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dtv Taschenbücher 24769 Globalisierung, Demokratie und Terrorismus von Eric Hobsbawm, Andreas Wirthensohn 1. Auflage Globalisierung, Demokratie und Terrorismus – Hobsbawm / Wirthensohn schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG dtv München 2009 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 423 24769 6

Globalisierung, Demokratie und Terrorismus · Diffusion zu finden beispielsweise die Zahl der McDonald s-Restaurants oder der IKEA-Möbelhäuser pro Kopf , ... über den gegenwärtigen

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dtv Taschenbücher 24769

Globalisierung, Demokratie und Terrorismus

vonEric Hobsbawm, Andreas Wirthensohn

1. Auflage

Globalisierung, Demokratie und Terrorismus – Hobsbawm / Wirthensohn

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

dtv München 2009

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 423 24769 6

Ausführliche Informationen über unsereAutoren und Bücher sowie Themen, die Sieinteressieren, finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de

Eric Hobsbawm

Globalisierung, Demokratieund Terrorismus

Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn

Deutscher Taschenbuch Verlag

Die Texte wurden an einigen Stellen behutsam aktualisiert

Deutsche ErstausgabeDezember 2009

© Eric Hobsbawm 2007Titel der Originalausgabe:

›Globalisation, Democracy and Terrorism‹Little, Brown, London 2007

© der deutschsprachigen Ausgabe:Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,

MünchenDas Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlagbild: ›Concetto spaziale‹ (1968)von Lucio Fontana (VG Bild-Kunst, 2009)

Satz: Greiner & Reichel, KölnGesetzt aus der Sabon 10/14̇

Druck und Bindung: Kösel, KrugzellGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany ∙ isbn 978-3-423-24769-6

Für Birkbeck

Inhalt

Vorwort 9

1 Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert 21 2 Krieg, Frieden und Hegemonie zu Beginn

des 21. Jahrhunderts 36 3 Warum sich die amerikanische Hegemonie vom

British Empire unterscheidet 54 4 Über das Ende von Imperien 77 5 Nationen und Nationalismus im neuen Jahrhundert 86 6 Die Aussichten der Demokratie 97 7 Die Demokratie verbreiten 116 8 Terror 121 9 Öffentliche Ordnung in einem Zeitalter der Gewalt 138 10 Das Imperium wird größer und größer 152

Anmerkungen 165Register 170

Vorwort

Das 20. Jahrhundert war die außergewöhnlichste Epoche in der Menschheitsgeschichte: Es vereinte beispiellose menschliche Katastrophen, substanzielle materielle Verbesserungen und eine bislang ungekannte Steigerung unserer Fähigkeit, das Antlitz un-seres Planeten zu verändern und möglicherweise zu zerstören – und sogar in außerirdische Bereiche vorzudringen. Wie sollen wir zurückblicken auf dieses »Zeitalter der Extreme« oder voraus-blicken auf die Aussichten für die neue Epoche, die aus der alten hervorgegangen ist? Die vorliegende Aufsatzsammlung ist der Versuch eines Historikers, die Lage der Welt zu Beginn des dritten Jahrtausends sowie einige der drängendsten politischen Probleme zu inspizieren, zu analysieren und zu verstehen. Sie ergänzt und aktualisiert frühere Veröffentlichungen von mir, insbesondere meine Geschichte des »kurzen 20. Jahrhunderts« mit dem Titel Das Zeitalter der Extreme (1995), ein Gespräch mit Antonio Polito über das »Gesicht des 21. Jahrhunderts« (2000) sowie mein Buch über Nationen und Nationalismus (1991, Neuauflage 2004). Solche Versuche sind nötig. Was können Historiker dazu beitragen? Ihre Hauptaufgabe besteht nicht nur darin, an das zu erinnern, was andere vergessen haben oder vergessen möchten, sondern auch so weit wie möglich zurückzutreten gegenüber der Gegenwart und sie in einem breiteren Kontext sowie in längerer Perspektive zu betrachten.

