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nguyenthuan
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Glashütten, im Dezember 2015
Liebe Pachamama-Freunde,
das Jahr ist schon bald wieder vorbei, und es ist so viel geschehen. Um dies alles zu
berichten, würde es den Rahmen unseres heutigen Briefes sprengen.
In diesen Tagen dachte ich daran, wie schwierig teilweise unsere Jahre in Peru
waren und wir in den Zeiten des Terrorismus seit der achtziger und dem Beginn der
neunziger Jahre sehr leiden mussten, wenn zum Beispiel durch zahlreiche gesprengte
Strommasten unsere Stromquellen lahm gelegt wurden (es gab immer Kerzen zu
kaufen!!), denn Irgendwie musste man sich dann behelfen, Not macht erfinderisch.
Am Schlimmsten war jedoch die Wassernot, die herrschte (in einem Land, in dem
Wasser bis heute eine kostbare Besonderheit ist.) So kann ich mich nur zu gut an die
Zeiten erinnern als das bereits wenige Wasser noch rationalisiert wurde. Im heißen
Sommer gab es manchmal nur einen halb gefüllten Plastikeimer täglich mit Wasser
zum Waschen…
Dabei fiel mir der beiliegende, 1990 erschienene Artikel eines bekannten Journalisten
in die Hände, der die damalige Lebenssituation in seiner Karikatur darstellte. Die
Mentalität des Peruaners kann man immer wieder nur bewundern: Es kann noch so
schlimm kommen, er wird damit fertig, nimmt vieles gelassener als wir, regt sich
natürlich auch vehement auf, …und meistert teilweise mit einem uns überraschenden
Humor perfekt die schlechteste Situation.
Wird es dann aber zu viel, wehrt er sich, geht auf die Straße, macht Krach und
Rebellion gegen den Staat, die Institutionen, die Ungerechtigkeit und - schlägt sogar
heftig zu. Er geht auf die Straße, streikt, macht auf seine Umstände aufmerksam (mit
viel Radau) und sagt offen und laut, was er denkt. Der Peruaner wartet nicht bis alles
verloren ist. Die Armen können so oder so nichts mehr verlieren, also wehren sie sich
rechtzeitig.
Und bevor ich es vergesse: …An einem Tag in Lima sah ich Leute mit Regen-
schirmen. Eine ungewöhnliche Situation, denn in Lima regnet es so gut wie nie. Nach
Befragung eines Mannes auf der Straße sagte mir dieser, dass er sich vor den
Autobomben schützen müsse, die zu der damaligen Zeit keine Besonderheit waren.
Die Autobomben bewirkten, dass bei großen Gebäuden die Fensterscheiben
erschüttert wurden und dann weit durch die Straßen flogen. Nicht wenige kamen
dabei um oder wurden schwer verletzt. Bei einer gezündeten Autobombe in der Nähe
des größten Museums in Lima (Museo de la Nación) hielt ich mich in der Nähe auf.
Selten hatte ich in meinem Leben einen solchen Schreck bekommen, die Explosion
war immens laut und heftig. Die riesigen Scheiben des Nationalmuseums flogen kreuz
und quer durch die Straßen. Später wurden die Öffnungen erst einmal mit Pappen
geschützt, an Erneuerung war in jener Zeit nicht zu denken, wusste man nie, was am
nächsten Tag passieren konnte.
Geschichtlicher/ politischer Hintergrund:
Die als „Leuchtender Pfad“ bekannte kommunistische Partei Perus ist eine maoistische
Partei und Guerillaorganisation. In der o.g. Zeit war sie besonders aktiv, und während
der bürgerkriegsähnlichen Zustände über 10 Jahre hinweg kostete sie mehr als 70.000
Menschen das Leben.
Bildung:
Als in den Jahren um 1970 das Bildungssystem in Peru eine Öffnung erfuhr, wurden bei
der hauptsächlich indigenen Bevölkerung des Landes besonders große Hoffnungen auf
eine Verbesserung ihrer sozial misslichen Lage geweckt. Diese Hoffnungen wurden
jedoch enttäuscht, denn weiterhin bestimmten andere „Denker“ und finanziell gut situierte
Schichten die Entwicklung der Bildung der indianischen Bevölkerung.
Mit ihrem autochthonen Aussehen (und ohne notwendige Beziehungen) fanden sie trotz
eines regulären Abschlusses an einer staatlichen Universität oftmals keinen Arbeitsplatz.
