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LEITLINIENORIENTIERTE PATIENTENINFORMATIONEN ZUR SCHIZOPHRENIE In Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) Auf Basis einer Textvorlage des National Institute of Mental Health (NIMH)

Patientenleitlinie Schizophrenie

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Page 1: Patientenleitlinie Schizophrenie

LEITLINIENORIENTIERTEPATIENTENINFORMATIONEN

ZUR SCHIZOPHRENIE

In Abstimmung mit derDeutschen Gesellschaft für Psychiatrie,

Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)

Auf Basis einer Textvorlage desNational Institute of Mental Health (NIMH)

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Gültigkeitsvermerk

Stand: April 2001

Diese Patienteninformationen werden regelmäßig aktualisiertbei Vorliegen neuer medizinischer Erkenntnisse

Impressum

Redaktionelle Überarbeitung:Ralph Menke

Gesamtredaktion:Prof. Dr. W. GaebelReferat Qualitätssicherung der DGPPN

Klinik und Poliklinik fürPsychiatrie und Psychotherapieder Heinrich-Heine-UniversitätRheinische Kliniken DüsseldorfPostfach 12 05 1040605 Düsseldorf

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Gliederung

1. Was ist Schizophrenie?

Schizophrenie als KrankheitDie DiagnoseDie Wahrnehmung eines Schizophrenie-Kranken

§ Gestörte Sinneswahrnehmung§ Halluzinationen und Illusionen§ Wahnvorstellungen§ Beeinträchtigung des Denkvermögens§ Gefühlsäußerungen§ Normal oder Anomal

Häufig gestellte Fragen zur Schizophrenie§ Können Kinder an Schizophrenie erkranken?§ Wie groß ist die mögliche Gefährdung durch Suizid?§ Neigen Menschen mit Schizophrenie zu Gewalt?

2. Die Ursachen der Schizophrenie

Kann Schizophrenie vererbt werden?Wird Schizophrenie durch Veränderungen im Gehirn verursacht?

3. Die Behandlung der Schizophrenie

Wie sieht die medikamentöse Behandlung aus?Wie lange sollten Menschen mit Schizophrenie Antipsychotika nehmen?Welche Nebenwirkungen können auftreten?Medikamentöse Behandlung und DrogenMöglichkeiten der psychosozialen Behandlung

§ Rehabilitation§ Individuelle Psychotherapie§ Angehörigenarbeit§ Selbsthilfegruppen

4. Möglichkeiten der Unterstützung durch Angehörige und andere

5. Wie verläuft die Schizophrenie?

6. Weiterführende Informationen

Adressen / Links zu weiteren Angeboten

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1. Was ist Schizophrenie?

Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, die in vielen Fällen chronisch verlaufen und

zu Beeinträchtigungen im Alltagsleben führen kann. In der Bundesrepublik erkranken etwa

800.000 Menschen - das sind nahezu ein Prozent der Bevölkerung - im Laufe ihres Lebens

an Schizophrenie. Obwohl Schizophrenie bei Männern wie Frauen mit gleicher Häufigkeit

auftritt, erkranken Männern häufig früher - normalerweise mit etwa zwanzig Jahren -, wäh-

rend die Erkrankung bei Frauen gewöhnlich erst zwischen dem zwanzigsten und dreißig-

sten Lebensjahr auftritt. Menschen, die an Schizophrenie leiden, erleben häufig beunruhi-

gende Symptome: Sie hören Stimmen, die außer ihnen niemand wahrnimmt, oder glauben,

dass andere Personen ihre Gedanken lesen, sie kontrollieren oder ihnen etwas anhaben

wollen. Derartige Symptome führen oft dazu, dass diese Menschen sich zurückziehen und

Angst vor ihren Mitmenschen haben. Ihre Art zu sprechen und ihr Verhalten sind unter Um-

ständen so verändert, dass sie auf andere unverständlich oder bedrohlich wirken können.

Die Behandlungsmöglichkeiten, die derzeit zur Verfügung stehen, können viele Auswirkun-

gen lindern, doch einige Betroffene behalten ihr Leben lang eine Reihe von Symptomen

zurück; Schätzungen zufolge kann etwa bei einem von fünf Patienten ein vollständiger

Rückgang der Krankheitssymptome erreicht werden.

Heutzutage gibt es jedoch auch Behandlungsmöglichkeiten für diese Menschen und ihre

Familien. Die Forschung entwickelt schrittweise neue und sicherere Medikamente und un-

tersucht das komplexe Ursachengeflecht der Erkrankung. Wissenschaftler nutzen vielfältige

Ansätze von der Molekulargenetik bis hin zu Bevölkerungsstudien, um die Schizophrenie zu

erforschen. Methoden aus der Hirnforschung, mit deren Hilfe man in der Lage ist, das

menschliche Gehirn in seiner Struktur und Funktion abzubilden und zu untersuchen, ver-

sprechen neue Einblicke in die Erkrankung.

Schizophrenie als Krankheit

Schizophrenie ist weltweit verbreitet. Ausmaß und Schwere der Symptome sowie das lang-

jährige chronische Muster der Erkrankung führen oftmals zu einer außerordentlichen Be-

einträchtigung des Patienten. Medikamente und andere Formen der Behandlung können

bei regelmäßiger und verschreibungsgemäßer Anwendung dazu beitragen, die irritierenden

Symptome abzuschwächen und unter Kontrolle zu bekommen. Manchen Patienten jedoch

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helfen die bislang entwickelten Therapieformen nur sehr unzureichend, andere wiederum

brechen die Behandlung vorzeitig ab, aufgrund als unangenehm empfundener Nebenwir-

kungen oder anderer Gründe. Auch im Falle einer erfolgreichen Behandlung können lang-

fristige Auswirkungen der Krankheit - entgangene Lebensmöglichkeiten, Stigmatisierung,

Restsymptome und Nebenwirkungen der Medikation - mitunter sehr störend sein.

Erste Anzeichen für Schizophrenie zeigen sich oftmals in irritierenden oder sogar schockie-

renden Verhaltensänderungen. Besonders für nahe Angehörige kann es sehr schwer sein,

mit den Symptomen der Schizophrenie umzugehen - in dem Bewußtsein, wie interessiert

oder temperamentvoll die betroffene Person war, bevor sie krank wurde. Der plötzliche

Ausbruch schwerer psychotischer Symptome wird als „akute psychotische“ Phase der Schi-

zophrenie bezeichnet. Sie ist gekennzeichnet durch psychische Beeinträchtigungen, die mit

Halluzinationen - also Störungen der Sinneswahrnehmung -, und/oder Wahnvorstellungen

einhergehen, das heißt falschen, aber unbeirrbaren persönlichen Überzeugungen, die aus

dem Unvermögen herrühren, reale von nicht-realen Erlebnissen zu unterscheiden. Weniger

auffällige Symptome wie soziale Abkapselung oder auch ungewöhnliches Sprechen, Den-

ken oder Verhalten können den akuten Symptomen vorangehen, zeitgleich mit ihnen auf-

treten oder ihnen folgen.

Manche dieser Menschen haben in ihrem Leben vielleicht nur eine einzige akute psychoti-

sche Episode; andere durchleben mehrere solcher Episoden, können aber zwischendurch

ein relativ normales Leben führen. Doch der Mensch mit „chronischer“ Schizophrenie - oder

einem stetigen oder wiederkehrenden Krankheitsmuster - findet oftmals nicht zu einem

normalen Funktionsniveau zurück und benötigt im typischen Fall eine langfristige, zumeist

auch medikamentöse Behandlung, um die Symptome kontrollieren zu können.

