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Gregory David Roberts Shantaram

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Gre gory Da vid Ro berts

Shanta ram

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Gregory David Roberts

ShantaramRoman

Deutsch von Almut Münchund Sibylle Schmidt

Goldmann Verlag

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Gregory David Roberts

ShantaramRoman

Deutsch von Almut Münchund Sibylle Schmidt

Goldmann Verlag

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Die aust ra li sche Ori gi nal aus ga be er schien 2003 un ter dem Ti tel »Shanta ram«

bei Scr ibe Pu bli cat i ons Pty Ltd, Austr alia

Ver lags grup pe Random House fsc-deu-0100Das für dieses Buch verwendete fsc-zertifi zier te Pa pier

EOS lie fert Salzer, St. Pölten.

1. Auf a geCo py right © der Ori gi nal aus ga be 2003

by Gre gory Da vid Ro bertsCo py right © der deutsch spra chi gen Erst ver öf fent li chung 2008

by Wil helm Gold mann Ver lag, Mün chen,in der Ver lags grup pe Ran dom House GmbH

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingDruck und Ein band: GGP Me dia GmbH, Pöß neck

Vig net ten: Oli ver We issPrin ted in Germ any

ISBN 978-3-641-01217-5

www.gold mann-ver lag.de

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Für mei ne Mut ter

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Ers ter Teil

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Ers tes Ka pi tel

Viel Zeit und viel Welt brauch te ich, um zu ler nen, was ich weiß über die Lie be, über das Schick sal und über die Ent schei dun gen, die wir tref-fen, doch das We sent li che ver stand ich in ei nem ein zi gen Au gen blick, als ich an eine Wand ge ket tet war und ge fol tert wur de. Trotz der Schreie in mei nem Kopf wur de mir plötz lich be wusst, dass ich, ge fes selt, blu tend und hilf os, noch im mer mei ne Frei heit be saß – die Frei heit, jene Män-ner, die mich quäl ten, zu has sen oder ih nen zu ver ge ben. Ich weiß, das klingt nicht groß ar tig. Doch wenn Ket ten ins Fleisch schnei den und man nichts an de res mehr hat, ver heißt die se Frei heit ein gan zes Uni ver sum von Mög lich kei ten. Ob man den Hass wählt oder die Ver ge bung, be-stimmt die wei te re Ge schich te des ei ge nen Le bens.

In mei nem Fall ist die se Ge schich te lang und viel fäl tig. Ich war ein Re-vo lu ti o när, der sei ne Ide a le dem He ro in op fer te, ein Phi lo soph, der sei ne Glaub wür dig keit im Ge fäng nis ein büß te, ein Dich ter, dem sei ne See le im Hoch si cher heits trakt ver lo ren ging. Als ich über die von zwei Wach tür-men fan kier te Front mau er aus die sem Ge fäng nis füch te te, wur de ich zum meist ge such ten Mann mei nes Lan des. Das Glück foh mit mir und be glei te te mich quer durch die Welt nach In di en, wo ich mich der Ma-fia von Bom bay an schloss. Ich ver dien te mein Geld als Waf fen schie ber, Schmugg ler und Fäl scher. Ich wur de auf drei Kon ti nen ten in Ket ten ge-legt, ver prü gelt, mit Mes sern trak tiert und aus ge hun gert. Ich zog in den Krieg und ge riet un ter feind li ches Feu er. Und ich über leb te, wäh rend an-de re Män ner ne ben mir star ben. Die meis ten von ih nen wa ren bes se re

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Men schen als ich, Män ner, de ren Le ben ver se hent lich zer tre ten wur de, fort ge wor fen im fal schen Au gen blick – aus Hass, Lie be oder Gleich gül-tig keit. Ich be grub die se Män ner – zu vie le von ih nen –, und in mei ner Trau er ver wob ich ihre Ge schich te und ihr Le ben mit mei nem ei ge nen.

Doch mei ne Ge schich te be ginnt nicht bei ih nen und auch nicht bei der Ma fia; sie be ginnt mit je nem ers ten Tag in Bom bay. Das Schick sal brach te mich dort ins Spiel. Das Glück teil te die Kar ten aus, die mich zu Kar la Saara nen führ ten. Und die ses Blatt be gann ich aus zu spie len, vom ers ten Mo ment an, als ich in ihre grü nen Au gen blick te. So be ginnt die-se Ge schich te also wie al les an de re – mit ei ner Frau, ei ner Stadt und ein klein we nig Glück.

Was ich zu erst be merk te, an je nem ers ten Tag in Bom bay, war der be-son de re Ge ruch der Luft. Ich roch sie be reits, be vor ich In di en sah oder hör te, roch sie schon in dem Kor ri dor, der das Flug zeug wie eine Na bel-schnur mit dem Ge bäu de ver band. Be rauscht von der wei ten Welt und mei ner Flucht aus dem Ge fäng nis, fand ich den Ge ruch auf re gend und wun der bar, doch ich konn te ihn nicht deu ten. Heu te weiß ich, dass es der süße, saf ti ge Duft der Hoff nung ist, des Ge gen teils von Hass; und es ist der säu er li che sti cki ge Ge ruch der Gier, des Ge gen teils von Lie be. Es ist der Ge ruch von Göt tern, Dä mo nen, Welt rei chen und Kul tu ren in ih-rer Wie der auf er ste hung und ih rem Ver fall. Es ist der blaue Haut ge ruch des Mee res, all ge gen wär tig in der In sel stadt, und der blu tig-me tal li sche Ge ruch von Ma schi nen. Die Luft riecht nach der Un ru he und dem Schlaf und dem Un rat von sech zig Mil li o nen Tie ren, von de nen mehr als die Hälf te Men schen und Rat ten sind. Sie riecht nach ge bro che nen Her zen, dem Kampf ums Über le ben und den ent schei den den Irr we gen und Lie-ben, aus de nen un ser Mut er wächst. Sie riecht nach zehn tau send Res-tau rants, fünf tau send Tem peln, Schrei nen, Kir chen und Mo scheen und nach hun dert Ba sa ren, in de nen es nur Duft was ser, Ge wür ze, Räu cher-werk und fri sche Blu men zu kau fen gibt. Kar la nann te die sen Ge ruch ein mal den übels ten Wohl ge ruch der Welt, und da mit hat te sie recht, so wie sie auf ihre Art im mer recht hat. Und wenn ich heu te nach Bom bay zu rück keh re, ist es die ser Ge ruch, vor al lem an de ren, der mich will kom-men heißt und mir be deu tet, dass ich wie der zu Hau se bin.

