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Die Information: Bericht und Meinung
76. DEUTSCHER ÄRZTETAG
Die Vorlage, die dem Plenum unter dem Titel „Gesundheits- und sozial-politische Vorstellungen der deut-schen Ärzteschaft" übergeben wur-de, ist ein Arbeitsergebnis. Samm-lung, Sichtung und Zusammenstel-lung sowie eine ausgiebige Diskus-sion über die wesentlichen Elemen-te dieser ärztlichen Vorstellungen waren Aufgabe von drei dafür zu-sammengesetzten und mehreren bereits bestehenden Ausschüssen der Bundesärztekammer. In den drei dafür gebildeten Ausschüssen konnte jede interessierte Organisa-tion aus dem Präsidium des Deut-schen Ärztetages mitarbeiten. Von dieser Möglichkeit haben auch die meisten Organisationen Gebrauch gemacht. In die Beratungen wur-den einbezogen:
• Die 122 Thesen für ein gesund-heitspolitisches Programm der deutschen Ärzteschaft, die der Hartmannbund in einer außeror-dentlichen Hauptversammlung am 1. Mai 1972 verabschiedet hatte,
• das Krankenhauspapier des Marburger Bundes aus dem Früh-jahr 1971, das dem Ärztetag 1971 in Mainz vorgelegen hatte,
• die Leitsätze zur Struktur der Krankenhäuser und ihres ärztlichen Dienstes, verabschiedet vom Deut-schen Ärztetag 1972 in Westerland,
• die Schrift des Berufsverbandes der praktischen Ärzte und Ärzte für
Allgemeinmedizin unter dem Titel „Gesundheitspolitische Tagesfra-gen" vom Mai 1973,
• die Schrift „Moderne Kranken-hausstrukturen", herausgegeben von der Strukturkommission der Deutschen Krankenhausgesell- schaft vom Mai 1973,
• die NAV-Studie zur Gesund-heitssicherung in der Bundesrepu-blik Deutschland vom 30. Juni 1973 und
• zahlreiche Stellungnahmen von interessierten Ärzten und Verbän-den zu Einzelfragen, für deren Zu-sendung ich im Namen der Aus-schüsse danken möchte.
In die Diskussion einbezogen wur-den auch Veröffentlichungen zahl-reicher nichtärztlicher Gruppen und Schriften einzelner Ärzte, die Aus-sagen der Bundesassistentenkon-ferenz in der Schrift „Medizin und Gesellschaft", die WSI-Studie, das gesundheitspolitische Programm des DGB von 1972, das Memoran-dum zur Weiterentwicklung der ge-setzlichen Krankenversicherung der DAG vom März 1973 und schließlich die programmatischen Äußerungen der politischen Partei-en sowie ihrer Untergruppen.
Selbstverständlich wurden sachver-ständige und konstruktive Anre-gungen aus dem gesamten Arbeits-material beraten und auf ihren Nut-
zen für die Gestaltung dieser Vor-lage hin geprüft. Dabei wurden Thesen und Programme, die mit einer Reform des Gesundheitswe-sens weniger Verbesserungen für die gesundheitliche Betreuung der Bevölkerung anstreben, sondern darin ein Mittel zur Wandlung der Gesellschaft erblicken, entspre-chend gewertet.
Im folgenden sollen die Grundsät-ze dargelegt werden, nach denen die gesundheits- und sozialpoliti-schen Vorstellungen in dieser Vor-lage zusammengefaßt wurden, und einige Schwerpunkte besonders hervorgehoben werden.
Die Rolle des Arztes in unserer Gesellschaft
Am Anfang standen Überlegungen zum Rollenverständnis des Arztes in unserer Gesellschaftsordnung. Hier war zu prüfen, inwieweit die gesetzlichen und vertraglichen Be-dingungen, unter denen die ärztli-che Berufsausübung in der Bun-desrepublik Deutschland erfolgt, sich mit den Aufgaben vertragen, die von Staat und Gesellschaft an die Ärzteschaft herangetragen wer-den, mit den Erwartungen, die die einzelnen Menschen in unserem Lande geggnüber den Ärzten he-gen, und mit den zeitlosen Ver-pflichtungen aller Ärzte in aller Welt und in allen Gesellschaftsfor-men.
Das Grundgesetz der Bundesrepu-blik Deutschland garantiert freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und Freiheit für Kunst, Wissenschaft und Lehre. Da-mit ist ganz allgemein das Recht zur Ausübung eines freien Berufes durch die Verfassung geschützt. Unter den Bedingungen eines so-zialen Rechtsstaates ist eine freie Gesellschaftsordnung entstanden, deren Bürger und gesellschaftliche Gruppen in gleicher Weise Rechts-sicherheit genießen.
Die Bundesärzteordnung als Bun- desgesetz nimmt eine Standort-
Gesundheits- und sozialpolitische Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft
Dr. med. Ernst-Eberhard Weinhold, Berichterstatter des zuständigen Ausschusses der Bundesärztekammer, zum Tagungsordnungspunkt 1 der Plenarsitzung des 76. Deutschen Ärztetages am 10. Oktober 1973 in München
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 25. Oktober 1973 2995
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bestimmung für den ärztlichen Be-ruf vor: „Der ärztliche Beruf dient der Gesundheit des einzelnen Men-schen und des gesamten Volkes.
Der ärztliche Beruf ist kein Gewer-be; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf." Damit ist für die Ge-sellschaftsordnung in der Bundes-republik Deutschland klargestellt, daß die Berufsausübung des Arz-tes in einer doppelten Verpflich-tung gesehen wird, nämlich in der gegenüber dem einzelnen Men-schen und in der gegenüber der Gemeinschaft, die hier mit dem Wort „Volk" bezeichnet wird.
Aus dieser doppelten Verpflichtung hat der Gesetzgeber die notwendi-ge Konsequenz gezogen und die freiberufliche Natur dieses Berufes ausdrücklich artikuliert. Man muß davon ausgehen, daß der Gesetz-geber in der Bundesärzteordnung bewußt eine Entscheidung gefällt hat, denn es waren ihm sowohl ver-staatlichte Systeme für die ärztli-che Versorgung bekannt als auch die heute wieder diskutierten marxistischen Gesellschaftstheo-rien.
Durchsichtige Absichten der „Systemkritiker"
Die wissenschaftliche Erkenntnis, daß der Mensch biologisch ein Ein-zelwesen ist, das eigene geistige, seelische und physische Kräfte ent-faltet und eigene Aktionen und Re-aktionen entwickelt, ist bisher un-widerlegt. Die verschiedenen Ge-sellschaftssysteme sind erdacht worden, um das menschliche Zu-sammenleben zu regeln. Jedes die-ser Systeme entfaltet seine Eigen-gesetzlichkeiten und enthält das Risiko für den einzelnen Menschen, mit ihm zu kollidieren. Wo eine ex-treme Anpassung an gesellschaft-liche Bedingungen gefordert wird, können diese zum Krankheitsfaktor werden; denn die Fähigkeit des ein-zelnen, sich anzupassen, ist be-grenzt. Die Vorstellung der marxi-stischen Heilslehre, daß die von ihr angestrebte Gesellschaftsordnung diesen Krankheitsfaktor eliminie-
Das hier im Wortlaut wiedergegebene Einleitungsreferat zu dem Thema, das diesen 76. Deutschen Ärztetag am 10. und 11. Oktober 1973 in München beherrschte: „Gesundheits- und sozial-politische Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft", hielt Dr. Ernst-Eberhard Weinhold, der den zuständigen Aus-schuß der Bundesärztekammer seit dem 75. Deutschen Ärztetag geleitet hatte
re, ist eine Utopie. Das hat sich in allen Versuchen, diese Vorstellun-gen zu realisieren, erwiesen.
Dessenungeachtet verfolgen auch in unserem Lande die Vorkämpfer für eine „Systemüberwindung" die Beseitigung des individuell-huma-nen Bollwerks der freiberuflich etablierten Ärzte, weil es ihnen bei der Errichtung eines lückenlosen Herrschaftssystems über die Men-schen im Wege ist. In beharrlicher Verfolgung dieses Zieles wird die herkömmliche Rolle des Arztes mit dialektischen Mitteln ihres mensch-lichen Bezugssystems entkleidet: Sie wird hingestellt als eine beson-ders raffinierte Form eigennütziger Ausbeutung und unkontrollierter Machtausübung gegenüber den
Schwächeren. Von einer Auflösung der Patient-Arzt-Beziehung, einer Versachlichung, wie so etwas ge-nannt wird, verspricht man sich, die individuellen Kräfte in Richtung einer Unterordnung unter das an-gestrebte Gesellschaftssystem zu. lenken und nicht — wie bisher — in Richtung einer persönlichen psy-chischen und physischen Rehabili-tation.
Fällt nämlich die Möglichkeit einer auf freier Arztwahl und persönli-chem Vertrauen beruhenden, durch öffentliches Ansehen gestützten Hilfe und Führung eines kranken Menschen fort, bleibt ihm nur noch die volle Unterwerfung unter das herrschende System als Überle-benschance. Die Unvereinbarkeit ideologischer Forderungen mit den Realitäten des menschlichen Le-bens ist Ursache einer ständigen Verwirrung. Diese wiederum ist ein typischer Ausdruck der Schwäche einer freiheitlichen Demokratie ge-genüber den dogmatischen Forde-rungen eines ideologisch fundier-ten Herrschaftsanspruches. So hat die Neigung der akademischen Ju-gend zum Theoretisieren und zum Überfordern der Menschen z. B. un-sere Hochschulen zu Stätten gera-dezu masochistischer Auseinander-setzungen gemacht.