Die Diagnose

Beim Auftreten von Symptome einer Schizophrenie ist es von großer Bedeutung, daß durch

einen Arzt zunächst das Vorliegen möglicher anderer Erkrankungen ausgeschlossen wird -

denn manchmal zeigen Patienten schwere psychische Symptome, die auf andere Krank-

heitsbilder zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, die Krank-

heitsgeschichte zu erheben und eine körperliche Untersuchung sowie Labortests vorzu-

nehmen, um mögliche andere Ursachen für die Symptome auszuschließen, bevor die Dia-

gnose Schizophrenie gestellt wird. Da zudem Drogenmissbrauch Symptome hervorrufen

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kann, die denen der Schizophrenie ähneln, können Blut- oder Urinproben des Erkrankten

im Krankenhaus oder beim Hausarzt auf diese Drogen hin untersucht werden.

Bisweilen ist es zudem schwierig, psychische Störungen voneinander abzugrenzen. So

haben beispielsweise manche Menschen mit Symptomen einer Schizophrenie längere Pha-

sen von extremer Hochstimmung oder extremer Niedergeschlagenheit; und es ist wichtig zu

unterscheiden, ob ein solcher Patient tatsächlich an Schizophrenie leidet, oder ob nicht

vielmehr eine manisch-depressive (bipolare) bzw. eine hauptsächlich depressive Störung

vorliegt. Bei Personen, deren Symptome nicht eindeutig in dieser Weise zugeordnet werden

können, wird zuweilen auch eine „schizoaffektive Störung“ diagnostiziert.

Die Wahrnehmung eines Schizophrenie-Kranken

Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht kann Schizophrenie nicht als gleichbedeutend mit

„Persönlichkeitsspaltung“ angesehen werden. Die Welt der Schizophrenie-Kranken ist viel-

mehr in der Regel durch folgende Phänomene gekennzeichnet:

§ Gestörte Sinneswahrnehmung

Menschen mit Schizophrenie haben unter Umständen eine Wahrnehmung der Realität, die

ganz anders ausfällt als die Wirklichkeit, wie sie von ihren übrigen Mitmenschen gesehen

und geteilt wird. Bedingt durch die Tatsache, dass sie in einer durch Halluzinationen und

Wahnvorstellungen verzerrten Welt leben, sind sie oft verängstigt, befangen und verwirrt.

Aufgrund der außergewöhnlichen Bilder der Wirklichkeit, die sie erfahren, können sie ein

sehr wechselhaftes Verhalten an den Tag legen. Manchmal können sie entrückt, distanziert

oder in sich versunken erscheinen, sie sitzen vielleicht stundenlang wie versteinert da, ohne

sich zu bewegen oder zu sprechen. Dann wiederum gibt es Phasen, in denen sie voller

Betriebsamkeit, ständig in Bewegung sind, und auf andere hellwach, konzentriert und auf-

merksam wirken.

§ Halluzinationen und Illusionen

Halluzinationen und Illusionen sind Wahrnehmungsstörungen, die häufig bei Menschen

auftreten, die an Schizophrenie leiden. Bei Halluzinationen handelt es sich um Wahrneh-

mungen, die ohne Verbindung zu einer entsprechenden Reizquelle zustande kommen. Ob-

schon Halluzinationen alle Sinne des Menschen betreffen können - den Gehör-, Gesichts-,

Tast-, Geschmacks- und Geruchssinn -, ist das Hören von Stimmen, die für andere nicht

wahrnehmbar sind, doch die verbreitetste Halluzination bei Schizophrenen. In der Wahr-

nehmung des Patienten können diese Stimmen beispielsweise seine Aktivitäten kommen-

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tieren, eine Unterhaltung fortsetzen, vor drohenden Gefahren warnen oder ihm sogar Be-

fehle erteilen. Demgegenüber spricht man von Illusionen, wenn ein Sinnesreiz zwar vorliegt,

aber falsch gedeutet wird.

§ Wahnvorstellungen

Mit dem Begriff Wahnvorstellungen werden offenkundig falsche persönliche Überzeugun-

gen bezeichnet, die nicht durch Überlegung beeinflusst oder mit etwaigen Gegenbeweisen

entlarvt werden können, und die nicht durch die in einer Ge-

sellschaft herrschenden Kulturvorstellungen erklärbar sind.

Wahnvorstellungen können ganz unterschiedlich ausfallen:

Beispielsweise leiden Patienten mit sogenannten paranoiden

Symptomen - etwa ein Drittel aller Schizophrenie-Erkrankten -

oft unter Verfolgungswahn oder leben in dem falschen und

irrationalen Wahn, sie würden getäuscht, gequält, vergiftet

oder man habe sich gegen sie verschworen. Diese Patienten

glauben zuweilen, sie selbst, ein Angehöriger oder ein

Freund seien Ziel dieser Verfolgung. Darüberhinaus können

im Rahmen der Schizophrenie auch Fälle von Größenwahn

auftreten. Darunter versteht man die Vorstellung, er oder sie

sei eine berühmte oder bedeutende Gestalt. Im Einzelfall können die Wahnvorstellungen

von Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, für die Mitmenschen recht bizarr er-

scheinen. So kann der Erkrankte der festen Überzeugung sein, ein Nachbar kontrolliere

sein Verhalten mit magnetischen Wellen, oder Menschen am Fernsehbildschirm ließen ihm

besondere Nachrichten zukommen, oder dass seine eigenen Gedanken an andere laut

ausgesendet werden.

§ Beeinträchtigung des Denkvermögens

Schizophrenie wirkt sich bei den Betroffenen häufig auf ihre Fähigkeit aus, „klar zu denken“.

Gedanken wechseln unter Umständen Schlag auf Schlag, vielfach kann sich der erkrankte

Mensch nicht über einen längeren Zeitraum auf einen Gedanken konzentrieren und lässt

sich leicht ablenken, weil er außerstande ist, seine Aufmerksamkeit zu bündeln.

Es kommt vor, dass Menschen mit Schizophrenie nicht unterscheiden können, welche Din-

ge für eine Situation von Bedeutung sind und welche nicht. Dem Einzelnen gelingt es oft-

mals nicht, Gedanken logisch miteinander zu verknüpfen, so dass seine Gedankengänge

unsystematisch und bruchstückhaft bleiben. Diese Beeinträchtigung der Kontinuität logi-

Selbstbildnis eines schizophrenerkrankten Künstlers

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schen Denkens, die als „Denkstörung“ bezeichnet wird, erschwert anderen Menschen die

Unterhaltung mit dem Kranken und befördert seine soziale Isolierung. Wenn Menschen

nicht verstehen können, was der andere sagt, empfinden sie dies schnell als unangenehm

und neigen dazu, jeglichen Kontakt mit dieser Person zu meiden.

§ Gefühlsäußerungen

Personen mit Schizophrenie zeigen oft „abgestumpft“ oder „oberflächlich“ erscheinende

Emotionen. Ein solches Verhalten hat seine Ursache in einer schwerwiegenden Beein-

trächtigung der emotionalen Ausdrucksfähigkeit. Es kommt durchaus vor, dass ein Mensch,

der an Schizophrenie leidet, keinerlei Anzeichen normaler Gefühlsregung zeigt - das heißt

er spricht möglicherweise sehr monoton, zeigt kaum Mimik und wirkt äußerst apathisch. Er

wird dazu neigen, sich aus dem sozialen Leben zurückzuziehen und den Kontakt zu seinen

Mitmenschen zu meiden; und sobald er gezwungen ist, in Interaktion zu anderen zu treten,

kann es geschehen, dass er nichts zu erzählen hat, worin sich eine Art „erschöpftes Den-

ken“ widerspiegelt. Ein derartiges Verhalten kann im Einzelfall mit einer allgemeinen An-

triebsarmut einhergehen, verbunden mit stark eingeschränktem Interesse oder Freude am

Leben. In einigen schweren Fällen können Betroffene ganze Tage verstreichen lassen, oh-

ne das Geringste zu tun, und vernachlässigen dabei sogar die notwendigste Hygiene. Es ist

wichtig, diese Beeinträchtigungen von Gefühlsausdruck und Motivation, die auf Familien-

mitglieder und Freunde sehr belastend wirken können, als Symptome der Schizophrenie zu

begreifen - sie sind keinesfalls Charakterfehler oder persönliche Schwächen.