Dann erst be merk te ich die Hit ze. Ich stand in ei ner Schlan ge, der kli-ma ti sier ten Flug zeug luft kaum fünf Mi nu ten ent wöhnt, und die Klei der

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kleb ten mir am Leib. Mein Herz häm mer te. Je der Atem zug war ein zor-ni ger klei ner Sieg. Bald wuss te ich, dass der Dschun gel schweiß nie ver-siegt, weil die Hit ze, die Tag und Nacht die Stadt re giert, eine feuch te Hit ze ist. Die er sti cken de Feuch tig keit ver wan delt uns alle in Bom bay in Am phi bi en, die mit der Luft gleich zei tig auch Was ser at men; man lernt in die sem Zu stand zu le ben und be ginnt ihn zu mö gen. Oder man ver-lässt Bom bay.

Und dann wa ren da die Men schen. As same sen, Jats und Punj abis; Men schen aus Ra jas than, Ben gal und Ta mil Nadu; aus Push kar, Co chin und Kon arak; An ge hö ri ge der Krie ger kas te, Brah ma nen und Un be rühr-bare; Hin dus, Mus lime, Chris ten, Bud dhis ten, Par sen, Ja inas, Ani mis ten; hel le und dunk le Haut, grü ne und gold brau ne und schwar ze Au gen; jeg li-che Ge sichts form die ser ver schwen de ri schen Viel falt, die ser un ver gleich-li chen Schön heit, In di en.

All die Mil li o nen Ein woh ner von Bom bay, und noch ein wei te rer. Die bei den bes ten Freun de des Schmugg lers sind das Maul tier und das Ka­mel. Maul tie re trans por tie ren hei ße Ware durch die Grenz kont rol le. Ka-me le sind ah nungs lo se Tou ris ten, die dem Schmugg ler be hilf ich sind, über die Gren ze zu kom men. Wenn sie mit fal schen Pa pie ren rei sen, hef-ten sich Schmugg ler zur Tar nung an an de re Rei sen de – die Ka me le –, die sie dann durch Flug ha fen- oder Grenz kont rol len schleu sen, ohne es zu ah nen.

Von all dem wuss te ich da mals nichts. Die Schmugg ler kunst er lern te ich erst vie le Jah re spä ter. Bei die ser ers ten Rei se nach In di en folg te ich nur mei nem Ins tinkt und schmug gel te nur eine ein zi ge Ware: mein Selbst, mei ne zer brech li che und ge hetz te Frei heit. Ich hat te ei nen ge fälsch ten neu see län di schen Pass bei mir, mit mei nem Foto an stel le des Ori gi nals. Das Pass bild hat te ich selbst aus ge tauscht, und die Fäl schung war al-les an de re als ma kel los. Bei ei ner Rou ti ne kont rol le kam ich wohl da mit durch, aber wenn je mand Ver dacht schöpf te und bei der neu see län di-schen Hoch kom mis si on nach frag te, wür de die Fäl schung so fort auf fie-gen. Auf dem Flug von Auck land nach In di en streif te ich durch die Rei-hen und hielt Aus schau nach ge eig ne ten Neu see län dern. Ich stieß auf eine klei ne Grup pe Stu den ten, die be reits zum zwei ten Mal auf den Sub-kon ti nent reis ten. Ich dräng te sie, mir von ih ren Er fah run gen zu be rich-ten und mir Rei se tipps zu ge ben, und schloss mich ih nen an, als wir von

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Bord gin gen. So kam ich un be hin dert durch die Flug ha fen kont rol le. Die An ge stell ten nah men an, dass ich zu die ser fröh li chen, harm lo sen Rei se-grup pe ge hör te, und blick ten nur füch tig auf mei nen Pass.

Al lein dräng te ich mich durch das Ge tüm mel im Flug ha fen nach drau-ßen und trat in die ste chen de Son ne, be rauscht und be fü gelt: wie der eine Wand be zwun gen, eine Gren ze pas siert, ei nen Tag und eine Nacht ge-won nen, um zu füch ten, um mich zu ver ste cken. Fast zwei Jah re wa ren ver gan gen, seit ich aus dem Ge fäng nis ge fo hen war, aber wer ein mal auf der Flucht ist, der füch tet wei ter, Tag und Nacht. Ich war nicht wirk lich frei, nie mals wirk lich frei, doch al les Neue be deu te te mir Hoff nung und angst vol le Auf re gung: ein neu er Pass, ein neu es Land, neue Li ni en der Furcht in mei nem jun gen Ge sicht, un ter den grau en Au gen. Nun stand ich da, un ter der blau en Him mels scha le über Bom bay, und mein Herz war so rein und hung rig nach Ver hei ßun gen wie ein Mon sun mor gen in den Gär ten von Mala bar.

»Sir, Sir!«, rief eine Stim me hin ter mir.Eine Hand pack te mei nen Arm. Ich er starr te. Spann te je den Mus kel

an und ver biss mir die Angst. Nicht ren nen. Kei ne Pa nik. Ich wand te mich um.

Vor mir stand ein klei ner Mann in ei ner schmud de li gen brau nen Uni-form, mei ne Gi tar re im Arm. Er war nicht nur klein, son dern ge ra de zu win zig, ein Zwerg mit gro ßem Kopf und der er staun ten Un schuld des Down-Synd roms in den Ge sichts zü gen. Er streck te mir die Gi tar re hin.

