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Gleichheitssatz und Steuerrecht. Eine Studie über Gleichheit und Gerechtigkeit im System des Grundgesetzes by Franz Klein Review by: Heinz Paulick FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 26, H. 1 (1967), pp. 176-180 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40910392 . Accessed: 12/06/2014 19:01 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.44.78.144 on Thu, 12 Jun 2014 19:01:31 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Gleichheitssatz und Steuerrecht. Eine Studie über Gleichheit und Gerechtigkeit im System des Grundgesetzesby Franz Klein

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Gleichheitssatz und Steuerrecht. Eine Studie über Gleichheit und Gerechtigkeit im System desGrundgesetzes by Franz KleinReview by: Heinz PaulickFinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 26, H. 1 (1967), pp. 176-180Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40910392 .

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der Steueraufsicht sowie die tragenden Grundgedanken für die Rechte und Pflichten der Steuerbehörden und der Steuerschuldner darstellt.

Es ist schwierig, aus dem großen Bündel der Erläuterungen zu vielen zentralen Fragen des Steuerverfahrensrechts einzelne herauszugreifen und zu würdigen. Geradezu klassisch scheinen mir die Gliederung, die wissenschaftliche Methode und die Darstellung der viel erörterten besonderen Rechtsprobleme der Feststellungs- bescheide (§§ 218, 219), der Steuervereinbarungen (§ 220) und vor allem der Be- richtigung von Steuerbescheiden (§§ 220 bis 222) gelungen zu sein. Allein die Aus- führungen über die Berichtigung von Steuerbescheiden nach § 222, die aus der Feder von Riewald stammen, umfassen 62 Seiten; ihnen wird ein eigenes systematisches Inhaltsverzeichnis vorausgeschickt.

Rechtsprechung und Schrifttum sind mit großer Vollständigkeit berücksichtigt, auch dort, wo die Verfasser anderer Meinung sind. Die drucktechnische Aufmachung ist besonders übersichtlich und erspart langes Suchen.

Man tut anderen ausgezeichneten Erläuterungswerken zur Abgabenordnung gewiß nicht unrecht, wenn man den fünf bändigen Großkommentar von Becker - Riewald- Koch als den Standardkommentar zur Abgabenordnung bezeichnet. Die wissenschaftliche Systematik und Sorgfalt der Darstellung, die umfassende Form der Fragestellung, die neben den rechtlichen Gesichtspunkten vor allem auch die wirtschaftlichen würdigt, die Unvoreingenommenheit der Urteilsbildung und nicht zuletzt die Übersichtlichkeit und gute Lesbarkeit zeichnen diesen Kommentar vor anderen aus. Man darf sagen, daß Riewald und Koch das steuerrechtliche Vermächt- nis von Enno Becker gut gehütet haben.

Karl M.Hettlage

Franz Klein: Gleichheitssatz und Steuerrecht. Eine Studie über Gleichheit und Gerechtigkeit im System des Grundgesetzes. Köln 1966. Dr. Otto Schmidt KG. XXXVIII, 262 Seiten.

I

„Das Verfassungsrecht hat seit dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes eine bisher im deutschen Rechtsleben nicht bekannte umfassende Bedeutung er- langt, weil es nicht nur die Organisation der Staatsgewalt und ihr Zusammenwirken regelt, sondern auch für das Verhältnis des Staates zu den Gewaltunterworfenen bin- dende Normen aufstellt. Durch diese Grundnormen des staatlichen Lebens wurde nach den Jahren der Unrechtsherrschaft und Tyrannei eine Gemeinschaftsordnung geschaffen, die auf Freiheit und Gleichheit aufbaut und die Menschenwürde für un- antastbar erklärt" (Vorwort, S. VII). Daß alles staatliche Handeln nur im Rahmen der Grundrechte ausgeübt werden darf und an ihnen ausgerichtet sein muß, gilt auch für das Gebiet des Steuerrechts. Gerade auf diesem Rechtsgebiet, das für die Staats- bürger mit teilweise recht schweren Eingriffen in ihre Persönlichkeitssphäre verbun- den ist, kommt der Wahrung der Grundrechte besondere Bedeutung zu. Damit wurde das Steuerrecht, das sich weitgehend eigenständig entwickelt hatte, aus seiner Iso- lierung wieder in die Einheit des öffentlichen Rechts zurückgeführt.

