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-r Münchner Beiträge zur Psychologie Gloria Huey-Ming Pan Der Beziehungsaspekt in der sonder- pädagogischen Kommunikationsförderung -eine ökologische Untersuchung UTZ Herbert Utz Verlag. Wissenschaft München I ,

Gloria Huey-Ming Pan - Herbert Utz Verlag · der Kommunikationsförderung nach ökologischer Sichtweise 74 V. 1. Der Zeitgeist: die veränderten Lebensbedingungen und die veränderten

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-rMünchner Beiträge zur Psychologie

Gloria Huey-Ming Pan

Der Beziehungsaspekt in der sonder-

pädagogischen Kommunikationsförderung-eine ökologische Untersuchung

UTZ

Herbert Utz Verlag. WissenschaftMünchen

I,

~

Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme

Ein Titeldatensatz für diese Publikation istbei Der Deutschen Bibliothek erhältlich

Zugleich: Dissertation, München, Univ., 2001

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die da-durch begründeten Rechte, insbesondere die derÜbersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Ab-bildungen, der Wiedergabe auf photomechanischemoder ähnlichem Wege und der Speicherung in Daten-verarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugs-weiser Verwendung, vorbehalten.

Copyright @ Herbert Utz Verlag GmbH 2001

ISBN 3-8316-0073-2

Printed in Germany

Herbert Utz Verlag GmbH, MünchenTel.: 089/277791-00 -Fax: 089/277791-01

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Inhaltverzeichnis Seite

Vorwort II

Einführung in das Thema 14

Wissenschaftstheoretische Vorbemerkungen 16

I. Zur BegriffiiclIkeit 26

I. I. Zusammenhang zwischen Bindung, Beziehung, Interaktion,I Kommunikation und Entwicklung 27

I. 2. Die Grundthese: Behinderung als ein Beziehungsproblem für dieKommunikation 29

ß. Die systemische Sichtweise der menschlichen kommunikativen

Entwicklung 29

ß. I. Die biologische Grundlage der menscWichen kommunikativen

Entwicklung 31ß. 2. Die phylogenetische Grundlage der menschlichen

kommunikativen Entwicklung 36

ßI. Die interaktiv-kommunikative Grundlegung der menschlichen

Entwicklung 38

IV. Behinderung als ein Beziehungsproblem in der und fur dieKommunikation -eine ökologische Betrachtungsweise 40

IV. I. Das Behinderungsbewußtsein 40

IV. 2. Der ökologische Aspekt der Behinderung 42

IV. 2. 1. Behinderung im Mikrosystem 43IV. 2. 1. I. Der Einfluß des behinderten Kindes auf die Geschwister 43IV. 2.1.2. Die emotionalen Reaktionen der Eltern bei der

Diagnose der Behinderung 46IV. 2. I. 3. Die Konsequenzen der Versorgung eines

behinderten Kindes 48IV. 2. I. 3. 1. Die Konsequenzen für die Mutter 49

'I IV. 2. 1.3.2. Die Konsequenzen fur den Vater 51

IV. 2. I. 4. Der Einfluß des behinderten Kindes aufdie Interaktion mit den Eltern 53

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IV. 2. 1.4. 1. Interaktion mit autistischen Kindern 56IV. 2. 1.4.2. Interaktion bei geistigbehinderten Kindern 57IV. 2. 1.4.3. Interaktion mit sprachbehinderten Kindern 57IV. 2. 1.4.4. Interaktion mit blinden Kindern 59IV. 2. 1.4. S.lnteraktion mit gehörlosen Kindern S9IV. 2. 1. 4. 6. Interaktion mit körperbehinderten Kindern 61

IV. 2. 1. 5. Bindung bei behinderten Kindern 61IV. 2. 1.5. I. Die Entwicklung der Bindung bei blinden Kindern 62IV. 2.1.5.2. Die Entwicklung der Bindung bei Down-Kindern 63IV. 2. 1.5.3. Die Entwicklung der Bindung bei körperbehinderten