§ Normal oder Anomal

Es kommt oft genug vor, dass auch gesunde Menschen in ähnlicher Weise fühlen, denken

oder sich verhalten, wie Schizophrene es tun. Auch sie sind ab und zu nicht mehr in der

Lage, „klar zu denken“. So haben viele Menschen beispielsweise extreme Angstgefühle,

wenn sie vor einer größeren Gruppe sprechen sollen; sie reagieren irritiert, fühlen sich au-

ßerstande, ihre Gedanken beisammen zu halten und können sich nicht erinnern, was sie

eigentlich sagen wollten. Natürlich spricht man in solchen Fällen nicht von Schizophrenie.

Auf der anderen Seite verhalten sich schizophren Erkrankte auch nicht immer anomal.

Vielmehr machen sie in manchen Situationen einen ganz normalen und zuverlässigen Ein-

druck, selbst wenn sie Halluzinationen oder Wahnvorstellungen erleben. Das Verhalten des

Einzelnen kann sich zuweilen mit der Zeit verändern; es kann bizarr ausfallen, wenn die

medikamentöse Behandlung unterbrochen wird, sich aber auch im Bereich des Normalen

bewegen, wenn eine entsprechende Behandlung erfolgt.

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Häufig gestellte Fragen zur Schizophrenie

§ Können Kinder an Schizophrenie erkranken?

Kinder über fünf Jahren können grundsätzlich Schizophrenie entwickeln, doch ist dies vor

der Pubertät ausgesprochen selten der Fall. Obwohl manche Menschen, die später an

Schizophrenie erkrankt sind, vielleicht schon als Kinder in mancherlei Hinsicht anders als

ihre Altersgenossen wirkten, treten die psychotischen Symptome der Schizophrenie - Hallu-

zinationen und Wahnvorstellungen - äußerst selten vor dem Erwachsenwerden auf.

§ Wie groß ist die mögliche Gefährdung durch Suizid?

Bei Menschen, die an Schizophrenie leiden, besteht eine große Suizidgefahr. Dementspre-

chend ist die Suizidrate dieser Gruppe im Vergleich mit der übrigen Bevölkerung deutlich

erhöht: Annähernd zehn Prozent aller Menschen mit Schizophrenie (insbesondere jüngere

Männer) begehen Suizid. Leider lässt sich bei Menschen, die an Schizophrenie erkrankt

sind, nur sehr schwer eine Suizidprognose erstellen. Daher sollte sobald jemand einen Ver-

such unternimmt, Suizid zu begehen, oder auch nur damit droht, unverzüglich professio-

nelle Hilfe aufgesucht werden.

§ Neigen Menschen mit Schizophrenie zu Gewalt?

Nachrichten und Unterhaltungsmedien neigen dazu, psychische Erkrankungen mit krimi-

neller Gewalt in Verbindung zu bringen; entsprechende Untersuchungen lassen jedoch

darauf schließen, dass - abgesehen von Personen, die bereits vor dem Ausbruch der

Krankheit für Gewalttätigkeiten bekannt waren, und solchen, die Drogen oder Alkohol miss-

brauchen - Menschen mit Schizophrenie im allgemeinen nicht auffallend zu Gewalt neigen.

Die meisten Schizophrenen zeichnen sich nicht durch Gewaltbereitschaft aus; im typischen

Fall sind sie lieber für sich und zeigen sich eher verschlossen. Um es mit einem Satz zu

sagen: Die meisten Gewaltverbrechen werden nicht von Schizophrenen begangen, und die

meisten Schizophrenen begehen keine Gewaltverbrechen. Wie bei Menschen ohne psychi-

sche Erkrankung kann jedoch Drogenmissbrauch die Gewaltrate bei Schizophrenie-

Kranken beträchtlich erhöhen. Auch Personen mit akuten paranoiden und psychotischen

Symptomen, welche sich verschlimmern können, wenn die medikamentöse Behandlung

unterbrochen wird, können in höherem Maße zu gewalttätigem Verhalten neigen. Sofern es

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zu Gewalttätigkeiten kommt, spielen sie sich zumeist in den eigenen vier Wänden ab und

richten sich größtenteils gegen Familienmitglieder und Freunde.

2. Die Ursachen der Schizophrenie

Es ist keine Ursache bekannt, die für sich genommen Schizophrenie auslöst. Viele der weit

verbreiteten Erkrankungen, wie zum Beispiel Herzkrankheiten, ergeben sich erst aus einem

Zusammenspiel genetischer, verhaltensbezogener sowie weiterer Faktoren. Auch bei der

Schizophrenie ist dies vermutlich der Fall. Die Wissenschaftler sind sich noch nicht über alle

Faktoren im klaren, die zusammenwirken müssen, um Schizophrenie auszulösen, doch es

werden derzeit die unterschiedlichen Möglichkeiten der biomedizinischen Forschung dazu

benutzt, nach Genen, kritischen Momenten in der Gehirnentwicklung und anderen Faktoren

zu suchen, die Aufschluss über die Krankheitsentstehung geben könnten.

Kann Schizophrenie vererbt werden?

Es ist seit langem bekannt, dass Schizophrenie familiär gehäuft auftreten kann. Bei Men-

schen, die eng mit jemandem verwandt sind, der an Schizophrenie leidet, entwickelt sich

diese Erkrankung möglicherweise eher als bei Personen, in deren Familie diese Erkrankung

bislang nicht aufgetreten ist. Ein eineiiger Zwilling eines Schizophrenen hat dementspre-

chend die höchste Wahrscheinlichkeit, ebenfalls zu erkranken - sie liegt bei 40 bis 50 Pro-

zent. Ein Kind, bei dem ein Elternteil an Schizophrenie leidet, erkrankt mit einer Wahr-

scheinlichkeit von etwa zehn Prozent. Im Vergleich dazu beträgt das Risiko für die allge-

meine Bevölkerung ungefähr ein Prozent.

Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Erforschung der genetischen Faktoren, die Schi-

zophrenie begünstigen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind verschiedene Gene daran betei-

ligt, eine individuelle Veranlagung für diese Erkrankung zu schaffen. Weiterhin beeinflussen

offenbar Faktoren wie das Auftreten von Krisen während der Schwangerschaft - beispiels-

weise mangelnde Versorgung innerhalb der Gebärmutter, Virusinfektionen oder Komplika-

tionen bei der Entbindung - sowie weitere unspezifische Stressfaktoren die Entstehung ei-

ner Schizophrenie. Es ist jedoch bislang noch ungeklärt, wie eine genetische Veranlagung

vererbt wird, und es kann auch nicht mit Bestimmtheit vorhergesagt werden, ob eine be-

stimmter Mensch an Schizophrenie erkranken wird oder nicht.

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Mehrere Regionen des menschlichen Genoms - d.h. seiner genetischen Struktur - werden

derzeit erforscht, in der Hoffnung, die Gene zu identifizieren, die eine Anfälligkeit für Schi-

zophrenie übertragen könnten. Diese Identifikation bestimmter Gene, die an der Entwick-

lung von Schizophrenie beteiligt sind, wird bedeutende Hinweise auf die Frage geben, wel-

che Vorgänge im Gehirn fehl laufen, damit die Krankheit überhaupt entsteht und bestehen

bleibt, und sie wird die Entwicklung neuer und besserer Behandlungsformen entscheidend

beeinflussen. Um mehr über das genetische Material im Hinblick auf Schizophrenie zu er-

fahren, werden darüberhinaus in großem Umfang Daten gesammelt über Familien, in de-

nen es ein an Schizophrenie erkrankter Mensch lebt.

Wird Schizophrenie durch Veränderungen im Gehirn verursacht?

Das Grundwissen über chemische Prozesse im Gehirn verbessert sich beständig. Lange

Zeit wurde angenommen, dass Neurotransmitter - Substanzen, die die Kommunikation zwi-

schen Nervenzellen ermöglichen - an der Entwicklung von Schizophrenie beteiligt sind.

