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1 GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS Journal of Health Monitoring DEZEMBER 2016 AUSGABE 2 2 Focus Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland 16 Focus Stillmonitoring in Deutschland 26 Fact sheet Folatversorgung in Deutschland 31 Fact sheet Natriumzufuhr in Deutschland 36 Fact sheet Vitamin-D-Status in Deutschland 43 Fact sheet Kochhäufigkeit in Deutschland

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GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS

Journal of Health Monitoring

DEZEMBER 2016AUSGABE 2

2 Focus Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland

16 Focus Stillmonitoring in Deutschland

26 Fact sheet Folatversorgung in Deutschland

31 Fact sheet Natriumzufuhr in Deutschland

36 Fact sheet Vitamin-D-Status in Deutschland

43 Fact sheet Kochhäufigkeit in Deutschland

Ellermann-J
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Journal of Health Monitoring Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland

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FOCUS

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Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland

AbstractEs gibt verschiedene Gründe, sich vegetarisch zu ernähren. Eine stark pflanzenbasierte Ernährung weist neben gesundheitlichen Vorteilen auch sozial und ökologisch positive Aspekte auf. Ziel dieser Auswertungen ist es, die Gruppe der überwiegend vegetarisch lebenden Menschen in Deutschland zu beschreiben und ihren Lebensmittel-konsum mit dem Konsum von Nicht-Vegetarierinnen und -Vegetariern zu vergleichen. In DEGS 1 (2008 – 2011) wurde in einer repräsentativen Stichprobe von 6.933 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren ein validierter Fragebogen eingesetzt, um die Verzehrhäufigkeiten und -mengen von 53 Lebensmittelgruppen über vier Wochen zu erfassen. Zudem wurde eine Frage zur vegetarischen Ernährungsweise gestellt. Die Daten wurden deskriptiv und mittels binär-logistischer Regression analysiert. In Deutschland ernähren sich 4,3 % der Bevölkerung (6,1 % der Frauen, 2,5 % der Männer) im Alter von 18 bis 79 Jahren üblicherweise vegetarisch. Ihr Anteil ist unter den 18- bis 29-Jährigen (Frauen 9,2 %, Männer 5,0 %) und bei Frauen im Alter von 60 bis 69 Jahren (7,3 %) am höchsten. Mit zunehmender Bildung ernährt sich ein höherer Anteil von Personen üblicherweise vegetarisch. Gleiches gilt für Personen, die in Großstädten leben und für Menschen, die mehr als vier Stunden pro Woche Sport treiben. Frauen und Männer, die sich üblicherweise vegetarisch ernähren, konsumieren im Vergleich zu Nicht-Vegetarierinnen und -Vegetariern nicht nur signifikant weniger Fleisch und Wurst, sondern auch weniger kalorienreduzierte Getränke, Bier und Wein sowie mehr Tee, Obst und Gemüse. Gesellschaftspolitisch werden einer vegetarischen Lebensweise häufig positive Auswirkungen zugeschrieben. Sie kann unter anderem über die Reduzierung der Massentierhaltung dazu beitragen die Umwelt zu schonen. Auch aus Public-Health-Sicht wird eine Verringerung des Fleischkonsums für Deutschland als sinnvoll erachtet, da dieser momentan erheblich über der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung liegt. Diese positiven Effekte würden weiter verstärkt, wenn neben der relativ kleinen Gruppe der Menschen, die ganz auf Fleisch verzichten, eine insgesamt größere Bevölkerungsgruppe ihren Fleischkonsum reduzieren würde.

ERNÄHRUNG · VEGETARISCH · GESUNDHEITSSURVEY · DEGS 1 · DEUTSCHLAND

1. Einleitung

Es gibt verschiedene Gründe, sich vegetarisch zu ernäh-ren. Häufige Motive sind ethisch-moralische Bedenken, die auch in einigen Religionen verankert sind. Hierbei

spielen der Respekt vor jedem Lebewesen, eine Ableh-nung des Tötens von Tieren und des Zufügens von Leid eine wichtige Rolle. Daneben gibt es auch ökologische Motive. So kann durch einen Verzicht auf tierische Pro-dukte ein Beitrag zur Verringerung der Massentierhal-

Autorinnen und Autor:Gert B.M. Mensink, Clarissa Lage BarbosaAnna-Kristin Brettschneider

Journal of Health Monitoring · 2016 1(2) DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-033Robert Koch-Institut, Berlin

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tung geleistet werden. Ebenso kann, insbesondere über eine Verringerung der Methan- und CO2-Belastung sowie des Energie- und Wasserbedarfs in der Landwirtschaft, ein schonenderer Umgang mit der Umwelt erreicht wer-den [1]. Eine Konzentration auf pflanzliche Ernährung könnte zudem auch dazu beitragen, die Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren. Des Weiteren können indivi-duelle Überlegungen zur Verbesserung der eigenen Gesundheit eine Rolle spielen.

Eine vegetarische Ernährung kommt in verschiede-nen Varianten vor. Hierzu gehören beispielsweise die ovo-lakto-vegetarische, die lakto-vegetarische und die vegane Ernährung. Im Weiteren gibt es Formen, denen eine stark pflanzenbasierte Ernährung mit reichlich Obst und Gemüse zugrunde liegt, die jedoch geringe Men-gen an tierischen Produkten (flexitarisch) oder Fisch (pesco-vegetarisch) einschließen (Tabelle 1) [2, 3]. Die oben genannten Gründe spielen bei der Wahl der Ernäh-rungsform eine wichtige Rolle. Die Industrie hat diesen

Trend erkannt und ihr Sortiment an Lebensmitteln mit einer Vielzahl an vegetarischen und veganen Produkten erweitert, die zunehmend auch in Supermärkten und Discountern zu finden sind. Die Möglichkeiten sich aus-gewogen vegetarisch zu ernähren, haben sich in Deutschland in den letzten Jahren deutlich verbessert und Vegetarierinnen und Vegetarier sind heute mehr als eine idealistische Minderheit.

Die vegetarische Ernährungsweise hat eine lange Geschichte. Die ersten schriftlichen Hinweise finden sich in Europa bereits im antiken Griechenland um 600 vor Christus. Im Jahr 1867 wurde die erste deutsche Vegetarier-Vereinigung gegründet [4]. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden die ersten deutschen Stu-dien in Heidelberg, Gießen und Berlin durchgeführt, die sich mit den Auswirkungen einer vegetarischen Ernährung auf die Gesundheit, insbesondere in Bezug auf Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, beschäf-tigten [5–7].

Tabelle 1 Varianten vegetarischer Ernährungsweise

Bezeichnung Meiden von …

Ovo-lakto-vegetarisch … Fleisch- und Fischprodukten; dies ist meistens mit dem Begriff Vegetarierin bzw. Vegetarier gemeint

Lakto-vegetarisch … Fleisch- und Fischprodukten, Eiern

Ovo-vegetarisch … Fleisch- und Fischprodukten, Milch und Milchprodukten

Pesco-vegetarisch … Fleischprodukten

Flexitarisch (regelmäßig vegetarisch)

… Fleisch- und Fischprodukten; gelegentlich werden jedoch geringe Mengen an Fleisch- und Fischproduk-ten konsumiert

Vegan … allen tierischen Produkten (Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Honig)

Rohköstler … allen tierischen Produkten (Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Honig) sowie von gekochten und verarbeiteten Lebensmitteln

Fruktaner/Frugivoren … allen tierischen Produkten (Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Honig) sowie von gekochten und verarbeiteten Lebensmitteln und auch von Gemüse; verzehren ausschließlich Früchte, Nüsse und Samen

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Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland

1.1 Die gesundheitliche Bedeutung der vegetarischen Ernährung

Zunächst bestand in den Ernährungs- und Gesundheits-wissenschaften die Annahme, Vegetarierinnen und Vege-tarier könnten ein höheres Risiko für Nährstoffdefizite haben [4]. Für einige Nährstoffe ist es tatsächlich schwie-riger, diese über eine vegetarische und vor allem eine vegane Ernährung ausreichend aufzunehmen. Beson-ders die Versorgung mit Vitamin B12 kann Probleme auf-werfen [8]. Ein Mangel an Vitamin B12 ist mit verschie-denen neurologischen Erkrankungen assoziiert und kann das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen [9]. Weitere kritische Nährstoffe sind langkettige n-3 Fett-säuren, Vitamin D, Eisen, Calcium, Zink, Jod und Selen [3, 4, 10]. In den letzten Jahren wurde jedoch beobachtet, dass manche dieser Nährstoffmängel bei Vegetarierin-nen und Vegetariern tatsächlich nicht häufiger vorkom-men als unter Menschen, die nicht vegetarisch leben [4, 11]. Die Versorgung mit Folat ist bei Personen, die vege-tarisch leben, meist sogar besser [4]. Aktuelle Studien beobachten generell eine gesunde Nährstoffbalance bei vegetarisch und vor allem auch bei vegan lebenden Men-schen. Die EPIC-Oxford-Studie beobachtete, dass Vega-nerinnen und Veganer eine höhere Aufnahme an mehr-fach ungesättigten Fettsäuren, ungesättigten Fettsäuren sowie Ballaststoffen haben. Die bessere Gesamtqualität der mit der Nahrung aufgenommenen Fette ist auf den höheren Konsum von pflanzlichen Lebensmitteln zurück-zuführen [12–14]. Trotzdem sollten Menschen mit einer veganen Ernährung auf eine ausreichende Versorgung mit den kritischen Nährstoffen, insbesondere Vitamin B12,

durch eine Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder den Verzehr angereicherter Lebensmittel achten [11, 15, 16].

Derzeit wird vor allem das präventive Potenzial einer vegetarischen beziehungsweise überwiegend pflanz-lichen Ernährung für chronische Krankheiten wie Adipo-sitas, Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankun-gen und Krebs betont [17]. So konnte auf einer breiten Studienbasis gezeigt werden, dass die Verschreibung einer vegetarischen Ernährung helfen kann, den Body Mass Index (BMI) zu reduzieren [18]. Laut einer aktuel-len Metaanalyse ist eine vegetarische Ernährung zudem mit einem geringeren Risiko für ischämische Herzkrank-heiten bei beiden Geschlechtern assoziiert. Nur bei Män-nern ließ sich dagegen auch eine signifikante Reduktion von zerebrovaskulären Erkrankungen sowie der Gesamt-mortalität nachweisen [11]. Diese positiven Effekte der vegetarischen Ernährung wurden hauptsächlich in Stu-dien mit Siebenten-Tags-Adventisten beobachtet [11, 17, 19, 20]. Diese Personen leben aus religiösen Gründen überwiegend vegetarisch und haben insgesamt einen gesünderen Lebensstil als die Durchschnittsbevölke-rung: Sie rauchen seltener, trinken keinen Alkohol und sind körperlich aktiver. Der Einfluss dieser Lebensstil-faktoren auf die beobachteten Zusammenhänge zwi-schen Ernährungsweise und Gesundheit konnte bisher nicht komplett ausgeschlossen werden.

Die gesundheitlichen Vorteile einer vegetarischen Ernährung basieren sehr wahrscheinlich nicht aus-schließlich auf dem hohen Anteil pflanzenbasierter Lebensmittel, sondern auch auf dem Verzicht von tie-rischen Produkten. In mehreren Studien wurde ein

In Deutschland ernähren sich 4,3 % der Erwachsenen üblicherweise vegetarisch.

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unabhängiger Zusammenhang zwischen einem hohen Konsum von tierischen Produkten, vor allem von verar-beitetem rotem Fleisch, und einem höheren Mortalitäts-risiko beobachtet [16, 19, 21]. Insgesamt hält die Deut-sche Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine vegetarische Ernährung als Dauerernährung für geeignet. Sie rät jedoch bei Schwangeren, Stillenden, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen von einer veganen Ernährung aufgrund der Schwierigkeiten mit einer ausreichenden Versorgung mit einigen Nährstoffen ab [22]. Die US-amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics (AND, ehemals Ame-rican Dietetic Association) vertritt in diesem Punkt eine andere Meinung: Laut AND ist eine vegetarische bezie-hungsweise vegane Ernährung, wenn sie gut geplant ist, für alle Lebensphasen geeignet. Außerdem weist auch die AND darauf hin, dass eine vegetarische Ernährung Vorteile bei der Vorbeugung und Behandlung von bestimmten Krankheiten bietet [23].

1.2 Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland

Insgesamt hat sich der Fleischkonsum in Deutschland seit 1990 stetig reduziert [24]. Schätzungen zur Präva-lenz einer vegetarischen Lebensweise in Deutschland aus den letzten 20 Jahren schwanken zwischen 2 % und 10 %. Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) zeigte, dass sich etwa 8 % der Frauen und 3 % der Män-ner ausschließlich oder überwiegend vegetarisch ernähr-ten [25]. Nach Angaben der Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) lebten 2006 rund 2 % der Bevölkerung in Deutschland zwischen 14 und 80 Jahren vegetarisch [26].

Einer Online-Befragung aus dem Jahr 2013 zufolge liegt der Anteil an Vegetarierinnen und Vegetariern bei etwa 4 %, während der Anteil an Flexitarierinnen und Flexita-riern auf rund 12 % geschätzt wird [27]. Laut Vegetarier-bund Deutschland (VEBU) ernähren sich aktuell etwa 10 % der Bevölkerung vegetarisch, rund 1 % geht einer veganen Lebensweise nach [28]. In einem europäischen Vergleich unter ausgewählten Ländern liegen Deutsch-land, Großbritannien und Italien mit jeweils etwa 9 % Vegetarierinnen und Vegetariern in der Bevölkerung vorn, während der Anteil in Frankreich, der Schweiz und Öster-reich mit 3 % relativ gering ist [4].

Im Rahmen der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS-Basiserhe-bung, 2003 – 2006) wurde ermittelt, dass weniger als 2 % der über 3-jährigen Jungen und gut 3 % der gleich-altrigen Mädchen kein Fleisch, Geflügel oder Wurst essen [29, 30]. Unter den 14- bis 17-Jährigen waren dies immerhin rund 2 % der Jungen und 6 % der Mädchen. Mehr junge Vegetarierinnen und Vegetarier finden sich in Mittel- und Großstädten und unter Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund [31].

Die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutsch-land (DEGS 1, 2008 – 2011) des Robert Koch-Instituts hat Informationen zur vegetarischen Ernährungsweise erho-ben. Ziel der nachfolgenden Auswertungen ist es, die Häufigkeit der vegetarischen Ernährungsweise in Deutsch-land zu ermitteln und die Verteilung auf ausgewählte Merkmale darzustellen. Außerdem wird der Lebensmit-telkonsum von Personen mit vegetarischer Ernährungs-weise mit dem Konsum von Personen, die sich nicht vegetarisch ernähren, verglichen.

Vegetarierinnen und Vegetarier konsumieren signifikant weniger kalorienreduzierte Getränke, Bier und Wein und mehr Tee, Obst und Gemüse.

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2. Methoden2.1 Erfassung des Ernährungsverhaltens in der Studie

zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1)

DEGS 1 wurde von 2008 bis 2011 durchgeführt und ist Teil des Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts. Konzept und Design von DEGS 1 sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben [12, 32, 33]. Im Rahmen von DEGS 1 wurden in einer repräsentativen Stichprobe der 18- bis 79-jährigen Wohnbevölkerung umfassende Befra-gungen, Untersuchungen und Tests durchgeführt. Der Lebensmittelverzehr wurde mit einem semiquantitativen Verzehrhäufigkeitsfragebogen (Food Frequency Questi-onnaire, FFQ) ermittelt. Der eingesetzte FFQ ist ein vali-diertes Instrument und erfasst die Verzehrhäufigkeiten und -mengen von insgesamt 53 Lebensmittelgruppen über einen Zeitraum von vier Wochen [34]. Es ist eine Weiterentwicklung des in der KiGGS-Basiserhebung ein-gesetzten Verzehrhäufigkeitsfragebogens [35]. In DEGS 1 wurde der Fragebogen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Untersuchungsteils eingesetzt und liegt für insgesamt 7.115 Personen vor. In dem Fragebogen wird für die jeweilige Lebensmittelgruppe die Frage gestellt: „Wie oft haben Sie … gegessen?“ (beziehungs-weise getrunken). Die Verzehrhäufigkeiten können mit den Kategorien „Nie“, „1 Mal im Monat“, „2 – 3 Mal im Monat“, „1 – 2 Mal pro Woche“, „3 – 4 Mal pro Woche“,

„5 – 6 Mal pro Woche“, „1 Mal am Tag“, „2 Mal am Tag“, „3 Mal am Tag“, „4 – 5 Mal am Tag“ oder „Öfter als 5 Mal am Tag“ beantwortet werden. Bei der Portionsgröße kann zum Beispiel zwischen „½ Portion (oder weniger)“,

„1 Portion“, „2 Portionen“, „3 Portionen“ oder „4 Por-

tionen (oder mehr)“ – je nach Lebensmittel auch „¼ Portion“ – gewählt werden. Zusätzliche Portions-beschreibungen sind je nach Lebensmittelgruppe in ver-schiedenen Maßen angegeben, zum Beispiel als Glas, Tasse, Schüssel, Teller, Scheibe oder Stück. Zusätzlich sind zu einem Großteil der Fragen Fotos zur besseren Einschätzung der Portionsgrößen abgebildet. Aus den Häufigkeits- und Mengenangaben wurde die durch-schnittliche tägliche Verzehrmenge der Lebensmittel errechnet. Für die hier dargestellten Auswertungen wur-den die Lebensmittel in Gruppen zusammengeführt.