In dieser Sammlung von Essays, die sich vor allem mit politischen Themen befassen, will ich mich auf fünf Bereiche konzentrieren, die heutzutage klares und fundiertes Nachdenken verlangen: auf die allgemeine Frage von Krieg und Frieden im

Globalisierung, Demokratie und Terrorismus10

21. Jahrhundert; auf die Vergangenheit und Zukunft von Welt-reichen; auf das Phänomen und den sich verändernden Kontext des Nationalismus; auf die Zukunftsperspektiven der liberalen Demokratie; und auf die Frage von politischer Gewalt und Ter-ror. All das vollzieht sich auf einer Weltbühne, die von zwei mit einander verbundenen Entwicklungen bestimmt ist: von der enorm und anhaltend beschleunigten Fähigkeit des Menschen, den Planeten mittels Technologie und Wirtschaftstätigkeit zu ver-ändern, und von der Globalisierung. Die erstgenannte Entwick-lung hatte bislang leider keinerlei signifikanten Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger. Ziel der Regierungen ist nach wie vor ein größtmögliches Wirtschaftswachstum, und es besteht keine realistische Aussicht, dass effektive Maßnahmen gegen die globale Erwärmung ergriffen werden. Andererseits hatte die sich seit den 1960er Jahren beschleunigende Globa lisierung – das heißt die Welt als Einheit miteinander verbundener, von keinen lokalen Grenzen behinderter Aktivitäten – nachhaltige politische und kulturelle Auswirkungen, vor allem in ihrer gegenwärtig dominierenden Form eines unkontrollierten globalen Freihandels. Sie wird in den nachstehenden Aufsätzen nicht näher erörtert, was hauptsächlich damit zu tun hat, dass die Politik so ziemlich das einzige Feld menschlichen Tuns ist, das davon praktisch unbe-einflusst geblieben ist. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF), die den zweifelhaften Versuch unternimmt, die Globalisierung zu messen, hatte in ihrem Globalisierungsindex (2007) keinerlei Schwierigkeiten, Indikatoren für Wirtschafts- und Informationsflüsse, persönliche Kontakte oder kulturelle Diffusion zu finden – beispielsweise die Zahl der McDonald’s-Restaurants oder der IKEA-Möbelhäuser pro Kopf –, doch als Messgrößen für die »politische Globalisierung« fällt ihr nichts Besseres ein als die Zahl der Botschaften in einem Land, die Mit-gliedschaft einer Nation in internationalen Organisationen und die Beteiligung an UN-Missionen.

Eine allgemeine Erörterung der Globalisierung findet sich im

Vorwort 11

Folgenden wie gesagt nicht, doch sind drei allgemeine Beobach-tungen im Zusammenhang damit von besonderer Relevanz für dieses Buch.

Erstens hat die gegenwärtig so geschätzte Globalisierung des freien Marktes dazu geführt, dass die Ungleichheit auf nationaler wie auf internationaler Ebene dramatisch zugenommen hat. Es deutet nichts darauf hin, dass sich diese Polarisierung innerhalb der einzelnen Länder nicht fortsetzt, auch wenn die extreme Armut allgemein zurückgegangen ist. Dieser Zuwachs an Un-gleichheit, vor allem unter den Bedingungen extremer wirtschaft-licher Instabilität, wie sie durch den globalen freien Markt in den 1990er Jahren entstanden, liegt den zentralen gesellschaftlichen und politischen Spannungsfeldern des neuen Jahrhunderts zu-grunde. Insofern die internationalen Ungleichheiten möglicher-weise durch die aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens unter Druck geraten, wird die Tatsache, dass der relativ astronomische Lebensstandard der Menschen im »alten« Norden bedroht ist und zugleich die riesige Bevölkerung in Ländern wie China oder Indien praktisch keine Chance hat, etwas Ähnliches zu erreichen, ihre eigenen nationalen und internationalen Spannungen erzeu-gen.

