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ZEITLUPE 4/2021 45 GESUNDHEIT 44 ZEITLUPE 4/2021 Schwindel und Gangunsicherheit werden oft als Begleiterscheinungen des Alterns hingenommen. Dagegen lässt sich jedoch einiges ausrichten: unter anderem mit physiotherapeutischen Übungen. TEXT: ROLAND GRÜTER D ie menschliche Anato- mie ist ein Wunder der Natur. Hinter scheinbar einfachsten Körper- funktionen wirkt ein fein justiertes Räderwerk. Ein typisches Beispiel dafür ist der Gleichgewichts- sinn. Die Augen und die Sensoren in den Gelenken respektive in der Haut liefern unentwegt Informationen ans Gehirn. Auch die drei Bogengänge des Innen- ohrs beteiligen sich am ständigen Dia- log. Sie funktionieren wie eine Wasser- waage und vermessen nonstop unsere Stellung und Position im Raum. Die Denkzentrale ordnet die Signale und sorgt dafür, dass uns Muskeln und Bän- der unbeschadet durchs Leben tragen. Selbst bei gesunden Menschen wer- den die Sinnesorgane im Alter jedoch schwächer – Sensoren, Innenohr und Augen liefern ihre Informationen lang- samer, ungenauer oder lückenhaft ans Gehirn. Die Denkzentrale kann die Signale nicht mehr zu einem stimmigen Wenn die Welt wankt © plainpicture Krankheiten zurückzuführen. Oft ge- nug sind auch Medikamente daran be- teiligt, allen voran Schlaf- und Beruhi- gungsmittel. Das einzig Gute daran: Kann eine Ursache bestimmt werden, ist Schwindel in der Regel gut behan- delbar. Dazu zählt auch der Lagerungs- schwindel. Dieser geht auf Ohrstein- chen (Otolithen) zurück, die sich im Innenohr lösen, durch die Bogengänge des Innenohrs schweben und die dort ansässigen Flimmerhärchen derart ir- ritieren, bis sich die Welt um die Betrof- fenen wild zu drehen beginnt. Wird die Lage der kristallinen Steinchen durch ein mechanisches Manöver verändert, nimmt der Schwindel ab oder stoppt gänzlich. Problem behoben. Bei rund 56 Prozent aller von Schwindel Betroffenen bleibt aber erst unklar, welche Faktoren deren Welten ins Wanken bringen – hier ist die Su- che nach Ursachen und Lösungen komplizierter. Die Leidensgeschichten, die Patientinnen und Patienten mit unspezifischem Schwindel erleiden, sind denn auch meist beeindruckend lang. Viele finden irgendwann in die Reha nach Rheinfelden AG. Dort lei- tet Prof. Dr. med. Thierry Ettlin eines der schweizweit wichtigsten Schweizer Kompetenzzentren, in dem Neurolo- ginnen, Physiotherapeuten etc. inter- disziplinär zusammenarbeiten. Nach erfolgten Abklärungen empfehlen sie Betroffenen ein präzis abgestimmtes physiotherapeutisches Programm. Da- rin werden Wahrnehmung, Sensorik Puzzle zusammenfügen. Die Folgen: Es kommt in der Verarbeitungskette zu Fehlleistungen und damit zu Schwin- delgefühlen aller Art. Zu den bekann- testen zählen Schwank- und Dreh- schwindel oder das Liftgefühl. Diese wiederum bewirken Übelkeit, Erbre- chen, Gangunsicherheit, Schweissaus- brüche, Seh- oder Hörstörungen. Rund 30 Prozent der über 65-Jäh- rigen sind davon betroffen – bei über 85-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 50 Prozent. Treten auch noch andere Erkrankungen auf, wird das verant- wortliche System zusätzlich belastet und damit Schwindel begünstigt. Denn Schwindel ist keine eigentliche Krank- heit, sondern immer «bloss» ein Sym- ptom, das auf eine zugrunde liegende Krankheit hindeutet. Rund die Hälfte der auftretenden Schwindelerscheinungen, unter denen ältere Menschen leiden, sind erklärbar – und unter anderem auf psychische Faktoren, neurologische oder andere Treten Schwindelbeschwerden akut und scheinbar unbegründet auf: sofort ins nächstgelegene «Stroke»- Zentrum gehen. Denn der Schwindel könnte auf einen Schlaganfall hinweisen, der sofortige Notfallmassnahmen erfordert. Für alle anderen Fälle gilt: sich festhalten, hinsetzen oder -legen, den Kopf stillhalten oder vorsichtig bewegen. Treten Schwindelerscheinungen regelmässig auf, sollte der Hausarzt kontaktiert werden. Kann dieser nicht weiter- helfen, wird dieser entsprechende Patientinnen und Patienten an Facheinrichtungen überweisen. Viele univer- sitäre Spitäler (etwa jene in Zürich, Bern oder Basel) haben interdisziplinäre Schwindelzentren eingerichtet, die allesamt ambulante Therapien anbieten. Die Reha Rhein- felden offeriert auch stationäre Behandlungen. Weitere Informationen finden Sie auf der Website reha-rheinfelden.ch oder unter Telefon 061 836 51 51. und Gleichgewichtssinn trainiert und damit allfällige systematische Schwä- chen behoben. Die Menschen lernen beispielsweise, Sinneswahrnehmun- gen wieder einzuordnen, den flattern- den Blick neu zu lenken. Und vor allem lernen sie zu verstehen, was ge- nau ihre Schwindelgefühle auslöst und wie sich diese allenfalls steuern lassen. «Das nimmt den Menschen die Angst und macht ihnen Schwindeler- scheinungen ein wenig erträglicher», so Thierry Ettlin. Entsprechende Programme dauern gut sechs Wochen. «Damit erzielen wir in vielen Fällen Verbesserungen», sagt Thierry Ettlin. Die Reha Rheinfelden bindet in ihren ambulanten Therapien oft auch externe Expertinnen und Ex- perten ein. Damit sich Betroffene den mitunter langen Weg nach Rheinfelden sparen und die gewonnene Zeit fürs Training nutzen können. Damit Schwin- delgeplagte und ihre wankenden Wel- ten schnellstmöglich wieder zur Ruhe kommen. Schwindel: Was tun?