»Ihre Mu sik, Sir. Sie ver lie ren Ihre Mu sik, oder?«Es war tat säch lich mei ne Gi tar re. Ich hat te sie of fen bar an der Ge päck-

aus ga be ste hen las sen. Wo her der klei ne Mann wuss te, dass sie mir ge-hör te, war mir ein Rät sel. Ich lä chel te, ver blüfft und er leich tert, und der Mann grins te mich mit die ser ab so lu ten Arg lo sig keit an, die wir fürch ten und als be schränkt be zeich nen. Als er mir die Gi tar re reich te, fiel mir auf, dass er Schwimm häu te zwi schen den Fin gern hat te, wie ein Stelz vo gel an den Fü ßen. Ich zog ein paar Geld schei ne aus der Ta sche und hielt sie ihm hin, doch er stol per te auf sei nen di cken Bei nen un ge lenk rück wärts.

»Nicht Geld!«, sag te er. »Wir sind hier, zu hel fen, Sir. Will kom men in In di en.« Dann trot te te er da von und ver schwand in dem Men schen di-ckicht auf der un be fes tig ten Stra ße.

Ich kauf te mir ein Ti cket, um mit dem Veter ans’ Bus Ser vice, der von

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Exsol da ten der in di schen Ar mee be trie ben wur de, in die Stadt zu fah-ren. Nach dem ich ge se hen hat te, wie mein Ruck sack und mei ne Rei se-ta sche mit un be küm mer ter Acht lo sig keit ziel si cher auf den Ge päck berg auf dem Dach des Bus ses ge schleu dert wur den, be schloss ich, mei ne Gi-tar re bei mir zu be hal ten. Ich ließ mich auf der Rück bank im hin te ren Teil des Bus ses nie der, und zwei lang haa ri ge Rei sen de setz ten sich zu mir. Der Bus füll te sich rasch mit In dern und jun gen Aus län dern, die bil lig rei sen woll ten.

Als er fast voll war, wand te sich der Fah rer um, blick te dro hend in die Run de, spuck te ei nen Strahl leuch tend ro ten Be tel safts durch die of fe ne Tür und tat die be vor ste hen de Ab fahrt kund.

»Thik hain, chal lo!«Der Mo tor er wach te grol lend zum Le ben, das Ge trie be knirsch te und

krach te, und schon ras ten wir mit be ängs ti gen dem Tem po durch Men-schen men gen aus Ge päck trä gern und Fuß gän gern, die ge ra de noch bei-sei tesprin gen, -hüp fen oder -hum peln konn ten und da bei vom Schaff ner, der auf der un ters ten Tritt stu fe des Bus ses hock te, mit ei ner Ti ra de er le-se ner Schmä hun gen be dacht wur den.

Die Fahrt vom Flug ha fen in die Stadt be gann auf ei ner mo der nen, von Sträu chern und Bäu men ge säum ten Au to bahn, die mich an die ak ku ra te und funk ti o na le Ge gend am Flug ha fen mei ner Hei mat stadt Mel bourne er in ner te. Als sich die Stra ße dann aber un ver se hens ver eng te, wur de die-ser ver trau te Ef fekt so plötz lich und so nach hal tig zer stört, als ge schä he das mit Kal kül. Denn als aus den vie len Spu ren der Au to bahn eine ein-zi ge wur de, als die Bäu me ver schwan den und die Slums in Sicht ka men, pack ten die Klau en der Scham mein Herz.

Wie schwarz brau ne Dü nen un ter fir ren den stau bi gen Luft schwa den er streck ten sich die Slums mei len weit. Die elen den Hüt ten wa ren dicht ne ben ei nan der aus Lum pen, Plas tik stü cken und Papp fet zen, aus Schilf-mat ten und Bam bus stä ben er rich tet wor den und durch schma le Wege ver bun den. Bis zum Ho ri zont war nichts zu se hen, das hö her ge we sen wäre als ein Mensch.

Es schien mir un fass bar, dass ein mo der ner Flug ha fen vol ler wohl-ha ben der ziel stre bi ger Men schen nur we ni ge Ki lo me ter von die sen zu Schutt und Asche zer fal le nen Träu men ent fernt sein konn te. Mein ers-ter Ge dan ke war, dass es hier eine Ka tas trophe ge ge ben ha ben muss-

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te und die Slums Flücht lings la ger für die Über le ben den wa ren. Mo na-te spä ter soll te ich er fah ren, dass die Men schen in den Slums in der Tat Über le ben de wa ren; die Ka tas trophen, die sie aus ih ren Dör fern hier her ge trie ben hat ten, hie ßen Ar mut, Hun gers not und Blut ver gie ßen. Und jede Wo che tra fen fünf tau send wei te re Men schen ein, Wo che für Wo-che, Jahr um Jahr.

Als drau ßen ki lo me ter lang nur Slums zu se hen wa ren, als aus Hun-der ten von Men schen Tau sen de und Aber tau sen de wur den, wand sich mein Ge wis sen in Qua len. Ich fühl te mich von mei ner ei ge nen Ge sund-heit und dem Geld in mei nen Ta schen ge schän det. Wenn man sie über-haupt spürt, die se ers te Be geg nung mit dem Elend die ser Welt, emp fin det man eine pei ni gen de Schuld. Ich hat te Ban ken über fal len und Dro gen ver kauft, und ich war von Ge fäng nis wär tern ge schla gen wor den, bis mir die Kno chen bra chen. Ich war nie der ge sto chen wor den und hat te an de re nie der ge sto chen. Ich war aus ei nem bru ta len Ge fäng nis vol ler bru ta ler Män ner ge füch tet, auf die har te Tour – über die Front mau er. Und den-noch war die se ers te Be geg nung mit dem gren zen lo sen Elend der Slums, mit die sem er bar mungs lo sen Kum mer bis zum Ho ri zont, wie ein Schnitt ins Herz und in die Au gen. Eine Wei le lief ich in Mes ser klin gen.