Kindern 63IV. 2. 1. 5.4. Die Bedeutung der Forschung atypischer Bindung 64

IV. 2. 2. Behinderung im Mesosystem 66

IV. 2. 3. Behinderung im Exosystem 68IV. 2. 3.1. Risikofaktoren durch die Intervention 68IV. 2. 3. 2. Das Eltern-Therapeut -Verhältnis in der Intervention:

von der medizinischen und psychologischenOrientierung über die pathologische Konditionierung,bis hin zum Streben nach der Autonomie 69

IV. 2. 3. 3. Die Gefll.hrdung durch institutionelle Unterbringung 70

IV. 2. 4. Behinderung im Makrosystem 72IV. 2. 4. 1. Die Philosophie und Praxis der Beseitigung behinderter Menschen 72IV. 2. 4. 2. Vorurteile gegenüber behinderten Menschen 72IV. 2. 4. 3. Die Änderungen der Sonderschulen durch Wandelungen

der Ideologie 73

IV. 3. Schlußfolgerung 74

V. Die aktuellen gesellschaftlichen Lebensbedingungen als der Hintergrundder Kommunikationsförderung nach ökologischer Sichtweise 74

V. 1. Der Zeitgeist: die veränderten Lebensbedingungenund die veränderten Weltanschauungen 74

V. 1. 1. Der Verlust des Lebenskontinuums und die Suchenach dem verlorenen Glück 75

V. 1.2. Lebenswirklichkeit, Werte und Persönlichkeit 77V. 1. 3. Die narzißtische Gesellschaft 78V. 1.4. Gewinn und Verlust auf dem Weg des Egozentrismus 81V. 1.5. Die modeme Ehe und Familie 83V. 1.6. Veränderte Eltern-Kind-Beziehung und

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ihre Auswirkung auf die Kindererziehung 87V. 1. 7. Die veränderte Kindheit und ihre Auswirkungen auf den

Spracherwerb und die kommunikative Entwicklung 88V. 1.8. Die Schwächung der sozialen Systeme und ihre Auswirkungen

auf menschliche Beziehung und Kommunikation 90

VI. Der Beziehungsaspekt in der menschlichenKommunikation und Entwicklung 91

VI. 1. Der Beziehungsaspekt im Kommunikationsgeschehen 91

VI. 2. Die sozialen Beziehungen und ihre Bedeutungfür die Entwicklung 93

VI. 2.1. Die Wechselbeziehung zwischen den sozialenBeziehungen und der menschlichen Entwicklung 93

VI. 2.1.1. Die entwicklungsreife-bedingte Beziehungsfähigkeitund -qualität 93

VI. 2. 1. 2. Die Mitbestimmung des Entwicklungsergebnissesdurch die Qualität der sozialen Beziehungen 95

VI. 2. 2. Beziehungen und Interaktionen in der Familie 98VI. 2. 2. 1. Die Eltern als Ehepaar 99VI. 2. 2. 2. Eltern-Kind Bindung 100

a. Soziale Kompetenz und Beziehungsfll.higkeit 101b. Kommunikationsfll.higkeit 102c. Spiel verhalten und kognitive Fähigkeiten 103d. Selbstvertrauen bzw. Selbstwertgefühl 104e. Die emotionale, motivationale Regulation

und Persönlichkeitsentwicklung 105VI. 2. 2. 3. Die geschwisterliche Beziehung 106VI. 2. 2. 4. Die Großeltern 107

VI. 2. 3. Außerfamiliäre Beziehungen 107! VI. 2. 3. 1. Nachbarschaft 107I VI. 2. 3. 2. Öffentliche erzieherische Dienste 109

VI. 2. 3. 3. Peers 110VI. 2. 3. 4. Die therapeutische Beziehung 112

\ VI. 3. Soziale Unterstützung durch positive soziale Beziehungen 114

VI. 4. Beziehung, Interaktion und soziale Unterstützung 115

VI. 5. Konsequenzen der negativen Beziehungsqualität 119VI. 5. 1. Ergebnisse von Tierversuchen 119

8

VI. 5. 2. Einige Parallelen bei Menschen 121VI. 5.3. Befunde zu menschlichen Beziehungen 122

VI. 6. Kontinuität und Diskontinuität 125

VI. 7. Die existenzielle Bedeutung der Zugehörigkeit für dieMenschen durch die Lebensspanne hindurch 126

VII. Faktoren, die die Eltem-Kind-Bindung bzw. dieEltem-Kind-Interaktion beeinflussen 132

VII. 1. Das Kind 133VII. 1. 1. Die Rolle des Kindes in der Bindung 133VII. 1. 2. Der Einfluß des Kindes auf die Bezugspersonen 133VII. 1.2. 1 Die Wirkungen der äußeren Erscheinung des Kindes

auf die Bindung 133VII. 1.2.2 Die Wirkungen des kindlichen Temperaments 134VII. 1.2.3. Die Wirkungen des kindlichen Verhaltens 135