Sachverständige Aussage der Ärzteschaft notwendig
Die Konfrontation mit solchen Ge-sellschaftstheorien erfordert auch eine sachverständige Aussage der deutschen Ärzteschaft:
> Auf Grund ihrer Kenntnis an-thropologischer Zusammenhänge und
1> ihrer praktischen Erfahrungen im Umgang mit Menschen und ih-rer sozialen Umgebung sowie
> auf Grund des Studiums verge-sellschafteter Systeme für die ärzt-liche Versorgung
mußte sie zu dem Ergebnis kom- men, daß auf die berufliche Unab-
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hängigkeit der Ärzte nicht verzichtet werden darf.
Der Arzt muß seinen Platz zur un-abhäng igen Entscheidung zwi-schen den gesellschaftl ichen Machtgruppen und dem einzelnen Menschen behalten . Sein Rollenverständnis muß die gesellschaftlichen Verhältnisse wohl als Grundlage erfassen, sie aber dennoch als Zeiterscheinung im historischen Sinne relativieren. Die Priorität seiner beruflichen Verpflichtung muß er in seiner Zuwendung zum einzelnen Menschen sehen. Alles, was seine Initiative in dieser Verpflichtung fördert und die Entfaltung seiner Kräfte unterstützt, kommt dem Engagement zugute, das der Mensch zur Auseinandersetzung mit sich selbst und mit den ihn bedrohenden Faktoren braucht. Die Möglichkeiten und Erfolge seiner Bemühungen sind ohnehin durch die gesellschaftlichen und individuellen Gegebenheit begrenzt. ln diesem Spannungsfeld muß der Arzt sich zurechtfinden , in immer neuen Variationen , geleitet von zeitlosen ethischen Normen zur Erhaltung der Humanität in der angewandten Medizin.
Die ärztliche Selbstverwaltung Ist kein Privileg
Die Forderung der Ärzteschaft nach Erhaltung ihrer körperschaftlichen Selbstverwaltung dient in erster Linie dem Schutz einer möglichst unabhängigen Entfaltung des ärztlichen Wirkens. Da sie den Arzt in seiner Tätigkeit vor dem Zugriff und dem Einfluß gesellschaftlicher Machtgruppen bewahrt, entspricht sie dem hier geforderten Rollenverständnis besser als andere Abhängigkeits- und Kontrollsysteme.
Gegen diese Abschirmung in der Selbstverwaltung wird angeführt, sie sei ein Privileg, das die Gesellschaft den Ärzten einräume. Schon die Argumentation beweist, daß hier zwischenmenschliche Funktionen vom kollektiven Standpunkt her betrachtet werden. Legt man aber der Funktion des ärztlichen
Berufes eine adäquate Betrachtungsweise zugrunde, wird aus dem Privileg eine Notwendigkeit. Es handelt sich dabei um die besondere Form einer Einschränkung der an sich frei konzipierten Partnerschaft von Patient und Arzt. Durch diese Einschränkung soll versucht werden, ein System gegenseitiger Kontrolle zu praktizieren, ohne daß die sonst üblichen lähmenden Einflüsse solcher Systeme auf die Entfaltung der nötigen Initiativen wirksam werden oder um diese Einflüsse auf ein möglichst geringes Maß zu beschränken.
Selbst diese institutionalisierte, innerhalb des eigenen Berufsstandes organ isierte Selbstverwaltung mit ihren Regelungen und ihren Maßnahmen zur Erfüllung vertraglicher und gesetzlicher Vorschriften übt nicht selten nivellierende Einflüsse auf die ärztliche Praxis aus. Es spricht aber gleichzeitig für d ie berufsorientierte Sensibilität dieser Verwaltungsform, daß sie rasch registriert, reflektiert und korrigiert, wo solche, dem Wesen des ärztlichen Berufes fremde Tendenzen sichtbar werden .
Typische Beispiele dafür sind :
.,.. die langjährigen Bemühungen zur Durchsetzung von Einzelleistungsverträgen,
.,.. die Bemühungen um die Einführung des sogenannten Hausarztverfahrens bei der Überwachung der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen,
.,.. die Anpassung der Bewertungsmaßstäbe in der Gebührenordnung an die Erfordernisse der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung und
.,.. die Bemühungen um eine individuelle Beurteilung des Behandlungsstils in der Kassenpraxis.
.,.. Die permanente Diskussion um die Berufsordnung und um die Weiterbildungsordnung mit dem Ziel, sie immer wieder den Anforderungen der medizinischen Wissen-
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schaft und der beruflichen Praxis anzupassen, muß ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt verstanden werden.
Gesundheitspolitik im Schatten der Sozialpolitik
Wenn gesundheits- und sozialpolitische Vorstellungen entwickelt werden sollen, stellt sich zunächst die Frage nach der Beziehung dieser beiden politischen Elemente zueinander : Bei der Behauptung, die Gesundheitspolitik sei der Sozialpolitik ein- oder sogar untergeordnet, beginnt bereits der Konflikt. Natürlich dient jeder Teilbereich der Politik, sei es die Außen-, Innen-, Wirtschafts-, Bildungs-, Finanz- oder die Rechtspol itik auf dem Umwege über gesellschaftliche Effekte den einzelnen Menschen, oder sie sollten es wenigstens, und die Gesundheitspolitik erst recht ; aber der Mensch und die von ihm gebi ldeten Gemeinschaften sind nicht miteinander identisch, weder in der Interessenlage noch in ihren Reaktionen.
Gesundheitspolitik hat Eigengewicht durch den ständigen Bezug zu individuellen Gegebenheiten. Sie hat in gleicher Weise zu berücksichtigen, daß sich das Leben in millionenfachen Einzelschicksalen vollzieht, wie darauf, daß sie auf Gemeinsamkeiten aufbauen muß, die das Leben in einer historischkulturellen Gemeinschaft maßgeblich beeinflussen.
Auch die Sozialpolitik muß das berücksichtigen , nur auf andere Weise. Sie wird stets abwägen müssen zwischen persönlichen Rechten und gesellschaftlichen Forderungen, zwischen dem Spielraum für die Entfaltung der Gaben und des Willens der einzelnen Menschen und dem Zwang zur Anpassung oder Einpassung. So kann es ohne gegenseitige Toleranz, ohne Respekt vor der Lebensweise anderer und ohne den Anreiz, zuwachsende Verantwortlichkeiten zu übernehmen, keine wirkliche Lebensqualität geben. C>
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Schilder- Elegie (nach Beendigung einer Plenarsitzung)
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Die Sozialpolitik muß darauf abzie-len, den Selbstwert des Lebens für jeden einzelnen zu fördern, zu-gleich aber dieses Leben vor all jenen Gefährdungen zu schützen, die kollektive, technische und wirt-schaftliche Zwänge mit sich brin-gen. Weder eine verplante „Homun-kulus-Welt" mit ihrer gähnenden Mittelmäßigkeit ist imstande, das Leben lebenswert zu machen noch die Überforderung der Menschen bei der Sicherung ihrer Existenz. Natürliche Risiken, zu denen auch viele Krankheiten gehören, selbst-verursachte weitere Risiken, auch selbstgewollte Herausforderungen an das Leben oder an die eigene Leistungsfähigkeit sind Elemente der individuellen Existenz.
Der Ausbau gesellschaftlicher Sub-sidiarität muß das berücksichtigen. Das Überschreiten einer bestimm-ten Grenze und der Mißbrauch des Begriffes „sozial" haben negative Folgen. Das Wort „sozial" wird oh-nehin ständig mißverstanden. Da-bei kennzeichnet dieses Wort nicht mehr und nicht weniger als den gesellschaftlichen Aspekt im Ver-gleich zum individuellen Aspekt. Der gesellschaftliche Aspekt kann also durchaus auch eine stärkere
Betonung individueller Aktivität und Verantwortlichkeit beinhalten, wenn dies für die Gemeinschaft förderlich ist.
Die Sozialpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat die Entwicklung ei-ner Arbeitnehmergesellschaft ge-fördert. Die soziale Marktwirtschaft und die Tarifautonomie der Sozial-partner haben zwar, begünstigt durch die Vollbeschäftigung, die Mobilität der Arbeitnehmer und deren Chancen, einen befriedigen-den Arbeitsplatz zu finden, erheb-lich verbessert; aber der selbstän-dige Mittelstand und die freien Be-rufe sind dabei vernachlässigt wor-den. Gerade diese Gruppe stellt aber mit ihrem Selbstverständnis für die Erhaltung einer freien de-mokratischen Grundordnung einen erheblichen Sicherheitsfaktor dar.
So kann es durchaus Folge der bis-herigen Sozialpolitik sein, daß auch diese Grundordnung heute wieder zur Diskussion steht und damit die Problematik aus dem Zauberlehr-iing im politischen Tagesgesche-hen sichtbar wird. Darum ist es Zeit, die konsequente Fortsetzung dieser Sozialpolitik zur Diskussion zu stellen: Wenn der Weg in ein
leistungslähmendes, kollektives Wirtschaftssystem ebenso vermie-den werden soll wie der in ein Sy-stem mit kapitalistischen Pressio-nen, muß die Sozialpolitik wieder Anreize für unabhängige Existen-zen setzen. So wird sie gleichsam zum Prüfstein wirklich sozialer Ab-sichten; denn ohne Bezug auf die menschliche Natur, ihre Triebe und ihre Reaktionen kann sie zum Be-standteil eines Herrschaftssystems par excellence werden. Dazu be darf es nicht einmal der an sich logischen Konsequenz, daß die Übernahme von Verantwortung durch die Gesellschaft auch das Recht zu gesellschaftlicher Kon-trolle einschließt:
Die Einschränkung persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten wird zur automatischen Folge der extremen finanziellen Forderungen der Ge-sellschaft an den Arbeitsverdienst ihrer Bürger und lähmt darüber hin-aus ihre Initiativen durch Entla-stung von jeder existenziellen Sor-ge.