Mittlerweile geht man davon aus, dass die Krankheit abhängt von einem Ungleichgewicht

der komplexen, in sich zusammenhängenden chemischen Systeme des Gehirns, und dass

möglicherweise die Neurotransmitter Dopamin und Glutamat dafür verantwortlich sind. Die-

ses Forschungsgebiet verspricht einiges für die Zukunft.

Fortschritte in der Sichtbarmachung der im Gehirn ablaufenden Prozesse erlauben es zu-

dem, Struktur und Funktion des Gehirns auch an lebenden Personen zu untersuchen. Sol-

che Untersuchungen haben bei schizophrenen Personen Veränderungen sowohl der Ge-

hirnstruktur (bzw. Vergrößerungen oder Verkleinerungen bestimmter Gehirnregionen) als

auch der Gehirnfunktion (bspw. eine verminderte Stoffwechseltätigkeit in bestimmten Ge-

hirnregionen) festgestellt. Es ist jedoch notwendig zu betonen, dass diese Veränderungen

minimal sind und ebenso wenig bei allen Schizophrenen vorliegen, wie sie ausschließlich

bei diesen Menschen auftreten. Mikroskopische Untersuchungen von Hirngewebe, das

Menschen mit Schizophrenie nach dem Tode entnommen wurde, haben kleine Verände-

rungen in Verteilung oder Anzahl der Gehirnzellen gezeigt. Anscheinend liegen viele (aber

wahrscheinlich nicht alle) dieser Veränderungen bereits vor der Erkrankung der Person vor,

so dass Schizophrenie zumindest zum Teil eine Störung der Gehirnentwicklung sein könn-

te.

Untersuchungen haben gezeigt, dass Schizophrenie möglicherweise eine Entwicklungsstö-

rung sein könnte, die sich während der fötalen - d.h. vorgeburtlichen - Entwicklung vollzieht,

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und zwar in der Weise, dass Nervenzellen Fehlverbindungen miteinander eingehen. Es ist

möglich, dass diese Phänomene erst in der Pubertät in Erscheinung treten, sobald be-

stimmte während dieser entscheidenden Reifephase normale Veränderungen im Gehirn

und die genannten Fehlverbindungen ungünstig aufeinander einwirken. Es wird verstärkt

daran gearbeitet, Faktoren während der Schwangerschaft zu identifizieren, die einen Ein-

fluss auf diese offenkundige Entwicklungsstörung haben könnten.

3. Wie wird die Krankheit behandelt?

Da man annimmt, dass die Schizophrenie nicht nur ein einziges Verlaufsbild aufweist, und

die vielfältigen Ursachen noch nicht vollständig bekannt sind, liegen den gängigen Be-

handlungsmethoden klinische Forschungs- und Erfahrungswerte zugrunde. Diese thera-

peutischen Methoden werden vom Arzt deshalb gewählt, weil sie in der Lage sind, die

Symptome der Schizophrenie abzuschwächen und die Wahrscheinlichkeit zu verringern,

dass sie wiederkehren.

Wie sieht die medikamentöse Behandlung aus?

Sogenannte Antipsychotika gibt es seit Mitte der 50er Jahre. Ihre Entwicklung hat die Aus-

sichten für den einzelnen Patienten erheblich verbessert. Diese Medikamente lindern die

psychotischen Symptome der Schizophrenie und ermöglichen dem Patienten im allgemei-

nen eine bessere und angemessenere Lebensqualität. Antipsychotika sind momentan die

besten Behandlungsmittel, doch sie sind nicht in allen Fällen in der Lage, Schizophrenie zu

„heilen“ oder sicherzustellen, dass keine weiteren psychotischen Episoden eintreten. Wahl

und Dosierung dieser Mittel können nur durch einen qualifizierten Arzt, der in der medika-

mentösen Behandlung psychischer Störungen entsprechend ausgebildet ist, bestimmt wer-

den. So ist beispielsweise die angemessene Dosierung von Patient zu Patient durchaus

verschieden, denn jeder Mensch benötigt eine unterschiedlich große Menge an Wirkstoff,

um Symptome zu reduzieren ohne dass störende Nebenwirkungen auftreten.

Bei den allermeisten Erkrankten zeigt sich eine beträchtliche Besserung, wenn sie mit An-

tipsychotika behandelt werden. Es gibt jedoch bestimmte Patienten, für die diese Mittel

kaum eine Hilfe sind, und nur einige wenige sind offenbar in der Lage, ganz ohne sie aus-

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zukommen. Es ist schwierig, im Vorhinein festzustellen, welche Patienten zu den letztge-

nannten beiden Gruppen gehören und sie von der großen Mehrheit der Patienten zu unter-

scheiden, denen die Behandlung mit Antipsychotika gut tut.

Mittlerweile sind eine Reihe neuer Antipsychotika - die sogenannten „atypischen Neurolepti-

ka“ - entwickelt worden. Das erste von ihnen, Clozapin (Leponex®), hat sich als wirksamer

als andere Antipsychotika erwiesen, obschon eine gewisse Möglichkeit ernstzunehmender

Nebenwirkungen besteht - vor allem eine Veränderung des Blutbildes, die Agranulozytose

genannt wird (d.h. eine Verminderung der weißen Blutkörperchen, die Entzündungen be-

kämpfen). Clozapin darf in Deutschland nur unter besonderen Bedingungen angewandt

werden, und die Patienten müssen sich einer regelmäßigen Blutentnahme unterziehen.

Neuere Antipsychotika wie Amisulprid (Solian®), Olanzapin (Zyprexa®), Quetiapin (Sero-

quel®), Risperidon (Risperdal®), Sertindol (Serdolect®; derzeit nicht mehr im Handel verfüg-

bar), Ziprasidon (Zeldox®; noch nicht im Handel verfügbar), oder Zotepin (Nipolept®), sind

besser verträglich. Es scheint, dass sie eine vergleichbar gute Wirkung besitzen wie Cloza-

pin. Weitere Antipsychotika sind derzeit in der Entwicklung.

Antipsychotika zeichnen sich in der Regel durch eine starke Wirksamkeit in Hinblick auf

einzelne Symptome der Schizophrenie aus - namentlich bei Halluzinationen und Wahnvor-

stellungen; leider zeigen sie bei anderen Symptomen wie Antriebslosigkeit und reduzierter

emotionaler Ausdrucksfähigkeit nicht immer den erhofften Effekt. Im Gegenteil können eini-

ge der älteren Antipsychotika („Neuroleptika“), wie z.B. Haloperidol (Haldol®), im Einzelfall

Nebenwirkungen hervorrufen, die diesen schwieriger zu behandelnden Symptomen ähnlich

sind. Häufig vermag jedoch eine Verringerung der Dosis oder die Umstellung auf ein ande-

res Medikament diese Nebenwirkungen abzumildern; neuere Mittel rufen vergleichbare Wir-

kungen offenbar seltener hervor. Wenn Menschen mit Schizophrenie depressiv werden,

scheinen sich manchmal zusätzliche Symptome zu verschlimmern. Depressive Symptome

können sich bei einer Zugabe von Antidepressiva bessern.

Patienten und ihre Familien stehen den Antipsychotika, die zur Behandlung der Schizo-

phrenie angewandt werden, bisweilen kritisch gegenüber. Zu ihrer Sorge um Nebenwirkun-

gen gesellt sich die Befürchtung, dass diese Mittel zu Abhängigkeit führen könnten. Diese

Befürchtungen sind jedoch grundlos - die Anwendung von Antipsychotika kann weder

Rauschzustände (Euphorie) noch Suchtverhalten auslösen.