2.2 Erfassung einer vegetarischen Ernährungsweise

Im DEGS 1-Verzehrhäufigkeitsfragebogen wurde den Teil-nehmerinnen und Teilnehmern auch die Frage gestellt:

„Essen Sie üblicherweise vegetarisch?“. Die Frage konn-te mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Gültige Angaben zu dieser Frage liegen von 6.933 Personen vor. Die Gruppe der Personen, die diese Hauptfrage mit „Ja“ beantwortet haben, wird im Folgenden als Vegetarierin-nen und Vegetarier bezeichnet. Befragte, die diese Frage verneint haben, gelten als nicht-vegetarisch lebende Per-sonen. Da in der Frageformulierung das Ausmaß der vegetarischen Ernährung durch die Formulierung „übli-cherweise“ abgeschwächt ist, werden mit der Definition von Vegetarierinnen und Vegetariern in DEGS 1 auch Per-sonen erfasst, die gelegentlich Fleisch oder Fisch kon-sumieren.

Unter Frauen ist die vegetarische Ernährungsweise mit 6,1 % weiter verbreitet als unter Männern mit 2,5 %.

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2.3 Bildung von weiteren Variablen

Anhand der Angaben der Bildungsabschlüsse der Befrag-ten wurden Bildungskategorien nach der „Comparative Analysis of Social Mobility in Industrial Nations“ (CASMIN-Index) erstellt. Der Index berücksichtigt die Differenzierung in berufsbildende und allgemeinbil-dende Ausbildungsgänge [36]. Zusätzlich wurde der sozio-ökonomische Status anhand eines Index bestimmt, in dem Angaben zu schulischer und beruflicher Ausbildung, beruflicher Stellung sowie das bedarfsgewichtete Haus-haltsnettoeinkommen eingehen und der eine Einteilung in eine niedrige, mittlere und hohe Statusgruppe ermög-licht [15].

Die sportliche Aktivität wurde, bezogen auf die letzten drei Monate, mit der Frage „Wie oft treiben Sie Sport?“ erfasst. Die Antwortkategorien waren „Keine sportliche Betätigung“, „Weniger als 1 Stunde in der Woche“,

„Regelmäßig, 1 – 2 Stunden in der Woche“, „Regelmäßig,

2 – 4 Stunden in der Woche“ „Regelmäßig, mehr als vier Stunden in der Woche“. Für die vorliegenden Auswer-tungen wurden hieraus die Kategorien „> 4 Stunden/Woche“ und „≤ 4 Stunden/Woche“ gebildet. Mithilfe der Informationen zum aktuellen W ohnort und der Anzahl der Einwohner wurden die Gemeindegrößenklasse über die Kategorien „Ländlich (< 5.000 Einwohner)“, „Klein-städtisch (5.000 – < 20.000 Einwohner)“, „Mittelstädtisch (20.000 – < 100.000 Einwohner)“ und „Großstädtisch (≥ 100.000 Einwohner)“ abgebildet.

Die Analysen wurden mit einem Gewichtungsfaktor durchgeführt, der die Abweichungen der Stichprobe von der Bevölkerungsstruktur (Stand 31.12.2010) hinsichtlich Alter, Geschlecht, Region und Staatsangehörigkeit sowie Gemeindetyp und Bildung korrigiert. Die Analysen erfolg-ten mit den Survey-Prozeduren von SAS Version 9.4 unter Berücksichtigung des Gewichtungsfaktors und des Clusterdesigneffekts.

Abbildung 1 Anteil an 18- bis 79-Jährigen, die sich üblicherweise vegetarisch ernähren,

nach Geschlecht und Alter Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011) Alter (Jahre)

18 − 29

14

12

10

8

6

4

2

Anteil (%)

Frauen

30 − 39 40 − 49 50 − 59 60 − 69 70 − 79

Männer

18 − 29 30 − 39 40 − 49 50 − 59 60 − 69 70 − 79

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3. Ergebnisse3.1 Soziodemografische Merkmale von Vegetarierinnen

und Vegetariern

In Deutschland ernähren sich 4,3 % der Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren üblicherweise vegetarisch. Bei Frauen ist diese Ernährungsweise mit 6,1 % weiter verbreitet als bei Männern mit 2,5 % (Abbildung 1). Der Anteil vegetarisch lebender Menschen ist unter den 18- bis 29-Jährigen mit 9,2 % bei den Frauen und 5,0 % bei den Männern am höchsten. Die Anteile nehmen mit zunehmendem Alter ab. Ausnahme bildet hier die Gruppe der Frauen im Alter von 60 bis 69 Jahren. Ihr Anteil ist mit 7,3 % relativ hoch.

In Tabelle 2 sind die Prozentanteile von Frauen und Männern, die sich üblicherweise vegetarisch ernähren, nach sozioökonomischem Status, Bildung und Gemein-degröße dargestellt. Der Anteil ist bei Frauen mit nied-rigem sozioökonomischen Status am höchsten, während er bei Männern dieser Statusgruppe am geringsten ist. Eine Aufteilung nach Bildung zeigt hingegen, dass sich

Tabelle 3 Zusammenhang zwischen

vegetarischer Ernährung und ausgewählten Determinanten

bei 18- bis 79-Jährigen (n = 6.745) Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Tabelle 2 Anteil an 18- bis 79-Jährigen, die sich üblicherweise vegetarisch ernähren,

nach Geschlecht, sozioökonomischem Status, Bildung und Gemeindegröße

Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Frauen Männer

% (95 %-KI) % (95 %-KI)

Sozioökonomischer Status (n = 3.594) (n = 3.300)Niedrig 8,1 (5,5 – 11,7) 1,9 (0,7 – 4,7)Mittel 4,9 (3,8 – 6,3) 2,6 (1,7 – 3,7)Hoch 7,8 (5,3 – 11,4) 2,5 (1,6 – 3,9)

Bildung (n = 3.652) (n = 3.359)Einfach 5,3 (3,8 – 7,3) 1,5 (0,8 – 2,9)Mittel 6,0 (4,6 – 7,7) 2,5 (1,6 – 3,7)Hoch 8,8 (6,1 – 12,7) 4,2 (2,6 – 6,8)

Gemeindegröße (n = 3.673) (n = 3.378)Ländlich (< 5.000) 4,6 (3,0 – 7,1) 1,3 (0,6 – 2,5)Kleinstädtisch (5.000 – < 20.000)

6,9 (4,7 – 10,2) 2,2 (1,1 – 4,4)

Mittelstädtisch (20.000 – < 100.000)

4,7 (3,3 – 6,8) 1,9 (1,1 – 3,3)

Großstädtisch (≥ 100.000)

7,4 (5,4 – 10,1) 4,0 (2,6 – 6,1)

KI: Konfidenzintervall

Geschlecht

OR (95 %-KI)

Frauen 2,9 (2,0 – 4,1)Männer Ref.

Alter 18 – 29 Jahre 2,7 (1,3 – 5,4)30 – 39 Jahre 1,5 (0,8 – 2,9)40 – 49 Jahre 1,3 (0,6 – 2,6)50 – 59 Jahre 0,9 (0,4 – 1,8)60 – 69 Jahre 1,4 (0,7 – 3,0)70 – 79 Jahre Ref.

BildungEinfach Ref.Mittel 1,1 (0,7 – 1,7)Hoch 1,7 (1,0 – 2,9)

GemeindegrößeLändlich (< 5.000) Ref.Kleinstädtisch 1,1 (0,7 – 1,9)(5.000 – < 20.000)Mittelstädtisch 1,0 (0,6 – 1,7)(20.000 – < 100.000)Großstädtisch 1,6 (1,0 – 2,6)(≥ 100.000)

Sporttreiben> 4 Stunden/Woche 1,7 (1,0 – 2,6)≤ 4 Stunden/Woche Ref.

OR: Odds Ratios; KI: Konfidenzintervall; Ref.: Referenz gruppe; Fettdruck: signifikant (p < 0,05)

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mit zunehmendem Bildungsstand ein höherer Anteil sowohl der Frauen als auch der Männer üblicherweise vegetarisch ernährt. In Großstädten ist der Anteil der Personen, die sich üblicherweise vegetarisch ernähren, bei Frauen und Männern am höchsten.

Nach den Ergebnissen der binär logistischen Regres-sion unter Berücksichtigung der Variablen Geschlecht, Alter, Bildung, Gemeindegröße und Sporttreiben, kommt eine vegetarische Ernährungsweise bei Frauen, bei 18- bis 29-Jährigen, bei Personen mit hoher Bildung, bei sportlich Aktiven sowie bei Personen, die in Groß-städten leben, signifikant häufiger vor als in der jewei-ligen Referenzgruppe (Tabelle 3).

3.2 Lebensmittelkonsum bei Vegetarierinnen und Vegetariern

Vergleicht man den durchschnittlichen Konsum von aggregierten Lebensmittelgruppen in Gramm pro Tag für Frauen und Männer getrennt nach einer üblicher-weise vegetarischen und nicht-vegetarischen Lebens-weise, zeigt sich, dass Vegetarierinnen und Vegetarier nicht nur signifikant weniger Fleisch und Wurst, sondern auch weniger kalorienreduzierte Getränke, Bier und Wein, und signifikant mehr Tee, Obst und Gemüse konsumie-ren (Tabelle 4). Frauen, die sich üblicherweise vegeta-risch ernähren, konsumieren zudem signifikant weniger Spirituosen, Eier und Pizza und mehr Milchprodukte im Vergleich zu Nicht-Vegetarierinnen. Männer, die sich üblicherweise vegetarisch ernähren, konsumieren im Vergleich zu Nicht-Vegetariern signifikant weniger Kaffee und Kartoffeln und signifikant mehr Nudeln und Reis.

4. Diskussion

Nach Informationen aus DEGS 1 ernähren sich 4,3 % der Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren in Deutsch-land üblicherweise vegetarisch. Eine vegetarische Ernäh-rungsweise findet sich signifikant häufiger bei Frauen, bei jungen Erwachsenen, bei Personen mit höherer Bil-dung, bei Personen, die in Großstädten leben, und bei Personen, die mehr als vier Stunden Sport pro Woche treiben.

Dass sich besonders viele junge Frauen vegetarisch ernähren, wurde bereits in früheren Studien beobachtet [25, 26]. Der relativ hohe Anteil an Vegetarierinnen unter den 60- bis 69-jährigen Frauen ist allerdings auffällig. Verschiedene Erklärungsansätze könnten hier zusam-menspielen: Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass Frauen dieses Alters zum Teil weniger Kompromisse in Bezug auf die eigene Ernährung eingehen als in Lebensphasen, in denen die Ernährungspräferenzen anderer Familienmitglieder noch stärker berücksichtigt wurden. Andererseits könnte diese Gruppe auch von ihren Kindern beeinflusst sein, die sie möglicherweise von einer vegetarischen Ernährungsweise überzeugt haben. Im Weiteren ist in dieser Altersgruppe das Gesundheitsbewusstsein besonders hoch: Laut einer Auswertung der Studie Gesundheit in Deutschland aktu-ell (GEDA) achten Frauen in der Altersgruppe ab 60 Jah-ren im Vergleich zu jüngeren Frauen deutlich häufiger stark oder sehr stark auf ihre Gesundheit [37]. Ein wei-terer Grund für den höheren Anteil der Vegetarierinnen unter älteren Frauen könnte auch sein, dass ältere Frauen häufiger als Männer aufgrund gesundheitlicher Erwä-

Der Anteil einer vegetarischen Ernährungsweise ist unter den 18- bis 29-jährigen Frauen und Männern sowie unter Frauen im Alter von 60 bis 69 Jahren am höchsten.

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Frauen (g/Tag) Männer (g/Tag)

Vegetarierinnen (n = 190)

Nicht-Vegetarierinnen (n = 3.483)

Vegetarier (n = 79)

Nicht-Vegetarier (n = 3.299)

Lebensmittelgruppen MW 95 %-KI MW 95 %-KI MW 95 %-KI MW 95 %-KIMilchLimonade und FruchtsaftKalorienreduzierte Getränke Gemüsesaft Wasser Tee Kaffee Bier Wein SpirituosenCerealien Brot StreichfetteMilchprodukteSüße AufstricheEier Fleisch und WurstFisch Obst Gemüse Nudeln und ReisKartoffelnPizza KuchenSüßwaren KnabbereiNüsse

239330

93

141.826

590430

2320

36

1367

15511102713

451206

478812243323

(187 – 291)(198 – 462)

(1 – 185)

(4 – 25)(1.484 – 2.168)

(439 – 740)(320 – 540)

(13 – 34)(14 – 26)

(1 – 5)(4 – 8)

(118 – 154)(6 – 9)

(131 – 180)(9 – 13)(8 – 12)

(18 – 37)(8 – 18)

(349 – 554)(177 – 235)

(41 – 54)(67 – 108)

(9 – 14)(19 – 29)(27 – 40)

(1 – 3)(2 – 4)

265377111

71.779

3644783830

95

1379

12310148817

250154

4590152838

42

(246 – 285)(336 – 417)(87 – 134)

(6 – 8)(1.700 – 1.859)

(332 – 395)(451 – 505)

(33 – 44)(28 – 33)(9 – 12)(4 – 5)

(132 – 142)(8 – 9)

(118 – 128)(10 – 11)(14 – 15)(85 – 91)(16 – 18)

(236 – 265)(147 – 160)

(44 – 47)(86 – 94)(14 – 16)(26 – 30)(35 -40)

(2 – 6)(2 – 2)

21939746

141.644

530358

63241212

16910

15925327030

267174

837938403566

(108 – 331)(106 – 689)

(16 – 76)

(-5 – 34)(1.186 – 2.102)

(270 – 791)(249 – 468)

(30 – 96)(14 – 33)(3 – 21)(6 – 18)

(126 – 212)(7 – 12)

(35 – 283)(-5 – 56)(10 – 55)

(30 – 110)(12 – 48)

(189 – 344)(140 – 208)(60 – 106)(58 – 101)(22 – 53)(27 – 54)(22 – 48)(1 – 10)(1 – 12)

276561118

61.386

209501256

34136

18311

1121119

13819

18211152

104243340

42

(253 – 299)(514 – 609)(91 – 144)

(5 – 7)(1.319 – 1.452)

(186 – 232)(473 – 529)(225 – 286)

(29 – 38)(11 – 15)

(5 – 7)(176 – 191)

(11 – 12)(106 – 118)

(10 – 12)(18 – 21)

(132 – 144)(17 – 20)

(173 – 191)(106 – 116)

(49 – 55)(98 – 110)(23 – 26)(31 – 35)(36 – 44)

(4 – 5)(2 – 2)

MW: Mittelwert, KI: Konfidenzintervall, Fettdruck: signifikant (p < 0,05)

Tabelle 4 Lebensmittelkonsum bei 18- bis 79-Jährigen,

nach Geschlecht und üblicherweise vegetarischer bzw. nicht-vegetarischer

Lebensweise Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

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gungen, z. B. nach der Diagnose einer Krankheit, zu einer vegetarischen Lebensweise übergehen [38]. Teilweise könnte auch ein Kohorteneffekt eine Rolle spielen: Die betreffenden Frauen haben ihre Jugend und das frühe Erwachsenenalter in den 1960er- und 1970er-Jahren ver-lebt, in einer Zeit, als in Westeuropa das Interesse an fernöst licher und besonders an indischer Spiritualität, an Meditation und damit verbunden auch an vegetari -scher Ernährung auflebte [39].

Die Beobachtung, dass eine vegetarische Ernährung häufiger bei Personen mit einem höheren sozioökono-mischen Status beziehungsweise bei Personen aus höheren Bildungsgruppen vorkommt, deckt sich mit anderen Studien [40]. In den Ergebnissen von DEGS 1 ist auffallend, dass sich Frauen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status deutlich häufiger vegetarisch ernähren als Frauen mit einem mittleren sozioökono-mischen Status. Dies ist damit zu erklären, dass viele junge Personen einen niedrigen Status aufweisen, da sie sich noch in der Ausbildung oder im Studium befin-den und somit kein oder lediglich ein geringes Einkom-men haben. Unter anderem wurde deshalb auch der Zusammenhang mit Bildung untersucht. Hier ist ein vergleichbarer Effekt nicht zu finden, vielmehr zeichnet sich ein eindeutiger Bildungsgradient zugunsten höhe-rer Bildungsgruppen ab.

