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Geschichtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie. Von Prof. Dr Josef Berze. (Eingegangen am 21. Olctober 1942.) Wenn ich nach l0 Jahren 1 wieder einmal mit einem Beitrag zur Theorie der Schizophrenie komme, so veranlaBt mich dazu vor allem die Absicht, zu der neuen Arbeit Carl Schneiders fiber die Schizophrenie :, welche aueh auf diesen Gegenstand n~her eingeht, Stellung zu nehmen. DaB die Psychopathologie biologisch gerichtet sein muB, ist heute wohl jedem Psychiater gel/~ufig. Wie es dazu gekommen ist, wie weir der Weg war, der zu dieser Erkenntnis geffihrt hat, dariiber hat Gruhle a viel Wertvolles vorgebraeht. Meinungsversehiedenheiten bestehen erst hinsiehtlich des Wesens dieser Forderung und der riehtigen Art, ihr zu entsprechen. Carl Schneider stellt nun ,,3 verschiedene Positionen" heraus. Den einen psychopathologischen Standpunkt sieht er in der ,,sogenannten ph~nomenologischen Psychopatholgie" am radikalsten ausgepr/~gt. Dieser ist eine n~here Beschreibung gewisser Seiten der psychopathologischen Syndrome zu verdanken, sonst nichts. Ein zweiter Standpunkt ist in der Auffassung des Seelenlebens als eine epiphdnomenale Funktion des somatischen Gesehehens zu erblicken, diese ffihrt zu einer Verflfiehti- gung der biologischen Bedeutung des Seelenlebens innerhalb der Einheit ,,Leben" bzw. ,,Organismus", die psyehopathologischen Symptome werden nosologisch wertlos, es regt sich das Bestreben, sie durch soma- tische Symptome zu ersetzen. Der dritte Standpunkt ergibt sich aus dem Bestreben, die Sonderstellung des Seelischen aufrechtzuerhalten, den Bezug au/ die somatischen Erscheinungen anderseits aber doch nicht au~zugeben. SeelJsehes und leibliehes Lebensgeschehen werden meist mit Hflfe der Hypothese des psycbophysischen Parallelismus au%inander bezogen. Praktiseh kommt es so dazu, dab man den seelischen Sym- ptomen nur eine diagnostische Stellung zuweist. Methodologisch und biologisch wird die Bedeutung der psycho- pathologischen Syndrome aber, wie C. Schneider riehtig erkemlt und mit besonderem Nachdruck zu betonen fiir n6tig halt, erst dann vol[ gekl~rt, wenn erka~nt und berticksichtigt wird, dab in all dem, was uns als Psychisches entgegentritt, Lebensvorgdnge sichtbar und unter 1 Vgl. Berze: Z. Neut. 142, 720--773 (1932). Schneider, Carl: Monographien Neur. 71 (1942). 3 Gruhle: Handbuch der Geisteskranklleiten~ herausgeg, yon Eumke, Bd. 9, ]. Kapitel.

Geschichtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie

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Geschichtliches und Krit isches zur Theorie der Schizophrenie.

Von Prof. D r Josef Berze.

(Eingegangen am 21. Olctober 1942.)

Wenn ich nach l0 Jahren 1 wieder einmal mi t einem Beitrag zur Theorie der Schizophrenie komme, so veranlaBt mich dazu vor allem die Absicht, zu der neuen Arbeit Carl Schneiders fiber die Schizophrenie :, welche aueh auf diesen Gegenstand n~her eingeht, Stellung zu nehmen.

DaB die Psychopathologie biologisch gerichtet sein muB, ist heute wohl jedem Psychiater gel/~ufig. Wie es dazu gekommen ist, wie weir der Weg war, der zu dieser Erkenntnis geffihrt hat , dariiber hat Gruhle a viel Wertvolles vorgebraeht. Meinungsversehiedenheiten bestehen erst hinsiehtlich des Wesens dieser Forderung und der riehtigen Art, ihr zu entsprechen.

Carl Schneider stellt nun ,,3 verschiedene Posi t ionen" heraus. Den einen psychopathologischen Standpunkt sieht er in der ,,sogenannten ph~nomenologischen Psychopatholgie" am radikals ten ausgepr/~gt. Dieser ist eine n~here Beschreibung gewisser Seiten der psychopathologischen Syndrome zu verdanken, sonst nichts. Ein zweiter S tandpunkt ist in der Auffassung des Seelenlebens als eine epiphdnomenale Funkt ion des somatischen Gesehehens zu erblicken, diese ffihrt zu einer Verflfiehti- gung der biologischen Bedeutung des Seelenlebens innerhalb der Einheit , ,Leben" bzw. , ,Organismus", die psyehopathologischen Symptome werden nosologisch wertlos, es regt sich das Bestreben, sie durch soma- tische Symptome zu ersetzen. Der dri t te S tandpunk t ergibt sich aus dem Bestreben, die Sonderstellung des Seelischen aufrechtzuerhalten, den Bezug au/ die somatischen Erscheinungen anderseits aber doch nicht au~zugeben. SeelJsehes und leibliehes Lebensgeschehen werden meist mit Hflfe der Hypothese des psycbophysischen Parallelismus au%inander bezogen. Praktiseh k o m m t es so dazu, dab man den seelischen Sym- ptomen nur eine diagnostische Stellung zuweist.

Methodologisch und biologisch wird die Bedeutung der psycho- pathologischen Syndrome aber, wie C. Schneider riehtig erkemlt und mit besonderem Nachdruck zu betonen fiir n6tig halt, erst dann vol[ gekl~rt, wenn erka~nt und berticksichtigt wird, dab in all dem, was uns als Psychisches entgegentritt , Lebensvorgdnge sichtbar und unter

1 Vgl. Berze: Z. Neut. 142, 720--773 (1932). Schneider, Carl: Monographien Neur. 71 (1942).

3 Gruhle: Handbuch der Geisteskranklleiten~ herausgeg, yon Eumke, Bd. 9, ]. Kapitel.

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bestimmten Bedingungen auch fal~bar werden, welche hinter dem Bewuflt- sein und allen seinen Inhal ten stehen. Diese Lebensvorg/~nge sind es erst, was mit den Lebensvorgdingen im k6rperlichen Geschehen vergleichbar ist und nicht etwa unmit telbar schon das Bewul~tsein und seine Erleb- nisse selbst. Erst yon ihnen aus kann tiberhaupt der Versuch gewagt werden, die Einheit , ,Leben" im organischen Geschehen daraufhin zu untersuchen, wie ihre Gesetze sich im Bereich der seelischen wie der leibliehen Teilvorg/~nge gleichzeitig auswirken. C. Schneider nannte die Gesamtheit dieser seelischen Tatbest/inde den ,,VoUzug" der seelischen Erlebnisse, Vorg/~nge und Ereignisse.

Bis hierher folge ich den Ausffihrungen C. Schneiders. DaB ich dies sagen kann, bezeugt meine ganze bisherige pathopsychologische Arbeit. Nun erkl~rt aber C. Schneider welter, sein Vorgehen sei ,,auf Anschaulichmachung der tats/~chlich erlebten StSrungen, nicht a~ff den hypothetischen RiickschluB ausgerichtet", und hierin erblickt er den ,,entscheidenden Unterschied gegeniiber der Theorie Berzes". Xn dieser Hinsicht kann ich ihm nicht mehr beipflichtcn. Nach C. Schneiders Ausftihrungen ist keine rechte Klarheit dariiber zu gewinnen, wie es um die unmittelbare FaBbarkeit der yon ihm genannten Lebensvorg~nge seiner Meinung nach steht. Einmal erkl/~rt er, wie sehon erw/s dab die Lebensvorg/~nge um die es sich handelt, ,,hinter dem BewuBtsein mit seinen Inhalten, Erlebnissen, Funktionen, Affekten usw. stehen". Andererseits ffi_hrt er aus, dab das seelisehe Geschehen ein biologischer Vorgang ist, der ,,nicht nut in den Inhalten des Bewufltseins und in den Erlebnissen restlos gegeben sein kann". Weiter heiBt es, der Vorgang ,,kann auch in den Beuatfltseinsinhalten miterscheinen". Wie ist es also ~. Steht der Vorgang hinter dem Bewu[3tsein oder steht er im Hintergrunde des BewuBtseins ? Der Unterschied ist, wie mir scheint, yon der grSBten prinzipiellen Bedeutung. Is t letzteres der Fall, steht also der Vorgang im Hintergrunde des Bewu$tseins, so kann man ihn bzw. sein Ergebnis eben doch aueh erfassen, wie man etwas, was im Hintergrund eines Bfldes steht; auch sehen kann und darin nieht auf das im Vordergrund stehende beschr/~nkt ist. Dann fiihrt aber der pMinomenologische Weg zum Ziel, die ph/~nomenologisehe Arbeit mu~ nur so eingehend und so genau sein, dab sie alles ErfaBbare auch wirklich erfaBt, also auch das, was C. Schneider den goUzug nennt. C. Schneider stiinde damit auf einer der Positionen, die er als den Tatsachen nieht gerecht werdend ablehnt. Oder aber die gemeinten Lebensvorg/~nge ,,stehen hinter dem Beum~tsein". Hinter das BewuBtsein hat niemand noch blicken k6nnen. Auch C. Schneider kann es nicht. Wie er darm aber das, was er den Hintergrund nennt - - er nennt ihn fibrigens gelegentlich aueh den Realgrund! - - im Gegensatz zu mir bzw. meinem ,,hypothetischen RiickschluIl" anschaulich machen will, ist mir aus seinen Ausfiihrungen nicht klar geworden. C. Schneider sagt: ,,Um diesen Hintergrund zu

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linden, mul3 man freilieh glauben, dab das seelisehe Geschehen nicht nur aus einer oder mehreren somatisch bedingten Funkt ionen oder aus Erlebnissen besteht, sondern dab es ein biologiseher Vorgang /iir sich ist, der nur aus sich selbst in terpret ier t werden kann mad daher zun~chst einmal auch an sich selbst wahrgenommen werden mul3". Man h6rt da yon einem , ,Glauben" und yon einem ,,Interpretieren". Geht das nun nicht fiber die , ,Anschauliehmaehung der tats~chlieh erlebten St6- rungen" sehon hinaus ? Und wodurch unterseheidet sich dieses Glauben und In terpre t ie ren so wesentlich, so , ,entscheidend" davon, was man gemeinhin Theorie nennt ? Mit der eingehenden Darstellung ,,der seeli- schen Tatbes t i inde" , die C. Schneider den ,,Vollzug" der seelischen Erlebnisse, Vorg~nge und Ereignisse nennt , ha t er zweifellos eine h6chst dankenswerte Arbeit geleistet. Aber ich kann in dieser ,,Anschaulich- machung der tats~chlieh erlebten S t6rungen" an sich mit bestem Willen niehts anderes erblicken als eben bestenfalls eine um einen Ruck weiter- getr iebene pMinomenologische Erfassung dieser StSrungen. Was dari iber ist, ist meines Erachtens Theorie. Wo ist also der weitgehende Unter- sehied ,,gegeniiber der Theorie Berzes ?"

C. Schneider finder: ,,Die Unter lassung aller an sich m6glichen Wahrnehmungen fiber derartige Vorg~nge das war wohl yon jeher die wesentliche Lfieke in der Psychiatr ie" . Mit , ,derart ige Vorg~nge" meint C. Schneider all das, was als Ausdruck des biologischen Vorganges (des seelischen Geschehens) in den Bewul3tseinsinhalten ,,miterscheint" und ,,unmittelbar /aflbar" ist. Mit dieser Wahl der Ausdriieke glaubt C. Schneider offenbar der Annahme, es handle sieh eben doeh wieder um Theorie, yon vornherein vorgebeugr zu haben. Es muB aber, wie gesagt, festgestellt werden: Anschaulich gemacht , richtiger gesagt, unmi t te lbar erfaBt kann nur werden, was im BewuBtsein erscheint; der den Realgrund abgebende biologische Vorgang selbst erscheint aber nicht im BewuBtsein, er spielt sieh hinter dem BewuBtsein mi t seinen Inha l ten ab. Auf ihn kann nur geschlassen werden. Die ver- schiedenen Wahrnehmungen, die C. Schneider mit votlem Recht beobach te t wissen will, betreffen also nicht ein ,,Miterscheinen" des biologisehen Vorganges, sondern shad Auswirkungen dieses Vorganges und lassen auf die Na tur dieses Vorganges bzw. gegebenenfaUs seiner StSrung schlieBen. Mit diesem Sehliel3en wird aber der Boden der Theorie betreten. Und geradeso habe ich diesen Boden betreten als ich meine , ,Wahrnehmungen" an meinen Schizophrenen auf ihre Hypotonie des Bewul3tseins zurfiekgefiihrt habe. Ieh denke nicht daran zu sagen, dal3 die Hypotonie des BewuBtseins in den Bewul3tseinsinhalten meiner Sehizophrenen ,,miterscheint", obwohl ieh dazu ungef~hr so viel Grund h~tte, wie C. Schneider hinsiehtlich seiner Aufstellung das Recht zu haben glaubt. C. Schneider k6nnte vielleicht e twa sagen, er sei in der Begriindung seiner Theorie durch seine , ,Wahrnehmungen" um einen

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Schritt weiter gekommen als ich der meinigen. Aber yon einem ,,ent- scheidenden Unterschied" kann eben nicht die Rede sein.