Dann famm te die Glut aus Scham und Schuld ge füh len auf, wur de zu Zorn, zu ra sen der Wut über die se Un ge rech tig keit: Was für eine Re gie­rung, was für ein Sys tem, dach te ich, dul det sol ches Leid?

Doch dort drau ßen nah men die Slums kein Ende, wur den nur hie und da ver höhnt durch klei ne fo rie ren de Ge schäf te und he run ter ge kom me-ne, halb über wu cher te Wohn häu ser der ver gleichs wei se Wohl ha ben den. Die Slums wa ren end los, und so er lahm te mein in ne rer Wi der stand, und ich be gann mit an de ren Au gen zu se hen. Ich nahm nicht mehr nur die End lo sig keit der Slums wahr, son dern die Men schen, die dort leb ten. Eine Frau beug te sich vorn ü ber, um ihre sei di gen schwar zen Haa re zu bürs ten. Eine an de re Frau wusch ihre Kin der mit Was ser aus ei ner Kup fer scha le. Ein Mann trieb drei Zie gen vo ran, an de ren Hals bän dern rote Schlei fen be fes tigt wa ren. Ein an de rer Mann ra sier te sich vor ei ner Spie gel scher-be. Über all spiel ten Kin der. Män ner schlepp ten Was ser ei mer. Män ner bes ser ten eine Hüt te aus. Und wo mein Blick auch hin fiel, sah ich Men-schen lä cheln und la chen.

Der Bus muss te in ei nem Stau an hal ten, und vor mei nem Fens ter trat

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ein Mann aus ei ner der Hüt ten. Er war Aus län der, so bleich wie alle Frem den im Bus, und hat te nur ein Tuch mit Hi bis kus blü ten mus ter um die Hüf te ge schlun gen. Er reck te sich, gähn te und kratz te sich ge dan ken-ver lo ren am Bauch. Auf eine ein fäl ti ge Art wirk te er froh und zu frie den, und ich be nei de te ihn um sei ne Ge las sen heit und das Lä cheln, mit dem ihn die Vo rü ber ge hen den be grüß ten.

Als der Bus sich ruck ar tig wie der in Be we gung setz te, ver lor ich den Mann aus den Au gen. Doch sein An blick hat te mei ne Ein stel lung zu den Slums von Grund auf ver än dert. Er ge hör te die ser Welt eben so we-nig an wie ich, und un will kür lich sah ich mich nun an sei ner Stel le. Was un fass bar fremd für mich ge we sen war, er schien mir plötz lich mög lich, vor stell bar und zu letzt fas zi nie rend.

Nun ach te te ich noch mehr auf die ein zel nen Men schen, und ich sah, wie ge schäf tig sie wa ren – wie sehr ihr Fleiß und ihre Ener gie ihr Le ben be stimm ten. Hie und da konn te ich in eine der Hüt ten bli cken und sah dort die er staun li che Sau ber keit der Ar mut: frisch ge kehr te Bö den, or-dent lich ge sta pel te, schim mern de Koch töp fe. Und dann, ganz zu letzt, fiel mir auf, was ich gleich zu An fang hät te be mer ken müs sen: die Schön-heit die ser Men schen. In Pur pur, Blau und Gold ge hüll te Frau en; Frau-en, die mit ru hi ger, er ha be ner An mut durch die se ärm li che Um ge bung schrit ten; die Wür de der Män ner mit ih ren blen dend wei ßen Zäh nen und man del för mi gen Au gen; die herz li che Aus ge las sen heit und die lie be vol le Ka me rad schaft der fein glied ri gen Kin der: Äl te re spiel ten mit jün ge ren, und vie le tru gen ein Ge schwis ter kind auf der Hüf te um her. Nach ei ner hal ben Stun de Bus fahrt lä chel te ich zum ers ten Mal.

»Ist echt nicht schön«, sag te der jun ge Mann ne ben mir, als er durchs Fens ter schau te. Das auf ge stick te Ahorn blatt an sei ner Ja cke wies ihn als Ka na di er aus: groß und breit schult rig, hel le Au gen, schul ter lan ge brau ne Haa re. Sein Be glei ter wirk te wie eine klei ne re kom pak te re Aus ga be sei-nes Freun des – die bei den tru gen so gar die sel ben künst lich ver wa sche nen Jeans, die sel ben San da len und wei chen Baum woll ja cken.

»Wie war das?«»Zum ers ten Mal hier?«, frag te er. Ich nick te. »Dach te ich mir. Kei-

ne Sor ge, ab jetzt wird’s et was bes ser. Nicht ganz so vie le Slums und so. Aber toll ist es nir gend wo in Bom bay. Die fer tig ste Stadt der Welt, sag ich dir.«

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»Stimmt«, pfich te te ihm der an de re bei.»Wo wir gleich hin kom men, gibt’s ein paar hüb sche Tem pel und ein

paar gro ße bri ti sche Ge bäu de, die okay sind – mit Stein lö wen und Mes-sing la ter nen und so. Aber das ist nicht In di en. Das rich ti ge In di en ist am Hi mal aya, in Man ali oder in der hei li gen Stadt Varan asi oder an der Küs te, in Ker ala. Du musst raus aus der Stadt, wenn du das ech te In di-en er le ben willst.«

»Und wo hin seid ihr un ter wegs?«»Wir wol len zu ei nem Ash ram«, er klär te der Klei ne re. »Der von den

Rajneesh-Leu ten, in Po ona. Das ist der bes te Ash ram im gan zen Land.«Zwei Paar blass blau er Au gen starr ten mich mit dem an kla gen den

Zwei fel all je ner an, die über zeugt da von sind, den ein zi gen Weg zur Wahr heit ge fun den zu ha ben.