VII. 2. Die Eltern und die Familie 137VII. 2. 1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Vater-Kind-

und Mutter-Kind-Interaktion 137VII. 2. 2. Die Risikofaktoren in der Familie 138

VII. 3. Der interaktive Effekt zwischen den kindlichen undelterlichen bzw. familiären Faktoren 141

VII. 4. Der soziale Kontext 141

VII. 5. Die Rolle der Kultur in der frühen Interaktion 145

VIII. Mögliche Bedingungen für die Entwicklung positivenBeziehungsqualität 146

1. Die wechselseitige Einstimmung der Emotionen 1482. Liebe 1493. Rhythmus 1514. Synchronisation der Dyade 1525. Joint Attention 1536. Die Rolle der Blickkontakte 1577. Die unterschiedlichen Bedeutungen des Objektbezugs

und Subjektbezugs 1608. Die Bedeutung der Sprache 1649. "Goodness ofFit" bei den individuellen Unterschieden

9

im Bindungsverhalten 167

IX. Das Selbst, die Anderen und die Kommunikationsförderung 169

IX. 1. Die Identitätsentwicklung in den sozialen Beziehungen 169IX. 2. Vom Selbstwertgefiihl zur Autonomie-

die Bedeutung der Autonomie fürden Aufbau eines gesunden Selbstwertgefiihls 171

IX. 3. Die Entstehung von Autonomie und ihre Behinderung 173IX. 4. Das Selbst, die Anderen und der Lebenssinn 174IX. 5. Die Bedeutung der Autonomie in der Kommunikationsförderung 176

X. Ein Konzept der Kommunikationsförderung aus ökologischer Sicht 178

X. 1. Förderung auf der Mikroebene 179

X. 1. 1. Kind-orientierte Förderung 1791. Das Autonomieprinzip 1792. Ganzheitlichkeit 1793. Frühförderung 1794. Anwendung von Hilfsmitteln 180

X. 1.2. Familien-orientierte Förderung 180X. 1. 2. 1. Begleitung auf der Diagnose-Phase 180X. 1.2.2. Zusammenarbeit mit den Eltern 182X.I.2.3.Beratung 183

X. 1.3. Interaktions- bzw. Transaktions-orientierte Förderung 185

X. 2. Die Förderung auf der Mesoebene -Beispiel Schule 188

X. 3. Emchten eines koordinierten Hilfesystems auf der Exoebene 193

X. 4. Familienorientierte Sozialpolitik für die Förderung auf der Makroebene 199

XI. Nachwort:Der Stellenwert des Vertrauens, der Hoffi1ung und Liebe in derKomrnunikationsförderung aus sozioökologischer Sicht 201

Literaturverzeichnis 209

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Wissenschaftstheoretische Vorbemerkungen beaJ

Geprägt von dem Zeitgeist der Machbarkeit wollen wir oft viel unternehmen und ~~:meinen, daß wir mit unserem Tun alles erreichen können, was wir wollen. So zu Dardenken oder zu handeln verbirgt die Gefahr, daß die Menschen die Dinge so Unihinbiegen, daß sie sich gezwungenerweise an eine andere Wirklichkeit gewöhnen demmüssen, als sie ursprünglich zum Leben gedacht sind. Mit ähnlicher Haltung wird folgauch die Wissenschaft und die Forschung betrieben. Darum, denke ich, ist es gut,am Anfang der vorliegenden Arbeit zu klären, was Wissenschaft ist, was sie willund was sie kann bzw. nicht kann. Zur Reflexion über das Werkzeug derwissenschaftlichen Forschung möchte ich einige methodologische Kritikpunktenennen und darüber hinaus die Stellungnahme über die Forschungsmethodeabgeben, die man in der Sonderpädagogik verwenden sollte. Die Argumentationhier ist nicht ausgiebig. Ich habe nur die Absicht, darüber zur Sprache zu bringen, Umwas mir während der Vorbereitung der vorliegenden Arbeit aufgefallen war. (19~

undEs gibt viele Definitionen darüber, was Wissenschaft sei. Ich zitiere, was Karl nicl1Popper (1968) über Wissenschaft gesagt hatte. die

