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21 Spirituals Es ist erstaunlich, aber im Laufe der Zeit übernahmen die Sklaven in Amerika den Glauben ihrer Unterdrücker. Ihr hartes Leben machte sie trotz des wenig überzeugenden Vorbilds ihrer Herren für die Erlösungsbot- schaft des Christentums aufgeschlossen. Besonders im Zusammenhang mit der Erwe- ckungsbewegung der Baptisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts wandten sich viele Skla- ven dem christlichen Glauben zu. Auf den „Camp meetings“ dieser Bewegung, Veran- staltungen unter freiem Himmel, lernten sie die Psalmgesänge, Hymnen und Choräle der Weißen kennen. Die Sklaven verbanden diese mit Tanz und Rhythmus, die in afrikanischen Kulten eine dominierende Rolle spielen. So entstanden aus den Kirchengesängen der Weißen und der Musikauffassung der Schwarzen die Spirituals (geistliche Lieder). Erst in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhun- derts entwickelte sich unter dem Einfluss des Jazz und des Rhythm and Blues der Gospel- song. Dass auch Gospels religiöse Lieder sind, zeigt schon ihr Name: „gospel“ leitet sich von „good spell: die Frohe Botschaft“ ab. Es versteht sich von selbst, dass die Sklaven diejenigen Kirchenlieder und biblischen Geschichten bevorzugten, aus denen sich ein unmittelbarer Bezug zu ihrer eigenen Situati- on und ihrer Sehnsucht nach Freiheit herstel- len ließ. Deshalb finden sich natürlich auch Motive des Exodus-Geschehens in etlichen Spirituals – auch in dem wohl bekanntesten: Es gibt zu diesem Spiri- tual aber höchstwahr- scheinlich neben dem biblischen noch einen anderen Hintergrund: Die verdeckt operieren- de Organisation „Un- derground Railroad“ (s. S. 20) verhalf vielen Sklaven zur Flucht. Eine herausragende Gestalt dabei war eine Frau: Harriet Tubman. Sie war selbst Sklavin, konnte aber dank der „Underground Rail- road“ in den Norden fliehen. Neunzehnmal ist sie dann heimlich in den Süden und zurückgereist und hat mehr als dreihundert Sklaven zur Freiheit verholfen. In Maryland setzten die Sklavenhalter 12 000 Dollar auf ihren Kopf aus – aber sie wurde nie verraten. Von den Sklaven wurde sie „Moses“ genannt! Zu diesem „double speach“ waren die afro- amerikanischen Sklaven gezwungen, weil auch ihre religiösen Zusammenkünfte von den Sklavenhaltern, die hinter allem Rebellion witterten, misstrauisch beäugt wurden. Was ändert sich am Verständnis von „Go down, Moses“ aufgrund dieser Information? (Das Spiritual war lange Zeit in allen Südstaaten verboten!) Stelle Verbindungen zwischen dem Text des Spirituals und der Situation der afro- amerikanischen Sklaven her! Baptisten (griech.: Täufer) Eine im 17. Jh. entstandene Gemeindebewegung. Ihr auffallendstes Merkmal ist die Erwachsenentaufe (daher ihr Name). Wer seine Bekeh- rung erlebt hat und sich für Christus entscheidet, wird getauft und in die Gemeinde aufgenommen. Zu den wich- tigsten Aufgaben zählte man die Evangelisation. Info-Box Go down, Moses

Go down, Moses - Klett · song. Dass auch Gospels religiöse Lieder sind, zeigt schon ihr Name: „gospel“ leitet sich von „good spell: die Frohe Botschaft“ ab. Es versteht

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Page 1: Go down, Moses - Klett · song. Dass auch Gospels religiöse Lieder sind, zeigt schon ihr Name: „gospel“ leitet sich von „good spell: die Frohe Botschaft“ ab. Es versteht

21Spirituals

Es ist erstaunlich, aber im Laufe der Zeit übernahmen die Sklaven in Amerika den Glauben ihrer Unterdrücker. Ihr hartes Leben machte sie trotz des wenig überzeugenden Vorbilds ihrer Herren für die Erlösungsbot-schaft des Christentums aufgeschlossen. Besonders im Zusammenhang mit der Erwe-ckungsbewegung der Baptisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts wandten sich viele Skla-ven dem christlichen Glauben zu. Auf den „Camp meetings“ dieser Bewegung, Veran-staltungen unter freiem Himmel, lernten sie die Psalmgesänge, Hymnen und Choräle der Weißen kennen. Die Sklaven verbanden diese mit Tanz und Rhythmus, die in afrikanischen Kulten eine dominierende Rolle spielen. So entstanden aus den Kirchengesängen der

Weißen und der Musikauffassung der Schwarzen die Spirituals (geistliche Lieder). Erst in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhun-derts entwickelte sich unter dem Einfluss des Jazz und des Rhythm and Blues der Gospel-song. Dass auch Gospels religiöse Lieder sind, zeigt schon ihr Name: „gospel“ leitet sich von „good spell: die Frohe Botschaft“ ab.Es versteht sich von selbst, dass die Sklaven diejenigen Kirchenlieder und biblischen Geschichten bevorzugten, aus denen sich ein unmittelbarer Bezug zu ihrer eigenen Situati-on und ihrer Sehnsucht nach Freiheit herstel-len ließ. Deshalb finden sich natürlich auch Motive des Exodus-Geschehens in etlichen Spirituals – auch in dem wohl bekanntesten:

