klägern die Abschiebung angedroht wurde,

zu.

Insoweit bedarf vorliegend lediglich die Schutzregelung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4

Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG der Erörterung. Danach steht einem Ausländer subsidiärer Schutz

zu, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedro-

hung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen

eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre. Der Be-

griff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichti-

gung des humanitären Völkerrechts auszulegen (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 –

juris). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nicht schon bei inneren Unruhen und

Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen

Handlungen vor. Vielmehr muss ein Konflikt ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaf-

tigkeit aufweisen, wie dies etwa bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämp-

fen der Fall ist (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris). Eine erhebliche individuelle

Gefahr für Leib oder Leben kann sich aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von

Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der

Person des Ausländers verdichtet. Eine Gefahrenverdichtung liegt einerseits vor, wenn in der

Person des Antragstellers selbst gefahrerhöhende Umstände liegen (BVerwG, U.v.

14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris). Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss aber nicht not-

wendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzu-

führen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn

der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so

hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson

würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre

Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein

(vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07).

aa) Wie oben ausführlich ausgeführt, ist der Vortrag der Kläger zu ihrem Verfolgungsschick-

sal bereits nicht glaubhaft, so dass er der weiteren Prüfung nicht mehr zu Grunde zu legen

ist.

bb) Die sunnitische Religionszugehörigkeit wirkt sich nicht schon ohne weiteres gefahrerhö-

hend aus. Zwar finden, wie bereits dargelegt, im Irak Übergriffe auf Sunniten statt, ange-

sichts der Größe der Gruppe der Sunniten im Irak kann allerdings nicht von einer Gefahr für

jeden Iraker sunnitischer Religionszugehörigkeit ausgegangen werden.

Page 23: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 21 -

cc) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger bei einer Rückkehr in ihre

Herkunftsregion Kurdistan-Irak einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder

der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder inner-

staatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt

wären.

Besteht kein landesweiter bewaffneter Konflikt, kommt eine individuelle Bedrohung in der

Regel nur dann in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Ausländers

erstreckt, in die er typischerweise zurückkehrt (vgl. BVerwG, U. v. 14. Juli 2009 – 10 C 9/08

– juris). Nach derzeitiger Erkenntnislage besteht im Irak kein landesweiter bewaffneter Kon-

flikt. Einzelne terroristische Anschläge und Gewaltakte, zu denen es im gesamten Irak ge-

kommen ist und weiter kommen kann, genügen für die Annahme eines bewaffneten inner-

staatlichen Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in der Region Kurdistan-Irak nicht.

Zwar existierte seit Juni 2014 für weite Teile des Iraks eine Bedrohung durch den sog. Isla-

mischen Staat (IS), was zu bewaffneten Auseinandersetzungen in den Provinzen Anbar,

Babil, Bagdad, Diyala, Ninawa, Salah al-Din und Kirkuk sowie auch an den Rändern der

Region Kurdistan-Irak führte (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungs-

relevante Lage in der Republik Irak vom 7. Februar 2017, S. 16). Die vom IS kontrollierten

Gebiete wurden jedoch nach und nach durch irakische Sicherheitskräfte und kurdische Pe-

schmerga befreit (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Repub-

lik Irak des Auswärtigen Amts vom 12.2.2018, S. 4 und S. 15). Das „Kalifat“ des IS wurde

2017 im Irak weitestgehend besiegt. Der IS hat sein erobertes Territorium nunmehr nahezu

vollständig wieder verloren [vgl. Interactive Map: Global war on terrorist group Daesh aka

Islamic State aka ISIS aka ISIL. - https://isis.liveuamap.com/de/]. Die von IS kontrollierten

Gebiete wurden nach und nach durch irakische Sicherheitskräfte befreit. Die Städte Sind-

schar und Ramadi wurden bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht

über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak vom 7.2.2017, S. 12). Nachdem die

seit Oktober 2016 andauernde Operation zur Befreiung Mosuls im Juli 2017 abgeschlossen

wurde, folgte im August 2017 die vergleichsweise schnelle Befreiung von Tal Afar, Hawija

und der Grenzregion zu Syrien um al-Qaim (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und

abschiebungsrelevante Lage im Irak vom 12.2.2018, S. 4; Bundesamt für Fremdenwesen

und Asyl – Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Irak vom

24.8.2017, S. 7 und 32 f.). Die drei kurdisch verwalteten Provinzen Dohuk, Erbil und Su-

laymaniyah selbst gehörten nicht zu den umkämpften und von Verfolgung durch die Terror-

miliz IS betroffenen Gebieten. In der Region Kurdistan-Irak fanden nach Auskünften des