Neben dem Bekenntnis zur Würde des Menschen stehen die Grundrechte der Gleichheit und Freiheit im Grundgesetz an erster Stelle. Wie sehr der Satz von der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz im Bewußtsein des Volkes lebendig ist, geht daraus hervor, daß in kaum einer Verfassungsbeschwerde die Rüge fehlt, dieser Gleichheitssatz sei verletzt worden. Über diese Rüge zu befinden, ist Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das in Anlehnung an Leibholz („Gleichheit vor dem Gesetz", 2. Aufl., 1959) den Inhalt des Gleichheitssatzes als Willkürverbot oder als Gebot einer sachgerechten Differenzierung bestimmt. Diese Inhaltsbestimmung des Gleichheitssatzes bildet den Ausgangspunkt, aber auch das Schwergewicht der vorliegenden verfassungs- und steuerrechtlichen Untersuchung, deren Gegenstand die Bedeutung und die Tragweite des Gleichheitssatzes für die Gestaltung und Durch-

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führung des Steuerrechts ist. Unter diesem Aspekt fehlte es bisher an einer umfassen- den monographischen Untersuchung, obwohl eine kaum übersehbare Zahl von all- gemeinen und speziellen Abhandlungen über die Gleichheit vorliegt.

II

1) Der Verfasser hält die herkömmliche Bestimmung des Inhalts des Gleich- heitssatzes als Willkürverbot oder Gebot einer sachgerechten Differenzierung für un- befriedigend und unzureichend, vor allem deswegen, weil die Autorität des demokra- tischen Gesetzgebers dadurch ernstlich gefährdet werde. Er meint, dem BVerfG wäre es damit in die Hand gegeben, Jahre nach der Entscheidung des Gesetzgebers, der Verwaltung und Rechtsprechung im Normenkontroll- oder Verfassungsbeschwerde- verfahren zu entscheiden, was als ungleiche Regelung gleicher Tatbestände anzu- sehen sei. Daraus könne sich eine Erschütterung des demokratischen und rechts- staatlichen Verfassungsgefüges ergeben. Der Gleichheitssatz könne zu einem Hebel werden, mit dem die Autorität des Gesetzgebers, im Rahmen der Verfassung zu ent- scheiden, aufgehoben werden könne. Auf diese möglichen Folgen hat bereits Ipsen („Gleichheit", in Neumann-Nipper dey -Scheuner: Die Grundrechte, Bd. 2, S. 184) sehr eindringlich hingewiesen: „Indem das Bundesverfassungsgericht unter Rezeption der zu Art. 109 WRV entwickelten und weithin gebilligten Auffassung die gesetz- liche Willkürkontrolle anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes des Grundgesetzes dahin gestatten will, ob sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergeben- der oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, hat es die Grenzen der Justitiabilität ver- lassen, hat es beansprucht, seine eigene Gerechtigkeitswertung allenfalls derjenigen der Legislative vorzuordnen, die richterliche Entscheidung gegen die der Legislative auszutauschen".

Unter diesem Aspekt unternimmt es der Verfasser, eine der Verfassungsstruktur gerecht werdende Inhaltsbestimmung des Art. 3 Abs. 1 GG in bezug auf das Steuer- recht zu finden, die vom BVerfG überall angewandt werden kann, die seine Stellung als Gericht betont und durch die seine Entscheidungen nach Inhalt, Zweck und Aus- maß voraussehbar werden.