Es gibt zu diesem Spiri-tual aber höchstwahr-scheinlich neben dem biblischen noch einen anderen Hintergrund: Die verdeckt operieren-de Organisation „Un-derground Railroad“

(s. S. 20) verhalf vielen Sklaven zur Flucht. Eine herausragende Gestalt dabei war eine Frau: Harriet Tubman. Sie war selbst Sklavin, konnte aber dank der „Underground Rail-

road“ in den Norden fliehen. Neunzehnmal ist sie dann heimlich in den Süden und zurückgereist und hat mehr als dreihundert Sklaven zur Freiheit verholfen. In Maryland setzten die Sklavenhalter 12000 Dollar auf ihren Kopf aus – aber sie wurde nie verraten. Von den Sklaven wurde sie „Moses“ genannt!Zu diesem „double speach“ waren die afro-amerikanischen Sklaven gezwungen, weil auch ihre religiösen Zusammenkünfte von den Sklavenhaltern, die hinter allem Rebellion witterten, misstrauisch beäugt wurden.

• Was ändert sich am Verständnis von „Go down, Moses“ aufgrund dieser Information?(Das Spiritual war lange Zeit in allen Südstaaten verboten!)

• Stelle Verbindungen zwischen dem Text des Spirituals und der Situation der afro-amerikanischen Sklaven her!

Baptisten (griech.: Täufer)

Eine im 17. Jh. entstandene Gemeindebewegung. Ihr auffallendstes Merkmal ist die Erwachsenentaufe (daher ihr Name). Wer seine Bekeh-rung erlebt hat und sich für Christus entscheidet, wird getauft und in die Gemeinde aufgenommen. Zu den wich-tigsten Aufgaben zählte man die Evangelisation.

Info-BoxGo down, Moses

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Der Dekalog22

Orientierung für ihre neu gewonnene Frei-heit erhielten die Israeliten nach Darstellung des Pentateuch im Dekalog. Auch von die-ser „Urkunde“ des Bundes zwischen Jahwe und Israel gab es zwei Fassungen; die Redaktoren haben wieder beide erhalten und sie an zwei verschiedenen Stellen ihres Werkes überliefert (Ex 20; Dtn 5).Die Bezeichnung „Dekalog“ kommt vom griechischen deka: zehn und logos: Wort. An einigen Stellen kann man noch erken-nen, dass es sich ursprünglich um kurze Sätze gehandelt hat, die man leicht an den zehn Fingern aufzählen konnte. Manche sind dann im Laufe der Zeit durch Begrün-dungen und nähere Bestimmungen ergänzt worden.Der Dekalog beginnt nicht unmittelbar mit Ge- und Verboten, sondern mit einem „Vor-wort“, einem „Prolog“:

Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt hat, dem Sklaven -haus.

• Stell dir vor, dieser Prolog fehlt und es geht gleich los mit „Du sollst (nicht)…“!

• Oft ist dieser Prolog verkürzt auf die Formulierung: „Ich bin der Herr, dein Gott.“ Inwiefern entsteht dadurch ein anderer Eindruck als im biblischen Original?

• Welche andere Auffassung kommt dadurch zum Ausdruck?

• In welche „Richtung“ weist der Pro-log des Dekalogs?

• Im Hebräischen lassen sich die Gebote statt mit „Du sollst“ auch mit „Du wirst“ übersetzen. Ändert sich durch diese andere Übersetzung etwas?

„Ach ja, dieser Gott der Wüste, dieser ver rückte, dumme, rachsüchtige Despot mit seiner Macht, Gesetze zu erlassen! Die-ser sklavenhalterische Einpeitscher! Dieses teuflische ,Du sollst, du sollst!’ und dann dieses törichte ,Du sollst nicht!’ Das muss endlich aus unserem Blute verschwinden, dieser Fluch vom Berge Sinai.“ (Adolf Hitler)

• Nimm vom Prolog her Stellung zu dieser Äußerung Hitlers!

• Suche Beispiele für Dinge, an dieMenschen „ihr Herz hängen“!

• Welchen Personen können Menschen alles andere unterordnen? Beanspruchen diese das selbst oder vergöttern ihre Anhänger sie von sich aus?

• Wie wirkt sich die Vergötterung von Din-gen oder Personen auf die Freiheit der „Gläubigen“ aus?

• Wovor sollten die Israeliten also durchdie erste Weisung bewahrt werden?

Der Dekalog gibt meistens keine ganz kon-kreten Einzelvorschriften; denn was heißt im Einzelfall „den Sabbat heiligen“ oder „die Eltern ehren“? Vielmehr zeigt er wie ein Wegweiser nur die richtige Richtung an und lässt im Einzelnen Gestaltungsfreiheit. Des-halb sprechen Juden auch nicht von „Gebo-ten“, sondern von „Weisungen“.

