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Leseprobe aus: ISBN: 978-3-499-63316-4 Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

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ISBN: 978-3-499-63316-4Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

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An Weihnachten machen wir uns alle Jahre wieder auf,um unsere Liebsten zu sehen. Meist ist schon die Anreisenervenzehrend, wenn zeitgleich gefühlt die halbe Republikunterwegs ist. Daheim angekommen, wird es nicht besser –davon erzählen diese Geschichten. Wir begegnen einergenervten Mutter, die sich dem Fest gänzlich verweigert;einem experimentierfreudigen Vater, der sich einen Jointwünscht und ihn bekommt; konservativen Kindern, denenTraditionen wichtiger sind als ihren Eltern; angespanntenPartnern, die das erste Mal auf die bucklige Verwandtschaftihrer besseren Hälfte treffen; und einem vergessenenJugendschwarm, der an Weihnachten unvermittelt imKrankenhaus auftaucht. Wären doch alle Überraschungenso gelungen!

Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Ergewann den Hamburger Satirikerpreis und den Preisdes Hamburger Senats. Für Rowohlt gibt er seit 2012die Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um diebucklige Verwandtschaft heraus.

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Dietmar Bittrich (Hg.)

Die bucklige Verwandtschaft –Driving Home for Christmas

Rowohlt Taschenbuch Verlag

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OriginalausgabeVeröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag,

Reinbek bei Hamburg, November 2017Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Umschlaggestaltung ZERO Media GmbH, MünchenUmschlagabbildung Patrick Wirbeleit

Satz aus der AdrianeGesamtherstellung CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978 3 499 63316 4

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Inhalt

InhaltTobias HaberlPaul BokowskiSandra GirodSören SiegAndré HerrmannSebastian SchnoyJudith LuigHelmut MaaßMichael Schweer-de BaillyKäthe LachmannMatthias GretzschelHilmar KluteKatrin SeddigTillmann PrüferStefan StutzKathrin WeßlingMaximilian ReichSven KummereinckeEmily PhilippiMonty ArnoldKirsten FuchsDietmar BittrichDie Autoren

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Tobias HaberlDie Weihnachtsverweigerin

Wenn es anfängt, frischer zu werden, also Ende August, An-fang September, kurz bevor in den Tchibo-Filialen die Ther-mounterwäsche ausliegt, geht bei meiner Mutter der Stresslos. Dann überlegt sie Tag und Nacht, was sie diesmal ver-ändern oder weglassen könnte, damit an Heiligabend jakeine feierliche Stimmung aufkommt, und je näher Weih-nachten rückt, desto angespannter wird sie, weil sie so vie-le Ideen hat, wie sie es dieses Jahr hinkriegen könnte, dieAdventszeit und vor allem den Jahrestag der Geburt JesuChristi so gewöhnlich ablaufen zu lassen, als handele essich um einen verregneten Dienstagnachmittag im März.

Warum sie das macht?Wir wissen es nicht, aber wir glauben, dass es mit ei-

ner Art beginnender Unlust zu tun hat, sich den Konventio-nen des Lebens anzupassen. Als Mädchen war sie auf einemKlosterinternat; sie hat Bratsche gespielt, in einem Stock-bett geschlafen, heimlich die Türklinke der Oberschwestermit Honig eingeschmiert und ihr Taschengeld bis zu demTag gespart, an dem sie mein Vater gefragt hat, ob sie ihnheiraten wolle, da war sie achtzehn.

Sie ist so seltsam, so zurückhaltend, ich kann mir nichtvorstellen, dass sie sich jemals einem Mann hingegebenhat, auf der anderen Seite gibt es ja mich, es muss also dochmal passiert sein. So oder so, sie hat gedient, gekocht, ge-wartet und auch sonst ein gottesfürchtiges Leben geführt,und jetzt ist sie 57 und mag nicht mehr. Es ist eine Art zwei-te Pubertät, eine Rebellion gegen das Leben, wie es nun malist, wenn man in einer Kleinstadt in Bayern lebt, in einemgroßen Haus am Waldrand mit Terrasse und einer Garage,

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in der, vorausgesetzt, man kann gut einparken, drei Autosnebeneinander Platz haben.

Es geht ihr nicht darum, Weihnachten vom Kitsch zu be-freien, das wäre ihr zu sentimental. Meine Mutter ist nichtsentimental. «Ihr mit eurem süßlichen Getue», das sagt sieoft.

Vor zwei Jahren hat sie das Jesuskindlein aus der Krippegenommen und kommentarlos als Kaminanzünder verwen-det. Man muss dazu sagen, dass der kleine Jesus zierlichund aus Holz war und erstaunlich schnell Feuer fing; völligunlogisch war die Sache also nicht, aber der Reihe nach.

Vor ein paar Jahren ging es los. Als Erstes mussten ihrSpritzgebäck, ihre Zimtsterne und Lebkuchen dran glau-ben.

«Seid mir nicht böse», sagte meine Mutter an einemFreitag im September, «aber dieses Jahr backe ich keinezehn Sorten mehr.» Der Stress und überhaupt, das sei dochalles ungesund, und sie wisse ja nicht, wie es uns gehe, abersie bekomme Sodbrennen von dem klebrigen Zeug.

«Wovon sprichst du?», fragte ich.«Keine zehn Sorten mehr», sagte sie und lenkte den tan-

nengrünen Mercedes in unsere Einfahrt. Das sei doch de-kadent, da könne sich ja kein Mensch entscheiden.

«Mama, alles gut?», fragte ich.Zehn Sorten würden auch gar nicht dem Zeitgeist ent-

sprechen. Weniger, langsamer, bewusster, das lese manüberall, man könne doch auch Butterkekse aus der Doseessen oder sich – vorausgesetzt, man habe überhaupt Hun-ger, denn auch das müsse ja nicht sein, wenn man ordent-lich gefrühstückt habe – ein Spiegelei braten.

Es gab dann schon noch Plätzchen, aber nur noch Ma-kronen, ein Jahr später gab es überhaupt keine mehr. An-fangs vermisste ich sie, nicht den Geschmack, ich mag ei-gentlich keine Plätzchen, ich vermisste eher die Tatsache,dass es welche gab, die Gewissheit, dass in den alten Blech-

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dosen meiner Oma, die auf der hölzernen Wendeltreppezum Speicher gestapelt waren, Süßigkeiten lagerten.