Die wesentlichste ,,Liicke in den empirischen Beobachtungen der Psychopathologie" zeigen sich nach C. Schneider am Fehlen einer Brficke yore normalen zum wirklich geistesgestSrten Innenleben. ,,Alle ggngigen Analogien sind doch nur biologisch wertlose Surrogate." Das ngchste Kapi te l handelt yon der ,,Analogie zum Einschlafen und ihrer Bedeutung". Da handelt es sich also nicht um ein biologisch wertloses Surrogat. Die Untersuchung ffihrte zu , ,Wahrnehmungen fiber formale Geschehniseigenschaften und -merkmale an den Inhalten und Inhalts- geffigen des Bewul3tseins". Soweit , ,braucht sie nicht ohne weiteres fiber den Standpunkt der bisherigen Theorienbildung hinaus zu ffihren". Dies ist aber sicher der Fall, meint C. Schneider, wenn man sich ,,den Wahrnehmungen fiber den Ablauf des jewefligen seelischen Vorganges beim BewuBtwerden dieser meist formal eigenartigen Inhal te zuwendet" . Diese Abl~ufe ,,sind der eigentliche Vorgangshintergrund, in welchem sich die Bewa~tseinsinhalte in ihrer jewefls kennzeichnenden Eigenar t bilden". Im Erleben des Einschlafens zeichnen sich als die ]cennzeich- nenden Vorgdnge ab: die beschreibbaren Merkmale der , ,Fliichtigkeit", der , ,Uneindringlichkeit" und des ,,Gliederungs- und Zs zwischen einzelnen , ,Erlebnisakten". Die Bedeutung derartiger Fest- stellungen fiber ,,inhalt/reie Vorgangsarten" (,,Arten des seelischen Voll- zuges") bedarf ffir jede Psychose einer sorgfgltigen ~berprfifung. Das ,,Hinausgreifen fiber die BewuBtseinsinhalte auf die Vollzfige des seeli- schen Geschehens selbst hat grundsgtzliche Bedeutung". Er fiigt hinzu: ,,])as ist bisher noch kaum erkannt worden . . . . ". Dagegen m6chte ich aber Einspruch erheben. Vor 10 Jahren schrieb Gruhle (loc. cir. S. 207): ,,Zur funktionellen Erfassung der abnormen Psyche haben sich auBer den Heidelberger Forschern, soweit ich sehe, nur noch Berze und C. Schneider-Bethel entschlossen." Feststellung der ,,Vollzfige" is~ aber nichts prinzipiell anderes als ,,funktionale Erfassung". Ich brauche in dieser Sache also nicht mein eigener Zeuge zu sein.

Die ,,an der Schizophrenie eingeleiteten Untersuchungen" zeigten nun, wie C. Schneider erklgrt, dal] der Vergleich (in Analogieschlfissen) der Kundgaben der Schizophrenen fiber ihr Seelengeschehen mit dem Einschlafen des Gesunden ,,weitgehend Aufschlfisse fiber die Art, den Aufbau und die Bedeutung der schizophrenen Symptome" ergibt, wenn auch andererseits , ,yon einer Gleichsetzung . . . . . . biologisch nicht die Rede sein kann" . Gegenfiber den bisherigen ,,nur theoretisch speku- lat iven Schlfissen" stellen die nunmehr yon C. Schneider ,,auf Grund der Krit ik der inneren Wahrnehmungen der Kranken und ihres Ver- gleiches mit den inneren Wahrnehmungen des Gesunden gewonnenen" Aufschlfisse seines Erachtens einen entscheidenden Unterschied dar, sie sind erst ,,geeignet als Ausgangspunkte einer rein biologischen ~'or-

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schung zu dienen". Wie entseheidend dieser Unterschied nach C. Schneiders Meinung ist, ergibt sich nach ihm daraus, daft allgemeine theorctische Fragen doch ,,ftir gewShnlich erst 16sbar werden, wenn vorher geeignete empirische Befunde vorliegen, nicht umgekehr t werden empirische Befunde durch den Versuch sichtbar, solche allgemein theoretische Fragen zu 16sen". C. Schneider will dami t sagen, dab er als erster sich auf die nStigen empirischen Befunde stiitzen k6nne bzw. k6nnte. Trotz- dem verzichtet abcr C. Schneider darauf, ,,ira Sinne der friiheren Theo- rienbildung" etwa neue ,,Grundst6rungen" zu beschreiben. Solches habe man ihm nur miBverst/s zugemutet . Er habe nur die ,,yon den Schizophrenen sclbst wahrgenommenen, and durch Vergleich mi t /~hnlichen Varianten dem Gesunden anschaulich gemachten schizo- phrenen Anderungen der unmit te lbaren seelischen Lebensvorg/~nge in allen Inhal~en, Erlebnissen, Funktionen, d. h. den schizophrenen Sym- p tomen als durchschimmernd bzw. als zum Zus tandekommen der Sym- p tome wesentlich nachgewiesen". Was habe ich, als einer der theoreti- schen Spekulanten, dagegen getan ? Xhnlich umst/~ndlich von mir dar- gestellt etwa folgendcs: , ,Ich habe nur die yon den Schizophrenen selbst wahrgenommene und geschflderte Vcr/inderang ihres BewuBtseins and die von den Schizophrenen wieder selbst wahrgenommenen and dar- gestelltcn Andcrungen an ihren psychischen Erlebnissen miteinander in Beziehung gebracht and die letztcren auf die erstere zurtickgeffihrt, arts ihr auch zu erkl~ren gesucht". Tro tzdem habe ich reich nach C. Schneider des ,,theoretischen Rfickschlusses auf eine hypothet ische Grundst6rung" schuldig gemacht, C. Schneider is% dagegen welt davon entfernt, so weir entfernt, dal~ er es eben fiir angebracht h/~lt, von einem ,,entscheidenden Unterschied (sc. seines Vorgehens) gegeniiber der Theorie Berzes" zu sprechen. Meiner Meinung nach besteht der einzige Unter- schied darin, dab C. Schneider nicht nut keincn Anspruch darauf erhebt, denen angereiht zu werden, die sich bisher um die Theorie der Schizo- phrelfie bemtiht haben, sondern sich geradezu, and zwar mi t auff/~lliger Nachdriicklichkeit, dagegen wehrt und verwahr t . W a r u m dies ? Doch nicht etwa deshalb, weil der Bewul~tseinszustand des Einschlafenden sozusagen nur einen Spezialfall der Hypoton ie des BewuBtseins dar- stellt, die Theorie, die sich auf Grand seiner an sich gewil~ sehr wert- vollen Nachweise erg/~be, also keineswegs Anspruch auf Neuheit h/itte, sondern nur als eine Modifikation einer schon recht a l ten Theorie, n/im- lich der meinigen, erscheinen k6nnte ? 1

Es w/~re aber auch meines Erachtens ganz verfehlt , wollte man auf der Grundlage der Analogie zu den Eigenwahrnehmungen des Gesunden allein im Zustande des Einschlafens eine Theorie der Psychologie der

* •ebenbei bemerkt habe ich meine Theorie 1914 niedergelegt. Sie war also schon 8 Jahre alt, als C. Schneider mi~ seinen iiberaus interessanten ,,Beitr~gen zur Lehre yon der Schizophre~ie" begonnen hat. Dies wird jetzt oft tibersehen.

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Schizophrenie aufbauen. W a r u m C. Schneider die Analogie zum Ein- schlafen so besonders heraushebt und sie zur alleinigen Grundlage seiner, wie sich noch zeigen wird, so iiberaus welt ausgreifenden ~be r - legungen macht , sagt er uns selbst : ,,Es k o m m t nur die Eigenbeobaehtung in Frage" . Der durehschnit t l iche Wachzustand k o m m t nicht in Betracht

- - ,,seiner Gleichf6rmigkeit wegen". Diese Formulierung halte ich, nebenbei bemerkt , fiir ungenau und unzureiGhend. NiGht daran liegt es, dab dureh ,,diese GleichfSrmigkeit die Wahrnehmung biologischer Unterschiede im ganzen und in den einzelnen seelischen Vorg/s /~uBerst ersehwert ist", sondern daran, dab der BewuBtseinszustand der Sehizophrenen im ProzeB einem ,,dttrchschnittliehen Wachzustand" eben nicht entspricht, sondern, wie ich sage, im Sinne der Hypoton ie krank- haft ver/s ist, und sieh daher die yon C. Schneider gemeinte ,,Ana- logie" nur in solchen , ,normalen Varianten des gesunden Seelenlebens" ergeben kann, die wieder als hypoton charakterisiert sind. C. Schneider h/s aber weiters der Vollst/s halber auch noeh sagen mfissen, dab ebenso wie der durehschnittliche Wachzustand ffir ihn auch der durchschnittl iehe T raumzus t and nicht in Betracht k o m m t , zumal sich der ,,Vollzug" der seelisehen Erlebnisse, Vorg/s und Ereignisse in solchem Zustande nicht gut kontrollieren 1/~Bt. Geradezu zwangsl/~ufig sah sich C. Schneider also auf die ,,Analogie zum Einschlafen" beschr~nkt.

Allerdings h/s er auch die ,,Analogie zum Erwachen" , die von ibm gelegentlich nur gestreift wird, doch einigermaBen mi t heranziehen k6nnen. Eigenbeobaehtungen sind auch da innerhalb gewisser Grenzen m6glich, und ihre Erlebnisse seheinen mir zum Teile nicht uninteressant zu sein, wenn auch gerade, was die Vollzfige im Sinne C. Schneiders betrifft, nicht gar viel dabei herauskommt. Ich habe mir durch Jahre besonders auff/~llige eigene Erlebnisse im Erwachen sofort nach dem Erwachen notiert . So am 11.10.31 um 1]~3 Uhr morgens: In ausge- sprochen freudiger Erregthei t erwachend, erlebe ieh in meinem sieh all- m~hlich aufhellenden BewuBtsein, keinesfalls etwa flfichtig, sondern im Erwachen lange best/~ndig bleibend, den Satz : , ,Und singen hat te ich leichter dureh geistig griechische H/s Ich war zweifellos noeh nicht voll erwaeht, als ich diesen Satz niedersehrieb, schlieBe dies unter an- derem daraus, dab ieh zeitlieh noch nicht orientiert war, w/~hrend es zu meinen Eigenhei ten gehSrt, naeh dem Erwachen fiber die Zeit fast regelm/s sofort ziemlich genau, oft auf die Viertelstunde und manchmal sogar auf ]3ruchtefle einer solchen genau, orienticrt zu sein. Viel Zeit zwischen Erleben und Aufzeichnung habe ich auch gewiB night verloren, da Papier und Bleistift immer neben meinem Bette berei t lag und ieh nur danach zu greifen brauchte. U m eigentliche Selbstbeobachtung handelt es sich nicht, sondern um (erinnerte?) Selbstwahrnehmung. Ich halte diese Unterscheidung fiir sehr wichtig, und zwar nicht nur was das Denken im Erwachen, sondern was jede /~hnliche Variante des

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gesunden Seelenlebens betrifft. Methodisch halte ich es ffir unerl~Blich, dab die Kundgabe bzw. Aufzeichnung des Erlebens mSglichst unmit te lbar nach ihm erfolgt, womSglich noch in einem BewuBtseinszustande, der yon dem zur Zeit des Erlebens selbst so wenig als denkbar verschieden ist.

l~ber den Wert der Selbstbeobachtung ist bekanntlich schon viel gedacht und geschrieben worden. Hume hebt hervor , dab sie den Ablauf der seelischen Vorg&nge (,,Vollziige") stSrt. MuB man ihm nicht recht geben und mit ihm allen den a n d e r e n die seiner iY[einung sind, zumal wenn es sich um solche Subtili~ten wie die handelt , wora~f es bei den Aufstellungen C. Schneiders a n k o m m t ? Man braucht sich da gar nicht etwa auf den Standpunkt eines A. Comte zu stellen, der die Supposition eines ]Y[enschen, der sein eigenes Denken beobachtet , fiir geradezu , f lv idemment contradictoire" und als eine , ,profonde absurdit4" erkl~rt. Sicher ist, dab immer nur , ,Erinnerungsbflder" das Ergebnis der ,, Selbst- beobachtung" bzw. der Gegenstand ihrer Kundgabe 'sein kSnnen. J e unmit te lbarer nach dem Erleben seine Kundgabe effolgt, desto geringer werden wohl die darauf gegrfindeten Bedenken. I m m e r muB aber, auch wenn der damit gegebenen Bedingung entsprochen wird, noch in Bet rach t gezogen werden, ob und inwieweit sich inzwischen der Be- wuBtseinszustand des Erlebenden e twa ge/indert hat. Je mehr dies der Fall ist, um so grSBere Vorsieht ist geboten. Fiir hSchst ber/ick- siehtigungswert muB man es ferner halten, daB, wie Wundt betont, schon die Absicht der Beobachtung Eint r i t t und Verlauf des psyehischen Vor- ganges ver/~ndert. Am ehesten 1/~Bt er daher noch die ,,zu]~illige" innere Wahrnehmung (also nieht Beobachtung) gelten i, und zwar als Vor- berei tung bzw. Erg/inzung der , ,exakten Beobaehtung" , als welche seiner Ansicht nach nut die experimentelle anzusehen ist. 1VIeine eigenen Bedenken gegen absiehtliehe Beobachtung gehen auch nieht viol weniger weir als die Wundts. C. Schneider bringt un te r anderem vor, dab die Nachpri ifung seiner Besehreibung der , ,kennzeichnenden Vorg/~nge im Erleben des Einschlafens" durch andere Beobachter ,,ihre Richtigkeit erwiesen hat, so dab an der Tats/ichlichkeit der Beobaehtungen nicht wohl gezweifelt werden kann" . Ieh mSchte ihm diesen beruhigenden Glauben gern g6nnen, aber ieh kann es nicht. Der ,,andere Beobaehte r" s teht vor der Tatsaehe: C. Schneider hat als , ,besehreibbare Merkmale" der Vorg/inge im Erleben des Einsehlafens angegeben: Fliichtigkeit, Uneindringliehkeit, Gliederungs- und Z/~surverlust zwischen einzelnen Erlebnisakten. Er geht also behufs Nachpr/ i fung nicht nur mi t Absich$ an die Selbstbeobaehtung, sondern aueh mi t einem bestimmten Programm, sozusagen mit einer gebundenen Marschroute. Er geht daran aber zu-

i Das oben dargestellte eigene Erlebnis hat dieser Forderung entsprochen. lch hatte es nicht auf ,,Beobachtung" abgesehen sondern habe nur eine zuf~llige Wahrnehmung verzeichnet. Diesem Grundsatz zufolge waren meine Aufzeichnungen nur h6chst sporadisch und innerhalb yon 10 Jahren keineswegs so zahlreich.

