18
ALT ! 2/2013 März/April/Mai 2013 Deutschland @ 9,90 Österreich @10,90 Schweiz sfr 19,80 Luxemburg @11,40 DAS MAGAZIN FÜR KLASSISCHE SPIELE Winnie Forster über die Spiele der 1980er Jahre T e il 1 : D i e e r s t e D e k a d e 100 RETRO-SPIELE VORGESTELLT AUFSTIEG UND FALL VIRGIN GAMES Aus einer spontanen Idee Richard Bransons entstand der Publisher von Command & Conquer, TIE Fighter u. v. a. MARSCH DER LEMMINGS Sie kamen, starben und siegten: Wie die grünhaarigen Pixelwichte Konsolen, PCs und mobile Plattformen eroberten TURRICAN Die deutsche Erfolgs-Spieleserie der 90er Jahre: Heinrich Lenhardt beleuchtet die kultige Einzelkämpfer-Action. Fortsetzung folgt mit Turrican Rebirth 2 x Nintendo 3DS XL mit 1000-Points-Card und weitere Preise S.177 GEWINNSPIEL NINTENDO 3DS XL M.U.L.E. STARGLIDER AIRBORNE RANGER JET PAC MISSILE COMMAND SUPER MARIO 64 ULTIMA 5 JET SET WILLY 2 TOTAL ECLIPSE GREAT GIANA SISTERS RED STORM RISING PSYCHO FOX … UND VIELE MEHR NINTENDO 64 Die Kultkonsole N64 und ihre besten Spiele- Klassiker Wie aus Amstrad »Schneider« wurde und welche Spiele sich für Sammler lohnen Die wichtigsten Games für den klassischen Macintosh CPC MAC DRITTE DIMENSION ISO-SPIELE Von Knight Lore über Fairlight bis Last Ninja: Wieso isometrische Spiele so erfolgreich waren

gEWInnSPIEL - download.e-bookshelf.de · Entdecken Sie das Universum! So macht Wissen Spaß: Mit vielen informativen Artikeln und atemberaubenden Fotos nimmt das Weltraum-Magazin

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

ALT!2/2013 März/April/Mai 2013

Deutschland @ 9,90 Österreich @ 10,90 Schweiz sfr 19,80 Luxemburg @ 11,40

DAS MAGAZIN FÜR KLASSISCHE SPIELE

Winnie Forster über die Spiele der 1980er Jahre

Teil 1: Die erste Dekade

100 RETRO-SPIELE vORgESTELLT

AufSTIEg und fALL

vIRgIn gAmESAus einer spontanen Idee Richard Bransons entstand der Publisher von Command & Conquer, TIE Fighter u. v. a.

mARSch dER

LEmmIngSSie kamen, starben und siegten: Wie die grünhaarigen Pixelwichte Konsolen, PCs und mobile Plattformen eroberten

TuRRIcAnDie deutsche Erfolgs-Spieleserie der 90er Jahre: Heinrich Lenhardt beleuchtet die kultige Einzelkämpfer-Action. Fortsetzung folgt mit Turrican Rebirth

180

Sei

ten

spi

ele-

klas

sike

r fü

r H

ome-

Com

pute

r, k

onso

len

& p

Cs

2 x Nintendo 3DS XL mit 1000-Points-Card

und weitere Preise S.177

gEWInnSPIELnInTEnDo 3DS XL

M.U.L.E.

STARgLIDER

AIRBoRnE RAngER

JET PAC

MISSILE CoMMAnD

SUPER MARIo 64

ULTIMA 5

JET SET WILLy 2

ToTAL ECLIPSE

gREAT gIAnA SISTERS

RED SToRM RISIng

PSyCHo FoX

… UnD vIELE MEHR

nInTEndO 64 Die Kultkonsole n64 und ihre besten Spiele-Klassiker

Wie aus Amstrad »Schneider« wurde und welche Spiele sich für Sammler lohnen

Die wichtigsten games für den klassischen Macintosh

cPc mAc

dRITTE dImEnSIOn

ISO-SPIELEvon Knight Lore über Fairlight bis Last ninja: Wieso isometrische Spiele so erfolgreich waren

Entdecken Sie das Universum!

So macht Wissen Spaß: Mit vielen informativen Artikeln und atemberaubenden Fotos nimmt das Weltraum-Magazin Space seine Leser mit auf eine faszinierende Reise ins Weltall. Erfahren Sie alles über Raumfahrt, Sonnensystem und ferne Galaxien.

Space – Das Weltraum-Magazin für wissenshungrige Leser jeden Alters.

Jetzt im Handel erhältlich!

Oder bestellen Sie gleich unter:

www.emedia.de!

Das Jahr 2013 dürfte mit Xbox 3 und Playstation 4 die nächste Generation der Videospiel-Konsolen einleiten und Apples Attacke auf die Wohnzimmer per „intelligentem“ Fernseher erleben. Doch Retro Gamer interessiert sich nicht für Hardware, die nicht mal zehn Jahre auf dem Buckel hat! Wir finden spannend,

was alt ist – seien es Homecomputer, 8- und 16-Bit-Konsolen oder auch frühe PC-Spie-le. Außerdem ist „Alt“ eh immer öfter das zukünftige „Neu“: Serien wie Super Mario, Sonic oder Zelda überdauern Jahrzehnte, ohne an Reiz zu verlieren. Die Download-Platt-formen sind voll von offiziellen oder Indie-Remakes bekannter Alt-Titel, ganz aktuell stehen Castlevania Mirror of Fate (für 3DS), SimCity (für PC) oder die gelungene Hommage Giana Sisters: Twisted Dreams (PC, XBLA und PSN) an.

Nach eurem Feedback zu unserer Erstausgabe haben wir bereits in diesem Heft reagiert: Noch mehr haben wir bei der Umsetzung englischer Original-Artikel darauf geachtet, nicht einfach zu „übersetzen“, sondern zu „lokalisieren“. So führen wir nun deutsche Pressestimmen auf statt britischer, der Amstrad CPC heißt bei uns selbstverständlich Schneider CPC, und wo die britischen Kollegen die 8-Bit-Heimcomputer-Welt gerne durch die Spectrum-Brille wahrnehmen, setzen wir stattdessen die C64-Brille auf. Das heißt aber nicht, dass wir UK-Themen, exotische Spiele oder Hardware weglassen würden! Wir haben außerdem an Details gefeilt: So sind im deutschen Layout die Absätze deutlicher zu erkennen und die Bildunterzeilen-Schrift ist größer. Vor allem aber konnten wir für diese Ausgabe einige namhafte deutsche Spieleveteranen gewinnen, die Retro Gamer 2/2013 mit exklusiven Artikeln und teils auch wertvoller Übersetzungsarbeit unterstützt haben. Wenn euch ein Blick hinter die Kulissen interessiert, empfehle ich euch unsere kleine „Making of“-Serie zum deutschen Retro Gamer unter www.gamersglobal.de/news/64000.

Überhaupt: Vielen Dank für das große Interesse an un-serer Erstausgabe im letzten Jahr! Es hat eMedia, den Verlag hinter dem deutschen Retro Gamer, dazu ermuntert, das Heft ab 2013 viermal jährlich zu veröffentlichen. Retro Gamer 3/2013 folgt also schon im Mai. Gleichzeitig bietet der Verlag ein Abo an (siehe S. 136), sodass ihr keine Ausgabe mehr verpasst. Und damit wir unsere Leser und ihre Vorlieben noch besser kennenlernen, gibt es am Heftende einen Fragebogen. Bitte macht euch die kleine Mühe und sendet ihn uns ausgefüllt per Mail, Fax oder Brief zu. Ihr helft uns damit sehr, Retro Gamer nach euren Wünschen zu gestalten. Und nun:

Viel Spaß beim Lesen!