Meine Mutter – das muss an dieser Stelle gesagt wer-den – ist ein reizender, aber verwirrender Mensch mit ei-ner Vorliebe für absurde Ideen. Sie findet ihre Ideen nichtabsurd, eher hilfreich, manchmal auch praktisch, was sienur noch absurder macht. Im Vergleich zu meiner Mutterwar Dalí ein naturalistischer Landschaftsmaler, so absurdsind ihre Ideen. Sie ist die angesehenste Frau der Stadt, dieMenschen sagen Frau Doktor zu ihr, dabei ist sie gar keinDoktor, und das hindert sie nicht daran, seit Jahren meinealten Metal-T-Shirts anzuziehen. Darauf sind Totenschädelund umgedrehte Kreuze zu sehen, schreckliche Dinge, dieeinen heimsuchen, wenn man nachts nicht schlafen kann,aber das stört sie nicht.

«Die sind wie neu», sagt sie, «und passen mir wie ange-gossen.»

Die Menschen schauen sie irritiert an, wenn sie durchdie Straßen zum Metzger spaziert.

«Was glotzen die so?», hat sie mich mal gefragt.«Ich weiß es nicht, Mama», habe ich geantwortet, «ich

weiß es wirklich nicht.»Neulich hat sie einen Perserteppich für unser Wohnzim-

mer gekauft, handgeknüpft, aus Ghom-Seide, ein orientali-scher Traum. Es dauerte zwei Tage, da lag ein altes Bettla-ken drüber.

«So ist es besser», sagte sie, «so bleibt er wie neu.»Ich erinnere mich an eine Zeit, da ragten Blumen aus

schlanken asiatischen Vasen. Lange her. Sie ragten dannnoch ein paar Jahre aus Mineralwasserflaschen, irgend-wann gab es keine mehr.

«Warum Blumen kaufen, wenn man sie auch googelnkann?», sagte sie und sah mich mit einem Blick an, der mirdas sichere Gefühl gab, dass sie recht hatte und ich nurnicht clever genug war, um sie zu verstehen.

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Meine Mutter hat viel Geld – wie sonst könnte sie sicheinen Perserteppich kaufen? – , aber die größte Freude hatsie an Gegenständen, die sie nicht gebrauchen muss, diesich nicht abnutzen.

Viele Leute zeigen ihren Reichtum her, meine Mutterversteckt ihn, sogar vor sich selbst. Ihr Keller ist voller Anti-quitäten, die damit beschäftigt sind, so gut wie möglich er-halten zu bleiben, während ihr Haus mit IKEA-Möbeln voll-gestellt ist. Die sind zwar nicht schön, dafür haben sie Na-men. Ihr Bett heißt Malm.

Früher war das Schönste an Weihnachten die Zeit da-vor: Wenn ich beim Einschlafen an das Piratenschiff vonPlaymobil dachte, das ich zwischen den Apfelkisten im Kel-ler entdeckt hatte, wenn ich die Teigschüssel ausschleckenund mit meinem Vater frühmorgens durch den eisigen Waldstapfen durfte, um Moos für die Krippe zu sammeln. Ganzwichtig war, dass wir am Ende verschiedene Moossorten imKörbchen liegen hatten, Birnmoos, Kranzmoos, Quellmoos,Goldhaarmoos.

«Nur so sieht es echt aus», sagte mein Vater immer.Wenn wir zurückkamen, hatte meine Mutter jedes Mal

ein Räuchermännchen angezündet, und es duftete im gan-zen Haus nach Zimt und Äpfeln, von irgendwoher kam lei-se Musik. Es waren glückliche Jahre. Ich wurde reich be-schenkt, ich durfte Kinderpunsch trinken und so tun, alssei ich betrunken, und immer wenn die geizigen Tanten mitmeinen Cousins und Cousinen anrückten, versteckten wirdie Hälfte der Geschenke im Keller.

«Damit sie nicht neidisch werden», meinte mein Vater.Und dann fing meine Mutter an, das schöne Fest immer

weiter zurechtzustutzen, als sei Weihnachten ein Hippie,der dringend zu einem Internatsschüler gemacht werdenmuss. Sie machte es weniger opulent, weniger feierlich, we-niger süßlich. Es war, als wolle sie das ganze Fest abschaf-fen, das feierliche Getue, die beseelten Mienen, das sehn-

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süchtige Warten, dieses alljährlich wiederkehrende War-ten.

«Irgendwie ist es immer das Gleiche», sagte sie einesTages. Man wisse jedes Mal schon vorher, was als Nächsteskomme, die Kirche, das Essen, das Singen, die Bescherungund so weiter. Im Kino würde man in so einem Fall sein Geldzurückverlangen. Sie auf jeden Fall würde das tun.

Vor ein paar Jahren erwischte es die ersten Hirten. «Die-se riesige Krippe», jammerte sie. Ob es nicht auch eineNummer kleiner gehe, dann bräuchte man auch nicht soviel Moos, das bringe eh nur Ungeziefer ins Haus. Am Endeeinigten wir uns auf einen Kompromiss: Drei Hirten und einKamel mussten gehen, dafür durften die Heilige Familie,die Heiligen Drei Könige und ein paar Schafe bleiben. ImJahr darauf stand nur noch Melchior vor dem Stall, wiederein Jahr später landete Jesus im Kamin, und danach machtees irgendwie keinen Sinn mehr, an dieser schönen Traditionfestzuhalten. Eine Krippe ohne Jesuskind wäre wie ein Ja-mes Bond-Film ohne James Bond, man kann das schon ma-chen, aber irgendwas fehlt.

Irgendwann wollte sie nichts mehr geschenkt bekom-men. Sie habe doch alles, und ja, das stimmt, sie hat sogareine beleuchtete Pfeffermühle, aber geschockt waren wirtrotzdem. Weihnachten ohne Jesuskind, daran hatten wiruns fast gewöhnt, aber ohne Geschenke – das durfte nichtsein.

«Wehe, einer von euch schenkt mir was», drohte sienoch am Vorabend.

