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Gernot Boche (1938–2011) Gernot Boche, Professor fɒr Organische Chemie an der Philipps-UniversitȨt Marburg von 1979 bis 2001, starb am 10. MȨrz 2011 im Alter von 73 Jahren. Boche war es, der unser VerstȨndnis von der Natur von Organolithium-Verbindungen durch zahlreiche Kristallstrukturanalysen begrɒndete. [1] Diese Strukturinformationen zusammen mit de- taillierten NMR-spektroskopischen Untersuchun- gen dienten ihm als Basis zu einem VerstȨndnis des Reaktionsverhaltens von Organolithium-Verbin- dungen in LɆsung. Besonders fasziniert war Boche von den a-heterosubstituierten Organolithium- Verbindungen und deren elektrophilem, d.h. car- benoidem Reaktionsverhalten. [2] Er war es, der die strukturellen Voraussetzungen fɒr dieses in der prȨparativen Chemie so nɒtzliche Verhalten er- grɒndete. Diese Arbeiten wurden 2001 von der GDCh durch die Verleihung des Arfvedson- Schlenk-Preises gewɒrdigt. Ein besonderes Glanz- stɒck Bochescher Arbeiten sind die zu Struktur und Natur von Cupraten niedriger und hɆherer Ord- nung, [3] mit denen er zur LɆsung einer jahrzehnte- langen Kontroverse beitrug. [4] Er selbst stufte diese Arbeiten als seine wichtigsten ein. Boches wissen- schaftliche Interessen waren weitgespannt und fɒhrten ihn bis an die Grenze zur Biologie und Medizin, was Mitte der 1980er Jahre fɒr einen Vollblutorganiker wie ihn keine SelbstverstȨnd- lichkeit war. So beschȨftigte er sich mit den Me- chanismen der durch aromatische Amine ausge- lɆsten Krebsentstehung. Er konnte die aus aroma- tischen Aminen durch In-vivo-Oxidation entste- henden N-Aryl-O-acylhydroxylamine (die ultima- tiven Carcinogene) im Labor synthetisieren und ihre modifizierende Wirkung auf NucleinsȨuren demonstrieren. Das VerstȨndnis dieser VorgȨnge erlaubte es ihm, Anilin-Verbindungen und andere Derivate aromatischer Amine zu erkennen, bei denen geringfɒgige Strukturvariationen bewirken, dass aus einer mutagenen oder carcinogenen Sub- stanz eine Verbindung wird, die nicht nach diesem Mechanismus zur Carcinogenese fɒhrt. So konnte er eine fundierte Basis fɒr die Konzeption Ames- Test-negativer Farbstoffe liefern. Die Aminierung von NucleinsȨuren durch N-Aryl-O-acylhydroxyl- amine erwies sich als allgemeine Reaktion zur elektrophilen Aminierung von Nucleophilen und erweiterte so das Methodenrepertoire der organi- schen Synthese. Zufall oder nicht? Das elektro- phile Verhalten der N-Aryl-O-acylhydroxylamine als Nitrenoide entspricht genau dem elektrophilen Verhalten der Carbenoide, womit sich der Kreis der Bocheschen Interessen schließt. Gernot Boche wurde als Ȩlterer von zwei SɆhnen des Lehrerehepaars Emma und Kurt Boche am 18. Mai 1938 in Bad Cannstatt geboren. Nach Schulbesuch im schwȨbischen Kirchheim/ Teck begann er mit dem Chemiestudium in Stuttgart und Wien. Nach der Diplomarbeit bei Theodor FɆrster in Stuttgart ging Boche an die LMU Mɒnchen, wo er 1967 bei Rolf Huisgen promovierte. Es folgte ein Postdoktorat bei Eugene van Tamelen an der Stanford University. Weitere Jahre an der LMU nutzte Boche zu seiner Habilitation im Jahr 1974 ɒber Isomerisierung und Cycloadditionen von lithium-, natrium- und kali- umorganischen Verbindungen. Nach einer Gast- professur an der University of Wisconsin wurde Boche 1979 an die Philipps-UniversitȨt Marburg berufen. Diese Berufung brachte den Beginn der Blɒte der metallorganischen Chemie an der UniversitȨt Marburg. Denn bald war die kritische Masse er- reicht, um einen SFB und ein Graduiertenkolleg zu grɒnden, in denen Gernot Boche nicht nur wis- senschaftlich eine Schlɒsselrolle ɒbernahm. Er verstand es als homo politicus, eine AtmosphȨre intensiver wissenschaftlicher Diskussion und har- monischer Zusammenarbeit zu schaffen, um die andere UniversitȨten Marburg beneideten. Das wissen all jene, die das Glɒck hatten, mit Gernot Boche als Kollegen zusammenarbeiten zu dɒr- fen. Seinen Schɒlern hat Gernot Boche immer ein ganzheitliches Bild der Chemie vermittelt, getreu seiner Auffassung, dass moderne Chemie Frage- stellungen aus den unterschiedlichsten For- schungsgebieten und des tȨglichen Lebens umfasst. Das Schubladendenken in Kategorien wie anor- ganische, organische, physikalische Chemie und Biochemie gehɆrt der Vergangenheit an“, sagte er einmal. In der Tat war es ihm wichtig, in den Ar- beitsgruppenseminaren „ɒber den Tellerrand“ zu schauen, indem er Referate ɒber interessante As- pekte der angrenzenden chemischen Fachgebiete vorschlug und diskutierte. Gernot Boche wird seinen Schɒlern als vorbildlicher FɆrderer und als gleichermaßen anspruchs- wie humorvoller Lehrer in Erinnerung bleiben, der die Geschicke jedes Einzelnen von ihnen immer mit aufrichtigem In- teresse verfolgte. Bis weit ɒber seine Emeritierung hinaus und auch nachdem er und seine Ehefrau Anne Marie Boche lȨngst wieder von Marburg nach Mɒnchen gezogen waren, organisierte er re- gelmȨßige Alumni-Treffen, an denen alle Genera- tionen seiner Arbeitsgruppe gerne teilnahmen, zuletzt noch einmal anlȨsslich seines 70. Geburts- tages in eindrucksvoll zahlreicher Runde. Wir seine Kollegen und Freunde, seine Schɒler und alle, die mit ihm zu tun hatten – werden ihn schmerzlich vermissen. Reinhard W. Hoffmann Fachbereich Chemie der Philipps UniversitȨt Marburg Gernot Boche A ngewandte Chemi e Nachruf 5359 Angew. Chem. 2011, 123, 5359 – 5360 # 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Gernot Boche (1938–2011)