2) Die Untersuchung beginnt mit der Darstellung der historischen Entwicklung des Gleichheitssatzes. Die Idee von der Gleichheit der Menschen als Grundsatz der Rechtsgestaltung auch für die Abgabenerhebung hat ihre Wurzeln in der antiken Philosophie der Stoa und der christlichen Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Diese Lehre von der Gleichwertigkeit der Menschen in ihrem Menschsein ist seit dem Altertum in der Rechtsentwicklung lebendig. In der Französischen Re- volution fand dieses Prinzip kraft Verfassungssatzes unmittelbar Eingang in das Steuerrecht und verband sich mit den bereits von Adam Smith entwickelten Grund- sätzen der Allgemeinheit der Besteuerung und der Besteuerung nach der Leistungs- fähigkeit - den wesentlichen Inhalten der Steuergerechtigkeit. Die Weimarer Verfas- sung legte in Art. 134 erstmals für das gesamte deutsche Steuerrecht diese Grund- sätze fest und verpflichtete alle Staatsgewalt, sie bei der Gestaltung und Ausführung des Steuerrechts zu beachten: „Alle Staatsbürger ohne Unterschied tragen im Ver- hältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze bei". Da- bei war für jene Zeit streitig, ob der Gleichheitssatz nur Verwaltung und Rechtspre- chung oder auch den Gesetzgeber bindet und ob es den Gerichten gestattet ist, das vom Parlament als dem Vertreter des souveränen Volkes gesetzte Recht dahin zu überprüfen, ob sich für die Regelung ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund finden lasse oder ob die Regelung als willkürlich bezeichnet werden müsse.

Das Reichsgericht beschränkte die Nachprüfung nachrangiger Hoheitsakte aller Staatsgewalt auf ihre Vereinbarkeit mit den in der Verfassung selbst festgelegten Konkretisierungen und vermied dadurch, sich selbst zum Herrn der Gesetze zu ma- chen. Nur soweit nachmeßbare Normen der Verfassung vorhanden waren, nahm das Reichsgericht das richterliche Prüfungsrecht in Anspruch. Es wäre mit der verfas- sungsgebenden Gewalt des Volkes unvereinbar gewesen, wenn die Richter in ihrer gesetzesgebundenen persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit subjektive Wert-

12 Finanzarchiv N. F. 26 Heft 1

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urteile über die Sachgerechtigkeit und Vernünftigkeit einer Regelung treffen und damit selbst Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes vornehmen könn- ten (S. 65).

Anders als die Weimarer Verfassung kennt das Grundgesetz eine Konkretisierung des in Art. 3 Abs. 1 GG normierten und für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung unmittelbar geltenden Gleichheitssatzes für das Steuerrecht nicht. Es ist jedoch davon auszugehen, daß der Normgehalt des Art. 134 WRV von Art. 3 Abs. 1 GG mitumfaßt wird.

3) Der zweite Teil der Arbeit ist der Untersuchung des materiellen Gehalts des Gleichheitssatzes gewidmet. Hier werden zunächst dargestellt die Stellung des Gleich- heitssatzes im System des Grundgesetzes, die Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 1 GG und der Gleichheitssatz als Grundrecht. Verfasser vertritt die wohl zu- treffende Ansicht, daß in einem Rechtsstaat mit parlamentarisch-demokratischer Verfassung der Gesetzgeber das Recht und die Pflicht habe, das staatliche Leben im Rahmen der Verfassung zu gestalten. Was er gestalten will und wie er es gestalten will, bestimmt im Rahmen der Verfassung der Gesetzgeber in seiner Entscheidungs- freiheit. „Die Bindung an den Gleichheitssatz und die gerichtliche Kontrolle seiner Beachtung statuiert die Verfassung. Welche Merkmale zu gleicher Rechtsgestaltung führen und wann die Verschiedenheit der Menschen die Rechtsgestaltung bestimmt, sagt nicht der Gleichheitssatz, sondern sagen die Wertentscheidungen der Verfassung außerhalb des allgemeinen Gleichheitssatzes und die dem Grundgesetz vorgegebenen, von ihm anerkannten Werte." Weder das sogenannte Willkürverbot allgemein noch die Natur der Sache können bestimmen, was gleich und was verschieden behandelt werden muß, sondern allein die Gebote und Verbote vorrangiger Normen und Werte. Sie sind das Maß für die Gleichbehandlung oder Differenzierung (S. 252).