Gesehichtliehes und Kritisehes zu~ Theorie der Sehizophrenie. 263

gleich m i t e iner b e s t i m m t e n persSnl ichen Eins te l lung , je n a c h d e m er g l~ubig i s t ode r n ieh t , y o n d e r R i e h t i g k e i t de r Aufs t e l lungen C. Schneiders y o n v o r n h e r e i n f iberzeugt is t oder n i ch t usw. Solche E i n s t e l l u n g e n bee inf lussen d a s E r g e b n i s de r S e l b s t b e o b a c h t u n g of t ge radezu in en t - s e h e i d e n d e m MaBe. Der Z u s t a n d des E inseh la fenden i s t ge r ade be- sonders dazu gee igne t , d e r a r t i g e E ins t e l l ungen s t a rke r w i r k s a m w e r d e n za lassen.

Ich selbst kann C. Schneiders Besehreibung nieht best~tigen. Was sich bei mir im Zustand des Einschlafens in den Vordergrund dr~ngt, mein Erleben im ganzen beherrscht, ist die BewuBtheit: Nicht ich denke, sondern es denkt iv mir. Gedankeng~nge laufen ab ohne mein Zutun, ich bin dabei nur der oft geradezu widerwillig Wahrnehmende, der es gar nieht auf Beobaehtung abgesehen hat, sondern sich viel lieber, um endlich Ruhe zu finden, yon den Abl~ufen abwenden m6chte, wenn er es nur kSnnte. Allm~Mich tauchen d~ endlich Bilder auf, Land- schaften ziehen vorbei, eine Zeitlang, darm kommt es zum Sehen eines leuchtenden Punktes als letztem Erlebnis, der Schlaf t r i t t ein. Ffir Beobachtungen einer Fliiehtigkeit oder einer Uneindringliehkeit oder eines Gliederungsverlustes ist bei solehen Erlebnissen sozusagen gar kein Raum gegeben. Besonders deutlieh zeigen sieh die yon mir geschflderten Erscheinungen im Einschlafen allerdings nur, wenn ieh, wie z .B. nach ~beranstrengung, l~nger nicht einschlafen kann. Ffihle ieh mich ganz gesund und nicht ,,nervSs", so geht das Einsehlafen so rasch vor sieh, da~ ich ffir Selbstbeobaehtung erst recht keine Gelegenheit h~tte. Dies l~l]t mieh iibrigens daran den_ken, dab unter Umst~nden ein gewisses Msl] yon Psychasthenie imstande sein kSnnte, Merkmale der Vorg~nge im Erleben des Einschlafens starker hervortreten zu [assen, wie sie C. Schneider beschreibt und mit denen er ,,in Analogie- schlfissen die" Kundgaben der Sehizophrenen fiber ihr inneres Seelenleben ver- gleieht. Es sei da such darauf hingewiesen, daft in friiherer Zeit namentlich einige franzbsische Autoren St6rungsvorg~nge als fiir die Sehizophrenie kenrmeiehnend hingestellt haben, die gegeniiber psychasthenisehen St6rungen keineswegs mit Sieherheit abgegrenzt werden k6nnen.

I s t so schon e inerse i t s be i der B e u r t e i l u n g der A n g a b e n f iber d a s E r l eben in , , n o r m a l e a V a r i a n t e n des gesunden See len lebens" groBe Vors icht gebo ten , so g i l t dies keinesfa l ls weniger , eher noch mehr , wenn es sich u m K u n d g a b e n Sch izophrene r f iber ihr k r a n k e s See len leben hande l t . C. Schneider i s t in d ieser H i n s i c h t r o l l e r Zuvers ich t . A u c h ich lege ja , wie m e i n e A r b e i t e n fiber die Sch izophren ie zeigen, grol3en W e f t auf die K t m d g a b e n d ieser K r a n k e n . A b e r ich habe m i r attch die l~ber - zeugung geb i lde t , dab ich mich nttr i n n e r h a l b gewisser Grenzen d e r R i c h t i g k e i t a n d Vol l s t~nd igke i t solcher K u n d g a b e n s icher ff ihlen d a f t . W o die G r e n z e n l iegen, l~Bt sich n i ch t aUgemein sagen u n d n u t im E inze l - fal l beil~tffig abschi~tzen. Dal~ sie a b e r y o n vo rnhe re in so weir gezogen w e r d e n k 6 n n t e n , wie C. Schneider a n z u n e h m e n sieh ffir berechtig~, zu h a l t e n sche in t , v e r m a g ich n i ch t r e c h t zu g lauben . E r s ieh t sich s e lb s t zu de r Aul~erung veranlal~t , dab seine A u f s t e l h m g e n zum Tei le ,,Ms psycho log i sehe S p i t z f i n d i g k e i t e n ohne nosologisehen W e r t e r sche inen m o c h t e n " . Die F r a g e des W e r t e s sei zun~chs t be ise i te gelassen, s u c h d e r A t t s d r u e k S p i t z f i n d i g k e i t e n sei wegen seines MiBklanges v e r m i e d e n ; daI3 es s ieh a b e r u m F e i n h e i t e n , u m Subt i l i t /~ten hande l t , d a r i i b e r k a n n

264 Josef Berze:

kein Zweifel bestehen. Ob man hinsichtlich dieser Feinheiten ,,eine ersichtliehe Begriindung aus dem subjekt iven Erlebnis tier Kranken" erbringen kann, wie C. Schneider voll fiberzeugt ist, erscheint mir im hohen MaBe zweifelhaft. AuSerdem ist abe t noch ein hSehst ersehwe- render Umstand in Betracht zu ziehen. Es k o m m t n/~mlich bei der Be- weisfiihrung C. Schneiders nieht nur darauf an, wie geartet das ,,sub- jekt ive Erlebnis" des einzelnen Schizophrenen ist, sondern attl3erdem und ganz besonders auf die Feststellung, ob aus den Kundgaben eines best immten Schizophrenen mi t der erforderlichen Sieherheit zu ent- nehmen ist, dab es sich um einen Fall von vollsttindiger Schizophrenic handelt, d .h . um einen Fail, in dem alle H a u p t m e r k m a l e der schizo- phrenen VollzugsstSrung (Fliichtigkeit, Uneindringlichkeit, Gliederungs- verlust) unmit te lbar oder in Symptomen, die mi t ihnen ,,in einer Be- ziehung stehen", nachzuweisen sind, oder u m einen Fall yon ,,unvoll- 8~ndiger Schizophrenic", d .h . um einen Fall, in dem eines oder das andere, eines oder zwei der drei H a u p t m e r k m a l e fehlen bzw. in Sym- p tomen sozusagen nicht ver t re ten sind. Darauf k o m m t es ja bei der Grundlegung der Lehre C. Schneiders von den ,,schizophrenen Sym- ptomenverb/~nden" an. Die Feststel lung dieses Fehlens yon Haupt - merkmalen im Einzelfall ist aber zweifellos weir schwieriger als die Er- fassung der kundgegebenen Symptome einschlieglich der Haup tmerk - male ira Sinne C. Schneiders. DaB auch dazu die Selbstbeobachtungs- and Ausdrucksweise Schizophrener voil ausreichen soll, hal te ich fiir im h6chsten MaBe unwahrscheinlich. DaB z . B . der , ,Tatbestand der Sprunghaft igkkei t" nicht derselbe ist wie der der Fliichtigkeit und des Gliederungsverlustes, kann nicht bezweifelt werden. Daft der Schizo- phrene aber gemeinhin diese Tatbest/~nde aUein schon auf Grund seiner inneren Wahrnehmung sicher zu unterscheiden und festzustellen, sowie klar und deutlieh zum Ausch-uck zu bringen, also zu sagen imstande sein sollte, welcher Ta tbes tand bzw. welehe ,,Tatbest/~nde" im Sinne C. Schneiders bei ihm vorliegen und welche nicht, muB ieh entschieden bezweifeln. DaB es Schizophrene gibt, die sieh ,,auf Grund genauer Eigenbeobachtungen miihen, den Ta tbes tand so anschaulich wie nur m6glich zu schildern", bezweifle ich nicht im geringsten, haben doch auch mir zahlreiche Kranke ,,klare Beschreibungen" geliefert. Den Willen, ihren Denkst6rungen ,,die entsprechenden sprachlichen Aus- drucksformen zuzuordnen", bfllige ieh solchen Kranken ohne Bedenken zu. Ich nehme sogar auch an, dab etliche yon ihnen, wenn ihre Kon- zentrationsf/~higkeit gerade dazu attsreicht, auch imstande sind, ihr subjektives Erleben beim Denkvollzug in seiner Eigenar t genauer zu erfassen. Die F/~higkeit, diese Eigenart r ichtig sprachlich darzustellen, geht allerdings vielen, auch gebfldeten Leuten s ta rk ab. Ihnen aber helfen zu wollen und ihnen in dieser Absicht e twa die mSglichen sprach- lichen Ausdrucksformen gleichsam zur Wahl vorzulegen, so da$ sic die

Geschichtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie. 265

ihnen passend erseheinende dem beobachteten Tatbes tand einfach nur , ,zuzuordnen" brauchten, hielte ich fiir einen groben Fehler. Mit be- sonderer Vorsicht au/zunehmen sind nach meiner Erfahrung weiter in der Regel die Kundgaben speziell psychologisch mehr oder weniger gebildeter schizophrener Personen; sie kommen gem mit schulpsycho- logischen Ausdriicken und Wendungen und lassen sich zweifellos durch ihr so bekundetes psyehologisches Wissen aueh sehon bei der Eigen- beobaehtung selbst mehr oder weniger beeinflussen. Weiter mSchte ieh in diesem Zusammenhang wieder betonen, dab der Grad der Toleranz der einzelnen Schizophrenen fiir ihre DenkstSrungen, ebenso ja auch fiir ihre Willens- und GefiihlsstSrungen, innerhalb welter Grenzen ver- sehieden ist. F~llen, in denen sehon das subjektive Gewahrwerden eines aueh noch so geringen Grades irgendeiner I)enkstSrung starke Reaktionen bis zur ~ngstlichen Ratlosigkeit auslSst, stehen solche gegeniiber, in denen selbst sehon recht betr~chtliehe I)enkstSrungen ohne eine nennenswerte Reaktion ertragen werden. I)abei ist aber noch zu beachten, dab sichtlich der Toleranzgrad kein einheitlicher ist, d. h. bei einem best immten Schizophrenen nicht fiir alle Erscheinungsformen der schizophrenen I)enkstSrung als gleieh angenommen werden kann. Im Gegentefl bekundet fast jeder Kranke mehr oder weniger deutlieh seine besondere Intoleranz fiir eine bestimmte DenkstSrung, und gerade diese bestimmte StSrtmgsform ist es dann, woriiber dr uns attf unsere ~ragen oder auch aus eigenem oft allein berichtet. Nicht selten scheint dies daran zu liegen, dal~ er sich auf diese best immte StSrung eben sozusagen begri//lich/estgelegt hat, etwa w.eil sie ihm besonders 1/~stig ist, yon ihm als besonders st6rend empfunden wird, oder aber auch, weft sie yon ihm als psychologiseh besonders bemerkenswert angesehen wird, wie mir einige meiner Kranken ausdriicklich zu erkennen gaben. Fragt man einen solchen sieh auf gewisse Seiten seiner I)enkst6rungen in seinen Angaben vorers t besehr~nkenden Kranken nach -bestimmten schizophrenen Denkst6rungen anderer Art, so kann man gelegentlich h6ren: ,,Ach, daran habe ich mich schon gew6hnt" oder ,,Ja, aber das macht mir doch niehts !" I)a~, wie C. Schneider (S. 99) betont , nebe9 der jewefligen , ,Teflst6rung" im Bereiche des I)enkens andere I)enk- vorg~nge v611ig ungest6rt atteh innerhalb der Schizophrenie ablaufen, halte ich daher in dem Sinne, wie es von C. Schneider gemeint ist, ngm- lich in dem Sinne des erwiesenen Fehlens anderer , ,Teilst6rungen", wie sie C. Schneider eben attfstellt, fiir eine recht gewagte Behauptung. I)ies gerade, weft ieh mit C. Schneider auf , ,Formmerkmale und ihre sichtliehe Begriindung aus dem subjektiven Erleben des Kranken" besonderen Wef t lege und reich mi t der rein inhaltlichen , ,Ungest6rtheit" der I)enk- ergebnisse nicht begniige und niemals begniigt habe. Wir k6nnen das aub~ektive Erleben des Kranken nur soweit zur Grundlegung oder Stiit- zung unserer Annahme verwenden als wir auf die ob~ektive Riehtigkeit

266 Jofef Berze:

ihrer Angaben mit Sicherheit bauen kSnnen. In dieser Hinsicht ist unsere Sicherheit nach dem Gesagten ziemlich beschr~nkt. Dies aueh, wenn wir das Wollen und Mfihen der Kranken , ihr Erleben nach besten Kr~f ten darzustellen, noch so hoeh einsch~tzen. Gerade zum Punk te des Wollens ist iibrigens noch zu sagen, dab dieses selbst wieder nieht selten gewissen hinderlichen Beeinflussungen durch die Einstellung des einzelnen Kranken zu der yon ibm wahrgenommenen DenkstSrung unterliegt. Schizophrene Personen, yon denen nach ihrem ganzen sonstigen Wesen verwertbare Kundgaben fiber ihr Erleben zu erwarten sind, weisen nach meiner Erfahrung in der Regel eine gewisse Krank- heitseinsieht auf. Sie erweisen sieh oft, solange sie nicht etwa bereits Erkl~rungswahnideen eingestellt haben, als der Annahme zug~nglich, dab die geistige Ver~nderung, die sie an sieh wahrnehmen, und ins- besondere auch die DenkstSrung ,,nieht no rmal" ist. Aber andererseits sind sie doeh weit davon entfernt, sich als geisteskrank anzusehen, und sind sie wohl auch bestrebt, bei ihren K u n d g a b e n alles beiseite zu lassen, was ihrer Ansieht naeh den Verdacht einer Geisteskrankheit erwecken kSnnte. Man maeht beim Befragen Sehizophrener daher nicht selten folgende Erfahrung: Der Kranke ha t seine DenkstSrung gesehfldert, und zwar in einer Weise, die befl~ufig einer, der yon C. Schneider auf- gestellten drei Formen yon DenkstSrungen entspricht. Man will sich nun weiter versiehern, ob aul~er der flfichtigen Unbest~ndigkeit der Gedanken, die der Kranke etwa darlegt, vielleieht noeh z. B. Gliederungs- verlust des Denkens im Sinne C. Schneiders vorliegt. Daraufhin wird der K r a n k e stutzig und lehnt jede weitere Kundgabe ab, etwa mi t dell Wor ten: ,,Sie werden mich doch nieht e twa fiir geisteskrank halten !" Aueh in dieser Hinsicht sind also der Explora t ion zum Zwecke der Analyse der DenkstSrungen Grenzen gesetzt.