Auswärtigen Amts vielmehr auch Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht (Auswärti-

ges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom

7.2.2017, S. 12). Nach alledem kann nach Auskunftslage hinsichtlich der Region Kurdistan-

Page 24: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 22 -

Irak derzeit nicht von einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1

Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgegangen werden. Auch bei Berücksichtigung einer Gefahrerhöhung

aufgrund der künstlerischen Freizeitbeschäftigung des Klägers zu 1) kann nicht davon aus-

gegangen werden, dass die Kläger in Kurdistan-Irak allein aufgrund seiner Anwesenheit

einer ernsthaften individuellen Bedrohung durch willkürliche Gewalt ausgesetzt wären. Den

Klägern ist daher eine Rückkehr in die Region Kurdistan-Irak möglich und zumutbar.

3. Auch die Voraussetzungen für die hilfsweise begehrte Zuerkennung von Abschiebungs-

schutz nach § 60 Abs. 5 (menschenrechtswidrige Behandlung) bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG

(verfolgungsunabhängige konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit) sind nicht erfüllt.

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet aus.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus

der Anwendung der Konvention vom 14. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte

und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung nicht zulässig ist. Abschiebungsverbote,

die sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben würden,

sind in Bezug auf die Kläger nicht feststellbar, insbesondere weil der Abschiebungsschutz

des § 60 Abs. 5 AufenthG, soweit Art. 3 EMRK betroffen ist, weitgehend identisch mit dem-

jenigen des Art. 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist (BVerwG,

U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris) und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass den Klä-

gern bei einer Rückkehr in den Irak eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im

Sinne des Art. 3 EMRK droht, der sie nicht entgehen könnten.

b) Gleichermaßen kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht in Betracht.

Substantiierte individuelle Gründe für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60

Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen

Staat abgesehen werden soll, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib,

Leben oder Freiheit besteht, wurden weder geltend gemacht noch sind sie sonst ersichtlich.

Die allgemeine Not- und Gefahrenlage im Irak ist nach Maßgabe von § 60 Abs. 7 Satz 2

AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, d.h. im

Wege einer generellen politischen Leitentscheidung der obersten Landesbehörden und nicht

durch Einzelfallentscheidungen des Bundesamts. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind

alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicher-

heits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroris-

tischer Übergriffe zu werden, auch Gefahren durch die desolate Versorgungslage neben

Page 25: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 23 -

Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen (vgl. VG Augs-

burg, U.v. 29.5.2017 – Au 5 K 17.31645 – juris Rn. 46). Das Bayerische Staatsministerium

des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in der Fas-

sung vom 3. März 2014 bekanntgegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise

verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den

Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiter in

dem Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung

eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung

hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in

verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG,

U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420). Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7

Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des

Innern erfasst werden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beruhen als gesetzliche Folge der

Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des fehlenden Aufenthaltstitels auf §§ 34

Abs. 1, 38 AsylG.

5. Schließlich ist auch die gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gebotene Befristung des gesetzlichen

Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) auf 30 Monate ab dem Tag der

Abschiebung rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederho-

lungen in entsprechender Anwendung von § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung

der Gründe abgesehen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (unter 5.)

gefolgt.

Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG; deshalb ist auch die Festsetzung eines

Streitwerts nicht veranlasst.

Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für

vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Page 26: Gericht: VG Regensburg RO 6 K 17 - Bayern · Gericht: VG Regensburg Aktenzeichen: RO 6 K 17.30850 Sachgebiets-Nr: 710 Rechtsquellen: Hauptpunkte: Leitsätze:----- Urteil der 6

- 24 -

Rechtsmittelbelehrung

Rechtsmittel: Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Bayeri-schen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist inner-halb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg zu stellen (Hausanschrift: Haidplatz 1, 93047 Regensburg; Postfachanschrift: Postfach 110165, 93014 Regensburg).

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssa-che grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwal-tungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichts-höfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Allen Schriftsätzen sollen jeweils 4 Abschriften beigefügt werden.

Hinweis auf Vertretungszwang: Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich alle Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt bereits für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwal-tungsgerichtshof eingeleitet wird, die aber noch beim Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder die anderen in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; Einzelheiten ergeben sich aus § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO.

Barth Richterin am VG