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Gibt es eine Lues nervosa? 1) Von Oskar Fischer. (Aus der deutschen psychiatrischen Universiti~tsklinik in Prag.) (Einqe4angen am 4. Mdrz 1913.) Der seit der kleinen und doch so bedeutungsvollen Publikation yon Esmarch und Jessen 2) aus dem Jahre 1857 entbrannte Kampf um die luetische Genese der progressiveu Paralyse (spi~ter auch der Tabcs dorsalis) dtirfte wohl heute soviel wie entschieden sein, und zwar in dem Sinne, da$ es ohne Lues keine Paralyse gibt. Schon dem Urn- stand, dab es auf einfachem anamnestisehen Wege gelingt, bei etwa 70--90% der Paralytiker eine luetische Infektion als sicher oder sehr wahrscheinlieh zu erweisen, mu[~ eine ganz besondere Bedeutung bei- gelegt werden und der Einwand der Gegner der Lues/~tiologie der Para- lyse, es gel~nge doch nicht in allen FSllen, die luetisehe Infektion naeh- zuweisen, wird dadurch erledigt, daB, wie Hirschl zeigte, auch ein sehr groBer Prozentsatz yon terti/~r Luetischen nichts yon einer Primi~r- affektion weiiL Abet trotzdem wird die Ansicht vertreten, da$ die Lues nicht die einzige Ursache der Paralyse sei, sondern dab ein, wenn auch vielleicht sehr geringer Teil der Paralysen dureh andere Schs liehkeiten aueh ohne Lues hervorgerufen werden kSnne. Die Erfahrun- gen mit der Wassermannschen Reaktion lassen abet eine derartige Auffassung nieht zu. Diese Reaktion ist bekanntlieh (wenigstens far unsere Gegenden und gewisse seltene Ausnahmen nicht eingerechnet) nut bei der Lues und den metaluetisehen Erkrankungen positiv; sic fiillt abet nieht bei allen Luetikern positiv aus, sondern etwa bei 80~o. Wenn man sieh auf den Standpunkt stellt, dab auch Nichtluetiker paralytiseh werden k6nnen, so miiSte man wohl erwarten, da$ ein gewisser Tell der Paralytiker serologisch ebenfalls negativ reagieren mtii~te, und zwar die 10%, bei denen aueh die genaueste Anamnese keine Infektion ergeben kann. Da abet bei manifester Lues nur etwa 80% positiv reagieren, k6nnten nur 80~o von 90~o, das sind 74% 1) Vortrag, gehalten in der ,,Wissenschaftlichcn Gcscllschaft deutscher ~ z t e in Bbhmen" in Prag am 28. II. 1913. 2) Allgem. Zcitschr. f. Psych. 14.

Gibt es eine Lues nervosa?

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Page 1: Gibt es eine Lues nervosa?

Gibt es eine Lues nervosa? 1)

Von Oskar Fischer.

(Aus der deutschen psychiatrischen Universiti~tsklinik in Prag.)

(Einqe4angen am 4. Mdrz 1913.)

Der seit der kleinen und doch so bedeutungsvollen Publikation yon E s m a r c h und J e s s e n 2) aus dem Jahre 1857 entbrannte Kampf um die luetische Genese der progressiveu Paralyse (spi~ter auch der Tabcs dorsalis) dtirfte wohl heute soviel wie entschieden sein, und zwar in dem Sinne, da$ es ohne Lues keine Paralyse gibt. Schon dem Urn- stand, dab es auf einfachem anamnestisehen Wege gelingt, bei etwa 70--90% der Paralytiker eine luetische Infektion als sicher oder sehr wahrscheinlieh zu erweisen, mu[~ eine ganz besondere Bedeutung bei- gelegt werden und der Einwand der Gegner der Lues/~tiologie der Para- lyse, es gel~nge doch nicht in allen FSllen, die luetisehe Infektion naeh- zuweisen, wird dadurch erledigt, daB, wie H i r s c h l zeigte, auch ein sehr groBer Prozentsatz yon terti/~r Luetischen nichts yon einer Primi~r- affektion weiiL Abet trotzdem wird die Ansicht vertreten, da$ die Lues nicht die einzige Ursache der Paralyse sei, sondern dab ein, wenn auch vielleicht sehr geringer Teil der Paralysen dureh andere Schs liehkeiten aueh ohne Lues hervorgerufen werden kSnne. Die Erfahrun- gen mit der W a s s e r m a n n s c h e n Reaktion lassen abet eine derartige Auffassung nieht zu. Diese Reaktion ist bekanntlieh (wenigstens far unsere Gegenden und gewisse seltene Ausnahmen nicht eingerechnet) nut bei der Lues und den metaluetisehen Erkrankungen positiv; sic fiillt abet nieht bei allen Luetikern positiv aus, sondern etwa bei 80~o. Wenn man sieh auf den Standpunkt stellt, dab auch Nichtluetiker paralytiseh werden k6nnen, so miiSte man wohl erwarten, da$ ein gewisser Tell der Paralytiker serologisch ebenfalls negativ reagieren mtii~te, und zwar die 10%, bei denen aueh die genaueste Anamnese keine Infektion ergeben kann. Da abet bei manifester Lues nur etwa 80% positiv reagieren, k6nnten nur 80~o von 90~o, das sind 74%

1) Vortrag, gehalten in der ,,Wissenschaftlichcn Gcscllschaft deutscher ~z te in Bbhmen" in Prag am 28. II. 1913.

2) Allgem. Zcitschr. f. Psych. 14.

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positiv sein. Demgegentiber haben aber die bereits sehr zahlreiehen Erfahrungen einer groBen Anzahl yon Autoren ( P l a u t u. a.) ergeben, dai3 sich bei der Paralyse beinahe ausnahmslos, also etwa in 100%. eine positive Serumreaktion ergibt.

Wenn wir auch heute die biologischen Grundlagen der W asse r - m a n n s c h e n Reaktion noch nicht kennen, so kann man dennoch so viel bereits als feststehend hinnehmen, dab dieselbe, kaum in Betraeht kommende Ausnahmen nicht eingerechnet, nur dann auftritt , wenn eine syphilitische Infektion vorausgegangen ist. Demnach mtissen wir zum Schlusse gelangen, dal3 alle Paralytiker eine luetische Infektion fiberstanden haben. Hiermit ist jedenfalls auch gesagt, daft die Lues der Hauptfaktor ist, die Frage jedoch, ob auch der einzige Faktor, ist damit nicht erledigt. Denn die Umkehrung der Luesparalyse (Tabes)- Statistik im Sinne der Frage: Wieviel Luetiker erkranken an der Meta- lues ? ergibt, da~ nur ein ganz verschwindender Bruchteil der Luetiker metaluetisch wird. Aus selbstverst~ndlichen Grfinden ist es sehr schwer, ein entsprechend groi~es Material (und ein sehr groBes Material ist dazu wegen der sonst enormen Zufallsfehlerquellen erforderlich) in jeder Richtung einwandsfrei zusammenzustellen, weswegen auch bisher nur wenig derartige zahlenm~iBige Feststellungen existieren.

M a t t h e s I) berechnete bei 698 mit Lues infizierten Personen eine Morbidit~tsziffer ftir Paralyse yon 1--2~ .

Ph. J. P i c k und B a n d l e r 2) bearbeiteten katamnestiseh die in der Prager dermatologisehen Klinik in den Jahren 1879--1899 behandelten Luetiker (Abschlu[3 der Arbeit 1904). Es liel~ sich das Schicksal von 2066 F~llen eruieren, yon denen 28 an Paralyse erkrankt sind, was einem Prozentsatz von 1,3 entsprieht. Die Statistik von P i c k und B a n d l e r hat den Nachteil, da$ MKnner und Frauen summariseh und nieht gesondert behandelt werden, was deshalb unzweckmKBig ist, weft schon nach der rein klinisehen Erfahrung Frauen unverhKltnismKflig seltener an Paralyse erkranken als M~nner; man m6chte also sehon deshalb andere ProzentverhKltnisse fiir die beiden Geschlechter er- warren.

Ich habe deshalb in dem Material yon P i c k und B a n d le r die M~nner und die Frauen gesondert, wobei sieh ganz gewaltige Differenzen er- gaben: auf 1178 MKnner kommen hier 25 Paralysen, d . i . 2,1% und 12 Tabesf~lle, das entspricht 1,6%, in Summa an Metalues 3,7%; yon 888 Frauen erkrankten dagegen nur 3 an Paralyse, was 0,33% ent- sprieht und 2 an Tabes, d. i. 0,22%, in Summa an Metalues nur 0,55~/o. Wir haben also hier den statistisch zahlenm~$igen Beweis, dab die

i) Statistische Untersuchungen fiber die Folgcn der Lucs. Miinch. med. Wochenschr. 1902.

2) Archiv f. Dermatol. u. Syphilis. 101. 1910.

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Metalues bei luetischen Frauen etwa 7mal seltener auftr i t t als bei luetischen M~nnern.