1. Weisung: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben!

Als diese Weisung entstand, rechnete man mit der Existenz und dem Wirken anderer Götter. Man glaubte, sie würden gutes Wet-ter, eine reiche Ernte oder Sieg im Krieg schi-cken. Dafür forderten sie Unterwerfung. Aber: Jedes „Sich-Niederwerfen“ vor ande-ren Göttern, jeder Dienst vor ihnen war keine Verwirklichung der Freiheit, die Gott im Exodus geschenkt hat, sondern eine neue „pharaonische“ Sklaverei.

Wir Christen glauben nicht an die Existenz anderer Götter. Deshalb scheint die 1. Wei-sung für uns überflüssig zu sein. Fraglich ist allerdings, ob wir uns nicht selbst „Götter“ machen oder uns anderen Personen unter-werfen, die mit „göttlichem“ Anspruch auf-treten. Was ist eigentlich ein „Gott“? Martin Luther hat gesagt: „Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“ Anders ausgedrückt: Wenn man bereit ist, einer Person oder Sache alles andere unterzuordnen, z. B. die eigene Gesundheit, das Wohl des Partners oder der Familie, dann nimmt diese Person oder Sache die Stellung Gottes ein.

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23Der Dekalog

2. Weisung: Du sollst den Namen Jahwes, deines Gottes, nicht missbrauchen!

Ursprünglich wendete sich das Verbot, den Namen Gottes zu missbrauchen, gegen die im damaligen Orient weitverbreitete Magie (Zauberei). Bei der Verwendung magischer Formeln kam es vor allem darauf an, den richtigen Namen der Gottheit zu nennen, um sie so beschwören und sich dienstbar machen zu können – zum eigenen Vorteil und zum Schaden für andere.

ten ist uns durch die Natur vorgegeben. Den Sieben-Tage-Rhythmus der Woche aber verdanken wir vor allem der 3. Wei-sung des Dekalogs.

Im Christentum ist zur Erinnerung an die Auferweckung Jesu am ersten Tag der Wo -che an die Stelle des Sabbats der Sonntag getreten.

• Inwiefern stehen diese Beispiele in völligem Gegensatz zum Willen des Exodus-Gottes?

• „Beten bringt nichts! Wie oft habe ich Gott schon dringend um etwas gebeten – und er hat mich nicht erhört!“ Welche Vorstellung vom Beten lässt diese Reaktion erkennen? Stelle einen Zusammenhang mit der 2. Weisung her!

• Wer sollte demnach durch die zweite Weisung geschützt werden?

• Suche aus Geschichte und Gegen-wart Beispiele dafür, dass „im Namen Gottes“ Freiheit und Leben von Men-schen beeinträchtigt wurden und werden!

• Betrachte die Karikatur und versuche, dir dein Leben ohne den Wochen-rhythmus vorzustellen! Was empfindest du bei dieser Vorstellung?

• Lest Dtn 5,12-15! Warum kann man die dritte Weisung geradezu als sozialrevolu-tionär bezeichnen?

• Es gibt heute viele Bereiche, in denen auch am Sonntag gearbeitet werden muss, z. B. in Krankenhäusern, bei Polizei und Feuerwehr. Diese „Sonntagsarbei-ter“ erhalten dafür an einem anderen Wochentag frei. Was haltet ihr davon, das für alle Berufstätigen so zu regeln, also den Sonntag abzuschaffen?

• Wie stellt ihr euch einen „geheiligten“ Sonntag vor?

Koppelschloss aus dem Ersten Weltkrieg

3. Weisung: Gedenke, dass du den Sabbat heiligst!

Der Wechsel von Tag und Nacht, der Mondzyklus und der Ablauf der Jahreszei-

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Der Dekalog24

5. Weisung: Du sollst nicht morden!

In der Übersetzung „Du sollst nicht töten!“ wird diese Weisung für viele verschiedene Bereiche als Argument herangezogen: Von Gegnern der Todesstrafe und des Kriegsdienstes, der Abtreibung und der Euthanasie, ja sogar von Vegetariern, die damit gegen die Tötung der Tiere argu-mentieren.Aber das hebräische Wort razach ist mit „töten“ nicht zutreffend wiedergegeben: Es bezieht sich nie auf Tiere, wird nie auf Töten im Krieg oder aus Notwehr und auch nicht auf Selbsttötung bezogen, sondern meint immer die Tötung eines Menschen durch einen Mitmenschen aus persönlichen Motiven, nicht in staatlichem Auftrag.

• Warum soll man die Eltern über-haupt ehren?

• Wie sollten sich Eltern verhalten, damit ihr sie respektiert?

• Was trug im alten Israel, was trägt heute die 4. Weisung zu einem Zusammenleben in Freiheit bei?

• Versuche, den Unterschied zwischen „versorgen“ und „ehren“ an konkre-ten Beispielen zu beschreiben!

• Warum können sich die Gegner der Todesstrafe und des Kriegsdienstes nicht auf die 5. Weisung in ihrem ursprünglichen Sinn berufen?