Personen, die mehr als vier Stunden Sport pro Woche treiben, ernähren sich häufiger vegetarisch als diejeni-gen, die weniger Sport treiben. Außerdem gab die Gruppe der Vegetarierinnen und Vegetarier signifikant häufiger an, sehr stark auf ausreichend körperliche Bewe-gung zu achten (Ergebnisse nicht dargestellt). Ein gene-

rell gesundheitsbewussteres Konsumverhalten lässt sich zudem anhand der statistisch signifikanten Differenzen in der Lebensmittelauswahl von Personen mit vegetari-scher im Vergleich zu Personen mit nicht-vegetarischer Ernährung erkennen. Diese Ergebnisse deuten auf einen insgesamt gesünderen Lebensstil bei Vegetarierinnen und Vegetariern hin. Auch dies wurde bereits früher beobachtet und betrifft unter anderem die bereits erwähnten Siebenten-Tags-Adventisten. Auch unabhän-gig von religiös geprägten Lebensweisen wurde jedoch beobachtet, dass vegetarisch lebende Menschen gene-rell seltener rauchen, weniger Alkohol trinken und mehr Sport treiben [11].

Bei der Auswertung einer vegetarischen Ernährungs-weise mit DEGS 1 kommen einige Limitationen zum Tra-gen. So ist eine Differenzierung der vegetarischen Lebens-weise nach weiteren Determinanten aufgrund der geringen Prävalenzen und des komplexen Studien designs von DEGS 1 nicht sinnvoll. Die deskriptiven Ergebnisse zeigen zum Großteil überlappende Konfidenz intervalle (Abbildung 1 und Tabelle 2). Erst in der multivariaten Analyse ergeben sich statistisch signifikante Zusammen-hänge. Weiterhin bieten sich auch Zusatzinformation zur Differenzierung der vegetarischen Ernährungsweise nicht zur Auswertung an. In DEGS 1 wurde zwar die Zusatz-frage „Welche der folgenden Lebensmitteln essen Sie nicht?“ mit den Antwortmöglichkeiten „Fleisch, Geflügel und Wurst“, „Fisch“, „Milch und Milchprodukte“ oder

„Eier“ gestellt. Diese Frage wurde aber von etwa der Hälfte der Befragten mit einer überwiegend vegetarischen Ernährungsweise übersprungen und die Untergruppen sind für spezifische Auswertungen zu klein.

Mit zunehmendem Bildungsstand steigt auch der Anteil der überwiegend vegetarisch lebenden Personen.

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bei positiven Angaben zum Wurstkonsum auch eine vegetarische Salami oder Wurst gemeint sein. Anderer-seits wird eine einfache Frage wie „Sind Sie Vegetarier?“ dem Spektrum an Varianten der vegetarischen Ernäh-rungsweisen nicht unbedingt gerecht. Daher ist es ver-mutlich sinnvoller, künftig mehrere direkte Fragen zu entsprechenden Ernährungsweisen zu stellen, mit der die verschiedenen Varianten einer stark pflanzenbasier-ten Ernährung erfasst werden können. Die Auswertun-gen von DEGS 1 basieren nicht nur auf absoluten Vege-tarierinnen und Vegetariern, da die Fragestellung den Begriff „üblicherweise“ beinhaltete. Dies könnte die Ver-gleichbarkeit mit Zahlen aus anderen Studien einschrän-ken. So hat die Nationale Verzehrsstudie II mit einer Schätzung von 2 % eine deutlich geringere Prävalenz ermittelt, jedoch auch eine viel striktere Definition ein-gesetzt. Es wurde detailliert die Form der vegetarischen Ernährungsweise (vegane, lakto-vegetarische-, ovo-vege-tarische-, ovo-lakto-vegetarische- und ovo-lakto-vegeta-rische Kost mit Fisch sowie Rohkost-Ernährung) erho-ben. Eine flexitarische Ernährung wurde nicht erfragt. Die für DEGS 1 verwendete Definition wird dagegen der Tatsache gerecht, dass es in Deutschland mittlerweile auch viele sogenannte Flexitarierinnen und Flexitarier gibt, was die höhere Prävalenz der vegetarischen Ernäh-rungsweise in DEGS 1 erklärt.

Bisher verzichtet also eine relativ kleine Bevölke-rungsgruppe in Deutschland vollständig auf den Kon-sum von Fleisch oder Fisch. Einen stärkeren Beitrag zum Erreichen weithin geteilter gesellschaftspolitischer Ziele, wie der Schonung der Umwelt oder der Reduzie-rung der Massentierhaltung, können geänderte

Im Vergleich mit anderen Studienergebnissen zu einer vegetarischen Lebensweise zeigt sich, dass der Anteil der Personen, die sich üblicherweise vegetarisch er nähren, in DEGS 1 etwas geringer ausfällt als im Bundes-Gesundheitssurvey 1998. Eine mögliche Erklä -rung könnte die unterschiedliche Abfrage der vegetari-schen Ernährungsweise sein. Im BGS98 wurden auch Personen als Vegetarierinnen und Vegetarier klassifiziert, die sich in der Vergangenheit vegetarisch ernährt haben, während in DEGS 1 allein die aktuelle Ernährungsform zum Zeitpunkt der Befragung erfasst wurde. Der schwan-kende Anteil an Vegetarierinnen und Vegetariern in der deutschen Bevölkerung könnte auch damit zusammen-hängen, dass aufgrund von Fleischskandalen viele Men-schen kurzzeitig auf Fleisch verzichten, wie beispiels-weise der Einbruch des Rindfleischkonsums nach Bekanntwerden des ersten BSE-Falls im Jahre 2000 in Deutschland zeigt.

Andere Studien aus den letzten Jahren ermittelten einen ähnlichen Anteil an Vegetarierinnen und Vegeta-riern in Deutschland wie in DEGS 1 [25, 27]. Möglicher-weise ist der Anteil in den letzten Jahren noch gestiegen. Dennoch gibt es bei den Schätzungen aus ähnlichen Studien eine erhebliche Variation zwischen 2 % und 10 % (siehe Einleitung) [26, 28]. Dies liegt unter anderem an der jeweiligen Definition und Abfrage der vegetarischen Ernährungsweise. In einigen Studien erfolgte die Defini-tion von Personen mit vegetarischer Lebensweise anhand von Lebensmittelverzehrangaben [41]. Dieses Vorgehen ist insbesondere deshalb problematisch, da es ein zunehmend großes Angebot an vegetarischen und veganen Fleischersatzprodukten gibt. Somit kann

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Ernährungs gewohnheiten dann leisten, wenn eine grö-ßere Bevölkerungsgruppe ihren Konsum tierischer Pro-dukte nach und nach reduziert, ohne zwingenderma-ßen vollständig auf den Konsum tierischer Produkte zu verzichten. Auch aus Public-Health-Sicht wäre eine solche Entwicklung für Deutschland erstrebenswert: Da der durchschnitt liche Fleischkonsum in der deut-schen Bevölkerung erheblich über der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung liegt (siehe Info-box), wären von einer veränderten Ernährungsweise positive Effekte für die Gesundheit der Bevölkerung zu erwarten [25, 42, 43].

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Infobox: Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfehlt eine abwechslungsreiche Ernährung, in der nährstoffreiche und energiearme Lebensmittel angemessen kombiniert werden. Durch eine pflanzen-basierte Ernährung können viele dieser Regeln einfacher erreicht werden, z. B.:

� Mindestens 30 Gramm Ballaststoffe� 5 Portionen Obst und Gemüse am Tag,

möglichst frisch� Nicht mehr als 300 – 600 g Fleisch und

Wurst pro Woche

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Impressum

Journal of Health Monitoring

Institution der beteiligten Autorinnen und AutorenRobert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin

KorrespondenzadresseDr. Gert B.M. MensinkRobert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und GesundheitsmonitoringGeneral-Pape-Str. 62–66 12101 BerlinE-Mail: [email protected]

InteressenkonfliktDer korrespondierende Autor gibt für sich und die Koautorinnen an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

HerausgeberRobert Koch-InstitutNordufer 2013353 Berlin

RedaktionDr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg,Alexander Rommel, Dr. Anke-Christine Saß,Stefanie Seeling, Martin Thißen,Dr. Thomas ZieseRobert Koch-InstitutAbteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring General-Pape-Str. 62–6612101 BerlinTel.: 030-18 754-3400E-Mail: [email protected]/journalhealthmonitoring

ZitierweiseMensink GBM, Lage Barbosa C, Brettschneider AK (2016) Verbreitung der vegetarischen Ernährungsweise in Deutschland. Journal of Health Monitoring 1(2): 2–15 DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-033

Journal of Health Monitoring Stillmonitoring in Deutschland – Welchen Beitrag können die KiGGS-Daten leisten?

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Stillmonitoring in Deutschland – Welchen Beitrag können die KiGGS-Daten leisten?

AbstractEin kontinuierliches Stillmonitoring ist erforderlich, um Aussagen über Änderungen des Stillverhaltens machen zu können. Die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert Koch-Insti-tuts erhebt in regelmäßigen Abständen bevölkerungsbezogene Daten zur gesundheitlichen Lage der in Deutsch-land lebenden Kinder und Jugendlichen, darunter auch Daten zum Stillen. KiGGS wird als eine mögliche Daten-quelle für ein Stillmonitoring in einem Konzept der Nationalen Stillkommission aufgeführt. Die Daten aus KiGGS sind geeignet, retrospektiv für Geburtsjahrgänge, Indikatoren zum Stillen zu bilden. Sie zei-gen, dass die Prävalenz jeglichen Stillens zwischen den Geburtsjahrgängen 2001/2002 und 2007/2008 tendenziell angestiegen ist; in Bezug auf die Stilldauer sind in den Jahrgängen 2001 – 2008 keine wesentlichen Änderungen zu erkennen. Aufgrund der Periodizität der KiGGS-Wellen können keine regelmäßigen Aussagen zum Stillverhalten aktueller Geburtsjahrgänge getroffen werden, welche für ein Stillmonitoring jedoch erwartet werden. Daher sollten deutschlandweite Erhebungen von Stilldaten im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen sowie regelmäßige pros-pektive Untersuchungen zu unmittelbaren Umfeld- und Einflussfaktoren auf das Stillen weitere Instrumente eines Stillmonitorings sein.

STILLVERHALTEN · STILLFÖRDERUNG · NATIONALES STILLMONITORING · GESUNDHEITSSURVEY · ZEITLICHE TRENDS

1. Einleitung

Stillen hat vielfältige kurz- und langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der gestillten Kinder und trägt zu einem gesunden Heranwachsen und zur Vorbeugung verschiedener Krankheiten bei. Kurzfris-tig werden bei gestillten Kindern weniger Magen-Darm- und Atemwegsinfektionen beobachtet [1]. Die Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse deuten darauf hin, dass Stil-len langfristig mit einem geringeren Risiko von Überge-wicht und Adipositas und mit etwas höheren Intelligenz-

quotienten assoziiert ist [2]. Darüber hinaus stärkt Stillen die Bindung zwischen Mutter und Kind.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt zusammen mit anderen internationalen Organisationen aktiv die Förderung des Stillens. Nach der „Globalen Strategie für die Säuglings- und Kleinkinderernährung“ sollten Säuglinge während der ersten sechs Lebensmo-nate ausschließlich gestillt werden, um ein optimales Wachstum sowie eine optimale Entwicklung und Gesund-heit zu erlangen [3]. Ausgehend von der Globalen Stra-tegie wurde auf europäischer Ebene der Aktionsplan

Autorinnen und Autor:Anna-Kristin Brettschneider 1, Cornelia Weikert 2, Klaus Abraham 2, Franziska Prütz 1, Elena von der Lippe 1, Cornelia Lange 1

Journal of Health Monitoring · 2016 1(2) DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-0381 Robert Koch-Institut, Berlin 2 Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

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„Schutz, Förderung und Unterstützung des Stillens in Europa“ herausgegeben [4]. Der Aktionsplan dient als Leitfaden für die Entwicklung und Implementation von Maßnahmen der Stillförderung in den europäischen Län-dern. Die Forderung nach einem standardisierten Still-monitoring ist ein wesentlicher Bestandteil des Aktions-plans. Das Monitoring wird dort als systematische Erhebung aktueller, umfassender und genauer Daten zu Stillquoten und Stillverhalten auf nationaler und regio-naler Ebene definiert. In Deutschland hat die Nationale Stillkommission ein konkretes Konzept für ein Stillmo-nitoring in Deutschland erarbeitet [5]. Dieses sieht einen integrativen Ansatz vor, bei dem verschiedene Daten-quellen gemeinsam betrachtet werden und sich in ihren Aussagen ergänzen. Ziel ist es, ein umfassendes und aktuelles Gesamtbild zum Stillen und seinen Rahmen-bedingungen zu erhalten. Dieses kann die Basis sein, um gezielt Maßnahmen zur Stillförderung zu planen und ihre Wirksamkeit zu überprüfen.

Als eine Datenquelle für ein integratives Stillmonito-ring wird die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert Koch-Instituts in dem Konzept der Stillkommission auf-geführt. Es liegen bereits publizierte Ergebnisse zum Stillen aus der KiGGS-Studie vor, die Gesamtauswertun-gen für die Stillquoten in Deutschland über größere Zeit-räume (Geburtsjahrgänge 1996 – 2002 und 2002 – 2012) präsentieren [6, 7]. Um im Sinne eines Stillmonitorings Aussagen zur Entwicklung der Stillquoten nach Geburts-jahrgängen und nach Dauer (zwei, vier, sechs Monate und länger) des ausschließlichen, vollen und jeglichen Stillens (Abbildung 1) treffen zu können, werden detail-

lierte Analysen der in der KiGGS-Basiserhebung und KiGGS Welle 1 vorhandenen Angaben benötigt. Mit die-sen Auswertungen soll zudem überprüft werden, wel-chen Beitrag die KiGGS-Daten zu einem nationalen Still-monitoring leisten können.

2. Methode

KiGGS ist eine kombinierte Querschnitt- und Kohorten-studie (ausführlicher zur Methodik siehe [8–10]). Im Rahmen der KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) wur-den insgesamt 17.641 Kinder und Jugendliche an 167 Untersuchungsorten eingeschlossen (Response: 66,6 %). Die Folgebefragung, KiGGS Welle 1 (2009 – 2012), um-fasste eine Querschnittstichprobe von 4.455 Ersteinge-ladenen im Alter von 0 – 6 Jahren und 7.913 Wiederein-geladenen im Alter von 7 – 17 Jahren (Response 38,8 % für Erst-, 72,8 % für Wiedereingeladene). Fragen zum Stillverhalten wurden in der KiGGS-Basiserhebung allen Eltern von 0- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen, in KiGGS Welle 1 allen Eltern von 0- bis 10-jährigen Kin-dern gestellt; das heißt, dass die Daten zum Stillen retrospektiv mit unterschiedlichen Rückerinnerungszeit-räumen erhoben wurden (ausführlicher zur Erhebung des Stillens siehe [7, 11]). Wurden die Fragen zum Still-verhalten in beiden Erhebungen gestellt und es traten Diskrepanzen bezüglich der Frage, ob jemals gestillt wurde, auf, wurde die jeweils verlässlichere Angabe (Angabe der Mutter bzw. Angabe aus der Basiserhebung) übernommen.

Basierend auf den Angaben der Eltern zum Stillver-halten wurde aus den Daten der KiGGS-Basiserhebung

Neben anderen möglichen Datenquellen können auch die KiGGS-Daten einen Beitrag zu einem Nationalen Stillmonitoring leisten.

Journal of Health Monitoring Stillmonitoring in Deutschland – Welchen Beitrag können die KiGGS-Daten leisten?

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und von KiGGS Welle 1 für die Geburtsjahrgänge 2001 – 2008 bestimmt, welcher Anteil der Kinder bis zum zweiten, vierten oder sechsten Lebensmonat sowie län-ger ausschließlich, voll oder jeglich gestillt wurde. Des Weiteren wurde die jeweilige durchschnittliche Stilldauer berechnet. Beim ausschließlichen Stillen erhält der Säug-ling neben der Muttermilch keine weiteren Flüssigkeiten oder Beikost, während beim vollen Stillen zusätzlich Flüssigkeiten wie Wasser oder Tee gegeben werden kön-nen (schließt ausschließliches Stillen mit ein). Beim jeg-lichen Stillen können zusätzlich auch nahrhafte Flüssig-keiten (insbesondere Säuglingsmilchnahrung) oder Beikost gefüttert werden; ausschließliches und volles Stillen sind hierbei mit eingeschlossen [12, 13] (Abbil-dung 1).

Stillmonitoring bedeutet die systematische Erhebung aktueller, umfassender und genauer Daten zu Stillquoten und Stillverhalten auf natio-naler und regionaler Ebene mit dem Ziel einer optimalen Stillförderung.