Jörg LangerProjektleitung Retro Gamer

arcaDe | atari | commoDore | mSX | Neo Geo | NiNteNDo | SchNeiDer | SeGa | SiNclair | SoNY

Jörg Langer

Mick Schnelle

Anatol Locker

Winnie Forster

Heinrich Lenhardt

» Von wegen Oldie: Das Klassiker-Remake Giana Sisters: Twisted Dreams von Black Forest Dreams erscheint im März für XBLA, PSN sowie als Boxed-Version (also mit Packung) für PC.

4 | RETRO GAMER 2/2013

RETRO-REVIVAL006 Anatol Locker: Airborne Ranger028 Darren Jones: PC-Genjin 072 Darren Jones: Jetpac096 Stuart Hunt: Super Mario 64124 Heinrich Lenhardt: M.U.L.E.138 Mick Schnelle: Red Storm Rising176 Heinrich Lenhardt: Castlevania

KLASSIKER-CHECK042 Ultima 5070 Total Eclipse074 Psycho Fox174 Außenseiter

HISTORIE016 Turrican018 Turrican: Chronologie020 Turrican: Q&A mit Julian

Eggebrecht

058 Der Marsch der Lemmings061 Lemmings: Triff die Stämme065 Lemmings: Kein Job zu klein

158 The Secret of Mana160 Masters of Mana164 Die Mana-Welt

INHALTDas Magazin für Liebhaber von klassischen Spielen

02/2013März, April, Mai

MAKING OF 022 Starglider036 Die Lotus-Serie044 Jet Set Willy 2066 Missile Command

RETRO-HARDWARE084 Obscura Machina: C64 GS

086 Nintendo 64090 N64: Die Peripherie092 N64: Die besten Spiele093 N64: Die besten Import-Spiele094 N64: Die seltensten PAL-Spiele095 N64: Zelda Majora’s Mask

Limited Edition

098 Schneider CPC102 CPC: Die Peripherie103 CPC: Die seltensten PAL-Spiele104 CPC: Die besten Spiele105 CPC: Die besten Import-Spiele

106 Obscura Machina: FM Towns Marty

EXPERTEN-WISSEN 030 Spiele auf dem Mac076 Isometrie-Spiele

SCHWERPUNKTE008 Made in Germany:

Die erste Dekade050 Kopieren? Kannst es

probieren …108 Der Sonic-Boom146 Angriff der Klonspiele

FIRMEN-ARCHIVE118 Parker Brothers126 Virgin Games140 Brøderbund

AUF DEM SOFA152 Sid Meier: Der Civ-Erfinder über

seine Firmen, Ideen und Klassiker

166 Allan Alcorn: Das Spiele-Urgestein

berichtet von Pong und der Atari-Zeit

RUBRIKEN003 Editorial177 Gewinnspiel178 Leserumfrage/

Impressum

PLATTFORM-CHECKKONSOLEN & HOMECOMPUTER IM DETAIL

gd

Frankfurt a. M. Demonware1988 – 1991Originalspiele: 10

Gütersloh Thalion1988 – 1994

Originalspiele: 20

Erfolge: Airbus (1991),

Amberstar (1992)

Gütersloh

Ariolasoft

1983 – 1989

Originalspiele: 50

Erfolge: Kaiser (1985),

Hanse (1986)

Gütersloh

Magic Bytes

11987 – 1999

Originalspiele: 20

Erfolg: Have A N.I.C.E.

Day (1997)

Aachen

Kingsoft

1983 – 1995

Originalspiele: 70

Erfolge: Space Pilot

(1983), Emerald

Mine (1987)

Eutin Software 20001987 – 2001Originalspiele: 40Erfolg: Bundesliga Manager (1989)

Hannover

Reline1987 – 1992 (2002)

Originalspiele: 15

Erfolge: Oil Imperium

(1989), Biing! (1995)

Bochum

Star Byte1988 – 1993

Originalspiele: 25

Mühlheim a. d. Ruhr

Blue Byte

1988 (2001 übernommen)

Originalspiele: 25

Erfolge: Great Courts

(1989), Battle Isle (1991),

Die Siedler (1993)

Düsseldorf Rainbow Arts1985 – 1995Originalspiele: 50Erfolge: Turrican 2 (1991), Mad TV (1991)

8 | RETRO GAMER 2/2013 RETRO GAMER 2/2013

16

8

108 58

22 126

66 124 138 176

70 36

158 74

86 1069884

» Publisher: Micropose

» erschienen: 1987

» Genre: TakTisches acTionspiel

» hardware: c64

» PreisProGnose: ab 30 euro

Von Anatol Locker

In jeder Familie lebt ein Kind, das sich unge-liebt fühlt. Im Hause Microprose war es Airbor-ne Ranger, das sich zurückgesetzt und unver-standen fühlte. Hatte es nicht alle Qualitäten seiner Geschwister? War es nicht so schillernd und schön wie Pirates? Adrenalingeladen wie Gunship? So klug wie Civilization?

Ich mag Airborne Ranger, auch heute noch. Er war Ende der 80er ein markanter Kontrapunkt zu den 2D-Soldaten-Ballereien wie Rambo oder Commando, die damals en vogue waren. Mit der Mentalität „Knarre rattern lassen und durchrennen“ war hier kein Blumentopf zu gewinnen. Man musste als Ranger Missionsbrie-fings studieren, den Nachschubtornister packen und abwerfen (und vor allem wiederfinden), sich nach der Landung per Fallschirm erst mal orientieren. Und dann millimeterweise ans Ziel ranarbeiten. Schießen? Ja, das auch. Aber nur, wenn es sein musste. Höllisch spannend, aber nichts für ungeduldige Rambos!

Vieles haben erst andere Spiele zur Perfektion geführt – Metal Gear Solid brachte das perfekte Anschleichen und Nutzen von Tarnung wohl erst richtig auf den Punkt. Für heutige Verhältnisse wirkt der Ranger natürlich gnadenlos veraltet. Die pixelige Grafik sieht bewunderns-wert mickrig aus: Gelb steht für Wüste, Blau für Eis und Grün für Dschungel; darüber wabert ein grauer Pixelfilter. Trotzdem: Beim erneuten Anspielen dauerte es gerade mal zwei Minuten, schon war der Funke bei mir übergesprungen. Es ist wohl das gnadenlose Zurschaustellen des eigenen Versagens, das motiviert: Wenn man sich zu früh aus der Deckung begibt und in eine MG-Garbe rennt, einen Bunker übersieht, oder erst am Ziel erkennt, dass man den falschen Sprengsatz eingepackt hat.

Ich finde, Airborne Ranger ist ein echtes 8-Bit-Meisterwerk. So haben eben auch unge-liebte Kinder ihre heimlichen Fans. Oh, und hatte ich eigentlich Red Storm Rising erwähnt? Noch so ein ungeliebtes Kind, aber davon berichtet euch ja Mick Schnelle …

HISTORIe

» retro-revival

AIRbORne RAngeRschlauer schiessen

6 | retro GaMer 2/2013

gd

Zu Beginn der deutschen Computerspiel-Geschichte, in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, ist Deutsch-land noch in West und Ost geteilt. Die Schwäche der deutschen Spielentwicklung spiegelt damals die Defizite im Bereich anderer Unterhaltungsmedien: Auch beim Film, in der Popmusik und beim Comic bleibt Deutschland im internationalen Vergleich zurück – sei es bei Reputation, Vernetzung oder Markterfolg.

Die deutsche Unterhaltungs- und Kulturindustrie hinkt ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Nach nationalsozia-listischer Gleichschaltung und Zweitem Weltkrieg sind viele Künstler, Schriftsteller, Musiker und Filmschaffende tot, ausge-wandert oder verstummt. Die Lücke füllen in den 50er und 60er Jahren die Besatzungsmächte mit ihrer Popkultur. Obwohl es in der Populärmusik in den 70ern und 80ern einige wegweisende deutsche Bands wie Kraftwerk gibt, ist der deutsche Anteil am Unterhaltungsweltmarkt gering. Den deutschen Spieleentwick-lern fehlt der kreative Boden, den zum Beispiel der Comic unter das französische Videospiel legt. Die britischen Game Designer haben unter anderem Tolkien als Fundament, die nordamerika-nischen Asimov, Hollywood und Marvel.