Zu wesentlich hSheren Ziffern gelangten M a t t a u s c h e k und Pi l c z ~), welche das Sehicksal von 4134 luetisch erkrankten Offizieren nach einer entspreehenden Reihe yon Jahren verfolgen konnten, yon Offizieren, deren Lues milit~r~rzt]ich behandelt worden war und deren Kranken- gesehiehten vorliegen. Dieses Material ist deswegen besonders wichtig und kostbar, weft man dabei mit viel gr(~l~erer Sicherheit und viel weniger Verlustfehlerquellen das Schicksal der Erkrankten verfolgen konnte; als Prozentsatz land sich bier fiir die Paralyse 4,67 und fiir die Tabes 1,6, also in Summa fiir die Metalues 6,27%. Die so gefundene hohe Ziffer differiert reeht betr~chtlich yon denen der anderen Autoren, von 1--2% von M a t t h e s und 1,3% yon P i c k und B a n d l e r ; sic differiert aber viel weniger yon der Ziffer dcr aus der P i c k - B a n d l e r - schen Statistik berechneten m~nnlichen Metaluesmorbidit~t yon 3,6%. Die immer noch bestehende Differenz kSnnte einerseits in den geringeren Fehlerquellen bei M a t t a u s c h e k und P i lcz ihren Grund haben, an- dererseits kSnnte sic auch darauf zuriiekgefiihrt werden, dal~ es sich hierbei um Offiziere handelt, deren Lebensfiihrung auch sonst eine schwere Seh~digung des Nervensystems mit sich bringt. Doch mSchte ich hervorheben, dab die Tabesmorbidit~t bei P i c k und B a n d l e r , ebenso wie bei M a t t a u s c h e k und P i lcz 1,6% betragt, welchem Um- stande, vorausgesetzt dab nicht ein Zufall mitspielt, auch eine ent- sprechende Bedeutung zukommt.

Die Griinde, warum der eine Luetiker metaluetisch wird, der andere nieht, sind uns noch nieht vollkommen bekannt und klar. Man hat in erster Linie noah andere Ursachen (d. i. Sch~digungen) angenommen, welche mit der Lues (ev. nicht gleiehzeitig) das Individuum treffen, und welche bei entsprechender Konstellation erst die Form der Erkrankung bestimmen. Dafiir kSnnten gerade die hier angefiihrten Prozentver- h~i]tnisse einen Beweis liefern; wenn man bei gleichbleibendem Prozent- satz der Tabesmorbidit~t die Paralysemorbidit~t der Offiziere um mehr als das Doppelte gr61~er findet als die der Zivilisten, so kann man dies doch in gewisser Hinsieht als einen zahlenm~Bigen Beweis fi~r diese Ansieht hinstelten, zumal man bisher immer nur yon allgemeinen Ein- drticken sprechen konnte, yon denen erfahrene Psychiater berichtet haben.

Aulterdem ergeben sich noSh Grtinde ffir die Auffassung, dab es eine besondere Lues nervosa, resp. wie die Franzosen sich ausdrtieken ,,Syphilis ~ virus nerveux" gibt, d .h . um mit den Worten E r b s 2) zu sprechen ,,Formen der Syphilis, welche mit ihrer Sch~idigung mit

~) Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 8. 2) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1905.

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Vorliebe das Nervensystem heimsuehen, deren Krankheitserreger selbst oder vermittels der yon ihnen erzeugten Blutmischung (Toxine, Anti, toxine usw.) gerade auf die nervSsen Elemente eine besonders sch~d- liche Wirkung austiben".

Zu dieser Ansicht fiihrten in erster Linie dig immer mehr gehhuften Beobachtungen yon Metalues bei noch nicht gesehleehtsrGifen KindGm luetischer Eltern, die aber selbst nie Symptome von Metahies aufzu- weisen hatten.

,~Bei diesen jugendlichen Individuen konnte man dig andern als ~tiologischen Momente angesehenen Sch~dlichkeiten: wie Alkoholismus, Uberanstrengung, psychisehe und physisehe Traumen, geschleehtliehe Ausschweifungen ausschlieBen; es blieb also nut die LUGS iibrig. Man mui~te deshalb in diesen F~illen die LuGs allein, ohne die andern Momente, als Ursache der Paralyse oder Tabes auffassen, und diese Form der Lues, wGlche allein und als solche zur Metalues fiihrt, wurde zur Lues nervosa.

Allmghlich wurde man auch auf die sieh mehrenden Fglle yon konjugaler Paralyse resp. Tabes aufmerksam. WGnn zwei nicht bluts- verwandte Ehegatten, bei denen die HerGdit~t demnach kaum eine Rolle spielen kann, die aber beide (und zwar einGr vom anderen) syphfli- tisch wurden, in gleicher Art metaluetisch werden, dann muB bereits die Lues als solche die Ursaehe der Metalues darstellen. Die tJber- tragung der gleichen ,,Luesart" mit der gleichen Affinit~t zum Nerven- system muBte denn auch zur Ansicht fiihren, dait die Lues nervosa als solche tiberimpfbar und iibertragbar ist. Ftir die letztere Auffassung seheinen aber besonders die wenn aueh seltenen, abGr um so mGrk- wiirdigeren Beobachtungen zu spreehen, die sich auf mehrere an gleicher Quelle infizierte Luetiker beziehen, die insgesamt metaluetisch wurden. Die wichtigsten dieser Beobachtungen sind folgende:

Mendel : Ein luetischer Mann infizierte seine Frau; er selbst starb an Paralyse, die Frau heiratete wieder, infizierte ihren zweiten Mann, und sie und der zweite Mann wurden tabiseh.

R 6gis: Ein Mann infizierte seine Frau und Schw~gerin mit Syphilis; alle 3 wurden paralytiseh.

Nonnes Patient bGkommt 6 Jahre nach der Infektion eine Tabes und die Person, yon der er sieh angesteckt und mit der er nicht mehr zusammenlebte, wird nach 8 Jahren tabiseh.

Nonne : Ein yon einem Fremden infiziertes Kind wird tabisch; das Kind hat seine Mutter und diese wieder ihren Mann, den Vater des Kindes infiziert und beide Eltern wurden tabisch.

Nonne : 3 unterGinander befreundete M~nner haben sich in einer Nacht yon einer syphilitischen Puella angesteekt; einer derselben wurde tabisch, die beiden anderen paralytiseh.

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E r b : 5 untereinander nicht verwandte M~nner infizieren sich von derselben Person und alle werden Sl~ter tabiseh resp. paralytisch.

B r o s i u s : 7 Glasbl~iser wurden yon einem Kameraden vermittels der Glaspfeife im Munde syphilitisch infiziert; alle bekommen einen typischen Lippenschanker; yon diesen 7 konnten sp~ter 5 untersucht werden; 2 davon hat ten Tabes und 2 Paralyse.

J u n i u s und A r n d t : Ein Mann, der 2mal verheiratet war, wurde paralytiseh; seine 24j~hrige Tochter starb an Paralyse und seine beiden Frauen bekamen Tabes.

In ~hnlicher Weise versuehte man sparer auch die immer mehr sich h~ufenden Beobachtungen yon Paralyse bei Kindern, deren Vater oder Mutter oder beide an Metalues erkrankt waren, zu erkl/iren.

Alle diese Beobachtungen, so bemerkenswert sie auch sind, k6nnen aber nicht als zwingender Beweis fiir die Existenz einer Lues nervosa gelten, was im allgemeinen auch von den Anh~ngern der Lues nervosa zugegeben wird. So konnte man mit Recht darauf hinweisen, dal3 ge- rade die F~lle von heredit/~rer Paralyse in keiner Weise als Argumente fiir die Lues nervosa gelten k6nnen, weft es recht wahrscheinlieh er- scheint, dal~ das Kind eines Paralytikers neben einer Lues auch noch eine heredit~re degenerative Anlage seines Nervensystems mit auf die Welt bringt, und dal3 eben diese zwei Momente viel eher und leiehter eine Paralyse hervorrufen k6nnen, als die Lues allein. Viel schwerer fallen ins Gewicht die Beobachtungen von mehreren Metaluesf~llen, welehe demselben Infektionsherd ihre Lues verdanken, doch auch hier ist der Einwand nicht v o n d e r Hand zu weisen, dal] solche doch immer- hin vereinzelt dastehende Beobachtungen bei der kolossalen Zahl yon verschieden durcheinander gewiirfelten Luesf~llen auch als reine Zu- f/ille sich ergeben kSnnen, genau so wie unter Tausenden von M6glich- keiten der reine Zufall die einzelnen Nummern einer Lotterie zu einem Voraus gew~hlten Terno herauskommen l~il~t. Derselbe Einwand gilt auch ftir die konjugale Paralyse; auch diese k6nnte auf rein zuf~lliger Zusammenwtirfelung basieren. Ein Beweis ftir das Vorhandensein oder Niehtvorhandensein einer Lues nervosa wird eben erst dann geliefert werden k6nnen, wenn es gelingen wtirde, rein statistisch, - - durch genauen und einwandfreien Vergleich, - - nachzuweisen, dal3 unter einer grol3en Zaht yon an einem bestimmten Herd infizierten Luetikern prozentuell viel mehr Metaluesf~lle sich entwickeln als bei anderen. Es ist von vornherein recht unwahrscheinlich, da~ ein derartiger Be- weis gelingen k6nnte.

Ieh habe versucht, fiir diesen Beweis auf einem andern Wege eine Basis zu finden.