Zweitens bekommen diejenigen die Globalisierung am stärks-ten zu spüren, die am wenigsten von ihr profitieren. Daher rührt denn auch die zunehmende Polarisierung der Ansichten über die Globalisierung: zwischen denen, die potenziell vor ihren negati-ven Folgen geschützt sind – den Unternehmern, die ihre Kosten in Billiglohnländer »outsourcen« können, den Hightechfachkräften und den Hochschulabsolventen, die in jeder Marktwirtschaft mit hohen Löhnen Arbeit finden –, und denjenigen, bei denen das nicht der Fall ist. Aus diesem Grund blicken die meisten Menschen, die in den alten »Industriestaaten« in Lohn und Brot stehen, dem 21. Jahrhundert mit Sorge, wenn nicht sogar mit düsteren Erwartungen entgegen. Der weltweite freie Markt hat dafür gesorgt, dass ihre Staaten und Sozialsysteme ihren »way of

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life« nicht mehr im gleichen Maße wie früher schützen können. In einer globalen Ökonomie konkurrieren sie mit Arbeitskräften im Ausland, die über gleiche Qualifikationen verfügen, aber nur einen Bruchteil des westlichen Einkommens erhalten; und zu Hause geraten sie unter Druck von Seiten derjenigen, die Karl Marx als die »industrielle Reservearmee« bezeichnet hat, nämlich der Zuwanderer aus den Dörfern der großen globalen Armuts-regionen. Derartige Situationen versprechen nicht unbedingt eine Epoche politischer und sozialer Stabilität.

Drittens schließlich bleibt das tatsächliche Ausmaß der Globa-lisierung zwar bescheiden – außer vielleicht für einige relativ kleine Staaten vor allem in Europa –, doch sind ihre politischen und kulturellen Auswirkungen unverhältnismäßig groß. So ist die Zuwanderung in den meisten Volkswirtschaften des Westens ein zentrales politisches Problem, obwohl weltweit gerade einmal 3 Prozent der Menschen in einem anderen als ihrem Geburtsland leben. Im KOF-Index der wirtschaftlichen Globalisierung (2007) stehen die USA auf Platz 39, gleich dahinter rangiert Deutschland, China findet sich auf Platz 55, Brasilien auf Platz 60, Korea an 62., Japan an 67. und Indien an 105. Stelle, während bei der »so-zialen Globalisierung« alle diese Länder mit Ausnahme Brasiliens deutlich weiter oben rangieren (die einzige große Volkswirtschaft, die in beiden Kategorien unter den Top Ten zu finden ist, ist Großbritannien).* Ganz gleich, ob es sich dabei um ein historisch temporäres Phänomen handelt oder nicht: Kurzfristig können diese unverhältnismäßig großen Auswirkungen durchaus ernst-hafte politische Konsequenzen auf nationaler wie internationaler Ebene haben. Ich würde vermuten, dass der politi sche Widerstand zwar nicht zur Wiederbelebung einer formal protektionistischen Politik führt, aber doch auf die eine oder andere Weise das Fort-schreiten der ökonomischen Globalisierung in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren bremst.

* Diese Rangliste basiert auf den Daten für das Jahr 2004.

Vorwort 13

Ich hoffe, dass die Kapitel über Krieg, Hegemonie, Imperien und Imperialismus, über den gegenwärtigen Stand des Kapitalis-mus sowie über die Veränderungen in Sachen staatlicher Gewalt und Terror für den Leser ohne weitere Hinweise von meiner Seite verständlich sind. Gleiches gilt für die beiden Kapitel zum The-ma Demokratie, auch wenn ich mir durchaus bewusst bin, dass es höchst umstritten sein dürfte, wenn ich zu zeigen versuche, dass eine der heiligsten Kühe des gängigen politischen Diskurses in der westlichen Welt weniger Milch gibt, als man gemeinhin annimmt. Über kaum ein Wort oder einen politischen Begriff wird im öffentlichen Diskurs des Westens so viel Unsinn oder sinnloses Gebrabbel verbreitet wie über die Demokratie, und hier vor allem über die wundersamen Eigenschaften von Regierungen, die von einer arithmetischen Mehrheit von Wählern, welche sich zwischen konkurrierenden Parteien entscheiden, gewählt werden. In der Rhetorik der Bush-Regierung hat das Wort sogar jeglichen Bezug zur Realität verloren. Meine Ausführungen sind ein kleiner Beitrag zu der dringend nötigen Aufgabe, heiße Luft durch die Zufuhr von Vernunft und gesundem Menschenverstand abzu-kühlen und gleichzeitig an der Regierungsform festzuhalten, die für die Men schen – für alle Menschen, reiche und arme, dumme und kluge, sachkundige und unwissende – da ist, die diese Men-schen konsultiert und ihrer Zustimmung bedarf.