AusScience is not a system of certain, or well-established, statements, könnor is it a system wh ich steadily advances towards astate 01 jinality. sei iGur science is not knowledge, it can never claim to have attained truth, wis~or even a subsitute tor it, such as probability. (S. 276) sOUl

Hier drückte Popper aus, daß die Wissenschaft ein menschliches Engagement der Wa~unermüdlichen Suche nach etwas, was er nicht als Erkenntnis oder als Wahrheit wis~bezeichenen wollte, weil damit für ihn die Endstation des Engagements implizit henwäre. Ich denke, Popper wollte mit dieser Definition die richtige Haltung Verhervorheben, daß man in der Forschung zwar stets nach der Wahrheit zu suchen dastrachten soll aber nie die letzte oder die ganze Wahrheit erringen kann. Latt

..mitAhnlich schrieb Medawar (1979), daß der Wissenschaftler ein Wahrheitssucher Intesei. Aber vollkommene Gewißheit läge allerdings außerhalb seiner Reichweite (S. aus159). Mit dem Wort von Kant bezeichnete er den fähigsten Wissenschaftler als zwi:denjenigen mit dem Besitz des rastlosen Bemühens und allerdings im Kontext des einenicht gänzlich überzeugenden Arguments. Zum Thema der Einflußnahme und des karnWachstums der Wissenschaft sprach Medawar (1984) in einem anderen Kontext lebevon den Einschränkungen oder der Begrenztheit der Wissenschaft (the limits ofscience). Diese Begrenztheit betrifft die Fragen, die sie beantworten kann, und We1die Methoden, mit denen man die Fragestellungen in der Wissenschaft angeht. umDanlit verbunden ist die Problematik der Anwendung der Wissenschaft. Nach wircihm sei sie nicht imstande, die Fragen über die Sozialpolitik, die sozialen und zu ,persönlichen Wertsetzungen und über den Glauben oder die Religion zu derbeantworten. Die Wissenschaft sei nur insofern mächtig, die Fragen zu ist]

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beantworten, rur die sie sich zur Antwort gestellt hat. Sie sei nicht geschaffen, umdie Fragen über erste und letzte Dinge oder über einen Endzweck zubeantworten, da es in der Wissenschaft immer ein "Plus Ultra", d. h. einDarüberhinaus geben werde. Diese Begrenztheit sei nicht durch die kognitiveUnfahigkeit bedingt, sondern durch die sacheninnenwohnende Einschränkung beidem Wachstum des wissenschaftlichen Verständnisses. Er schrieb dazufolgendes:

There is an intrinsic, built-in limitation upon the growthof scientific understanding. It is not due to any cognitiveincapacity. It is a logical limitation that turns on a"Law ofConservation of Information ". (S. 60)

Um aus dem Dilemma der Ungewissheit oder Unsicherheit zu kommen, riet er(1979) den jungen und alten Wissenschaftlern zugleich, gleichzeitig bescheidenund kritisch zu sein. Für die wissenschaftliche Arbeit, betonte er, brauchte mannicht nur einen gesunden Menschenverstand und eine Imagination, sondern auchdie alte Tugende, wie fleiß, Sorgfalt, Zielstrebigkeit, Konzentrationsflihigkeit,Ausdauer und Standfestigkeit gegenüber Widrigkeiten. Man sollte auch ertragenkönnen, daß man nach langwierigen Untersuchungen herausfinde, eine Hypothesesei im großen und ganzen ein Irrtum (S. 26). Außerdem meinte er, im Prozeß derwissenschaftlichen Arbeit sollte nicht der Wissensinhalt die Befriedigung bringen,sondern die Gewißheit, daß etwas erkennend durchdrungen wurde (S. 24).