Außerdem ist in Zusammenhang mit den Antipsychotika die irrtümliche Annahme verbreitet,

dass sie wie eine Art Bewusstseinskontrolle oder „chemische Zwangsjacke“ wirken. An-

tipsychotika, die in einer angemessenen Dosis verabreicht werden, setzen Menschen nicht

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„außer Gefecht“ oder rauben ihnen den freien Willen. Die beschriebenen Mittel können

durchaus eine gewisse beruhigende Wirkung besitzen, die besonders am Anfang einer Be-

handlung hilfreich sein kann, wenn ein Patient sehr erregt ist, doch der Nutzen dieser Medi-

kamente liegt nicht vorrangig in der beruhigenden Wirkung, sondern in ihrer Fähigkeit, Hal-

luzinationen, Erregung, Verwirrung und Wahnvorstellungen einer psychotischen Episode zu

verringern. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Antipsychotika einem Menschen

gerade den rationaleren und eigenständigen Umgang mit der Welt ermöglichen sollen.

Wie lange sollten Menschen mit Schizophrenie Antipsychotika nehmen?

Antipsychotika vermindern bei Patienten, die sich von einer Akutphase erholt haben, das

Risiko zukünftiger psychotischer Phasen. Auch bei fortgesetzter Medikation - d.h. bei Ein-

nahme von Medikamenten - erleiden einige von ihnen Rückfälle; der Anteil derer, die einen

Rückfall erleiden, ist jedoch weitaus höher, wenn die Medikation unterbrochen wird. In an-

deren Fällen können Rückfälle durch die medikamentöse Behandlung zwar ebenfalls nicht

verhindert werden, man ist aber in der Lage, deren Intensität und Häufigkeit zu reduzieren.

Generell läßt sich zudem sagen, dass zur Behandlung schwerer psychotischer Symptome

höhere Dosen erforderlich sind, als lediglich zur Erhaltung eingesetzt werden. Wenn Sym-

ptome bei niedrigerer Dosierung wieder auftreten, kann eine vorübergehende Erhöhung der

Dosis einen vollständigen Rückfall verhindern.

Da ein Rückfall wahrscheinlicher ist, wenn Antipsychotika nicht mehr oder nur unregelmäßig

eingenommen werden, ist es ausgesprochen wichtig, dass Menschen, die an Schizophrenie

erkrankt sind, mit Ärzten und Angehörigen zusammenarbeiten, um sich an das vereinbarte

Behandlungskonzept zu halten. Mit Einhaltung des Behandlungskonzepts - auch Complian-

ce genannt - ist hier der Grad gemeint, in dem Patienten den ärztlichen Anweisungen fol-

gen. Sie betrifft die Einnahme der verschriebenen Medikamente in richtiger Dosierung und

zum richtigen Zeitpunkt, die Wahrnehmung von Terminen in der Arztpraxis bzw. im Kran-

kenhaus, und/oder die sorgsame Befolgung anderer Therapiemaßnahmen. Für Menschen

mit Schizophrenie ist es oft schwierig, sich an die Behandlung zu halten, doch auch hier

gibt es Hilfe in Form unterschiedlicher Strategien, sodass eine verbesserte Lebensqualität

für den Patienten und die Beachtung der ärztlichen Weisungen durchaus vereinbar ist.

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum Menschen mit Schizophrenie sich nicht an

die Behandlung halten. Manche Patienten betrachten sich selbst nicht als krank und erken-

nen nicht die Notwendigkeit einer Medikation, andere leiden unter derartigen Denkstörun-

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gen betroffen, dass sie vergessen, ihre täglichen Medikamente zu nehmen. Auf der ande-

ren Seite kann es auch sein, dass Familienmitglieder oder Freunde die Krankheit Schizo-

phrenie nicht richtig verstehen und der betroffenen Person den falschen Rat geben, mit der

Behandlung aufzuhören, sobald der- oder diejenige sich besser fühlt. Drittens mag es im

Einzelfall vorkommen, dass der Arzt, der in der Regel eine maßgebliche Rolle bei der Un-

terstützung seiner Patienten in der Behandlungscompliance spielen kann, die Frage nach

der Häufigkeit der Medikamenteneinnahme an seine Patienten vernachlässigt hat, oder

nicht darauf eingeht, wenn ein Patient ihn um eine andere Dosierung oder eine andere Be-

handlungsform bittet. Viertens gibt es vereinzelt Patienten, die die Erfahrung berichten,

dass die Nebenwirkungen der Medikamente in ihrem Fall schlimmer seien als die Krankheit

selbst. Des weiteren kann Drogenmissbrauch die Wirksamkeit der Behandlung beeinträch-

tigen, indem er Menschen dazu verleitet, ihre Medikamente abzusetzen. Wenn nun noch

ein kompliziertes Behandlungskonzept zu einem der genannten Faktoren hinzukommt,

kann dessen Einhaltung zu einer erheblichen Anforderung für Patient und Angehörige wer-

den.

Zum Glück gibt es viele Strategien, die Patient, Arzt und Familie nutzen können, um die

Einhaltung der Behandlung zu gewährleisten und einer Verschlimmerung der Erkrankung

vorzubeugen. Einige Antipsychotika, darunter Haloperidol (Haldol®), Fluphenazin (Lyogen®),

Perphenazin (Decentan®) und andere, können bspw. auch injiziert - d.h. gespritzt - werden,

und zwar mit Langzeitwirkung (Depotspritzen), so dass die tägliche Tabletteneinnahme

entfällt. Ein Hauptanliegen der derzeitigen Schizophrenieforschung besteht darin, ein breite-

res Spektrum an Antipsychotika mit einer solchen Langzeitwirkung zu entwickeln, die

ebenfalls als Injektion verabreicht werden können, insbesondere in Form der neueren Wirk-

stoffe mit den geringeren Nebenwirkungen. Medikamentenkalender oder Tablettendöschen,

die mit den Wochentagen etikettiert sind, können Patienten und Pflegepersonal eine Erin-

nerungsstütze sein, wann Medikamente genommen wurden und in welchen Fällen noch

nicht. Elektronische Einnahmehilfen, die Signale abgeben, sobald die Medikamentenein-

nahme fällig ist, oder auch die regelmäßige Einnahme der Medikamente zu den Mahlzeiten

können Patienten darin unterstützen, an ihren Arzneiplan zu denken und ihn zu befolgen.

Die Bitte an Familienmitglieder, auf die Medikamenteneinnahme des Betroffenen zu achten,

kann ebenfalls zur Einhaltung des Behandlungskonzepts beitragen. Außerdem sind Ärzte

mit Hilfe verschiedener weiterer Testmethoden in der Lage festzustellen, ob die Einnahme

der Tabletten ein Problem für ihre Patienten darstellt, so dass sie gemeinsam mit ihnen eine

leichtere Einhaltung der medikamentösen Behandlung erarbeiten können. Es ist von we-

sentlicher Bedeutung, Patienten zu motivieren, ihre Medikamente regelmäßig und ver-

schreibungsgemäß einzunehmen.

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Zusätzlich zu diesen Strategien besteht ein wichtiger Teil des Behandlungsprozesses darin,

Patient und Familie über Schizophrenie, ihre Symptome und die zur Behandlung der Er-

krankung verschriebenen Medikamente sowie ergänzende Behandlungsformen aufzuklä-

ren, um so eine Grundlage für die Einsicht in die Notwendigkeit einer sorgfältigen Einhal-

tung des Behandlungskonzepts zu schaffen.

Welche Nebenwirkungen können auftreten?

Antipsychotika haben wie nahezu alle Medikamente neben ihren heilenden Wirkungen auch

sogenannte Nebenwirkungen. Zu Beginn der medikamentösen Behandlung kann es vor-

kommen, dass Patienten über Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, Unruhe, Muskelzucken,

Zittern, trockenen Mund oder Sehstörungen klagen. Die meisten dieser Nebenwirkungen

lassen sich durch eine Reduzierung der Dosis oder durch die ergänzende Verabreichung

anderer Medikamente in den Griff bekommen. Jeder Patient kann auf die Behandlung mit

Antipsychotika unterschiedlich reagieren und andere Nebenwirkungen entwickeln. Aller Er-

fahrung nach wird der eine besser mit diesem Medikament zurechtkommen, der andere

eher mit jenem.