Diese Tatsache und gewaltige Nichtbeachtung dieser Menschen und ihrer Situation war
unter anderem ein Grund, der den Sendero unterstützte und moralische Zustimmung erteilte,
ab 1980 in den Untergrund zu gehen und mit Anschlägen zu beginnen. Von Anfang an war
das politische Ziel der völlige Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung, basierend
auf einem Volkskrieg.
Nachdem 1992 unter Präsident Alberto Fujimori der Kopf des Sendero Luminoso (Abimael
Guzmán) und seine Gefolgsleute gefangen wurden, zeigte sich nun auf dem Weg der
Förderung und Bildung in den kommenden Jahren langsam eine positive Entwicklung.
Pachamama kämpfte in den darauf folgenden Jahren immer intensiver für die Möglichkeiten
der uns anvertrauten Kinder – die meisten stammen aus Familien, die aus dem Hochland
kommen und die den Terrorismus erlebten. Die psychologischen Folgen der Ängste und
Entbehrungen, die die Familien erlebten, wurden an die Kinder weitergegeben. Wir können
es an täglichen Verhaltensweisen erkennen, die oft bis zum heutigen Tag in den Kindern
wurzeln.
Durch verschiedene psychologische Studien und Lehrgänge durch Fachpsychologen
eigneten wir uns während der vergangenen Jahre spezielles Wissen über die Problematik
dieser lokalen Entwicklung an und verstanden die Reaktionen der Kinder und jungen
Erwachsenen besser. Dadurch war es dann auch einfacher, sich im täglichen Umgang
mit den vielfältigen Problemen der Kinder in unserem Pachamama Hilfsprojekt
auseinanderzusetzen.
Wird im Allgemeinen über Hilfsprojekte gesprochen, hört man oft den Ausspruch Dritter,
man helfe armen Kindern. Diese Aussage jedoch genügt nicht, denn die Tragweite einer
solchen Organisation ist viel umfassender und sehr schwierig.
Mir ist klar, dass anfänglich jugendliche Euphorie den Hilfsgeist ungeahnte Kraft sich
entfalten lässt. Eine sozial hilfreiche Tätigkeit benötigt jedoch eine grundlegende und
weitreichende Vorbereitung, am besten durch ein gezieltes Studium, um viele
Zusammenhänge von Grund auf zu lernen bevor man diesen Schritt wagt, sich von (in
Deutschland) Gelerntem und erziehungsmäßig anders gearteten Fundament in eine neue
Welt zu wagen.
Heute können Pachamama glücklicherweise auf Erfolge zurücksehen, nicht nur die
(Aus)bildung unserer Kinder vorangetrieben zu haben und auf diesem Weg weiterzugehen,
sondern ihnen auch andere Werte vermittelt zu haben.
Besonders glücklich und stolz macht es uns, dass es uns doch in den meisten Fällen
gelungen ist, die seelischen Bedrückungen und die Not der Kinder, vielfach ohne ein
zweites Elternteil groß geworden zu sein und die angesprochene Problematik während und
nach dem Terrorismus zu erleben, durch unsere Psychologen bis heute zu behandeln.
Deswegen möchte ich Ihnen ganz besonders im Namen unserer Kinder und unserer
unermüdlichen und sehr geduldigen Mitarbeiter immer wieder danken. Klar, braucht
man für das alles Geld, aber Geld ist auch nicht alles. Die Liebe, die wir den Kindern
geben, ist unser Kapital, dass wir weiterhin arbeiten können. Für die Selbstlosigkeit
unseres Personals bin ich immer wieder dankbar, und unser peruanisches Präsidium
trägt durch viele kleine Gesten innerhalb unserer Arbeitszeit immer wieder dazu bei,
ihnen dieses Gefühl auch zu vermitteln. Wie war es noch?
Unser Projekt ist eine Herzenssache!!
Noch eine wunderbare Geschichte unserer Arbeit in Nasca:
Als unsere Schülerin Patricia am 29.12.2008 bei einem grausamen Autounfall fast ihre
gesamte Familie verlor und es so aussah, dass sie auch noch ihr Augenlicht verlieren würde,
halfen viele unserer Freunde und Mitglieder dabei, für diverse Operationen Mittel zur
Verfügung zu stellen, damit sie ihr Augenlicht behalten konnte. Nicht nur der Verlust
ihres Auges war schrecklich sich vorzustellen, auch ihr Gesicht war total zerschnitten.
Patricia vor dem Unfall
Nach dem Unfall:
Nach der 1. O.P.
Nach der 2. O.P.