Für die Auswertungen wurden jeweils zwei Geburts-jahrgänge zusammengefasst: 2001/2002, 2003/2004, 2005/2006, 2007/2008. Da das im Jahr 2006 erlassene Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) auf alle ab dem 1. Januar 2007 geborenen Kinder Anwendung fand [14], war auch von Interesse, ob sich die Stillquoten und die Stilldauer bei den Geburtskohorten 2007 – 2008 von denen der vorherigen Geburtskohorten unterschei-den. Da in den Jahrgängen 2009 – 2012 (dem Befra-gungszeitraum von KiGGS Welle 1) noch ein beträcht-licher Anteil der Kinder gestillt wurde und zum Befragungszeitpunkt nicht absehbar war, wie lange diese Kinder gestillt werden, wurden diese Jahrgänge bei den Analysen nicht berücksichtigt.

Darüber hinaus wurde die Dauer des ausschließlichen Stillens, stratifiziert nach Subgruppen, ausgewertet. Als Einflussfaktoren wurden Alter und Bildungsstatus der Mutter, Anzahl der Geschwister, Rauchen in der Schwan-gerschaft, Reifestatus und Wohnregion untersucht. Der Bildungsstatus wurde anhand der internationalen Klas-sifikation „Comparative Analyses of Social Mobility in Industrial Nations” (CASMIN) eingeteilt [15, 16]. Da es bei den Stillquoten keine Unterschiede zwischen Mäd-chen und Jungen gab [7], wurde auf geschlechtsstratifi-zierte Analysen verzichtet.

3. Ergebnisse

Nach den KiGGS-Daten zeigt sich ein gewisser Anstieg der Prävalenz jeglichen Stillens in Deutschland: 77,0 % der Kinder aus den Geburtsjahrgängen 2001/2002 wur-den jemals gestillt, in den Jahrgängen 2007/2008

Abbildung 1 Definitionen zum Stillen

Quelle: Eigene Darstellung nach [12, 13]

Ausschließliches Stillen

Volles Stillen(zusätzlich Flüssigkeiten wie Wasser und Tee)

Jegliches Stillen(zusätzlich nahrhafte Flüssigkeiten, Beikost)

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waren es 82,5 %. Im Alter von sechs Monaten wurde in allen Geburtsjahrgängen noch etwa die Hälfte der Säug-linge gestillt. Danach sanken die Stillquoten deutlich ab (Tabelle 1).

Zwei Drittel (66,4 %) der Kinder der Geburtsjahrgänge 2007/2008 wurden – zumindest kurze Zeit – ausschließ-lich gestillt. Bei den 2001/2002 geborenen Kindern waren es 63,4 %. Die vorliegende Auswertung der KiGGS- Daten belegt, dass die Prävalenz des ausschließlichen Stillens zwischen Geburt und zweitem Lebensmonat nur wenig abnahm (um etwa fünf bis acht Prozent-punkte). Ein Abfall der Prävalenz fand insbesondere

zwischen dem zweiten und vierten Lebensmonat statt, hier betrug die Differenz durchschnittlich 22 Prozent-punkte (Tabelle 1). Die durchschnittliche Dauer des aus-schließlichen Stillens betrug knapp vier Monate (Abbil-dung 2).

Auch beim vollen Stillen zeigt sich ein deutlicher Abfall der Stillquoten zwischen dem zweiten und vierten Lebensmonat. Im Alter von zwei Monaten wurden 64,6 % der in den Jahren 2007/2008 geborenen Kinder voll gestillt, im Alter von vier Monaten waren es noch 48,9 % (Tabelle 1). Die Stillquoten für ausschließliches und vol-les Stillen sowie die durchschnittliche Stilldauer sind in Die KiGGS-Daten zeigen, dass

der Anteil jemals gestillter Kinder zwischen den Geburts-jahrgängen 2001/2002 und 2007/2008 tendenziell angestiegen ist, während sich die Stilldauer nicht wesentlich verändert hat.

Tabelle 1 Prävalenzen zum Stillen: Ausschließliches,

volles und jegliches Stillen nach Geburtsjahrgängen

Quelle: KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006), KiGGS Welle 1 (2009 – 2012)

Jahrgänge 2001/2002 Jahrgänge 2003/2004 Jahrgänge 2005/2006 Jahrgänge 2007/2008

n % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI)Ausschließliches Stillen

Jemals2 Monate4 Monate6 MonateLänger

3.2812.9111.817

590202

63,4 (58,6 – 68,0)55,5 (50,6 – 60,2)33,2 (29,4 – 37,2)10,2 (8,1 – 12,9)

4,1 (2,6 – 6,5)

63,1 (58,7 – 67,3)56,4 (51,9 – 60,8)31,5 (28,0 – 35,2)

9,2 (7,2 – 11,7)3,8 (2,6 – 5,6)

68,0 (63,2 – 72,4)61,5 (56,7 – 66,1)39,1 (34,9 – 43,4)12,4 (10,2 – 15,1)

3,7 (2,5 – 5,5)

66,4 (62,0 – 70,5)58,9 (54,8 – 62,9)38,4 (34,5 – 42,5)11,9 (9,8 – 14,5)

4,4 (3,1 – 6,2)Volles Stillen

Jemals2 Monate4 Monate6 MonateLänger

3.7473.4932.5521.026

426

70,4 (65,8 65,9 (61,3 44,5 (40,5 20,5 (17,2

9,2 (7,0

– – – – –

74,6)70,5)48,5)24,2)11,9)

70,7 (66,1 66,7 (62,1 47,3 (42,8 17,3 (14,5

8,0 (6,2

– – – – –

74,9)70,9)51,9)20,5)10,4)

71,8 (67,1 68,1 (63,3 49,2 (44,8 20,3 (17,3

8,7 (6,6

– – – – –

76,0)72,6)53,6)23,6)11,2)

72,0 (67,6 64,6 (60,4 48,9 (44,8 18,5 (15,7

8,0 (6,1

– – – – –

76,1)68,5)53,0)21,6)10,4)

Jegliches StillenJemals2 Monate4 Monate6 Monate12 MonateLänger

4.3244.0923.4292.909

979589

77,0 (72,6 74,0 (69,5 58,6 (54,2 49,2 (45,0 17,2 (14,4 11,8 (9,4

– – – – – –

81,0)78,1)62,9)53,3)20,4)14,8)

80,3 (76,1 – 84,0)73,5 (68,9 – 77,6)59,6 (55,2 – 63,9)49,3 (44,9 – 53,7)14,9 (12,3 – 17,9)

7,8 (6,3 – 9,7)

81,5 (77,3 75,1 (70,5 62,2 (57,5 53,3 (48,7 17,9 (15,0 11,0 (8,7

– – – – – –

85,1)79,2)66,7)58,0)21,3)13,8)

82,5 (78,6 77,3 (73,2 65,6 (61,3 54,4 (50,0 21,7 (18,4 12,4 (10,2

– – – – – –

85,8)80,9)69,6)58,7)25,4)14,9)

KI: Konfidenzintervall

Journal of Health Monitoring Stillmonitoring in Deutschland – Welchen Beitrag können die KiGGS-Daten leisten?

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FOCUS

Journal of Health Monitoring 2016 1(2)

den untersuchten Jahrgängen 2001 – 2008 nahezu kons-tant geblieben (Abbildung 2).

Mit Blick auf die Einflussfaktoren auf das Stillen zeigt sich, dass beim ausschließlichen Stillen Kinder von Müt-tern mit einfacher Bildung signifikant kürzer gestillt wur-den als Kinder von Müttern mit mittlerer oder höherer Bildung (Tabelle 2). Zudem wurden Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft rauchten, sowie Frühgebo-rene signifikant kürzer ausschließlich gestillt. Für das Alter der Mutter zeigt sich eine positive Korrelation mit der Stilldauer in allen Jahrgängen: Die Dauer des aus-schließlichen Stillens steigt mit dem Alter der Mutter. Hinsichtlich des Wohnorts (Region Ost oder Region West) zeigen sich keine Unterschiede.

4. Diskussion

Vergleicht man die Ergebnisse aus KiGGS mit anderen Studien, so zeigt sich, dass die Quoten für jegliches Stil-len auf Basis der KiGGS-Daten teilweise unter den Quo-ten liegen, die aus einzelnen regionalen Studien berichtet werden [17]. Sie zeigen aber Übereinstimmung mit der bundesweiten Onlinebefragung von Libuda et al. (2014), nach der in den Geburtsjahrgängen 2007 – 2010 gut 78 Prozent der Kinder jemals gestillt wurden [18]. Zu erklären sind die Differenzen zu den regionalen Studien durch unterschiedliche methodische Vorgehensweisen (zum Beispiel prospektives Studiendesign, Ausschluss von Frühgeborenen); zudem können bei retrospektiven Stu-dien Erinnerungslücken zum Zeitpunkt der Zufütterung auftreten beziehungsweise sehr kurz dauerndes Stillen kann retrospektiv anders bewertet werden. Daher ist ein direkter Vergleich nur mit Einschränkungen möglich.

Die Quoten für volles Stillen im Alter von zwei Mona-ten der Jahrgänge 2007/2008 (64,6 %) liegen relativ nah an den Ergebnissen von Jöllenbeck et al. (2012) für die Jahrgänge 2008/2009 (65 %). Diese Angaben stam-men allerdings aus einer regional begrenzten Studie [19]. Auch in den Ergebnissen für vier Monate volles Stillen bei den Jahrgängen 2007/2008 (48,9 % bzw. 50 %) stimmen beide Studien gut überein.

Der relativ geringe Abfall der Stillquoten der KiGGS- Studie zwischen der Geburt und dem zweiten Lebens-monat zeigt sich in anderen (prospektiven) Studien nicht so deutlich. Nach diesen Studien ist trotz initial hoher Stillquoten der stärkste Abfall der (Voll-)Stillquoten innerhalb der ersten zwei Monate zu verzeichnen [17].

Beim ausschließlichen und vollen Stillen fallen die Stillquoten zwischen dem zweiten und vierten Lebens-monat deutlich ab.

Abbildung 2 Durchschnittliche Stilldauer für ausschließ-

liches, volles und jegliches Stillen nach Geburtsjahrgängen (bezogen auf alle Kinder,

die jemals gestillt wurden, n = 4.324) Quelle: KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006),

KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) 2

4

6

8

10

2001 /2002 2003/2004 2007/20082005/2006

Monate

Volles Stillen

Ausschließliches Stillen

Geburtsjahrgänge

Jegliches Stillen

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Dies mag aber damit zusammenhängen, dass in pros-pektiven Studien auch Stillen von nur wenigen Tagen nach der Geburt erfasst wird, und es bereits in der ers-ten Woche nach Geburt einen Abfall von etwa 10 Pro-zentpunkten geben kann [19]. Möglicherweise werden bei retrospektiven Studien solche kurzen Stillepisoden nicht erinnert oder nicht genannt. Allgemein können in

retrospektiven Studien Erinnerungsfehler nicht ausge-schlossen werden. In Studien zur Erinnerungsfähigkeit in Bezug auf das Stillen wurde zwar gezeigt, dass die Fragen zum jeglichen Stillen und zur Stilldauer valide beantwortet wurden [20, 21], jedoch kann der genaue Zeitpunkt der Zufütterung mit Erinnerungsfehlern ver-bunden sein [20].

Für jegliches Stillen zeigt sich ein eher kontinuierlicher Rückgang der Stillquoten mit einem deutlichen Sinken nach dem sechsten Lebens-monat.

Jahrgänge 2001/2002 Jahrgänge 2003/2004 Jahrgänge 2005/2006 Jahrgänge 2007/2008

n MW in Monaten (95 %-KI)

MW in Monaten (95 %-KI)

MW in Monaten (95 %-KI)

MW in Monaten (95 %-KI)

Alter der Mutter≤ 24 Jahre25 – 29 Jahre30 – 34 Jahre≥ 35 Jahre

5311.4091.8551.300

3,47 (2,61 3,53 (3,13 3,85 (3,59 4,27 (3,95

– – – –

4,32)3,94)4,10)4,59)

2,81 (2,38 3,48 (3,13 4,20 (3,88 3,95 (3,66

– – – –

3,25)3,83)4,51)4,23)

3,61 (2,94 3,74 (3,36 3,97 (3,63 4,24 (3,94

– – – –

4,27)4,12)4,31)4,55)

3,41 (2,80 3,54 (3,18 4,11 (3,89 4,32 (4,00

– – – –

4,02)3,89)4,34)4,63)

Bildungsstatus der Mutter EinfachMittelHöher

4763.3621.254

3,40 (2,72 3,73 (3,51 4,44 (4,13

– – –

4,08)3,94)4,75)

3,27 (2,70 3,76 (3,58 4,11 (3,76

– – –

3,83)3,95)4,45)

3,61 (3,16 3,94 (3,68 4,33 (4,08

– – –

4,06)4,19)4,58)

3,32 (2,69 3,97 (3,77 4,31 (4,08

– – –

3,95)4,17)4,53)

Anzahl der Geschwister012 und mehrZwilling/Mehrling

2.1691.850

861182

3,90 (3,55 3,43 (3,15 4,28 (3,93 4,03 (2,80

– – – –

4,25)3,72)4,64)5,26)

3,63 (3,34 3,86 (3,61 3,70 (3,11 3,83 (3,02

– – – –

3,93)4,12)4,29)4,64)

3,99 (3,72 3,94 (3,60 3,98 (3,61 3,10 (1,90

– – – –

4,25)4,28)4,35)4,30)

3,87 (3,62 3,83 (3,54 4,32 (3,88 3,78 (2,69

– – – –

4,12)4,11)4,75)4,87)

Rauchen in der Schwangerschaft

Ja Nein

4704.604

3,57 (2,88 3,83 (3,58

– –

4,27)4,04)

2,96 (2,19 3,78 (3,58

– –

3,73)3,97)

3,39 (2,52 3,99 (3,78

– –

4,26)4,19)

2,67 (2,06 4,02 (3,85

– –

3,27)4,19)

ReifestatusFrühgeborenesReif oder sicher übertragen

4084.658

4,01 (3,46 3,78 (3,57

– –

4,57)3,99)

3,60 (3,01 3,75 (3,56

– –

4,18)3,95)

3,17 (2,44 3,99 (3,79

– –

3,90)4,19)

3,11 (2,44 4,01 (3,83

– –

3,78)4,19)

RegionWestOst (inkl. Berlin)

3.3951.700

3,91 (3,69 3,35 (3,00

– –

4,14)3,70)

3,82 (3,62 3,41 (2,97

– –

4,02)3,84)

3,98 (3,78 3,68 (3,44

– –

4,23)3,92)

3,98 (3,78 3,79 (3,48

– –

4,19)4,09)

MW: Mittelwert; KI: Konfidenzintervall

Tabelle 2 Dauer des ausschließlichen Stillens

nach Subgruppen Quelle: KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006),

KiGGS Welle 1 (2009 – 2012)

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FOCUS

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Ein Einfluss äußerer Faktoren auf das Stillen, wie zum Beispiel die Gesetzgebung zur Elternzeit und zum Bundeselterngeld, ist in der vorliegenden Auswertung der KiGGS-Daten nicht erkennbar. Hier wird es von Interesse sein, ob im Sinne einer Verhältnisprävention höhere Stillquoten in den Folgejahren zu beobachten sind, auch wenn keine Kausalität aus den Daten abzu-leiten ist.

Dass Kinder von Müttern mit einfacher Bildung kür-zer ausschließlich gestillt werden als Kinder von Müttern mit mittlerer oder höherer Bildung, zeigen auch verschie-dene nationale und internationalen Studien [22–24]; gleiches gilt für das Rauchen in der Schwangerschaft sowie für die Frühgeburtlichkeit [25]. Auch die positive Korrelation des mütterlichen Alters mit der Dauer des ausschließlichen Stillens ist aus anderen Studien bekannt [26, 27].

5. Schlussfolgerungen zum Stillmonitoring

Die KiGGS-Studie hat das Ziel, langfristig die Gesund-heit von Kindern und Jugendlichen zu beobachten und repräsentative Aussagen für Deutschland zu ermög-lichen. Dabei ist Stillen ein Teilaspekt, Angaben zu still-fördernden oder stillhemmenden Einflussfaktoren kön-nen aufgrund des Gesamtumfangs der Studie nicht im Detail erhoben werden. Die Daten aus KiGGS sind geeig-net, retrospektiv für Geburtsjahrgänge, zu denen ein abschließendes Ergebnis zum Stillstatus der einbezoge-nen Kinder vorliegt, Indikatoren zum ausschließlichen, vollen und jeglichen Stillen zu bilden. Aufgrund der Peri-odizität der KiGGS-Wellen (etwa alle fünf Jahre) können

aber keine regelmäßigen Aussagen zum Stillverhalten aktueller Geburtsjahrgänge getroffen werden. Für ein Stillmonitoring wird jedoch eine hohe Aktualität der erho-benen Daten erwartet. Nur so können Interventionen planbar und zeitnah im Umfeld relativ gleichbleibender Umfeldfaktoren evaluiert werden.