Mögliche langfristige Nebenwirkungen von Antipsychotika stellen für den Patienten unter

Umständen ein weitaus ernsteres Problem dar. Sogenante Spät- oder tardive Dyskinesien

(TD) sind eine Störung, die sich in unfreiwilligen Bewegungen des Patienten äußert und

hauptsächlich Mund, Lippen oder Zunge und bisweilen auch den Rumpf oder andere Kör-

perteile wie Arme und Beine befällt. Sie tritt bei etwa 15 bis 20 Prozent derjenigen Patienten

auf, die die älteren „typischen“ Antipsychotika über Jahre hinweg eingenommen haben, sie

kann jedoch auch bei kürzerer Einnahme vorkommen. In den meisten Fällen sind die Sym-

ptome der tardiven Dyskinesie recht mild, bei einem Teil bilden sie sich wieder zurück, und

der Patient ist sich ihrer möglicherweise gar nicht bewusst.

Die Antipsychotika, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, bergen in geringerem Ma-

ße die Gefahr, tardive Dyskinesie auszulösen als die älteren Antipsychotika. Doch auch ihre

Anwendung ist mit einem gewissen Restrisiko verbunden, und sie können bestimmte Ne-

benwirkungen, wie zum Beispiel Gewichtszunahme, hervorrufen. Weiterhin führen auch die

neueren Mittel - bei zu hoher Dosierung - mitunter zu Problemen wie sozialem Rückzug

oder zu Symptomen, die der Parkinsonschen Krankheit ähneln, einer Störung, die das Be-

wegungsvermögen beeinträchtigt. Dennoch markieren die neueren Antipsychotika einen

Page 17: Patientenleitlinie Schizophrenie

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wichtigen Fortschritt gegenüber bisherigen Behandlungsmöglichkeiten, und die Bedingun-

gen ihrer optimalen Anwendung bei Menschen mit Schizophrenie sind ein aktueller For-

schungsgegenstand.

Medikamentöse Behandlung und Drogen

Offenkundiger Drogenmissbrauch gibt Familien und Freunden von Menschen mit Schizo-

phrenie häufig Anlass zur Sorge. Da Menschen, die missbräuchlich Drogen einnehmen,

mitunter Symptome zeigen, die denen der Schizophrenie nicht unähnlich sind, wird tatsäch-

lich an Schizophrenie Erkrankten manchmal unterstellt, sie stünden unter Drogeneinfluss.

Es kann offenbar davon ausgegangen werden, dass Drogenmissbrauch zwar als Auslöser

für Schizophrenie nicht in Betracht kommt, jedoch benutzen viele, die an Schizophrenie

erkrankt sind, Alkohol und/oder Drogen in missbräuchlicher Weise mit der Folge einer unter

Umständen ausgesprochen heftigen Reaktion auf bestimmte Rauschmittel. Drogenmiss-

brauch kann die Wirksamkeit der Behandlung einer Schizophrenie nachhaltig negativ be-

einträchtigen. Stimulantien (wie Amphetamine oder Kokain) können ebenso ernstzuneh-

mende Probleme bei Patienten mit Schizophrenie hervorrufen wie PCP oder Marihuana: So

verschlimmern sich bei einigen Erkrankten unter Drogeneinfluss die schizophrenen Sym-

ptome. Durch Drogenmissbrauch verringert sich zudem aller Erfahrung nach die Wahr-

scheinlichkeit, dass Patienten das Behandlungskonzept befolgen, das die Ärzte ihnen

empfohlen haben.

Hier ist auch die Nikotinabhängigkeit durch Rauchen mit anzuführen. Während etwa 25 bis

30 Prozent der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung rauchen, liegt die entsprechende

Quote bei Menschen mit Schizophrenie annähernd dreimal so hoch. Forschungen haben

gezeigt, dass die Beziehung zwischen Rauchen und Schizophrenie sehr komplex ist. Ob-

wohl manche Menschen, die an Schizophrenie leiden, teilweise in der Absicht rauchen, die

Symptome ihrer Erkrankung selbst zu behandeln, hat sich gezeigt, dass sie auf der ande-

ren Seite nicht mehr so gut auf die verordneten Antipsychotika ansprechen. Mehrere Studi-

en haben nämlich belegt, dass die Raucher unter den Schizophrenie-Patienten höhere Do-

sen an Antipsychotika benötigen als die Nichtraucher. Für Menschen mit Schizophrenie

mag es besonders schwer sein, das Rauchen aufzugeben, denn es ist nicht auszuschlie-

ßen, dass der Nikotinentzug zu einer vorübergehenden Verschlimmerung der Schizophre-

nie-Symptome führt. Doch Entzugsstrategien, die einen Nikotinersatz sicherstellen, können

hier zum Erfolg führen. Der behandelnde Arzt sollte daher die Arzneidosen sorgsam über-

Page 18: Patientenleitlinie Schizophrenie

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wachen und vor allem reagieren, wenn Patienten mit Schizophrenie mit dem Rauchen be-

ginnen oder damit aufhören.

Möglichkeiten der psychosozialen Behandlung

Es hat sich erwiesen, dass Antipsychotika die beschriebenen psychotischen Symptome der

Schizophrenie - Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Denkstörungen - entscheidend

verringern, jedoch die Verhaltensauffälligkeiten, die im Rahmen der Störung auftreten, nicht

in gleicher Weise zu mildern vermögen. Selbst wenn Patienten mit Schizophrenie weitge-

hend frei sind von psychotischen Symptomen, haben viele doch Schwierigkeiten mit Kom-

munikation, Motivation und Selbstversorgung, und sie können nur schwer soziale Bezie-

hungen zu anderen aufbauen oder aufrechterhalten. Da Patienten mit Schizophrenie ge-

häuft in den entscheidenden Jahren der Schul- und Berufsausbildung erkranken (zwischen

15 und 35), ist es eher unwahrscheinlich, dass sie ihre Berufsausbildung zu diesem Zeit-

punkt bereits abgeschlossen haben. Folglich haben viele von ihnen nicht nur mit Beein-

trächtigungen ihres Denkens und Fühlens, sondern auch mit mangelnden sozialen und be-

ruflichen Fähigkeiten und den damit verbundenen negativen Erfahrungen zu kämpfen.

Gerade in diesem Bereich psychologischer, sozialer und beruflicher Probleme können psy-

chosoziale Maßnahmen am meisten bewirken. Während psychosoziale Methoden bei akut

psychotischen Patienten (denen, die den Bezug zur Realität verloren haben oder an aus-

geprägten Halluzinationen oder Wahnvorstellungen leiden) nur bedingt in Frage kommen,

können sie bei Patienten mit geringerer Symptomatik oder solchen, deren psychotische

Symptome unter Kontrolle sind, durchaus Erfolg haben. Es gibt viele Formen psychosozia-

ler Therapie für Menschen mit Schizophrenie; die meisten konzentrieren sich darauf, das

Sozialverhalten des Patienten zu fördern - ob im Krankenhaus oder in der Gemeinschaft,

zuhause oder bei der Arbeit. Einige dieser Methoden werden im Folgenden beschrieben.

Die Verfügbarkeit dieser unterschiedlichen Behandlungsformen sollte jeweils vor Ort erfragt

werden.