Die hier versammelten und, wo nötig, aktualisierten Auf-sätze, die überwiegend auf Vorträge bei ganz unterschiedlichen Anlässen zurückgehen, versuchen zu zeigen und zu erklären, in welcher Lage sich die Welt – oder zumindest große Teile davon – heute befindet. Sie mögen einen Beitrag leisten, die Probleme zu bestimmen, vor denen wir am Beginn des neuen Jahrhunderts stehen, doch sie schlagen keine Programme oder praktischen Lösungen vor. Sie wurden zwischen 2000 und 2006 verfasst und spiegeln die spezifischen internationalen Problemfelder dieses Zeitraums wider. Er stand ganz im Zeichen der Entscheidung der US-Regierung 2001, auf eigene Faust einen weltweiten Vormacht-

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anspruch geltend zu machen, wobei sie bislang akzeptierte inter-nationale Konventionen aufkündigte, sich das Recht vorbehielt, Angriffskriege und andere Militäroperationen durchzuführen, wann immer sie wollte, und das dann auch tat. Angesichts des Debakels im Irak muss man nicht mehr belegen, dass dieses Pro-jekt unrealistisch war, und die Frage, ob es unserer Ansicht nach hätte Erfolg haben sollen oder nicht, ist rein akademischer Natur. Gleichwohl sollte deutlich sein (und der Leser sollte das bei der Lektüre im Hinterkopf behalten), dass diese Essays von einem Autor stammen, der diesem Projekt sehr kritisch gegenübersteht. Das hat zum Teil mit seinen festen und unzerstörbaren politischen Überzeugungen zu tun, unter anderem seinem Abscheu gegen-über dem Imperialismus, ganz gleich, ob Großmächte so tun, als würden sie ihren Opfern einen Gefallen tun, wenn sie sie erobern, oder Weiße automatisch einen Überlegenheitsanspruch für sich und ihre Errungenschaften reklamieren. Die kritische Haltung ist aber auch einem rational zu rechtfertigenden Misstrauen ge-genüber dem Größenwahn geschuldet, dieser Berufskrankheit von Staaten und Herrschern, die ihre Macht oder ihren Erfolg für grenzenlos halten.

Die meisten der Argumente und Lügen, mit denen amerikani-sche und britische Politiker, bezahlte oder unbezahlte Propagan-disten, Schönredner, Presseagenten, Lobbyisten und Amateur-ideologen die US-Aktionen seit 2001 rechtfertigten, müssen uns nicht mehr kümmern. Weniger leicht hingegen lässt sich vom Tisch wischen, was nicht für den Irakkrieg, sondern allgemein geltend gemacht wurde: dass nämlich eine bewaffnete grenzüber-schreitende Intervention zur Wahrung oder Etablierung der Men-schenrechte in einem Zeitalter zunehmender globaler Barbarei, Gewalt und Unordnung legitim und mitunter sogar erforderlich sein kann. Für manche impliziert das den Wunsch nach einer im-perialen Welthegemonie, insbesondere wenn sie von der einzigen Macht, die dazu in der Lage ist, ausgeübt wird, nämlich von den USA. Diese Vorstellung, die man als Menschenrechtsimperialis-

Vorwort 15

mus bezeichnen könnte, bestimmte die öffent liche Debatte im Zuge der Konflikte auf dem Balkan, die mit dem Zerfall des kommunistischen Jugoslawien aufgebrochen waren, und hier vor allem in Bosnien. Sie schienen nahezulegen, dass nur ein mi-litärisches Eingreifen von außerhalb dem endlosen gegenseitigen Abschlachten ein Ende machen könne und einzig die USA fähig und willens seien, militärische Gewalt einzusetzen. Dass die USA in dieser Region keine besonderen historischen, politischen oder öko nomischen Interessen verfolgten, machte ihr Eingreifen nur umso beeindruckender und scheinbar selbstloser. Ich gehe darauf in meinen Essays ein. Doch auch wenn sich dort (vor allem in »Die Demokratie verbreiten«) gute Gründe dafür finden, warum man diese Position ablehnen sollte, sind vielleicht doch noch einige zusätzliche Bemerkungen zu dieser Frage angebracht.