Ein Beispiel: Der deutschstämmige jüdische Ingenieur Ralph Baer flieht 1938 in die USA und erfindet Ende der 60er Jahre für die US-Firma Magnavox das Telespiel; 1972 kommt die „Konsole“ Magnavox Odyssey auf den Markt. Magnavox’ zweiter Lizenznehmer wird der deutsche Hörgerätebauer Interton, der Ende der 70er Jahre Hardware und Spiele produziert. Dann aber verliert Deutschland den Anschluss an die internationale Entwick-lung, interaktive Unterhaltung wird für lange Zeit fast ausschließlich nach Deutschland importiert, nicht dort produziert.

HistoriscHe Hürden

» Spielepionier Ralph Baer wurde unter anderem von Präsident Bush für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Frankfurt a. M. Demonware1988 – 1991Originalspiele: 10

Gütersloh Thalion1988 – 1994

Originalspiele: 20

Erfolge: Airbus (1991),

Amberstar (1992)

Gütersloh

Ariolasoft

1983 – 1989

Originalspiele: 50

Erfolge: Kaiser (1985),

Hanse (1986)

Gütersloh

Magic Bytes

11987 – 1999

Originalspiele: 20

Erfolg: Have A N.I.C.E.

Day (1997)

Aachen

Kingsoft

1983 – 1995

Originalspiele: 70

Erfolge: Space Pilot

(1983), Emerald

Mine (1987)

Eutin Software 20001987 – 2001Originalspiele: 40Erfolg: Bundesliga Manager (1989)

Hannover

Reline1987 – 1992 (2002)

Originalspiele: 15

Erfolge: Oil Imperium

(1989), Biing! (1995)

Bochum

Star Byte1988 – 1993

Originalspiele: 25

Mühlheim a. d. Ruhr

Blue Byte

1988 (2001 übernommen)

Originalspiele: 25

Erfolge: Great Courts

(1989), Battle Isle (1991),

Die Siedler (1993)

Die 1980er Jahre

Teil

1: Die erste Dekade

Düsseldorf Rainbow Arts1985 – 1995Originalspiele: 50Erfolge: Turrican 2 (1991), Mad TV (1991)

8 | RETRO GAMER 2/2013

Auf der Suche nach einer Tra-dition der Computer- und Videospielentwicklung in Deutschland: Nimmt man

die internationale Rezeption und Meinung, scheint es nicht so, als ob unsere Industrie eine erinne-rungswürdige Geschichte hätte, im Gegenteil.

Im November 2012 präsentierte das Nachrichtenma-gazin TIME die 100 besten Vi-deospiele aller Zeiten: Zwischen US-Spielen von Pong (1972) bis Arkham Asylum (2012) finden sich viele japanische und englische Titel, dazu die finnischen Angry Birds sowie Tetris. In den Top 100 Games des Fachmagazins IGN wie-derum ist fast die Hälfte der gekürten Spiele japanisch; ein Drittel amerikanisch. Neben kanadischen Spie-len ehrt das internationale Kritikerteam immerhin drei französische Titel, nennt aber keinen, an dem ein deutscher oder österreichischer Develo-per beteiligt war.

Die Top 100 Games of All Time der englischen EDGE schließlich geben einen besseren Blick auf Europa: Nur 20 US-Titel schaffen es auf die Liste, über die Hälfte der EDGE-Besten kommt aus

Japan, ein Viertel aus EU-Pro-duktion. Schweden ist mit zwei

Spielen vertreten, das „türkische Unternehmertum in Deutschland“

(FAZ) immerhin mit einem Titel: die internationale Koproduktion

Far Cry entstand bei der Firma Crytek in Coburg. Ohne kreative Migranten (Crytek wird 1999 von drei türkischen Gastarbeitersöhnen gegründet) wäre die deutsche Top-100-Ernte gleich Null.

Nun mag diese geringst-mögliche Ausbeute zu einem Teil daran liegen, dass viele deutsche Spitzentitel die speziellen Vorlieben der hiesigen Spielefans adressieren, man denke nur an das Aufbauspiel-Genre. Dennoch stellt sich die Frage: Warum ist Deutschland zwar einer der wichtigsten Endkunden-Märkte für Computerspiele, stolpert jedoch bei der Entwicklung hinterher, statt seinem Ruf als Exportweltmeister gerecht zu werden? Nicht nur gegen-über den Game-Giganten USA und Japan, sondern auch im Vergleich mit England und Frankreich wirken unsere Computerspiel-Jahrzehnte wenig ergiebig. Die Designer und Produzenten im Nachbarland Frank-reich emanzipieren sich beim Schritt von den 80er in die 90er Jahre, einst belächelte Firmen wie Infogrames, Titus und Ubisoft werden zu interna-tionalen Größen. Von den deutschen Spielverlagen der doch so glorrei-

chen C64- und Amiga-Ära schafft es dagegen keiner auf den PC- und Konsolen-Weltmarkt.

Heimische Hardware für den NachwuchsWeil Entertainment in Deutschland in den Augen vieler kein seriöses Geschäft ist, fertigen deutsche IT-Firmen zwar Hardware für Wissen-schaft und Büros, verpassen aber den Bau von Heim-, Spiel- und Hobby-Computern. Japanische, eng-lische und französische Programmie-rer üben Anfang der 80er Jahre auf nationalen Plattformen, werden von System- und Chip-Herstellern wie Acorn (heute ARM), Sinclair, Philips und Thomson unterstützt, die auch eng mit dem Bildungssektor koope-

Drei Jahrzehnte deutscher Computer-spielentwicklung sind vergangen –

Winnie Forster reist für Retro Gamer zurück in die Tage, als sich Hacker zu Spiele-Start-ups zusammen-schließen und aus Hobbyisten Software-Profis werden.

Made in gerMany, Teil 1

Deutschlands erster professioneller Verlag für Computerspiele debütiert mit der Schachsimulation Grandmaster und steht 1984 mit Space Pilot (C64) und Bongo (VC 20) gleich zweimal in den britischen Charts. Auch wenn Kingsoft diesen Erfolg nicht mehr wiederholen kann, bleibt die Firma über die 80er Jahre ein führender Hersteller für Commodore-Spiele, der selbst die erfolglosen C16/plus4-Computer mit starken Originalen wie Winter Olympiade unterstützt.

Da Kingsoft nicht intern, sondern von freien Programmierern entwickeln lässt und deren Namen auf Verpackung und Anzeigen

nennt, gilt die Firma als gute Adresse für deutsche Talente. Den größten Kingsoft-Hit produziert Volker Wertich (der später mit Die Siedler berühmt wird) 1987 mit seiner Boulder Dash-Hommage Emerald Mine. Lizenzen erwirbt Kingsoft kaum; Ausnahme ist das Plattformspiel Hägar, nach dem gleichnamigen US-Zeitungscomic. In den 90er Jahren hat Kingsoft kaum noch Marktbedeutung, wird 1995 vom Electronic Arts übernommen und in dessen Vertriebsnetz eingegliedert.

Firmen-checK

KingsoFT

» Die ersten (und für lange Zeit letzten) deutschen Videospiele entstehen Ende der 70er Jahre für die Interton-Konsole.

» 8-Bit-Pioniere: Kingsoft-Chef Fritz Schäfer (rechts) im Gespräch mit Origin-Mitgründer Richard Garri-ott. Beide verkaufen ihre Firmen später an EA.

reTrO gaMer 2/2013 | 9

rieren. Dagegen fehlt es deutschen Spieldesignern an einheimischer Hardware – dass unsere „Volkscom-puter“ aus den Vereinigten Staaten kommen, bremst Wachstum und Professionalisierung der hiesigen Computerspiele-Branche.