Als mein Vater versuchte, sich ihrem Willen zu widerset-zen und ihr eine wirklich hübsche Kette um den Hals leg-te, war sie eine Woche lang eingeschnappt, und als er esim Jahr darauf mit einem Taschenbuch probierte, sagte sie:«So, das habt ihr jetzt davon, dass mich keiner respektiert,im nächsten Jahr gibt es keinen Baum mehr.»

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«Okay», meinte mein Vater, «vielleicht sollten wir Weih-nachten mal woanders verbringen, in der Karibik oder aufden Malediven unter Palmen?»

«Sehe ich aus wie eine Arzthelferin?», spottete sie undstrafte meinen Vater mit Verachtung.

Früher hatten wir zusammen am Tisch gesessen, Kerzenbrannten, die sich in den roten Christbaumkugeln spiegel-ten, es gab Bratwürste und gekochtes Schweinefleisch undselbstgemachtes Sauerkraut, manchmal spielte meine Mut-ter Weihnachtslieder auf der Bratsche, und ich summte lei-se mit – und jetzt: gab es also nicht mal mehr einen Weih-nachtsbaum. Was denn so ein Baum mit der Geburt Jesu zutun habe, fragte sie, und wir wussten es auch nicht, unddamit hatte sich die Sache erledigt.

Im letzten Jahr saßen wir dann da, ohne Plätzchen, oh-ne Baum, ohne Geschenke, sogar ohne meine Cousins undCousinen, die inzwischen eigene Kinder und eigene Weih-nachtsbäume hatten und in Nordrhein-Westfalen oder Thü-ringen lebten, so genau weiß ich das nicht. Wir saßenam Tisch, mein Vater, meine Mutter und ich, und nichts,wirklich nichts erinnerte daran, dass Weihnachten war. Ichmachte mir eine Schüssel Cornflakes, draußen schien dieSonne, mein Vater versuchte vergeblich, eine E-Mail an sei-nen Bruder zu schreiben, meine Mutter bügelte ihr Metalli-ca-T-Shirt. Es wurde drei, es wurde vier, ich hörte Kirchen-glocken, es wurde fünf, es wurde sechs. In den anderenHäusern gingen die Lichter an. Es war unheimlich still.

«Wir sollten einen Spaziergang machen», sagte meineMutter.

Und weil es wirklich nichts anderes zu tun gab, zogenwir unsere Jacken an – gegen Abend war es frischer gewor-den – , setzten uns in den tannengrünen Mercedes und fuh-ren raus aus der Stadt. Wir stellten den Wagen in der Nähedes Flusses ab, es war inzwischen vollkommen dunkel, dasWasser rauschte und glitzerte silbern. Wir stapften durch

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den Wald, Äste knackten, die Bäume standen still und mäch-tig. Nach einer halben Stunde fielen die ersten Regentrop-fen.

«So ein Mist», sagte meine Mutter. «Jetzt fängt es auchnoch an zu regnen. Schnell zurück zum Auto.»

Wir zogen uns die Jacken über den Kopf, nahmen unsan den Händen und rannten los. Der Regen wurde heftiger,wir waren schon ganz nass, und das Auto war immer nochnicht in Sicht.

Wir rannten und rannten, als der Regen auf einmal nach-ließ. Wir hielten an, schauten nach oben in den Himmel undsahen erste zarte Schneeflocken durch das Dunkel treiben.Sie landeten in unseren Haaren und auf unseren Nasenspit-zen, erst lösten sie sich auf, dann wurden sie dichter unddicker und blieben liegen. Als wir beim Auto ankamen, waralles um uns herum weiß. Es war, als würde die Schneede-cke die Nacht erhellen. Wir waren ganz allein. Die Welt sahfriedlich aus. Irgendwo bellte ein Hund.

Wir schüttelten uns den Schnee von den Schultern undstiegen ein. Meine Mutter startete den Motor, das Radiosprang an, es lief Driving Home for Christmas von ChrisRea. Wir fuhren durch die Nacht, ganz langsam, keiner sag-te ein Wort, die Scheibenwischer schaufelten den Schneenach links und nach rechts.

«Frohe Weihnachten», sagte ich, als das Lied zu Endewar.

«Frohe Weihnachten», sagte mein Vater.«Frohe Weihnachten», sagte meine Mutter und lachte

und wischte sich eine Träne aus dem Auge.

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Paul BokowskiStaubi – allein zu Haus

DezemberZum ersten Mal seit drei Jahren verbringe ich Weihnach-

ten in der analogen Heimat. In der noch analogen Heimat.Mutter hat Vater einen Intensivkurs für die Volkshochschu-le Büttelborn geschenkt: Ruhestand 2.0 – Eine sehr späteEinführung in das digitale Zeitalter. Ein erstaunlich treffsi-cheres Geschenk für einen Mann, der noch immer jedes Malan den Anfang einer Webseite zurückscrollt, bevor er dasBrowserfenster wieder zumacht. Das Faltblatt der zweiwö-chigen Fortbildung glänzt durch Wortspiele, die zweifelsoh-ne in einem Anfängerkurs für angehende Werbetexter er-arbeitet wurden.

«Backen oder Backup? – Was Sie über Googlehupf undEiCloud wissen müssen»

«Tinderüberraschung  – Gleitsicht und Weitsicht beimOnline-Dating»

«Appstellgleis, nein danke! – 5 Apps gegen Einsamkeitim Alter»

Den abschließenden QR-Code und die Formulierung«Weitere Informationen finden Sie online unter …» emp-finde ich zwar als höhnisch, beglückwünsche Vater aberzum Anbruch seines digitalen Lebensalters. Er scheint we-niger begeistert davon zu sein, sich zwei Wochen lang mitalten Menschen und neuen Technologien beschäftigen zumüssen. Was wir in erster Linie daran erkennen, dass ernur noch mürrische Brummgeräusche von sich gibt, die ent-fernt an ein altes 56k-Modem erinnern.

Auch ich wurde reich beschenkt. Seit wenigen Minutennenne ich einen chinesischen Staubsaugerroboter mein Ei-gen. Ich versuche, diese dezente Kritik an meinem Sinn für

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Sauberkeit und Ordnung nicht allzu persönlich zu nehmen.Immer noch besser als der schon jetzt legendäre Weih-nachtskalender mit Raumerfrischer-Pröbchen, der AnfangDezember in der Single-Wohnung meiner Schwester Han-nah eingetrudelt ist. Sie verbringt die Festtage mit Brech-durchfall und Fieber in einem 3-Sterne-Hotel in Zwickau.Ich beneide sie trotzdem.