Ganz grundsätzlich steht dieser Vorstellung die Tatsache ent-gegen, dass Großmächte im Zuge ihrer internationalen Politik zwar möglicherweise Dinge tun, die die Verfechter der Menschen-rechte zufriedenstellen, und dass sie sich durchaus auch des PR-Werts solcher Aktionen bewusst sind, doch mit ihren eigent-lichen Absichten hat das alles höchstens ganz am Rande zu tun; diese werden, wenn man es für nötig hält, mit der barbarischen Rücksichtslosigkeit verfolgt, die das Vermächtnis des 20. Jahr-hunderts ist. Diejenigen, die sich dem Eintreten für die Menschen verschrieben haben, können sich mit einem Staat allenfalls punk-tuell verbünden oder sich ihm widersetzen, niemals aber dauer-haft mit ihm identifizieren. Selbst der seltene Fall noch junger revolutionärer Staaten, die ihre universelle Botschaft aufrichtig verbreiten wollen – Frankreich nach 1792, Russland nach 1917, nicht aber George Washingtons isolationistische USA –, ist stets nur von kurzer Dauer. Grundsätzlich aber ist jeder Staat bestrebt, seine Interessen zu verfolgen.

Abgesehen davon beruht die humanitär begründete For-derung nach einem bewaffneten Eingreifen in innerstaatliche Angelegenheiten auf drei Annahmen: dass es in der heutigen Welt

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zu unerträglichen Situationen kommt – zu Massakern oder gar zu einem Genozid –, die nach einer Intervention verlangen; dass es keine anderen Lösungsmöglichkeiten gibt; und dass der damit verbundene Nutzen ganz offensichtlich größer ist als die Kosten. All diese Voraussetzungen sind mitunter gegeben, wenngleich, wie die Diskussion über Irak und Iran zeigt, nur selten Einigkeit dar-über besteht, was genau eine »unerträgliche Situation« darstellt. In den beiden bekanntesten Fällen eines begründeten Eingreifens herrschte vermutlich Konsens darüber: beim Einmarsch Vietnams in Kambodscha, der dem Schreckensregime Pol Pots mit seinen »killing fields« ein Ende machte (1978), und bei der Zerschlagung von Idi Amins Terrorregime in Uganda durch Tansania (1979). (Natürlich brachte nicht jedes rasche und erfolgreiche bewaffnete Eingreifen von außen in lokale Krisensituationen solche zufrie-denstellenden Ergebnisse – man denke an so zweifelhafte Fälle wie Liberia oder Osttimor.) In beiden Fällen war die Intervention nur von kurzer Dauer und brachte unmittelbaren Nutzen sowie vermutlich auch dauerhafte Verbesserungen, implizierte dabei aber kein systematisches Abweichen vom geltenden Prinzip, sich nicht in die internen Angelegenheiten souveräner Staaten einzu-mischen. Zufälligerweise gab es keine imperialen Implikationen, und die allgemeine Weltpolitik war ebenfalls nicht betroffen. Vielmehr unterstützten die USA und China Pol Pot auch noch nach seiner Entmachtung. Solche Ad-hoc-Interventionen sind jedoch irrelevant, wenn es um die Frage geht, ob eine weltweite Hegemonie der USA wünschenswert ist.

Anders verhält es sich mit den bewaffneten Interventionen der letzten Jahre, die auf jeden Fall selektiv waren und die nach humanitären Maßstäben schlimmsten Grausamkeiten (vor allem den Genozid in Zentralafrika) nicht betrafen. Auf dem Balkan spielten humanitäre Erwägungen in den 1990er Jahren mit Si-cherheit eine wichtige Rolle, waren jedoch beileibe nicht der einzige Faktor. Auch wenn von manchen das Gegenteil behauptet wurde, hat die Intervention von außen das Blutvergießen in Bos-