Was ich hier von ihm zitere, finde ich, sind wichtige Punkte, die man bei derwissenschaftlichen Arbeit beachten soll. Den letzten Punkt möchte ich besondershervorheben. Die Entwicklung der Wissenschaft stellt keinen linear-aufsteigendenVerlauf dar. In der Geschichte der Wissenschaft hat es oft schon gegeben, daßdas Erkannte schnell wieder überholt wurde oder die "tote" Theorie nach langerLatenzzeit plötzlich wieder aktuell wurde. Ich denke auch, bei der Beschäftigungmit der Wissenschaft geht es in erster Linie um die Einsicht, die aus derInteraktion zwischen der Person des Wissenschaftlers und einem Sachverhalt undaus der schrittweise Konstruktion der Wirklichkeit durch die Kommunikationzwischen Subjekten und zwischen Objekten und Subjekten entspringt. Diese setzteine Offenheit und tiefgreifende Sehnsucht nach der Wahrheit voraus. Nur sokann die Arbeit original und lebendig sein, sonst ist sie, wenn nicht tot, so dochlebens-fremd. Ihr Ergebnis fuhrt zur Entfremdung vom Leben.

Wenn es bei der Wissenschaft um die Einsicht geht, dann handelt es sich dabeium eine intrinsische Valenz. Auf der Basis von Redlichkeit und beruflicher Ethikwird der Wissenschaftler nicht versuchen, die Daten zu manipulieren oder sogarzu verfalschen, nur weil man ein bestimmtes Ziel erreichen will. Die Ansicht, eineder Voraussetzungen fiir die wissenschaftliche Arbeit als Tugend zu bezeichnen,ist, meiner Meinung nach, bedeutsam rur unsere Zeit, wo sie allgemein nicht mehr

~j.-

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beantworten, fur die sie sich zur Antwort gestellt hat. Sie sei nicht geschaffen, umdie Fragen über erste und letzte Dinge oder über einen Endzweck zubeantworten, da es in der Wissenschaft immer ein "Plus Ultra", d. h. einOaliiberhinaus geben werde. Diese Begrenztheit sei nicht durch die kognitiveUnfahigkeit bedingt, sondern durch die sacheninnenwohnende Einschränkung beidem Wachstum des wissenschaftlichen Verständnisses. Er schrieb dazufolgendes:

There is an intrinsic, built-in limitation upon the growthI of scienttflc understanding. It is not due to any cognitive

~ incapacity. It is a logicallimitation that turns on a"Law ofConservation of Information ". (S. 60)

Um aus dem Dilemma der Ungewissheit oder Unsicherheit zu kommen, riet er(1979) den jungen und alten Wissenschaftlern zugleich, gleichzeitig bescheidenund kritisch zu sein. Für die wissenschaftliche Arbeit, betonte er, bräuchte mannicht nur einen gesunden Menschenverstand und eine Imagination, sondern auchdie alte Tugende, wie Fleiß, Sorgfalt, Zielstrebigkeit, Konzentrationsfllhigkeit,Ausdauer und Standfestigkeit gegenüber Widrigkeiten. Man sollte auch ertragenkönnen, daß man nach langwierigen Untersuchungen herausfmde, eine Hypothesesei im großen und ganzen ein Irrtum (S. 26). Außerdem meinte er, im Prozeß derwissenschaftlichen Arbeit sollte nicht der Wissensinhalt die Befriedigung bringen,sondern die Gewißheit, daß etwas erkennend durchdrungen wurde (S. 24).

Was ich hier von ihm zitere, finde ich, sind wichtige Punkte, die man bei derwissenschaftlichen Arbeit beachten soll. Den letzten Punkt möchte ich besondershervorheben.