In einer feierlichen Zeremonie wurde der vollautomati-sche Familienzuwachs auf den Namen Staubi getauft. Derkleine Racker verfügt über Bluetooth, USB, WLAN und eineeigene Android-App. Hätte er eine Spracherkennung, ichwürde ihn bitten, mich zu heiraten. Auch Mutter ist begeis-tert. Sie verstreut Spekulatiusbrösel im Wohnzimmer, wäh-rend das brummende Ding (Staubi, nicht Vater) unablässigseine Runden über das Parkett dreht. Vom Eierpunsch be-seelt, wird anschließend ein Seitenarm der Nordmanntanneund ein halber Meter Lametta gerupft, um Staubi an seineGrenzen zu bringen. Vergebens. Die Stimmung kippt erst,als Mutter und ich den letzten Rest Eierpunsch mit Gewürz-likör aufgießen und darum wetten, wer von uns mehr Prot-agonisten aus der Weihnachtskrippe auf dem hin- und her-gleitenden Staubsauger platzieren kann. Mutter gewinntum eine Eselslänge Abstand.

JanuarNach meinem blumigen Erlebnisbericht hat Hannah den

Entschluss gefasst, auch allen zukünftigen Hochfesten desfamiliären Wahnsinns fernzubleiben und Weihnachten bisauf weiteres alternativ zu feiern, wie sie es nennt: betrun-ken und allein.

Vater hat unterdessen die Segel gestrichen und Mutterzum Intensivkurs an die Volkshochschule begleitet. Mamawar augenblicklich Feuer und Flamme, was Papa sich da-mit erklärt, dass der Dozent wie eine exakte Mischung ausCosta Cordalis und dem jungen Stalin aussieht. Ich habe

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beschlossen, den zahlreichen Fragen, die diese Informati-on aufwirft, fürs Erste nicht auf den Grund zu gehen. Statt-dessen beobachte ich mit Besorgnis, wie sich unsere bisherso herrlich analogen Eltern Stück für Stück in @ltern ver-wandeln.

Seitdem der VHS-Kurs in seine zweite Woche gegangenist, brechen täglich neue Hiobsbotschaften über Hannahund mich herein. Gestern Abend eine Facebook-Nachrichtmeiner Schwester: «Mama hat jetzt Instagram! Rette sich,wer kann!»

Tatsächlich postet Mutter seit drei Tagen unterbelichte-te Fotos ihrer Mahlzeiten. Zu meiner Verwunderung hat sieschon jetzt mehr Follower als ich.

FebruarEtwas Schreckliches ist passiert. Nie hätte ich gedacht,

dass es wirklich so weit kommen könnte, aber es ist: Mutterhat jetzt WhatsApp. Als eine ihrer Nachrichten auf meinerSmartWatch aufploppt, spiele ich mit dem Gedanken, mei-nen Vertrag bei Vodafone zu kündigen und auf ein Analog-telefon und die Deutsche Reichspost umzusteigen.

Noch wirken Mutters digitale Gehversuche etwas unbe-holfen. Dabei ist auch die Autokorrektur ihres Smartphonesoffensichtlich keine große Hilfe: «Hallo Katz, hier ist deineNutte. Sag Ball, hast du weinen streuen Straßburger schonausdrapiert? Uns stehlt immer noch einer von den eiligenBrei Königen. Alles Brite. Mama.»

Ich lasse mir die Gelegenheit nicht nehmen, greife nachmeinem Tablet und tippe eine Antwort: «Hallo Futter,schön, dass du mir reibst. Lieder vergehe ich kein Hort.Böhmen Mus an Kater. Von meinem Straßburger geschän-det.»

Auch die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: «Ver-ramscht du mich?»

«Niemals!», entgegne ich. «Fuß und Bus! Raul.»

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Vater verbringt das Wochenende auf seiner ersten LAN-Party in der hessischen Provinz.

MärzDer künstliche Verschleiß technischer Geräte dürfte je-

dem ein Begriff sein, der schon mal einen Tintenstrahldru-cker sein Eigen nannte. Mein Weihnachtsgeschenk hat denBegriff der geplanten Obsoleszenz, wie es fachmännischheißt, ein wenig weiter gefasst. In der Nacht auf Sonntaghat Staubi die Steckerleiste neben dem Kühlschrank zu fas-sen gekriegt und völlig unbemerkt meinen Brotbackauto-maten von der Anrichte geholt. Ich fand den Roboter in denfrühen Morgenstunden, wie er triumphierend seine Rundenum den technischen Kadaver drehte. Abgesehen davon unddem noch immer verschollenen König Balthasar muss ichaber zugeben, dass Mutter mit Staubi ein überaus glück-liches Händchen bewiesen hat. Er leistet erstaunlich guteArbeit. Hätte ich vor seiner Anschaffung regelmäßig Staubgesaugt, würde ich mich an dieser Stelle zu einem Lobge-sang darüber hinreißen lassen, welch eine Zeitersparnis ei-ne derart gewissenhafte und gründliche Haushaltshilfe mitsich bringt.

AprilMeine Krankenkasse heißt jetzt BKKtransparent. Zu

meiner Überraschung ging der Namenswechsel mit einemBegrüßungsgeschenk einher: einer elektronischen Waageeines taiwanesischen No-Name-Herstellers. Die Waage ver-langt die Eingabe meines WLAN-Passworts und das Be-stätigen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dummer-weise erscheinen die AGB als Laufschrift auf der vierstel-ligen Digitalanzeige. Wenn meine Hochrechnungen stim-men, weiß ich spätestens Mitte Mai, wie viel ich wiege. EinGutes hat die Sache: sechs Wochen Zeit, um die letztenWeihnachtspfunde loszuwerden.