In den wenigen Momenten, in denen einheimische Hardware in der Szene auftaucht, regt sich auch sofort die Software-Entwicklung: So produzieren um 1979 deut-sche Programmierer Spiele für die Interton-Konsole und den technisch ähnlichen Computer-Bausatz Elektor 2650. Die ersten (und für lange Zeit einzigen) deutschen Spieldesigner sind Informatiker und Ingenieure wie Hans-Heinz Bieling oder Martin Grei-ner, der mit Cockpit eine Flugsimu-lation in nur 4 Kilobyte erschafft. Im Interview mit dem Retro-Aktivisten Dieter König (www.classic-consoles-center) erklärt Bieling, wie die ersten deutschen Videospiele entstanden: „Viele Spielideen wurden beim Atari VCS abgeschaut und eine Packung in Auftrag gegeben, obwohl es noch gar kein Spiel gab. Interton fuhr die Politik, Spiele anzukündigen und danach Programmierer für diese Idee zu suchen.“

Das erste deutsche Entwick-lungssystem schreiben laut Bieling zwei Studenten der Universität Bochum, doch mit dem Interton-Konkurs Anfang der 80er Jahre en-det die kurze „Made in Germany“-Ära. Ein paar Jahre später flackert auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs eine einheimische Hard-ware- und Spieleszene auf, als in der DDR Heimcomputer wie der Ro-botron KC 87 und der Spielautomat Polyplay erscheinen. Aufs weltweite Computer- und Konsolen-Business haben jedoch weder Interton noch Robotron einen Einfluss.

Der Anfang in AachenEine stabile, professionelle Szene der Programmierer und Händ-ler entsteht in Deutschland erst mit dem Siegeszug amerikani-scher Commodore-Computer. Chessmaster (C64), ab 1983 über schwarzweiße Kleinanzeigen in frühen Fachmagazinen beworben, markiert den Anfang der deutschen Branche. Fritz Schäfer und seine Firma Kingsoft vermarkten in den folgenden Jahren auch Anwendun-gen und Zubehör, vor allem aber Nachahmungen populärer Automa-

Die Bertelsmann-Tochter Ariola vermarktet Atari-Module und wagt sich 1984 mit Eigenproduktionen sowie Software angloamerikanischer Firmen auf den boomenden Computermarkt. Flankiert wird das deutsche Geschäft von einer UK-Zweigstelle, die mit miesen Z80-Versionen früher EA-Titel startet, sich mit Spielen von Tony Crowther und Chris Sawyer bessert und 1988 wieder dichtmacht.

Deutsche Spiele vermarktet Ariolasoft professionell, steckt fami-lientaugliche Abenteuer in quadratische Schachteln und bewirbt sie ganzseitig und in Farbe. Friedliche Spiele mit Denkanspruch stehen im Mittelpunkt der schnell versickernden Produktion. Ariolasoft lässt von externen Partnern entwickeln, rekrutiert im Gegensatz zu Kingsoft aber nicht Code-Freaks, sondern Erzähler und Designer ohne technischen Ehrgeiz – die Spiele sind oft in BASIC, nicht Maschinencode geschrieben, meist ohne Animation oder Effekte. Mit Mythos veröffentlicht Ariola das Debüt des RPG-Designers Karsten Köper und feiert mit der simplen Aufbausimulation Kaiser einen 8-Bit-Erfolg, danach mit den historischen Handelsspielen von Ralf Glau, Hanse (1986) und Vermeer (1988).

Eine der letzten Produktionen ist das Horror-Adventure Ooze des späteren Attic-Gründers und DSA-Programmierers Guido Henkel. Nach 1989 wurstelt die Firma als United Software weiter, ruft mit der Art Edition ein kurzlebiges Familien-Label ins Leben, finanziert Thalion und wird schließlich von Microprose übernommen.

Firmen-checK

AriolAsoFt

» [Sharp] Nakamoto ist ein typischer simpler Geschick-lichkeits-Titel von BBG in den 80ern.

» [C64] Kaiser mischt Wirtschafts-statistik mit Diplomatie und Kanonendonner zum technisch rückständigen Strategiespiel für bis zu neun Spieler.

» [Amiga] Ports of Call steht 1987 am Anfang einer langen Tradition der Han-dels- und Aufbauspiele.

» [C64] Der Time Pilot-Klon Space Pilot ballert sich 1984 in internatio-nale Charts. Dem Rezept „geklaute Idee, brillante Technik“ folgen deutsche Entwickler bis in die 90er.

Die 1980er Jahre

Te

il 1: D

ie erste Dekade

10 | RETRO GAMER 2/2013

Giana Sisters: Twisted Dreams © 2012 Black Forest Games GmbH. Distributed by bitComposer Entertainment AG. bitComposer Games is a brand of bitComposer Entertainment AG. Developed by Black Forest Games GmbH. Giana Sister: Twisted Dreams is a registered trademark of Black Forest Games GmbH. Powered by Havok™ © 1999-2012 by Havok.com, Inc. (and its Licensors). All Rights Reserved. See www.havok.com for details. Uses Scaleform GFx © 2012 Autodesk Inc. All rights reserved. Microsoft, Xbox 360 Controller and the Xbox logos are trademarks of the Microsoft group of companies and are used under license from Microsoft. “2”, “PlayStation”, “PS3” , “Ô and “À” are trademarks

or registered trademarks of Sony Computer Entertainment Inc. All trademarks are the property of their respective owners. All rights reserved.

Rette die Giana-Schwestern

in diesem rasanten Jump’n‘Run!

Lose herausfordernde Ratsel

und besiege fiese Endbosse!

.. ..

Verwandele dich in Echtzeit - inklusive Umgebung und Soundtrack!

erhaltlich als xbox live download, AUF Playstation network und als limitierte pc-edition mit sound-track-cd, exklusiven skins und poster!

..

erhaltlich ende marz 2013.. ..

von Galaxian, Asteroids, Breakout und Scramble beginnen. Eigen-tümlich ist jedoch, dass deutsche Softwarefirmen sich auch in den folgenden Jahren nicht freischwim-men, sondern weiterhin lieber nachmachen, statt zu erfinden. Auch als unsere 8-Bit-Szene zur 16-Bit-Industrie heranwächst, bringt sie kein frisches Spielkonzept und keine unverbrauchte Idee hervor.

Selbstbewusster als Kingsoft und mit dickerem Budget startet die Bertelsmann-Tochter Ariola 1984 auf dem Home-Software-Markt. Die Gütersloher erkennen das neue Medium als nicht nur für Freaks, sondern für die ganze Familie geeignet und vermarkten Denk- und Abenteuerspiele, die das Klischee vom dummen Videospiel widerlegen sollen. Statt schnelle Action und Gewalt steckt Ariolasoft erwachsene Themen, Handel, Geschichte und Abenteuer in große Verpackungen, lockt mit deutscher Sprache (wo andere Adventures und Rollenspiele

ten für Commodore-, Schneider- und Atari-Rechner.

Der C64 setzt sich hier schnell gegen andere Hardware durch und wird zum Liebling des Informatik-Nachwuchses, doch unter den Programmierern und Start-ups, die sich für das neue Medium interes-sieren, gibt es auch Spezialisten für exotische Plattformen. Die drei jungen Hamburger BBG (Bialke, Behrens, von Gliszczynski) pro-grammieren Mitte der 80er Jahre Spiele für Sharp-Heimcomputer und kommen dadurch früh in Kontakt mit der japanischen Branche. Axel Bialke und Andreas von Gliszczynski be-gegnen uns später wieder, als Chefs der deutschen Niederlassung von Hudson und Manager bei Sunflow-ers, Philips und Sega.

Dass die ersten deutschen Spielmacher fast ausschließlich Arcade-Konzepte aus den USA und Japan kopieren, unterscheidet sich nicht vom Vorgehen englischer und französischer Studios, die mit Klonen

nur englisch texten) und großen Farbanzeigen in der Presse. Wäh-rend Kingsoft jugendliche Techniker schult, beschäftigt die Bertelsmann-Tochter auf freischaffender Basis erwachsene Designer und Erzähler, die die deutsche Adventure- und RPG-Tradition begründen, und auch die Saat für ein zweites Genre legen, in dem Deutschland bis heute stark ist: Aufbauspiele.