Die alttestamentlichen Propheten haben die 5. Weisung aber über den Schutz der rein physischen Existenz hinaus erweitert. „Leben“ im biblischen Sinn meint ja ein erfülltes, menschenwürdiges Dasein. Des-halb ist für die Propheten schon jede Art von wirtschaftlicher Ausbeutung und sozia-ler Unterdrückung eine „Blutschuld“.

Die Eltern haben aber auch Verantwortung für das, was sie der jüngeren Generation an Erfahrungen und Orientierungshilfen wei-tergeben. Und sie müssen sich selbst so verhalten, dass sie glaubwürdig sind und die Kinder Vertrauen zu dem haben kön-nen, was ihre Eltern ihnen sagen.

4. Weisung: Du sollst Vater und Mutter ehren!

Oft wird diese Weisung so verstanden, als ob darin Kindern strikter Gehorsam gegen-über ihren Eltern (und gegenüber jeder anderen Autorität) befohlen würde.Aber wie alle übrigen Weisungen richtete sich auch diese nicht an Kinder, sondern an erwachsene, freie Israeliten. Sie wurden dazu aufgefordert, für ihre alt gewordenen Eltern zu sorgen, die sich ihren Lebensun-terhalt nicht mehr aus eigener Kraft be -schaffen konnten. Im Judentum wurde diese Weisung häufig als die schwerste des ganzen Dekalogs angesehen, weil die Ver-sorgung der arbeitsunfähigen Eltern eine schwere und oft sehr lang dauernde wirt-schaftliche Belastung war. Aber ohne die Unterstützung durch ihre Kinder hätten die alten Leute betteln gehen müssen, denn es gab damals keine andere Altersvorsorge.

Obwohl die Eltern heute für ihr Überleben im Alter nicht mehr so dringend wie früher auf die Unterstützung ihrer Kinder ange-wiesen sind, ist die 4. Weisung auch in unserer Zeit nicht überflüssig. Denn es heißt ja nicht lediglich „versorge“, sondern „ehre“ deine Eltern!

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25Der Dekalog

Den Reichen, die die Armen ausbeuten, wirft der Prophet Micha sogar „Kannibalis-mus“ vor: „Ihr fresst meines Volkes (d. h. der armen Leute) Fleisch, zieht ihnen die Haut ab, brecht ihre Gebeine, zerstückelt sie im Kessel wie Fleisch und wie Braten in der Pfanne.“ (Mi 3,3)In diesem erweiterten Verständnis bedeutet „morden“ also letzten Endes alles, wodurch einem anderen Existenzbedingungen ab-gegraben werden, auch wenn dies gar nicht unbedingt aus böser Gesinnung geschieht – das Ergebnis ist entscheidend.

6. Weisung: Du sollst nicht ehebrechen!

9. Weisung: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau!

Da es in der 6. und 9. und in der 7. und 10. Weisung jeweils um denselben Sachverhalt geht, werden sie – wie z.B. auch im „Got-teslob“ – gemeinsam behandelt.Ehebruch bedeutet, dass ein verheirateter Mann bzw. eine verheiratete Frau Sexual-verkehr mit jemand anderem als dem eige-nen Ehepartner hat. Warum hat man das Verbot des Ehebruchs für so wichtig ange-sehen, dass man es gleich zweimal in den Dekalog aufgenommen hat? Wenn eine Frau und ein Mann, die sich lieben, die Ehe miteinander schließen, versprechen sie sich, ein Leben lang in Treue füreinander da zu sein.

Wenn nun einer der Partner im intimsten Bereich des Menschen, dem der Sexualität, sein Versprechen bricht, ist das Vertrauen des anderen massiv gestört, vielleicht sogar zerstört, und der Fortbestand der Ehe ist gefährdet. Die so entstehende Krise und das Zerbrechen der Ehe betreffen in der Regel nicht nur die beiden Partner selbst – wenn sie Kinder miteinander haben, sind meist diese die wahren Leidtragenden. Die 9. (und entsprechend dann auch die 10.) Weisung macht darauf aufmerksam, dass nicht erst durch den Vollzug einer bösen Tat Unheil entsteht, sondern dessen Keim schon in der falschen inneren Einstel-lung liegt, im „Begehren“: Dabei geht es nicht darum, dass einem eine verheiratete Frau (oder ein verheirateter Mann) nicht gefallen dürfte – das ist etwas ganz Natür-liches. Mit dem hebräischen Ausdruck chaman sind vielmehr konkrete Pläne und Machenschaften gemeint, die darauf ab -zielen, in eine Ehe „einzubrechen“.Durch diese beiden Weisungen soll also nicht – wie es oft verstanden wurde – allgemein die menschliche Sexualität „ver-teufelt“, sondern die Ehe und die Familie geschützt werden.

• Was bringt dieses Versprechen den beiden Partnern?

• Durch den „mörderischen Konkur-renzkampf“ in unserer Leistungsge-sellschaft werden viele „an den Rand gedrängt“. Sucht Beispiele für solche „Randgruppen“!Warum würden sie von Propheten als „Mordopfer“ eingestuft? Was haltet ihr von dieser Auffassung?