§ Rehabilitation

Im weitesten Sinne umfasst die Rehabilitation eine ganze Reihe nichtmedizinischer Maß-

nahmen für Menschen mit Schizophrenie. Rehabilitationsprogramme setzen sich zum Ziel,

das soziale Verhalten und das Verhalten im Beruf zu schulen, um Patienten bei Schwierig-

keiten in diesen Bereichen zu helfen. Sie beinhalten Berufsberatung oder Weiterbildung,

vermitteln Problemlösungsstrategien, den Umgang mit Geld oder die Benutzung öffentlicher

Page 19: Patientenleitlinie Schizophrenie

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Verkehrsmittel und üben soziale Fähigkeiten ein. Solche Maßnahmen sind für den Erfolg

der gemeinschaftsorientierten Behandlung von Schizophrenie sehr wichtig, denn sie geben

entlassenen Patienten Fähigkeiten an die Hand, ein produktives Leben außerhalb der

schützenden Mauern einer psychiatrischen Klinik zu führen. Übergangswohnheime oder die

ambulanten Angebote des Betreuten Wohnens unterstützen bei der Wiedererlangung einer

selbständigen Lebensführung. Eine ganze Reihe von Angeboten unterstützt bei der Wie-

dereingliederung des Erkrankten in das Berufs- und Arbeitsleben.

§ Individuelle Psychotherapie

Individuelle Psychotherapie beinhaltet regelmäßige Gespräche zwischen dem Patienten

und professionell mit psychisch Kranken befassten Personen, wie Psychiatern und Psy-

chologen. Diese Sitzungen können sich beispielsweise mit aktuellen oder vergangenen

Problemen, Erfahrungen, Gedanken, Empfindungen oder Beziehungen beschäftigen. In-

dem Menschen mit Schizophrenie ihre Erfahrungen mit einer entsprechend ausgebildeten -

außerhalb ihrer eigenen Welt stehenden - Person ansprechen, gelangen sie allmählich zu

einem besseren Verständnis ihrer selbst und ihrer Probleme. Sie können auch lernen, die

tatsächliche von der imaginären und verzerrten Realität zu unterscheiden. Neuere Studien

zeigen, dass solche unterstützenden, realitätsorientierten, individuellen Psychotherapien

und kognitiv-verhaltensbezogenen Ansätze, die dem Einzelnen zeigen, wie er zurechtkom-

men und Probleme angehen kann, vor allem für Patienten in ambulanter Behandlung von

großem Nutzen sein können. Dennoch kann die Psychotherapie kein Ersatz für die Medika-

tion mit Antipsychotika sein, und sie wird am besten eingesetzt, nachdem die medikamen-

töse Behandlung die akuten psychotischen Symptome beim Patienten erst einmal gelindert

hat.

§ Angehörigenarbeit

In vielen Fällen werden Patienten mit Schizophrenie nach dem Klinikaufenthalt in die Obhut

ihrer Familie entlassen. Daher ist es wichtig, dass die Angehörigen möglichst umfassende

Informationen über Schizophrenie erhalten und so die Schwierigkeiten und Probleme, die

die Krankheit mit sich bringt, verstehen können. Es kann für sie ebenfalls eine große Hilfe

sein, zu lernen, wie sie die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls möglichst gering halten kön-

nen - zum Beispiel indem sie verschiedene Strategien zur Einhaltung der Behandlung be-

folgen -, und die verschiedenen Angebote kennenzulernen, die dem Patienten und der Fa-

milie nach dem Klinikaufenthalt offenstehen. Eine „Psychoedukation“ der Familienmitglie-

der, die ihnen zeigt, wie sie am besten mit der Erkrankung zurechtkommen und auftretende

Probleme lösen können, hilft ihnen womöglich, effektiver mit dem erkrankten Angehörigen

Page 20: Patientenleitlinie Schizophrenie

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umzugehen, so dass sich dadurch auch für den Patienten eine bessere Entwicklung erge-

ben kann.

§ Selbsthilfegruppen

Selbsthilfegruppen für Menschen und Angehörige, die mit Schizophrenie zu tun haben,

werden immer geläufiger. Obwohl sie nicht unter der Leitung eines Therapeuten stehen,

können sie eine therapeutische Wirkung für die Teilnehmer in dem Sinne entfalten, dass

die Mitglieder sich immer wieder gegenseitig Unterstützung und Trost spenden durch das

Wissen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Selbst-

hilfegruppen können auch weitere wichtige Zwecke erfüllen:

Familien haben, wenn sie sich zusammenschließen, die Mög-

lichkeit, nachdrücklicher als Fürsprecher notwendiger For-

schung und dringender Programme in Klinik und sozialer Absi-

cherung aufzutreten. Patienten, die als Gruppe statt als Ein-

zelperson handeln, sind unter Umständen eher in der Lage,

Stigmatisierung abzubauen und die Öffentlichkeit auf Miß-

stände aufmerksam zu machen, wie bspw. die Diskriminierung

psychisch kranker Menschen.

Diese Gruppen - Familiengruppen, Gruppen für Betroffene oder öffentlichkeitswirksame

Initiativen - sind sehr aktiv und versorgen Patienten mit Schizophrenie oder anderen psychi-

schen Störungen sowie deren Angehörige mit nützlichen Informationen oder Hilfe. Eine

Liste einiger dieser Organisationen findet sich am Ende dieser Informationen.

4. Möglichkeiten der Unterstützung durch Angehörige und andere

Die Unterstützung eines Patienten kann von unterschiedlichen Seiten kommen - von der

Familie, von Tageskliniken oder Wohnheimen, von Kontakt- und Beratungsstellen, von

Freunden und Zimmergenossen, von qualifizierten Sozialarbeitern, von Kirchen, usw. Da

viele der Patienten innerhalb ihrer Familien leben, wird im folgenden hauptsächlich der Be-

griff „Familie“ verwandt. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass die Familie notwendigerweise

das Hauptunterstützungssystem darstellen sollte.

Das weltweite Antistigma-Programm:eine Aktion gegen Stigma und Dis-kriminierung schizophren erkrankterMenschen(Bitte als Link einfügen)

Page 21: Patientenleitlinie Schizophrenie

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Es gibt viele Situationen, in denen Menschen mit Schizophrenie die Hilfe der Familie oder

der Allgemeinheit brauchen. Oft wehrt sich eine Person, die an Schizophrenie erkrankt ist,

gegen eine Behandlung, weil sie ihre Wahnvorstellungen und Halluzinationen für Realität

hält, und der Ansicht ist, keinerlei psychiatrische Hilfe zu benötigen. Manchmal müssen

Familie oder Freunde sehr energisch werden, damit diese Menschen sich von einem Fach-

arzt untersuchen und beurteilen lassen. Bei allen Versuchen, eine Behandlung zu erwirken,

kommt zudem die Frage der persönlichen Rechte mit ins Spiel. Die Gesetze, die Patienten

vor unfreiwilliger Einweisung in eine Klinik schützen, sind sehr streng gefasst, und für Fami-

lien und Organisationen kann es bisweilen sehr mühevoll sein, sich darum zu bemühen,

dass eine Person mit schwerer psychischer Erkrankung die erforderliche Hilfe erhält. Diese

Gesetze sind von Bundesland zu Bundesland verschieden; doch im allgemeinen kann -

sofern Menschen aufgrund einer psychischen Störung eine Gefahr für sich selbst oder für

andere darstellen - im Notfall auch die Polizei eine psychiatrische Untersuchung oder gege-

benenfalls eine Einweisung in die Klinik unterstützen. Mancherorts kann der erkrankte

Mensch auch zuhause durch Mitarbeiter des örtlichen Sozialpsychiatrischen Dienstes (beim

Gesundheitsamt) aufgesucht werden, wenn er oder sie nicht gewillt ist, von sich aus in ein

Krankenhaus zu gehen.

Es kommt durchaus vor, dass sich nur die Familie oder andere nahestehende Personen

des merkwürdigen Verhaltens und der Ideen bewusst sind, die eine Person mit Schizophre-

nie zum Ausdruck bringt. Da Patienten manchmal diese Informationen bei einer Untersu-

chung nicht von sich aus preisgeben, sollten Familienmitglieder oder Freunde um ein Ge-

spräch mit der Person bitten, die den Patienten untersucht, so dass sämtliche Informationen

angemessen berücksichtigt werden können.