Deutsche Strategie: Verdienen statt vernichtenDie hiesigen Genrevorlieben haben pragmatische und handfest öko-nomische Gründe: Sowohl Stand-bild- und Text-Adventures als auch rundenbasierte Simulationen sind technisch unaufwendig und billig zu produzieren. Die in den USA, England, Japan und Australien vorherrschenden Militärsimulationen sind zwar bei deutschen Spielern beliebt, nicht jedoch bei hiesigen Produzenten. Diese lassen nicht nur vom Zweiten Weltkrieg die Finger,

1984 von Marc Ullrich gegründet und ab 1986 Teil der Rushware-Gruppe, wird Rainbow Arts zum führenden deutschen Spielverlag der Amiga- und Atari-ST-Jahre. Von Adventures, Rollenspielen und Simulationen lassen die jungen Kreativen die Finger, spezialisieren sich stattdessen auf Action, schnelle 2D-Animation und Effekte. 1987 schneidern Armin Gessert, Manfred Trenz und Chris Hülsbeck das Jump-and-run Great Giana Sisters dem C64 auf den Chip, einen frechen Super Mario-Klon. Mit der R-Type-Kopie Katakis liefern sich ein Jahr später C64-Zauberer Trenz und die Amiga-Profis von Factor 5 einen techni-schen Wettstreit, der europäische Ballerspieler begeistert.

Doch internationale Hits bleiben selten, sodass wir uns an Rainbow Arts eher als Inkubator erinnern, als Labor, in dem viele Branchengrößen begannen. So arbeitet Factor 5 später als renommiertes Studio für Konami, Nintendo und LucasArts. Bei Rainbow Arts lernen zukünftige Gründer wie Lothar Schmidt und Thomas Hertzler (Blue Byte), Armin Gessert (Spellbound), Holger Flöttmann (Thalion, Ascaron), Teut Weidemann (Wings), Peter Thierolf (Neon, Keen) und Ralph Stock, der nach der Amiga-Ära Werbespiele und Emergency-Simulationen entwickelt. Eines der besten Programme aus Düsseldorf ist Rock’n Roll, das 1989 Martin Gaksch produziert, später Chefredakteur von Powerplay und Man!ac. Die Zweckgemeinschaft der Individualisten zerfällt rasch: Anfang der 90er Jahre beherrschen die Start-ups ehemaliger Mitarbeiter die deutsche Szene.

» Deutsche Anzeigen, v. l.: Fugger, Airline Tycoon, R-Type, East vs. West. Ironischerweise setzten R-Type für Amiga just die Katakis-Macher um …

» Deutsches Technik-Know-how wird gern genutzt (von oben nach unten): Jürgen Friedrich konvertiert Ende der 80er Atari-3D-Automaten wie Star Wars, Factor 5 klont R-Type als Katakis auf dem Amiga; Erik von Hesse schafft mit Starray eine Parallax-scrollende Hommage, in den USA als Revenge of Defender bekannt.

» Selbst SF- und Fantasy-Feldzüge scheinen tabu. Stattdessen wird Deutschland bekannt für friedliche Aufbauspiele. «

Die 1980er Jahre

Te

il 1: D

ie erste Dekade

Firmen-checK

rainbow arts

12 | RETRO GAMER 2/2013

Erstmalig inklusivE

Multiplayer-Schlachtenfür bis zu 8 spiElEr

13.3.13a u f s t i e g e i n e r

l e g e n d eim prequel zur epischen god of war® reihe nimmt die geschichte von kratos ihren anfang. der heroische

krieger aus sparta wird arglistig getäuscht und von den göttern des olymps auf ewig in die todbringenden kerker verbannt. doch der verrat entfacht seinen blutdurst und

wird seine feinde vernichten.

Alte

rsei

nstu

fung

und

Pac

ksho

tab

bild

ung

vorb

ehal

tlich

.

GODOFWAR.COM“2

”, “

Pla

ySta

tion”

, “P

LAY

STA

TIO

N”,

“À

”, “

PS

3” a

nd “

” ar

e re

gist

ered

tra

dem

arks

of S

ony

Com

put

er E

nter

tain

men

t In

c. “

SO

NY

” an

d “

” ar

e re

gist

ered

tra

dem

arks

of S

ony

Cor

por

atio

n.

“mak

e.b

elie

ve”

is a

tra

dem

ark

of t

he s

ame

com

pan

y. G

od o

f War

: Asc

ensi

on™

©20

12 S

ony

Com

put

er E

nter

tain

men

t A

mer

ica

LLC

. Pub

lishe

d b

y S

ony

Com

put

er E

nter

tain

men

t E

urop

e. D

evel

oped

by

San

ta M

onic

a S

tud

ios.

“G

od o

f War

” an

d “

God

of W

ar: A

scen

sion

” ar

e tr

adem

arks

or

regi

ster

ed t

rad

emar

ks o

f Son

y C

omp

uter

Ent

erta

inm

ent

Eur

ope.

All

right

s re

serv

ed.

» [Amiga] Mit Great Courts (1989) qualifiziert sich Blue Byte für die Konsolen-Liga und bringt 1992 Jimmy Connors für Super NES.

» 1991: Das Reline-Team um Holger Gehrmann (2. v. l.) ist von den Rollenspiel-Epen Legend of Faerg-hail und Fate sichtlich erschöpft.

» Blue Bytes Battle Isle zitiert japanische Rundentaktik à la Nec-taris, setzt es aber dank schicker Grafik und Multiplayer-Betonung mit eigener Note um.

sondern auch von Napoleon, Caesar, Nobunaga und Kollegen. Selbst SF- und Fantasy-Feldzüge scheinen tabu. Stattdessen wird Deutschland bekannt für Aufbauspiele, bei denen es nicht um Eroberung und Zerstö-rung, sondern um Geldvermehrung und Ressourcen-Verwaltung geht. Nicht Hexfeld-Taktik, sondern Brett- und Familienspiele dienen Ariolasoft und späteren Herstellern als Vorbild. Das technisch bescheidene, aber vergnügliche Multiplayer-Spiel Kaiser von 1985 besitzt noch militärische Spurenelemente, die in den Spielen des Lübeckers Ralf Glau (Hanse und Vermeer) und Ariolas Management-spielen Hotel, Airline und Reederei dann völlig fehlen.

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre verändert das in Gütersloh gegründete, bald nach Düsseldorf verlegte Software-Haus Rainbow Arts die deutsche Branche mit seiner Produktstrategie und Entwicklungs-Power. Rainbow Arts rekrutiert seine Programmierer, Grafiker und Produ-zenten aus der Szene, macht Schüler und jugendliche Cracker zu Spielde-signern. Auch ehemalige Kingsoft- und Ariolasoft-Kreative lassen sich unter das Regenbogen-Logo locken. Mit der Marketing- und Vertriebs-macht der Firmenmutter Rushware im Rücken produziert Rainbow Arts für alle Plattformen, kümmert sich früh um die 16-Bitter Amiga und Atari ST und veröffentlicht bis 1989

Von Rainbow-Arts-Deserteuren gegründet, mausert sich Blue Byte dank sorgfältiger und konzentrier-ter Eigenentwicklung zu Deutschlands stärkstem Produzenten und ist – anders als die anderen hier vorgestellten Firmen – bis heute aktiv. Blue Byte entwickelt für Amiga und bereits früh für PC und Konsolen, stellt Qualität vor Masse und verlässt sich

auf eine stabile Partnerschaft mit dem französischen Publisher Ubisoft.Deutsches Computer-Know-how verbindet sich mit japanischem

Spieldesign zu exzellenten Originalen, etwa beim klar von Nectaris ins-pirierten SF-Taktikspiel Battle Isle (1991). Dessen authentisches Szenario History Line 1914–1918 löst ein Echo außerhalb der Fachszene aus, wird bei Kritik und Hardcore-Spielern aber nur ein lauer Erfolg. 1992 produziert Blue Byte mit Jimmy Conners Tennis das erste deutsche Nintendo-Spiel, bevor die Firma, um Ex-Thalion-Profis verstärkt, zum PC-Spezialisten wird. Während die meisten der ambitionierten Entwicklungen, etwa das RPG Albion (1995) und die 3D-Spiele Extreme Assault und Incubation (1997), trotz guter Qualität kommerziell scheitern, wird die 1993 auf Amiga begonnene Aufbauserie Die Siedler ein internationaler Erfolg. Nach der Übernahme durch Ubisoft ist Blue Byte heute die Siedler- und Anno-Entwicklungabteilung der Franzosen.