• Warum ist die 5. Weisung gerade in ihrer Erweiterung durch die Prophe-ten für ein Leben in Freiheit grund-legend?

• Was haben eheliche (Un-)Treueund (Un-)Freiheit miteinander zu tun?

• Heute entscheiden sich viele Paare dafür, zusammenzuleben und Kinder zu haben, ohne zu heiraten. Welche Vor- und Nachteile hat eurer Ansicht nach demgegenüber eine Ehegemein-schaft?

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Der Dekalog26

7. Weisung: Du sollst nicht stehlen!

10. Weisung: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut!

Jeder, dem schon einmal etwas gestohlen wurde – und sei es nur eine Kleinigkeit –, hat gespürt, wie sehr durch einen Dieb-stahl in seinen ganz persönlichen Bereich eingebrochen wird. Kein Wunder, dass 77 % der Deutschen in einer Umfrage angaben, dass ihnen die 7. und 10. Wei-sung „sehr wichtig“ seien.

Im Dekalog ging es ursprünglich aber nicht um kleine Diebstähle, sondern darum, dass jemand einen anderen so weit um sein

Eigentum brachte, dass seine Lebensmög-lichkeiten stark eingeschränkt wurden. Das konnte durchaus auch mit legalen Mitteln geschehen: Da lieh sich z. B. ein Kleinbauer Geld, um Saatgut oder Geräte zu kaufen; eine schlechte Ernte kam, er konnte die Schulden nicht zurückzahlen, verschuldete sich mehr und mehr und wurde schließlich Sklave seiner Gläubiger. Kurz und bündig heißt es deshalb bei Jesus Sirach: „Ein Mör-der seines Mitmenschen ist, wer ihm den Unterhalt wegnimmt.“ (Sir 34,26)Mit der 10. Weisung soll – entsprechend der 9. – schon im Inneren des Menschen verhindert werden, dass er auf den Besitz eines anderen aus ist.

• In welchem Zusammenhang standen und stehen Eigentum und Freiheit?

• Alles ganz harmlos? Diskutiert, ob die folgenden Beispiele unter das Diebstahlverbot fallen!- Die Kassiererin im Supermarkt gibt 20 e zuviel heraus. Die Kundin K. bemerkt das

Versehen, steckt das Geld aber wortlos ein. - F. hat ein neues Computerspiel gekauft. Seine Freunde wollen das Spiel ebenfalls auf

ihren Geräten installieren. - Die Hausfrau M. weiß sehr wohl, dass sie durch den Kauf von fair gehandeltem Kaf-

fee mit dazu beitragen würde, die Ausbeutung der Plantagenarbeiter in den Anbau-ländern zu verringern. Dennoch wählt sie andere Marken, weil diese billiger sind.

• Wir schmälern durch unseren egoistischen Umgang mit der Umwelt empfindlich die Lebensmöglichkeiten künftiger Generationen. Treffen die 7. und 10. Weisung auch darauf zu? Begründet eure Meinung!

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27Der Dekalog

8. Weisung: Du sollst nicht falsch aus-sagen!

Eine Redewendung aus dem bäuerlichen Bereich lautet: „Die Menschen lügen schneller als eine Ziege mit dem Schwanz wedelt.“ Wie sich solche Verlogenheit aber auswirken kann, wird im Kontext des Alten Testaments deutlich. Denn in Israel hatte die 8. Weisung eine große Bedeutung: Es ging um die falsche Aussage vor Gericht.Im damaligen Prozessrecht war nämlich die übereinstimmende Aussage von mindes-tens zwei Zeugen entscheidend. Eine unwahre Beschuldigung dieser Zeugen konnte also die Ehre oder gar das Leben des Angeklagten zerstören. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn es gleich zu Beginn der bekanntesten Gesetzessammlung des Vorderen Orients, des „Codex Hammurabi“ (um 1700 v. Chr.) heißt:

§1: Wenn ein Mann einen anderen beschul-digt und den Verdacht der Mordschuld auf ihn gelegt hat, es aber nicht beweist, so wird der, der ihn beschuldigt hat, getötet.

§3: Wenn ein Mann vor Gericht mit einer falschen Zeugenaussage auftritt und die Worte, die er aussagt, nicht be weist, so wird dieser Mann, sofern es sich um einen Prozess um Leben und Tod han-delt, getötet.

Aber auch außerhalb des Gerichts konnte und kann man durch Lügen und üble Nachrede einem anderen schweren Scha-den zufügen.

• Woran könnte der Künstler bei seinen Schlangen gedacht haben?Sammelt aus verschiedenen Lebensbe-reichen Formen der Unwahrhaftigkeit, z.B. „schwarze Kassen“, Hochstapelei, Korruption …!

• Von Unwahrhaftigkeit können aber nicht nur die Opfer empfindlich getrof-fen werden, sondern auch die „Täter“.Welche Folgen hat es, wenn jemand beim Angeben, beim Spicken in einer Schulaufgabe, beim Doping im Sport erwischt wird?

• Warum ist die 8. Weisung für das Zusammenleben der Menschen unent-behrlich?

• Untersucht an Beispielen, wie sich falsche Aussagen über einen anderen auf sein Leben auswirken können!