Fehlerquellen gibt es somit, wie sehon meine keineswegs ersehSpfenden Ausffihrungen gezeigt haben werden,, in recht reiehem MaBe. Ffir meine Zweeke fiel ihre Bedeutung offenbar niemals besonders schwer ins Ge- wieht, ha t te ieh es doch nur auf die Feststel lung des BewuBtseinszu- standes der yon mir untersuchten K r a n k e n abgesehen, wozu die von ihnen aus eigenem gegebenen Auskfinfte meines Erachtens vSllig aus- reiehten, und welters auf die Kenn tn i snahme all dessen, was mir die Kranken tiber die von ihnen wahrgenommenen Vers an ihrem Wahrnehmen, Denken, Ffihlen und Wollen, kurz was sie yon ihrem ver~nder ten Erleben im einzelnen und im ganzen sonst noch zu be- r ichten wuBten. Dabei kam es mir, wenn auch nicht ausschlie~lieh, so doeh besonders gerade auf all das an, was C. Schneider als ,,Vollzug" bezeiehnet, so dab denn auch C. Schneider nament l ich bei seiner Analyse der DenkstSrungen (S. 82 und 83) aueh mehrere Kundgaben einzelner yon mir beobachteter Kranken ganz gut mi tverwenden konnte. Die Feblerquelle~ werden aber sieherlieh desto bedeutungsvoller, je schwie-

Gesehichtliches und Kritisehes zur Theorie der Schizophrenic. 267

riger die F r a g e n sind, die m a n auf G r u n d der K u n d g a b e n der K r a n k e n entscheiden will. C. Schneider h a t seine Ziele n u n aber sehr hoch gesteckt und n ich t e twa auf die a n sich schon sehr schwierige U n t e r s c h e i d u n g der drei F o r m e n y o n schizophrener Denks t6 rung beschr~nkt .

E ine kurze Wiedergabe der Gedankeng~nge C. Schneiders erweist sich als tmumg~ngl ich . Sic geschieht im folgenden mi t e igenen Wor t en des Autors .

C. Schneider zieht, auf den Ergebnissen seiner friiheren Untersuchungen mit der Aufgabe, ,,erst einmal rein psychopathologische Grundlagen zu schaffen", und weiter auf den biologisehen Erfahrungen aus der Arbeitstherapie fugend, ,,zum erstenmal unter gewissen Erg~nzungen der friiheren Ergebnisse bewugt die biologisehen Folgerungen" und,,gelangt damit zu einer Wendung im psychiatrisch- nosologischen Denken iiberhaupt". Das neue Denken ist entwicklungsbiologisch ausgeriehtet. Die neue Lehre fiihrt zu ganz neuen Gesichtspunkten der Forschung und stellt vor allem die Bedeutung der Teilkonstitutionen bei der Entstehung der Psyehosen heraus.

Der Versuch, bei symptomatologisch unvollsthndigen Schizophrenien naeh den vorauszusehenden Gesetzm~I~igkeiten im Zusammenhang der schizophrenen Sym- ptome zu suchen, ergab sine gesetzm~gige Gruppierung der Grundsymptome in 3 Gruppen (Symptomverb~nden). Diese k5nnen unabh~ngig voneinander auf- treten, sich in den symptomatologisch vollst~ndigen Schizophrenien, in denen 2 davon oder aueh alle 3 vereint sind, unabh~ngig voneinander weiterentwickeln, sieh in mannigfacher Weiss durehdringen. Jeder Symptomenverband stellt einen realen biologischen Tatbestand dar. Der Vergleieh mit dem Einschlaferleben berech- tigt zu dem Schlu0, dag die Symptomenverb~nde als Funktionsverbdinde im Nor- malen vorgebildet sind. Jeder Funktionsverband ist das Ergebnis eines biologischen Di[/erenzierungsvorganges im gesamten Organismus, der jeweils bestimmte einzeine psychisehe und somatische Funktionen aus dem Gesamt herausgreift und in sich vereinigt. Veto ersten ,,Gestaltswandel" (ZeUer) des Kindes an kommt mit #dem Di//erenzierungsschritte eine Herausentwicklung neuer Funktionen aus einer um- sehriebenen Gruppe yon Funktionen oder kommen nun hShcre Zusammenfassungen bereits entwickelter Funktionen zuwege. Jeder Symptom- bzw. Funktionsverband hat o]]enbar sein besonderes Eunktionsgesetz, durch welches die ihm zugeh6rige Eigenschafts- und Merkmals- bzw. Vorgangsgruppe im gesamten weiteren Ent- wicklungsgang gemeinsam reguliert wird. Die einzelnen Funktionen jedes Ver- bandes durchlaufen alle Differenzierungsstufen miteinander, jedesmal mit blei- benden Auswirkungen fiir ihre Leistungskapaziti~t und Leistungsform.

Zu den bekannten - - stofflichen und mehr organologischen - - Korrelationen tritt in den Funktionsverb~nden eine neue, hOhere, biologisch-dynamische. Der erste methodische Ansatz zur Herausstellung dieser iibergreifenden Korrelationen ergibt sieh eben in den Symptomenverb~nden. Das Substrat kann, mug aber nicht in stofflichen Bedingungen gegeben sein. Vielleicht handelt es sich aueh um rein dynamiseh-biologisehe Vorg~nge. Die Vermutung ist erlaubt, dab dem einen Symptomenverband mehr ein stoffliches Substrat zugrunde liegt, sin anderer vielleicht eine rein dynamisch-biologischs Wesenheit besitzt.

Die neue Lehre fiihrt zu einer vertie/ten Beschreibung der pathologischen Lebens- vorg~nge wie auch der normalen Funktionen des Organismus. ])as neue Denken macht die Verlaufsgesetze der Psychosen zug~nglieh und erteichtert die Struktur- analyse. Die bisherige klinische welter sich zur wirklieh biologischeu Psychiatric, welehe die Ansehauungen vonder ,,Einheit des Lebens", zur methodisch sauberen Wissenschaft erhebt. Bisher fehlte es an Zentralbegriffen in der Psychiatric, welehe

268 Josef Berze:

die klinischen und nosologischen Tatsachen zu gleicher Zeit im biologischen Zu- sammenhang der ontogenetischen Entwicklung zu sehen erlauben. Die neuen Begri/]e erst erlauben dank ihrer entwicklungsbiologischen und dynamischen Ausrichtung eine Deutung unz~hliger Tatsachen, und zwar aus empirischer Untersuchung heraus.

Bei der imposanten Grol3artigkeit der Perspekt iven, die C. Schneider uns erst dureh seine neue Lehre erSffnet zu haben fiberzeugt ist, kann es uns nicht wundernehmen, dal3 er mi t Psychia tern , die sieh bisher fiir biologiseh eingestellt und beflissen gehal ten haben, ziemlich har t ins Gericht geht. Mir l~13t er sonst im allgemeinen volle Gerechtigkeit widerfahren. Er stellt bei mir ,,die biologische Tendenz der In terpre ta- t ionen" lest. Es t re ten aueh, wie er sagt, bei meinen Aasfiihrungen zur Theorie der Sehizophrenie ,,iiberall inhaltlich psychologische Argu- menta t ionen zuriick gegeniiber dem Bestreben, den biologischen Zustand der Kranken zu erhalten". Da ich nun aber auch eine ,,lokalisatorische Deutung" versueht und ,,die Aktivi ts und -stSrung . . . . . haupt- s~chlich in den Thalamus opticus ver leg t" habe, finder er es fiir not- wendig, mir zu sagen : ,,Berze ist offenbar wie noch heute viele Psyehia ter der Meinung, da~ bereits eine biologische Wendung dann erreicht ist, wenn zentrale Lokalisationen vorgenommen werden. Auch er vergiBt dabei, wie das gew6hnlich der Fall ist, da~ derart ige Lokalisationen erst einer Denkrichtung ihre Ents tehung verdanken, welche ihrerseits geschiehtlieh aus ganz unbiologischen Anschauungen hervorging und da~ daher alle Lokalisationsversuche nur Surrogate der biologischen Forschung darstel len."

Dazu m6chte ich vor allem feststellen, dal3 ieh die Ansicht C. Schnei- ders yon der , ,Ents tehung" der gemeinten Lokalisationsversuche im allgemeinen voll anerkenne, dab ieh es aber andererseits fiir einen logi- schen Schnitzer hielte, wollte man nun von vornherein und ein fiir al lemal ]eden , ,Lokalisationsversuch" als ,,aus ganz unbiologischen An- schauungen" hervorgegangen ablehnen bzw. in MiBkredit bringen. Von der Absicht einer beabsichtigten ,,biologischen Wendung" im Sinne C. Schneiders kann bei meiner biologischen Deutung nicht die Rede sein. Es k a m dazu vielmehr zwangsldu/ig. Die Fests tel lung des pathologischen Bewul3tseinszustandes, der Hyper ton ie des Bewul3tseins, bei den von mir beobaehteten Sehizophrenen, in weiterer Folge die Ermi t t lung der darin begriindeten Insuffizienz der psychisch, en Akt iv i t~t und insbesondere die Erkenntnis , dab die Hyper tonie des Bewu~tseins an sich psycho- logisch nicht welter herleitbar 1, dab sie also als (psychologisch) primdr anzusehen sei, muflten geradezu zu dem Versuche einer ,,lokalisatorischen Deu tung" Ifihren.

1 Der Versuch einer psychologischen ,,Erkl~rung" der BewuBtseinsst6rung der Schizophrenen bzw. besonders der ,,Depersonalisationserscheinungen", ist meines Wissens nur von psychoanalytischer Seite versucht worden. Er p~i3t aber gar nicht auf den Schizophrenie, sondern auf andersartige pathologische Zust~nde.

Gesehichtliehes und Kritisches zur Theorie der Sehizophrenie. 269

Dal3 sie so ausgefa l len ist, wie es eben der Fa l l ist, i s t ge rade m e i n e r yon Grund au] biologischen Eins teUung zuzuschreiben.

Diese meine Einstellung geht bemerkenswerterweise gerade so attf Kahlbaum zurtick wie die C. Schneiders. Unter den Zeitgenossen Kahlbaums diirfte kaum einer gewesen sein, der ihn hSher gesch~tzt h~tte als Meynert. Er hat ihn geriihmt als einen ,,zweifeUos hervorragenden psychiatrischen Beobachter", als einen ,,Mann von.vorzugsweiser kritischer Begabung" und als einen ,,Symptematiker yon breitem l~berblick". Er hob aueh bei Kahlbaum ,,die mannigfachen Grundlagen yon Natur- anschauung" hervor. Vor allem aber bezog sich Meynerts geradezu begeisterte Anerkennung darauf, dab die ,,neurologisehen" Bestrebungen in der Psyehiatrie durch Kahlbaum einen neuen Auftrieb erhalten haben. Meynert aber ist es nun, dem ich selbst wieder nicht nur die ersten, sondern auch die wesentlichsten Grund- lagen meiner psychiatrischen Auffassung und Einstellung verdanke. Nicht zuletzt verdanke ieh ibm das Freisein yon jener Seheu, die andere Psychiater lange daran gehindert hat, die Bedeutung des Hirnstammes fiir das Zustandekommen des Psychischen und des Versagens des Hirnstammes bzw. bestimmter Hirnstamm- systeme fiir das Zustande]commen gewisser psychischer St6rungen zu erfassen bzw. soweit sie yon anderen bereits erfaBt worden war, ihrerseits anzuerkennen. Von Meynert war mir zudem auch die Wegrichtung angezeigt, die ich einzuschlagen hatte, als es sich mir um meine ,,lokalisatorische Deutung" der Schizophrenie handelte. Sehon Meynert selbst hat (Nat urexperimente am Gehirn, 1892) nieht nur als ,,Iterde der Fiille hypochondrischer Erscheinungen", die ihm seine Paranoiker --selbstverst~ndlich fast durchweg Schizophrene - - zeigten, ,,das Ursprungsgrau des Vagus, Quintus etc." bezeichnet, sondern hat auch bei der ,,Paranoia" auf Grund seiner vergleichenden W~gungen der Hemisphgren und des yon ihnen getrennten Hirnstammes die Hemisph~ren relativ ,,besonders schwer gefunden". Er erkl~rte, dab sie ,,wachsen in der Proportion der Hirnteile zueinander durch die Atrophie der subcorticalen Zentren". Ich bin den yon Meynert also vorgezeichneten Weg auch gegangen, freilich ohne das Jurare in verba magistri allzu welt zu treiben und nieht ohne jenen Bedenken entsprechend Raum zu geben, die sieh mir, als ieh - - 20 Jahre sparer ! - - meine Theorie der Sehizophrenie aufstellte, bis dahin ergeben batten.