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nien vermutlich früher beendet, als wenn man den Krieg zwischen Serben, Kroaten und bosnischen Muslimen bis zum Ende hätte weiterlaufen lassen, doch die Region blieb auch danach ein Un-ruheherd. Es steht keineswegs fest, dass das bewaffnete Eingreifen 1999 die einzige Möglichkeit war, um mit den Problemen fertig zu werden, die sich aus dem Aufstand einer extremistischen Minder-heitengruppierung unter den albanischen Nationalisten im Koso-vo gegen Serbien ergaben, oder dass es die Interventionsdrohung und nicht die russische Diplomatie war, die der unnachgiebigen Haltung Serbiens ein Ende setzte. Die humanitäre Grundlage war in diesem Fall zweifelhafter als in Bosnien, ja, möglicherweise hat sich die humanitäre Lage sogar verschlechtert, weil die Serben dazu provoziert wurden, massenhaft Kosovo-Albaner zu vertrei-ben, weil der Krieg zivile Opfer forderte und weil Serbien mehrere Monate lang heftig bombardiert wurde. Auch das Verhältnis zwischen Serben und Albanern ließ sich nicht stabilisieren. Zu-mindest aber erfolgten die Interventionen auf dem Balkan rasch und waren kurzfristig entscheidend, auch wenn mit dem Ergebnis bislang mit Ausnahme Kroatiens niemand zufrieden sein dürfte.

Andererseits waren die Kriege in Afghanistan und im Irak seit 2001 amerikanische Militäroperationen, die nicht aus humani-tären Gründen unternommen wurden, auch wenn sie gegenüber der Öffentlichkeit unter anderem damit begründet wurden, dass man damit ziemlich unappetitliche Regime beseitigt habe. Doch hätte es den 11. September nicht gegeben, hätten die USA die Lage in keinem der beiden Länder so eingeschätzt, dass man unmittel-bar hätte einmarschieren müssen. Das Eingreifen in Afghanistan wurde von anderen Staaten aus altmodischen »realistischen« Gründen akzeptiert, während der Irakkrieg fast durchgängig verurteilt wurde. Zwar wurden die Regime der Taliban und Sad-dam Husseins rasch gestürzt, doch brachte keiner dieser Kriege einen Sieg und erreichte mit Sicherheit keines der Ziele, die zu Beginn verkündet worden waren: die Schaffung demokratischer Regierungen entsprechend westlichen Werten, die für andere,

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noch nicht demokratisierte Gesellschaften in der Region eine Art Leuchtturmfunktion haben sollten. Beide Kriege – und hier vor allem der katastrophale Krieg im Irak – erwiesen sich als lang-wierig, höchst zerstörerisch und blutig und dauern noch immer an, ohne dass ein Ende absehbar wäre.

In all diesen Fällen erfolgte die bewaffnete Intervention durch ausländische Staaten, die über weit überlegene militärische Macht und Ressourcen verfügen. In keinem dieser Fälle gab es bisher sta-bile Lösungen. In allen betroffenen Ländern dauern die militäri-sche Besatzung und die politische Kontrolle an. Bestenfalls – aber bestimmt nicht in Afghanistan und im Irak – hat die Intervention blutige Kriege beendet und für eine Art Frieden gesorgt, doch die positiven Ergebnisse sind wie etwa auf dem Balkan enttäuschend. Schlimmstenfalls – und das meint den Irak – hat sich die Lage der Menschen, deren Befreiung die offizielle Begründung für den Krieg gewesen war, verschlechtert. Die jüngsten bewaffneten Interventionen in die Angelegenheiten anderer Länder sind, selbst wenn sie von den Supermächten geführt wurden, alles andere als erfolgreich gewesen.

Dieses Scheitern beruht zum Teil auf einer Annahme, die zu-meist auch hinter dem Menschenrechtsimperialismus steht, dass nämlich barbarische und tyrannische Regime immun gegenüber innerem Wandel sind, weshalb nur eine äußere Macht ihnen ein Ende bereiten und anschließend dann unsere Werte und unsere politischen oder rechtlichen Institutionen verbreiten kann. Diese Vorstellungen stammen noch aus den Zeiten, da Kalte Krieger den »Totalitarismus« anprangerten. Sie hätten eigentlich mit dem Ende der Sowjetunion oder wenigstens mit dem offensichtlichen internen Demokratisierungsprozess in Asien und Südamerika, der in den 1980er Jahren mehrere unappetitliche nichtkommu-nistische Militärregime, autoritäre Regierungen und Diktaturen erfasste, überholt sein müssen. Sie gründeten zudem auf der Über-zeugung, dass der Einsatz von Gewalt sofort zu großen kultu-rellen Veränderungen führt. Das stimmt jedoch nicht. Werte und