Daher sollten deutschlandweite Erhebungen von Still-daten im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen von Kindern sowie regelmäßige prospektive Untersuchun-gen zu unmittelbaren Umfeld- und Einflussfaktoren auf das Stillen weitere Instrumente sein, um ein umfassen-des und aktuelles Gesamtbild zum Stillen und seinen Rahmenbedingungen zu erhalten. Dieses Gesamtbild könnte – wie im Konzept der Nationalen Stillkommis-sion für ein integratives Stillmonitoring vorgesehen [5] – die Basis zur Planung und Überprüfung der Wirksam-keit von gezielten Interventionen zur Erhöhung der Still-quoten in Deutschland darstellen.

Literatur

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Infobox: Stillempfehlungen

Empfehlung der WHO „Als weltweite Gesundheitsempfehlung sollten Säuglinge während der ersten sechs Lebensmonate ausschließlich gestillt werden, um optimales Wachstum, Entwicklung und Gesundheit zu erlangen.“ [4]

Empfehlung der Nationalen Stillkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung „Muttermilch ist die beste Nahrung für nahezu alle Säuglinge. Ausschließliches Stillen in den ersten sechs Monaten ist für die Mehrzahl der Säuglinge die ausreichende Ernährung. Ab wann ein Säugling zusätzlich Beikost benötigt, ergibt sich individuell in Abhängigkeit vom Gedeihen und der Essfähigkeit des Kindes. Beikost sollte in der Regel nicht später als zu Beginn des 7. Lebensmonats und keinesfalls vor dem Beginn des 5. Monats gegeben werden. Beikosteinführung bedeutet nicht Abstillen, sondern eine langsame Verminderung der Muttermilchmengen und Stillmahlzeiten. Mutter und Kind bestimmen gemeinsam, wann abgestillt wird.“ [28]

Journal of Health Monitoring Stillmonitoring in Deutschland – Welchen Beitrag können die KiGGS-Daten leisten?

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Impressum

Journal of Health Monitoring

Institutionen der beteiligten Autorinnen und AutorenRobert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, BerlinBundesinstitut für Risikobewertung, Abteilung Lebens-mittelsicherheit, Berlin

KorrespondenzadresseAnna-Kristin BrettschneiderRobert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und GesundheitsmonitoringGeneral-Pape-Str. 62–66 12101 BerlinE-Mail: [email protected]

InteressenkonfliktDie korrespondierende Autorin gibt für sich und die Koautorinnen und den Koautor an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

HerausgeberRobert Koch-InstitutNordufer 2013353 Berlin

RedaktionDr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg,Alexander Rommel, Dr. Anke-Christine Saß,Stefanie Seeling, Martin Thißen,Dr. Thomas ZieseRobert Koch-InstitutAbteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring General-Pape-Str. 62–6612101 BerlinTel.: 030-18 754-3400E-Mail: [email protected]/journalhealthmonitoring

ZitierweiseBrettschneider AK, Weikert C, Abraham K et al. (2016) Stillmonitoring in Deutschland – Welchen Beitrag können die KiGGS-Daten leisten? Journal of Health Monitoring 1(2): 16 –25 DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-038

Journal of Health Monitoring Folatversorgung in Deutschland FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2) 26

Folatversorgung in Deutschland

AbstractFolat ist wichtig für die Zellteilung und somit für das Wachstum und die Entwicklung des Körpers. Zur Einschät-zung der Versorgungslage in der Bevölkerung können im Serum gemessene Folatkonzentrationen herangezogen werden. Der Median des Serumfolats liegt für Erwachsene im Alter von 18 bis 79 Jahren bei 7,5 ng/ml (für Frauen bei 7,9 ng/ml, für Männer bei 7,2 ng/ml). Etwa 86 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland sind adäquat mit Folat versorgt. In höheren Altersgruppen sowie bei Personen mit hohem sozioökonomischen Status konnten höhere Folatkonzentrationen beobachtet werden. Für Frauen im gebärfähigen Alter empfiehlt die Weltgesundheits-organisation zur Prävention von embryonalen Fehlbildungen deutlich höhere Folatkonzentrationen. Diese Konzen-trationen werden von der Mehrheit der Frauen nicht erreicht.

ERNÄHRUNG · FOLAT · GESUNDHEITSSURVEY · DEGS 1 · DEUTSCHLAND

EinleitungDer Begriff Folat wird für die in der Natur vorkommende Form dieses wasserlöslichen B-Vitamins verwendet. Zu guten Folatlieferanten zählen unter anderem viele Obst- und Gemüsesorten (z. B. grünes Blattgemüse, Gurken und Tomaten) sowie Kartoffeln, Fleisch, Brot und Backwaren aus Vollkornmehl. Allerdings kann ein erheblicher Teil des Folats bei der Zubereitung von Lebensmitteln zum Beispiel durch Hitzeeinwirkung ver-loren gehen [1]. Neben Folat gibt es noch die synthetisch hergestellte Folsäure, die unter anderem in Nahrungs-ergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln verwendet wird. Die beiden Formen unterscheiden sich chemisch: Folsäure ist stabiler gegenüber Licht, Hitze und Sauerstoff und hat eine höhere Bioverfügbarkeit als Folat [1, 2]. Folat ist unter anderem wichtig für Zellwachs-tum, -teilung und -differenzierung. Eine adäqute Versor-

gung ist daher besonders während der Schwangerschaft bedeutsam und kann das Risiko für embryonale Fehlbil-dungen (Neuralrohrdefekte), fetale Wachstumsverzöge-rungen, Früh- und Fehlgeburten sowie ein geringes Geburtsgewicht erheblich senken [3]. Außerdem wird derzeit ein möglicher Beitrag der Folatversorgung zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-, neurodegenerativen und Krebserkrankungen diskutiert. Es gibt jedoch keine hinreichenden wissenschaftlichen Daten, die bestätigen, dass eine über den Bedarf hinausgehende Versorgung mit Folat einen präventiven Effekt hat [1].

Die Folatversorgung der Bevölkerung kann zum einen über den Verzehr von folathaltigen Lebensmitteln (Ver-zehrerhebungen) geschätzt oder anhand von Messun-gen des Serum- und Erythrozytenfolats beurteilt werden. Erythrozytenfolat ist ein guter Indikator für den langfris-tigen Versorgungszustand des Individuums. Serumfolat

Autorinnen und Autor:Gert B.M. Mensink 1, Anke Weißborn 2

Almut Richter 1

Journal of Health Monitoring · 2016 1(2) DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-0341 Robert Koch-Institut, Berlin2 Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

Etwa 86 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland sind adäquat mit Folat versorgt.

Journal of Health Monitoring Folatversorgung in Deutschland FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2) 27

gibt Auskunft über die aktuelle Folatversorgung. Auch wenn Serumfolat individuellen und täglichen Schwan-kungen unterliegt, wird es als geeigneter Biomarker zur Beschreibung der Versorgungslage auf Bevölkerungse-bene angesehen [1, 6].

Im Folgenden werden Ergebnisse der Bestimmun-gen von Serumfolat aus der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1) dargestellt, die zwischen 2008 und 2011 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde [4, 5].

IndikatorIn der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutsch-land (DEGS 1) wurde Folat im Serum bei 7.045 Personen (3.669 Frauen und 3.376 Männern) im Alter von 18 bis 79 Jahren mittels Chemilumineszenz-Mikropartikelim-munoassay (CMIA, System Architect, Abbott Wiesbaden) bestimmt. Eine ausreichende Versorgung wird für Erwachsene bei Serumfolatwerten ≥ 4,4 ng/ml angenom-men. Serumfolatwerte < 3 ng/ml sind ein Hinweis auf einen klinischen Folatmangel [1, 6]. Im Folgenden wer-den die Serumfolatkonzentrationen nach Geschlecht, Alter und sozioökonomischem Status dargestellt.

Einordnung der ErgebnisseDer Median für Serumfolat beträgt insgesamt 7,5 ng/ml, bei Frauen 7,9 ng/ml, bei Männern 7,2 ng/ml (Tabelle 1). Der Median liegt somit bei beiden Geschlechtern jeweils deutlich oberhalb des Referenzwertes für eine adäquate Folatversorgung von ≥ 4,4 ng/ml. Im Bundes-Gesund-heitssurvey 1998 (BGS98), der von 1997 bis 1999 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde, betrug der

Median der Serumkonzentrationen bei den 18- bis 40-jäh-rigen Teilnehmerinnen 7,6 ng/ml [7]. Die Folatversorgung scheint sich bei Frauen somit seit Ende der 1990er-Jahre nicht gravierend geändert zu haben. Für Männer wurde im BGS98 keine Serumfolatbestimmung durchgeführt.

In DEGS 1 ist bei beiden Geschlechtern ein Anstieg der Serumfolatkonzentrationen mit zunehmendem Alter zu beobachten: Im Alter von 18 bis 29 Jahren beträgt der

Tabelle 1 Folat im Serum bei 18- bis 79-Jährigen,

nach Geschlecht, Alter und sozioökonomischem Status

Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Die Versorgung mit Folat verbessert sich mit zunehmendem Alter.

n Median Serumfolatwerte

ng/ml < 3 ng/ml ≥ 4,4 ng/mlFrauen (gesamt) 3.669 7,9 2,5 % 88,2 %

Alter 18 – 29 Jahre30 – 39 Jahre40 – 49 Jahre50 – 59 Jahre60 – 69 Jahre70 – 79 Jahre

539429691752712546

6,97,47,68,39,08,7

3,3 2,6 2,5 2,1 2,1 2,3

%%%%%%

82,9 85,6 87,7 90,4 94,5 89,3

%%%%%%

Sozioökonomischer Status Niedrig 595Mittel 2.280Hoch 771

7,37,98,5

4,3 2,4 1,1

%%%

81,6 88,9 94,2

%%%

Männer (gesamt) 3.376 7,2 4,1 % 84,1 %

Alter 18 – 29 Jahre 51530 – 39 Jahre 40640 – 49 Jahre 59750 – 59 Jahre 64060 – 69 Jahre 66870 – 79 Jahre 550

6,36,77,17,57,98,2

5,8 %4,4 %5,1 %4,8 %1,7 %0,6 %

79,1 80,3 81,3 86,2 91,1 91,0

%%%%%%

Sozioökonomischer StatusNiedrig 518Mittel 1.934Hoch 900

6,77,37,4

7,2 %3,7 %2,7 %

78,8 84,0 89,6

%%%

Journal of Health Monitoring Folatversorgung in Deutschland FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2) 28

Median 6,9 ng/ml bei Frauen und 6,3 ng/ml bei Männern, im Alter von 70 bis 79 Jahren 8,7 ng/ml beziehungsweise 8,2 ng/ml (Tabelle 1). Besonders bei Frauen, und in gerin-gerem Umfang auch bei Männern, ist ein Anstieg der Serumfolatwerte mit zunehmendem sozioökonomischen Status zu sehen (Tabelle 1). Diese Befunde lassen sich vermutlich darauf zurückführen, dass in höheren Alters-gruppen sowie bei Personen mit hohem sozioökonomi-schen Status ein höherer Obst- und Gemüsekonsum zu beobachten ist [8].

Ausreichende Serumfolatkonzentrationen von ≥ 4,4 ng/ml erreichen etwa 86 % der Erwachsenen (rund 88 % der Frauen, rund 84 % der Männer) (Tabelle 1). Der Anteil ist höher mit zunehmendem Alter. Etwa 12 % der Frauen und 16 % der Männer haben Serumfolatwerte < 4,4 ng/ml und dürften damit nicht ausreichend versorgt sein. Dieser Prozentanteil ist bei 18- bis 29-Jährigen (Frauen rund 17 %, Männer rund 21 %) deutlich höher als in der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen (Frauen rund 11 %, Männer rund 9 %). Einen Serumfolatwert unter 3 ng/ml, der auf einen klinischen Folatmangel hinweist, haben insgesamt 3,3 % der Erwachsenen (2,5 % der Frauen, 4,1 % der Männer) (Tabelle 1). Auch dieser Prozentanteil ist in den jüngeren Altersgruppen höher (bei 18- bis 29-Jäh-rigen: 3,3 % der Frauen und 5,8 % der Männer, bei 70- bis 79-Jährigen: 2,3 % der Frauen und 0,6 % der Männer).

Insgesamt zeigt der Vergleich der gemessenen Se rum-folatwerte mit den Referenzwerten, dass etwa 86 % der Erwachsenenbevölkerung in Deutschland gut mit Folat versorgt sind. Die Referenzwerte gelten für die Folatver-sorgung der allgemeinen Bevölkerung. Für Frauen im gebärfähigen Alter gelten zur Prävention von embryona-

len Neuralrohrdefekten höhere Referenzwerte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt hier, auf Bevölkerungsebene, eine Erythrozytenfolatkonzentration von mindestens 400 ng/ml [9]. Legt man die Empfehlung bei diesem ebenfalls in DEGS 1 gemessenen Biomarker an, zeigt sich, dass die Versorgung bei etwa 95 % der untersuchten Frauen nicht adäquat ist [10]. Eine ähnliche Versorgungssituation für Frauen im gebärfähigen Alter zeigte sich bereits im BGS98 [7]. Die Ergebnisse unter-streichen die Bedeutung der Empfehlung zur perikonzep-tionellen Folsäuresupplementierung [1], die in Deutsch-land nur unzureichend befolgt wird. Zu beachten ist aber, dass die Entstehung von Neuralrohrdefekten multifakto-riell bedingt ist. Auf Basis des WHO-Grenz wertes kann daher nicht das individuelle Risiko für Neuralrohrdefekte vorhergesagt werden. Die Auswertungen dienen auf Bevöl-kerungsebene lediglich zur Einschätzung der Folatversor-gung von Frauen im gebärfähigen Alter.

Neben Biomarkern kann die Folatversorgung eben-falls über die Zufuhr von Lebensmitteln geschätzt wer-den. Hierzu werden Verzehrerhebungen herangezogen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) emp-fiehlt für Erwachsene eine Zufuhr von 300 µg Folatäqui-valenten pro Tag (Äquivalente berücksichtigen die unter-schiedliche Bioverfügbarkeit von Folat und Folsäure), für Schwangere und Stillende eine Zufuhr von 550 bzw. 450 µg/Tag. Zur Prävention eines Folatmangels sollte auf einen ausreichenden Verzehr an folathaltigen Lebens-mitteln geachtet werden. Um das Risiko von Neuralrohr-defekten zu senken, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Frauen mit Kinderwunsch, neben einer folatreichen Ernährung mindestens 4 Wochen vor Beginn

Die meisten Frauen im gebärfähigen Alter erreichen nicht den von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Referenzwert auf Bevölkerungsebene zur Reduzierung des Risikos für Neuralrohrdefekte.

Journal of Health Monitoring Folatversorgung in Deutschland FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2) 29

der Schwangerschaft mit der täglichen Einnahme von 400 µg Folsäure in Form eines Präparats zu beginnen und die Supplementeinnahme während des ersten Drit-tels der Schwangerschaft beizubehalten [1]. In der Nati-onalen Verzehrsstudie II, die zwischen 2005 und 2006 vom Max Rubner-Institut (MRI) durchgeführt wurde, ergab sich für die Altersgruppe von 14 bis 80 Jahren eine mediane Folatzufuhr von 184 μg/Tag bei Frauen und 207 μg/Tag bei Männern [11]. Demnach erreicht die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung die Zufuhrempfehlung nicht. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass die Referenzwerte gewährleisten sollen, dass 97,5 % der Bevölkerung ausreichend versorgt sind [1]. Daher ent-halten sie Sicherheitszuschläge für Personen mit erhöh-tem Bedarf. Zur Beurteilung der Zufuhrsituation wird daher auch der durchschnittliche Bedarf (EAR, estima-ted average requirement) herangezogen, also jene Menge, die den Bedarf von 50 % der Bevölkerung deckt. Nach einem Vergleich verschiedener EU-Länder, bei dem ein EAR-Wert von 150 µg/Tag zugrunde gelegt wurde, ist die Zufuhrsituation in Deutschland relativ gut [12].

HinweisDie Grundlage des vorliegenden Fact sheet bildet das Kapitel „Folat“, das im 13. Ernährungsbericht der Deut-schen Gesellschaft für Ernährung e. V. erschienen ist [10]. Hier findet sich auch eine ausführlichereDarstellung mit Ergebnissen zum Erythrozytenfolat.

Literatur 1. Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesell-

schaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung

Bei hohem sozioökonomischen Status können höhere Folatkonzentrationen beobachtet werden.