Man weft3 n~imlich, wie eingangs besprochen wurde, mit weleher Wahrscheinlichkeit ein Luetiker Metalues bekommt, d. h. wieviel Pro-

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zent der Luetiker metaluetisch werden. Wenn es nun riehtig w~re, dab die Hauptursaehe der Paralyse eine besonders geartete luetisehe Infektion ist, dann mti~te sich folgende MSglichkeit ergeben: Gesetzt den Fall, man h~tte 100 verheiratete Paralysen und h~itte Grund an- zunehmen, dal~ die Eheh~lften derselben ebenfalls luetisch erkrankt waren, dann mu{~ unter diesen auch ein bestimmter Prozentsatz paraly- tiseh werden. Wenn dieser Prozentsatz dem sonst bekannten Prozent~ satz entsprieht, dann ist die Lues nervosa ganz unwahrscheinlieh; wena sieh aber bei gentigend grol~em Material ein wesentlich hSherer Prozent- satz ergeben wiirde, dann w~re dies ein recht wichtiger Beweis fiir deren Existenz.

Bei einem zu andern Zweeken statistiseh verarbeiteten Material von kliniseh beobachteten 500 Paralysen habe ich die F~lle auch von diesem Gesichtspunkte aus zusammengestellt.

Mein Material bestand aus 407 M~nnern und 93 Frauen. Von"idiesen waren 319 M~nner und 76 Frauen verheiratet. Auf diese 395 Fiille ver- heirateter Paralysen kommen nur 10 F~lle von konjugaler Metalues, was dem Prozentsatz von 2,53~o entspricht. Dies ist ein so niedriger Prozentsatz, dal~ man ~ich auf den ersten Anblick berechtigt ffihlen kSnnte, die ganze Frage als im negativen Sinne erledigt anzusehen. Die Saehe verh~lt sich aber ganz anders, wenn man die Frauen und M~nner gesondert betrachtet. Dann ergibt sich folgendes:

Bei den 319 M~nnern liel~ sich eruieren, dab nur 3real die Frau eine Metalues hatte, und zwar 1 real Paralyse und 2 mal Tabes. Unter den 76 Frauen gab es aber 7, deren M~nner eine Metalues hatten, und zwar 5 Paralyse und 2 Tabes. Prozentual berechnet wfirde die kon- jugale Metalues (Paralyse und Tabes) bei den Frauen paralytischer M~nner nur 0,94% entsprechen, und bei den M~nnern paralytischer Frauen den hohen Prozentsatz yon 9,2% darstellen.

Es ist wohl klar, daI~ der so gefundene Prozentsatz yon 0,94% konjugal-metaluetischer Frauen von paralytischen M~nnern nicht be- rticksichtigt werden kann, und zwar aus folgenden Griinden:

1. Man weifi nicht, wie viele von den Frauen der paralytischen Manner auch infiziert waren; denn die Mehrzahl der M~nner holt sich ihre Lues lange vor ihrer Ehe und bei einem wohl nicht unbetr~cht- lichen Teil verliert die Lues ihre Infektiosit~t.

2. Da die Mehrzahl der Frauen von Paralytikern von ihren M~nnern in der Ehe infiziert werden, ist die Lues bei den Frauen der Paralytiker wesentlieh jtingeren Datums als die der M~nner. Man mu~ also sehon aus diesem Grunde als recht wahrscheinlich annehmen, da~ die Frauen von Paralytikern eigentlich sparer ihre Metalues bekommen wie die M~nner, was ja schliel~lieh, zu einem gewissen Teile wenigstens, auch die Statistik der konjugalen Paralyse ergibt. Man kSnnte ein der-

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artiges Material also erst dann verwenden, wenn man in der Lage wiire, etwa 10 Jahre spiiter das Schicksal der Frauen der m~tnnlichen Paralysen zu verfolgen.

3. Die weibliche Paralyse ist fiberall wesentlich seltener als die der Mgnner, und zwar viel seltener, als es der geringer verbreiteten Lues bei den Frauen entspricht; deswegen daft als Vergleichszahl nicht die allgemein gefundene Morbidit~tsziffer der Metaluetiker gelten, sondern die Prozentzahl, welche sich bei Berechnung weiblicher Luetiker allein ergibt, d. i. nach Umrechnung des Materials yon P i c k und B a n d - ler 0,55%.

Trotz dieser vielen Fehlerquellen ergibt sich bei unserem konjugalen Materiale der doch immerhin hShere Prozentsatz yon 0,94.

Ganz andere Verh~ltnisse ergeben sich aber bei der Betrachtung der zweiten Gruppe, wobei prozentual festgestellt wurde, wie viele yon den/Ehem~nnern paralytischer Frauen metaluetisch werden. Dabei kSnnen wir bereits annehmen, da~ tier grSf3te Teil der an Metalues erkrankten Frauen ihre Lues yon den Mgnnern in der Ehe akquirierte; zwar ist es nicht ganz wahrscheinlich, dal~ dies ftir alle zutrifft, immer- bin aber wohl ftir einen sehr hohen Prozentsatz. Die M~nner dieser Frauen, welche meist viel frfiher ihre Lues akquiriert haben, werden demnach im allgemeinen auch frfiher als ihre Frauen der Metalues verfallen, was mit Leichtigkeit auch bei gerade nicht sehr genauer Anamnesenftihrung eruiert werden kann.

Schliefllich lassen sich diese Prozentverhi~ltnisse mit den bei ,,ge- wShnlichen" Luetikern gefundenen besser vergleichen, well man dabei meist (Pilez und M a t t a u s e h e k nur) Miinner berticksichtigt hatte.

I)a aber bekanntlieh die Paralysemorbidit~t in verschiedenen Gegen- den und zu verschiedenen Zeiten auch verschieden ist, so ist es klar, dab man bestrebt sein mul~, ein gleichartiges Material, sowohl was Ort der Beobachtung als auch Zeit anbelangt, nebeneinanderzustellen.

Mein Beobachtungsmaterial besteht aus Fiillen der Prager psychia- trischen Klinik aus den Jahren 1902--1910. Da im Durchschnitt diese Fglle ihre Lues vor 15 Jahren akquh'iert haben, ist die Mehrzahl dieser Fglle in den Jahren 1887--1895 infiziert gewesen. Einem glticklichen gufalle habe ich es nun zu verdanken, dal~ P i ck und B a n d l e r dem Schicksal eines sehr grol~en Materials vop Luetikern katamnestisch nachgeforscht haben, die derselben Bev61kerungsklasse, demselben Teile des Landes entstammen und etwa aueh zu derselben Zeit infiziert ge- wesen waren. P i c k und B a n d l e r fanden, wie schon erwiihnt wurde, bei M~nnern 3,7~o yon Metalues, wogegen sich bei unserem Material die hohe Zahl yon 9,2~o ergibt; dabei mul~ diese Zahl wohl mehr wie alle anderen eine Minimalzahl sein. Denn vorerst muf~ betont werden, dab nicht angenommen werden kann, dal3 alle M~tnner unserer Frauen-

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paralysen auch luetisch waren, waiter wissen wir, dal~ zwar im all- gemeinen die M/inner bei den konjugalen Paralysen friiher erkranken als die Frauen, aber niaht durchwegs; denn nach dem Material yon J u n i u s und A r n d t und dam sonst in der Literatur erw~hnten, er- krankt die Frau nut in etwa 1/4 der F~lle friiher, in 3/4 der Mann frfther oder beide zugleiah. Wir k6nnten also deshalb schliel~en, dall utmer bereehneter Prozentsatz um 1/3, das ist also auf etwa 12% sich erhShen mfil~te. Ich bin deshalb dem SehicksaI der M~nner der paralytisehen Frauen einstweilen insoweit naehgegangen, als ieh naehsah, ob nieht irgendeiner derselben nachtr~glieh als Paralytiker in die Irrenanstalt aufgenommen wurde; bei diesen Nachforschungen fand sich noeh ein Fall vor, so dal3 trotz der immer noeh nieht ganz vollst~ndigen 1) Er- hebungen auf 76 verheiratete weibliche Paralysen 8 metaluetische Ehe. miinner entfallen, was einem Prozentsatz yon 10,5% entspriaht.

D i e s e b e s o n d e r s grol~e D i f f e r e n z - - 3,7% : 10,5% - - s p r i e h t e b e n da f i i r , dal~ d i e j e n i g e n P e r s o n e n , w e l e h e y o n s p ~ t e r a n P a r a l y s e e r k r a n k e n d e n L u e t i k e r n a n g e s t e c k t w e r d e n , v i e l m e h r g e f ~ h r d e t s i nd , e i n e M e t a l u e s zu b e k o m m e n als a n - d e r e L u e t i k e r , was e i n e m z a h l e n m ~ B i g e n B e w e i s f t i r die

L u e s n e r v o s a " g l e i e h k o m m t . Doch bei Statistiken muB mart bekarmtlich mit den Sehlul3folgerun-

gen immer sehr vorsichtig sein, vielleieht viel vorsiehtiger als sonst, da der Zufall sich nicht so ohne weiteres ausschliel~en 1/s Deshalb habe ich aueh nach einem Material anderer Autoren gesucht, das so zusammengetragen w~re, dal~ man es aueh fiir unsere Frage verwenden k0nnte. In einwandsfreier Weise liel~ sich dazu die Arbeit von Kron~) : ,,Tabes dorsalis beim weiblichen Geschleeht" verwenden.

K r o n hat 160 tabische Frauen untersucht, von denen 117 verheiratet waren. 12 Frauen hatten metaluetisehe M~nner, und zwar waren die Erkrankungen so verteilt, dal~ bei 6 Ehepaaren beide Ehegatten Tabes hatten und bei 6 Ehepaaren die Frau Tabes und der Mann Paralyse. Angenommen, dal3 alle M~nner dieser tabischen Frauen luetisch waren, so entf~llt auf diese M~nner der Metalues-Prozentsatz (117 : 12) yon 10,2%.