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Institutionen lassen sich kaum dadurch verbreiten, dass man sie plötzlich mit Gewalt von außen aufzwingt, wenn nicht schon vor Ort die Voraussetzungen gegeben sind, dass man sie übernehmen kann und ihre Einführung auch akzeptiert wird. Demokratie und westliche Werte sowie Menschenrechte sind keine Importtech-nologien, deren Nutzen unmittelbar zu erkennen ist und die von allen, die sie nutzen und sich leisten können, auf die gleiche Weise übernommen werden, wie etwa das friedliche Fahrrad oder das tödliche AK-47 oder technische Dienstleistungen wie Flughäfen. Wären sie etwas Derartiges, bestünde zwischen den zahlreichen Staaten Europas, Asiens und Afrikas, die alle (theoretisch) unter ähnlichen demokratischen Verfassungen leben, mehr politische Ähnlichkeit. Kurz gesagt: Es gibt in der Geschichte nur sehr wenige Abkürzungen – eine Lektion, die der Verfasser nicht zu-letzt dadurch gelernt hat, dass er einen Großteil des vergangenen Jahrhunderts erlebt und reflektiert hat.

Abschließend ein Wort des Dankes an diejenigen, die mir die Gelegenheit gaben, diese Überlegungen erstmals vorzustellen. Kapitel 1 beruht auf einem Vortrag, den ich für ein Kolloquium zur Hundertjahrfeier des Friedensnobelpreises (Oslo, 2001) ver-fasst habe; Kapitel 2 geht zurück auf die Nikhil Chakravarty Memorial Lecture in Neu-Delhi 2004, die ich auf Einladung der Indian Review of Books gehalten habe; Kapitel 3 wurde 2005 als Massey Lecture an der Harvard University vorgetragen, Kapitel 4 im Jahr 2004 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Thessaloniki. Kapitel 5 ist eine deutlich erweiterte Fassung des Vorworts, das ich für die deutsche Neuausgabe von Nationen und Nationalismus (Campus Verlag, 2004) geschrieben habe. Kapitel 6 wurde ursprünglich 2000 als Athenaeum Lecture vor dem Athenaeum Club in London gehalten und gedruckt. Kapitel 7 erschien zuerst in einer Ausgabe der Zeitschrift Foreign Policy, die den »gefährlichsten Ideen dieser Welt« gewidmet war (September/ Oktober 2004); Kapitel 8 geht in seinen Anfängen

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zurück auf Notizen für ein Seminar zum Thema Terrorismus, das ich Anfang der 1990er Jahre an der Columbia University gehalten habe; Kapitel 9 war ein öffentlicher Vortrag 2006 am Birkbeck College im Rahmen einer Reihe zum Thema Gewalt; und Kapitel 10 erschien 2003 in Le Monde Diplomatique. Danken möchte ich zudem den Kollegen und allen anderen, die mir zugehört und meine Ausführungen mit mir diskutiert haben, insbesondere in Neu-Delhi, Harvard und New York. Als Autor danke ich meinen italienischen Verlegern, die als Erste meinten, eine Essaysammlung wie die vorliegende besitze genügend Kohärenz, um sie in Buch-form zu veröffentlichen, sowie Bruce Hunter und Ania Corless, die mich und andere Verleger von diesem Projekt überzeugten.

Andererseits muss ich mich für die Überschneidungen und Wiederholungen entschuldigen, die sich in einem derartigen Sammelband nicht vermeiden lassen. Einige habe ich gestrichen, doch sie alle zu streichen hätte den Gedankengang der einzelnen Kapitel zerstört – und damit möglicherweise auch das Gefühl, dass dieses Buch ein kohärentes Ganzes bildet. Vielleicht tragen sie ja dazu bei, die ziemlich konzentrierte Argumentation einiger Kapitel etwas aufzulockern. Nebenbei gesagt gehört ein gewisses Maß an Wiederholung zum Handwerkszeug eines Autors, der sich nicht von der lebenslangen Gewohnheit trennen kann, lehren zu wollen, das heißt, zu überzeugen und zugleich zu erklären. Ich hoffe, ich habe dieses bescheidene Maß nicht überschritten.

E. J. Hobsbawm, London 2007