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Journal of Health Monitoring Folatversorgung in Deutschland FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2) 30

Impressum

Journal of Health Monitoring

Institutionen der beteiligten Autorinnen und AutorenRobert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin,Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

KorrespondenzadresseDr. Gert B.M. MensinkRobert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und GesundheitsmonitoringGeneral-Pape-Str. 62–66 12101 BerlinE-Mail: [email protected]

InteressenkonfliktDer korrespondierende Autor gibt für sich und die Koautorinnen an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

HerausgeberRobert Koch-InstitutNordufer 2013353 Berlin

RedaktionDr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg,Alexander Rommel, Dr. Anke-Christine Saß,Stefanie Seeling, Martin Thißen,Dr. Thomas ZieseRobert Koch-InstitutAbteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring General-Pape-Str. 62–6612101 BerlinTel.: 030-18 754-3400E-Mail: [email protected]/journalhealthmonitoring

ZitierweiseMensink GBM, Weißenborn A, Richter A (2016) Folat-versorgung in Deutschland. Journal of Health Monito-ring 1(2): 26–30 DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-034

Journal of Health Monitoring Natriumzufuhr in Deutschland

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FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2)

Natriumzufuhr in Deutschland

AbstractEine zu hohe Natriumzufuhr wird seit vielen Jahren als potenzieller Risikofaktor für die Entwicklung von Bluthoch-druck und folglich für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen diskutiert. In der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1, 2008 – 2011) wurde die Natriumausscheidung in Spontanurinproben als Bio-marker für die Natriumzufuhr gemessen. Die so geschätzte tägliche Natriumzufuhr liegt im Median sowohl bei Frauen (3,4 g) als auch bei Männern (4,0 g) über Empfehlungen nationaler und internationaler Organisationen. Die höhere Natriumzufuhr der Männer ist unter anderem durch eine höhere Energiezufuhr erklärbar. Im Gegensatz zu Männern kann bei Frauen eine Assoziation der Natriumzufuhr mit dem Lebensalter festgestellt werden. Bei Män-nern ist ein hoher sozioökonomischer Status mit einer niedrigeren Natriumzufuhr assoziiert – ein Zusammenhang, der bei Frauen nicht zu beobachten ist.

ERNÄHRUNG · NATRIUM · GESUNDHEITSSURVEY · DEGS 1 · DEUTSCHLAND

EinleitungNatrium ist ein essenzieller Nährstoff und erfüllt wich-tige Funktionen im Körper [1]. Es ist Bestandteil von Speisesalz, welches Lebensmitteln bei der Verarbeitung, Zubereitung und vor dem Verzehr zugesetzt wird. Wesentliche Quellen der Natriumzufuhr sind daher ver-arbeitete Lebensmittel, vor allem Brot, Fleisch- und Wurstwaren sowie Milcherzeugnisse wie beispielsweise Käse [2, 3].

Eine hohe Natriumzufuhr birgt das Risiko eines zu hohen Blutdrucks (Hypertonie) und steht damit indirekt in Zusammenhang mit der Entstehung von Herz-Kreis-lauf-Erkrankungen [4–10]. Allerdings wird der Blutdruck nicht bei allen Menschen gleichermaßen durch die Salz-aufnahme beeinflusst (Salzsensitivität) [11, 12]. Darü-ber hinaus werden aber auch weitere negative Effekte

einer hohen Natriumzufuhr diskutiert: So erhöht sich möglicherweise auch das Risiko für Magenkrebs und Osteoporose [13].

Um tägliche Verluste auszugleichen wird eine mini-male Zufuhr von 0,55 g Natrium pro Tag für Jugendliche und Erwachsene empfohlen [1]. Für die tägliche Spei-sesalzzufuhr gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernäh-rung (DGE) als Orientierungswert bis zu 6 g an [14]. Diese Menge ist vergleichbar mit einem Teelöffel Salz und entspricht einer Natriummenge von etwa 2,4 g.

Eine repräsentative und regelmäßige Ermittlung der Natriumzufuhr in Deutschland ist ein wichtiger Baustein für die Bewertung und für die Ableitung von möglichen Handlungsoptionen.

Autorin und Autor:Stefanie Klenow, Gert B.M. Mensink

Journal of Health Monitoring · 2016 1(2) DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-035Robert Koch-Institut, Berlin

Gemessen an nationalen und internationalen Empfehlungen ist die Natriumzufuhr in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung zu hoch.

Journal of Health Monitoring

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FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2)

Natriumzufuhr in Deutschland

IndikatorEs wird davon ausgegangen, dass die täglich ausgeschie-dene Natriummenge in etwa der täglichen Zufuhr ent-spricht, sodass die im Urin gemessene Natriummenge einen geeigneten Biomarker für die Natriumzufuhr dar-stellt. In der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1), die zwischen 2008 und 2011 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde, sind Spontan-urinproben gesammelt worden [15]. Die gemessene Nat-riumkonzentration wurde mithilfe der Kreatininkonzen-tration auf die Natrium-Tagesausscheidung umgerechnet [15]. Im vorliegenden Fact sheet wird die Natriumzufuhr differenziert nach Geschlecht, Alter und sozioökonomi-schem Status dargestellt.

Einordnung der ErgebnisseDie Natriumzufuhr beträgt in der erwachsenen Bevöl-kerung in Deutschland im Median insgesamt 3,7 g pro Tag. Bei Frauen ist die Zufuhr im Median mit 3,4 g gerin-ger als bei Männern mit 4,0 g (Tabelle 1). Etwa 50 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland nehmen also täglich mehr als diese Menge zu sich. Bei 25 % der Frauen bzw. Männer liegt die Natriumzufuhr über 5,0 g bzw. 5,7 g Natrium pro Tag (Tabelle 1, 75. Perzentil), 5 % verzehren über 8,1 g bzw. 8,8 g Natrium pro Tag (Tabelle 1, 95. Perzentil). Die Mittelwerte der geschätzten täglichen Natriumzufuhr liegen mit 3,8 g für Frauen und 4,5 g für Männer über den jeweiligen Medianen. Die höhere Nat-riumzufuhr bei Männern könnte in der höheren Ener-

Tabelle 1 Geschätzte Natriumzufuhr (Perzentile)

bei 18- bis 79-Jährigen, nach Geschlecht und Alter

(n = 3.626 Frauen, n = 3.333 Männer) Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Bedingt durch eine höhere Energiezufuhr nehmen Männer mehr Natrium auf als Frauen. P5 g/Tag P10 g/Tag P25 g/Tag Median g/Tag P75 g/Tag P90 g/Tag P95 g/Tag

Frauen (alle) 1,1 1,5 2,3 3,4 5,0 6,7 8,1

Alter 18 – 29 Jahre30 – 39 Jahre40 – 49 Jahre50 – 59 Jahre60 – 69 Jahre70 – 79 Jahre

1,01,31,31,11,10,9

1,31,51,61,51,51,3

2,02,32,62,42,12,1

2,93,33,83,73,43,1

4,24,75,25,44,85,0

5,96,47,17,06,76,6

7,07,88,58,07,98,6

Männer (alle) 1,2 1,7 2,7 4,0 5,7 7,6 8,8

Alter 18 – 29 Jahre30 – 39 Jahre40 – 49 Jahre50 – 59 Jahre60 – 69 Jahre70 – 79 Jahre

1,51,11,01,31,31,2

1,81,81,51,91,71,7

2,62,92,62,72,72,6

3,94,23,84,14,13,9

6,06,15,35,95,75,5

7,98,26,97,87,67,6

8,79,28,69,09,68,6

Gesamt 1,2 1,6 2,4 3,7 5,3 7,2 8,6

P: Perzentil

Journal of Health Monitoring

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giezufuhr begründet sein. Pro Energieeinheit ist die Natriumzufuhr von Frauen und Männern in Deutsch-land etwa gleich [16].

Die Natriumzufuhr nimmt bei Frauen bis zur Alters-gruppe der 40- bis 59-Jährigen zu. Bei Frauen nimmt die Zufuhr in den höheren Altersgruppen dann wieder leicht ab. Ein altersabhängiger Trend ist bei Männern nicht zu beobachten.

Der sozioökonomische Status ist bei Frauen nicht mit der Natriumzufuhr assoziiert (Tabelle 2). Männer der hohen Statusgruppe verzehren etwas weniger Nat-rium als Männer der mittleren beziehungsweise niedri-gen Statusgruppe (Tabelle 2).

Die Natriumzufuhr, geschätzt über die Ausschei-dung im Urin, liegt durchgängig über den Schätzungen der Natriumzufuhr aus Verzehrerhebungen in Deutsch-land [2, 3, 11, 17, 18]. Da letztere im Vergleich zu DEGS 1 andere Herangehensweisen zur Schätzung der Natrium-zufuhr haben, ist der Unterschied vermutlich metho-disch bedingt. In der Nationalen Verzehrsstudie II wurde die Natriumzufuhr über Dietary-History-Interviews (Soft-ware DISHES) und über zwei 24-Stunden-Recalls ermit-telt [3, 17]. Die mediane tägliche Natriumzufuhr der Frauen lag bei 2,4 g bzw. 1,9 g, je nach Methode, und die der Männer bei 3,2 g bzw. 2,8 g. Im Bundes-Gesund-heitssurvey 1998 (BGS98), wurde der Verzehr mithilfe

Die Natriumzufuhr ist sowohl bei jüngeren Frauen als auch in der höchsten Altersgruppe geringer.

Tabelle 2 Geschätzte Natriumzufuhr (Median)

bei 18- bis 79-Jährigen, nach Geschlecht und sozioökonomischem Status

(n = 3.602 Frauen, n = 3.309 Männer) Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

von DISHES erfasst [2, 11]. Die tägliche mediane Natri-umzufuhr lag hier bei 2,2 g (Frauen) bzw. 3,0 g (Männer).

International liegt die durchschnittliche Natrium-zufuhr zwischen 2,6 g und 4,8 g pro Tag mit einem Mittelwert über alle betrachteten Studien von 3,7 g pro Tag [19]. Im internationalen Vergleich liegt die durch-schnittliche tägliche Natriumzufuhr in Deutschland (geschätzt über die Natriumausscheidung) mit 4,1 g im mittleren bis oberen Bereich.

Verglichen mit Zufuhrempfehlungen nationaler und internationaler Organisationen ist die Natriumzufuhr in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung zu hoch. Den Orientierungswert der Deutschen Gesellschaft für Ernäh-rung [14] von bis zu 6 g Speisesalz pro Tag (entspricht 2,4 g Natrium) überschreiten 73 % der Frauen und 80 % der Männer in Deutschland. Die Zufuhrempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) [20] von weniger als 2 g Natrium pro Tag überschreiten sogar 80 % der Frauen und 86 % der Männer in Deutschland.

Da die tägliche Natriumzufuhr in vielen Mitgliedstaa-ten der EU über den Empfehlungen liegt, hat die WHO im „Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Stra-tegie zur Prävention und Bekämpfung nichtübertrag-barer Krankheiten (2012 – 2016)“ die Reduzierung der Natriumzufuhr zu einer der fünf vorrangigen Interven-tionen erklärt [21].

HinweisDie Grundlage des vorliegenden Fact sheet bildet das Kapitel „Natrium“, das im 13. Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. erschienen ist [22].

Natriumzufuhr in Deutschland

Frauen g/Tag Männer g/Tag

Sozioökonomischer StatusNiedrig 3,4 4,0Mittel 3,5 4,1Hoch 3,4 3,7

Journal of Health Monitoring Natriumzufuhr in Deutschland

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FACT SHEET

Journal of Health Monitoring 2016 1(2)

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Ein hoher sozioökonomischer Status ist bei Männern mit einer niedrigeren Natriumzufuhr assoziiert.

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Journal of Health Monitoring Natriumzufuhr in Deutschland

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Impressum

Journal of Health Monitoring

Institution der beteiligten Autorinnen und AutorenRobert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin

KorrespondenzadresseDr. Gert B.M. MensinkRobert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und GesundheitsmonitoringGeneral-Pape-Str. 62–66 12101 BerlinE-Mail: [email protected]

InteressenkonfliktDer korrespondierende Autor gibt für sich und die Koautorin an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

FörderungshinweisDie Bestimmung von Natrium im Urin wurde gefördert vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-schaft (BMEL) über die Bundesanstalt für Landwirt-schaft und Ernährung (BLE), Förderkennzeichen 2813HS013.

Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

HerausgeberRobert Koch-InstitutNordufer 2013353 Berlin

RedaktionDr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg,Alexander Rommel, Dr. Anke-Christine Saß,Stefanie Seeling, Martin Thißen,Dr. Thomas ZieseRobert Koch-InstitutAbteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring General-Pape-Str. 62–6612101 BerlinTel.: 030-18 754-3400E-Mail: [email protected]/journalhealthmonitoring

ZitierweiseKlenow S, Mensink GBM (2016) Natriumzufuhr in Deutschland. Journal of Health Monitoring 1(2): 31–35 DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-035

Journal of Health Monitoring Vitamin-D-Status in Deutschland

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Journal of Health Monitoring 2016 1(2)

Vitamin-D-Status in Deutschland

AbstractEine wichtige Funktion von Vitamin D im Körper ist die Beteiligung am Knochenstoffwechsel. Gemessen an ihren Serumblutwerten sind 30,2 % der Erwachsenen (29,7 % der Frauen, 30,8 % der Männer) mangelhaft mit Vitamin D ver-sorgt. Eine ausreichende Versorgung erreichen 38,4 % der Erwachsenen (38,6 % der Frauen, 38,3 % der Männer). Während sich bei Männern kaum Unterschiede im Altersgang zeigen, nimmt der Anteil der mangelhaft versorgten Frauen mit steigendem Alter zu, der Anteil der ausreichend versorgten Frauen ab. Erwachsene mit niedrigem sozioökonomischen Status haben signifikant häufiger eine mangelhafte Vitamin-D-Versorgung als Erwachsene der hohen Statusgruppe. Der Vitamin-D-Status unterliegt starken saisonalen Schwankungen. Für eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung wird empfohlen zwischen März und Oktober zwei- bis dreimal pro Woche Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnenschutz der Sonne auszusetzen. Hierbei sollten Sonnenbrände unbedingt vermieden werden.

ERNÄHRUNG · VITAMIN D· GESUNDHEITSSURVEY · DEGS 1 · DEUTSCHLAND

EinleitungVitamin D ist ein fettlösliches Vitamin, das im Körper wie ein Hormon wirkt. Eine wichtige Funktion von Vitamin D ist die Beteiligung am Knochenstoffwechsel. Hierbei fördert es unter anderem die Aufnahme von Cal-cium aus dem Dünndarm sowie die Härtung der Kno-chen [1]. Ein schwerer und anhaltender Vitamin-D-Man-gel kann unter anderem zur Erweichung von Knochen und Verformungen des Skeletts führen und damit zu Rachitis im Säuglings- und Kindesalter sowie zu Osteo-malazie im Erwachsenenalter. Im höheren Alter kann ein Vitamin-D-Mangel darüber hinaus zur Entstehung von Osteoporose beitragen. In den vergangenen Jahren wur-den zudem Zusammenhänge zwischen niedrigen Vita-min-D-Werten und verschiedenen chronischen Krank-

heiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen in Beobachtungsstudien gefunden[2–4]. Bislang gibt es jedoch keinen Beweis für eineursächliche Beziehung [5, 6].

Vitamin D kann zum einen über pflanzliche und tie-rische Lebensmittel zugeführt, zum anderen unter Ein-fluss von UV-B-Strahlung in der Haut selbstständig gebil-det werden (Vitamin-D-Eigensynthese) [7, 8]. Aufgrund der Tatsache, dass nur wenige Lebensmittel, wie zumBeispiel Speisefische mit einem hohen Fettanteil oderPilze, Vitamin D in ausreichenden Mengen enthalten,trägt die Eigensynthese mit einem geschätzten Anteilvon 80 % bis 90 % den größten Teil zur Versorgung bei [1]. Die hierfür benötigte Strahlung kommt ganzjährignur in Regionen unterhalb des 35. Breitengrads vor. In

Autorin und Autor:Martina Rabenberg, Gert B.M. Mensink

Journal of Health Monitoring · 2016 1(2) DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-036Robert Koch-Institut, Berlin

30,2 % der Erwachsenen sind mangelhaft mit Vitamin D versorgt. Eine ausreichende Versorgung erreichen 38,4 % der Erwachsenen.

Journal of Health Monitoring Vitamin-D-Status in Deutschland

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höhergelegenen Breiten nimmt die Intensität und Dauer an adäquater Strahlung ab und die Vitamin-D-Bildung wird abhängig von der Jahreszeit [9–11]. Dies trifft auch auf Deutschland zu, das zwischen dem 47. und 55. Brei-tengrad liegt. Hier ist die Eigensynthese von circa März bis Oktober möglich [11]. In dieser Zeit kann der Körper Vitamin-D-Reserven im Fett- und Muskelgewebe anle-gen, auf die er im Winterhalbjahr zurückgreifen kann. Der Aufbau eines adäquaten Speichers wird jedoch durch verschiedene Lebensstilfaktoren erschwert (z. B. Aufent-halt in geschlossenen Räumen, ausgeprägtes Sonnen-schutzverhalten). Daher kann es insbesondere in der dunklen Jahreszeit zu niedrigen Vitamin-D-Spiegeln kommen.

Ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-D-Mangel tra-gen ältere Personen sowie Personen, die sich selten oder nur mit bedeckter Haut im Freien aufhalten (z. B. auf-grund von Pflegebedürftigkeit oder religiösen bzw. kul-turellen Gründen) oder eine dunkle Hautfarbe haben [12]. Weiterhin zählen Personen dazu, die chronische Magen-Darm-, Leber- oder Nierenerkrankungen haben beziehungsweise Medikamente einnehmen, die den Vita-min-D-Stoffwechsel beeinträchtigen (z. B. Antiepileptika oder Zytostatika).

IndikatorIn der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutsch-land (DEGS 1) [13, 14], die zwischen 2008 und 2011 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde, ist Vitamin D bei 6.995 Teilnehmenden im Alter von 18 bis 79 Jahren anhand der Konzentration von 25-Hydroxy-Vitamin-D (25(OH)D) im Blutserum gemessen worden [15].

Das Institute of Medicine, USA, hat den Vita-min-D-Status hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf die Knochengesundheit bewertet [16]: Bei 25(OH)D-Serumkonzentrationen > 50 nmol/l wird von einer aus-reichenden Versorgung ausgegangen. Serumkonzentra-tionen zwischen 30 und < 50 nmol/l geben Hinweise auf eine suboptimale Versorgung mit möglichen Folgen für die Knochengesundheit. 25(OH)D-Serumwerte < 30 nmol/l weisen auf eine mangelhafte Vitamin-D-Ver-sorgung mit einem erhöhten Risiko für Krankheiten wie Osteomalazie und Osteoporose hin [11]. Im vorliegen-den Faktenblatt wird der Vitamin-D-Status nach dieser Einteilung, stratifiziert nach Geschlecht, Alter, sozioöko-nomischem Status und Jahreszeit dargestellt.

Einordnung der ErgebnisseInsgesamt weisen 30,2 % der Erwachsenen (29,7 % der Frauen, 30,8 % der Männer) zwischen 18 und 79 Jahren 25(OH)D-Serumkonzentrationen < 30 nmol/l und damit eine mangelhafte Versorgung auf. Eine ausreichende Ver-sorgung mit 25(OH)D-Serumkonzentrationen von ≥ 50 nmol/l erreichen hingegen 38,4 % der Erwachsenen (38,6 % der Frauen, 38,3 % der Männer) (Tabelle 1 und 2).

Bei Stratifizierung nach Alter zeigt sich, dass der Anteil der ausreichend mit Vitamin D versorgten Frauen im Altersgang deutlich abnimmt, während der Anteil der mangelhaft versorgten Frauen leicht zunimmt (Tabelle 1 und 2). Bei Männern können weniger deutliche Trends beobachtet werden. Während sich der Anteil der man-gelhaft versorgten Männer mit dem Alter etwas verrin-gert, bleibt der Anteil der ausreichend versorgten Män-ner nahezu konstant. Die geschlechtsspezifischen

Bei Männern zeigen sich kaum Unterschiede im Altersgang.

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Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind nicht eindeutig zu erklären. Als mögliche Ursachen werden der höhere Körperfettanteil von Frauen sowie ein stär-keres Sonnenschutzverhalten diskutiert [17].

Die DEGS 1-Daten zeigen darüber hinaus, dass Frauen und Männer mit niedrigem sozioökonomischen Status signifikant häufiger einen mangelhaften Vitamin-D-Status aufweisen als Frauen und Männer mit hohem sozioöko-

Tabelle 2 25(OH)D-Serumkonzentrationen nach

Einteilung des Institute of Medicine bei 18- bis 79-jährigen Männern, nach Alter und

sozioökonomischem Status (n = 3.360) Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Tabelle 1 25(OH)D-Serumkonzentrationen nach

Einteilung des Institute of Medicine bei 18- bis 79-jährigen Frauen, nach Alter und

sozioökonomischem Status (n = 3.635) Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

25(OH)D < 30 nmol/l (mangelhafte Versorgung)

25(OH)D 30 – < 50 nmol/l (suboptimale Versorgung)

25(OH)D ≥ 50 nmol/l (ausreichende Versorgung)

Frauen Gesamt Frauen Gesamt Frauen Gesamt

% (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI)Alter18 – 29 Jahre30 – 44 Jahre45 – 64 Jahre65 – 79 Jahre

25,1 (20,7 31,8 (26,5 28,8 (25,1 32,9 (28,3

– – – –

30,0)37,6)32,7)37,9)

28,4 (24,4 32,8 (28,2 29,6 (26,1 30,0 (26,2

– – – –

32,8)37,8)33,3)34,2)

28,4 (24,0 25,9 (22,3 34,5 (31,5 36,9 (32,8

– – – –

33,3)29,7)37,6)41,3)

28,8 (25,4 27,2 (24,2 32,8 (30,4 36,5 (33,2

– – – –

32,4)30,4)35,2)39,9)

46,5 (40,8 42,4 (36,5 36,8 (32,9 30,1 (25,5

– – – –

52,2)48,4)40,8)35,2)

42,8 (38,2 40,0 (35,0 37,7 (33,9 33,5 (29,2

– – – –

47,7)45,2)41,6)38,0)

Sozioökonomischer StatusNiedrig 37,6 (31,6 Mittel 28,7 (25,3 Hoch 22,8 (18,6

– – –

43,9)32,4)27,6)

38,6 (33,5 29,0 (25,4 24,8 (21,0

– – –

43,9)32,7)29,2)

37,1 (32,4 30,5 (28,1 30,6 (26,8

– – –

42,1)33,1)34,7)

33,5 (29,7 30,8 (28,6 31,3 (28,5

– – –

37,4)33,1)34,2)

25,3 (21,0 40,7 (36,5 46,6 (41,3

– – –

30,2)45,2)51,9)

28,0 (23,6 40,2 (36,1 43,8 (39,3

– – –

32,9)44,5)48,5)

Gesamt 29,7 (26,5 – 33,1) 30,2 (26,9 – 33,8) 31,8 (29,7 – 33,9) 31,3 (29,4 – 33,3) 38,6 (35,0 – 42,3) 38,4 (34,7 – 42,3)KI: Konfidenzintervall

25(OH)D < 30 nmol/l (mangelhafte Versorgung)

25(OH)D 30 – < 50 nmol/l (suboptimale Versorgung)

25(OH)D ≥ 50 nmol/l (ausreichende Versorgung)

Männer Gesamt Männer Gesamt Männer Gesamt

% (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI)Alter18 – 29 Jahre30 – 44 Jahre45 – 64 Jahre65 – 79 Jahre

31,6 (26,1 33,8 (28,0 30,4 (25,9 26,6 (21,8

– – – –

37,6)40,2)35,3)32,2)

28,4 (24,4 32,8 (28,2 29,6 (26,1 30,0 (26,2

– – – –

32,8)37,8)33,3)34,2)

29,1 (24,6 28,5 (24,0 31,1 (27,8 36,0 (31,5

– – – –

34,1)33,4)34,6)40,7)

28,8 (25,4 27,2 (24,2 32,8 (30,4 36,5 (33,2

– – – –

32,4)30,4)35,2)39,9)

39,3 (33,3 37,7 (31,6 38,5 (33,6 37,4 (32,0

– – – –

45,7)44,2)43,6)43,1)

42,8 (38,2 40,0 (35,0 37,7 (33,9 33,5 (29,2

– – – –

47,7)45,2)41,6)38,0)

Sozioökonomischer StatusNiedrig 39,6 (33,0 Mittel 29,2 (24,8 Hoch 26,5 (21,6

– – –

46,7)34,0)32,0)

38,6 (33,5 29,0 (25,4 24,8 (21,0

– – –

43,9)32,7)29,2)

29,6 (24,1 31,1 (28,2 31,9 (28,0

– – –

35,7)34,2)36,0)

33,5 (29,7 30,8 (28,6 31,3 (28,5

– – –

37,4)33,1)34,2)

30,8 (24,3 39,7 (34,9 41,6 (36,0

– – –

38,2)44,7)47,6)

28,0 (23,6 40,2 (36,1 43,8 (39,3

– – –

32,9)44,5)48,5)

Gesamt 30,8 (26,8 – 35,2) 30,2 (26,9 – 33,8) 30,9 (28,4 – 33,6) 31,3 (29,4 – 33,3) 38,3 (33,8 – 42,9) 38,4 (34,7 – 42,3)KI: Konfidenzintervall

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nomischen Status (Tabelle 1 und 2). Außerdem kann beob-achtet werden, dass Frauen der mittleren und hohen Sta-tusgruppe signifikant häufiger ausreichend mit Vitamin D versorgt sind als Frauen der niedrigen Statusgruppe. Bei Männern zeigen sich die zuletzt genannten Unterschiede hingegen nicht. Die Ursache der Differenzen ist bislang noch nicht hinreichend geklärt. Es kann jedoch vermutet werden, dass Unterschiede im Freizeitverhalten – insbe -sondere im Hinblick auf Aktivitäten im Freien – einen wesentlichen Beitrag hierzu leisten. Darüber hinaus ist denkbar, dass auch weitere Risiken für einen Vita-min-D-Mangel seltener in der Gruppe der Personen mit hohem sozioökonomischen Status zu finden sind.

Abbildung 1 zeigt, dass der Vitamin-D-Status starken saisonalen Schwankungen unterliegt. Während im Som-mer und Herbst 8,3 % bzw. 19,3 % der Erwachsenen einen mangelhaften Vitamin-D-Status aufweisen, sind es im Frühling und Winter 38,4 % bzw. 52,0 %. Ebenso

Bei Frauen nimmt der Anteil der mangelhaft Versorgten mit dem Alter zu, der Anteil der ausreichend Versorgten ab.

stark variiert der Anteil der ausreichend versorgten Erwachsenen über die Jahreszeiten: von 27,3 % im Früh-ling über 65,8 % im Sommer, 47,9 % im Herbst und 17,6 % im Winter. Neben der Jahreszeit sind weitere Fak-toren bekannt, die die körpereigene Produktion von Vita-min D beeinflussen. Dies sind unter anderem die Dauer, die unter Sonneneinstrahlung im Freien verbracht wird, die Verwendung von Sonnenschutzmitteln, Körperbede-ckungen oder das Aufsuchen von Schattenplätzen sowie das Lebensalter und die Pigmentierung der Haut [11].

Den DEGS 1-Daten zum Vitamin-D-Status Erwachse-ner können Auswertungen des Bundes-Gesund-heitssurvey 1998 (BGS98) gegenübergestellt werden. Beim BGS98, der zwischen 1997 und 1999 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde, sind 25(OH)D-Serumkonzentrationen bei 4.030 T eilnehmenden zwischen 18 und 79 Jahren analysiert worden. Beim Ver-gleich beider Surveys zeigt sich, dass die im BGS98 untersuchten Frauen und Männer etwas höhere Werte aufwiesen als diejenigen von DEGS 1. So waren beim BGS98 23,6 % der Frauen und 23,7 % der Männer mangelhaft, 43,2 % der Frauen und 42,7 % der Männer ausreichend versorgt.

Vergleiche der Vitamin-D-Versorgung werden sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene durch verschiedene Faktoren beeinflusst und erschwert [11]. Zu diesen gehört beispielsweise die Vielzahl an Labor-methoden zur Bestimmung von 25(OH)D, die zu unter-schiedlichen Ergebnissen führen können [11, 17–20]. Um den Vitamin-D-Status in Europa vergleichbar zu machen, wurden im Rahmen des EU-finanzierten Pro-jektes ODIN (Food-based solutions for optimal

Abbildung 1 25(OH)D-Serumkonzentrationen nach

Einteilung des Institute of Medicine bei 18- bis 79-Jährigen, nach Jahreszeit (n = 6.995)

Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Jahreszeit

Anteil (%)

Frühling(März – Mai)

Sommer(Juni – August)

Herbst(September – November)

Winter(Dezember – Februar)

20

40

60

80

100

< 30 nmol/l (mangelhafte Versorgung)

30 – < 50 nmol/l (suboptimale Versorgung)

≥ 50 nmol/l (ausreichende Versorgung)

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Vitamin D nutrition and health through the life cycle) 25(OH)D-Serumkonzentrationen aus 14 repräsentati-ven Studien (n = 55.844), inklusive DEGS 1, nach einem standardisierten Protokoll gegenüber einer Referenz-methode kalibriert [11, 21–23]. Nach der Standardisie-rung weisen 44,0 % der Teilnehmenden (44,3 % der Frauen, 43,7 % der Männer) eine ausreichende Vita-min-D-Versorgung auf, 15,2 % der Teilnehmenden (14,7 % der Frauen, 15,7 % der Männer) eine mangel-hafte Vitamin-D-Versorgung [11, 24]. Der auf Basis aller teilnehmenden Studien berechnete Gesamtschätzer eines Vitamin-D-Mangels liegt bei 11,7 % [11]. In Deutschland ist die Versorgung mit Vitamin D somit ungünstiger als im Durchschnitt aller im Projekt unter-suchten Länder [11]. Die höchsten durchschnittlichen Vitamin-D-Werte wurden in Finnland erreicht. Dies ist vermutlich auf die zunehmende Anreicherung von Lebensmitteln in diesem Land zurückzuführen.

Die Ergebnisse der vorliegenden Analysen weisen darauf hin, dass der Vitamin-D-Status von Erwachsen in Deutschland nicht optimal ist. Um einem Vita-min-D-Mangel insbesondere in der dunkleren Jahreszeit entgegenzuwirken, legen aktuelle Empfehlungen nahe, zwischen März und Oktober zwei- bis dreimal pro Woche Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnen-schutz der Sonne auszusetzen [25]. Für eine ausrei-chende Vitamin-D-Synthese reicht hierbei bereits die Hälfte der Zeit, in der sonst ungeschützt ein Sonnen-brand entstehen würde. Da Rötungen der Haut sowie Sonnenbrände grundsätzlich vermieden werden sollten, sind bei längeren Aufenthalten in der Sonne unbedingt Sonnenschutzmaßnahmen zu treffen [25].

Die Einnahme von Vitamin-D-Supplementen wird von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bei Erwach-senen nur unter bestimmten Voraussetzungen empfoh-len. Zum einen, wenn eine mangelhafte Versorgung nachgewiesen ist, zum anderen, wenn eine Verbesserung des Vitamin-D-Status weder durch die Eigensynthese noch die Ernährung erzielt werden kann [26]. Dies betrifft insbesondere die in der Einleitung genannten Risiko-gruppen für einen Vitamin-D-Mangel [12].

HinweisDie Grundlage des vorliegenden Fact sheet bildet das Kapitel „Vitamin D“, das im 13. Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. erschienen ist [11].

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Der Vitamin-D-Status unterliegt starken saisonalen Schwankungen.

Journal of Health Monitoring Vitamin-D-Status in Deutschland

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Erwachsene mit niedrigem sozioökonomischen Status sind signifikant häufiger von einem mangelhaften Vitamin-D-Status betroffen.

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Institution der beteiligten Autorinnen und AutorenRobert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin

KorrespondenzadresseMartina RabenbergRobert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und GesundheitsmonitoringGeneral-Pape-Str. 62–66 12101 BerlinE-Mail: [email protected]

InteressenkonfliktDie korrespondierende Autorin gibt für sich und den Koautor an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit

HerausgeberRobert Koch-InstitutNordufer 2013353 Berlin

RedaktionDr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg,Alexander Rommel, Dr. Anke-Christine Saß,Stefanie Seeling, Martin Thißen,Dr. Thomas ZieseRobert Koch-InstitutAbteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring General-Pape-Str. 62–6612101 BerlinTel.: 030-18 754-3400E-Mail: [email protected]/journalhealthmonitoring

ZitierweiseRabenberg M, Mensink GBM (2016) Vitamin-D-Status in Deutschland. Journal of Health Monitoring 1(2): 36–42 DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-036

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Kochhäufigkeit in Deutschland

AbstractDas wachsende Angebot an teilfertigen oder verzehrfertigen Lebensmitteln (Convenience-Produkten) und Außer-Haus-Verzehrmöglichkeiten droht, die eigene Essenszubereitung zunehmend zu verdrängen. Jedoch besitzt die eigene Zubereitung von Mahlzeiten aus frischen Lebensmitteln einen hohen Stellenwert, da weitgehend Ein-fluss auf die Qualität und die Zusammensetzung der Nahrung genommen werden kann. Laut der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1, 2008 – 2011) bereiten insgesamt 50,8 % der Erwachsenen zwi-schen 18 und 79 Jahren (61,4 % der Frauen, 40,2 % der Männer) ihre Mahlzeiten täglich oder fast täglich selbst aus frischen Lebensmitteln zu. Frauen geben mit 2,9 % deutlich seltener an, nie selbst zu kochen (Männer: 16,1 %). Ältere Teilnehmende kochen wesentlich häufiger täglich oder fast täglich als Jüngere. Darüber hinaus ist eine gerin-ge Erwerbstätigkeit bei beiden Geschlechtern mit einer erhöhten Kochhäufigkeit assoziiert.