»Checkst du ein?«»Wie?«»Checkst du in Bom bay in ein Ho tel ein, oder bist du nur auf der

Durch rei se?«»Ich weiß noch nicht«, ant wor te te ich und sah wie der zum Fens ter hi-

naus. Das stimm te; ich wuss te nicht, ob ich eine Wei le in Bom bay blei-ben oder wei ter fah ren woll te … ir gend wo hin. Ich wuss te es nicht, und es war mir nicht wich tig. In die sem Au gen blick war ich, was Kar la ein-mal das ge fähr lichs te und fas zi nie rend ste Tier der Welt nann te: ein mu-ti ger har ter Mann ohne Ziel. »Ich hab noch kei ne Plä ne. Aber ich werd viel leicht eine Wei le blei ben.«

»Also, wir über nach ten und fah ren mor gen mit dem Zug wei ter. Wenn du willst, kön nen wir uns zu sam men ein Zim mer neh men. Für drei ist es bil li ger.«

Ich blick te in die se arg lo sen blau en Au gen. Wäre viel leicht nicht dumm, mit de nen ein Zim mer zu tei len, dach te ich. Ihre le ga len Pa pie re und ihr freund li ches Lä cheln wür den von mei nem ge fälsch ten Pass ab len ken. Viel leicht war das si che rer.

»Und es ist auch si che rer«, füg te er hin zu.»Stimmt«, pfich te te sein Freund ihm bei.»Si che rer?«, frag te ich mit ei ner Läs sig keit, die ich nicht emp fand.Der Bus fuhr jetzt lang sam zwi schen drei- und vier stö cki gen Häu-

sern hin durch. Auf wun der sa me Art wälz te sich der Ver kehr rei bungs los

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durch die Stra ßen – ein wil der Tanz von Bus sen, Last wa gen, Fahr rä dern, Au tos, Och sen kar ren, Mo tor rol lern und Fuß gän gern. Durch die of fe nen Fens ter un se res klapp ri gen Bus ses dran gen in ei ner hit zi gen, aber nicht un an ge neh men Mi schung die Ge rü che von Ge wür zen, Duft was sern, Die-sel ab ga sen und Och sen mist he rein, und über die Klän ge frem der Mu sik er hob sich Stim men ge wirr. Über all sah man gi gan ti sche Wer be pla ka te für in di sche Fil me, und die künst li chen Far ben der Bil der zo gen hin ter dem son nen brau nen Ge sicht des gro ßen Ka na di ers vor bei.

»Ja, klar, viel si che rer. Das hier ist Got ham City, Mann. So schnell, wie die Stra ßen kin der dir das Geld aus der Ta sche zie hen, kannst du gar nicht gu cken.«

»Eben ty pisch Groß stadt, Mann«, er gänz te der Klei ne re. »Gro ße Städ-te sind doch im mer alle gleich – New York, Rio oder Pa ris –, über all ist es dre ckig, und über all sind die Leu te ver rückt. Ty pisch Groß stadt, ver-stehst du? Der Rest von In di en wird dir be stimmt ge fal len. Ein tol les Land, aber die Städ te sind echt am Arsch, kann ich nur sa gen.«

»Und die ver fuch ten Ho tels gleich mit«, er gänz te der an de re. »Die neh men dich aus, nur weil du in dei nem Ho tel zim mer hockst und ein biss chen Gras rauchst. Die ste cken mit den Bul len un ter ei ner De cke, die dich dann ver haf ten und dir dei ne gan ze Koh le weg neh men. Am si chers-ten ist es, wenn man zu meh re ren ist und zu sam menbleibt, das kannst du mir glau ben.«

»Und wenn man so schnell wie mög lich aus den Städ ten ab haut«, sag-te der Klei ne re. »Ver fuch te Schei ße, hast du das ge se hen?«

Der Bus war auf dem brei ten Bou le vard in eine Kur ve ge bo gen, in der gro ße Fels blö cke wie zu fäl lig am tür kis blau en Meer ver streut la gen. Auf die sen Fel sen hock te eine klei ne Ko lo nie schwar zer halb ver fal le ner Slumhüt ten wie das Wrack ei nes düs te ren Schiffs aus ur al ter Zeit. Die Hüt ten brann ten.

»Ver fluch te Schei ße! Schau dir das an! Der Typ brut zelt, Mann!«, schrie der gro ße Ka na di er und deu te te auf ei nen Mann, der mit bren-nen den Klei dern und Haa ren zum Meer rann te. Er stol per te und stürz-te zwi schen den gro ßen Fels blö cken zu Bo den. Eine Frau und ein Kind hol ten ihn ein und er stick ten die Flam men mit ih ren Klei dern und Hän-den. An de re ver such ten, das Feu er in ih ren ei ge nen Hüt ten zu lö schen oder stan den ein fach nur da und sa hen zu, wie ihre dürf ti gen Be hau sun-

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gen in Flam men auf gin gen. »Habt ihr das ge se hen? Der Typ ist hi nü ber, das sag ich euch.«

»Glaub ich auch!«, keuch te der an de re er schro cken.Un ser Bus hat te das Tem po ver lang samt, wie die an de ren Fahr zeu-

ge auch, be schleu nig te jetzt je doch wie der. Nie mand hielt an. Ich dreh-te mich um und schau te durchs Rück fens ter, bis die ver brann ten Hüt ten zu klei nen Punk ten wur den und der brau ne Qualm des Brands nur noch ein Hauch von Ver der ben war.

Am Ende des lan gen Küs ten bou le vards bog der Bus lin ker Hand in eine brei te Stra ße mit mo der nen Ge bäu den ein. Ich sah ex klu si ve, von Gär-ten um ge be ne Res tau rants ne ben ele gan ten Ho tels, vor de nen liv rier te Pa gen un ter bun ten Mar ki sen war te ten. Die Son ne glit zer te in den Glas- und Mes sing fas sa den von Flug ge sell schaf ten und an de ren Un ter neh men. Stra ßen stän de schütz ten sich mit bun ten Schir men vor der Mor gen son-ne. Die männ li chen In der, die hier un ter wegs wa ren, tru gen fes te Le der-schu he und west li che An zü ge, die Frau en teu re Sei den kos tü me. Sie alle wirk ten ef fek tiv und nüch tern und streb ten mit erns ter Mie ne den ho-hen Bü ro ge bäu den zu.