Dal~ mart bei der Tabes und einem Material aus anderen Verh~lt- nissen ganz ~hnliche Prozen~verh~ltnisse erh~lt, ist wohl mehr als Zufall.

Ich habe tibardies noch aus der Arbeit yon M S n k e m 6 1 1 e r 3) auf

1) Man h~ttc dem Schieksal der Ehem~nner noch etwas genauer naehgehen miissen, dann hatte sieh die Prozentzahl vielleieht um 1--2% erhSht; die auf dem lfier eingesehlageneff Wege erhobene Prozentdifferenz ist aber so gro$, dab sic zur Beweisfiihrung vollkommen geniigt.

2) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1898 3) Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. ~.

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i~hnlicher Basis berechnete Prozentverhiiltnisse zu erzielen versucht. MSnkem611er berichtet n~mlich, dal] er unter 741 Paralysen aus dem Materiale von Herzberge 18real konjugale Metalues (d. h. 18 Paare) beobachtet hatte:

14real waren beide Ehegatten paralytisch, 2mal der Mann tabisch, die Frau paralytisch, 1 real der Mann paralytisch, die Frau tabisch, 1 mal der Mann tabisch, die Frau tabisch.

18 Fi~lle yon 741 entsprechen einem Prozentsatz yon 2,42~o, was wieder rech~ gut mit meinem summarischen Prozentsatz von 2,35 iiberein- stimmt.

Nattirlich kann man daraus noch nichts entnehmen, da Mi~nner und Frauen, und zwar die verheirateten gesondert berechnet werden miissen. Nun macht aber MS nkemSl l e r keine Angaben dar~ber. In der Arbeit von J u n i u s und Arnd t l ) , die das Material yon Dalldorf (Mso ebenfalls Berliner BevSlkerung) bearbeitet haben, sind die pro- zentuellen Verh~ltnisse der paralytischen Mi~nncr und Frauen berechnet, sowie auch das Verhi~ltnis der Ledigen zu den Verheirateten.

Wenn man nach diescm Verhiiltnis die 741 Paralysen MSnke- m611ers zergliedert, so kommt man auf etwa 172 verheiratete Frauen. Untcr den 18 Metalues-Ehepaaren waren 16 Frauen paralytisch, es hatten also yon 172 (yon mir berechnete Wahrscheinlichkeitsziffer) ver- heirateten para]ytischen Frauen 16 metaluetische Miinner, das ent- spricht 9,3%.

Es ist ja zuzugeben, daft diese Schliisse aus dem Materiale M0nke- mSllers nicht bindend sein kSnnen, sic gewinnen aber bei der fiber- einstimmenden Prozcntzahl eine gewisse Bedeutung.

Gegen alle diese Bcrechnungen kann aber tin sehr gewichtiger Ein- wand gemacht werdcn.

Es ist klar, dal] das Material einer dermatologischen Klinik nicht ohne weiteres den allgemeinen Zahlenverhiiltnissen der luetisch in- fizierten BevSlkerung entspricht. Wohl die allermeisten Luetiker, welche auf einer dermatologischcn Klinik sich vorstellen, werden antiluetisch behandelt, obzwar nicht immer eine griindliche Quecksilberkur durch- gefiihrt werden kann. Dagegen kann man aber mit Recht annehmen, dal] die Miilmer unserer paralytischen Frauen jedenfalls in viel hSherem Mal~e ohne Behandlung gewesen sind als unser Vergleichsmaterial, die Fi~lle der dermatologischen Klinik, welche P ick und B a n d l c r ver- arbeitet haben. Man kSnnte also demnach einwenden, dal~ die grol3e Differenz sich nur deshalb ergibt, weft die Miinner der paralytischcn Frauen vcrhi~l~nismi~l]ig wcniger oder schlechter antiluetisch behandelt wurden als das Vergleichsmatcrial.

1) Archiv f. Psych. 44.

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Wir mfissen uns demnach, urn unsere Frage sicher entscheiden zu k6nnen, auch mit der Frage befassen, ob wir denn aus anderweitigen Beobachtungen tatss gentigende Anhaltspunkte ftir die Ansicht besitzen, dab die antiluetische Behandlung die Entwicklung einer Meta- lues verhiiten kann.

Die Literatur zeigt uns, dab in diesem Punkt noch Unklarheit ulld Widerstreit der Meinungen herrscht.

Nach F o u r n i e r , der bei seinem Material (82 Paralysen) gefunden hat, dab nur 5% der Kranken gut antiluetisch behandelt wurden, wo- gegen bei 15% nur eine mittelm~Bige und 80% eine ganz ungentigende Therapie durchgeftihrt worden war, ist das wichtigste Prophylaktikum der Metalues eine grtindliche Behandlung der Lues; s ~uBert sich Neisser , in dessen Material von Tabesfs ein besonders grol~er Prozentsatz von nut ungentigend oder gar nicht antiluetisch Behandelten sich befand.

Zu ganz anderen Resultaten kommt aber Coll ins , S c h u s t e r 1) und Kron2), nach denen die antiluetische Therapie (gemeint ist nur die Quecksilberbehandlung) keinen gtinstigen EinfluB hinsichtlich Ver- hiitung der Metalues auszutiben imstande ist, ja es zeigte sich sogar nach den Berechnungen von S c h u s t er und K r o n, dab bei behandelten Luetikern die Metalues um eine Spur frtiher auftritt als bei Nicht- behandelten.

Auch ffir diese noch strittige Frage bringt uns die bereits erwiihnte Arbeit von M a t t a u s c h e k und Pilcz ein ganz besonders wertvolles Material. Die Autoren haben ihre Fs auch vom Standpunkte dieser Frage gesichtet und gelangen zu dem Schlusse, daB, ,,wenngleich auch eine sehr griindliehe Behandlung der Syphilis vor sps Paralyse nieht schtitzt, der Vergleich einer Serie yon Syphilitikern mit mangel- halter Therapie und einer Serie yon chronisch-intermittierend Behan- delten zu ergeben seheint, daB der Prozentsatz der davon sparer paraly- tiseh Gewordenen ein wesentlieh geringerer bei den letzteren ist."

Aus der Tabelle IV von M a t t a u s c h e k und Pilcz ist ersichtlich, dab die Paralyse sich nach ihrem Material entwickelt:

bei Luetikern ohne spezifisehe Behandlung in 23,23%, bei Luetikern mit einmaliger Hg-Kur in 30,61%, bei Luetikern mit wiederholter energiseher Behandlung in 3,47%.

Diese Tabelle ergibt also ganz ~hnliche Prozentverh~ltnisse wie das Material yon F o u r n i e r ; M a t t a u s e h e k und Pilcz bemerken aber dabei mit Recht, dab man immerhin unterscheiden mtisse zwischen rezidivfreien und rezidivierenden Luesfs wobei gewiB aus natiir- lichen Grtinden die rezidivfreien eine weniger griindliche Kur durch-

1) Vers. des Vereines deutscher Nerveni~rzte; Dresden 1907. ~) l.c.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych . O. XVI . 9

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130 O. Fischer:

gemacht haben werden als die andern. Um dieses gegenseitige Ver- h~ltnis klarzulegen, haben M a t t a u s c h e k und Pi lcz die hier beige- fiigte Tabelle XI zusammengesteUt und sehlieBen daraus, da~ man des- halb nicht berechtigt seizum SchluB, ,,daI~ ein durch energische Therapie bedingtes Zurtickdr~ngen der ~u[~erlichen Syphilisrezidive mit Rtick- sicht auf sp~tere Nervenerkrankungen ungfinstig sein kSnnte." Viel- mehr ergebe sich daraus, dab die rezidivfreien Luetiker aueh trotz mangelhafter Therapie von ihrer Lues dauernd geheilt bleiben.

Tabelle XI yon Mat tauschek und Pilcz. Verh~ltnis der Rezidive und Behandlung bei Paralysen.

Rezidive Keine oder nurj Lokalbehandlung

~) 33 1 2

mehrere 3 Summe 38

Eine einzige Mehffache Hg-Kur Hg-Kuren Summe

44 2 ~ 7 --- 83 8 19 29 4 34

56 52 I 146

Mit diesem Sehlusse m5chte ich mieh aber nicht ganz begniigen. Wir mtissen bei dieser Frage in erster Linie die bereits zur Regel ge- wordene Erfahrung bertieksichtigen, dab die meisten Paralytiker nur eine leiehte Lues gehabt haben, d. h. eine Lues, die nur als ein kleiner Prim~raffekt zutage tritt, im besten Falle noch ein ganz vortibergehen- des Exanthem entwickelt, sparer aber keine manifesten Symptome mehr zeigt. Es ist klar, dab derartige Kranke viel seltener antiluetisch be- handelt werden als solehe, die unter mehrfaehen oder gar schweren Rezidiven zu leiden haben, wobei wieder zu bemerken ist, dab es zu den grSl~ten Seltenheiten gehSrt, wenn eine schwere Lues in eine Para- lyse ausgeht. So bemerkt F o u r n i e r , dal~ sieh unter 245 F~llen von schwerer Lues keine einzige Paralyse entwiekelt hatte, wohl aber viele davon an Lues cerebri erkrankt sind. Deshalb ist ja auch wiederholt die Meinung ausgesprochen worden, da{~ gerade die leiehte Lues zu Paralyse fiihrt. Besonders lehrreiche Zahlen ergeben sieh gerade in der Arbeit von M a t t a u s e h e k und Pilez; von 87 Luetikern mit leiehter Lues ohne Rezidive sind 37, d.i . 42,53% an Paralyse erkrankt, wo- gegen von 1778 Luetikern mit Rezidiven nur 49 paralytiseh wurden, was dem Prozentsatz von nur 2,53 entspricht. Man hat diesen merk- wtirdigen Umstand auch damit zu erkl~ren versucht, dal~ die leiehten Luesf'~lle nur deshalb metaluetisch werden, weil sie in ungeniigender Weise antiluetiseh behandelt worden sind. Ob diese Ansicht bereehtigt ist, soll folgende Uberlegung zeigen.