• Besonders entwürdigend ist es, wenn jemand zu Unrecht durch die Medien bloßgestellt wird. Tragt Beispiele zusammen, wie Menschen durch unwahre oder nur halbwahre Berichterstattung in ein falsches Licht gerückt werden!

Keith Haring, The Ten Commandments, 1985

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Der Prophet Amos28

Nach den Befreiungskämpfen gegen die Kanaanäer war trotz der ständigen Bedro-hung durch äußere Feinde nach der Dar-stellung des Alten Testaments unter den Königen Saul, David und Salomo aus dem Stämmeverband Israel ein straff regiertes Großreich geworden. Doch schon 931 v. Chr. war dieses wegen der despotischen Herrschaftsausübung Salomos wieder in zwei Teile zerbrochen: In das Südreich Juda mit der Hauptstadt Jerusalem und das Nordreich, das sich seitdem Israel nannte. Die königliche Residenz des Nordreichs befand sich in Samaria, eines der religiösen Zentren war das Staatsheiligtum in Bet-El. Dort spielt sich um das Jahr 760 v. Chr. Fol-gendes ab:

• Am 7,10-11

Amazja, der als Priester Angestellter des Königs ist, erstattet bei seinem obersten Dienstherrn Anzeige gegen einen gewissen Amos. Da der Priester es nicht für nötig hält, über diesen nähere Angaben zu machen, scheint er Jerobeam bereits gut bekannt zu sein. Offenbar war der König schon vorher auf ihn aufmerksam gewor-den. Das wäre auch kein Wunder – bei dem Bild, das Amazja von Amos entwirft: Ein politischer Revolutionär, der als Feind von König und Volk den Umsturz will. Da Amos aus Tekoa, einem Ort ca. 20 km südlich von Jerusalem kommt, wäre diese Beschul-digung gar nicht unwahrscheinlich. Weil es nämlich zwischen den beiden Reichsteilen immer Spannungen gibt, würde Amos als Agent des Südreichs angezeigt, der im Nordreich Unruhe stiftet.Was geschieht weiter?

• Am 7,12-13

Es ist nicht sicher, ob es sich dabei um die Antwort des Königs handelt, die der Anklä-ger dem Angeklagten mitteilt, oder ob Amazja Amos heimlich in Sicherheit brin-gen will.

Die Karte zeigt die beiden Teilreiche Israel und Juda

Für Amos jedenfalls läuft beides auf dassel-be hinaus: Was auch immer seine Mission war – im Nordreich ist er damit kläglich gescheitert. Er erhält Redeverbot und muss das Land verlassen. In seiner Heimat mag er „als Prophet reden“ und damit sein Brot verdienen.

• Welches Bild von einem Propheten ergibt sich aus den bisherigen Aussa-gen Amazjas?

Was sagt der Betroffene zu all dem?

• Am 7,14-15

Diese Antwort ist einigermaßen verwirrend: Anfangs beteuert Amos, er sei „kein Pro-phet und kein Prophetenschüler“, am Ende aber sagt er, Gott habe ihn beauftragt, als Prophet zu reden. Wie ist dieser Wider-spruch zu erklären?

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29Der Prophet Amos

Nach heutigem Verständnis ist ein Prophet jemand, der die Zukunft vorhersagen kann. Der Begriff wird fast gleichbedeutend mit „Hellseher“ oder „Wahrsager“ gebraucht. Wer an die Zuverlässigkeit solcher Voraus-sagen glaubt, rechnet bewusst oder unbe-wusst damit, dass die Zukunft schon fest-steht und sein eigenes Verhalten keinen Einfluss mehr darauf hat.

er darauf verweist, dass er als Viehzüchter und Maulbeerfeigenpflanzer ein eigenes Einkommen hat und deshalb von staatlichen Stellen unabhängig ist. Im Grunde sagt er damit: Weder der Pries-ter noch der König können ihm verbieten, als Prophet zu reden, weil er seine Legiti-mation nicht von ihnen hat. Vielmehr be -ruft er sich auf einen Auftrag Gottes, der ihn aus seinem bäuerlichen Alltag heraus-gerissen und ihn dazu gebracht hat, die Botschaft Gottes im Nordreich zu verkün-den. Damit gibt er sich als ursprünglicher nabi zu erkennen, als Berufungsprophet, der es wagt, ohne Rücksicht auf ein staatliches Amt auch unbequeme Gottesworte auszu-rufen.

• Welche Formen solcher „Prophezei-ungen“ kennst du?

• Erkläre an einem Beispiel: Wenn diese Voraussagen zuträfen, könnten die Betroffenen nichts mehr daran ändern.

• Wodurch kann bei einem Berufs-propheten die Wahrheit der ihm aufgetragenen Botschaft Gottes beeinträchtigt werden?

• Welche am Dekalog orientierte Mah-nung könnte der „Rufer“ in unsere heutige Welt rufen?