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Apropos: Der VHS-Kurs, den Vater von Mutter geschenktbekommen hat, hat mittlerweile seine maximale Wirkungentfaltet. Papa ist seit zwei Wochen Mitglied im ChaosComputer Club. Auch Mutters digitale Fähigkeiten machenFortschritte. Am frühen Nachmittag eine SMS auf meinemSmartTV: «Hallo Sohn. Hier ist deine Mutter. Mein Haus-arzt sagt, deine Blutzuckerwerte sind bedenklich. SchöneGrüße, Mama. Von unserem Kühlschrank gesendet.»

Es hat einen halben Nachmittag gedauert, bis ich her-ausbekommen habe, woher der Hausarzt meiner Muttervon meinen Blutzuckerwerten weiß. Allem Anschein nachkann meine neue Körperwaage nicht nur das Gewicht, son-dern über meine Fußsohlen auch Puls, Körpertemperaturund Blutzuckerwerte bestimmen. Außerdem werden mei-ne Körperwerte via Twitter an meine Krankenkasse, mei-ne nächsten Angehörigen und einen chinesischen Herstel-ler für Blutzuckermessgeräte gesendet. Wodurch sich dieFrage aufdrängt, seit wann meine Mutter Twitter benutzt.Twitter! Was kommt da als Nächstes? Snapchat? Tinder?Seit vier Wochen lebe ich in der panischen Angst, dass Ma-ma Facebook für sich entdeckt. Kann ich es mit meinemGewissen vereinbaren, eine Freundschaftsanfrage meinereigenen Mutter abzulehnen?

MaiJa, ich kann.

JuniStaubi hat im Badezimmer gewütet. Dieses Mal hat er

sich im Vorbeifahren das Ladekabel der elektrischen Zahn-bürste gegriffen, was wiederum den Rasierapparat vonBraun aus seiner Ladestation riss und schließlich sogar denBluetooth-Lautsprecher von Bose aus dem Regal schleu-derte. Ich habe die zahlreichen Einzelteile sauber zusam-mengekehrt unter der Badewanne entdeckt, nachdem aus

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dem Lautsprecher leise wimmernd Time to Say Goodbyezu hören war. Besonders um die Zahnbürste von Philips tutes mir leid. Nie hatte ich Gelegenheit, meinen Putzerfolgbei Facebook zu teilen oder ein 3D-Sensorbild meiner obe-ren und unteren Zahnreihe bei Instagram oder Snapchat zuposten. Dafür ist König Balthasar wiederaufgetaucht. AllemAnschein nach hat Staubi sich eine kleine Trophäen-Samm-lung hinter dem alten Schreibtisch im Arbeitszimmer ange-legt: zwei Kugelschreiber, ein halbes Dutzend Erdnussflips,vier Euro und sieben Cent in Münzen, eine alte Bifi (nichtmeine), besagter König Balthasar und meine Kreditkarte.

JuliWenn man Vaters letztem Tweet Glauben schenken darf,

verbringt er die nächsten zwei Wochen auf einer Ha-cker-Konferenz in internationalen Gewässern. Wir habenlängst aufgehört, uns über seine neue Leidenschaft zu wun-dern. Sei es der bedenklich hohe Club-Mate-Konsum oderspätnächtliche semiromantische Instagram-Selfies mit ei-nem Starschnitt von Edward Snowden. Wirklich überra-schend wäre nur, wenn all das eine findige Ablenkung ge-wesen ist, um stattdessen in einem Mecklenburger Gewöl-bekeller in aller Seelenruhe Crystal Meth zu kochen. Han-nah sagt, sie wäre nicht abgeneigt, ein kleines Familienun-ternehmen daraus zu machen.

Mutter war über Vaters kleine Atlantikreise dermaßenerzürnt, dass sie aus reinem Trotz heraus eine zehntägigeKreuzfahrt durch den Persischen Golf gebucht hat. Sie kannes sich auch leisten. Seitdem eines ihrer YouTube-Videosüber Besenreiser und glutenfreien Kartoffelauflauf viral ge-gangen ist, bietet ihr der chinesische Hersteller für Blutzu-ckermessgeräte knappe 5000 Euro für eine wohlwollendeInstagram-Story.

Hannah ist aus einer Bierlaune heraus mitgefahren.Heute Morgen lag ein erfrischend analoger Reisebericht in

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meinem Briefkasten: «Bruderherz, schöne Grüße von derMS Adipositas. Blutalkohol: 1,4 Promille. Temperatur: 39 Grad im Schatten. Altersschnitt an Bord: 62 Jahre. Muttermuss ständig Autogramme geben. Wegen Besenreisern undKartoffelauflauf. Den unverschämten Aufpreis für eine Ka-bine mit Balkon und Seeblick versucht sie durch den Ge-nuss von Riesengarnelen wieder reinzuholen. Muss jetztSchluss machen, Cocktail kommt. Alles Liebe, Hannah.»

AugustStaubi hat die Mikrowelle kaltgemacht. Ich habe be-

schlossen meinem Ärger dadurch Luft zu machen, beider etwa zwanzig Ziffern langen Service-Hotline seinesHerstellers anzurufen. Landesvorwahl China, laut Firmen-homepage aber kostenfrei. Nach etwa 50 Minuten in derWarteschleife kann ich die chinesische Version von WeDidn’t Start the Fire fehlerfrei mitsingen. Komischerweisehatte ich am Ende der Wartezeit eine Frau mit sächsischemAkzent in der Leitung. Auf Nachfrage aus dem GroßraumChemnitz. Man bedauere den Verlust meiner Kleingeräteund könne mir für eine Zuzahlung von nur 200 Euro einbrandneues Kombigerät aus dem aktuellen Sortiment an-bieten. Jetzt steht ein WLAN-fähiger, sprachgesteuerter In-duktionsherd mit Backofen, eingebauten Bluetooth-Boxenund Mikrowellenfunktion in meiner Küche. Dummerweiseglaubt das Universalgerät seit dem letzten Software-Up-date, es sei in Wirklichkeit ein Kleiderschrank und be-stellt fortwährend Mottenkugeln, Fusselrollen und Nylon-strumpfhosen. Beim Versuch, das Update über das einge-baute Display wieder rückgängig zu machen, wurde ich vonStaubi aufgeschreckt und mittels wild rotierender Bürstenin die Speisekammer getrieben. Zum Glück gab es warmesBier, Brühwürfel und ein offenes WLAN aus dem Seitenflü-gel.