Firmen-checK

Blue Byterund 30 Originale in einer dreistelli-gen Zahl von Versionen. Die jungen Entwickler, die Rainbow Arts auf freiberuflicher Basis, aber auch schon früh im Haus beschäftigt, sind experimentierfreudig, frech und zum Großteil technisch sehr versiert.

Doch der Vorsprung engli-scher und französischer Produzenten ist nicht mehr aufzuholen, im Ausland erhalten deutsche C64- und Amiga-Spiele nur laue Kritiken, und auch hiesige Spieler reißen Rainbow-Arts-Frühwerke wie Graffiti Man (Holger Gehrmann), Bad Cat (Thomas Hertz-ler) oder Street Gang (Armin Gessert) nicht vom Hocker.

Die beiden größten Erfolge sind gleichzeitig zwei der umstrit-tensten Spiele der europäischen 80er Jahre. Das Jump-and-run Great Giana Sisters (1987) ist ein frecher Klon von Super Mario und – nach dem von Nintendo erwirk-ten Verkaufsstopp – eines der am häufigsten kopierten C64-Spiele. Bei der Weltraum-Ballerei Katakis (1988) wiederum wird Rainbow Arts zur fristlosen Namens- und Grafikän-derung gezwungen, weil es den ja-panischen R-Type kopiert. Rainbow Arts wird von den europäischen Rechteinhabern zur Programmie-rung der echten, offiziellen R-Type-Umsetzungen verdonnert, die die Commodore-Könner Manfred Trenz (C64) und Holger Schmidt (Amiga) ein Jahr später brav liefern.

» Grimmiger Künstler anno 1991: Manfred Trenz startet als Grafiker bei Rainbow Arts und wird dann mit tadelloser C64-Action zu Deutsch-lands bekanntestem Programmierer.

Die 1980er Jahre

Te

il 1: D

ie erste Dekade

» [C64] Great Giana Sisters von Rainbow Arts war technisch ein Hit, aber so sehr bei Super Mario abgekupfert, dass Nintendo den Verkauf unterband.

14 | RETRO GAMER 2/2013

Made in gerMany, Teil 1

» Die zum Trio geschrumpfte Factor 5 (Holger Schmidt, Julian Eggebrecht und Thomas Engel, im Hinter-grund Chris Hülsbeck) ist 1990 der erfolgreichste Computerspielentwickler Deutschlands (Turrican).

» [Amiga] Thalions RPG Ambermoon setzt 1991 Amberstar fort, Teil 3 erscheint nie – dafür machten später Teile des Teams Albion für Blue Byte.

Von Ariolasoft unterstützt, formiert sich 1988 eine Gruppe ehemaliger Demo-Programmierer und Rainbow-Arts-Krea-tiver, um Spiele primär für den Atari ST zu entwickeln. Diese Hardware reizen Programmierer, Grafiker sowie Thalions Hausmusiker Jochen Hippel audiovisuell bis aufs Letzte aus, etwa Mark Rosocha mit dem fantasievollen Prügelspiel Chambers of Shalion (1989) und der Brachial-Ballerei Wings of Death (1990). Digi-Sound und 512 Farben auf dem ST: Für kurze Zeit hat der Name Thalion international einen guten Klang.

Doch die Firma zerfällt schnell: Nachdem Gründer Holger Flöttmann abgeht (und den PC-Spielehersteller Ascon, später Ascaron, aufbaut), leiten Erik Simon und der Ariola-Veteran Willi Carmincke das Unternehmen, das sich an der Produk-tion aufwendiger Rollenspiele wie Dragonflight (1990) und Amberstar (1992) überhebt. Zu den letzten Titeln gehört das Amiga-Hüpfspiel Lionheart, dessen Schöpfer später die Flink- und Lomax-Spiele für Psygnosis schreiben 1993 wird Thalion aufgegeben, Teile der Belegschaft wechseln zu Blue Byte.

Firmen-checK

Thalion

Immerhin: Mit ihren Klonen, darunter auch dem ersten Amiga-Gauntlet, nämlich Andreas Hommels Garrison, beweisen die Deutschen technische Kompetenz und Akribie, Code-Ökonomie und ein feines Händchen für optimale Algorithmen, die vielen angloamerikanischen Entwicklern fehlen. Die Giana-Schwestern und Katakis machen internationale Publisher auf deutsche Technik aufmerksam. Deutsches Spieldesign dagegen fristet weiter-hin ein Schattendasein.

Der Schritt in die 90er JahreKingsoft etabliert, Rainbow Arts im Aufwind, Ariola bereits im Rück-zug begriffen. Wie steht’s sonst so um die hiesige Branche am Ende des Heimcomputer-Zeitalters und beim Schritt in die CD-ROM-, Sega- und Nintendo-Jahre? Neben den genannten sind in der nördlichen Hälfte Deutschlands weitere Firmen entstanden, die sich auf Unterhal-tung für Atari ST und Amiga sowie bald auf DOS-PC spezialisieren. Das Reline-Team arbeitet von Hannover aus für Rainbow Arts, bringt mit Hollywood Poker nackte Haut auf den Monitor und verhebt sich dann

an den Fantasy-RPGs Legend of Faerghail und Fate. Erfolgreicher sind die Rainbow-Arts-Deserteure von Blue Byte und kurzzeitig auch Thali-on (siehe Porträt-Kästen), daneben halten sich die Hersteller Starbyte und Magic Bytes bis in die 90er Jah-re. Neben unkomplizierten Action-spielen sowie den Wirtschafts- und Management-Simulationen, die von der Ölförderung (Black Gold, 1989) über den Bergbau (Black Gold, 1991) bis zu Winzer (1991) und Cash (1991) aus Österreich alle Gewerbe abdecken und in Rainbow Arts’ origineller Medien-Satire Mad TV gipfeln, werden abstrakte Puzzles ein kurzzeitiges Fieber deutscher Spiel-macher: Rainbow Arts produziert Spherical, Logical und Curse of Ra, von Starbyte kommen Logo, Sarakon und Leonardo, von Kingsoft Turn it, von Demoware Gem’x und The Power, aus Österreich Think Cross. Magic Bytes feiert mit Mindbender einen Erfolg, Thalion mit Magic Lines und Atomix, Blue Byte schließlich mit dem schlauen Atomino.

Denkspiele mit bunten Murmeln, Juwelen und Molekülen machen den Herstellern Spaß, weil sie sich schnell und mit wenig Personal realisieren und ohne Auf-

wand auf zig Plattformen umsetzen lassen – das ideale Geschäftsfeld für finanzschwache Firmen auf einem unberechenbaren Markt.

Im krassen Gegensatz dazu stehen ausufernde Fantasy-Rollenspiele, mit denen sich fast alle deutschen Firmen organisatorisch und finanziell übernehmen. Nach Mammutprojekten wie Amberstar von Karsten Köper und Amber-moon von Erik Simon muss Thalion dichtmachen. Beide Spiele stehen bei Atari-ST- und Amiga-Veteranen bis heute in hohen Ehren, ebenso Guido Henkels Umsetzung des DSA-Regelwerks Die Schicksalsklinge von 1992. Doch ihre Entwicklungskosten spielen die wenigsten deutschen Rollenspiele wieder ein: Das Funda-ment unserer Gothic- und Sacred-Kultur ist auf Ruinen und Scherben errichtet, der Erfolg deutscher Rollenspiele im 21. Jahrhundert aus dem Scheitern von Reline und Thali-on, Ariolasoft und Attic gewachsen.