Diese heutige Vorstellung als „Wahrsager“ trifft aber das Wesentliche eines alttesta-mentlichen Propheten nicht. Das zeigt schon die Wortbedeutung: Unser Wort „Prophet“ kommt vom griechischen pro-phetes; so hat man das hebräische Substan-tiv nabi übersetzt. Nabi leitet sich vom akkadischen Verbum nabu: rufen ab. „Rufen“ hat hier einen doppelten Aspekt: Ein nabi ist ein von Gott „Berufener“, der dadurch selbst zum „Rufer“ der Botschaft Gottes wird.Solche „Rufer im Namen Gottes“ konnten für die politischen und religiösen Macht-haber sehr unangenehm sein. Deshalb ver-suchte man schon früh, sie zu „zähmen“, indem man sie an den Königshof, den Tem-pel oder andere staatliche Heiligtümer band, sie fest anstellte und gut versorgte.Da das Amt eines solchen Berufspropheten sehr angesehen und lukrativ war, bildeten sich Prophetenschulen, aus deren Reihen die Nachfolger rekrutiert wurden.

Von solchen Berufspropheten und ihren Schülern distanziert sich Amos also, indem

Karl Hofer, Der Rufer, 1935, Öl auf Leinwand

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Kritik im Namen Gott es30

Wie hat der Viehzüchter und Maulbeerfei-genpflanzer Amos die Berufung durch Gott erfahren? Was hat ihn dazu gebracht, seine gesicherte Existenz für unbestimmte Zeit aufzugeben und im Nordreich Reden zu halten, die ihn als politischen Agitator erscheinen ließen?

Das Buch Amos enthält kein direktes Beru-fungserlebnis. Wie in etlichen anderen Pro-phetenbüchern auch, sind darin nur solche Prophetenworte zusammengestellt, von denen man später erkannte, dass sie zeitlos gültig sind. Dabei wurde meist nicht mehr angegeben, in welcher konkreten Situation sie ursprünglich gesprochen wurden. Aber an zwei Stellen hat sich Amos offenkundig zu Fragen nach seiner Berufung geäußert.

• Am 3,3-8

Von solchen Bildern also wurde Amos in seinem Alltag heimgesucht, und er emp-fand sie als so bedrängend, dass er gar nicht anders konnte, als das Geschaute den Betroffenen zuzurufen. Seine Aufgabe aber war es, die Visionen zu „übersetzen“ und konkrete Missstände für das drohende Un -heil aufzuzeigen. Was also war „faul“ im Staate Israel?

Oberflächlich betrachtet nichts. Eine lange Friedenszeit, günstige Gebietserweiterun-gen und gute Handelsbeziehungen hatten unter Jerobeam II. eine Wohlstandsgesell-schaft entstehen lassen. Besonders am Königshof, in den Beamtenkreisen und unter den Großgrundbesitzern wuchs der Reichtum.Aber diejenigen, die von diesem „allgemei-nen Aufschwung“ profitierten, machten ihre Gewinne nur allzu oft auf Kosten der Armen und Schwachen. Hier sah Amos „Fäulnis“. Und deshalb klagte er die Vertre-ter dieser Oberschicht und ihre Machen-schaften in aller Öffentlichkeit unerbittlich an.

• Am 4,1-3

• Warum passt Vers 7, der als spätere Einfügung gilt, formal und inhaltlich nicht gut in den Kontext?

• Was haben die neun Fragen in den anderen Versen gemeinsam?

• Was sagt Amos damit über seine Berufung? In welcher Situation könnte er so gesprochen haben?

• Versuche, anhand dieser Beispiele zu erklären, was eine „Vision“ ist!

• Was ist beiden Visionen gemeinsam, worin unterscheiden sie sich?

• Wie empfindet Amos selbst diese Visionen?

• Warum kann man diese Visionserzäh-lungen als Antwort auf die Frage nach seiner Berufung auffassen?

• Die Worte des Propheten gegen die wohlhabenden Frauen „auf dem Berg von Samaria“, dem Regierungssitz, lassen an Deutlichkeit nichts zu wün-schen. Wo wären solch klare Worte in unserer Zeit angebracht?

Daneben sind noch fünf kurze Erzählungen erhalten, in denen Amos Visionserlebnisse schildert. Zwei davon als Beispiele:

• Am 7, 4-6; 8,1-3

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31Kritik im Namen Gott es

Auch sonst nimmt Amos kein Blatt vor den Mund, wenn er die sozialen Missstände anprangert:

• Am 8,4-7; 5,7. 10-15

Schon aus diesen wenigen Stellen wird deutlich: Aus Israel war ein neues „Ägyp-ten“ geworden. Wieder gab es Ausbeuter und Ausgebeutete – diesmal aber beide aus demselben Volk. Wie hatte es dazu ausge-rechnet in Israel kommen können, wo doch der Glaube an Jahwe, den Befreiergott, einen so hohen Stellenwert hatte?So paradox es klingt – gerade religiöse Gedanken, freilich zum eigenen Vorteil zurechtgebogen, hatten mit zu den sozia-len Missständen beigetragen. Die Israeliten glaubten, sie seien das auserwählte Volk, das unter dem Schutz Jahwes stehe und dem deshalb nichts Schlimmes widerfahren könne. Deshalb meinten viele, sie könnten sich alles erlauben, ja sie deuteten ihren auf Kosten der Armen erworbenen Wohlstand sogar als besonderen Gunstbeweis Gottes.