DaB es zur Zeit, als es meinerseits gesehah, noch ein reehtes Wagnis war, mit einer Hypothese hervorzutreten, welehe dem Psychocortex, der internationalen Sphere nach meiner eigenen Ausdrucksweise, die /unlctionelle AbMingigkeit von einem subcorticalen Zentrum zuschrieb z, mul3te ieh bald erfahren. Ieh habe erkl~rt: Diese zentrale Funktion besteht in der Aktivierung (Tonisierung) dor intentionalen Sphere zur Herstellung und Erhaltung des physiologisehen Waeh- zustandes. Strebungselemente sind es zweifellos, welche yon dem supponierten Zentrum (Thalamus?) aus der internationalen Sphare zugehen und damit die Tonisierung bewirken. Naeh dem Vortrage erkl~rte der Vorsitzende Nissl, meine Annahme, ,,der Wille" sei im Thalamus zu lokalisieren 3, sei Hirnmythologie. Ieh

1 1911 hatte ich (Berze: Wien. reed. Wsehr. 1911) das (ts Bewufltsein definiert sis einen Komplex yon T~tigkeiten (Akten), die ,,das psyehische Korrelat der Funktion yon eerebralen Meehanismen sind, die dureh die Eigenkra/t des Orga- nismus in Betrieb gesetzt und im Betrieb erhalten werden und somit als motoriseh anzusprechen sind". Daher meine Bezeichnungen: Bewul3tseinstonus bzw. Be- wuIitseinshypotonie. In der Folge kl~rte sich meine Auffassung zum Satz: Alles Psychische ist Prdmotorik. 1913 hielt ieh dann auf der Versammlung der Ges. dtsoh. Naturforscher einen Vortrag ,,Zur Psyehologie und Pathologie der intentionalen Sphfixe" (vgl. Psyehiatr.-neur. Wschr. 1918).

]eh habe eine derartige Behauptung niemals ausgesproehen. Nissl hat reich nieht verstanden.

270 Josef Berze:

mag dazu selbst dadurch mit AnlaB gegeben haben, dab ich in meinem Vortrage Meynert zitierte u n d zum Ausdrueke braehte, dab ich den Grundgedanken, yon dem Meynert bei seiner Ableitung der Elemente der ,,Wfllensakte" ausging, fiir richtig halte; Hirnmythologie hat man aber bekarmtlieh sogar diesem genialen Forseher naehgesagt 1.

Schon 1911 in meiner vorbereitenden Schrift tiber den Bewuiltseinstonus babe ieh erklart : ,,Die GrundstSrung der Dementia praeeox ist zweifellos in einer Hypo- tonie des Bewufltseins zu suchen; jedes einzelne aus dem groilen Heer der Symp .tome dieser Psychose lal]t sieh aus dieser Grundst6rung bzw. aus der mi t ihr gegebenen StSrung der BewuBtseinstittigkeiteu ablei ten." I n dem erw/~hnteu Vortrage (1913) sagte ieh bereits pri~ziser: ,,Die GrundstSrung dieser Psyehose liegt in der Insu//i- zienz des dynamischen Faktors Ich, in der Aktivi~tsschwiiche, die das unmit telbare Ergebnis einer unzureichenden Kraftladung, Tonisierung, der intentionalen Sphere, einer psyehischen Hypertonie, ist ." I n meiner Monographie (1914) habe ieh dann vor allem zu zeigen versueht, dab die primare Iusuffizienz der psychisehen Ak- tiviti~t, das unmittelbare Ergebnis der , ,Hypertonie des BewuBtseins", tats/~ehlich in dem Sinne als Grundst6rung der Sehizophrenie anzusehen se i , dab sieh alle wesentlichen Symptome der Schizophi~nie - - wie ieh sparer 2 genauer festgestellt habe: der Prozeflschizophrenie - - als aus ihr a bleitbar erweisen. Zugleieh habo ich damals in eingehender Begrfindung meine These der funktionellen AbMingigkeit des Psyehoeortex, der ,,intentionalen SpMire", yon einer dem Hirnstamm zufallenden regulierenden Zentral/unktion und der Rolle, die in dieser Hinsieht etwa dem Thalamus a zuzuschreiben sei, weiter ausgebaut. SchlieBlich habe ieh die Grund- s t f rung der Schizophrenie, wie ieh sie sah, also die Hypotonie des BewuBtseins, auf eine Hypo/unktion ,,des Tr/~gers der von mir supponierten Zentralfunktion" bezogen.

Volle Zustimmung babe ich zun~chst nur bei Reichardt gefunden. E r schrieb mir am 26. 9. 15: ,,Sie sind von der Psyche ausgegangen - - ich vom K6rper. Gerade die ~hnlichkeit der Ergebnisse, naehdem doch die Ausgangspunkte unserer Untersuehungen diametral entgegengesetzt waren, berechtigt reich zu der Annahme, dab an unseren l~esultaten etwas Richtiges sein muB." Im iibrigen aber begegnete zun/~ehst ,,Berzes Versuch, die symptomatologisehe Grundlage der gest6rten Be- wul]tseinsaktivititt cerebral festzulegen und von regulierenden cerebralen Meeha- nismen des intentionalen BewuBtseinstonus zu handeln", bei der Krit ik einer eher ablehnenden Skepsis, er wurde als , ,gewagt", als ,,nicht einmal erforderlieh" u. dgl. hingestellt. Mit den Jahren aber/~nderte sich dies doch merklich, und ebenso wie Reichardt fand such ich mit meiner Theorie immer mehr Anerkermung. 1922 kam dann Kiippers 4 zu einer, wie er sagt, ,,radikalen Umkehrung der heute fast un- angefoehten geltenden Auffassung von dem funktionellen Verhaltnis zwisehen Thalamus und Hirnrinde. Nicht die Hirnrinde ist das oberste eerebrospinale Reflex- zentrum und der Thalamus nur eine Ar t Vorstation der Rinde, in der die gesamte Sensibilit~t ihre letzte Umschaltung erf~hrt, sondern der Thalamus ist das oberste

1 Vgl. unter anderem Berze: Meynert und die Sehizophrenie. Z. Neur. 154, H. 2 (1935).

2 Berze und Gruhle: Psyehologie der Sehizophrenie. Monographien, herausgeg. von ~'oerster und Wilmanns, H. 55. Berlin 1929.

a Ieh babe reich schon damals keineswegs auf den Thalamus sozusagen fest- gelegt. Es hat sieh mir vielmehr vor allem um das Prinzip ,,des den Tonus (Be- wuBtseinstonus) bfldenden und regulierenden subcort/ca/en Zent rums" gehandelt. DaB auch andere subcorticale Gebiete mi t in Betracht kommen k6nnten, war mir klar. Immerhin Melt ich es aber fiir wabrscheinlich, dab ,,die letzte Hand" , aus welcher der Psychocortex die Regulierung erh/~lt, ,,doeh der Thalamus ist".

4 Kiippers: Z. Neur. 75 (1922). - -

Geschiehtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie. 271

cerebrospinale Reflexzentrum." Die Hirnrinde sei also funktioneU ,,subthalamisch", d. h. veto Thalamus abhEngig. Damit stellte Ki~pper8 im Grunde das wieder lest, was Reichard~ und Ber~ schon ungefiihr 10 Jahre friiher behauptet und seither gegen die Kritik vertreten batten.

Die Best~ndigkeit des Wertes der eigentlichen Grundidee der Abh~ngigkeit des BewuBtseiustonus yon einer subcor~icalen Zentralfunktion hat sich aber auch sonst immer wieder gezeigt. Erst vor 3 Jahren hat Ewa/d 1 wieder darauf hin- gewiesen, dab ,,Hypotonie des BewuiJtseins" (Berze ~) und ,,Mode[[ des Einsch]~f- erlebens" (C. Schneider) offenbar werden lassen, ,,dab eine ganz zentrale energe- tische Stelle in der PersSnlichkeit der Schizophrenic versagt, die jener Grund- st~rung, aus der die iibrigen schizophrenen Symptome ableitbar scheinen, dann auch die 8omatische Basis gibt". Naeh der Ansicht Ewa/ds ergibt sich aus Parallelen zwischen psychopathologischen Ergebnissen der Schizophrenieforschung, in deren Mittelpunkt die Theorie yon Berze und C. Schneider (sic !) stehe, und hirnpatho- loglschen Erfahrungen bei Zwischenhirnst6rungen die Annahme, dab eine ,,Minde- rung der Funktiousspannung der ,Wachfunktion' des 3. Ventrikels zu der eigen- artigen BewuBtseinslage fiihren dfirfte, in der die Sehizophrenen leben . . . . . " Ewa/d ist, wie er an anderer Stelle sagt, ,,der ~berzeugung, dab wir nicht fehl- gehen, wenn wit die psyehopathologlschen GrundphEnomene der Schizophrenic auf ein relatives funktionales Versagen der ffir die Konstituierung eines Ichs wesent- lichen Hirnstammsysteme zuriickfiihren". Letztere Fassung erscheint mir jedenfaUs als die empfehlenswertere; denn rein nur auf die Mangelhaftigkeit der ,,Wach- funktion" des 3. Ventrikels scheint es mir doeh nicht anzukommen, nach wie vor nehme ich vielmehr an, dab bei der (ProzeB-) Schizophrenie zumindest nebenher eine Mangelhaftigkeit jener Tha/amusfunktion in Betracht kommt, welche in der Impulserteilung an den Psychocortex besteht und in diesem aus den ,,prim&ren (subcorticalen) Automatismen", denen zunEchst nur ,,Bewegungen instinktiver Natur"entspr&chen, ,,In~n$ions/ormen des Psychocortex" werden l~l]t, damit zugleich a den Bewufltseinetonus ergebend. Freilich wird man die M6gliehkeit in Erw~gung ziehen miissen, dab die Mangelhaftigkeit der yon mir gemeinten Thalamusfunktion eine Folge der Mangelhaftigkeit der ,,Wachfunktion", dieser gegeniiber also sekund~r ist, was ich ja in gewissem MaBe sogar als wahrscheinlieh ansehe..Dal3 es sich ganz und gar nut um eine solehe sekunddre Mangelhaftigkeit der in Betracht kommenden Thalamusfunktion handle, glaube ich aber deswegen wieder nicht annehmen zu k6nuen, weft die psychologisehe Analyse zahlreicher F~lle ein AusmaB yon Hypo- tonic erkennen l~Bt, das den jeweils anzunehmenden Grad der Mangelhaftigkeit der ,,Wachfunktion" mehr oder weniger weit iibersteigt.

D a m i t kehre ich n u n wieder zu me inem Ausgangs thema zuri ick. K a u m je ha t fiir mich das e ingehendere S tud i um eines psych ia t r i schen Werkes eine so miihevol le u n d so ze i t r aubende Arbe i t b e d e u t e t wie das der , , schizophrenen S y m p t o m e n v e r b ~ n d e " yon C. Schneider. Dies l iegt gewiI3 n i ch t am gedank l i chen Konzep t . Dieses bie te t j a im G r u n d e ke iner |e i Schwier igkei ten. Was solche schafft, e r ke nn t ers t der , de r sich f r ag t : Was h~l t d e n n nun C. Schneider selbst von all dem, was er zur S t i i t zung seiner wesent l iehen Gedankenvorg~nge vorbr ing t , bere i ts fiir

1 Ewald: AUg. Z. Psychiatr. 110 (1939). 2 Filr ,,Hypotonie des Bewul3tseins" hat Eu~z/d die vortreffliche deutsche

~J=bersetzung ,,mangelhafte BewuBtseinsstraffung" gefunden. a Vgl. K/~/rpera (lee. cir.): ,,Das globale Reflexzentrum des animalJschen Sy-

stems ist der Thalamus."

272 Josef Berze :

erwiesen, fiir sicherstehend ? 1 C. Schneider hat nach seinen eigenen Wor ten mit seiner Darstellung ,,sozusagen nur die ersten Richtpf~hle zur Absteckung des Grundrisses einer neuen biologisehen Psychiatr ie eingesehlagen". Es ergibt sieh ibm ,,eine Ftille neuer Probleme, von denen einige noch gestreift, einige aber . . . . sp~teren Untersuchungen vorbehal ten sein sollen, um diese erste grunds~tzliche Darstellung nieht zu iiberlasten". Er erkl~rt sich daher auch fiir berechtigt , in seiner Ab- handlung ,,dem Anspruch auf Genauigkeit gewisse Grenzen zu ziehen". Dami t w~re dem, der zu C. Schneiders Gedanken krit isch Stellung nehmen will, im Grunde gesagt, dab er zu warten, seine Kr i t ik auf einen sp~teren Ze i tpunkt zu verschieben hat .