So können die Vorstellungen der Ärzteschaft über eine erfolgreiche Sozialpolitik die Erfahrungen nicht übersehen, die im engen Kontakt mit den Auswirkungen der zivilisa-torischen und technischen Ent-wicklung und in der täglichen Be-gegnung mit einigen negativen Be-gleiterscheinungen einer zu wenig gezielten Sozialpolitik gesammelt worden sind. Auch in der Sozial-politik muß deshalb die persönli-che Verantwortung des einzelnen für seine Lebensführung stärker zum Ausdruck kommen.
Interessenidentität bei Patient und Arzt
Zwar wird den Ärzten nachgesagt, sie verwirklichten in ihrer berufli-chen Praxis extrem autoritäre Prin-zipien, und die Notwendigkeit einer festen Patientenführung mag auch gelegentlich diesen Anschein er-wecken; aber die Ärzte wissen sehr wohl, daß ohne die Mitwirkung ih-rer Patienten auch ihr Bemühen nicht gedeihen kann.
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In der Vorlage für diesen Ärztetag werden sich deshalb besonders solche Vorstellungen abzeichnen, die auf Möglichkeiten der Partner-schaft zwischen den Patienten und Ärzten aufbauen können. Sie ent-halten eine Vielzahl von Vorschlä-gen für die Zusammenarbeit von Ärzten im gesamten Bereich der ärztlichen Versorgung; sie richten sich nach den Bedürfnissen der Patienten, nach den Erfahrungen der bisherigen Praxis und nach der Möglichkeit, sie in die Zukunft hin-ein weiterzuentwickeln.
Die Kritiker der Ärzteschaft wer-den dahinter eine gezielte Interes-senpolitik vermuten, so sei in die-sem Zusammenhang daran erin-nert, daß bei der Erfüllung des ärzt-lichen Auftrages die Interessen-identität zwischen Patient und Arzt die Regel ist.
Für den Erfolg der Bemühungen der Ärzteschaft wird allerdings aus-schlaggebend sein, inwieweit die Gesetzgeber in Bund und Ländern ihre Vorschläge aufgreifen. Das gilt sowohl für die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversiche-rung, die Einordnung sozialmedizi-nischer Aufgaben in die ärztliche Versorgung der Bevölkerung als auch für die Krankenhausgesetzge-bung in den Bundesländern. Denn gerade die Krankenhausplanung und die Krankenhausstrukturen werden für die zukünftige ärztliche Versorgung wesentliche Entschei-dungen fällen. Von diesen Ent-scheidungen wird es unter ande-rem abhängen, ob es gelingt, Kli-nik und Praxis wieder miteinander zu verbinden.
Für die Patienten spielen dabei die Möglichkeiten einer Arztwahl, die nahtlose Weiterbehandlung durch die gewählten Ärzte in Praxis und Krankenhaus und die Freiheit, sich Komfort und zusätzliche Leistun-gen über die medizinisch erfor-derliche Behandlung hinaus zu ver-schaffen, eine entscheidende Rolle.
Man kann davon ausgehen, daß die Patienten an einer möglichst guten und leistungsbezogenen Honorie-
rung ihrer Ärzte interessiert sind. Sie wenden nicht zuletzt dafür ho-he Beiträge auf und verlassen sich auf eine entsprechende Verwen-dung auch in den gesetzlichen Krankenkassen. Der Gedanke an einen sozialen . Ausgleich ist auch den Ärzten nicht fremd, und sie ha-ben ihn seit eh und je auch im frei-en Honorarsystem berücksichtigt. Sie haben, wie Professor Wilfried Schreiber es einmal ausgedrückt hat, auf diesem Sektor sozusagen Sozialpolitik auf eigene Faust prak-tiziert.
Auch heute bezahlen die Mitglie-der der gesetzlichen Krankenkas-sen nach ihrem Einkommen gestaf-felte Honorare, nur daß die Aus-gleichsfunktion nicht mehr von den Ärzten selbst, sondern von den Krankenkassen wahrgenommen wird. Lebensstil, Aufwand und An-sprüche der Menschen sind als Ausdruck ihrer Selbsteinschätzung aber unterschiedlich geblieben, und das findet in der ärztlichen Praxis durchaus seinen Nieder-schlag. Mit Begriffen wie Chancen-gleichheit oder sozialer Gerechtig-keit ist diesem Phänomen nicht beizukommen, denn diese Begriffe behalten ihre Relativität zur indivi-duellen Existenz.
Auch deshalb findet der Gedanke zum Ausbau der Wahlfreiheit im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung Befürwortung in der Ärzteschaft.
Sozialversicherung und „Recht auf Gesundheit"
Wer einen kompletten gesundheit-lichen Service wünscht, kann ihn nicht zu Lasten einer sozialen Ver-sichertengemeinschaft verlangen. Der verschwommene und sehr un-terschiedlich interpretierte Begriff eines Rechtes auf Gesundheit hat zur Verwirrung erheblich beigetra-gen. Denn es gibt jenseits des Lei-stungsumfanges der gesetzlichen Krankenversicherung, deren Gren-zen durch Gesetze und Verträge festgelegt sind, noch individuelle Vorstellungen von gesundheitlicher
Betreuung und persönlicher Dienst-leistung, deren Absicherung dem einzelnen überlassen bleiben muß.
Es ist deshalb dringend geboten, die Grenzen einer solidaren Haf-tung für individuelle Risiken und Ansprüche deutlich sichtbar zu ma-chen, weil sonst der Charakter ei-ner Sozialversicherung verloren-geht. Man hat sich zwar ange-wöhnt, die Ausgaben der sozialen Krankenversicherung als eine Art öffentliche Ausgabe zu betrachten; sie sind aber Ausgaben einer Ver-sicherung, die von Beiträgen finan-ziert wird, und nicht ein Teil des Staatshaushaltes. Daran ändern auch die öffentliche Rechtsform und die gesetzlichen Grundlagen im Prinzip nichts. Nachdem nahe-zu das ganze Volk in gesetzlichen Krankenkassen versichert ist, soll-ten Möglichkeiten gefunden wer-den, deren Leistungsspektrum so flexibel zu gestalten, daß es den höchst unterschiedlichen Ansprü-chen der Versicherten gerecht wer-den kann. Dies, meine Damen und Herren Kollegen, halte ich sogar für eine der wesentlichen Weichenstel-lungen für die Zukunft der Sozial-und Gesundheitspolitik.
Ärztliche Aufgaben im Dienste der Gemeinschaft
Eine unbestritten gesellschaftliche Aufgabe ist die Gestaltung der Grundlagen für den materiellen und geistigen Lebensraum eines Vol-kes. Sie zu erfüllen, bedarf es der Zusammenarbeit staatlicher Insti-tutionen mit den gesellschaftlichen Gruppen. Der einzelne Mensch kann hier in der Tat nur mitverant-wortlich sein. Seine Mitverantwor-tung darf aber nicht nur im eige-nen Verhalten zum Tragen kom-men, sondern auch durch die sach-verständigen Gruppierungen in ei-ner pluralistischen Gesellschaft.
Auch die Ärzteschaft ist eine sol-che sachverständige Gruppe, und sie ist seit Jahrzehnten bemüht, ih-re Verantwortung zum Wohle der Allgemeinheit deutlich zu machen und ihren Sachverstand zur Gel-
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e«, ,
Begrenzung der Redezeit? Schluß der Debatte? Ablehnung eines Antrages? Annah- me einer Entschließung? Eine der vielen Abstimmungszenen aus dem Plenarsaal
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tung zu bringen. Allerdings mit wechselndem Erfolg.
Die Mitwirkung von Ärzten ist er-forderlich bei
D der Bewältigung des techni-schen Fortschrittes,
> der Gestaltung der Arbeitsbe-dingungen,
> der Gestaltung der Wohngebie-te,
• der Entwicklung des menschli-chen Zusammenlebens,
D der Herstellung einer vernünf-tigen Relation zwischen Arbeit und Freizeit,
D in der Familienpolitik,
• in der Bildungspolitik und
> natürlich in allen Teilbereichen der Gesundheitspolitik.
> Der Umweltschutz wird die eng-ste Zusammenarbeit aller natur-wissenschaftlichen und techni- schen Berufe erfordern,
> der informationelle Umwelt- schutz die Zusammenarbeit zwi-schen Ärzten, Geisteswissenschaft-lern und Journalisten.
> Justiz und Medizin sind längst in vielerlei Beziehung aneinander gebunden.
Nicht nur angesichts der personel-len Krise im öffentlichen Gesund-heitswesen, auch von ihrer beruf-lichen Verpflichtung her sind alle Ärzte zur Erfüllung dieser Gemein-schaftsaufgaben aufgerufen. Die Ärzte im öffentlichen Gesundheits-dienst haben einen so wichtigen und umfassenden Aufgabenbereich, daß sie bei der Erfüllung dieser Aufgaben der Unterstützung des gesamten Berufsstandes bedürfen.
Das trifft für die Beratungen der Legislative wie der Exekutive eben-so zu wie für die Mitarbeit in den-jenigen Gremien, in denen zu-
kunftsweisende technische Ent-scheidungen getroffen werden.
Besondere Fortbildungsangebote für diese Aufgaben müssen von der Medizin und den kooperierenden Wissenschaften entwickelt und von den Ärztekammern übernom-men werden. Einen Teil der indivi-dualmedizinischen Aufgaben, die früher vom öffentlichen Gesund-heitsdienst wahrgenommen wur-den, haben die freipraktizierenden Ärzte mit der Eingliederung der Maßnahmen zur Krankheitsfrüher-kennung und der Schwangerenvor-sorge bereits übernommen.