Über all stieß ich auf den Ge gen satz zwi schen dem Ver trau ten und dem Au ßer ge wöhn li chen. An ei ner Am pel stand ein Och sen kar ren ne-ben ei nem mo der nen Sport wa gen. Hin ter ei ner Sa tel li ten schüs sel ging ein Mann in die Ho cke, um sein Ge schäft zu ver rich ten. Mit ei nem elekt ri-schen Ga bel stap ler wur den Wa ren von ei nem al ter tüm li chen Kar ren mit Holz rä dern he run terge ho ben. Es kam mir vor, als sei eine schwer fäl li ge, un er müd li che, fer ne Ver gan gen heit durch die Gren zen der Zeit in ihre ei ge ne Zu kunft ein ge bro chen. Das ge fiel mir.

»Wir sind gleich da«, ver kün de te der gro ße Ka na di er. »Ein paar Stra-ßen wei ter ist das Zent rum. Al ler dings nicht wirk lich die City, eher die Tou ris ten mei le, wo es bil li ge Ho tels gibt. Der letz te Halt. Col aba heißt das Vier tel.«

Die bei den jun gen Män ner zo gen ihre Päs se und Rei se schecks aus ih ren Ta schen und ver stau ten sie vor ne in ih rer Hose. Der Klei ne re nahm so gar sei ne Uhr ab und ließ sie mit samt Geld, Pass und an de ren Wert sa chen in sei ner Un ter ho se ver schwin den. Als er merk te, dass ich ihn be ob ach te te, grins te er und sag te: »Hey, man kann nicht vor sich tig ge nug sein, Mann.«

Ich stand auf und schob mich zum Aus gang. Als der Bus an hielt, stand

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ich ganz vor ne an der Tür, aber eine Men schen men ge hin der te mich am Aus stei gen. Die Män ner, die sich vor dem Bus dräng ten, wa ren Schlep-per, die für Ho tel be sit zer, Dro gen händ ler und an de re Ge schäfts leu te im Ein satz wa ren. Sie schrien uns in ge bro che nem Eng lisch An ge bo te für güns ti ge Ho tel zim mer und bil li ge Wa ren zu. Ganz vor ne be fand sich ein klei ner Mann mit ei nem gro ßen, bei na he ku gel run den Kopf. Er trug ein Jeans hemd und eine blaue Baum woll ho se. Ihm ge lang es, die an de ren zum Schwei gen zu brin gen. Dann sprach er mich an, mit dem brei tes ten und strah lends ten Lä cheln, das ich je mals ge se hen hat te.

»Gu ter schö ner Mor gen, Sirs!«, be grüß te er uns. »Will kom men in Bom bay! Wol len Sie bil lig und pri ma Ho tel, nicht wahr?«

Er starr te mir di rekt in die Au gen, ohne dass sein Lä cheln sich ver-än der te. Et was in die sem Lä cheln – eine Art schel mi sche Le bens freu de, ehr li cher und be geis ter ter als Zu frie den heit – be rühr te mich zu tiefst. Es war das Werk ei ner Se kun de, die ser Blick kon takt. Und in die ser Se kun de kam ich zu dem Schluss, dass ich ihm ver trau te – die sem klei nen Mann mit dem gro ßen Lä cheln. Ich konn te es da mals noch nicht wis sen, aber das war eine der bes ten Ent schei dun gen mei nes Le bens.

Ei ni ge Leu te schlu gen nach den Män nern, als sie aus dem Bus stie gen. Die jun gen Ka na di er dräng ten sich un be hel ligt durch die Men ge und lä-chel ten die auf dring li chen Schlep per eben so freund lich an wie die ge reiz-ten Tou ris ten. Als ich sah, wie ru hig und ge las sen die bei den sich durch die se Men schen men ge be weg ten, fiel mir zum ers ten Mal auf, wie ge-sund und kraft voll und at trak tiv sie wirk ten. Und ich be schloss, auf ihr An ge bot ein zu ge hen und mit ih nen ein Zim mer zu neh men. Ihre Nähe wür de das Ver bre chen mei ner Flucht, das Ver bre chen mei ner Exis tenz un sicht bar ma chen.

Der klei ne Mann zog mich am Är mel hin ter den Bus. Un ter des sen klet-ter te der Schaff ner fink wie ein Affe aufs Dach und warf mir mei nen Ruck sack und mei ne Rei se ta sche in die Arme. An de re Ta schen lan de ten mit be un ru hi gen dem Kra chen und Klat schen un sanft auf dem Bo den. Wäh rend an de re Fahr gäs te an ge rannt ka men, um der Miss hand lung ih-res Ge päcks Ein halt zu ge bie ten, zog mich der klei ne Mann zu ei ner ru-hi ge ren Stel le ein paar Me ter vom Bus ent fernt.

»Hei ße ich Pra ba ker«, stell te er sich in me lo di schem Eng lisch vor. »Wie ist er Ihr gu ter Name?«

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»Lind say«, sag te ich; der Name aus mei nem fal schen Aus weis.»Bin ich Bom bay Füh rer. Sehr erst klas sig Bom bay Füh rer bin ich. Al les

das Bom bay ken ne ich sehr, sehr gut. Wol len Sie al les se hen? Weiß ich, wo Sie fin den das Bes te von al les. Kann ich so gar mehr zei gen als al les.«

Die bei den Ka na di er stie ßen zu uns, im Ge fol ge eine Schar hart nä-cki ger Füh rer und Schlep per. Pra ba ker schrie sei ne Kol le gen an, die da-rauf hin ein paar Schrit te Ab stand nah men und be gehr lich un ser Ge päck be äug ten.