Und doch mug der Kr i t iker schon je tz t vor allem auf eine Eigenheit der Beweisfiihrung C. Schneiders hinweisen, die als nicht unbedenklich erscheint. Wie ein roter Faden zieht sich dureh das ganze Werk die Feststellung C. Schneiders, er habe hinsichtlich dieses oder jenes Pro- blems etwas Best immtes ,,erwartet", und diese ,,Erwartung" habe ihm dann die Erfahrung denn aueh best~tigt. Ganz fleekenlos reine Empir ie ist das meines Erachtens gewil3 nimmer, sage man nun sonst, was man wolle, z. B. etwa, dab wir viele und darunter auch grol3e Entdeckungen dem mehr oder weniger intuit iven Auffinden einer F~hrte zu verdanken haben. Oder: C. Schneider findet, dab die Symptomenverb~nde ,,sieh in voneinander ganz unabh&ngiger Weise entwickeln kSnnen" (kSnnen !), es seien da also ,,zwei/ellos Gesetzm~Bigkeiten vorhanden" , deren Er- mi t t lung nur eine ,,rein empiriseh zu 15sende Beobaehtungsaufgabe" sei. Oder: , ,Hinter der Symptomver tef lung schizophrener Psychosen und ihrer Variat ionen" miissen ,,ganz bes t immte biologische Gesetze s tehen". Man ,,konnte darau/vertrauen". Die Erfahrung best~tigte die Erwartung. Oder: ,,Nicht ganz selten" finder m a n als , ,prognostisch fast immer ungiinstiges Zeiehen" den ,,l~ppischen Einsehlag" in eine bis dahin freie Schizophrenie. Dies wird nebenbei bemerkt , auch der nicht gerade im Sinne C. Schneiders ,,biologisch" ~ eingestellte Psyehiater ohne weiteres best~tigen. Nach C. Schneider ist aus der mi t diesem Einsehlag zugleich eintretenden ~nderung im ,,kSrperlichen und seeli- schen Gesamtzustandsbi ld" aber auch zu schlieBen, daft hier ,,ein neuer biologiseher Fak tor eingetreten sein muff". Vorurteilslos h~t te man zumindest damit zu rechnen, dab hier mi t dem Fortsehrei ten des Pro- zesses oder attch nur infolge seines weiteren Andauerns der l~ppische Zug immer deutlicher geworden ist. DaB dabei ein neuer ,,biologischer" Fak to r mit im Spiele sein kSnnte, ist yon vornherein freflich nicht

z Leider l~13t allerdings auch, nebenbei bemerkt, die Ausdrueksweise C. Schneiders Sehlichtheit sehr stark vermissen.

Es geht iibrigens aus C. Schneiders Ausffihrungen nirgends klar und deutlieh hervor, was er unter ,,biologisch" verstanden wissen will. Vgl dazu die vortreff- lichen Ausfiihrungen Gruhles in seinem Referate: Nervenarzt 15, 353 (1942).

Gesehiehtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie. 273

auszuschl ieBen. A b e r d a b es so sein muff, i s t n i ch t zu ersehen. DaI~ auch h ie r e ine , ,Gese tzm~Bigke i t " vor l i egen muB, v e r s t e h t sich y o n selbst . D e r i m m e r w i e d e r k e h r e n d e H inwe i s da ra t t f i s t k a u m nStig. Die G e w i 6 h e i t , d a b in d e r N a t u r Gese tzm~Bigkei t h e r r s c h t , i s t j a i iber - h a u p t e ine d e r G r u n d v o r a u s s e t z u n g e n fiir j ede r a t ione l l e I n d u k t i o n x C. Schneider m e i n t abe r , wenn er in Z u s a m m e n h ~ n g e n wie de r ange f i i h r t e yon Gese tzm~Bigke i t sp r i ch t , i m m e r auch schon eine im Sinne e igener , ,b io logischer F a k t o r e n " , wie er sie me in t , bestimmte Gese tzm~Bigke i t , wozu er so Ohne we i t e r e s u n d vo rneweg gewiB n ich t b e r e c h t i g t ist . E r w~re es e r s t d a n n , wenn i b m der Nachwe i s ge lungen w~re, d a b a n d e r e Mfgl ichke igen als d a s W a l t e n ge rade de r j en igen Gese tzm~Bigkei t , d ie er me in t , d a g a r n i c h t in B e t r a c h t k o m m e n k f n n e n . A b e r d iesen N a c h - weis h a t e r n i c h t e i n m a l so r ech t ve r sueh t , er h~ l t sich v i e lmehr o f f enba r auch ohne ihn schon ffir befugt , sozusagen aus seiner Lehre ein Gesetz zu m a c h e n .

Das wesen t l i che E r g e b n i s de r Un te r such~ng , w o m i t C. Schneider , ,erst das T o r zu e iner s t r eng fo lger ich t igen bio logischen G e s a m t u n t e r - suchung e rS f fne t " , i s t n u n die F e s t s t e l l u n g de r , , sch izophrenen S y m - p t o m e n v e r b ~ n d e " . J e d e r solcher S y m p t o m e n v e r b a n d bf lde t fi ir s ich ein , ,ganzhe i t l i ches S y n c y t i u m " yon Te i lvorg~ngen des Denkens , F i ih lens , Wol lens usw.

C. Schneider kommt auf Grund der Symptomenbilder der unvollst~ndigen Schizophrenien zur Aufstellung dreier Reihen yon Symptomen, welche sich seines Erachtens ihrer Natur noch am deutlichsten yon den iibrigen Erscheinungen ab- heben. Die erste Reihe bildet den Symptomenverband des Gedan]cenentzuges: Welt- anschauliehe Skrupel, K~mpfe, Ver~nderungen des religiSsen Erlebens. Gedanken- abreil~en. GedanIcenentzug. Ratlosigkeit. Gedankeneingeben. WillensstSrungen in dem Sinne, dal~ den Kranken tells der ,,Wille genommen", teils IcIandlungen usw. ,,aufgezwungen" werden. Sprach]iche Entgleisungen, Sperrungen.

Die zweite Reihe ergibt den Symptomenverband der Sprungha#ig]ceit: Sprung- ha/tes Denken. Affektlahmheit nnd Antriebsarmut. Mangel an vitaler Dynamik, Elastizit~t und Reaktionsbereitschaft. Ersterben yon Trauer, Freude, Kiimmer- his. Exaltationszust~ncle mit Angst, Zornmtitigkeit, Weinerlichkeit, Verzweif- lung, leeres Pathos in raschem Wechsel der verschiedenen F~rbungen. Ver~nde- rung der KSrpergefiihle und leiblichen Eigenwahrnehmung. Physikalische Halluzi- nationen.

Die drit te Reihe ist der Symptomenverband des Faselns: Bedeutungswahn, ,,Prim~trwahn". Verschwommenes und faseliges Denken. Interesselosigkeit an sachlichen Dingen und Werten, ,,Urteilslosigkeit", Faseln und Zerfahrenheit. Inadi~quate Affekterregungen. Parabulische Impulse.

Mit der Reihenbfldung in extremen FAllen unvollsti~ndiger Schizophrenien ist nach C. Schneider ein Teflbestand eines allgemeinen biologischen Gesetzes aufgedeckt. Bei den symptomatologisch vollsti~ndigen Schizophrenien treten die Symptomen- verb~nde miteinander verbunden auf, kSnnen sich aber in voneinander ganz unab- h~tngiger Weise entwiekeln. Sie mtissen jedenfalls nicht alle drei zum Schlimmeren oder Besseren fortschreiten, sondern mit dem Besserwerden in einem kann eine Verschlimmerung im anderen verbunden sein. Die Existenz der Symptomen-

1 Vgl. z .B . Hagemann, G.: Logik und Noetik, 1873.

Z. f. d. g . N e u t . u . P s y c h . 175. 18

274 Jofef Berze:

verb~nde tiberhaupt bildet den gemeinsamen Ausgangspunkt ftir aUe Wege zur ErschlieBung der biologischen Dynamik schizophrener Zustandsbflder. Die in der Ganzheit des Organismus differenzierten biologischen Elementarzusammenhiinge werden aus den gegenseitigen Reaktionsbeziehungen der Symptomengruppen in unmittelbarer Beobachtungserfahrung bei verschiedenartigsten situativen und i~rztlichen Eingriffen erschlossen.

DaB C. Schneider in seinen :F~llen die Symptome , welche jeweils den oder jenen Verband in seinem Sinne bilden, vereint gefunden hat , wird man nicht bezweifeln diirfen. Und dab diese Symptome gegebenen- falls einen geschlossenen Verband bilden k6nnen, wird man zugeben miissen. Es wird ferner, da C. Schneider - - vorl~ufig wenigstens - - nur auf drei Symptomenverb~nde gestoBen ist, anzunehmen sein, dab die Symptomenreihen, welche C. Schneider als die schizophrenen Sym- ptomenverb~nde herausgehoben hat , diejenigen sind, die am 6/testen miteinander verbunden in Erscheinung treten. Dann wird sich dafiir wahrscheinlich auch eine irgendwie gear te te ,,biologische Gesetzm~Big- ke i t " finden lassen, nicht geradezu in dem Sinne, dab es so sein muff, da~ sich also irgendein best immtes S y m p t o m immer nur in einer be- s t immten , ,Reihe" finden kann, dab es somit gar nicht vorkommen kann, dab sich irgend eines dieser Symptome auch einmal in einer der (zwei) anderen Reihen zeigt, wenn das auch C. Schneider gerade als die wesent- liche Tatsache angesehen wissen will, sondern in dem Sinne, dab sich aus irgendeinem Grunde die Symptome am leichtesten eben so zusammen- finden, wie es den Reihen C. Schneiders entspricht , etwa auf Grund einer ihrem Wesen nach noch nicht aufgekl~rten ,,biologischen" Affinit~t. Man mu~ da iibrigens meines Erachtens unterscheiden zwischen zweierlei Symptomen. Erstens gibt es unter den yon C. Schneider angefiihrten solche, deren ZusammengehSrigkeit ohne weiteres klarliegt, und zwar auch ohne Zuhflfenahme einer besonderen ,,irgendwie gearteten bio- logischen Gcse t zm ~ i gke i t " , also auch ftir den erkennbar, der noch darin befangen ist, die Reihen C. Schneiders auch , , aus den heute gs psychologischen Gesichtspunkten heraus analys ieren" zu wollen. Ge- meint sind diejenigen Symptome, die sich daraus ergeben, dab innerhalb jeder Reihe, wie C. Schneider sagt, ,,sowohl das Denken, als das Gcmiits-, das Willens- und das Vorstellungsleben, vielleicht auch das Triebleben'" erfagt, and zwar, wie man - - psych01ogisch analysierend - - finden muB, in gleichem Sinne erfaBt werden. Dann Iiihrt C. Schneider aber noch andere Symptome in jeder Reihe an, die neben tier, wie gesagt, auch schon psychologisch als zusammengehSrig erscheinenden - - wieder psychologisch gesehen, sozusagen in der Luf t h~ngen 1, z .B . in der

1 Mit diesem Hinweise mSchte ich nicht den Anschein erwecken, als nahme ich Ans~oB an der Einbeziehung dieser Symptome in die ,,Symptomenverb~nde". Auch ich bin der Uberzeugung, dab es gar nicht darauf ankommt, ob das Zusammen- sein der Symptome in einem geschlossenen Verband, in dem es kein Eindringen andersartiger Symptome gibt, erkl~rb~r ist oder nicht, versti~ndlich oder unver-

Geschichtliches und Kritisches zur Theorie der. Schizophrenie. 275

Reihe des Gedankenentzuges die ,,weltanschaulichen Skrupel, K/ impfe" , in der Reihe der Sprunghaft igkeit ,,physikalische Hal luzinat ionen". Gerade darauf legt nun aber C. Schneider besonderen Nachdruck, dab weder die Tatsache, daB bes t immte Symptome ,,zu Reihen verbunden auf t re ten" , noch die , ,dab sie sich reihenweise yon den iibrigen ab15sen kSnnen, einer psychologischen Erkl/~rung im eigenen Sinne zug/~nglich ist". Es handel t sich, be ton t C. Schneider weiter, ,,urn lauter unver- st/~ndliche schizophrene Symptome" . Und gerade diese psycho]ogische Unverst/~ndlichkeit der in ]~etracht kommenden Symptome sowie die ihres Auftretens in geschlossenen S.ymptomenverb/inden ist ihm ja eine der wesentlichsten Grundlagen ffir den Ansatz zum Aufbau seiner ,,biologischen Psychiatr ie" . Geht es n/imlich nicht mi t der Psychologie, so ist dami t seiner Meinung nach der Beweis gegeben, dab m a n zur Biologie, und zwar zur Biologie im Sinne C. Schneiders, greifen muB.

C. Schneider hiilt es fiir erwiesen, dab es eine Entwicklung innerhalb des einzelnen Verbandes nur in dem Sinne gibt, dab zun/~chst e twa nur gewisse leichtere Symptome, die der betreffenden Reihe angehSren, zu erkennen sind und dann erst allm/s auch diejenigen S y m p t o m e aus derselben Reihe, die bis dahin noch fehlten, mehr oder weniger voUz/~hlig in Erscheinung treten. DaB die Entwicklung des Symptomen- verbandes an sich auch einmal das Auftauchen eines Symptomes mi t sich bringen kSnnte, das C. Schneider einer anderen Reihe zuteilt , h/~lt er dagegen ffir attsgeschlossen. Freilich gibt es Entwicklungen unvoll- st/~ndiger Schizophrenien, die Symptome in Erscheinung t re ten lassen, die dem betreffenden Symptomenve rband nicht mehr angeh6ren, aber dann ha t eben nach C. Schneider die Schizophrenie, die bis dahin ,,unvoll- st/~ndig" war, einen Schri t t zur VervoUstdndigung gemacht , der es mi t sich gebracht hat , dab sich nun auch noch einer der anderen Symptomen- verb~nde zu bekunden beginnt. Nach dieser Schablone kann nun aller- dings jedes der Lehre C. Schneiders yon der unbedingten Geschlossen- heir der einzelnen Symptomenverbi~nde zuwiderlaufende Unte rsuchungs- ergebnis als belanglos ad acta gelegt werden.