Auch bei anderen Aufgaben wie den Schuluntersuchungen, der Tbc-Fürsorge und den Schutzimpfungen sollten die Ärzte in Praxis und Kli-nik bereit sein, den öffentlichen Gesundheitsdienst zu entlasten, wie dies in Form freier Vereinba-rungen bereits vielerorts geschieht. Bei der Durchführung sozialmedizi-nischer Aufgaben bietet sich eben-falls die Entlastung durch die frei-
praktizierenden und an den Kran-kenhäusern tätigen Ärzte und die Zusammenarbeit mit den ärztlichen Diensten der Sozialversicherungs-träger an.
Schwerpunkt Arbeitsmedizin
Auch für die Durchführung der werksärztlichen und arbeitsmedizi-nischen Aufgaben wird sich die Notwendigkeit der Mitwirkung der praktizierenden Ärzte ergeben. Hierzu haben der Deutsche Ärzte-tag, der Hartmannbund und die Werksärzte selbst wiederholt Stel-lung genommen, so daß sich die heutige Vorlage darauf stützen kann. Die Vorbereitung auf diese Tätigkeit muß zu einem Schwer-punkt der ärztlichen Fortbildung werden. Für die Ausbildung und die Weiterbildung bestehen bereits Vorschriften.
Die Wirksamkeit werksärztlicher Tätigkeit wird aber entscheidend von der beruflichen Unabhängigkeit
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der Werksärzte selbst abhängen. Dabei wird, wie überall, wo die Entfaltung von Initiativen erwartet wird, die Ausgestaltung des Berufsbildes möglichst nahe an die freiberufliche Tätigkeit angelehnt werden müssen. Die Werksärzte dürfen weder durch eine zu große Abhängigkeit von den Unternehmen behindert werden noch in die Abhängigkeit von Betriebsräten und Gewerkschaften kommen. Ihre Tätigkeit muß, von der Versorgung von Notfällen abgesehen, auf werksärztliche Aufgaben beschränkt bleiben, um ein Nebeneinander kurativer Tätigkeiten mit allen Nachteilen für eine einheitliche Patientenbetreuung zu vermeiden und um die Zusammenarbeit der Werksärzte mit den vom Patienten gewählten behandelnden Ärzten nicht zu erschweren.
Einheitliche Krankenversorgung
Erweist sich bei der Eingliederung sozialmedizinischer und werksärztlicher Aufgaben in die ärztliche Versorgung eine enge Verflechtung mit der Tätigkeit der Ärzte in Praxis und Klinik bereits als notwendig , so ist die Verbindung dieser beiden Teilbereiche in der Krankenversorgung die beste Voraussetzung für eine nahtlose Kooperation: Die Wiederherstellung der Gesundheit des einzelnen Menschen steht im Mittelpunkt der Bemühungen der Ärzte in freier Praxis und in den Krankenhäusern .
Die Gemeinsamkeit der Bezugsperson - des Patienten also - die Besonderheit seiner Persönlichkeit sowie die Einheitlichkeit des individuellen Kran kheitsgeschehens, und damit der ärztlichen Aufgabe, machen eine scharfe Trennung zwischen ambulanter und klinischer Krankenversorgung widersinnig. in diesem Bericht muß ich jedoch von den bestehenden Strukturen ausgehen, um Wege zu einer sinnvollen Weiterentwicklung aufzeigen zu können.
in der Vorlage finden sich Steilungnahmen zur Sicherstellung der am-
bulanten ärztlichen Versorgung und zur Möglichkeit, das Kassenarztrecht zum Wohle der Versicherten weiterzuentwickeln. Darin enthalten sind Vorschläge
.,.. zum Thema der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung, zur Sicherung ihrer Qualität,
.,.. zur Rationalisierung der Praxistätigkeit, auch unter Berücksichtigung der Wartezeiten für die Patienten,
.,.. zur Kooperation der Ärzte in freier Praxis und mit den Krankenhausärzten,
.,.. zur Notdienstversorgung und
.,.. zu den Maßnahmen zur Krankheitsfrüherkennung.
Es erscheint mir aber notwendig, eine Problematik besonders anzusprechen: Meiner Ansicht nach steht und fällt die bei uns in Deutschland praktizierte persönliche Medizin mit der Zukunft der Allgemeinmedizin. Nicht von ungefähr wird die Diskussion um die Tätigkeit der praktischen Ärzte und Ärzte für Allgemeinmedizin mit besonderer Intensität von den Systemkritikern geführt und geschürt. Wer eine Auflösung der PatientArzt-Beziehung als Voraussetzung für eine Verbesserung der ärztlichen Versorgung propagiert, geht über die elementaren Bedürfnisse eines kranken Menschen hinweg. Ich habe das schon in meinen Ausführungen über das Rollenverständnis genügend erläutert.
Schlüsselstellung der Ärzte für Allgemeinmedizin
ln der immer wieder vorgeschlagenen Alternative eines Teams an Spezialisten löst sich die Partnerschaft Patient-Arzt zwangsläufig in multilaterale Beziehungen auf, die eine feste Patientenführung, eine klare Verantwortlichkeit und eine intensive menschliche Zuwendung zur Ausnahme machen.
Über diejenigen Kritiker der allgemeinmedizinischen Tätigkeit, die
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wenig davon verstehen - darunter gibt es auch viele Mediziner -, sollte man sich nicht den Kopf zerbrechen. Aber über die Kritik derjenigen, die selbst diese Tätigkeit seit Jahren ausüben, muß nachgedacht werden: fachlich, beruflich und persönlich . Deren Kritik gilt auch weniger dem Tätigkeitsfeld an sich oder dem beruflichen Selbstverständnis der Allgemeinmediziner als einigen Begleiterscheinungen des Sozialversicherungssystems und der Tatsache, daß alle Menschen, also auch Ärzte, Fehler machen. Trotzdem ist festzustellen, daß in der Allgemeinpraxis vieles möglich gemacht wird, was nach den Vorstellungen von einer perfekten und wissenschaftlich optimalen Medizin gar nicht funktionieren dürfte. Das liegt an dem hohen Stellenwert der Persönlichkeit des Kranken und seiner zwischenmenschlichen Beziehungen in der Allgemeinpraxis. Deshalb funktionieren zum Beispiel auch das Sachleistungssystem und viele andere sozialpsychologisch fragwürdige Errungenschaften der sogenannten sozialen Sicherheit.
So wird es unser aller Aufgabe in den nächsten Jahrzehnten sein, junge Ärzte wieder für die allgemeinmedizinische Tätigkeit zu gewinnen . Daß diese Tätigkeit der ärztlichen Motivation in unvergleichlicher Weise gerecht wird, glaube ich nach über zwanzig Jahren Landpraxis sachverständig feststellen zu können.
Mit Entschlossenheit, Beharrlichkeit und der Bereitschaft zu Opfern müssen an der Belebung des Interesses für diese Tätigkeit nicht nur die ärztlichen Organisationen mitwirken , sondern vor allem auch die Hochschullehrer und diejenigen Ärzte, die für die Weiterbildung an den Krankenhäusern zuständig sind.
Es sollte kein Krankenhaus der Grund- oder Regelversorgung mehr geben, an dem nicht eine bestimmte Anzahl der Ärzte in Stellen tätig ist, die für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin ausge-
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Schnappschüsse am Podium. Linkes Bild: Knappe Besprechung vor einem Diskussionsbeitrag, rechts die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Frau Dr. Hedda Heuser — Unser Foto rechts: Von unerfahrenen Beobachtern kaum mehr zu überblicken, die Flut von Drucksachen, die einen solchen Kongreß zu Ergebnissen drängt
schrieben und besetzt worden sind. Im Interesse einer qualifizier-ten ärztlichen Gesamtversorgung müssen auch die Krankenhausträ-ger eine solche Entwicklung unter-stützen.
Der Arzt für Allgemeinmedizin wird als Prototyp des persönlichen Arz-tes und sachverständigen Beraters der Patienten die Schlüsselstellung für die Kooperation der Ärzte durch alle Stufen der ärztlichen Versor-gung einnehmen. Je spezialisierter die Medizin wird, desto wichtiger wird er; gäbe es ihn nicht, müßte man ihn schleunigst erfinden. Mit seiner intakten Funktion sind alle Formen der Zusammenarbeit zu realisieren, von der Zusammenar-beit einzeln praktizierender Ärzte
über die Formen der Gruppenpra-xis — mit oder ohne Praxisklinik —mit Belegärzten und schließlich mit gezielter fachlicher Konsultation bis zur Ebene der klinischen Un-terspezialisierung. Gerade dieses variable Angebot an Kooperations-möglichkeiten enthält für die Pa-tienten die Chance, auch in der Ebene modernster wissenschaftli-cher und technischer Medizin ihre Individualität und damit ihre Fähig-keit zur Partnerschaft zu erhalten.
Die Einzelpraxis als notwendige Alternative
Daß Gruppenzusammenschlüsse von Ärzten in allen Variationen vie- lerlei Vorteile bieten, insbesondere
auch für die Ärzte selbst, ist unbe-stritten. Wenn es dabei zu einem ständigen gegenseitigen Fortbil-dungseffekt kommt und keine Ver-sorgungslücken durch zu große Entfernungen entstehen, ist eine Gruppenpraxis sogar ideal.
Aus regionalen, aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen halte ich die allgemeinärztliche und die fachärztliche Einzelpraxis aber für eine Alternative, die für die Patien-ten unbedingt offengehalten wer-den muß, weil sie der menschli-chen Partnerschaft besondere Chancen bietet. Daß auch eine Einzelpraxis durch moderne Kom-munikationsmittel, Qualitätssiche-rung, kooperatives Verhalten der Ärzte und Ausnutzung der moder-
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Die Information: Bericht und Meinung
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nen Fortbildungsmöglichkeiten me-dizinisch auf dem erforderlichen Niveau erhalten werden kann, be-weisen unzählige, bereits prakti-zierte Beispiele.