Außerdem ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass eine Person mit Schizophrenie auch im An-

schluss an einen Krankenhausaufenthalt in Behandlung bleibt. Es kann ansonsten vor-

kommen, dass Patienten die Einnahme ihrer Medikamente unterbrechen oder Behand-

lungstermine nicht mehr einhalten, was oftmals zu einer Wiederkehr der psychotischen

Symptome führt. Zur Erleichterung des Übergangs in die anschließende, u.U. längerfristige

Betreuung durch den niedergelassenen Arzt steht heute eine Reihe zusätzlicher Angebote

zur Verfügung, wie die sogenannte teilstationäre Betreuung des Erkrankten in einer Tages-

klinik, oder die ambulante Behandlung in einer Psychiatrischen Institutsambulanz, die es

bereits an vielen psychiatrischen Fachkrankenhäusern oder Fachabteilungen gibt, und die

auch für Notfälle zur Verfügung stehen können.

Page 22: Patientenleitlinie Schizophrenie

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Die Genesung kann positiv beeinflusst werden, indem man den Patienten zur Fortsetzung

der Behandlung ermutigt oder ihn oder sie im Behandlungsverlauf unterstützt. Ohne ent-

sprechende Behandlung werden manche Menschen mit Schizophrenie derart psychotisch

und verwirrt, dass sie nicht einmal mehr in der Lage sind, für ihre Grundbedürfnisse wie

Essen, Kleidung oder Unterkunft zu sorgen. Oft genug landen Menschen mit schweren

psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie auf der Straße oder im Gefängnis, wo sie nur

selten die Art der Behandlung erhalten, die sie benötigen.

Menschen, die jemandem mit Schizophrenie nahe stehen, sind oft nicht sicher, wie sie sich

verhalten sollen, wenn der- oder diejenige Aussagen trifft, die sonderbar erscheinen oder

definitiv falsch sind. Dem Betroffenen kommen die bizarren Überzeugungen oder Halluzi-

nationen tatsächlich wahr vor - es sind nicht einfach „frei erfundene Phantasien“. Anstatt mit

diesen Wahnvorstellungen „überein zu stimmen“, können Angehörige oder Freunde der

erkrankten Person durchaus zum Ausdruck bringen, dass sie die Dinge anders sehen oder

mit seinen bzw. ihren Schlussfolgerungen nicht übereinstimmen, doch sie sollten dem Pati-

enten zugestehen, dass er die Welt womöglich anders wahrnimmt als sie.

Es kann für die Menschen, die eine Person mit Schizophrenie gut kennen, ebenfalls sehr

hilfreich sein, eine Liste zu führen, und zwar über die aufgetretenen Symptome, die einge-

nommenen Medikamente samt Dosierung und die Auswirkungen, die mit unterschiedlichen

Behandlungen einhergegangen sind. In dem Wissen über bisherige Symptome können

Familienmitglieder vielleicht besser abschätzen, womit sie in Zukunft rechnen müssen. Sie

sind unter Umständen sogar eher und früher als der Patient selbst in der Lage, „Frühwarn-

zeichen“ für potentielle Rückfälle, wie stärkere Abkapselung oder Veränderungen des

Schlafrhythmus, zu erkennen. So kann eine mögliche Wiederkehr der Psychose früh ent-

deckt und durch eine sofortige Behandlung ein vollständiger Rückfall womöglich abgewen-

det werden. Durch das Wissen, welche Medikamente in der Vergangenheit geholfen und

welche wiederum störende Nebenwirkungen hervorgerufen haben, vermag die Familie auch

den Ärzten dabei zu helfen, möglichst schnell eine optimal abgestimmte Behandlung zu

finden.

Zusätzlich zu ihrem Engagement, geeignete Hilfe zu finden, können Angehörige, Freunde

und Betroffenengruppen auch Unterstützung bieten, indem sie den Menschen mit Schizo-

phrenie dazu ermutigen, seine früheren Fähigkeiten wiederzuerlangen. Es ist jedoch von

Bedeutung, dass die gesteckten Ziele auch erreichbar sind - denn ein Patient, der sich un-

ter Druck gesetzt fühlt und/oder wiederholt von anderen kritisiert wird, gerät in eine Streß-

situation, die womöglich nur zu einer Verschlimmerung der Symptome führt. Wie jeder an-

Page 23: Patientenleitlinie Schizophrenie

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dere brauchen auch Menschen mit Schizophrenie Bestätigung und Lob. Eine positive Her-

angehensweise kann hilfreich und auf Dauer vielleicht auch wirkungsvoller sein als Kritik.

Dieser Rat richtet sich an jeden, der mit einem an Schizophrenie erkrankten Menschen zu

tun hat.

5. Wie entwickelt sich die Schizophrenie?

Die Aussichten für Menschen mit Schizophrenie haben sich in den letzten 25 Jahren grund-

sätzlich verbessert. Obwohl es noch keine rundum wirksame Therapie gibt, sollte man sich

doch vor Augen führen, dass viele Menschen nach der Erkrankung sich soweit erholen,

dass sie ein unabhängiges und zufriedenstellendes Leben führen können. In dem Maße, in

dem wir unser Wissen über die Ursachen und die Behandlung von Schizophrenie vergrö-

ßern, sollte auch mehr Patienten zu erfolgreichen Entwicklungen verholfen werden können.

Studien, die Menschen mit Schizophrenie über Jahre beobachtet haben - vom Beginn der

ersten Erkrankung bis ins hohe Alter -, belegen, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Ent-

wicklungen möglich ist. Nach der Untersu-

chung großer Patientengruppen konnten be-

stimmte Faktoren mit einem eher günstigeren

Verlauf in Zusammenhang gebracht werden,

so zum Beispiel ein normales soziales, Schul-

und Arbeitsleben vor der Krankheit. Der heu-

tige Wissensstand lässt jedoch noch keine

umfassenden Voraussagen über die langfri-

stige Entwicklung zu.

Vor dem Hintergrund der Komplexität der

Schizophrenie kann den dringlichsten Fragen

über diese Erkrankung - Ursachen, Vor-

beugung, Behandlung - nur mit intensiver

Forschung begegnet werden. Der Einzelne sollte sich vor denjenigen in acht nehmen, die

„die Heilung“ (oder „die Ursache“) der Schizophrenie anzubieten meinen. Solche Behaup-

tungen können unrealistische Erwartungen wecken, die, wenn sie sich nicht erfüllen, zu

noch größerer Enttäuschung führen. Obschon es Fortschritte in der Aufklärung über Schi-

Typische Verläufe schizophrener Psychosen

Page 24: Patientenleitlinie Schizophrenie

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zophrenie und ihre Behandlung gibt, ist weitere Forschung dringend erforderlich. Man geht

davon aus, dass breit angelegte Forschungsbemühungen, angefangen bei der Molekular-

genetik bis hin zu epidemiologischen Bevölkerungsstudien, künftig die Prozesse und Prinzi-

pien aufklären werden, die wichtig sind, um die Ursachen der Schizophrenie zu verstehen

und wirksamere Behandlungsformen zu entwickeln.

6. Weiterführende Adressen und Links

§ Kompetenznetz Schizophrenie

(mit weiteren Informationen, Hinweisen und Links)

(http://www.kompetenznetz-schizophrenie.de)

§ Antistigma-Verein ‚open the doors e.V.‘

(http://www.schizophrenie-openthedoors.de)

§ Link zur Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie

und Nervenheilkunde (DGPPN)

(http://www.dgppn.de)

§ Aktion Psychisch Kranke (APK)

Brungsgasse 4-6, 53117 Bonn

Tel.: (0228) 676740/41

Fax (0228) 676742

E-Mail: [email protected]

§ Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BApK)

Thomas-Mann-Straße 49a, 53111 Bonn

Tel.: (0228) 632646

Fax: (0228) 658063

E-Mail: [email protected]

(http://www.psychiatrie.de/bapk/Default.htm)

§ Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen (BPE)

Thomas-Mann-Str. 49a, 53111 Bonn

Tel.: (0228) 632646

Fax: (0228) 658063

http://www.bpe.berlinet.de