Zwei gewichtige und grundversehiedene Momente sind es, die sich hier gegentiberstehen; auf einer Seite steht die ,,leichte Lues" mit der fraglichen Eigensehaft, Metalues zu erzeugen, auf der andern Seite die

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Gibt es eine Lues nervosa? 131

mangelhafte Therapie. Die Entscheidung der Frage, welchem dieser zwei Momente eine grSBere Bedeutung ftir die Paralyse zuf~llt, l~Bt sich nur auf statistischem Wege erweisen, und zwar bei Beriicksichti- gung des gegenseitigen Verh~ltnisses zwischen grfindlicher und schlechter Behandlung einerseits und leichten und schweren Luesf~llen anderer- seits. Ein derartiges Material ergibt die Tabelle XI von M a t t a u s c he k und P i l cz . Ich wiirde aber aus diescr Tabelle eine andere Antwort herauslesen als die genannten Autoren. Wenn wir n~mlich die Tabelle, die sich auf 146 Paralyscn bezieht, aus Grtinden besserer 13bersichtlich- keit zusammenziehen, so ergeben sich folgende zwei Vereinfachungen:

u A der Tabelle XI yon M a t t a u s c h e k und Pi lcz .

: Ungenfigende Mehrfache oder keine Hg- Hg-Kuren Summe

Rezidive Behandlung

lot to, i e :o; zenten

(~ 77 93 6 7 83 1 bis mehrere 17 27 46 73 63

Summe I 94 6, 52 I 36 I 146

Vereinfachung B der Tabelle XI von M a t t a u s c h e k und Pilcz.

Ohne Behand- I Hg-Behand- lung lung

i zenten

0 33 40 50 60 83 1 bis mehrere 5 8 58 92 63

Summe 38 26 108 7g 146

Wenn nun tats~chlich die ungentigende Therapie bei den leichten Luesf~llen die Ursache der Paralyse w~re, dann mtiBte unter den Paraly- tikern, welche an einer rezidivierenden Lues gelitten haben, auch der Prozentsatz der schlecht Behandelten wesentlich grSBer sein als der- jenige der gut und energisch Behandelten. Die Tabellen zeigen uns aber das Gegentefl: Bei der schwereren Lues stehen die Behandelten zu Unbehandelten im umgekehrten Verh~ltnis wie bei der leichten Lues. Ob man die Tabelle so zusammenzieht, dab Unbehandelte Behandelten gegentiberstehen oder griindlich Behandelte gegentiber nicht oder wenig Behandelten, immer kommt heraus, daB der Prozentsatz der rezidivie- renden behandelten Paralytiker wesentlich grSBer ist als derjenige der behandetten leichtea Luesf~lte. Ich wiirde deshalb aus den Tabellen yon M a t t a u s c h e k und P i l c z den SchluB ziehen, dab es ftir die Ent-

9*

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132 O. Fischer:

wieklung der Paralyse wesentHeh wiehtiger ist, ob die Luesinfektion leicht oder schwer verlaufen ist, als ob eine grfindliche Behandlung stattgefunden hat oder nieht, ja vielleieht kSnnte man auf Grund der so gewaltigen Zahlendifferenzen sagen, dal~ der antiluetisehen Behand- lung kaum eine prophylaktisehe Wirkung zukommt. Man kSnnte ja immerhin einwenden, da~ man nicht ausschlie~en kann, ob sich durch die Behandlung der Prozentsatz nicht doeh etwas ge~ndert hat; wenn mir das auch nieht wahrscheinlieh erseheint, beweisbar w~re es dann, wenn man bereehnen kSnnte, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein be- handelter Luetiker mit Rezidiven und mit welcher ein unbehandelter Luetiker mit Rezidiven an Paralyse erkrankt. Eine derartig verarbeitete Statistik existiert aber noch nicht.

M a t t a u s e h e k und Pilcz haben eine Tabelle (XII) zusammen- gestellt, aus der sieh eine Antwort auf die Frage ergeben soll, ob die vorausgegangene Syphilisbehandlung einen EinfluB auf die Liinge des Intervalles zwischen Infektion und Ausbruch der Paralyse erkennen l~Bt; sie verneinen dies auf Grund dieser Tabelle. Aueh dieser Sehlul~- folgerung mSehte ieh widersprechen. Tats~ichlich kann man aus der Originaltabelle XII selbst nicht viel entnehmen; wenn man aber das Material derselben so umreehnet, dab man den durchsehnittliehen Inter- vall der drei Kolonnen bestimmt, indem man die Zahl der einzelnen F~lle mit der Zahl der entsprechenden Intervalljahre multipliziert, die auf die einzelnen Kolonnen entfallenden Zahlen addiert und durch die Zahl aller Fiille der Kolonnen dividiert, so kommt man zu einem ganz anderen Resultat. Es finder sich dann, daI~ der Intervall zwi- sehen Infektion und Paralyse bei Unbehandelten 15,62 Jahre, bei nur einmal mit Hg Behandelten 13,56 und bei wiederholt Behandelten 15,4 Jahre betr~gt, resp. vereinfacht, dal~ bei unbehandelten Fiillen die Paralyse durehsehnittlich naeh 15,62 Jahren auftritt und bei mit Hg Behandelten nach 14,36 Jahren. Man e r s i eh t also d a r a u s e i n e n U n t e r s e h i e d yon 1,3 J a h r e n , in dem S inne , dab die Queck- s i l b e r b e h a n d l u n g die L a t e n z z e i t zwischen I n f e k t i o n u n d P a r a l y s e d e u t l i c h abki i rz t .

Ich mSchte also an der Hand der Tabellen yon M a t t a u s e h e k und Pi lez zu einem anderen Schlusse gelangen, als die Autoren selbst. Ich mug daraus entnehmen, dal~ wenigstens die bisherige Therapie der Lues (Salvarsan nicht eingereehnet) die Pamlyseentwicklung nieht hemmt, ja da] sie sie eigentlieh um eine Spur besehleunigt. Deswegen d i i r f te a u e h der E i n w a n d , dal~ die mange lh&f te Q u e c k s i l b e r b e h a n d - l u n g die Ursaehe des h o h e n P r o z e n t s a t z e s der m e t a l u e t i s e h e n E h e m ~ n n e r p a r a l y t i s e h e r F r a u e n is t , a b z u w e i s e n sein.

Dieser Schlul~ von der geringen Wirkung des Quecksilbers erseheint reeht befremdend, obzwar dasselbe bereits wiederholt in der Literatur

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Gibt es eine Lues nervosa? 133

behauptet worden ist. Er wird aber weniger befremdend, wenn man die recht verwickelten Verh~ltnisse der Lues des Zentralnervensystems ge- nauer beriieksichtigt. Uber die gute Wirkung des Quecksilbers auf die Hautlues braucht man heute wohl nieht mehr zu diskutieren, ebenso aueh nicht fiber die gute Wirkung auf die Gummen fiberhaupt; abet gerade unter den Gummen gelten bekanntlieh als Ausnahme die Gum- men des Zentralnervensystems, die sich dem Quecksilber gegeniiber meist recht refrakt~r verhalten. Die Ursache muB hier wohl in erster Linie in dem Sitz dieser Gummen also dem Nervensystem gesueht werden. Von der Metalues wissen wir, dab sie im allgemeinen vom Quecksilber kaum beeinflul3t wird, wir ~4ssen aber noeh gar nieht, wann die Meta- lues beginnt; nicht unwahrseheinlieh klingt die Erkl~rung, dab die- jenigen Luesf~lle, welehe schon in den Frfihstadien der Lues eine Pleo- cytose aufweisen, das Luetikerkontingent darsteUen, aus dem die Meta- luetiker entstammen; als Ursache der Frtihpleoeytose der Luetiker muB abet eine frfihzeitige luetisehe Meningitis wohl ganz leichten Grades angenommen werden, so dab folglich diese Frtihmeningitis den Ur- beginn der Metalues darsteUen kSnnte. Wenn nun das Queeksilber auf dis anderen luetisehen Produkte im Zentr~lnervensystem therapeutisch kaum wirkt, dann ist es nieht ausgeschlossen, dab es auch auf diese Frfihmeningitis weniger einwirkt, und die geringe Prohibitivwirkung des Queeksflbers gegen die Metalues w~re verst~ndlieh. Die M6glichkeit eines derartigen Zusammenhanges l~Bt sieh einstweilen wohl nicht be- streiten, ein klarerer Einblick in diese verwiekelten Verh~ltnisse wird sich aber erst dann gewinnen lassen, bis wir die Entstehungsbedin- gungen der luetischen Frfihmeningitis und deren Verhalten bei der Therapie genauer kennen werden.