Da wir mit Schach begannen, wollen wir diesen Report auch mit einer Simulation des königlichen Spiels beschließen: 1991 macht mit Fritz Chess von Frans Morsch und Mathias Feist eines der welt-weit stärksten Schachprogramme

» Denkspiele mit bunten Murmeln, Juwelen und Molekülen machen den Herstellern Spaß, weil sie sich schnell realisieren lassen. «

seine ersten Züge. Denn in einigen wenigen Genres und mit bestimmten Titeln sind sie eben doch internatio-nal konkurrenzfähig, die deutschen Entwickler. Dazu, zum Umbruch der deutschen Branche und zum Schritt in die Nintendo- und Playstation-Sze-ne der 90er Jahre lest ihr mehr in der nächsten Retro Gamer, ab Mai 2013. Und zwar im zweiten Teil unserer Reportage „Made in Germany“.

Screenshots: www.amigamemo.com, www.gameplan.de. Fotos: Lexikon der Computer- und Video-Spielmacher, The Thalion Source

» Holger Flöttmann (hinten) startete Thalion als Team junger Atari-Enthusiasten (bärtig: Erik Simon, langhaarig: Jochen Hippel).

reTrO gaMer 2/2013 | 15

Making Of

fakten

» Publisher: Rainbow aRts

» entwickler: Rainbow aRts und FactoR 5

» Jahr: 1990

» Genre: actionspiel

» PreisProGnose: ab 20 euRo

16 | RETRO GAMER 2/2013

MAKING Of: turrIcAN

Klassische KlängeSelten hat bei einer Serie die Musik so starken Anteil am Gesamtspielerlebnis. Vom ersten Amiga-Auftritt an begleitete Chris Hülsbeck die Turrican-Geschichte mit Soundtracks von höchster Ohrwurmigkeit.

Spielemusik kommt und geht, doch Chris Hülsbecks Turrican-Kompositionen erfreuen sich mit den Jahren einer steigenden Wert-schätzung. Die Ouvertüre von Turrican 2 ist nicht nur ein dauerhaft in die Gehörgänge ein-gebrannter Ohrwurm der Amiga-Generation, sondern wurde auch ganz klassisch in einer Aufnahme des WDR-Rundfunkorchesters interpretiert.

Eine 1993 veröffentlichte Turrican-Soundtrack-CD verkaufte sich rund 10.000- mal, enthielt aber bei Weitem nicht alle Spielmusikstücke. Dank einer Fanbasis-Finanzierungshilfe in Form einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne konnte Chris Hülsbeck mit der Arbeit an der Turrican Soundtrack Anthology beginnen. Voraussichtlich im Frühjahr 2013 erscheint das Opus, das über 80 Musikstücke aus der gesamten Serienge-schichte vereint. Das limitierte 4-CD-Set gibt’s nur für Kickstarter-Vorbesteller, aber die Anthology wird auch auf digitalen Download-Plattformen wie iTunes erhältlich sein.

Bei einer Umfrage unter den Kickstarter-Supportern wurde das Turrican 2 Theme zum Lieblings-Musikstück der Fans gewählt, gefolgt von The Desert Rocks, The Great Bath und The Wall, drei weiteren Tracks aus dem gleichen Spiel. Einer von Chris Hülsbecks persönlichen Lieblingen ist dagegen das weniger bekannte Air Combat aus Mega Turrican. Bei den Neuaufnahmen setzt Hülsbeck modernste Studio-Tools ein und achtet zugleich auf authentisches Klanggefühl. Als Bonustracks sind auch neue symphonische Arrangements geplant – Turrican ist eben ein echter Klassiker.

» Computerspiele-Musiker Chris Hülsbeck komponierte die Turrican-Soundtracks von 1989 bis 1995.

» Das Sequencer-Tool für seine Amiga-Soundtracks hatte Hülsbeck zusammen mit Turrican-3-Programmierer Peter Thierolf geschrieben.

Der wöchentliche Be-triebsausflug in eine Düsseldorfer Spielhalle gehörte Ende der 80er

Jahre zu den Inspirationsritualen beim Computerspiele-Studio Rainbow Arts. Die Impulse für spielerische und technische Inno-vationen kamen zu dieser Zeit oft von Arcade-Automaten, bevorzugt Made in Japan. Mit raffinierten Extrawaffen vollgepackte Shooter wie R-Type inspirierten Program-mierer Manfred Trenz schon zum ebenso schweren wie technisch virtuosen C64-Ballerspiel Katakis.

Bei den Besuchen in der Daddelhalle entdeckte Trenz bald einen anderen Favoriten, einen eher obskuren Data-East-Automaten namens Psycho-Nics Oscar. Dieser kombinierte das Extra-System von Konamis Raumschiff-Ballerhit Gradius (Nemesis) mit einem springenden und schießenden humano-iden Kämpfer. Psycho-Nics Oscar blieb ein Insidertipp und wurde nicht auf gängige Heimspielsysteme umgesetzt. Aber das Aussehen und die Bewegun-gen des Charakters inspirierten Trenz zu einer der berühmtesten Spieleserien aus deutscher Produktion: Turrican.

Auch wenn der Arcade-Oscar die Ideenlunte legte, gab es erhebliche Unterschiede zwischen dieser Hüpf-ballerei und dem neuen Projekt, das bei Rainbow Arts entstand. „Turrican war der Versuch, das Erforschungsprinzip von Metroid neu zu interpretieren“, er-innert sich Julian Eggebrecht, zunächst Produzent bei Rainbow Arts und später Creative Director der Serie. „Wir sagten uns: Wir können nicht nur klonen – lasst uns mal die Essenz von den japanischen Spielen herausziehen, die wir so mögen, und damit etwas Neues machen.“ Man-che frühere Rainbow-Arts-Produktionen waren ihren prominenten Vorbildern so gut nachempfunden, dass juristischer Ärger drohte – sowohl bei Katakis

(Nähe zu R-Type) als auch Great Giana Sisters (Verwandtschaft zu Super Mario Bros.). Turrican sollte ein Charakter-Actionspiel mit schnellem Scrolling in allen Richtungen werden, das weniger lineare Levelstrukturen, dafür umso mehr versteckte Extras und Geheimnis-se enthält. „Eine westlichere, weniger strikte Interpretation eines ‚Jump-and-shoot‘-Spiels in einer offeneren Welt“, definiert es Eggebrecht, „Die Levels in Turrican entstanden unter dem Motto: Hey, lasst uns einfach Spaß haben mit der Entdeckung.“

Turrican wurde von 1989 bis Anfang 1990 entwickelt. Zunächst arbeitete nur Manfred Trenz an dem Projekt, der das erste halbe Jahr vor allem mit technischen Aspekten expe-rimentierte. Eine große Spielwelt statt kompakter Schlauch-Levels zu machen, war auf der Commodore-64-Hardware ein ehrgeiziges Unterfangen. Das schnelle Scrolling in alle Richtungen sollte Turrican deutlich von Nintendos NES-Metroid unterscheiden, bei dem lediglich von Bild zu Bild gewechselt wurde. „Wir sagten uns: Das können der C64 und der Amiga viel besser. Die ganze Entwicklung war stark technikgetrieben“, erinnert sich Julian Eggebrecht. Der technische Ehrgeiz treibt die Entwickler beider Versionen an: „Turrican war das erste Amiga-Spiel, das in 50 Hertz flüssiges Scrolling in alle Richtungen hatte – Shadow of the Beast konnte das nur in eine Richtung.“

Wie sein Spielheld war auch Manfred Trenz ein Einzelkämpfer und programmierte Turrican zunächst im Alleingang für den C64, was sich vor allem bei den Anfangslevels in einen verschärften Schwierigkeitsgrad äußer-te: „Generell neigen alleine arbeitende Programmierer dazu, ihre Spiele zu hart zu machen“, kommentiert Julian Eggebrecht. Als bei Rainbow Arts 16-Bit-Versionen von Turrican diskutiert wurden, sorgte sich Entwicklungschef

Wie ein Hurrikan wirbelte eine deutsche Produktion durch die Action-Landschaft der frühen 90er Jahre: Turrican kombinierte Einzel-kämpfer-Action mit versteckten Ex-tras, riesigen Levels und technischer Brillanz. Heinrich Lenhardt beleuchtet die Entstehungsgeschichte der kultig verehrten Serie, die als Turrican Re-birth vielleicht bald fortgesetzt wird.