Über die Möglichkeiten der Zukunft mit Ausnutzung von Datenverarbei-tungsanlagen zu rascher Informa-tion, automatischer EKG-Auswer-tung und Kleinautomaten für La-borzwecke kann man heute bereits so positiv urteilen, daß ihre Einglie-derung in die freie Praxis voraus-gesagt werden kann. Natürlich wer-den über den Zeitpunkt nicht nur die technische Entwicklung, son-dern auch die Finanzierungsmög-lichkeiten entscheiden.
Brücken zwischen Praxis und Klinik
Gleichgültig, auf welcher organisa-torischen Grundlage die freiprakti-zierenden Ärzte ihre Tätigkeit aus-üben, für den sachverständigen Kenner der Krankenversorgung er-weist sich die organisatorische Trennung der stationären Kranken-versorgung von der ambulanten als eine besonders schwerwiegende Störung. Ursächlich ist sie darüber hinaus an den Strukturmängeln in der ärztlichen Versorgung, in der Weiterbildung und an der Wand-lung der Berufsneigungen der Ärz-te nach der Approbation entschei-dend beteiligt. Informationsverluste und Erschwernisse in der Zusam-menarbeit der Ärzte in Praxis und Klinik sind eine unausbleibliche Folge geworden. Die Bemühungen, sie zu überwinden, sind zeitrau-bend und kostspielig, und sie scheitern auf lange Sicht an der Systematik der Funktionsabläufe.
Mit der Einrichtung immer größe-rer Krankenhäuser haben sich die Schwierigkeiten so weit verstärkt, daß den Kranken die Nachteile be-reits bewußt werden. Trotz besse-rer medizinischer und technischer Möglichkeiten, trotz der Weiterent-wicklung auch der ärztlichen Kunst, gerade in der klinischen Un-terspezialisierung, wird die Furcht vor dem Krankenhaus wieder stär-ker. Das hat weniger medizinische
als menschliche Gründe. Medizin-soziologen haben diagnostiziert, daß sich im klinischen Bereich ei-ne Subkultur etabliert habe, in der durch die Anonymität der Behand-lungsobjekte — der Patienten also — und viele andere Faktoren gro-ßer Dienstleistungssysteme eine Tendenz zur Inhumanität entstan-den sei:
Die Ärzte und die Angehörigen der medizinischen Assistenzberufe ha-ben das längst selbst bemerkt, die Eigengesetzlichkeiten vorgezeich-neter Strukturen, die Tendenzen der Arbeitswelt im allgemeinen und die Situation der ständigen Über-forderung aber nicht auszugleichen vermocht.
Initiativen einzelner haben zwar ge-zeigt, daß mit sehr viel Mühe, Zeit und Kraft die Verhältnisse verbes-sert werden können; üblicherweise verschleißen sie sich aber an struk-turellen Widerständen. Die gesund-heits- und sozialpolitischen Vor-stellungen der deutschen Ärzte müssen Lösungen anbieten, die so-wohl die Ursachen aus der inneren Struktur der Krankenhäuser als auch diejenigen berücksichtigen, die aus den Schwierigkeiten in der Kooperation zwischen freipraktizie-renden und Krankenhausärzten zwangsläufig entstanden sind.
So viel Wahlfreiheit wie möglich
Erste Grundlage für eine Überwin-dung dieser Schwierigkeiten ist die Einsicht aller Verantwortlichen, al-so auch der maßgeblichen Politiker in Bund und Ländern und der Kran-kenhausträger, daß die ärztliche Versorgung der Menschen in unse-rem Land nur in enger Verflechtung der Teilbereiche vernünftig durch-geführt werden kann. Diese Aufga-be muß in einer Weise gelöst wer-den, die die Chancen für die Pa-tienten auf eine individuelle qualifi-zierte Behandlung erhält, ihnen die Möglichkeit einer Arztwahl überall dort eröffnet, wo dies möglich ge-macht werden kann, also auch un-ter den Fachärzten an den Kran-kenhäusern, und die allen dafür
qualifizierten Ärzten die Möglich-keit eröffnet, in Klinik und Praxis tätig zu sein.
Vorschläge, wie so etwas verwirk-licht werden kann, haben nicht nur der Hartmannbund in Anlehnung an Herder-Dorneich, die Belegärzte al-ler Fachrichtungen, der Marburger Bund und eine Arbeitsgruppe der Kassenärztlichen Bundesvereini-gung gemacht, auch die im vori-gen Jahre vom Deutschen Ärzte-tag verabschiedeten Leitsätze zur Struktur der Krankenhäuser und ih-res ärztlichen Dienstes enthalten entsprechende Alternativen. Sogar die im Mai 1973 veröffentlichte Schrift der Strukturkommission der Deutschen Krankenhausgesell-schaft enthält einige hoffnungsvolle Ansätze.
Die in diesem Zusammenhang im-mer wieder erhobene Forderung nach einer generellen Zulassung der Krankenhäuser zur sogenann-ten vor- und nachstationären Be-handlung löst diese Schwierigkei-ten nicht. Denn erstens wird da-bei die Zäsur in der Patientenfüh-rung nicht vermieden sondern nur zeitlich verschoben. Zweitens sind die Fachärzte, die sie durchführen müßten, an den Krankenhäusern gar nicht vorhanden, sondern in freier Praxis niedergelassen.
Außerdem ist der Grund für diese Forderung gar nicht der Wunsch nach einer Verbesserung der Si-tuation für die Patienten, sondern das Bestreben der Krankenhaus-träger, sich neben den ohnehin reichlich hohen Pflegesätzen, zu-sätzliche Einnahmen aus der ge-setzlichen Krankenversicherung zu verschaffen.
Da die Ärzte in der freien Praxis ihre eigene Diagnostik ohnehin durchführen müssen, schon der In-dikationsstellung wegen, entstehen hier überflüssigerweise zusätzliche Kosten. Wer die verschiedenen Ur-sachen der Verweildauer an den Krankenhäusern kennt, wird auch mit der Prognose einer Einsparung von Pflegetagen sehr vorsichtig sein.
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76. DEUTSCHER ÄRZTETAG
Bei der heutigen Tendenz zur Be-schneidung des Liquidationsrech-tes werden die Krankenhausträger auch damit liebäugeln, diese Unter-suchungen den Ärzten und dem Assistenzpersonal als zusätzliche Dienstaufgabe zu übertragen, und damit ihre eigene Personalsituation noch mehr erschweren. Schon aus diesem Gesichtspunkt ist die For-derung nach einer vor- und nach-stationären Behandlung durch die Krankenhäuser nicht zu verantwor-ten. Der Fachärztemangel an den Krankenhäusern ist allbekannt. Eine Verbesserung der Verhältnis-se ist nur zu erwarten, wenn ent-sprechend weitergebildete Ärzte aus der freien Praxis sich auch an der stationären Behandlung betei-ligen können.
Auf diese Weise würde auch die unsinnige Entwicklung beendet, die dazu geführt hat, daß Ärzte, die langjährige Erfahrungen und Spe-zialkenntnisse in der Krankenhaus-behandlung erworben haben, diese nach ihrer Niederlassung in eige-nen Praxen nicht mehr nutzen kön-nen und nicht selten gezwungen sind, ihre schwierigsten Krankheits-fälle an weniger erfahrene Ärzte in den Kliniken abzugeben.
So erlaube ich mir, an dieser Stelle einen Appell an die politisch Ver-antwortlichen für die Planung und die innere Struktur der Kranken-häuser in Deutschland, sich enger an den sachverständigen Rat der Ärzteschaft zu halten und nicht vor-wiegend ökonomischen oder ideo-logischen Vorstellungen zu folgen.
Die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung unserer Mitbürger ist schwierig genug und in der tägli-chen Praxis zu differenziert, um sich als Zugpferd für politische Propaganda zu eignen.
Es ist völlig unverständlich, daß die Ärzteschaft in einzelnen Bundes-ländern nicht an der Aufstellung der Krankenhausbedarfspläne be-teiligt wird, obwohl jedermann weiß, daß davon die gesamte ärzt-liche Versorgung entscheidend be-einflußt wird.
Die vorliegenden Beiträge für den Deutschen Ärztetag zur Weiterent-wicklung der ärztlichen Versorgung in Krankenhaus und freier Praxis sind als Einheit zu betrachten. In ihnen wird nicht nur eine Vielzahl von nahtlosen Übergängen zwi-schen beiden Bereichen vorge-schlagen, sie enthalten auch Mög-lichkeiten zur ausschließlichen Tä-tigkeit in einem der beiden Berei-che. Hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, daß die Ärzteschaft der Auffassung ist, mit dem Angebot verschiedener Möglichkeiten ne-beneinander den unterschiedlichen Bedürfnissen der Patienten, den Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft und den verschiede-nen Fähigkeiten und Begabungen der Ärzte am besten gerecht wer-den zu können. Der 76. Deutsche Ärztetag sollte hier zu einem ein-deutigen Votum kommen.
Ärztliche Initiativen trotz politischer Hindernisse
Einige ärztliche Initiativen zur Ver-wirklichung einer Praxis und Klinik verbindenden ärztlichen Versor-gung haben bereits Erfolg gehabt; diese gemeinschaftlich von den dort kooperierenden Ärzten betrie-benen Belegkliniken erfreuen sich großer Beliebtheit bei den Patien-ten und arbeiten rationeller'als vie-le Krankenhäuser, die von der öf-fentlichen Hand betrieben werden. So sind auch Überlegungen ange-stellt worden, wie im größeren Um-fange ärztliche Trägerschaften ge-bildet werden könnten. Sollte die Verstaatlichungstendenz in der krankenhausärztlichen Versorgung weitergehen und die notwendige Auflockerung der Struktur des ärzt-lichen Dienstes ausbleiben, wird die Ärzteschaft als verantwortliche und sachverständige Gruppe in der Gesellschaft sich ernsthaft um Al-ternativen bemühen müssen. Resi-gnation ist in einer freiheitlichen Demokratie nicht gerechtfertigt. Die Überlegungen im Zusammen-hang mit dem „Hamburg-Fonds" gewinnen dabei ebenso Gewicht wie die Vorschläge zur Errichtung von Praxiskliniken.