»Was ich jetzt ger ne so fort se hen wür de«, sag te ich, »ist ein bil li ges und sau be res Ho tel zim mer.«

»Oh, ist es das kein Prob lem, Sir!«, strahl te Pra ba ker. »Kann ich Sie brin gen zu bil li ges Ho tel und sehr bil li ges Ho tel und zu ein zu viel bil-li ges Ho tel und so gar zu so bil li ges Ho tel, wo nur wohnt, wenn man ist ganz ver rückt im Kopf.«

»Okay, ge hen wir, Pra ba ker. Schau en wir uns das mal an.«»Hey, Au gen blick mal«, warf der gro ße Ka na di er ein. »Willst du die-

sem Ty pen Geld ge ben? Ich weiß sel ber, wo die Ho tels sind. Sor ry, Kum-pel – ich mei ne, du bist be stimmt ein gu ter Füh rer und so –, aber wir brau chen dich nicht.«

Ich sah Pra ba ker an. In sei nen gro ßen brau nen Au gen lag ein La chen, als er mich ein ge hend be trach te te. Nie mals habe ich ei nen Mann ge-kannt, der we ni ger Feind se lig keit in sich trug als Pra ba ker Khar re. Er war au ßer stan de, je man dem et was zu lei de zu tun, und das spür te ich schon da mals, in die sen ers ten Mi nu ten mit ihm.

»Brau che ich Sie, Pra ba ker?«, frag te ich mit ge spiel tem Ernst.»Oh ja!«, rief er aus. »Brau chen Sie mich so sehr, dass ich muss bei-

nahe wei nen für Sie! Weiß das nur Gott, was pas sie ren für ganz schreck-li che Sa chen, wenn Sie nicht ge führt sind von mein gute Selbst in Bom bay!«

»Ich be zah le ihn«, sag te ich zu den Ka na di ern. Die zuck ten die Ach seln und grif fen nach ih rem Ge päck. »Okay. Ge hen wir, Pra ba ker.«

Ich hob mei nen Ruck sack hoch, aber Pra ba ker pack te ihn has tig.»Tra ge ich Ihr Ge päck«, ver kün de te er höf ich.»Nein dan ke, es geht schon.«An statt des strah len den Lä chelns be kam ich nun eine be stürz te und

bit ten de Mie ne zu se hen.

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»Bit te, Sir. Ist es das mei ne Ar beit. Ist mei ne Pficht. Habe ich viel star-ke Rü cken. Kein Prob lem. Schau en Sie.«

Ich fand die Vor stel lung un er träg lich.»Nein, wirk lich …«»Bit te, Mr. Lind say, ist es das eine Ehre für mich. Se hen Sie Leu te.«Er wies mit der Hand auf die Schlep per und Füh rer, de nen es ge lun gen

war, Kun den zu er gat tern. Je der von ih nen schlepp te nun ein Ge päck-stück und mar schier te ent schlos sen in den mör de ri schen Ver kehr hi nein, sei ne Kund schaft im Ge fol ge.

»Also gut …«, mur mel te ich wi der wil lig. Dies war mei ne ers te von zahl lo sen Ka pi tu la ti o nen, die sich im Lau fe der Zeit zwi schen uns ab-spie len soll ten. Das strah len de Lä cheln kehr te auf Pra ba kers Ge sicht zu rück, und er hievte mei nen Ruck sack hoch und be fes tig te mit mei ner Hil fe die Schul ter rie men. Der Ruck sack war so schwer, dass Pra ba ker ihn nur leicht ge bückt auf a den konn te und ins Schwan ken ge riet, als er los mar schier te. Ich hol te ihn rasch ein und blick te in sein an ge streng tes Ge sicht. Ich kam mir vor wie ein wei ßer bwana, der ei nen Men schen als Last tier be nutzt, und fand das Ge fühl wi der wär tig.

Doch die ser klei ne in di sche Mann lach te nur, er zähl te in ei nem nicht en den wol len den Re de schwall von Bom bay und wies mich auf Se hens-wer tes hin. Mit den bei den Ka na di ern un ter hielt er sich mit er le se ner Höf ich keit. Er lä chel te und rief un ter wegs Be kann ten Grü ße zu. Und er war stark, viel kräf ti ger, als ich ge glaubt hät te: Wäh rend des fünf zehn-mi nüti gen Marschs zum Ho tel blieb er nicht ein Mal ste hen.

Vier stei le Stie gen in ei nem mod ri gen düs te ren Trep pen haus im hin-te ren Teil ei nes gro ßen Ge bäu des am Meer brach ten uns schließ lich ins Fo yer des In dia Guest House. An je dem Stock werk sa hen wir ein an de-res Schild – Aps ara Ho tel, Star of Asia Guest House, Sea shore Ho tel –, was da rauf schlie ßen ließ, dass es in die sem Ge bäu de auf je der Eta ge ein se pa ra tes Ho tel mit ei ge ner Be leg schaft und ei ge nem Stil gab.

Die bei den Ka na di er, Pra ba ker und ich platz ten mit un se ren Ta schen und Ruck sä cken in den en gen Emp fangs raum. Ein gro ßer mus ku lö ser In-der mit blen dend wei ßem Hemd und schwar zer Kra wat te saß hin ter ei-nem Stahl tisch am An fang des Kor ri dors, der zu den Gäs te zim mern führ te.

»Will kom men«, sag te er mit vor sich ti gem Lä cheln. »Will kom men, jun-ge Her ren.«

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»Ziem li che Ab stei ge«, mur mel te der gro ße Ka na di er mit ei nem Blick auf die ab blät tern de Far be an den Wän den und die Trenn wän de aus Bil-lig fur nier.