ERNÄHRUNG · KOCHVERHALTEN · GESUNDHEITSSURVEY · DEGS 1 · DEUTSCHLAND

EinleitungEine ausgewogene Ernährung ist wichtig für den Erhalt und die Förderung der Gesundheit. Zahlreiche Studien zeigen, dass Ernährung eine wesentliche Rolle bei der Entstehung vieler sogenannter Wohlstandskrankheiten wie zum Beispiel Adipositas oder Diabetes spielt [1]. Das Kochverhalten in der Bevölkerung ist ein wichtiger Faktor, der die individuelle Ernährungsweise mitbe-stimmt [2]. Somit könnten Erkenntnisse über das Koch-verhalten in Deutschland Ansätze zur Verbesserung der Gesundheitsförderung im Ernährungsbereich aufzei-gen. Hervorgerufen durch den gesellschaftlichen Wan-del, die veränderten Lebensbedingungen und neue Ent-wicklungen im Ernährungssektor werden vermehrt Fertigprodukte konsumiert und Außer-Haus-Verzehr-angebote in Anspruch genommen [3, 4]. Nahrung soll-

te möglichst jederzeit und ohne großen Aufwand ver-fügbar sein [5]. Allerdings können Konsumentinnen und Konsumenten bei verzehrfertigen Speisen schwerer Ein-fluss auf die Qualität und die Zusammensetzung der verzehrten Nahrung nehmen [6]. Darüber hinaus haben viele hoch verarbeitete Fertigprodukte einen reduzier-ten Proteinanteil und dafür vor allem einen erhöhten Kohlen hydrat- und Fettanteil [7].

Beim Kochen kann durch die Zubereitung von (war-men) Mahlzeiten nicht nur ein erweitertes Wissen über die Zusammensetzung von Nahrung erlangt wer-den, sondern auch über deren Inhaltsstoffe und ihre gesundheitliche Bedeutung. Denn wer häufig selbst kocht, setzt sich automatisch mehr mit Lebensmitteln und deren Zubereitung auseinander. Studien zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Ernäh-

Autorin und Autor:Anja Borrmann, Gert B.M. Mensink

Journal of Health Monitoring · 2016 1(2) DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-037Robert Koch-Institut, Berlin

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rungswissen und der Ernährungsweise. Je mehr jemand über gesunde Ernährung weiß, desto öfter greift er zu ernährungsphysiologisch günstigeren Lebensmitteln wie Obst und Gemüse [8–10]. Allerdings ist die Umsetzung der Ernährungsempfehlungen stark von Lebensumständen und wirtschaftlichen Bedingun-gen abhängig.

IndikatorIn der Studie zur Gesundheit von Erwachsenen in Deutschland (DEGS 1), die zwischen 2008 und 2011 vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurde, wurden Daten zur Kochhäufigkeit bei 18- bis 79-jährigen Erwachsenen erhoben [11]. In einem selbst auszufüllenden Frage bogen (Food-Frequency-Questionnaire) wurden die Teilneh-menden gefragt: „Wie häufig in der Woche bereiten Sie aus Grundzutaten/frischen Lebensmitteln eine warme Mahlzeit (Mittag- oder Abendessen) selbst zu?“ Die Ant-wortmöglichkeiten wurden zu drei Ausprägungen zusam-

mengefasst: „Täglich/fast täglich“, „1- bis 4-mal pro Woche“ und „Nie“. Insgesamt machten 6.956 Teilneh-mende Angaben zur Kochhäufigkeit, die statistisch ana-lysiert wurden. Die Kochhäufigkeit wird stratifiziert nach Geschlecht, Alter, Bildung und Erwerbstätigkeit darge-stellt.

Die Angaben zum Bildungsniveau wurden mithilfe des CASMIN-Index (Comparative Analysis of Social Mobility in Industrial Nations) kategorisiert. Dieser ori-entiert sich an den Stufen des Bildungssystems und berücksichtigt die Differenzierung in berufsbildende und allgemeinbildende Ausbildungsgänge [12]. Der Sta-tus der Erwerbstätigkeit zum Befragungszeitpunkt wurde in vier Kategorien zusammengefasst, „Vollzeit erwerbstätig oder Ausbildung“, „Teilzeit oder gering-fügig beschäftigt“, „Nicht oder kaum erwerbstätig“ und

„Rente/Pension“.

Tabelle 1 Kochhäufigkeit bei 18- bis 79-Jährigen,

nach Geschlecht und Alter Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Ältere Frauen und Männer kochen anteilig häufiger täglich oder fast täglich als jüngere Personen.

Alter

18 – 29 Jahre 30 – 44 Jahre 45 – 64 Jahre 65 – 79 Jahre Gesamt

% (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI)Frauen n = 535 n = 743 n = 1.455 n = 903 n = 3.636

Täglich/fast täglich 39,9 (34,6 – 45,5) 57,8 (53,5 – 61,9) 63,0 (59,8 – 66,1) 81,9 (77,7 – 85,5) 61,4 (59,1 – 63,8)

1 – 4 mal pro Woche 53,0 (47,7 – 58,1) 39,7 (35,8 – 43,7) 35,0 (32,0 – 38,2) 16,7 (13,2 – 20,8) 35,6 (33,4 – 37,9)

Nie 7,1 (4,6 – 10,9) 2,6 (1,4 – 4,5) 1,9 (1,2 – 3,1) 1,4 (0,8 – 2,6) 2,9 (2,2 – 3,8)

Männer n = 512 n = 663 n = 1.255 n = 890 n = 3.320

Täglich/fast täglich 31,0 (26,1 – 36,5) 34,7 (29,6 – 40,2) 39,0 (35,4 – 42,7) 60,6 (55,5 – 65,4) 40,2 (37,8 – 42,7)

1 – 4 mal pro Woche 52,5 (47,4 – 57,6) 51,2 (46,2 – 56,2) 44,2 (40,4 – 48,0) 22,3 (18,6 – 26,5) 43,7 (41,7 – 45,7)

Nie 16,4 (13,1 – 20,4) 14,1 (10,7 – 18,3) 16,8 (14,6 – 19,3) 17,1 (13,9 – 21,0) 16,1 (14,3 – 18,0)KI: Konfidenzintervall

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Einordnung der ErgebnisseLaut DEGS 1 bereiten 50,8 % der Erwachsenen täglich oder fast täglich warme Mahlzeiten aus frischen Grund-zutaten zu (Tabelle 1). Bei Frauen liegen die Anteile mit 61,4 % deutlich über denen der Männer mit 40,2 %. Männer geben hingegen mit 16,1 % deutlich häufiger an, nie selbst zu kochen im Vergleich zu Frauen mit 2,9 %. Immerhin 1- bis 4-mal pro Woche bereiten 35,6 % der Frauen und 43,7 % der Männer ihre Mahlzeiten selbst zu. Ähnliche Unterschiede im Kochverhalten zwischen Frau-en und Männern wurden in einer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebenen Befragung beobachtet [13]. Ein Grund für die geschlech-terspezifischen Unterschiede könnte sein, dass Frauen zum einen mehr Wert auf eine gesunde Ernährung legen, zum anderen häufig für die Versorgung der Familie zuständig sind [13, 14].

In DEGS 1 zeigen sich neben geschlechterspezifi-schen auch altersspezifische Unterschiede bei der Koch-häufigkeit. Die älteste Teilnehmergruppe (65 bis 79 Jahre) kocht mit 81,9 % bei den Frauen und 60,6 % bei den Männern am häufigsten täglich oder fast täglich selbst. Damit wird die weit verbreitete These gestützt, dass sich das Ernährungs- und Kochverhalten der Gene-rationen stark voneinander unterscheidet [15, 16]. Die altersspezifischen Unterschiede im Kochverhalten können damit zu tun haben, dass ältere Personen eher traditionelle Verhaltensweisen beziehungsweise ein höheres Gesundheitsbewusstsein aufweisen und ent-sprechend mehr auf ihre Ernährung achten [10]. Darü-ber hinaus sind sie meist nicht mehr erwerbstätig und haben entsprechend mehr Zeit für die Zubereitung von

Abbildung 1 Zubereitung von Mahlzeiten bei 18- bis 79-jährigen Frauen, nach

Erwerbstätigkeit (n = 3.600) Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Insgesamt bereiten 50,8 % der Erwachsenen ihre Mahlzeiten täglich oder fast täglich selbst aus frischen Lebensmitteln zu.

Abbildung 2 Zubereitung von Mahlzeiten bei

18- bis 79-jährigen Männern, nach Erwerbstätigkeit (n = 3.303)

Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Speisen. Zudem wächst die heutige Generation mit einer Vielzahl an industriell verarbeiteten Fertigprodukten und Außer-Haus-Verzehrmöglichkeiten auf [3, 17]. So zeigt sich beispielsweise in der DEGS 1-Studie, dass vor allem junge Frauen und Männer häufiger Fast Food zu sich nehmen als Ältere [18].

Eine geringe Erwerbstätigkeit ist mit einer erhöhten Kochhäufigkeit assoziiert (Abbildungen 1 und 2). Perso-

Anteil (%)

20

40

60

80

100

Vollzeit tätig oder

Ausbildung

Teilzeit oder geringfügig

tätig

Rente/PensionNicht oder kaum

erwerbstätig

Frauen

1− 4 mal pro WocheTäglich/fast täglich Nie

Anteil (%)

20

40

60

80

100

Vollzeit tätig oder

Ausbildung

Teilzeit oder geringfügig

tätig

Rente/PensionNicht oder kaum

erwerbstätig

Männer

1− 4 mal pro WocheTäglich/fast täglich Nie

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Bei Frauen liegt der Anteil derjenigen, die täglich oder fast täglich selbst kochen mit 61,4 % deutlich über dem der Männer (40,2 %).

Tabelle 2 Kochhäufigkeit bei 18- bis 79-Jährigen

nach Geschlecht, Alter und Bildung (n = 3.614 Frauen, n = 3.302 Männer)

Quelle: DEGS 1 (2008 – 2011)

Einfache Bildung Mittlere Bildung

Bildungsgruppen

Höhere Bildung

% (95 %-KI) % (95 %-KI) % (95 %-KI)Frauen n = 1.175 n = 1.878 n = 561

Alter 18 – 29 Jahre

30 – 44 Jahre

45 – 64 Jahre

65 – 79 Jahre

Täglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNieTäglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNieTäglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNieTäglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNie

47,8 (34,3 – 61,6)41,5 (28,0 – 56,4)10,7 (5,1 – 21,2)

69,7 (60,8 – 77,3)28,2 (20,6 – 37,4)

2,1 (0,6 – 7,2)69,7 (64,3 – 74,6)28,3 (23,6 – 33,6)

2,0 (1,0 – 4,0)83,1 (78,4 – 87,0)15,1 (11,5 – 19,6)

1,7 (0,9 – 3,5)

38,8 (31,9 – 46,1)54,9 (48,0 – 61,7)

6,3 (4,1 – 9,6)55,4 (49,2 – 61,5)42,7 (36,9 – 48,7)

1,9 (0,9 – 3,8)59,1 (54,9 – 63,1)38,9 (34,9 – 43,0)

2,1 (1,0 – 4,3)80,8 (73,2 – 86,6)18,3 (12,6 – 26,0)

0,9 (0,2 – 3,5)

38,3 (23,4 – 55,8)54,1 (39,2 – 68,4)

7,6 (2,1 – 23,6)53,4 (43,8 – 62,8)43,6 (35,1 – 52,4)

3,0 (0,8 – 10,4)58,5 (50,5 – 66,1)40,6 (33,1 – 48,6)

0,9 (0,3 – 2,4)76,6 (62,0 – 86,8)23,4 (13,2 – 38,0)

–Männer n =

1.067 n = 1.485 n = 750

Alter 18 – 29 Jahre

30 – 44 Jahre

45 – 64 Jahre

70 – 79 Jahre

Täglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNieTäglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNieTäglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNieTäglich/fast täglich1 – 4 mal pro WocheNie

33,5 (23,2 43,0 (31,8 23,5 (15,1 38,4 (27,5 45,4 (34,9 16,1 (9,7

41,1 (35,2 41,9 (35,9 17,0 (13,2 60,9 (54,4 20,9 (16,1 18,2 (13,9

–––– – – – – – – – –

45,6)55,0)34,6)50,6)56,4)25,7)47,3)48,2)21,5)67,0)26,8)23,3)

32,3 (26,5 51,9 (45,8 15,7 (11,7 34,2 (28,2 53,9 (47,4 11,9 (8,4

37,7 (32,6 45,3 (39,8 17,0 (13,9 61,3 (51,1 25,1 (16,9 13,7 (8,5

– – – – – – – – – – – –

38,7)58,1)20,8)40,7)60,2)16,7)43,1)50,9)20,7)70,5)35,5)21,3)

16,5 (8,2 74,9 (59,7

8,6 (2,9 30,9 (22,6 51,0 (41,1 18,1 (12,5 37,9 (31,2 45,8 (39,3 16,3 (11,6 58,9 (49,5 23,7 (17,0 17,3 (10,9

– – – – – – – – – – – –

30,5)85,7)22,8)40,7)60,7)25,5)45,1)52,5)22,4)67,7)32,1)26,4)

KI: Konfidenzintervall

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nen, die nicht oder geringfügig erwerbstätig sind bezie-hungsweise Rentnerinnen und Rentner kochen signifi-kant häufiger täglich oder fast täglich als Personen, die Vollzeit erwerbstätig sind. Dies könnte damit zu tun haben, dass dem Großteil der Erwerbstätigen tagsüber weniger Zeit zum Kochen zur Verfügung steht. Sie neh-men daher vermehrt Außer-Haus-Verzehrangebote in Anspruch und kochen lieber am Wochenende [5].

In allen Altersgruppen ist tendenziell zu erkennen, dass sowohl Frauen als auch Männer mit einer niedri-gen Bildung häufiger täglich oder fast täglich selbst kochen als Frauen und Männer mit mittlerer oder höhe-rer Bildung. Allerdings sind diese Unterschiede nicht statistisch signifikant (Tabelle 2).

Um eine genaue Einschätzung des Kochverhaltens und dessen Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten und die Gesundheit treffen zu können, sind weitere gezielte Studien notwendig. Die verwendeten Grund-zutaten und die Art der Zubereitung von Mahlzeiten sind entscheidender für die Ernährungsqualität als die individuelle Kochhäufigkeit [19]. Jedoch können die Kon-sumentinnen und Konsumenten durch die eigene Zube-reitung von Mahlzeiten ihre Nährstoffaufnahme besser kontrollieren und gesundheitliche Empfehlungen, wie beispielsweise weniger Salz in der Nahrung, leichter umsetzen. Zudem sind Personen, die viel selbst zuberei-ten, versierter im Umgang mit Lebensmitteln und haben oft eine höhere Kochkompetenz. In einer anderen Studie wurde beobachtet, dass die Kochfähigkeit vor allem bei Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status wesentlich zum Erreichen einer gesunden Ernährung bei-trägt [2]. Maßnahmen zur Förderung der Kochhäufig-

keiten könnten daher vermutlich zu einer Verbesserung der Ernährungsweise in der Bevölkerung beitragen.

HinweisDie Grundlage des vorliegenden Fact sheet bildet das Kapi-tel „Kochhäufigkeit in Zusammenhang mit dem Lebens-mittelverzehr von Erwachsenen in Deutschland“, das im 13. Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. erschienen ist [14].

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Rentnerinnen und Rentner sowie generell Personen, die allenfalls geringfügig erwerbstätig sind, kochen zu einem höheren Anteil täglich oder fast täglich als Personen, die Vollzeit erwerbstätig sind.

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Impressum

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Institution der beteiligten Autorinnen und AutorenRobert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin

KorrespondenzadresseDr. Gert B.M. MensinkRobert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und GesundheitsmonitoringGeneral-Pape-Str. 62–66 12101 BerlinE-Mail: [email protected]

InteressenkonfliktDer korrespondierende Autor gibt für sich und die Koautorin an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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HerausgeberRobert Koch-InstitutNordufer 2013353 Berlin

RedaktionDr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg,Alexander Rommel, Dr. Anke-Christine Saß,Stefanie Seeling, Martin Thißen,Dr. Thomas ZieseRobert Koch-InstitutAbteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring General-Pape-Str. 62–6612101 BerlinTel.: 030-18 754-3400E-Mail: [email protected]/journalhealthmonitoring

ZitierweiseBorrmann A, Mensink GBM (2016) Kochhäufigkeit in Deutschland. Journal of Health Monitoring 1(2): 43–49 DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-037