Um den Bürgern unseres Landes eine möglichst gute ärztliche Ver-sorgung zu sichern, werden alle Möglichkeiten sorgfältig erwogen werden müssen.
Auswahl von Krankenhausärzten in Lebensstellungen
Unabhängig davon ergibt sich aus der Notwendigkeit einer engen Ko-operation der Krankenhausärzte mit den Ärzten in freier Praxis die Forderung nach Mitwirkung von Vertretern der Ärzteschaft bei der Anstellung von Ärzten in Lebens-stellungen an den Krankenhäusern.
Diese Mitwirkung ist eine logische Folge der Verantwortung der Ärzte-kammern für die Durchführung der Weiterbildung und der Fortbildung und aus der Abstimmung des Be-darfs an Fachärzten mit besonde-ren Erfahrungen auf Spezialgebie-ten der Medizin.
Es dürfte bei der Bevölkerung we-nig bekannt sein und noch weniger auf Verständnis stoßen, daß bei der Anstellung von Krankenhausärzten in Lebensstellungen nicht regelmä-ßig und selbstverständlich Vertre-ter derjenigen Ärzte gehört werden, die später mit ihnen zusammen-arbeiten sollen und ihnen Patien-ten anvertrauen sollen.
Bei dem Wunsch nach einer Betei-ligung an der kassenärztlichen Ver-sorgung müßte sogar vorher eine Stellungnahme der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung ein-geholt werden, damit der Kranken-hausträger weiß, welche Schwer-punkte der ärztlichen Versorgung einer besonderen Förderung be-dürfen.
Ausbau der Notfalldienste
Ein Problem besonderer Art ist die Sicherstellung eines ärztlichen Not-falldienstes in den sprechstunden-freien Zeiten. Während an den Wo-chenenden und mancherorts auch nachts bereits zentral oder in Teams organisierte Notfalldienste
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Bayerns Staatsregierung und die Stadt München empfingen die Delegierten und Gäste aus der ganzen Bundesrepublik mit süddeutscher Herzlichkeit und großzügiger Gastlichkeit. Hier Bilder vom eindrucksvollen Staatsempfang im Antiquarium der Münchner Residenz
eingerichtet sind und auf dem Lan-de die Verbindung von Arztwoh-nung und Praxis eine Art Dauer-bereitschaft sichert, wird über Schwierigkeiten bei der Notfallver-sorgung in den Zeiten geklagt, in denen die Ärzte ihre Hausbesuche machen und typischerweise in Re-gionen größter Arztdichte. Deswe-gen sind verschiedene Modelle, besonders für die Präsenz in Städ-ten entwickelt worden, deren Eig-nung für die jeweiligen regionalen Bedürfnisse überall geprüft wird.
Die Bereitschaft in sogenannten of-fenen Praxen und die Einrichtng von gemeinsam getragenen Not-dienstzentralen mit Behandlungs-möglichkeiten haben sich bereits bewährt.
Mit der Förderung von Funksprech-systemen wollen verschiedene Kassenärztliche Vereinigungen auch für die dünnbesiedelten Ge-biete die Versorgung von Notfällen erleichtern helfen.
Entgegen dem Eindruck, der durch einzelne Presseveröffentlichungen in der Öffentlichkeit erweckt wor-
den ist, stellt die Ärzteschaft in frei-er Praxis die ärztliche Versorgung auch außerhalb der Sprechstun-denzeiten sicher.
Analysen der Kassenärztlichen Ver-einigungen haben ergeben, daß 85 bis 90 Prozent solcher Inanspruch-nahmen ärztlicher Hilfe von den Ärzten in freier Praxis geleistet wurden, dagegen nur 4 Prozent von den organisierten Notdiensten und nur 3 Prozent durch die Kranken-häuser.
Die Ergebnisse dieser Analyse wur-den durch eine repräsentative Pa-tientenumfrage bestätigt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich dieser Bundesdurchschnitt aus unterschiedlichen regionalen Er-gebnissen zusammensetzt.
In diesem Zusammenhang ist aber die Feststellung notwendig, daß die Bemühungen der Ärzte um eine Si-cherung der Notfallversorgung nur dann Erfolg haben können, wenn auch unsere Vertragspartner in der gesetzlichen Krankenversicherung und die Sprecher der Öffentlichkeit dabei mithelfen. Der ärztliche Not-
dienst muß als solcher respektiert werden, und er darf nicht als ge-sundheitlicher Service rund um die Uhr mißbraucht werden.
Wenn es der deutschen Ärzte-schaft gelingt, die maßgeblichen Kräfte in der Gesundheits- und So-zialpolitik für ihre Vorstellungen zu gewinnen, ergäben sich automa-tisch zahlreiche weitere Möglich-keiten, den ärztlichen Notdienst und den fachärztlichen Bereit-schaftsdienst in unkomplizierter Weise zu lösen. Die Erweiterung der belegärztlichen Tätigkeit in der Grund- und Regelversorgung der Krankenhäuser und die Einrich-tung von Praxiskliniken bieten da-für gute Grundlagen.
Vorsorge und Früherkennung
Der Ausbau der Maßnahmen zur Krankheitsfrüherkennung und de-ren Eingliederung in den Leistungs-katalog der gesetzlichen Kranken-versicherung war eine seit langem angemeldete ärztliche Forderung. Der Gesetzgeber hat diesen Weg beschritten. Wer in seinen Erwar-
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tungen realistisch war, ist von dem Ergebnis nicht so sehr enttäuscht. Die Inanspruchnahme lag weit über der Quote, die mit den früheren An-geboten an Früherkennungsmaß-men erreicht worden ist. Es bedarf aber noch vieler und wiederholter Aufklärungskampagnen durch die öffentlichen Kommunikationsmittel, durch die Krankenkassen und durch die Ärzte selbst, um zu ei-nem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Jedenfalls hat sich die früher geäußerte Meinung, die Ärz-te seien gegen solche Maßnahmen eingestellt, weil sie einen Rück-gang der Morbidität fürchteten, wie zu erwarten war, als völlig absurd erwiesen.
Die Ärzteschaft wird an der Ent-wicklung weiterer Programme sachverständig, sowohl wissen-schaftlich als auch organisatorisch, mitarbeiten. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat die-ser sachverständigen Mitwirkung in der Kommission und in den Aus-schüssen zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversiche-rung ein Forum gegeben.
Zwar ist es meine Aufgabe, über die gesundheits- und sozialpoliti-schen Vorstellungen der Ärzte zu berichten; aber die Bereitschaft und die Anstrengungen eben der Ärzte, weitere Zeit und Kraft für die Früherkennungsmaßnahmen zu mobilisieren, bedarf einer besonde-ren Würdigung. Sie haben diese Aufgaben in einer Situation völliger beruflicher Auslastung mit indivi-duellen Rationalisierungsmaßnah-men und unter Einsatz aller verfüg-baren Kräfte in einer Zeit über-nommen, in der die sie umgeben-de Arbeitswelt von den Bemühun-gen beherrscht wird, die Arbeits-zeiten zu verkürzen. Freiberuflich-keit und Motivation der Ärzte ha-ben sich damit erneut bewährt.
Wenn die Bemühungen der Ärzte um die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung bisher in keiner Statistik erfaßt worden sind, so be-deutet das nicht, daß sie nicht statt-finden. Bei einer regionalen Umfra-ge unter fast 400 Kassenärzten hat
sich herausgestellt, daß etwa 80 Prozent in ihrer beruflichen Eigen-schaft in den Hilfsorganisationen, in der Erwachsenenbildung, in der Sportmedizin oder in der Gesund-heitspolitik mitarbeiten. Außerdem ist natürlich die Gesundheitserzie-hung Bestandteil der individuellen Patientenführung in Praxis und Kli-nik. Um die Effektivität dieser Be-mühungen zu verbessern, ist ins-besondere eine intensive Öffent-lichkeitsarbeit in Presse, Rundfunk und Fernsehen unter sachverstän-diger Mitwirkung von Ärzten drin-gend erforderlich.
MTZ sind Geldverschwendung
Ein weiterer Schwerpunkt in der Diskussion um die Gesundheitssi-cherung unserer Mitbürger ist die Forderung in der Studie des Wirt-schafts- und Sozialwissenschaftli-chen Institutes der Gewerkschaf-ten nach von der öffentlichen Hand unterhaltenen medizinisch-techni-schen Zentren zur gemeinsamen Nutzung für die Krankenhäuser und für die freipraktizierenden Ärzte. Dabei wird unter anderem davon ausgegangen, daß die Untersu-chungsmöglichkeiten in der freien Praxis quantitativ und qualitativ nicht ausreichend seien, die Kran-kenhauseinrichtungen zwar hoch-qualifiziert, aber nicht ausgelastet.
Beides hat sich in dieser Verall-gemeinerung als falsch erwiesen. Eine Vielzahl weiterer Argumente gegen solche Einrichtungen sind aus den Unterlagen ersichtlich.
Die Verbindung zwischen Klinik und Praxis, wie die Ärzteschaft sie vorschlägt, macht die Diskussion über solche Zentren überflüssig. Die damit verbundene Verschwen-dung öffentlicher Mittel kann unter-bleiben und zum Beispiel zur Ver-besserung der Struktur der ärztli-chen Versorgung durch Einrich-tung von Nachsorgekliniken ver-wendet werden.