Die Entwicklung der Wissenschaft stellt keinen linear-aufsteigendenVerlauf dar. In der Geschichte der Wissenschaft hat es oft schon gegeben, daßdas Erkannte schnell wieder überholt wurde oder die "tote" Theorie nach langerLatenzzeit plötzlich wieder aktuell wurde. Ich denke auch, bei der Beschäftigungmit der Wissenschaft geht es in erster Linie um die Einsicht, die aus derInteraktion zwischen der Person des Wissenschaftlers und einem Sachverhalt undaus der schrittweise Konstruktion der Wirklichkeit durch die Kommunikationzwischen Subjekten und zwischen Objekten und Subjekten entspringt. Diese setzteine Offenheit und tiefgreifende Sehnsucht nach der Wahrheit voraus. Nur sokann die Arbeit original und lebendig sein, sonst ist sie, wenn nicht tot, so dochlebens-fremd.

Ihr Ergebnis fuhrt zur Entfremdung vom Leben.Wenn

es bei der Wissenschaft um die Einsicht geht, dann handelt es sich dabei~m eine intrinsische Valenz. Auf der Basis von Redlichkeit und beruflicher Ethikwird der Wissenschaftler nicht versuchen, die Daten zu manipulieren oder sogarrn verfälschen, nur weil man ein bestimmtes Ziel erreichen will. Die Ansicht, eineier Voraussetzungen fiir die wissenschaftliche Arbeit als Tugend zu bezeichnen,st, meiner Meinung nach, bedeutsam fur unsere Zeit, wo sie allgemein nicht mehr

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beachtet oder andersartig vertreten wird. Vor allem unter den Wissenschaftlern da!werden üblicherweise die Persönlichkeit und die Leistung getrennt betrachtet. FUJMan achtet häufig darauf, was rur ein Nutzen, vor allem wirtschaftlicher Art, einewissenschaftliche Arbeit hat. Was die Moral und die Wertvorstellungen des DilWissenschaftlers betriffi, meint man, sei eine persönliche Sache. Ich meine aber, Pr(wenn wir erwarten wollen, daß die Wissenschaft etwas zum menschlichen Leben Vein seiner Ganzheit und im Einklang mit der Natur beitragen sollte, sollte man die WiTugend, die Seite der Persönlichkeit und Moral von dem Wisschenschaftler mehr zwverlangen können, die mehr mit der Achtung vor dem Leben und mit der Liebe Anzwn Mitmenschen verbunden ist. Nur mit der Gesinnung der Ethik und vor allem As:der Haltung der Liebe will man unermüdlich nach dem Wahren, Guten und Pu]Schönen streben. (v~

SulAn dieser Stelle möchte ich ein Zitat von Romano Guardini einschieben, die icham Anfang meines Studiums in der Sonderpädagogik in München aufgeschrieben ZUJhabe und deren Quelle ich leider nicht angeben kann. Für mich hat der Autor den FOIwahren Wissenschaftler dargestellt, der im Zug der gesellschaftlichen Er1Ökonomisierungstendenz immer rarer wird. Erf

Ve" Da sind zwei Studierende. Der eine arbeitet ganz im Hinblick auf sein späteres SulFortkommen, auf die Chancen seines Berufs, und den Nutzen hin, den dieses allroder jenes Wissen, dieses oder jenes Examen für ihn haben kann: Eine Sulvorzügliche Sache und er kann dabei zu einem erfolgreichen Rechtsanwalt. oder ForArzt, oder was immer werden. Dem Anderen geht auf, was Fragen und Forschen lauheißt, was mit dem Wort Wahrheit gemeint ist. Er wird von den Problemen verseines Studiums er/aßt. Es kann sein, daß er dabei Zeit verliert, Nichtbrachbares Koltreibt. Nehmen wir aber an, auch er komme zu einem vernünftigen Abschluß. ...SmWie steht es nun mit den beiden? Für den ersten war die Wissenschaft ein Mittel Er~zum Zweck, eine Vorbedingung, um sich später im Leben durchsetzen zu können. Er~Was er gelang, war ganz um das eigene Selbst geschlossen. Der zweite hat sich eiD!vergessen. Die Grundhaltung seines Tuns war die Offenheit für den Gegenstand. kauDie Probleme konnten sich in seinem Geist entfalten. Nicht er selbst war der EinMittelpunkt, sondern die Wahrheit. Wer von den beiden ist am Ende tiefer, übllechter, reicher er-selbst? Im Sinne der unmittelbaren Lebensenergie sicher der An,erste: im Sinne der eigentlich Selbstverwirklichkeit aber der zweite. Der erste ist vakin seiner unmittelbaren Selbstheit geblieben, nie über sie hinausgekommen;dabei ist er eng und bei aller Tüchtigkeit dürftig, unlebendig geworden. Der Zurzweite hingegen wurde bei jedem Schritt echten Fragens und Forschens neu und ihrereicher sich selbst geschenkt. Im Sich-Weggeben an die Wissenschaft fand er, Forohne es zu merken, immer mehr sich selbst. " Unt