Foto

: Man

us B

ucha

rt

rEtrO GAMEr 2/2013 | 17

Teut Weidemann um Trenz’ Belastung und Termine. Der 1989 frisch bei Rainbow Arts eingestiegene Produzent Eggebrecht brachte deshalb einige Ent-wickler ins Gespräch, die er aus seinen Hackertagen kannte: Achim Moller und Holger Schmidt hatten schon zusam-men mit anderen Factor-5-Mitgliedern das Ballerspiel Neutralizer programmiert, das Rainbow Arts als die Amiga-Version von Katakis vermarktete. Dasselbe Team hatte dann Anfang 1989 in nur drei Monaten die Amiga-Umsetzung von R-Type aus dem Boden gestampft. Moller arbeitete mit LucasArts noch an einer geplanten Fortsetzung des Lucasfilm-Games-Klassikers Rescue on Fractalus, die letztendlich unvollendet blieb (aber später den Kern von Star Wars: Rogue Squadron bilden sollte). Schmidt war nach Katakis und R-Type auf der Suche nach einem neuen Pro-jekt und hatte Zeit und Lust, sich um die Amiga-Ver sion von Turrican zu kümmern.

Aus dem Soloprojekt wurde ein Teamspiel: Holger Schmidt von Factor 5 quartierte sich bei Manfred Trenz im Rainbow-Arts-Büro ein. Es begann ein freundschaftlicher Wettstreit, bei dem beide so manche Nacht durchpro-grammierten. Während Trenz weiter an der C64-Fassung arbeitete, wurde die Amiga-Version unter Verwendung derselben Levelkarten von Grund auf neu geschrieben. „Das hatte beiden Versionen geholfen“, erinnert sich Julian Eggebrecht, „Manfred hatte gesehen, was auf dem 16-Bit-Amiga alles möglich war, und versuchte dann teilweise Ver-besserungen dieser Version auf den C64 zurückzubringen. Deshalb sind die Steue-rung und die Kollisionsabfrage im Laufe der Entwicklung viel besser geworden.“ Schließlich gesellte sich auch Achim Moller zu dem Projekt und steuerte die Shooter-Levels der Amiga-Version bei.

» Der sieht aus wie ein Mädchen«

Bei aller technischen Virtuosität knab-berten die Entwickler an einer simpel

scheinenden Aufgabe: Der Animation der Spielfigur. „Niemand im Team konn-te ein Männchen wirklich gut animie-ren“, gesteht Eggebrecht. Also borgte sich Manfred Trenz die Animation des Charakters aus dem C64-Actionspiel Hawkeye, das sich seinerzeit großer Beliebtheit erfreute. Außerdem wurde die Turrican-Spielfigur in letzter Minute ins Bodybuilding-Studio geschickt. Ur-sprünglich sah das Sprite schlanker und ranker aus als in der fertigen Version. Als eine Mitarbeiterin von Rainbow Arts’ britischem Vertriebspartner anmerkte, der Charakter sehe viel zu girly aus, waren die Entwickler gleichermaßen entrüstet wie alarmiert: Einen mäd-chenhaften Actionhelden wollte man der Rambo-gewöhnten Zielgruppe des Jahres 1990 lieber nicht vorsetzen. In letzter Minute wurde das Sprite deshalb klobiger gemacht, nur auf der Rückseite der Amiga-Packung ist noch ein Screenshot mit der feminineren Ursprungsversion zu sehen.

Musik gegen Pizza- BestechungSo brillant Turrican auch auf dem C64 ausfiel, gilt die von Grund auf neu programmierte Amiga-Fassung als die beste Version. Denn während der kleine Commodore nach dem Startbild-schirm nahezu komplett ohne Musik auskommen musste, bekam der Amiga einen der besten Spiele-Soundtracks spendiert. Der damals bei Rainbow Arts angestellte Musiker Chris Hülsbeck komponierte eine ganze Reihe virtuoser Ohrwürmer. Der offizielle Grund für den Wegfall der Musik bei der C64-Version waren technische Einschränkungen:

„Musik während des Spiels, während das ganze Scrolling lief – Manfred Trenz machte uns relativ überzeugend klar, dass das einfach nicht ginge“, berichtet Julian Eggebrecht. Der Turrican-Produ-zent bezeichnet diese Bedenken jedoch auch als „gute Ausrede“, denn Trenz war kein Fan von Hülsbecks Musikstil, sondern bevorzugte Heavy Metal.

Making Of

Turrican FC64, Amiga, Atari ST, PC, Schneider CPC, Spec-

trum, CDTV, PC Engine, Gameboy – 1990)Der einsame Held im Kampfanzug sorgte für eine ebenso starke wie frische Brise in der Heimcomputer-Szene. Zur

technischen Klasse kam eine kompetente spielerische Mi-schung aus quirliger Baller-Action mit Spielwelt-Erforschung

und Jagd nach Power-ups. Chris-Hülsbeck-Soundtrack bei der Amiga-Fassung.

Turrican 2: The Final Fight (C64, Amiga, Atari ST, PC, Spectrum,

CPC, CDTV – 1991)In den Augen vieler Fans das beste Spiel der Serie und die

letzte gemeinsame Produktion von Manfred Trenz und Factor 5. Das Erfolgsrezept des Vorgängers wurde mit besserem

Leveldesign und weiteren Steigerungen bei Grafik und Sound aufgemotzt. Der Träger des Turrican-Anzugs erhielt

auch einen Namen: Bren McGuire.

Super Turrican (8-Bit) (NES – 1992)

Turrican-Erfinder Manfred Trenz programmierte diese Fas-sung für die 8-Bit-Konsole Nintendo Entertainment System im Alleingang. Sie basiert im Wesentlichen auf dem ersten Turrican für C64, enthält aber auch Levels und Gegner des

2. Teils. Eine technisch beeindruckende Version mit ver-schärftem Schwierigkeitsgrad.

Super Turrican (16-Bit) (Super Nintendo – 1993)

Trotz der Namensgleichheit zur NES-Version ein eigenstän-diges Spiel, das Factor 5 fürs Super Nintendo entwickelte. In zwölf Levels befreit Bren McGuire den Planeten Katakis, ein Gegnereinfrier-Strahl fällt als neue Waffe auf. Dank Virtual Console ist diese Version ebenso wie sein Nachfolger auf

Nintendo Wii spielbar.

Mega Turrican (Turrican 3: Payment Day) (Amiga, Mega Drive – 1993/94)

Factor 5 begann mit der Entwicklung eines neuen Turrican-Spiels fürs Sega Mega Drive. Erst als sich das Kaiko-Team engagierte, entstand auch eine Amiga-Adaption namens

Turrican 3. Spielerisch gab’s Action im Stil der Vorgänger, der Turrican-Kampfanzug bekam dabei einen neuen Greifarm

spendiert.

Super Turrican 2 (Super Nintendo – 1995)

Mit kompakteren Levels und weniger Entdeckung spielte sich diese Version eher wie ein konventionelles Actionspiel der

16-Bit-Ära und war beeinflusst von Konamis Contra III: The Alien Wars. Factor 5 konzentrierte sich ganz auf die Super-Nintendo-

Version und griff tief in die Mode 7-Grafik-Trickkiste.

ChronologieDiese offiziellen Turrican-Titel wurden zwischen 1989 und 1995 veröffentlicht. Außerdem entwi-ckelte Accolade 1992 auf Basis von Turrican 2 ein Spiel zum Kinofilm Universal Soldier für Mega Drive und Game Boy.

» Die Amiga-Version von Turrican 2 : The Final Fight (1991) gilt als bester Teil der Serie, war aber wegen der damaligen Raubkopierer-Szene kein großer kommerzieller Erfolg.

18 | RETRO GAMER 2/2013