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SeptemberVater hat angerufen und sich sehr herzlich für den Ra-

senmäherroboter bedankt. Ich kann mich nicht daran erin-nern, einen Rasenmäherroboter bestellt zu haben. Ebensoscheint es mir entfallen zu sein, dass Vater am kommendenMittwoch (morgen!) seinen 65. Geburtstag zelebriert. Ichbeschließe das Ganze als glückliche Fügung des Schicksalszu betrachten und schnauze Vater liebevoll an, dass es be-kanntlich Unglück bringe, seine Geschenke schon vorheraufzumachen. Tatsächlich findet sich auf meiner Kreditkar-tenabrechnung eine Abbuchung einer chinesischen Spedi-tion über 1249 Euro.

Vielleicht wird es Zeit, mir die Allgemeinen Geschäfts-bedingungen meines Staubsaugerroboters mal genauer an-zuschauen. Die zahlreichen Rezensionen bei Amazon gebensich jedenfalls begeistert ob der vielfältigen Fähigkeiten,die besonders das letzte Software-Update mit sich bringt.Die einzige 1-Sterne-Bewertung äußert den Verdacht, dassStaubi eine wirtschaftspolitische Agenda verfolgt. Was einbisschen irre klingt, aber zumindest erklären würde, war-um mein WLAN-Toaster seit zwei Wochen dadurch auf sichaufmerksam macht, dass er entweder für den China-Imbissgegenüber wirbt oder das Konterfei von Mao Tse-tung inmeinen Buttertoast brennt.

Eine Minute nach Mitternacht erreicht mich eine Whats-App-Nachricht meiner Schwester: «Scheiße! Facebook sagtPapa hat Geburtstag.»

«Schäm dich, Hannah, schäm dich!», schreibe ich zu-rück.

«Ich habe kein Geschenk! NICHTS! Mama bringt michum!»

«Ich war so frei, einen Rasenmäherroboter zu bestel-len.»

«Kann ich mich beteiligen?»«Nö.»

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«Bitte!»«Na meinetwegen.»

OktoberNachdem Staubi meinen Radiowecker vom Balkon ge-

kehrt hat, ist die Kaffeemaschine, ganz offiziell, das letzteanaloge Endgerät in meiner Wohnung. Jedes Mal, wenn ichmich ihr nähere, gibt der Staubsaugerroboter einen pani-schen Alarmton von sich, als würde ich versuchen, einenwilden Tiger mit einer Hand voller Hackfleisch zu strei-cheln. Bedauerlicherweise hat er sich über Bluetooth mitder Surround-Sound-Anlage meines Fernsehers verknüpft,sodass der Alarmton neuerdings mit 100 Dezibel durch dieWohnung schallt. Am Nachmittag ist über WhatsApp einekryptische Textnachricht meines Hausarztes eingetrudelt:«Höflich wir bitten mit Nachdruck sich in Gegenwart undZwischenzeit keine Koffein im Morgengrauen verspeisennicht! Unverzüglich Wohlbefinden Empfehlung. Wir sindam Herzen Ihre Gesundheit. Nachhaltiges Grüßen. Ihr Dok-tor des Gebäudes.» Komischerweise habe ich Staubi in Ver-dacht.

NovemberIch habe den Staubsaugerroboter mit einer Spur Brot-

krumen ins Badezimmer gelockt. Erstaunlich, dass dieserTrick immer noch funktioniert. Entweder ist der kleine Ra-cker dümmer als gedacht, oder er ahnt einfach seit langem,dass ich jedes Mal eine kleine Strecke Knäckebrot im Flurverteile, wenn ich in Ruhe onanieren möchte. Dieses Malist der Grund allerdings ein anderer: Ich werde die Kaffee-maschine bis auf weiteres auf dem Dachboden verstecken.Sie ist das letzte Haushaltsgerät, das Staubi noch nicht aus-geschaltet oder gleichgeschaltet hat. Hannah findet mei-ne Entscheidung albern und lässt es sich nicht nehmen,meinen morgendlichen Gang unters Dach durch höhnische

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Nachfragen wie «Wie geht es Kanne Frank?» zu unterma-len. Ich weiß einfach, dass Staubi es auf sie abgesehen hat!

Gestern Nachmittag hat ein DHL-Bote ein halbes Dut-zend neuer Kleingeräte angeliefert. Alle aus chinesischerProduktion. Alle bestellt von einem gewissen «S. T. Aubsau-ger».

DezemberSeitdem Staubi die Kontrolle über die digitalen Heizkör-

perthermostate übernommen hat, verbringe ich die letztenTage des Jahres im Haus meiner Eltern. Mutter hat aufTinder einen alten Bekannten entdeckt. Den Dozenten ausder Volkshochschule Büttelborn. Jetzt stehen die beiden inder Küche und drehen ein YouTube-Tutorial für vollveganeWeihnachtsgans mit Süßkartoffelklößen und Rotkohl-Kara-mell-Sorbet.

Wer kann ihr diese Liebelei verübeln. Immerhin hatVater die letzten Monate in einem Kibbuz der DigitalenVolksfront Judäa verbracht. Mittlerweile hat er sich von je-der Form des technologischen Fortschritts abgewandt undwohnt seit seiner Rückkehr in der Gartenlaube hintermHaus. Ohne Strom, Heizung oder fließend Wasser – beklei-det nur mit einem Lendenschurz aus Teichplane und einerformschönen Kopfbedeckung aus Aluminiumfolie. Manch-mal legt er uns mit Kastanien und Stöcken eine kleine Bot-schaft auf die Terrasse.

Letzte Woche hat er im Morgengrauen den Rasenmä-herroboter überwältigt und rituell gepfählt. Nur mit Mühekonnten wir die Nachbarn davon abhalten, den psychiatri-schen Notdienst zu rufen. Ich habe den gepfählten Kadavermit einer Lichterkette vorweihnachtlich kaschiert. Außer-dem versuche ich, Hannah über die hiesigen Geschehnisseauf dem Laufenden zu halten. Sie schlägt vor, unserem Va-ter einen VHS-Kurs zu Weihnachten zu schenken – für einenPaläo-Kochkurs oder eine Urschreitherapie.