Der wesentliche Unterschied der Vorstellungen in der WSI-Studie zu den Vorschlägen der Ärzteschaft
liegt im Denkansatz. Die WSI-Stu-die sieht ein gesellschaftliches Pro-blem, wo die Ärzte Lösungen aus der Perspektive der von ihnen be-treuten Menschen und aus ihrer praktischen Erfahrung anstreben.
Ambulatorien bessern nichts
Das gleiche gilt für die Diskussion und die Einrichtung von Ambulato-rien als Alternative zur freien ärzt-lichen Praxis und ihren Koopera-tionsformen. Fast jeder Arzt hat schon einmal in ambulatoriums-ähnlichen Einrichtungen gearbei-tet, sei es in Polikliniken, in Kran-kenhausambulanzen oder bei der Bundeswehr. Ambulatorien sind keine Alternative für die freie Pra-xis.
Die angestrebte Partnerschaft zwi-schen Patient und Arzt wird schon vom Organisatorischen her illuso-risch. Die Kooperation führt zum geteilten Engagement. Die Doku-mentation wird durch ständigen Arztwechsel erschwert, und auch die Wartezeiten und die Anreisezei-ten werden erfahrungsgemäß eher länger als kürzer. Außerdem wird die Arbeit für die Ärzte unbefriedi-gender, und die ganze Einrichtung wird wegen der Notwendigkeit, zu geregelten Arbeitszeiten zu kom-men, die in vergleichbaren Dienst-leistungsbereichen des Staates üb-lich sind, extrem verteuert.
Die von den Ärzten vorgeschlage-nen und die bereits praktizierten Formen der Zusammenarbeit zielen darauf ab,
• die positiven Merkmale der frei-beruflichen Tätigkeit zu erhalten und
• gleichzeitig die ökonomischen Vorteile gemeinsamer Investitionen zu nutzen.
Dadurch wird auch die materielle Grundlage für eine ständige Mo-dernisierung garantiert, die nach aller Erfahrung in der öffentlichen Kameralistik ihren stärksten Wi-derstand findet.
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Modern, ansprechend und zweckmäßig: der Informationsstand des Deutschen Ärzte-Verlages während des 76. Deutschen Ärz- tetages und während der XXVII. Generalversammlung des W eltärztebundes vom 10. bis zum 20. Oktober 1973 in München
Darüber hinaus hat sich bei der Analyse der verschiedenen Struk-turen für eine ärztliche Versorgung herausgestellt, daß sich weder aus der Arztdichte noch aus der Viel-seitigkeit des fachlichen Angebo-tes, noch aus der organisatori-schen Perfektion eines Systems der Gesundheitssicherung Maßstä-be für ein möglichst gutes Funk-tionieren der ärztlichen Versor-gung ableiten lassen.
Als besonders wertvoll muß aber in der Diskussion um Ambulatorien oder freie ärztliche Kooperation die Möglichkeit zur Entwicklung einer festen Patient-Arzt-Beziehung be-trachtet werden, weil sie klare Ver-antwortlichkeiten schafft und die Entfaltung unabhängiger Initiativen fördert. Dem entsprechen auch die
Ergebnisse der Patientenumfragen aus dem Jahre 1973 über die Quali-tät der ärztlichen Versorgung und der darin erneut bestätigte Wunsch der Bürger unseres Landes nach einer freiberuflichen, unabhängi-gen Partnerschaft zwischen Pa-tient und Arzt, aber auch nach einer festen Führung im Krankheitsfall.
Eine weitere Bestätigung dieser von den Ärzten immer vertretenen Meinung ist die hohe Quote haus-ärztlicher Beziehungen, wie in über 90 Prozent angegeben wurde.
Die Vielfalt der angebotenen Mög-lichkeiten, sich einen ärztlichen Partner zu suchen, und das diffe-renzierte Angebot an Ärzten ver-schiedener Fachrichtungen, durch das sich die ärztliche Versorgung
in der Bundesrepublik auszeichnet, hat sicherlich zu diesem Ergebnis beigetragen.
Schwerpunkt Sozialmedizin
An der Nahtstelle zwischen gesell-schaftlicher Verantwortung und in-dividualmedizinischer Verpflich-tung ist eine ganze Reihe sozial-medizinischer Aufgaben angesie-delt oder neu entstanden. Die Schwerpunkte dieser Tätigkeit wer-den einmal durch das differenzier-te System der sozialen Sicherung gebildet, zum anderen aber auch durch psychosoziale Krankheitsbil-der, die als Reaktion auf Umwelt-faktoren im weitesten Sinne sicht-bar geworden sind. Die Forderung verschiedener Gruppen der Gesell-
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schaft nach einem Ausbau der so-zialmedizinischen Tätigkeit hat hier ihre Ursache.
In der Erkenntnis, daß bei der Durchführung von Aufgaben der Rehabilitation eine Koordination der beteiligten Versicherungsträger in der Begutachtung und in der Durchführung rasch und möglichst unkompliziert erfolgen soll, sind Überlegungen zur Errichtung eines vereinheitlichten sozialmedizini-schen Dienstes angestellt worden.
Gegen die Errichtung einer Art Su-perbehörde für die Begutachtung im System der sozialen Sicherung hat die Ärzteschaft erhebliche Be-denken; solche Einrichtungen ent-wickeln Verwaltungsnormen, die sich auf das Begutachtungsverfah-ren zum Nachteil der Versicherten auswirken können.
Sinnvoll erscheint dagegen eine möglichst enge, auch räumlich ko-ordinierte Zusammenarbeit der Gutachterdienste, die bei der Durchführung der Rehabilitation zusammenarbeiten müssen. Aus personellen und organisatorischen Gründen konnten sich bisher we-der der öffentliche Gesundheits-dienst noch die ärztlichen Dienste der Sozialversicherungsträger den sozialmedizinischen Aufgaben in ausreichendem Umfang widmen. Je mehr sozialmedizinische Pro-bleme in die Krankenversorgung einbezogen werden müssen, desto enger muß die Kooperation mit den in der kurativen Medizin tätigen Ärzten werden.
Außerdem muß das Berufsbild des Sozialmediziners entsprechend ausgestaltet und für die Ärzte at-traktiv gemacht werden. Eine Vor-aussetzung dafür ist eine den Auf-gaben entsprechende geregelte Weiterbildung mit dem Ziel eines Facharztes für Sozialmedizin. Die-se Weiterbildung müßte unter an-derem eine genügend lange Tätig-keit in einer Kassenpraxis beinhal-ten und damit die Grundlage für die spätere Zusammenarbeit im sozialmedizinischen Tätigkeitsfeld bilden.
Medizinische Informationssysteme
Mit dem Aufbau medizinischer In-formationssysteme hat sich der Ausschuß an Hand einer Vorlage beschäftigt, die ein regionales Da-tenverbundsystem aller personen-bezogenen Patientendaten aus den verschiedenen ärztlichen Diensten vorsah.
Außerdem war ein zentrales Medizinisch-Pharmazeutisches In-fomationssystem auf Bundes-ebene angeregt worden. Nach ein-gehender Diskussion und Überprü-fung der derzeitigen Möglichkeiten des Datenschutzes konnte der Aus-schuß in voller Kenntnis der Vor-teile zentraler Patientendateien für eine rasche und vollständigere In-formation der Ärzte der Vorlage nicht zustimmen.
An der Errichtung eines wissen-schaftlichen Informationssystems und an der Datenverarbeitung für die epidemiologische Forschung wird die Ärzteschaft im Rahmen ih-rer Möglichkeiten mitwirken. Auf eine Speicherung persönlicher Da-ten müssen die deutschen Ärzte aber angesichts der Unmöglichkeit, sie sicher vor Mißbrauch zu schüt-zen, zur Zeit noch verzichten. So erleichternd die Errichtung eines Informationssystems mit Patienten-daten auch wäre, hier müssen die Persönlichkeitsrechte der Bürger Vorrang genießen.
Gegen die bereits durchgeführten Datenspeicherungen bei Datenban-ken außerhalb des medizinischen Versorgungssystems bei Kommu-nalbehörden, Versicherungen oder Banken äußert die Ärzteschaft ernsthafte Bedenken. Sie ist auch der Auffassung, daß zu dieser Art zentraler Dokumentation eine be-sondere Einwilligung der betroffe-nen Personen erforderlich ist. Auf jeden Fall muß die verantwortliche Leitung solcher Informationssyste-me durch sachverständige Ärzte gesichert sein. Es wird einer sorg-fältigen Abwägung aller beruflichen Grundlagen für eine solche Tätig-keit bedürfen, um zu einer geeigne-ten Weiterbildung von Ärzten in der
medizinischen Informatik zu kom-men. Auf jeden Fall müssen die dort tätigen Ärzte eine enge Bezie-hung zur ärztlichen Tätigkeit er-halten.
Initiativvorschlag zur Reform des Medizinstudiums
Eine stärkere Praxisorientierung des Medizinstudiums wird von allen Sachkennern gefordert. Der Hart-mannbund hat in Zusammenarbeit mit dem NAV und der Friedrich-Thieding-Stiftung Projektstudien für eine „Freie Medizinische Hoch-schule" erstellen lassen. Die Stu-dien sind bereits veröffentlicht und zeigen, wie die Ausbildung zum Arzt im Rahmen der Approbations-ordnung gestrafft, besser koordi-niert und didaktisch reformiert wer-den kann. Die Verfasser der 2. Pro-jektstudie, die Professoren Arnold und Adam, haben besonderen Wert auf eine klare Berufsorientierung während des ganzen Studiums ge-legt.