Patricia schrieb uns jetzt zu Weihnachten (Anfang Dez. 2015). Untenstehend
nun ihr ungekürzter übersetzter Text:
Mein Name ist Patricia Catalán, und ich bin 22 Jahre alt. Ich bin aus Nasca, Momentan bin
ich dabei, mein Studium an der Universität für Internationales Business zu beenden. Dies
waren 5 Jahre einer außerordentlichen Belastung und Kraft, die ich eingesetzt habe, doch
ich habe dieses Fach mit ganz großer Freude studieren wollen, auch weil ich mir diesen
Erfolg nach allem Geschehenen auferlegte. Während des Studiums war ich immer auf einem
sehr guten Notendurchschnitt. Das half mir, in verschiedenen Kursen teilnehmen zu können,
die sich immer während der fünf Jahre präsentierten (und die von den Noten abhängen).
Im letzten Jahr hatte ich deswegen die Möglichkeit, innerhalb eines Programms “ Work and
travel” in die USA zu reisen. Dieses Programms besteht in einem kulturellen Austausch-
programm, bei dem man dorthin reisen sowie eine Teilarbeit realisieren darf. Der Sinn der
Sache ist, andere Kulturen kennenzulernen und die Sprache zu lernen.
Meine Erfahrung während des viermonatigen Aufenthaltes in den USA hat mir sehr viel
geholfen, nicht nur wegen der Sprache, sondern auch für meine persönliche Entwicklung und
eine neue Vision meines Lebens zu gewinnen. Nach meiner Rückkehr nahm ich sofort
wieder meine Klassen in der UNI auf, und im Monat August erhielt ich die Nachricht, dass ich
dafür ausgesucht wurde, einen Teil der CADE UNIVERSARIO 2015, in Repräsentation
meiner Universität vorzunehmen. Dieses Ereignis ist ein Kongress, welcher die besten
Schüler aller Universitäten Perus zusammenbringt. Insgesamt waren wir 600 Schüler, die
aus verschiedenen Teilen des Landes ausgewählt wurden. Definitiv war dies die
aufregendste und phantastischste Erfahrung meines Lebens.
Jetzt sehe ich meine Zukunft voller Illusionen und Hoffnung. Ich habe mir sehr viele Ziele
gesetzt und werde ganz hart daran arbeiten, diese zu erfüllen. Ich kam zu einem Punkt,
der nicht einfach war zu erreichen, weil es auf meinem Weg sehr viele Schwierigkeiten gab.
Ich kann nicht aufhören, der Srta. Nicky und der Asociación Pachamama immer wieder
Dank zu sagen, dass sie mir in meinem schwierigsten Moment im Leben die Hand gaben
und mir zu helfen. Als ich mit 15 Jahren einen schweren Autounfall hatte, bei dem fast alle
meine Familienmitglieder ihr Leben verloren, war dies für mich eine sehr schwere
Lebensperiode für mich. Nicht körperlich, sondern psychologisch. Durch den schweren
Aufprall während des Unfalls musste ich behandelt werden; das war eine sehr kostspielige
Angelegenheit. Auch musste ich zur Behandlung nach Lima fahren, und meine Eltern
konnten dafür nicht alle Kosten aufbringen. Da ich mich damals in der letzten Klasse der
Secundaria (Oberstufe) befand, bin ich der Asociación zutiefst dankbar, die Auslagen für
meine Operationen und Behandlungen übernommen zu haben und dabei gleich (in Lima)
eine gute Schule besuchen zu können, in der sie mich schon auf die Universität
vorbereiteten, an der ich zur Zeit noch studiere (die Schulen in der Provinz sind nicht mit der
Stadt zu vergleichen):
Wenn ich Ihre Hilfe damals nicht erhalten hätte, wäre ich nicht an diesem Punkt, an dem
ich mich heute befinde:
Danke, dass Sie mir ohne eigene Interessen geholfen haben, danke, dass Sie Vertrauen in
mich setzten, danke für die Möglichkeit, die Sie mir gegeben haben, die viele Jugendliche
nicht bekommen, um ihre Fähigkeit zu zeigen, aus der Masse herauszuragen.
Hoffentlich können Sie weiterhin anderen Kindern helfen wie mir. Danke.
Ihre Patricia
Patrica 2015
Für heute schließe ich meinen Bericht und freue mich schon jetzt, in Kürze Ihnen
wieder von allen Neuigkeiten und Veränderungen berichten zu können.
Ihnen meine besten Grüße für die kommenden Festtage und den Jahreswechsel, der
Wechsel zwischen der deutschen und peruanischen Welt schenkt viele Erkenntnisse
in der Lebensphilosophie, Besinnung und auch Demut. In diesem Sinne denke ich an
Sie
Ihre