Hingegen kann abet noch ein anderer Einwand gemacht werden: es gibt leichte und schwere Luesformen. Die leichten Luesformen neigen mehr zur Paralyse. Aus selbstverst~ndliehen Grfinden suchen aber viel eher die schwereren F~lle eine spezialistische Behandlung auf, wogegen sieh die leiehteren Fglle viel seltener antiluetiseh behandeln lassen. Es ist nun recht wahrscheinlich, dab sieh unter den Luetikern, welche nieht ~rztlich beobachtet wurden - - und hierher gehSren die M~nner der paralytischen Frauen - - mehr F~lle yon ganz leichter Lues be- finden werden, als in dem Materiale einer dermatologischen Klinik. Deshalb k6nnte man auch erwarten, dab der Prozentsatz der konjugalen M~nnerparalysen grSBer sein miisse, als es der Paralysemorbidit~t bei der ,,gew6hnliehen" Lues entspricht und natfirlich auch dann, wenn der antiluetischen Behandlung keine besondere prophylaktische Bedeu- tung zugestanden werden kann. Diesen Einwand kann man natfirlich nieht so leicht entkr~ften, namentlich deshalb nicht, weil er sieh direkt- statistisch scheinbar in keiner Weise widerlegen l~Bt.

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134 O. Fischer:

Ieh habe es dennoch versucht, auf Grund in der Literatur zu anderen Zweeken publizierter Angaben statistische Belege zu diesem Punkte ausfindig zu machen. Ein hiezu recht gtinstiges Material ents tammt der Arbeit yon A. H a u p t m a n n : Serologische Untersuchungen yon Familien syphilogener Nervenkranken (diese Zeitschrift 8, 1912). H a u p t m a n n hat sich die Aufgabe gestellt, ganze Familien, aus denen syphilogene KrankheitsfKlle stammen, serologisch nach W a s s e r m a n n zu untersuchen, um auf diesem Wege die eventuell vorhandenen latenten Luesf~lle zu eruieren. Von ganz besonderem Interesse ffir unsere Frage ersehien mir die Beobachtung H a u p t m a n n s , dab unter den Frauen yon 20 Syphilitischen, die Symptome eines spezifischen Cerebrospinal- leidens zeigten, nur eine einzige eine luetische Infektion mit manifesten Symptomen bot, w~hrend unter den Eheh~lften yon 7 Syphilitischen ohne spezifische Cerebrospinalleiden 4 sich befanden, bei denen die lue- tische Infektion mit manifesten syphilitischen Symptomen einherging. H a u p t m a n n versucht dieses MiBverh~ltnis in der Art zu erkl~ren, ,,dab das infizierende Agens, die Spirochiiten, durch die Passage durch den Organismus und zwar gerade dann, wenn hierbei das Zentralnerven- system mitbetefligt ist, so viel an Virulenz verliert, dab es beim ~ber- gang auf einen zweiten Organismus nicht mehr imstande ist, signifikante t Iaut- und Schleimhauterkrankungen hervorzurufen, dab dagegen, wenn das Nervensystem bei der Passage frei bleibt, die Infektion sich durch die bekannten Primer- und Sekund~rerscheinungen KuBert".

Dieser Erkl~rungsversuch erscheint mir aber nicht richtig zu sein. Man muB dabei vorerst berticksichtigen, dab man es durchweg mit Frauen zu tun hat, die sich wenig beobachten, bei denen leichtere Genitalaffektionen, besonders wenn sie keine Beschwerden machen - - und das ist bei den meisten leichteren Prim~raffektionen der Fall - - fibersehen werden; ich mSchte deshalb den SchluB H a u p t m a n n s , dab die betreffenden Frauen fiberhaupt keine Prim~rerscheinungen hatten, in dem Sinne modifizieren, dab die Prim~rerscheinungen (in welchem Prozentsatz bleibt uns nattirlich unklar) nut unscheinbar waren und schnell vorfibergingen, so dab sie der Aufmerksamkeit der Frau entgingen. Ich glaube wohl mit grSBter Wahrscheinliehkeit an. nehmen zu kSnnen, dab wenn es sich um ~hnliche Infektionsverh~lt- nisse bei M~nnern gehandelt h~tte, wit yon denselben viel eher berichtet finden wfirden, dab der PrimKraffekt ganz klein war und sehr bald versehwand, kurzum, dab es sich um die sog. leichte Lues gehandelt h~tte.

Wenn wit uns hingegen eine Tabelle aus dem Material yon H a u p t - m a n n in der Weise zusammenstellen, wie es die nebenstehende Tabelle zeigt, so ergibt sich bei Bertieksiehtigung des gerade Gesagten eine andere Fragestellung. Wir sehen in der Tabelle, dab die Frauen von 17 an Para-

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Gibt es eine Lues nervosa? 135

Tabelle nach dem Material yon H a u p t m a n n .

Nr.

1. P, 2. R. 3. M. 6. R. 7. R. 9. Sch.

32. F. 31. H. 28. P. 30. Sch. 18. A. 20. R. 21. P. 10. W. 8. A.

26. R. 27. G.

5. ~I,

22. G.

34. W. 23. B. 24. St.

Diagnose

Paralyse

9 Infektion Somatische Symptome

Tabes Tabes Tabes

Pupillenanomalie Pupillenanomalie Pupil|enanomalie

Wassermann im Blur

§ + § + + +

0 0 0 0 0

(~ T~bes #

0 + 0 § 0 + 0 + 0 + 0 +

Tabes 0

spastische Spinalparalyse Nervengesund

mit Lues

§

§

§

O

Pupillenstarre 0 0

Miosis

Gumma cerebri

Lues c erebri (Gumm a ?) Gumma cerebri

Lues celebri(mikroskop)

8 + +

§

§

+ § §

lyse resp. Tabes erkrankten M~nnern (entweder nach den ldinischen Symptomen oder nach der W a s s e t m a n n schen Reakt ion zu schliel~en) sicher luetisch infiziert worden sind, alle abet derart, dab sie selbst von einer Infektion nicht wul~.ten. Ein groBer Teil dieser Yrauen zeigte such entweder Tabes oder an Tabes resp. Paralyse erinnernde Pupillen- stSrungen. Wir wissen nun, dab die meisten m~nnlichen Paralyse- (resp. Tabes-)F~lle eine leichte Lues durchgemacht haben; diese infizierten ihre Frauen mit einer Lues, die wiederum sehr ,,leicht" verlaufen ist. Dem- gegentiber ergibt die Beachtung der unteren 5 F~lle derselben Tabelle ein ganz anderes Resultat . Da handelt es sich um Ehepaare, bei denen 4real die Frau und einmal der Mann an Lues cerebrospinalis (meist gummSser Art) erkrankt waren; yon den M~nnern ist fiberaU notiert, dal~ sie manifest luetisch infiziert waren, und such bei drei der Frauen liei~ sich anamnestisch eine (behandelte) Luesinfektion nachweisen, nur zwei Frauen wuBten nichts von manifester Luesinfektion.

Also d i e P a r a l y t i k e r ( r e s p . T a b i k e r ) , d i e m e i s t e i n e , , l e i c h t e " L u e s h a b e n , i n f i z i e r e n i h r e F r a u e n m i t , , l e i c h t e r " L u e s , die in einem such hier recht auffallend groi~en Prozentsatz (8 yon 17) zu

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136 O. Fischer:

tabes- (resp. paralyse-) ~hnlichen Symptomen fiihrte, wogegen nieht- paralytisehe Luetiker ihre Frauen mit zum groBen Teil manifester LuGs infizieren. Wir brauehen also bier nicht anzunehmen, dab erst die von H a u p t m a n n angenommene Passage durch das Nervensystem die Viru- lenz des Virus absehw~cht, sondern die hier angefiihrten M~nner bat ten meist nur eine leichte Lues und diese blieb bei ihrer Uberimpfung auf Ehefrauen ebenfalls leieht. Sie bleibt leicht, ffihrt aber wiederum, wie es auch aus dem Material yon H a u p t m a n n ersiehtlieh ist, mit gro•em Prozentsatz zur Metalues. W e n n a b e r die l e i e h t e L u e s h ~ u f i g zu M e t a l u e s f~ihr t , w e n n d i e s e l b e als s o l e h e u n t e r B e i b e h a l - t u n g ~ l l e r i h r e r E i g e n s e h a f t e n (erstens leiehte Form [quoad Haut- erscheinungen], zweitens Neigung zur Bildung yon Metalues) ii b e r t r a g - b a r i s t , d a n n h a b e n wi r a u c h a u f d i e s e m W e g e d e n B e w e i s t ier L u e s n e r v o s a ; d ie , ,1e iehte" L u e s i s t d ie L u e s n e r v o s a .

Dabei ist es aber notwendig, sigh klar zu machen, wieweit dieser Begriff der Lues nervosa reicht. Von E r b und anderen ist dies so ver- standen worden, dab die LuGs nervosa imstande ist, nicht nur in ge- h~ufter Menge Metalues zu erzeugen, sondern luetische Ver~nderungen des Zentralnervensystems fiberhaupt, also auch das solitiire Gumma oder eine meningitiseh-gumm6se Erkrankung des Nervensystems. Von vornherein muB man dagegen ein gewisses Bedenken tr~gen, da die Para- lyse wie auch die Tabes sowohl vom allgemein pathologisGhen als ~ueh histopathologisehen Standpunkt aus etwas wesentlich anderes ist als die bekannten drei Stadien der Lues. Der Paralyse oder der Tabes gleichkommende Erkrankungen gibt es sonst night im K6rper, dagegen unterseheidet sich das Gumma des Gehirns in gar nichts yon dem andersartig lokalisierten Gumma. Deshalb h~tte ich ein gewisses Be- denken, wenn eine besondere Form der Lues als Lues nervosa ange- nommen werden muB, dieselbe ~uch als wiGhtigste Ursaehe der gum- m6sen Erl~'ankungen des Nervensystems anzunehmen. Ubrigens hat sigh aueh aus dan hier angestellten Uberlegungen ergeben, dab die Lues nervosa, werm aueh vielleieht nur zum Teil, mit der sog. leiehten Lues zusammenf~llt, von der wir aber wissen, dab gerade sie besonders selten zu Gummen fiihrt, wogegen die ausgebildete terti~re Lues gegen die Metalues beinahe immunisiert.