GESUNDHEIT Wenn die Welt wankt - Reha Rheinfelden

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ZEITLUPE 4/2021 45

GESUNDHEIT

44 ZEITLUPE 4/2021

Schwindel und Gangunsicherheit werden oft als Begleiterscheinungen des Alterns hingenommen. Dagegen lässt sich jedoch einiges ausrichten: unter anderem mit physiotherapeutischen Übungen.TEXT: ROLAND GRÜTER

Die menschliche Anato­mie ist ein Wunder der Natur. Hinter scheinbar einfachsten Körper­funktionen wirkt ein

fein justiertes Räderwerk. Ein typisches Beispiel dafür ist der Gleichgewichts­sinn. Die Augen und die Sensoren in den Gelenken respektive in der Haut liefern unentwegt Informationen ans Gehirn. Auch die drei Bogengänge des Innen­ohrs beteiligen sich am ständigen Dia­log. Sie funktionieren wie eine Wasser­waage und vermessen nonstop unsere Stellung und Position im Raum. Die Denkzentrale ordnet die Signale und sorgt dafür, dass uns Muskeln und Bän­der unbeschadet durchs Leben tragen.

Selbst bei gesunden Menschen wer­den die Sinnesorgane im Alter jedoch schwächer – Sensoren, Innenohr und Augen liefern ihre Informationen lang­samer, ungenauer oder lückenhaft ans Gehirn. Die Denkzentrale kann die Signale nicht mehr zu einem stimmigen

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Krankheiten zurückzuführen. Oft ge­nug sind auch Medikamente daran be­teiligt, allen voran Schlaf­ und Beruhi­gungsmittel. Das einzig Gute daran: Kann eine Ursache bestimmt werden, ist Schwindel in der Regel gut behan­delbar. Dazu zählt auch der Lagerungs­schwindel. Dieser geht auf Ohrstein­chen (Otolithen) zurück, die sich im Innenohr lösen, durch die Bogengänge des Innenohrs schweben und die dort ansässigen Flimmerhärchen derart ir­ritieren, bis sich die Welt um die Betrof­fenen wild zu drehen beginnt. Wird die Lage der kristallinen Steinchen durch ein mechanisches Manöver verändert, nimmt der Schwindel ab oder stoppt gänzlich. Problem behoben.