Die entscheidende Problematik des Gleichheitssatzes und seiner herkömm- - liehen Auslegung als Willkürverbot durch das BVerfG sieht Verfasser mit Recht darin, daß es für den Staatsbürger wie auch für die Organe der Staatsgewalt nicht voraus- sehbar ist, welcher Maßstab einer Entscheidung auf Grund des Gleichheitssatzes zugrunde gelegt werden wird. Weder die Ausdeutung des Gleichheitssatzes als Will- kürverbot noch das Gebot der Sachgerechtigkeit noch die verschiedenen, aus dem Gleichheitssatz als Willkürverbot hergeleiteten anderen Maßstäbe könnten „der Aus- weitung des Gleichheitssatzes zu einer uferlosen, der Rechtssicherheit spottenden Generalklausel'4 begegnen. Der Verfasser belegt dies an Hand einiger Entscheidungen des BVerfG. Dabei ist es interessant, daß das BVerfG im Urteil 1 BvR 845/58 vom 24.1.1962 (BVerfGE 13, S. 331 ff.) den § 8 Ziff. 6 GewStG als mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar für nichtig erklärte, während der gleiche Senat des BVerfG im Ver- fahren nach § 91a BVerfGG (Dreier- Ausschuß) eine Verfassungsbeschwerde, mit der ebenfalls die Verfassungswidrigkeit des § 8 Ziff. 6 GewStG geltend gemacht wurde, verworfen hat (Beschluß 1 BvR 818/58 vom 7.4.1960, zitiert nach dem Verfasser, S. 147).

An Hand der Rechtsprechung des BVerfG zum Gleichheitssatz wird gezeigt, daß weder aus dem Willkürverbot noch aus einem so komplexen Begriff wie der Na- tur der Sache konkrete Maßstäbe, die eine Entscheidung des Gerichts vorhersehbar machen können, abzuleiten sind. Es kann nicht vorausgesehen werden, welchen Maß- stab unter den vielen möglichen Maßstäben der Richter im konkreten Falle für wesentlich erachten, als sachgerecht bezeichnen und über Art. 3 Abs. 1 GG als Ver- fassungssatz deklarieren wird.

4) Maßgebend für die Prüfung, ob verfassungswidrige Willkür irgendeines Tei- les der Staatsgewalt vorliegt, könne einzig und allein die Wertordnung des Grund- gesetzes sein, nicht das, was dem Gericht als sachgerecht, richtig und sachlich ein- leuchtend erscheint, wenn es an diesem Maßstab dann das Handeln der übrigen Staatsgewalt mißt. Die Freiheit des Gesetzgebers, im Rahmen der Verfassung, wie die Freiheit der Rechtsprechung und Verwaltung, im Rahmen der Gesetze zu ent- scheiden, werde durch eine derartige, nicht gesetzesakzessorisch umfassende Kon- trolle in einer Weise eingeschränkt, wie es selbst dem Verfassungsgesetzgeber nicht möglich wäre. Die Norm des Art. 3 Abs. 1 GG darf daher nicht in einer isolierten Betrachtungsweise dazu führen, daß zu der Unabhängigkeit und Selbständigkeit des BVerfG von allen anderen Staatsorganen noch die Unabhängigkeit und Selbständig-

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keit gegenüber der verfassungsgemäßen Wertordnung kommt. Die Aufgabe, Hüter - oder, wie das BVerfG selbst meint, „oberster Hüter" - der Verfassung zu sein, kann nur im Rahmen der dritten Gewalt erfüllt werden, denn „das BVerfG ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes".

Das Problem liegt also darin, daß das BVerfG nicht nur die Gesetzgebung an den höherrangigen Normen der Verfassung prüft, sondern für sich das Recht in An- spruch nimmt zu entscheiden, ob die Normen vernünftig und sachgerecht sind oder auf sachlich hinreichend gerechtfertigten Gründen beruhen. Damit entscheidet das BVerfG nicht mehr über die Anwendung von Rechtsnormen, sondern mißt die Tätig- keit der Staatsgewalt an seinen eigenen Maßstäben und urteilt, ob sie gegenüber die- sen zweckmäßig, vernünftig und gerecht ist. Das aber ist nicht mehr normativ zu bestimmen, sondern enthält ein Urteil auf Grund der eigenen politischen Anschau- ung und subjektiven Wertung. Die Tätigkeit des BVerfG muß aber materiell Recht- sprechung bleiben. „Oberster Hüter der Verfassung kann das BVerfG nur sein, soweit es diese Funktion durch Rechtsprechung im materiellen Sinne ausübt" (S. 245).