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Gernot Boche (1938–2011)

Gernot Boche, Professor f�r Organische Chemiean der Philipps-Universit�t Marburg von 1979 bis2001, starb am 10. M�rz 2011 im Alter von73 Jahren. Boche war es, der unser Verst�ndnis vonder Natur von Organolithium-Verbindungen durchzahlreiche Kristallstrukturanalysen begr�ndete.[1]

Diese Strukturinformationen zusammen mit de-taillierten NMR-spektroskopischen Untersuchun-gen dienten ihm als Basis zu einem Verst�ndnis desReaktionsverhaltens von Organolithium-Verbin-dungen in L�sung. Besonders fasziniert war Bochevon den a-heterosubstituierten Organolithium-Verbindungen und deren elektrophilem, d.h. car-benoidem Reaktionsverhalten.[2] Er war es, der diestrukturellen Voraussetzungen f�r dieses in derpr�parativen Chemie so n�tzliche Verhalten er-gr�ndete. Diese Arbeiten wurden 2001 von derGDCh durch die Verleihung des Arfvedson-Schlenk-Preises gew�rdigt. Ein besonderes Glanz-st�ck Bochescher Arbeiten sind die zu Struktur undNatur von Cupraten niedriger und h�herer Ord-nung,[3] mit denen er zur L�sung einer jahrzehnte-langen Kontroverse beitrug.[4] Er selbst stufte dieseArbeiten als seine wichtigsten ein. Boches wissen-schaftliche Interessen waren weitgespannt undf�hrten ihn bis an die Grenze zur Biologie undMedizin, was Mitte der 1980er Jahre f�r einenVollblutorganiker wie ihn keine Selbstverst�nd-lichkeit war. So besch�ftigte er sich mit den Me-chanismen der durch aromatische Amine ausge-l�sten Krebsentstehung. Er konnte die aus aroma-tischen Aminen durch In-vivo-Oxidation entste-henden N-Aryl-O-acylhydroxylamine (die ultima-tiven Carcinogene) im Labor synthetisieren undihre modifizierende Wirkung auf Nucleins�urendemonstrieren. Das Verst�ndnis dieser Vorg�ngeerlaubte es ihm, Anilin-Verbindungen und andereDerivate aromatischer Amine zu erkennen, beidenen geringf�gige Strukturvariationen bewirken,dass aus einer mutagenen oder carcinogenen Sub-stanz eine Verbindung wird, die nicht nach diesemMechanismus zur Carcinogenese f�hrt. So konnteer eine fundierte Basis f�r die Konzeption Ames-Test-negativer Farbstoffe liefern. Die Aminierungvon Nucleins�uren durch N-Aryl-O-acylhydroxyl-amine erwies sich als allgemeine Reaktion zurelektrophilen Aminierung von Nucleophilen underweiterte so das Methodenrepertoire der organi-schen Synthese. Zufall oder nicht? Das elektro-phile Verhalten der N-Aryl-O-acylhydroxylamineals Nitrenoide entspricht genau dem elektrophilenVerhalten der Carbenoide, womit sich der Kreis derBocheschen Interessen schließt.