Bei rund 56 Prozent aller von Schwindel Betroffenen bleibt aber erst unklar, welche Faktoren deren Welten ins Wanken bringen – hier ist die Su­che nach Ursachen und Lösungen komplizierter. Die Leidensgeschichten, die Patientinnen und Patienten mit

unspezifischem Schwindel erleiden, sind denn auch meist beeindruckend lang. Viele finden irgendwann in die Reha nach Rheinfelden AG. Dort lei­tet Prof. Dr. med. Thierry Ettlin eines der schweizweit wichtigsten Schweizer Kompetenzzentren, in dem Neurolo­ginnen, Physiotherapeuten etc. inter­disziplinär zusammenarbeiten. Nach erfolgten Abklärungen empfehlen sie Betroffenen ein präzis abgestimmtes physiotherapeutisches Programm. Da­rin werden Wahrnehmung, Sensorik

Puzzle zusammenfügen. Die Folgen: Es kommt in der Verarbeitungskette zu Fehlleistungen und damit zu Schwin­delgefühlen aller Art. Zu den bekann­testen zählen Schwank­ und Dreh­schwindel oder das Liftgefühl. Diese wiederum bewirken Übelkeit, Erbre­chen, Gangunsicherheit, Schweissaus­brüche, Seh­ oder Hörstörungen.

Rund 30 Prozent der über 65­Jäh­rigen sind davon betroffen – bei über 85­Jährigen liegt der Anteil sogar bei 50 Prozent. Treten auch noch andere Erkrankungen auf, wird das verant­wortliche System zusätzlich belastet und damit Schwindel begünstigt. Denn Schwindel ist keine eigentliche Krank­heit, sondern immer «bloss» ein Sym­ptom, das auf eine zugrunde liegende Krankheit hindeutet.

Rund die Hälfte der auftretenden Schwindelerscheinungen, unter denen ältere Menschen leiden, sind erklärbar – und unter anderem auf psychische Faktoren, neurologische oder andere

❱ Treten Schwindelbeschwerden akut und scheinbar unbegründet auf: sofort ins nächstgelegene «Stroke»- Zentrum gehen. Denn der Schwindel könnte auf einen Schlaganfall hinweisen, der sofortige Notfallmassnahmen erfordert. Für alle anderen Fälle gilt: sich festhalten, hinsetzen oder -legen, den Kopf stillhalten oder vorsichtig bewegen. ❱ Treten Schwindelerscheinungen regelmässig auf, sollte der Hausarzt kontaktiert werden. Kann dieser nicht weiter-

helfen, wird dieser entsprechende Patientinnen und Patienten an Facheinrichtungen überweisen. Viele univer-sitäre Spitäler (etwa jene in Zürich, Bern oder Basel) haben interdisziplinäre Schwindelzentren eingerichtet, die allesamt ambulante Therapien anbieten. Die Reha Rhein-felden offeriert auch stationäre Behandlungen. Weitere Informationen finden Sie auf der Website reha-rheinfelden.ch oder unter Telefon 061 836 51 51.

und Gleichgewichtssinn trainiert und damit allfällige systematische Schwä­chen behoben. Die Menschen lernen beispielsweise, Sinneswahrnehmun­gen wieder einzuordnen, den flattern­den Blick neu zu lenken. Und vor allem lernen sie zu verstehen, was ge­nau ihre Schwindelgefühle auslöst und wie sich diese allenfalls steuern lassen. «Das nimmt den Menschen die Angst und macht ihnen Schwindeler­scheinungen ein wenig erträglicher», so Thierry Ettlin.

Entsprechende Programme dauern gut sechs Wochen. «Damit erzielen wir in vielen Fällen Verbesserungen», sagt Thierry Ettlin. Die Reha Rhein felden bindet in ihren ambulanten Therapien oft auch externe Expertinnen und Ex­perten ein. Damit sich Betroffene den mitunter langen Weg nach Rheinfelden sparen und die gewonnene Zeit fürs Training nutzen können. Damit Schwin­delgeplagte und ihre wankenden Wel­ten schnellstmöglich wieder zur Ruhe kommen. ❋

Schwindel: Was tun?