Dem Thema „Hochschulreform und medizinische Fakultäten" ist ein gesondertes Referat auf diesem Ärztetag gewidmet; deshalb wird es von mir nur in diesem Zusam-menhang erwähnt. Das Projekt „Freie Medizinische Hochschule" soll auch als Beispiel für eine freie bürgerliche Initiative auf einem Ge-biet gelten, das keineswegs not-wendigerweise dem Staat überlas-sen wurde. Der Deutsche Ärztetag sollte empfehlen, das Modell „Freie Medizinische Hochschule" im Rah-men einer Neugründung zu reali-sieren.
Perspektiven
Sie, meine Damen und Herren De-legierten, und vor allem unsere an-wesenden Gäste aus Politik und Presse werden nun fragen: Wo bleibt der große Wurf?
Dem Deutschen Ärztetag wird eine Ausarbeitung vorgelegt, die so viel Neues gar nicht bringt. Das alles haben wir schon einmal gehört
3010 Heft 43 vom 25. 0Mober 1973 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Briefmarken, Münzen, Bücher wurden den Teilnehmern am 76. Deutschen Ärztetag und am Weltärztetag an Ausstellungsständen präsentiert
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oder vielleicht auch selbst gedacht. Also, was soll's? Darauf möchte ich antworten: Der Ausschuß hat sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht.
Er hat auch die von verschiedenen Autoren und Autorengruppen vor-gelegten Konzepte für sogenannte „Integrierte Systeme der Kranken-versorgung" oder „der Gesund-heitssicherung" zur Kenntnis ge-nommen und verstanden. Sie ha-ben alle einen Fehler: Ihre auf den ersten Blick bestechende Perfek-tion und die darin teilweise vorge-
sehenen Kontrollsysteme werden die erforderlichen persönlichen In-itiativen ersticken. Sie funktionie-ren nur auf dem Papier, weil sie die Vielfältigkeit des menschlichen Lebens nicht erfassen können. Die-ser Vielfältigkeit können nur Frei-räume gerecht werden, die Aktivi-täten und individuelle Entscheidun-gen provozieren.
Die vorgeschlagenen integrierten Systeme sind zweifellos gut ge-meint und von Wunschvorstellun-gen geleitet. Bei näherer Betrach-
tung erweisen sie sich aber als Sandkastenspiele von Leuten, die keine Erfahrung mit der rauhen Wirklichkeit der ärztlichen Arbeit haben. Das trifft auch auf die Vor-schläge des Staatssekretärs Wol-ters vor dem Bundesverband der Ortskrankenkassen zu.
In dem für den Ärztetag ausgear-beiteten Programm zur Erfüllung der gesellschaftlichen, der sozial-medizinischen Aufgaben und der Aufgaben in der Krankenversor-gung sowie beim Ausbau der Früh-erkennungsmaßnahmen vollzieht sich die erforderliche Integration von selbst. Die Entfaltung der Be-rufstätigkeit in freier Initiative ist eine viel bessere Garantie für die Effektivität als die Erfüllung von Vorschriften und vorgezeichneten Normen.
Es sollte unsere Gesundheits- und Sozialpolitik nicht allzu sehr stö-ren, wenn es dabei für die Statisti-ker oder für die Epidemiologen nicht ganz so einfach wird. Schließ-lich werden weder die Politik noch ihre Durchführung für die Statistik gemacht.
Auch wir Ärzte sind bei unseren westlichen und nördlichen Nach-barn herumgereist und haben außerdem die Lüftung des Eiser-nen Vorhanges genutzt: Die Kor, :
takte mit den Ärzten, die in solchen sogenannten „Integrierten Syste-men" ihren Beruf ausüben, haben uns gelehrt, welche Schwierigkei-ten dort zu überwinden sind und welche institutionellen Hindernisse systemimmanent sind. Das und manches andere wollen wir bei uns nicht haben, denn die Möglichkei-ten und die in unserem Lande prak-tizierte Form der gesundheitlichen Betreuung der Menschen sind bes-ser! Wir sind, so scheint es, auf dem richtigen Wege.
So unterbreitet der Deutsche Ärz-tetag — wenn er sich diese Vorlage zu eigen gemacht hat — den Bür-gern und den Regierenden dieses Landes seine Vorstellungen, wie man die gesundheitspolitischen und die sozialpolitischen Vorhaben
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weiterentwickeln und verwirklichen kann, ohne dabei die organisch gewachsenen Grundlagen der sozialen Sicherheit und der Gesundheitssicherung zu gefährden.
Es handelt sich um ein Angebot der Ärzteschaft, das sie nach erneuter sachverständiger Prüfung ihrer Verpflichtung den einzelnen Menschen und dem gesamten Volk gegenüber macht. Dabei kann sich die Ärzteschaft auf die eindrucksvolle Zustimmung der Bevölkerung zu ihren Bemühungen berufen, die in den zwei repräsentativen Meinungsumfragen aus dem Jahre 1973 ihren Niederschlag gefunden hat.
Ich habe mich bemüht, in meinem Bericht einige wesentliche Inhalte unserer Vorlage anzusprechen, sie teilweise zu erläutern oder auch nur mit einem Hinweis zu versehen.
Weitere Teilaspekte der gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft liegen schriftlich vor. Sie sind aber nicht weniger wichtig. Alle zusammen beruhen aber auf der Erkenntnis, daß sich die Aufgaben der Ärzte nur im engen Zusammenwirken aller Tätigkeitsbereiche lösen lassen und daß dafür eine positive Einstellung der tragenden gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes zu den zeitlosen Grundlagen der ärztlichen Berufsausübung notwendig ist. Diese Grundlagen vermitteln den Ärzten eine Einstellung zur menschlichen Existenz, die ihnen überall in der Welt und unter allen Gesellschaftsformen eigen bleibt, und die zu allen Zeiten zu Konflikten mit den jeweiligen Machthabern geführt hat.
Mit dieser Einstellung sind die Ärzte immer jenen im Wege, die die Welt als einen Tummelplatz für ihre eigenen Ansprüche auffassen; das können private oder auch politische Ansprüche sein.
Die deutsche Ärzteschaft wird sich deshalb mit allen Mitteln dagegen wehren, zu einem Faktor der gesellschaftspolitischen Manipulation zu werden. Angesichts der Verant-
wortung der Ärzte für die Erhaltung menschlicher Verhältnisse und menschlichen Verständnisses in einer Welt, die zunehmend technische und gesellschaftliche Zwänge entwickelt, wird sie in aller Offenheit und in der Öffentlichkeit ihre Unabhängigkeit verteidigen.
Diese Unabhängigkeit muß ihren Ausdruck finden:
..,.. in der beruflidlen Tätigkeit, sei es bei der Lösung gesellschaftlicher Aufgaben oder
..,.. in der persönlichen Verantwortung gegenüber denjenigen Menschen, die sich ihnen anvertrauen.
..,.. Sie muß gestützt sein durch die freiberufliche, von gesellschaftlichen Gruppen und von Einflüssen staatlicher Institutionen - auch wirtschaftlich - unabhängige Position.
Sonst ist sie nur wenig wert. Die Auseinandersetzung um die Rechtsstellung der Krankenhausärzte in Lebensstellungen hat deutlich gemacht, daß ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit die freiberufliche Natur des ärztlichen Berufs aufs höchste gefährdet ist. Der Kampf um die Erhaltung dieser unabhängigen Position ist sogar ein Teil der Verpflichtung der Ärzte in ihrer Funktion als sachverständige Gruppe in der Gesellschaft.
Jugendlich-idealistische Fehleinschätzungen der Realitäten des menschlichen Zusammenlebens und ideologisch eingeengtes Verständnis für die Vielfalt des lebendigen Geschehens verbünden sich leicht zu einer intoleranten Doktrin. Wir Deutsche haben das erlebt und tragen heute noch an den Konsequenzen.
Aber auch das Zeitalter der Raumfahrt hat unser Bewußtsein geschärft und die Proportionen verdeutlicht, in denen sich das Schicksal der Menschen vollzieht. ln Kenntnis der Einmaligkeit und der Endlichkeit der menschlichen Existenz und deren Verletzlichkeit
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kann niemandem das Recht zugestanden werden, anderen seine Meinung oder seine Lebensweise aufzuzwingen.
So sehen wir Ärzte mit Sorge die Tendenzen zur Manipulation von Meinungen zur Majorisierung zahlenmäßig unterlegener gesellschaftlicher Gruppen. Mit Sorge sehen wir auch das Nachlassen des Bewußtseins der Menschen für ihr gemeinsames Schicksal und ihrer Bereitschaft, einander zu helfen.
Auch die Sozialpolitik und die Gesundheitspolitik können dadurch zu Wölfen im Schafspelz werden, daß sie Hilfsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit verstümmeln und damit der Entwicklung eines freien, demokratischen Gemeinwesens schaden. Zur Erfüllung eines Menschenlebens gehört auch das Erlebnis der eigenen Leistung und, wo immer dies möglich ist, die Entfaltung schöpferischer Kräfte.
Um das zu erreichen, ist es nötig, dem Menschen das Gefühl des Stehens auf eigenen Füßen zu vermitteln, seine Kritikfähigkeit durch Bildung zu vermehren , seine Rechte und Pflichten gegenüber der Gesellschaft sorgfältig abzuwägen und festzulegen und jenes Maß für seine soziale Sicherung zu finden, das die anderen wesentlichen Prämissen nicht gefährdet. Hier wird die Politik zur Kunst, zumal dort, wo sie mit dem Verzicht auf Macht gepaart ist.
Mit diesen Vorstellungen von ihrer Mitwirkung bei der Erfüllung der sozialpolitischen Aufgaben und ihrer Aufgaben bei der Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Menschen wollen die Ärzte dieser schwierigen Kunst dienen: in der wissenschaftlichen Forschung, in der sachverständigen Beratung von Staat und Gesellschaft und in der beruflichen Praxis in allen Formen der ärztlichen Tätigkeit.
2851 Spieka (Kreis Wesermünde)