5) Der Verfasser kommt auf Grund seiner gründlichen und fundierten Unter- suchungen zu dem Ergebnis, daß jede Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungs- widrig und deshalb unzulässig sei, die dazu führt, daß die Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr nur Anwendung von Normen ist, sondern zu einer allgemeinen Sach- gerechtigkeits- oder Vernünftigkeitsprüfung der Maßnahmen anderer Gewaltträger wird. Dadurch würden die Gewaltenteilung und die parlamentarische Demokratie - zwei Grundprinzipien unseres Staates - in ihrem Wesenskern angetastet. Wenn das BVerfG seine Rechtsprechungsaufgabe wahren will, so kann es nur prüfen, ob der Gesetzgeber die von der Verfassung oder im Gesetz selbst als Wertungsmaßstäbe ge- setzten Konkretisierungen des Gleichheitssatzes eingehalten hat.

III

1) Das Werk verdeutlicht mit aller Eindringlichkeit die große Bedeutung der Grundrechte auf dem Gebiete des Steuerrechts. Die damit verbundene Problematik wurde an Hand des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG dargestellt, der sich wohl von allen anderen Grundrechten am besten dazu eignet, die einschlä- gigen Fragen ins rechte Licht zu rücken und zu zeigen, wo die Grenzen der Verfas- sungsgerichtsbarkeit zu ziehen sind. Eingehend werden die verfassungsrechtlichen und in der Natur der Steuern liegenden Differenzierungsmaßstäbe und Grenzen wie auch die verfassungsrechtlich garantierte Differenzierungsfreiheit des Gesetzgebers gewürdigt. Auch die Grenzen der Forderung nach Gleichheit, die in der Rechtskraft und Rechtssicherheit liegen, und die Besonderheit der Begrenzung der Exekutive und Judikative durch den Gleichheitssatz werden in die Untersuchung einbezogen. Die vom Verfasser gezogenen Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit in einem demo- kratischen Rechtsstaat entsprechen der im Grundgesetz enthaltenen Verfassungs- struktur und dem Prinzip der Gewaltenteilung. Die Tätigkeit des BVerfG ist eine rechtsprechende Tätigkeit innerhalb der vom Grundgesetz selbst gesetzten Wertmaß - stäbe, die auch die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bestimmen. Von dieser Erkenntnis her ergibt sich der materielle Inhalt des Gleichheitssatzes. Damit ist auch jede Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG 'ausgeschlossen und mit der Verfassung nicht vereinbar, die dazu führt, daß über den Gleichheitssatz das System der Gewal- tenteilung beeinträchtigt wird. Das aber ist der Fall, wenn das BVerfG auf Grund seiner eigenen politischen Anschauung und subjektiven Wertung über die Zweck- mäßigkeit, Sachgerechtigkeit und Vernünftigkeit einer Regelung entscheidet.

2) Stimme ich den Ausführungen des Verfassers im Prinzip zu, so besagt das nicht, daß ich in allen Punkten seine Ansicht teile. Das gilt einmal für die Frage der Verfassungskonformität der Allphasenbruttoumsatzsteuer, die vom Verfasser bejaht wird (S. 123 ff.). Zur Begründung wird darauf hingewiesen, aus der Regelung der Kompetenz zur Erhebung der Umsatzsteuer im Grundgesetz ergebe sich, daß die kumulative Allphasensteuer in ihrem System Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG und damit auch die Beschränkung der Wettbewerbs- freiheit verfassungsmäßig sei. Bedenken gegen diese Ansicht ergeben sich daraus,