»Ist das Mr. An and«, warf Pra ba ker rasch ein. »Ist er bes ter Chef von bes tes Ho tel in Col aba.«

»Schluss da mit, Pra ba ker!«, knurr te Mr. An and.Pra ba kers Lä cheln ge riet noch brei ter.»Se hen Sie, wie er ist pri ma Chef die ser Mr. An and?«, raun te er und

grins te mich ver schwö rer isch an. Dann wand te er sich lä chelnd dem pri-ma Chef zu. »Bring ich drei groß ar ti ge Tou ris ten zu Ih nen, Mr. An and. Al ler bes te Kun den für all er bes tes Ho tel, nicht wahr?«

»Ich hab ge sagt, du sollst den Mund hal ten!«, fauch te An and.»Wie viel?«, frag te der klei ne re Ka na di er.»Bit te?«, mur mel te An and und warf Pra ba ker ei nen fins te ren Blick

zu.»Drei Per so nen, ein Zim mer, eine Nacht, wie viel?«»Hun dert zwan zig Ru pien.«»Was?«, rief der Klei ne re em pört. »Soll das ein Witz sein?«»Das ist zu teu er«, füg te sein Freund hin zu. »Komm, lass uns ab-

hauen.«»Kein Prob lem«, knurr te An and. »Sie kön nen ger ne wo an ders hin ge-

hen.«Die Ka na di er grif fen nach ih rem Ge päck, aber Pra ba ker brach te sie

mit ei nem pa ni schen Auf schrei zum In ne hal ten.»Nein! Nein! Ist es dies das al ler schöns tes Ho tel! Bit te, gu cken Sie nur

an die Zim mer! Bit te, Mr. Lind say, gu cken Sie an die ses so viel hüb sches Zim mer! Gu cken Sie an das pri ma hüb sches Zim mer!«

Ein Schwei gen trat ein. Die bei den Ka na di er blie ben in der Tür ste-hen. An and stu dier te ein ge hend das Ho tel re gis ter. Pra ba ker hielt mich am Är mel fest. Der Füh rer er weck te mein Mit ge fühl, und der Ho tel chef rang mir Ach tung ab. An and wür de nicht bit ten oder uns von dem Zim-mer zu über zeu gen ver su chen. Wenn wir es woll ten, muss ten wir es zu sei nen Kon di ti o nen neh men. Als er von dem Re gis ter auf blick te, warf er mir ei nen fes ten ehr li chen Blick zu, ein auf rech ter Mann dem an de ren. Ich fing an ihn zu mö gen.

»Ich wür de es ger ne se hen, das hüb sche Zim mer«, sag te ich.

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»Ja!«, lach te Pra ba ker.»Na gut, dann los!«, seufz ten die Ka na di er lä chelnd.»Am Ende des Flurs«, sag te An and, eben falls lä chelnd, nahm ei nen

Schlüs sel mit ei nem schwe ren Mes sing an hän ger vom Brett hin ter sich und warf ihn mir zu. »Letz tes Zim mer rechts, mein Freund.«

In dem ge räu mi gen Zim mer stan den drei mit La ken be zo ge ne Ein zel-bet ten. Durch ei nes der Fens ter blick te man aufs Meer, durch die an de ren auf eine be leb te Stra ße. Jede Wand war in ei nem an de ren Kopf schmerz-grün ge stri chen, die De cke von Ris sen zer furcht. Der Be ton bo den wies son der ba re Wöl bun gen und Wel len auf und war zur Stra ßen sei te hin ab schüs sig. Von den Bet ten ab ge se hen, be stand das Mo bi li ar aus drei klei nen Sperr holz ti schen und ei ner ram po nier ten Holz kom mo de mit ge-sprun ge nem Spie gel. Di ver se Hin ter las sen schaf ten zeug ten vom Auf ent-halt ehe ma li ger Gäs te: eine Bai leys-Fla sche, in der eine ge schmol ze ne Ker ze steck te, ein Ka len der blatt mit ei ner Stra ßen sze ne aus Ne a pel an der Wand, zwei ein sa me schrum pe li ge Luft bal lons am De cken ven ti la tor. Es han del te sich um jene Art von Zim mer, die Men schen dazu ver an lasst, ihre Na men und ir gend wel che Bot schaf ten an die Wän de zu schrei ben, wie man es in ei ner Ge fäng nis zel le tut.

»Ich neh me es«, sag te ich.»Ja!«, schrie Pra ba ker und fitzte be geis tert den Flur ent lang in Rich-

tung Emp fangs raum.Die Ka na di er sa hen sich an und lach ten.»Die ser Typ ist nicht zum Aus hal ten. Der ist doch völ lig durch ge-

knallt«, äu ßer te der Gro ße.»Kann man so sa gen«, grins te der an de re, bück te sich und schnüf fel-

te an dem La ken auf ei nem Bett, be vor er sich vor sich tig da rauf nie der-ließ.

Pra ba ker kehr te mit An and zu rück, der das schwe re Ho tel re gis ter schlepp te. Wir schrie ben uns nach ei nan der ein, wäh rend An and un se re Päs se prüf te. Ich zahl te für eine Wo che im Vo raus. Dann gab An and den an de ren ihre Päs se zu rück, mei nen be hielt er je doch noch ei nen Mo ment in der Hand und klopf te sich nach denk lich da mit an die Wan ge.

»Neu see land?«, mur mel te er.»Ja«, sag te ich stirn run zelnd und frag te mich, ob er et was be merkt

hat te. Schließ lich war ich der meist ge such te Mann Aust ra li ens, ge füch-

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Gregory David Roberts

Shantaram

eBookISBN: 978-3-641-01217-5

Goldmann

Erscheinungstermin: März 2009

Ein Mann auf der Flucht – Eine Stadt, die nie schläft – Und die Gnade einer befreienden Liebe Shantaram erzählt in fiktionaler Form die Geschichte von Roberts’ eigenem Leben: Als derAustralier Lindsay in Bombay strandet, hat er zwei Jahre seiner Gefängnisstrafe abgesessenund ist auf der Flucht vor Interpol. Zu seinem Glück begegnet er dem jungen Inder Prabaker,der ihn unter seine Fittiche nimmt. Auf ihren Streifzügen durch die exotische Metropoleschließen die beiden eine innige Freundschaft. Von Prabaker lernt Lindsay nicht nur dieLandessprache, sondern auch, mit sich ins Reine zu kommen: Er wird zu „Shantaram“, einem„Mann des Friedens“ und kämpft für die Ärmsten der Armen. Doch dann verfällt Lindsay dergeheimnisvollen Karla, einer Deutsch-Amerikanerin mit dubiosen Kontakten zur Unterwelt … Ein Roman, so leidenschaftlich wie der Herzschlag Indiens, voller Wahrheit und Poesie.