zugWissenschaft will Zusammenhänge erklären und theoretische Aussagen als kleiHandlungsorietierung begründen und zwar mit dem Anspruch der -Allgemeingültigkeit. Die Methoden dazu sind bis jetzt noch so problematisch, I Da!

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daß man sagen muß, daß die Wissenschaft ihre Aussagen auf unsicheremFundament gründer.

Die Wissenschaft, wie sie sich bisher in Europa entwickelt hat, hat vieleProbleme mit sich gebracht. Sie hat vor allem eine Krise in die europäischeVernunft hinein gebracht, so diagnostiziert Wallner (1992) die Entwicklung derWissenschaft in Europa. Nach Wallner liegt die Krise vor allem in der Spaltungzwischen Subjektivität und Objektivität (S. 15ff. und S. 91) und in ihrem

I Anspruch der Verbindlichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis. Diese beidenAspekte hängen eng miteinander zusammen. Man kann sie unter dem erstenPunkt diskutieren. Sie haben mit dem Anspruch der Objektivität der Wissenschaft(vgl. Mittelstraß, 1996, S. 578ff.) zu tun. Unter der Spaltung zwischenSubjektivität und Objektivität kann man zweierlei verstehen.

Zum einem wird vom Wissenschaftler verlangt, daß er sein Subjekt beimForschungsprozeß zurücknimmt, damit sein Ergebnis objektiv sein soll. Bei demErkenntmsprozeß der Wissenschaft muß aber der Wissenschaftler seineErfahrungen, seine Wahrnehmung, sein Denken, seine Emotionen, seinenVerstand und andere Bestandteile seiner Persönlichkeit gebrauchen. Er kann seinSubjekt nicht von der Forschungsarbeit fernhalten. Auch wenn man jetztallmählich zustimmen kann, daß der Wissenschaftler ohne die Beteiligung seinesSubjekts in der Forschung nichts verrichten kann, bewegt er sich bei derForschung jedoch auf einer abstrahierten Ebene, so daß er ständig in die Gefahrlaufen kann, daß er den Boden unter den Füssen, also den Realitätsbezug,verliert. Sei es bei der Hypothese-findung, oder bei deren Überprüfung, wird einKontext dazu konstruiert, der nicht auf die reale Lebenssituation, sondern auf einSurroget der Forschung zugeschnitten ist. Die Validität des so gewonnenenErgebnisses stößt in der Praxis oft auf Skepsis. Und mit der Anwendung desErgebnisses beim realen Leben fängt das Experimentieren erst richtig an. Was füreine Auswirkung auf den Menschen und auf das Leben das mit sich bringt, kannkaum ein Wissenschaftler vorher richtig einschätzen oder ob er da noch einenEinfluß darauf haben könnte, ist die andere Frage, da das Entscheidungsrechtüblicherweise außerhalb des Wissenschaftsbereichs liegt. So geschieht dieAnwendung der wissenschaftlichen Befunde oft in einem Verantwortungs-vakuum, in dem niemand sich recht zuständig fühlt.

Zum anderen ist die Krise dadurch entstanden, daß der untersuchten Person mitihren Intentionen und Empfindungen und ihrer Verbundenheit mit der Umwelt imForschungsprozeß meistens kaum Rechnung getragen wird. Das Objekt derUntersuchung, sei es in einem Experiment oder in einer Beobachtung, wirdzugunsten der Ökonomie auf die künstlich vereinfachten Bedingungen von einemkleinen Abschnitt eines Phänomens oder vor allem auf die äußeren, intersubjektiv

l ' Das ist einer von den Grilnden dafilr, daß die Wissenschaftler die Spannung der Unsicherheit in ihrer

Argumentation aushalten müssen, wie der Medawar hingewiesen hat