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daß die Erwähnung der Umsatzsteuer im X. Abschnitt des Grundgesetzes noch keine Aussage bedeutet, daß das Umsatzsteuergesetz selbst in seiner Gesamtheit und in seinen Einzelbestimmungen der im Grundgesetz aufgestellten Wertordnung ent- spricht. Es wird hierzu auf die Argumente und Gegenargumente verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG vorgetragen worden sind. Zum anderen bin ich auch anderer Ansicht über die Wiederaufrollung des ganzen Steuerfalles ge- mäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, die vom Verfasser ebenfalls bejaht wird. Hierzu verweise ich auf die Anmerkungen zu § 222 AO in Hübschmann-Hepp-Spitaler, deren Bearbei- tung seit dem Tode von Professor Spitaler von mir besorgt wird. Es geht dabei um Standpunkte und Gegenstandpunkte, für deren Berechtigung oder Widerlegung sich gleichermaßen anzuerkennende Argumente vortragen lassen; sie spielen im Rahmen des jK7einschen Gesamtwerkes keine entscheidende Rolle. Der Überzeugungskraft, mit der der Verfasser seine Thesen zum Gleichheitssatz und zur Rechtsprechung des BVerfG vorträgt und begründet, wird damit kein Abbruch getan. Die Arbeit stellt einen wertvollen, mit großer Sachkunde verfaßten Beitrag zur Verwirklichung der Rechtsstaatsidee und zu einer verfassungskonformen Auslegung des Gleichheits- satzes dar, die ohne Zweifel die wissenschaftliche Diskussion sehr befruchten wird. Möge sie auch dem BVerfG Anlaß sein, sich mit ihr und den darin vertretenen The- sen auseinanderzusetzen. Die an seinen Entscheidungen zum Gleichheitssatz geübte Kritik ist durchaus als konstruktiv zu bewerten und zeugt von großem Verantwor- tungsbewußtsein um die Erhaltung und Sicherung eines rechtsstaatlich geordneten Staats- und Steuerwesens.

Heinz Paulick

Edgar Salin: Die automatische Mittelpufferkupplung. Technischer Fort- schritt als finanz- und wirtschaftspolitisches Problem. Tübingen 1966. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). VII, 98 Seiten.

Was mag den Nationalökonomen dazu veranlassen, sich mit verschiedenen technischen Lösungen für das Aneinanderkuppeln von Güterwagen zu beschäftigen? Diese Frage werden sich viele Leser stellen, die die jüngste Schrift von Edgar Salin zur Hand nehmen. Ist die Wahl zwischen verschiedenen technischen Verfahren nicht ein Problem, das in erster Linie Ingenieure und Betriebswirte beschäftigt? Dieser Ansicht wird wohl auch Salin zuneigen. Aber der Verfasser legt überzeugend dar, daß im vorliegenden Fall wichtige volkswirtschaftliche Fragen und darüber hinaus wesentliche Aspekte der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit Gesamt- europas berührt werden, was die eingehende Beschäftigung mit Kupplungsverfahren im Eisenbahnverkehr lohnt.

Salin geht von der Tatsache aus, daß Eisenbahnwaggons in Europa in der Regel noch auf gefahrvolle Weise mit der Hand aneinandergekuppelt werden, wäh- rend in großen, in sich geschlossenen nationalen Eisenbahnnetzen, wie in den USA, in Japan und in der Sowjetunion, längst automatische Kupplungen eingeführt worden sind. National lassen sich einheitliche technische Lösungen leichter durch- setzen als international ; zwischen Volkswirtschaften mit starkem grenzüberschreiten- dem Eisenbahnverkehr sind einheitliche internationale Lösungen jedoch unumgäng- lich. Neben den von Salin erwähnten Gründen dürfte hierin die Erklärung für das auffällige Nachhinken der europäischen Eisenbahnen auf dem Gebiet der Kupplungs- technik zu suchen sein. Der Zwang zum Ersatz der veralteten Einheitstechnik durch ein modernes automatisches Kupplungsverfahren ist längst nicht so stark, wie es die Notwendigkeit gewesen ist, sich etwa auf eine gemeinsame Spurweite zu einigen.

Nach einem Rückblick auf die Geschichte automatischer Kupplungsverfahren fragt Salin zunächst nach den Gründen für die Einführung automatischer Kupp- lungen. Das Argument der Unfallverhütung - im Jahre 1959 14 Tote und etwa 1500 Verletzte - rechtfertige allein die hohen Umstellungskosten von 1,6 Milliarden DM nur für die Deutsche Bundesbahn nicht. Wegen der Einsparung von Arbeitskräften,

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