So wie sigh aber noeh sehwierigere Fragen auf Grund einer richtigen statistischen Zusammenstellung beantworten l~ssen, so mfil]te auch diese Frage statistisch zu erledigen sein; doch bevor wit dazu iibergehen, w~re noch einer weiteren Konsequenz zu gedenken, die sich aus dem Bejahen einer Lues nervosa ergibt. Wir fanden n~mlich, dal~ es eine bestimmte Art yon Lues gibt, die zu Paralyse und Tabes fiihrt; die- selben sind sigher sehr verwandte Krankheiten, so dab man sie Schwester- krankheiten nannte; es ergibt sich nun in weiterer Konsequenz die

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Gibt es eino Lues nervosa? 137

Frage, warum der eine eine Paralyse bekommt, der andere eine Tabes, ob nur eine besondere persSnliche Disposition als Ursaehe anzunehmen ist, oder ob auch da Differenzen im Virus anzunehmen oder abzulehnen sind. Alle diese Fragen lassen sieh leicht statistisch beantworten, wenn man das bisher bekannte Material konjugaler F~lle von Metalues und eerebrospinaler Lues nach den hier er6rterten Gesichtspunkten sorg- f~ltig zusammenstellt, wozu sieh am besten Tabellen eignen, weft man hierbei die verschiedenen Verh~ltnisse am besten tibersieht. Dazu bietet die Arbeit yon F i s c h l e r : Uber die syphilogenen Erkrankungen des zentralen Nervensystems und fiber die Frage der Syphilis s virus ner- veux (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 28, 1905) ein willkommenes Material. F i s c h l e r hat n~mlich die bis zum Jah re 1905 bekannt ge- wordenen F~lle von konjugaler Lues des Nervcnsystems zusammen- getragen und kritisch besprochen. Die Zusammenstellung der darin enthaltenen konjugalen F~lle (die Ehepaare der Gruppe der famili~ren Erkrankungen einbezogen) ergibt folgende Verh~ltnisse:

Beidc Ehegatten batten Paralyse 26mal Tabes 31 ,,

Mann tabisch, Frau paralytisch 4 ,, ,, paralytisch, Frau tabiseh 15 ,,

Beide Ehegatten Lues cerebrospinalis 4 ,, Mann Tabes, Frau Lues cerebrospinalis 1 ,,

7, Paralyse . . . . . . . 1 ,,

Aus der Gruppe der famili~ren Erkrankungen ergibt sich:

Einer der Eltern Paralyse, das Kind Paralyse 12real, . . . . . . . . . . . . Tabes 5 ,, . . . . . . Tabes . . . . ,, 10 ,, . . . . . . . . . . . . Paralyse 3 ,,

Vorerst zeigen sich interessante Verh~ltnis ftir die Lues cerebrospi- naris (meist gummosa gemeint). ~n te r 6 Ehepaaren leiden 4 mal beide Eheh~lften an Lues cerebrospinalis und nur zweimal finden wit bei einem Ehegatten Lues cerebrospinalis, beim anderen Paralyse oder Tabes. Gewfl3 sind 6 Fglle noch recht wenig, viel zu wenig, als dab man grol~e allgemeine Schltisse daraus ziehen kSnnte, immerhin best~tigen sie die vorhin erhobenen Bedenken.

Vielleicht noch interessantere Ergebnisse ergaben sich in der zweiten Frage, die Tabes und Paralyse betreffend. Wenn man die F~lle der F i s c h l e r s c h e n Arbeit danach zusammenstellt, ob beide Ehehiilften an derselben Form der Metalues (Tabes-Tabes, Paralyse-Paralyse) litten oder Mann und Frau je eine ungleichartige Metalues (Tabes - Paralyse) hatten, und in gleicher Weise auch die F~lle von Metalues bei Eltern und Kind dazu z~hlt, so ergibt sich folgendes Verh~ltnis:

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138 O. Fischer:

Gleichartige Metalues (bei FamilienangehSrigen) 79real, Ungleiehartige . . . . . . 27 ,,

Das ist ein Verh~ltnis, das wohl zu denken gibt. Um das Material zu vergrSf~ern, habe ich noch das in den nach 1905 erschienenen Publi- kationen yon M S n k e m S l l e r , J u n i u s und A r n d t und H a n n a r d et G a y e t 1) enthaltene Material konjugaler Lues hinzugerechnet, sowie das von mir bisher beobachte~ Material von konjugaler und famili~irer Metalues. Dann ergibt sich folgende Tabelle:

Provenienz des Materials

Fischler . . . . . . . MSnkemSller . . . . . Junius und Arndt . . . Hannard et G a y e t . . . Eigenes Material . . . .

Summa in Prozcnten

Metalues

Gleiehartig Ungleichartig

79 27 15 3 31 7 21 4 12 4

158 45 7s% 22%

Es zeigt sich also, dal~ die konjugale gleichartige Metalues mehr als dreimal h~ufiger vorkommt als die ungleichartige. Bei dem so gro ten Material ist der Zufall ganz auszuschlie$en, um so mehr als sich dasselbe VerhMtnis auch aus dem Material tier einzelnen hier erw~hnten Autoren ergibt. Und die Erkl/irung? K a u m etwas anderes als die A n n a h m e , d a $ es a u c h b e i m V i r u s d e r L u e s n e r v o s a zwe i U n t e r a r t e n g e b e n mi i s s e , y o n d e n e n d a s e i n e p r o z e n t u e l l h K u f i g e r z u r T a b e s , d a s a n d e r e z u r P a r a l ' y s e f i i h r t , wobei aber ausdriicklich wiecler be tont werden rout , daI~ dies nicht immer, s o n d e r n n u t p r o - z e n t u e 11 his geschieht. Dabei rout die yon M e n d el bereits ge- fundene Regel berticksichtigt werden, da$ bei ungleiehartiger konjugaler Metalues der Mann viel h~ufiger paralytisch ist und die Frau dagegen tabisch. Wenn man das hier beriieksichtigte Material yon 167 Ehe- paaren, i. 6. 334 Einzelfi~llen, so zusammenstellt, dal~ man berechnet, wieviel Frauen und wieviel M~nner an Paralyse resp. Tubes (bei konjugaler Metalues natiirlieh) erkranken, dann ergibt sich folgende Tabelle :

c~ 9 Paralyse . . . . . . . . 124 109 T~bes . . . . . . . . . 43 58

oder noch besser, wenn man in gleicher Weise die 37 an ungleichartiger Metalues erkrankten Ehepaare (74 Einzelf~lle) zusammenstellt :

1) De la paralysie g6n6rale et de la Tabo-Paralysie conjugale. Annales m6d.- psyehol. 1911.

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Gibt es eine Lues nervosa? 139

c~ Paralyse . . . . . . . . 26 Tabes . . . . . . . . . 11

9 11 26

Man ersieht daraus, dal3 bei den ungleichartig metaluetischen Ehe- paaren die Tabes bei Frauen mehr als zweimal so h~ufig ist als bei M~nnern, was fiir die Paralyse in umgekehrter Weise gilt, d. h. dab neben den erschlossenen Differenzen des Tabes- und Paralysevirus noeh eine besondere Disposition anzunehmen ist, die sich wenigstens ffir die Gesehleehter so verhalt, da$ die Frauen mehr zur Tabes, die M~nner mehr zur Paralyse neigen.

Es diirfte wohl selbstverst~ndlich erscheinen, da$, so wie man fiir das Paralyse- und fiir das Tabesvirus beweisen konnte, dab es nieht immer dieselbe Form der Metalues hervorruft, man auch fiir die Lues nervosa iiberhaupt auGh night annehmen kann, da$ sie immer zu einer Metalues fiihren mu$; dabei mSchte ich betonen, dab es vielleicht auch verschiedene Abstufungen geben kann, so da$ das eine Virus prozentuell mehr Metalues verursacht, das andere weniger (so in der Glasbl~serepi- demie von Bros ius in 80%), ebenso wie man aueh nicht aussGhlieSen kann, dab bin und wieder eine gewShnliche Lues ebenfalls zu einer Metalues fiihren kann, wenn auch, wie es aus unseren Zusammenstel- lungen ersiGhtlich ist, wesentlich seltener. Wenn ein trivialer VergleiGh gestattet ist, verhalten sigh diese zwei Virusarten zueinander wie etwa eine gezogene Pistole zu einer niGhtgezogenen. Mit der gezogenen Pistole trifft man viel besser und leiGhter, mit tier niGhtgezogenen viel schlechter, man kann abet nicht sagen, dal3 man mit der gezogenen immer trifft und mit der nichtgezogenen hie; es h/ingt yon der GrSge und Entfernung des Zieles ab und iiberdies aueh yon der GesGhickliGhkeit des Schiitzen.