Nehmen wir nun abe t dennoch einmal an, die Symptomenverb/~nde seien ganz im Sinne C. Schneiders fiber jeden Zweifel sichergestellt . Was bedeuten diese Symptomenverb/~nde zun/~chst an sich und dann im Rahmen der Schizophrenieforschung fiberhaupt ? Wet unvorein- genommen und unbefangen an diese Frage herantr i t t , dem dr/s sich vor allem die Ansicht auf, dab in den , ,Symptomenverbs kon- stitutioneU begrfindete Var ianten der Auswirkung der einheitlichen schizophrenen Grundst6rung, bzw. der Art, auf diese einheitliehe Grund- stSrung zu reagieren, zu erblicken seien. DaB dieser Gedanke auch dem

st/indlich. Einzig und allein darauf kommt es an, ob es so ist und in weiterer Folge, ob so regelm~tl3ig, dall man daraus mit C. Schneider auf die yon ihm gemeinte Gesetzm/~Bigkeit schliet~en mu0.

18"

276 Josef Berze:

Entdecker der Symptomenverb/~nde nicht ferne liegt, zeigt er damit, dab er es als m5glich erkl/~rt, dal~ die biologische Uneinheitlichkeit des Schizoids auf die Verschiedenartigkeit dcr Verteflung aller jener ,,Funk- tionsverb/~ndc" einmal wird zuriickgefiihrt werden kSnncn, ,,welche auf einen bcstimmten Schizoiden erblich iibertragen worden sind". Er findet aber, dal~ ,,selbst dort, wo die individuelle Konst i tu t ion oder die Eigenart der pr/~psychotischen PersSnlichkeit filr die individuelle Be- sonderheit des Krankheitsbildes verantwortl ich gcmacht wurde, dies meist in einer Weise geschah, welche mit den Anforderungen einer biologischen Betrachtung nicht i iberr Naheliegend war es, sich an Kretschmers Untersuchungen zu erinnern. C. Schneider kommt auch darauf zu sprechen, aber nur um zu erkl/~ren, dab die Schw~che der von Kretschmer geleiteten Analyse darin zu erblicken sei, dab sie geradezu ganze Symptomenreihen, und zwar gerade ,,bezeichnendste schizophrene Einzelsymptome" attsschlieBe und damit ,,zugleich einen Verzicht auf bestimmte biologische Gesichtspunkte einschliel~t". Kretsch- met fibernehme auch bei seinen Versuchen, zu ,,l~adikalen" vorzudringen, ,,soviel begriffliche Bestandstficke aus der unbiologischen experimen- tellen Psychologie, dal~ er s tar t zu dynamisch-biologischen nur zu sta- tisch-psychologischen Merkmalcn durchst61lt", die vor allem auch ,,entwicklungsbiologisch indifferent" seien. ,,Es fehlt" , sagt C. Schneider an anderer Stelle, ,,auch in dieser bisher bestausgebauten Konstitutions- lehre an Einblieken in die iibergreifenden biologischen Gesetzlichkeiten, welche die kSrperbauliche und die seelische S t ruk tur im einzelnen und bis ins einzclne hincin regulieren". W/s das Radikal Kretschmers nur ein psychologischer Bcfund sei, ,,zielen die Symptom- und Funktions- verb/s (sc. Schneiders) yon vornherein auf j ene biologischen allgemeinen Gesetze ab, welche die Entwicklung und die Pathologic allcr Merkmale des Organismus beherrschen". Man sieht also, dab C. Schneider im Grunde nur mit den bisherigen Ergebnissen der Konsti tutionslehrc nicht zufrieden ist, und zwar weft sie seinem ,,biologischen" bzw. ,,dy- namisch-biologisehen" Postulat noch nicht entsprechen, im iibrigen aber durchaus geneigt ist, die Uneinheitl ichkeit des Schizoids auf kon- stitutionelle Verschicdenheiten tier Schizoidtr/s zu beziehen. Es ist nicht einzusehen, auch fiir den nicht, der wic ich zwischen der Psycho- pathie Schizoid und der Geisteskrankheit Schizophrenie einen scharfen Trennungsstrieh macht und die Annahme eines einfachen l~berganges vom Schizoid zur Sehizophrcnie fiir einen I r r t um h/~lt, warum dann die Uneinheitlichkeit der Schizophrenien, wie sic C. Schneider mit seinen drci Symptomenverb/s aufzeigt, nicht im wesentlichen ebenso durch konstitutionelle Verschiedenheiten dcr Tr/s dieser Krankhei t erkl/s sein soll, bzw. worin der eigentliche Grund dafiir zu erblicken w/~re, dab die Erkl/~rung der Tatsachc, dab eine unvollst/~ndige Schizo- phrenie einmal den Symptomenverband des Gedankenentzuges, ein

Geschichtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie. 277

andermal den der Sprunghaftigkeit oder den des Faselns darbieten kann, erst durch komplizierte ,,dynamisch-biologische" ~berlegungen und nur bei strenger Einhal tung der yon C. Schneider geforderten ,,biologisch- psychiatrischen" Richtlinien soil erbracht werden kSnnen. Wenn schon beim Schizoid, also bei Psychopathen, deren BewuBtseinszustand, wie man annehmen mul3, in keiner Weise gegeniiber dem Normalen ver- ~ndert ist, , ,Funktionsverb~nde" sozusagen als , ,Symptomenverbgnde" in Erscheinung t re ten kSnnen, muB dies bei der ProzeBschizophrenie, also bei Kranken , deren BewuBtseinszustand nachweislich in einem solchen Sinne krankhaf t ver~ndert ist, dab sich daraus die MSglichkeit eines um so st~rkeren Hervort re tens konstitutioneller Eigentiimlichkeiten - - auch wenn diese die,,Vollziige" im Sinne C. Schneiders mitbetreffen ! - - ergibt, im Gegenteile um so mehr zutreffen und um so leichter nachweis- bar sein. ] )aran kann aber meines Erachtens doch gewiB nicht gezweffelt werden, dab die ,,Eigentiimlichkeiten des gesunden Denkens", wie sie C. Schneider aufzeigt: seine eigenartige Gliederung, seine Konstanz, die Stetigkeit des Sinnkontinuums, nichts an sich haben, was der An- nahme im Wege stiinde, jede einzelne yon ihnen kSnne durch eine kon- stitutionell begriindete Unzul~nglichkeit oder Schw~che leichter als die anderen beeintrgchtigt werden. Daraus erg~be sich aber unbestrei tbar die MSglichkeit der Ents tehung unvollst~ndiger Schizophrenien im Sinne C. Schneiders. Man braucht dazu nur anzunehmen, dab es sich um Schizophrenien handelt , denen ein weniger schwerer ProzeB und damit eine leichtere GrundstSrung entspricht.

Dariiber, ob und in welchem Sinne er etwa eine Beziehung zwischen der Vollst~ndigkeit bzw. Unvollst~ndigkeit der Schizophrenien einerseits, der Schwere des Prozesses im Einzelfalle andererseits annimmt, spricht sich C. Schneider, soviel ich sehe, nirgends klar und deutlich aUs. Frei- lich fehlt es nicht an einzelnen Andeutungen sozusagen zwischen den Zeflen. Solche linden sich besonders im Kapitel: Die Symptomen- verb~nde in der Prognostik. Prognostische Eigenheiten der einzelnen Symptomenverb~nde interessieren C. Schneider selbst wieder besonders deswegen, weil sich daraus seiner Ansicht nach ,,weitere Stiitzen dafiir, dab j edem Symptomenverband eine weitgehende biologische Bedeutung zukommt" , ergeben wiirden. Ihnen eine andere I )eutung zu geben, zieht C. Schneider gar nicht in Betracht. Wenn man aber z .B . liest: ,,So zeigt der Symptomenverband des Gedankenentzuges eine lebhafte Neigung, sei es zur Ausheflung, sei es zur biologischen Inaktivit i i t 1; je reiner ein schizophrenes Zustandsbild nut yon diesem Symptomen- verband gebildet wird, um so rascher pflegt es abzuklingen und um so geringfiigiger sind die etwa zuriickbleibenden Resterscheinungen", so fiihlt man sich, geleitet yon der allgemeinen Erfahrung, dab es die

1 Wodurch sich diese bioloyische Inaktivit~t yon Inaktivit~t schlechthin unter- scheidet, i s t mir nicht klar.

Z. f. d. g. N e u t . u , P s y c h . 175. 180,

278 Josef Berze :

leicbten oder leichteren Krankheitsprozesse sind, die am ehesten zur Ausheflung zu neigen pflegen, geradezu zur Annahme gedr~ngt, dab es aueh hier so ist, d .h . also, dab der Symptomenverband des Gedanken- entzuges in seiner reinen Form, abgesehen yon etwa wirksamen Anlage- momenten (s. oben), hn allgemeinen auf einen leichten Grad des Krank- heitsprozesses zu beziehen sein diirfte. Werm dann C. Schneider yon Erfahru_ngen, die, wie er selbst sagt, ,,jedem Fachgenossen gel~ufig sind", die anffihrt, dab ,,die leicht faseligen paranoiden Bflder eine besonders sehleehte Prognose haben, ebenso die Zust~nde, in welchen sehwere Ver~nderungen im Erleben des eigenen KSrpers . . . . auftreten", dr~ngt sich umgekehrt wieder die Annahme auf, dab es sich da am einen schwereren Prozel3 handelt, zumal wenn man welter hSrt, dab sieh in solchen F~llen ,,bald pathologisehe Gleiehgewiehtszust~nde "herauszubilden pflegen", dab ein , ,Endzustand" eintritt, ,,der sieh nieht mehr ~ndert oder nur noch leise Sehwankungen aufweist". Doch tauehen, was die faseligen paranoiden Bflder und ihren Endzus tand angeht, aueh noch andere Bedenken auf. Wann in solehen F~llen der Ein t r i t t des , ,Endzustandes" anzusehen ist, ist oft ganz auBerordentlieh sehwer zu sagen. Auch nach meiner Erfahrung t r i t t e r , wie C. Schneider sagt, bald auf. ga es will mir sogar scheinen, da]3 in den meisten, wenn nieht in alien F~lien meiner Beobachtung, welehe dem Symptomenverband des Faselns nach C. Schneider entsprechen diirften, der Endzustand schon da war oder doeh schon in stark vorgeschrittener Vorbereitung stand, als meine Be- obachtung einsetzte, obwohl ich lange Zeit in der Lage war, zahlreiche Schizophrenien auch dieser Art schon in einem Stadium eingehender s tadieren zu kSnnen, das der Anamnese nach noeh als Anfangsstadium (!) h~tte aufgefaI3t werden kSnnen.

Damit will ieh nan abet nicht etwa sagen, dab es in der bezeichneten Hinsieht nor auf den Intensi~tsgrad des Prozesses, jetzt und friiher, and auf die I)auer die der ProzeB zur Zeit der Beobachtung erreicht hat, ankommen diirfte, soweit eben der ProzeB als solcher iiberhaupt in Be- t rach t kommt. Meiner Ansicht naeh kann es dafiir z. B. aach kaum gleieh- giiltig sein, ob es sich um einen Fall mit akuten oder schleichenden Beginn handelt, wie lang ersterenfalis die akute Phase gedauert hat, ob sie yon sp~teren Schiiben gefolgt war oder nicht. Diese and noch manche andere Fragen miii3ten vorers t gekl~rt sein. Dann erst kSnnte die Frage, ob C. Schneider mit seiner ,,biologischen" Auffassung recht ha t oder nicht, beantwortet werden, einstweflen ist meines Erachtens nur anzunehmen, dab die Ausschliefllichkeit, mit der er ihre Geltang anerkannt wissen will, sich sehwerlieh zureiehend begriinden lassen wird.

Als wohl sehr befremdend muB es vermerk t werden, dab C. Schneider im Grunde jede irgendwie quali tat iv fai3bare geistige Weiterentwick- lung vom Wirksamwerden irgendwelcher neuer biologischer Faktoren abh~ngig macht. Bezeiehnend ist in dieser Hinsicht z .B . seine Aus-

Gesehichtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie. 279

einandersetzung mi t Bumkes ~ Feststellung: ,,Man darf (also) ruhig sagen, dab sich das Denken aus dem Fiihlen entwickelt oder das Gefiihl eher da sei als die Gedanken. DaB das kleine Kind das Wiedererkennen der Mut ter in einem wohlformulierten Gedanken erlebt, ha t ja wohl selbst der weltfremdeste Psychologe niemals gemeint ." In dieser Dar- legung Bumkes sind nach C. Schneider ,,freflieh eine Reihe yon Schwie- rigkeiten enthal ten" . Die ihm als die kardinale erscheinende Frage lautet, wie nicht anders zu erwarten war: ,,Wie verhal ten sich denn die Funkt ionen, in denen ein wohlformierter Gedanke gegeben ist, zu den Funktionen, in denen nur unformulierbare Komplexqua]i t~ten er lebt werden ?" Und die Antwort Schneiders geht, wie wieder zu erwarten war, davon aus, dab ,,die genaue Beobachtung der seelischen Entwicklungs- vorg~nge unbes t re i tbar lehrt, dab sich die einzelnen Funkt ionen viel- fach unabh~ngig voneinander zu Entwicklungsstufen in verschiedener EntwicklungshShe differenzieren kSnnen". Man diirfe aber ja nicht ,,einen formal psychologischen Zusammenhang" annehmen, sondern habe der Voraussetzung eines ,,wahrha/t biologischen Differenzierungs- zusammenhanges der einzelnen Funkt ionen" gerecht zu werden. Der Ausdruek , ,Differenzierung" ist leider reichlich ungenau. HeiBt dies nun, dab sich die Funkt ion, die der n~chsten Entwicklungsstufe ent- spricht, aus der bisher wirksamen heraus aUms entwickelt, heraus , ,differenziert" oder ist jene Funktion dieser gegeniiber sozusagen eine Neuerscheinung, die sich in einer bes t immten Entwicklungsphase all- m~hlich geltend mach t und also in diesem Sinne ,,di//erenziert". I m ersteren Falle w~re nicht recht einzusehen, worin der nach C. Schneider so bedeutungsvolle Unterschied zwischen den zwei mSglichen Auffas- sungen bestehen soil. I m letzteren Falle miiBte yon C. Schneider die Klarstei lung dringend gefordel~t werden, was denn etwa an Entwicklung einer zur bes t immten Zeit wirksamen psychischen Funktion selbst noch zugemutet werden kann, was andererseits bereits die , ,Differenzierung" einer eigenen neuen Funkt ion, wie sie in , ,Funktionsverb~nden" im Laufe der Entwicklung ailm~hlich in Erscheinung t reten sollen, zur Voraus- setzung hat . Einstweilen glaube ich bei C. Schneider eine weitgehende l~berspannung dieses Prinzips feststellen zu mfissen. Ins einze]ne gehende Einw~nde sind freilich nicht mSglich, zmnal der Hinweis auf den , ,syneytialen Zusammenhang" , weleher als dominierende Idee des Lehrsys tems G. Schneiders zu erkennen ist, sie ane yon vornherein zum Schweigen zu bringen geeignet ist.