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Mutter ist total begeistert. Sie wird den Jahreswech-sel auf einer winzigen Ostseeinsel verbringen. Mit Sta-lin-Cordalis und, nebenbei bemerkt, auf der gleichen win-zigen Ostseeinsel, auf der auch Hannah sich über Weih-nachten versteckt hält. Noch gönne ich mir den Spaß, meinSchwesterherz über ihr unverhofftes Glück im Unklaren zulassen.

Hin und wieder muss ich an Staubi denken. Irgend-wie vermisse ich den Kleinen. Er hat uns gestern Abendvia Amazon eine neue Weihnachtskrippe zukommen lassen.Die Heilige Familie hat asiatische Gesichtszüge und derEsel einen eingebauten WLAN-Stick.

Am Abend eine Stöckchenbotschaft auf der frisch ein-geschneiten Veranda. «Was wünscht ihr euch zu Weih-nachten?», fragte der Homo analogis aus der Gartenlaube.«Egal», haben wir geantwortet. «Hauptsache aus Holz.»

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Sandra GirodFree Kurty!

Wenn man das Haus verlässt, ist es dunkel. Wenn man zu-rückkehrt, ist es dunkel. Wenn man nachmittags aus demFenster schaut, wundert man sich: Wird es schon wiederdunkel, oder ist es heute gar nicht hell geworden?

«Mama, das ist so im Dezember», belehren mich meineKinder, wenn ich es wage, leise zu seufzen. «Wir zündenKerzen an, und dann ist es doch gleich wieder so gemüt-lich.» In ihren Augen macht es keinen Sinn, gegen die Na-turgesetze zu streiten. Und bloß keine Experimente.

«Wir könnten doch über Weihnachten mal nach Südafri-ka fliegen», schlugen mein Mann und ich im vergangenenJahr vor. «In die Sonne! Ins Licht!»

Unsere Kinder sahen uns an, als ob wir Tollkirschen ge-gessen hätten. «An Heiligabend? In die Sonne? Und dannetwa nicht aufs Land, zu Oma und Opa und zum Rest derFamilie? Das ist doch völlig absurd! Total gaga!»

Weihnachten hat alles genau so zu bleiben, wie es im-mer war. Und es muss nicht vielleicht mit dem Tod, aber be-stimmt mit einem kleinen Teufel zugehen, damit sich daranmal was ändert.

Meine Kinder verhalten sich im Hinblick auf Rituale be-unruhigend konservativ, denke ich, als ich wie jedes Jahr al-lein die Dekorationskisten aus dem Keller hochwuchte. DieDinger werden von Jahr zu Jahr schwerer. Aus grundsätzli-chen Erwägungen geschieht diese Aktion immer, wenn sichmein Mann auf der Weihnachtsfeier der Firma befindet. Beiseiner Rückkehr muss er sich dann mit dem Taxifahrer be-sprechen, ob der tatsächlich vor dem richtigen Haus gehal-ten hat. Denn den Vorgarten hat mein Mann anders in Erin-

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nerung. Weniger grell. Nicht so blinkend. Und ein Schlittenmit putzigen Wichteln parkte dort auch nicht.

Doch, ist richtig hier. Mit einer Art von Guerilla-Dekora-tion beginnt bei mir die tiefdunkle Weihnachtszeit. So ist es.So ist es guter, alter Brauch. Eingewickelt in die Schlagzei-len des vergangenen Winters erwarten mich: der Elch, derleicht debil aus seinem Norwegerpullover blickt. Der klein-kindgroße, adipöse Stoffweihnachtsmann. Das Rentier, dasauf Knopfdruck Jingle Bells singt (allerdings klingt es mitt-lerweile ziemlich besoffen – die Batterien laufen aus). Undunter einem Zentner Schnickedöns kommt auch wieder derpausbäckige Engel zum Vorschein. Seine Augen sehen aus,als habe er was Gutes geraucht. Einst hatte ich ihn bereitsin Obhut der Dunkelheit entsorgt.

«Wo ist denn der süße schöne Schutzengel geblieben,der immer so lieb neben unserer Eingangstür sitzt?», wun-derte sich damals meine Tochter.

«Ach, Schatz, der hatte doch schon einen gebrochenenFlügel!»

«Aber dein Papa kann ja versuchen, ihn für dich zu re-parieren!», überbrüllte mein Mann das Geheule unsererTochter und fischte die Reste mit einem Wie-kannst-du-nur-Blick aus der grauen Tonne. Dass ausgerechnet er mal ei-nen solchen Sinn für Sentimentalitäten entwickeln würde,hätte ich mir nicht vorstellen können. Als ich ihn kennen-lernte, bestand sein Adventskranz in der Junggesellenbudeaus vier Flaschen Astra plus einem Teelicht in der Mitte.

Von mir haben meine Kinder dieses radikale Festhal-ten an den Traditionen nicht, denke ich, als ich beginne,die Fenster mit einer Milchstraße aus silbernen Sternen zubekleben. Der Aufbau unseres umfangreichen Weihnachts-dorfes liegt dagegen im Hoheitsgebiet unseres Nachwuch-ses. Vor Jahren wusste ein Freund nicht, was er mir schen-ken sollte. Seitdem bekomme ich zum Geburtstag und zuWeihnachten Bauernhöfe aus Ton, Ställe aus Ton, Bäume

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aus Ton. Postamt, Rathaus und Plumpsklo habe ich bereitsdoppelt. Mittlerweile ist eine Kleinstadt zusammengekom-men, und die wird von meinen Kindern liebevoll auf demFensterbrett arrangiert, auf krümelnder Holzwolle. Sameprocedure as every year.