Der Begriff der Lues nervosa, als Folge einer besonderen Variet~t der Spirochete, widerspricht nun in keiner Weise unseren allgemein- pathologischen Erfahrungen. So wei$ man, da$ gewisse Epidemien (Typhus, Infhlenza) einmal sehr leicht, das andere Mal sehr sGhwer ver- laufen, die Bubonenpest geht in manchen Epidemien h~ufiger als Lungen- pest einher als in anderen und der Streptokokkus erzeugt manGhmal Erysipel, in welcher Eigensehaft er auGh verimpfbar ist (Erysipelen- demien).

Ftir unser Kapitel ist aber von ganz besonderer Wichtigkeit eine Beobaehtung S p i e l m e y e r s z) bei Impfversuchen mit dem Trypano- soma Brucei. Dureh mehrfache Passagen durch weiBe Mause und Kaninehen erhielt S p i e l m e y e r einen Stature, der Hunde nicht mehr wie frtiher in 5--8 Tagen tStete, sondern erst nach 10--15 Wochen; die mit diesem abgeschwaehten Stamm infizierten Hunde zeigten in

z) Therapie der progressiven Paralyse. Archly f. Psych. 50.

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etwa 70---80~o systematische degenerative Ver~nderungen an den Hin- terwurzeln und den Trigeminuswurzeln, welehe einer menschlichen Tabes nicht un~hnlich waren. In einem Zeitraum von 10--12 Monaten verlor aber dieser das Nervensystem so eigenartig angreifende Stamm die Eigenschaft, nervSse Erkrankungen beim ttund zu erzeugen, obzwar sich seine sonstige Virulenz gar nicht geandert hatte; auch jetzt tStete er Hunde in 10--15 Woehen. S p i e l m e y e r weist mit Recht darauf hin, dal~ wir darin nur eine besondere und vorfibergehende Eigenschaft des Virus im Sinne einer Affinit~t zum Nervensystem sehen mfissen und schlieBt daraus, da~ so wie wir hier yon einer Art Tripanosomiasis s virus nerveux sprechen miissen, wir dies auch bei der Syphilis mit Reeht annehmen kSnnen, um so mehr, als es sich um Erkrankungen handelt, deren Erreger immerhin gewisse verwandte Eigenschaften haben.

S p i e l m e y e r weist auch darauf hin, dal3 man auf Grund seiner Erfahrungen mit dem Trypanosoma, das plStzlieh die nervenkrank- machendeEigenschaft bekommt und sie auch so plStzlich verliert, auch erklaren kSnnte, warum die Paralyse nach l~ngst bekannter und vor- kommender Lues plStzlich aufgetreten ist; man kSnnte aueh deshalb erwarten, dal3 aueh das Luesvirus seine neurotropen Eigensehaften ver- lieren kSnnte, so dal~ dann die Paralyse aufhSren mtil~te. Selbstver- standlich ist diese MSglichkeit nicht beweisbar. Immerhin mSchte ich darauf hinweisen, dal~ eine Notiz in der Arbeit yon M a t t a u s c h e k und Pi lcz unter Umst~nden fiir dieselbe sprechen kSnnte. M a t t a u - s c h e k und P il c z haben bei Behandlung der Frage, ob die antiluetisehe Behandlung die spgtere Paralyse verhiiten kann, unter anderem auch folgendes erwogen: Friiher wurden die Luetiker schlechter und weniger behandelt als jetzt; wenn es richtig ist, dal3 die antiluetisehe Behandlung die Paralyse verhtiten kann, dann nfiil~te in der neueren Zeit die Para- lyse prozentuell seltener geworden sein. M a t t a u s c h e k und Pi lcz haben deshalb die Prozente ftir Paralyse bei den Luetikern in den Jahren 1880--1884 und 1895--1899 gesondert berechnet und fanden bei den ~lteren Jahrg~ngen 9,72%, bei den jfingeren 3,250/0 . Das spr~che also dafiir, da{3 die antiluetische Behandlung die Paralyse doch wesent- lich einsehr~nken k6nne. Nun habe ieh abet auf Grund der Tabellen derselben Autoren darauf hingewiesen, dal3 eine wesentliehe Beein- flussung der Metalues durch eine vorhergehende antiluetisehe Therapie nieht reeht (zumindest in diesem Ma~e) wahrscheinlich erseheint; wenn dies richtig w~re, dann k6nnte man das MiBverh~ltnis 9,72 : 3,25% ev. auch mit einer Xnderung der neurotoxischen Eigenschaften des Virus erklaren. Ich bin mir aber darfiber klar, dal3 dieser Sehlul~ viel zu viel hypothetisch ist, da man aus keiner der Tabellen herauslesen karm, ob die antiluetische Behandlung die Paralyse nur wenig oder gar nicht einzusehr~nken imstande ist.

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Gegen die Annahme einer Lues nervosa hat sieh besonders seharf H i i b n e r 1) ausgesprochen. Nach ihm ist die konjugale Metalues viel zu selten, als dab sis die Annahme sines besonderen nerv6sen Virus angezeigt erscheinen lassen wiirde, und die konjugale Metalues wird einfach als Folge sines Zufalls erkl~rt. Meine Statistik widerlegt diesen Einwand. Ferner legt H i i b n e r dem bereits ts bekannten Urn- stands eine besondere Bedeutung bei, dab ns in Familien mit mehreren MetaluesfEllen nieht alle Famflienmitglieder metaluetiseh wer- den, sondern dab einzelne derselben, trotzdem sie luetiseh wurden, dennoeh sin gesundes Nervensystem behielten. Das wtirde nur dann dem Begriff einer Lues nervosa widerspreehen, wenn man sieh vorge- steUt hi~tte, dab eine derartige Infektion immer zu einer Alteration des Nervensystems f f i h r e n miif l te . So viel mir aber aus der Literatur bekannt ist, hat niemand die Lues nervosa in dieser Weiss aufgefaBt, und wenn, dann w~re es unvorsichtig und falsch gewesen, t t i i b n e r macht tiberdies noch einen weiteren Einwand. Einige Gegner der Lues ~tiologie der Paralyse haben n~mlich immer als Haupteinwand angeftihrt, dab die Paralyse bei den Prostituierten viel zu selten vorkomme. Ht ib - n e r hat nun das Frauenmaterial der Irrenanstalt zu Herzberge bei Berlin von dem Standpunkte aus gesichtet und findet unter den Pro- stituierten resp. gewesenen Prostituierten (und auf letzteres ist ein besonderes Gewicht zu legen) 20,9% Paralysen, unte den andern Frauen aber nur 13,5~ . Bei Ausdehnung seiner Beobachtung auf ein Lazarettmaterial findet er unter 179 Prostituierten 38,4% Paralyse, Tabes und Lues eerebrospinalis. Das ist natfirlich ein ungemein hoher Prozentsatz, und H ti b n e r findet dies unvereinbar mit der Lues-nervosa- Theorie, da man sonst nicht annehmen kSnne, dab die Prostituierten hs eine Lues nervosa haben sollten als andere Menschen. Dieser SehluB beruht aber auf einem Irr tum, denn die Bereehnung der Pro- zente auf die Art, wie es H t i b n e r rut, beseitigt zwar endgiiltig den frtiheren Einwand, dab die Paralyse unter Prostituierten selten sei, sic beweist uns abet nur, dab sich unter Geisteskranken oder siechen Frauen prozentuell viel weniger Paralysen befinden als unter denjenigen Pro- stituierten, die sich - - und darauf ist das Hauptgewieht zu legen - - auch wegen Krankhei t in Irrenanstalten oder Siechenh~usern befinden. Man kann aber gar nicht daraus entnehmen, wie hiiufig (prozentuell) syphilitische Prostituierte tiberhaupt an Paralyse erkranken. H t i b n e r hat eben nicht berticksichtigt, dab man zu einer so allgemein gehaltenen Berechnung ein ganz anderes Material braucht; da muB man auch die gesunden Prostituierten einbeziehen, die keine Ursache haben, eine Irrenanstalt oder ein Siechenhaus aufzusuchen. Ftir die Frage der Lues nervosa kommt also auch dieser Einwand H iib n ers nieht in Betraeht.

1) Berliner klim Wochensohr. 1906.

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Man ersieht aus all dem, wie kompliziert die Art einer derartigen statistischen Beweisfiihrung ist, daB sie sich komplizierter gestaltet hat, als es in den bisherigen statistischen Bearbeitungen der Fall war, und zwar wegen der vielen wichtigen Nebenfragen. Die jeweflige Haupt- frage, so einfach sie zuerst erscheint, wird bei n~herem Betrachten viel schwieriger, die ursprtinglich geschlossene Masse des statistischen Mate- rials wird zerspalten und erst nach Berticksichtigung ~ller Momente und Nebenmomente, manchmal mit recht pr~ziser, manchmal wieder mit nur approximativer Ann~herung an die Idealverh~ltnisse, sehreitet man zu den notwendigen SchluBfolgerungen. Wenn ich auch mir dessen voll bewuBt bin, daB die GrSBe und Art des hier verwendeten Materiales doch nicht ganz den notwendigen Anspriichen gereeht wird, so glaube ich doch, dab die Frage der Lues nervosa nicht auf die bisher durch- geftihrte Art zu erledigen ist, sondern auf dem bier eingeschlagenen Wege. Wenn auch ein entsprechend zusammengetragenes grSBeres und vielleicht besseres Material noch manchen der hier gezogenen Schltisse ~ndern kann, soviel erscheint mir bereits sicher zu sein, dab wir die F rage , ob es e ine Lues n e r v o s a g ib t , b e j a h e n miissen.