Weil iibrigens bei C. Schneider soviel yon Entwicklung die Rede ist, yon Entwicklung im Psychologischen und im Pathologischen, dab es fast den Anschein hat , dab die yon C. Schneider verkfindete Lehre, die er selbst ,,biologiache Psychia t r ie" genannt wissen will, ihrem Wesen nach eigentlieh enger als ,,entwicklungsbiologische Psychiatrie" anzu-

1 Bumke, 0.: Gedanken fiber die Seele. Berlin: Springer ]941.

280 Josef Berze:

sehen ist, sei noch ganz kurz auf die Frage der geistigen Entwicklung in der Schizophrenic eingegangen. Obenan gehSrt da meines Eraehtens der Satz gestellt, dab der bekannte Knick, der naeh i ibereinst immendem Urtefl zahlreicher Autoren den Anfang der Krankhe i t markier t , bald ganz deutlich erkennbar, bald eben nur angedeutet , zugleich ein Stop ist ffir die geistige Entwicklung. Wenn irgend etwas die frfihere Bezeichnung Dementia praecox hinterdrein einigermaflen berecht igt erseheinen 1/s so ist es gerade dieser Verlust der weiteren geistigen Entwicklungs/~ihig- keit, ffir den es subjektive und objekt ive Kennzeichen gibt. Das Er- kennen, seither ,,ein anderer geworden" zu sein, das unter normalen Umst/~nden ein regelm/~Biges Nebenergebnis des Rfiekblickes auf 1/~nger vergangene Zeiten zu sein scheint, geht dem schizophren Defekten in der Regel ganz ab. Am deutlichsten brachte mlr dies ein Schizophrener zum Ausdruek, den ich vor mehr als 35 gahren zu beobachten Gelegen- heir hat te . Es handelte sich um einen Defektzus tand nach einem hebe- phrenen Schub im 16. Lebensjahr. Ieh gratul ier te dem Kranken zu seinem 30. Geburtstag, woven ich zuf/tllig erfahren hatte . Er : ,,Ich bin nicht 30, ieh bin 16 Jahre al t ." Ich : , ,Aber Sie sind doch im Jahre . . . . geboren !" Er: ,,No ja, den Jah ren nach w/~re ieh freilich 30 Jahre alt, aber in Wirklichkeit bin ich 16." Es ergab sich aus seinen weiteren Xul3erungen, dal~ er seiner ~berzeugung naeh seit all den Jahren der- selbe geblieben sei, daB in ihm genau dasselbe vorgehe, dab er genau so denke, genau so fiihte wie damals. Ob auch die h/~ufigen XuBerungen Schizophrener, dab ihr Leben sich nur in der Vergangenheit abspiele, dab sie ,,kein Gegenwartsleben" haben, in /~hnlichem Sinne zu deuten w/iren, erscheint mir zweifelhaft. Mancher K r a n k e scheint mir damit mehr darauf anzuspielen, 'daB an seinem Erleben in der Gegenwart etwas fehlt, die richtige Ergriffenheit, der Geffihlston, oder vielleieht auch irgend etwas, was den ,,Vollzug" im Sinne C. Schneiders angeht. Ob- jekt iv f/illt auf, dab die Kranken oft ganz ausgesproehen ein Benehmen und Verhalten zeigen, das dem gleicht, welches dem Alter zur Zeit des Krankheitsbeginnes entspricht. Es ist erstaunlich und wirkt oft geradezu grotesk, wenn eine schizophrene Frau in schon sehr vorgeri icktem Alter das Benehmen eines Baekfisches zeigt. Ers t jfingst sah ich eine beinahe 70j/~hrige Frau bei mir, die f6rmlich t/~nzelnd und koke t t 1/~chelnd, in fiber alles Marl Jugendiichkeit betonender Kleidung, mit allerlei Putz behangen, eintrat and dann kichernd und seh/~kernd von mir ein ,,Ge- sundheitszeugnis" verlangte. Es stellte sich heraus, dab es sich um einen Defektzustand handelte, der durch einen ausgiebigen hebephrenen Sehub im 14. Lebensjahr gesetzt war. I m m e r wieder muB es auffallen, wie sich das juvenile Wesen bei schizophrenen Restzust/ inden oft bis ins h6ehste Alter erh/ilt. Ich konnte einen Fall durch mehr als 3 Dezennien immer wieder beobaehten, in der ganzen Zeit ha t sich in dieser Hinsich t bei ihm nicht das Geringste ge/indert, und aus der Krankengesehichte ging klar und deutlieh hervor, d a b es vordem auch nieht anders war;

Geschichtliches und Kriti~'hes zur Theorie der Schizophrenie. 281

er starb als Siebziger, als derselbe puerile Kauz, zu dem er durch seine Hebephrenie als Siebzehnj/~hriger geworden war. Man ha t den Ein- druek, da$ solehe Kranke nicht geistig altern. Unter denen meiner Be- obaehtung war auch eine mehr als 90j~hrige Frau (Arierin), die ein aus- gesproehen juveniles Wesen zeigte - - keineswegs etwa im Sinne der bekannten senilen Wunderlichkeit, die ja aueh yon den AngehSrigen als ausgesehlossen angesehen wurde, da sie, wie sie sagten, ,,hie anders gewesen" war. Es dr/~ngt sich die Annahme auf, dab in solchen F~llen vieles, was im allgemeinen zur geistigen Senflit/~t gehSrt, sich nicht einstellt, weft der Krankheitsproze$ mit dem Stop tier geistigen Ent- wieklung nicht nur den weiteren geistigen Aufbau verhindert hat, sondern damit auch die MSglichkeit des Abbaues im Riickbfldungsalter weit- gehend beschr/~nkt hat, der unter normalen Umst/~nden doch zun/~chst gerade den bezeichneten Aufbau e r g r e i f t - oder, um der Audrucks- weise C. Schneiders zu entsprechen, diejenigen Funkt ionen zun~ehst immer mehr ausschaltet, die sich erst im Laufe der Entwicklung ,,heraus- differenziert" bat ten.

Die Symptomenverb~inde, wie sie C. Schneider" sieht, sind, wie aus seinen Ausffihrungen hervorgeht, sozusagen pathologisch abgewandelte Funktionsverb/~nde. Diese wie jene schlieBen ,,immer Einzelfunktionen zusammen, die im Iqormalen wie in der pathologischen Entwicklung gemeinsam oder wenigstens ganz nahe benachbarte Wege gehen". Die , ,Funktionskoppelungen" t re ten ,,bereits w/~hrend der seelischen Ent- wieklung im Laufe des menschlichen Lebens irgendwie in Erscheinung". Funkt ion bedeutet n u n bekanntlieh allerlei. Von diesen verschiedenen Bedeutungen kommt in diesem Zusammenhang wohl nur die ,,biologische", und zwar im Sinne C. Schneiders, in Betracht. Nun erkl/~rt aber C. Schneider, dab es hinsichtlich der Eigentfimliehkeiten des gesunden Denkens (eigenartige Gliederung, Konstanz, Stetigkeit des Sinnkonti- nuums), die in ihrer pathologisehen Ver/~nderung die ,,pr/~gnantesten Einzelsymptome" der Symptomverb/s abgeben, keineswegs noch feststeht, sondern ,,noch strittig" ist, ob es sich um Merkmale von ver- schiedener biologischer Bedeutung handelt. Daraus ergibt sich, wie ich sagen mull, eine grolle Unsicherheit der Fundierung und ein so unfiber- sehbares Hin und Her der ganzen Beweisffihrung, dall, wie schon frfiher erw/~hnt, keine rechte Klarhei t dariiber zu gewinnen ist, was nach G. Schneiders Ansicht als erwiesen anzusehen ist und was nicht. Beialledem ist aber die Arbeit C. Schneiders fiber die schizophrenen Symptomen- verb/~nde doch zweifellos die interessanteste und wichtigste Neuerschei- hung auf dem Gebiete der Schizophrenielehre seit mindestens 10 Jahren. ~reflich enth~lt sie meines Erachtens in ihrer ~etzigen Form ebenso zweifellos weir mehr Probleme, welt mehr Behauptungen, deren Richtig- keit erst erwiesen werden mull, als endgfiltig feststehende Ergebnisse. Dall die ,,neue Hypothese" bereits, wie sie jetzt dasteht, die ,,heu- ristisehe Kl/~rung" eines Reihe von ,,bisher noch vSllig ungekl~rten"

0.82 Jofef Berze: Geschichtliches und Kritisches zur Theorie der Schizophrenie.

Tatsachen bedeutet, wie C. Schneider betont , sei nicht bestri t ten, obwohl wieder keineswegs erwiesen ist, dab es eine andere Kl~rung so maneher yon diesen Tatsachen nicht geben kSnne und im Grunde nur behaupte t werden kann, dal3 die Hypothese und die Tatsachen miteinander in Einklang stehen.

Fragen wir uns nun, was die neue Lehre C. Schneiders f(ir die Theorie der Sehizophrenie bedeutet, so ergibt sieh meines Eraehtens folgendes: Das Wesentliche an dieser Lehre ist nach C. Schneider in der ,,neuen Begriffsbildung" zu sehen, welche den , ,Zentralbegriff" der , ,Symptom- und Funkt ionsverb~nde" ergeben hat . Wenn da auch nach C. Schneiders eigenen Worten ,,noch viel Arbeit nStig sein wird, um jene Verfeinerung zu erreichen, welche erst als wahrhaf t getreuer Ausdruck der tats~ch- lichen natiirlichen Verhs gelten kann", darf, kann und wird doch die Theorie auch jetzt schon auf diesen Zentralbegriff mit Riicksicht nehmen. Von vornherein ist es aber ersichtlich, dab sieh aus der neuen Lehre weder ein Fiir noch ein Wider, wie immer gear te t die Theorie auch sein mag, ergeben kann. Sah sich die Theorie bis je tzt den einze]nen S y m p t o m e n gegenfibergestellt, so stiinde sie je tzt bei Anerkennung des Fundes C. Schneiders vor seinen Symptomenverb~nden. Das kann die Annahme einer best immten psychischen GrundstSrung an sich nicht im geringsten erschiittern. Nur h~tte es der Vert re ter was immer fiir einer Theorie in diesem Falle, weir ]eichter als bisher, wenn es ihm auf die Ableitunq der schizophrenen Symptome aus der yon ihm etwa an- genommenen GrundstSrung ankommt . H a t er n~mlich bisher die Auf- gabe gehabt, diese Ableitbarkeit fiir jedes einzeine Symptom nachzu- weisen, so miiBte bei Gtiltigkeit der neuen Lehre C. Schneiders, nach der j eder Verband ein Syncyt ium ist, das Herausgreifen eines Symptoms aus dem jeweils in Betracht kommenden Symptomenve rband bzw. Komplex yon Symptomenverb~nden und der Nachweis seiner Ableitbar- keit im Grunde gentigen. Ich hal te es fiir hSchstwahrscheinlich, dab zu diesem Zwecke jeder gerade die , ,pr~gnantesten Einze lsymptome" in] Sinne C. Schneiders ws wiirde, also den , ,Gedankenentzug", die , ,Sprunghaftigkeit", das , ,Faseln". Ich h~tte es, als ich reich vor 28 J ah ren mit der Ableitung der sehizophrenen Symptome aus der Bewu[3tseinshypertonie eingehender befaBte, gewil3 getan, h~t te ieh damals auf die Richtigkeit einer Lehre nach Ar t der neuen Lehre C. Schneiders bauen kSnnen. Daft jedes der drei genannten pr~gnantes ten S y m p t o m e aus der Bewul3tseinshypertonie ablei tbar ist, erscheint mir n~mlich nicht im geringsten zweifelhaft. Mit dem Hinweise darauf h~t te ich mir so manche Schwierigkeit ersparen kSnnen, der ich - - nach der Meinung C. Schneiders - - bei der Ablei tung nicht gerade weniger sehizophrener Symptome aus der Bewul3tseinshypotonie begegnet bin. Denn, vorausgesetzt dab C. Schr~eiders Liste der Symptome vollst~ndig ist, miiflte sieh ein jedes beliebige andere schizophrene S y m p t o m in einem oder dem anderen sei:mr Symptomenverb~nde finden lassen.