Gernot Boche wurde als �lterer von zweiS�hnen des Lehrerehepaars Emma und KurtBoche am 18. Mai 1938 in Bad Cannstatt geboren.

Nach Schulbesuch im schw�bischen Kirchheim/Teck begann er mit dem Chemiestudium inStuttgart und Wien. Nach der Diplomarbeit beiTheodor F�rster in Stuttgart ging Boche an dieLMU M�nchen, wo er 1967 bei Rolf Huisgenpromovierte. Es folgte ein Postdoktorat beiEugene van Tamelen an der Stanford University.Weitere Jahre an der LMU nutzte Boche zu seinerHabilitation im Jahr 1974 �ber Isomerisierung undCycloadditionen von lithium-, natrium- und kali-umorganischen Verbindungen. Nach einer Gast-professur an der University of Wisconsin wurdeBoche 1979 an die Philipps-Universit�t Marburgberufen.

Diese Berufung brachte den Beginn der Bl�teder metallorganischen Chemie an der Universit�tMarburg. Denn bald war die kritische Masse er-reicht, um einen SFB und ein Graduiertenkolleg zugr�nden, in denen Gernot Boche nicht nur wis-senschaftlich eine Schl�sselrolle �bernahm. Erverstand es als homo politicus, eine Atmosph�reintensiver wissenschaftlicher Diskussion und har-monischer Zusammenarbeit zu schaffen, um dieandere Universit�ten Marburg beneideten. Daswissen all jene, die das Gl�ck hatten, mit GernotBoche als Kollegen zusammenarbeiten zu d�r-fen.

Seinen Sch�lern hat Gernot Boche immer einganzheitliches Bild der Chemie vermittelt, getreuseiner Auffassung, dass moderne Chemie Frage-stellungen aus den unterschiedlichsten For-schungsgebieten und des t�glichen Lebens umfasst.„Das Schubladendenken in Kategorien wie anor-ganische, organische, physikalische Chemie undBiochemie geh�rt der Vergangenheit an“, sagte ereinmal. In der Tat war es ihm wichtig, in den Ar-beitsgruppenseminaren „�ber den Tellerrand“ zuschauen, indem er Referate �ber interessante As-pekte der angrenzenden chemischen Fachgebietevorschlug und diskutierte. Gernot Boche wirdseinen Sch�lern als vorbildlicher F�rderer und alsgleichermaßen anspruchs- wie humorvoller Lehrerin Erinnerung bleiben, der die Geschicke jedesEinzelnen von ihnen immer mit aufrichtigem In-teresse verfolgte. Bis weit �ber seine Emeritierunghinaus und auch nachdem er und seine EhefrauAnne Marie Boche l�ngst wieder von Marburgnach M�nchen gezogen waren, organisierte er re-gelm�ßige Alumni-Treffen, an denen alle Genera-tionen seiner Arbeitsgruppe gerne teilnahmen,zuletzt noch einmal anl�sslich seines 70. Geburts-tages in eindrucksvoll zahlreicher Runde.

Wir – seine Kollegen und Freunde, seineSch�ler und alle, die mit ihm zu tun hatten –werden ihn schmerzlich vermissen.

Reinhard W. HoffmannFachbereich Chemie der Philipps Universit�t Marburg

Gernot Boche

AngewandteChemieNachruf

5359Angew. Chem. 2011, 123, 5359 – 5360 � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Michael FamulokLife & Medical Sciences Institute, Chemical BiologyUnit, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universit�t Bonn

[1] G. Boche, Angew. Chem. 1989, 101, 286 – 306; Angew.Chem. Int. Ed. Engl. 1989, 28, 277 – 297.

[2] G. Boche, J. C. W. Lohrenz, Chem. Rev. 2001, 101,697 – 765.

[3] a) M. John, C. Auel, C. Behrens, M. Marsch, K.Harms, F. Bosold, R. M. Gschwind, P. R. Rajamoha-nan, G. Boche, Chem. Eur. J. 2000, 6, 3060 – 3068;b) R. M. Gschwind, X. Xie, P. R. Rajamohanan, C.Auel, G. Boche, J. Am. Chem. Soc. 2001, 123, 7299 –7304.

[4] N. Krause, Angew. Chem. 1999, 111, 83 – 85; Angew.Chem. Int. Ed. 1999, 38, 79 – 81.

DOI: 10.1002/ange.201102565

Nachruf

5360 www.angewandte.de � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2011, 123, 5359 – 5360