Dafür dankten sie ihm in prächtigen Feiern mit fetten Opfern. Mit einem so „zurechtgebastelten“ Glauben räumte Amos im Namen Gottes gründlich auf.

• Am 3,1-2

• Stelle aus diesen beiden Textstellen die Anklagepunkte des Propheten zusammen!

• Amos wird manchmal als Vorläu-fer der Menschenrechtsbewegung bezeichnet. - Wie kann es zu dieser Einschätzung

kommen? - Worin besteht jedoch der grundle-

gende Unterschied zwischen dem Engagement des Amos und vielen heutigen Menschenrechtsgruppen?

• Welche Konsequenz hat hier die Auser -wählung Israels?

• Warum wird im Zusammenhang mit den „Vergehen“ an die Befreiung aus Ägypten erinnert?

• Was sollte es also im „auserwählten Volk“ nicht geben?

• Was ist Jahwe wichtiger als seine Vereh-rung in kultischen Feiern?

• Warum kann man trotzdem nicht sagen, Gottesdienste würden völlig abgelehnt?

• Diskutiert an Beispielen, ob diese Sätze auch heute noch aktuell sind!

• Stelle einen Bezug zwischen den beiden Karikaturen und den Anliegen des Amos her!

• Warum wird bei der Misereor-Aktion vor Ostern immer wieder auf den Propheten Amos Bezug genommen?

Nachdem so der Gedanke der Auserwählung richtiggestellt war, ließ Jahwe durch Amos auch ausrufen, was er von den Kultfeiern ihm zu Ehren hielt.

• Am 5,21-24

A.P. Weber, Die Kathe-drale, 1941

A. P. Weber, Der Plumpudding, 1941

Page 12: Go down, Moses - Klett · song. Dass auch Gospels religiöse Lieder sind, zeigt schon ihr Name: „gospel“ leitet sich von „good spell: die Frohe Botschaft“ ab. Es versteht

32 METHODE

Selbstständig Aspekte eines Prophetenprofils erschließen

Amos war der erste Schriftprophet. So werden Propheten bezeichnet, unter deren Namen im AT ein Buch überliefert ist. Das trifft nicht auf alle Propheten zu: Von Samu-el, Natan oder Elija z.B. wissen wir nur aus einzelnen Erzählungen in Geschichtsbü-chern.In den Büchern der Schriftpropheten wurden – oft lange nach ihrem öffentlichen Auf-treten – in mündlicher oder schriftlicher Überlieferung erhaltene Worte und Taten gesammelt, von denen man glaubte, sie seien für die eigene Gegenwart, aber auch für künftige Generationen bedeutsam. Deshalb hat man es in diesen Büchern weitgehend mit dem „Originalton“ zu tun: Die Propheten scheinen über die Jahrhunderte hinweg unmittelbar zu uns selbst zu sprechen. Und so erhält man – wie bei Amos – schon durch die Lektüre von nur wenigen Stellen ein unverwechselbares Profil von ihnen.Deshalb ist es auch für euch ohne große Schwierigkeiten möglich, selbstständig ein solches Prophetenprofil zu zeichnen. Am Beispiel des Amos habt ihr bereits wichtige Kriterien kennengelernt, die für die Erschließung eines Propheten wichtig sind. Zwei Propheten, die ähnliche Anliegen wie Amos verfolgen und das doch wieder auf je eigene Art tun, sind Micha und Jeremia. Und wenn ihr an sie mit den-selben Fragen wie an Amos herangeht, werden ihre unterschiedlichen Profile umso deutlicher.

Diese Fragen sind:

1. Welche Informationen zur Person finden sich?2. Was sagt der Prophet über seine Berufung?3. Welche Folgen hat seine Berufung für ihn?4. Wie ist sein Verhältnis zu anderen Propheten oder zum König?5. Welche sozialen Missstände kritisiert er?6. Wie ist seine Einstellung zu Gottesdiensten und Opfern?7. Welche Rolle spielt die Erinnerung an den Exodus?8. Wie setzt er sich mit dem Auserwählungsbewusstsein Israels auseinander?

Am effektivsten für die Beantwortung dieser Erschließungsfragen ist folgendes Vorgehen:

• Ihr unterteilt eure Klasse in zwei Hälften und teilt jeder Hälfte einen Propheten zu. • In jeder Hälfte bildet ihr drei Gruppen.• Jede Gruppe wählt einen Schriftführer, der eine Folie für den Tageslichtprojektor

und einen Folienstift erhält.

• Aus dem Buch des Propheten Micha liestGruppe 1: Mi 1,1; 1,8-9; 2,1-3; 2,11Gruppe 2: Mi 3; 4,14-5,3Gruppe 3: Mi 6; 7,1-7

• Aus dem Buch des Propheten Jeremia liestGruppe 1: Jer 1,1-10; 5,26-31Gruppe 2: Jer 7,1-15.21-28; 26,1-19Gruppe 3: Jer 20,7-9; 22,13-19