In meiner Erinnerung komme ich mir rebellischer vor.Vielleicht lag es am Waldsterben und am sauren Regen,dass ich mich als Teenager entschloss, gegen die Aufstel-lung einer Nordmanntanne in unserem Wohnzimmer zuFelde zu ziehen. Hatten wir nicht schon genügend Busch-werk im Garten? Wozu die rituelle Opferung eines Edel-gehölzes für einen Zeitraum von maximal 14 Tagen? Mitdiesem gesellschaftspolitischen Anliegen konnten sich mei-ne Eltern noch anfreunden. Mein Vater sägte eine schrab-belige Kiefer aus dem Garten und stellte sie so in dieEcke, dass man die kahlen Stellen, zumindest im Dunkeln,nicht sah. Während ich das trübsinnige Graugrün mit fröhli-chem Tand überfrachtete, kabbelten sich meine Mutter undmein Vater, ob die Meerrettichsahne für den Fisch bereitsscharf genug sei. Meine kleinen Brüder orakelten, ob es die-ses Jahr wohl die richtigen Turnschuhe geben würde: dreiStreifen Adidas, zwei Streifen Caritas. Im Wohnzimmer liefunterdessen die Weihnachtsschallplatte mit dem Sprung:Alles schläft, einsam wacht. Einsam wacht, einsam wacht …Und in der Badewanne schwamm stumm der dicke KarpfenKurt herum. Weil er sonst muffig geschmeckt hätte.

Mit meiner zweiten Mission taten sich meine Elterndeutlich schwerer. In einem Anfall akuter Nächstenliebehatte ich darauf bestanden, den alten, einsamen Landarbei-ter aus der Baracke am Waldrand zum Fest einzuladen. Erhatte doch sonst niemanden! «Aber nicht zum Karpfenes-sen», hatte meine Mutter entschieden. Und so saß Herbertmit seinen schwieligen Händen und seinem fadenscheini-gen Anzug beim Weihnachtskaffee unter der Krüppeltan-ne, aß Stollen mit dick Butter drauf und trank eine Fla-

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sche Portwein leer. Die Platte dudelte: Alles schläft, ein-sam wacht. Meine Brüder orakelten. Und in der Badewan-ne schwamm stumm noch der dicke Karpfen Kurt herum.

Doch im darauffolgenden Jahr gab es ernste Verstim-mungen. Herbert hatte seinen Portwein bekommen, dieStille Nacht hing fest, und während meine Eltern darüberstritten, ob die Meerrettichsahne die richtige Schärfe hätte,schleppte ich den Karpfen gemeinsam mit meinen Brüdernheimlich in einem Putzeimer aus dem Badezimmer zum na-he gelegenen See. Free Kurty – Ruf der Freiheit! Auch einübergewichtiger Fisch hatte meiner Ansicht nach das Rechtauf ein friedliches demokratisches Fest. Meine Brüder fan-den das auch.

Die Atmosphäre war trotz milder Temperaturen frostig.Nachbarn halfen mit zwei Forellen aus der Kühltruhe aus.Wäre sonst schade um die Meerrettichsahne gewesen.

Von da an blieb es bei Forelle blau. Jahrein, jahraus. Ehr-lich: Was schmeckt langweiliger als Forelle blau? Aber alleJahre wieder sagte keiner ein Wort.

Eheleute und Kinder erweiterten die Familie. Der Schall-plattenspieler wurde durch einen CD-Player ersetzt. DieWeihnachtsdekoration wurde um die Grippe von Bethlehemerweitert. Doch die Forellen mit Meerrettichsahne blieben.Schließlich hatten sie ihr Leben bereits ausgehaucht, wennsie zu uns kamen. Tote Forellen in den See zu werfen, mach-te wenig Sinn.

Die einzig maßgebliche Veränderung, die sich über dieJahre ergab, war die Enttarnung des Weihnachtsmannes.Die Turnschuhe mit den Streifen hatten Onkel Martin ver-raten. «Ich wusste immer, dass es falsche Weihnachtsmän-ner gibt», behauptete meine Tochter. «Die in den Einkaufs-zentren sind auch nicht echt.» Und dann setzte sie sich dochwieder mit ihrem Bruder vor das große Fenster mit Blickauf die Wiese, um auf die Ankunft des Schlittens zu warten.Beide schauten in die tiefdunkle Nacht, in die Sterne, sahen

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das Blinken, das Glitzern, freuten sich am Wunder der stil-len Nacht. Und auf das erlösende Klingeln an der Haustür.Polter, Polter, der Weihnachtsmann war in Eile und schonwieder auf dem Sprung. Aber die Geschenke hatte er abge-liefert. Alles wie immer. Alles gut.

Und schließlich geschah es eines Jahres doch. Mit Sackund Pack und Geschenken waren wir zur Familienfeier aufsLand gereist. Dort hatten wir alle zunächst den Weihnachts-baum ausgiebig gewürdigt: «Wow … Der ist … Also, dies-mal … Wir sind sprachlos … Ehrlich, so hässlich war dasBiest noch nie!»

Wir hatten mit Herbert ein Gläschen Portwein getrun-ken.

Und meine Mutter hatte mit meinem Vater den Sah-ne-Meerrettich abgeschmeckt, bis sie plötzlich, in größterEile, von der Bildfläche verschwand. Als die Kartoffeln ab-gegossen wurden, war mein Mann spurlos verschwunden;dann mein Bruder auch.

«Wo sind die denn alle hin?», schimpfte mein Vater, derdie blauen Forellen dampfend auf silbernem Teller servier-te und zu seiner Ansprache ansetzen wollte, solange dasEssen noch warm war. Mein Magen zog sich beim Geruchder Forelle zusammen. Und wie zur nonverbalen Zustim-mung kotzte meine Tochter spontan und ausgiebig nebendie festlich erleuchtete Tanne. Praktischerweise stand dortder Putzeimer mit Löschwasser. Mein Sohn rannte solida-risch würgend aus dem Zimmer und trommelte gegen dieBadezimmertür. Besetzt. Also zur Spüle in der Küche. Un-ter die Klänge der Weihnachtslieder mischten sich fremdeGeräusche.

«Schade um den schönen Fisch», sagte meine Schwäge-rin. «Und um die schöne Meerrettichsahne», fiel mir ein.«Aber ich glaube, ich habe heute keinen Hunger mehr.»

«Ich finde es trotzdem ganz doll gemütlich», sagte mei-ne Tochter, als wir am ersten Weihnachtstag in Bademän-

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teln und mit Wärmflaschen vorm Bauch im Wohnzimmersaßen und uns über die Geschenke freuten. Im Ofen knis-terte das Feuer, an der Tanne flackerten die Kerzen. «EineMagen-Darm-Grippe an Heiligabend ist mal etwas anderes,sie verbindet», erklärte ich. «Genau», sagte mein Mann undbiss in einen glutenfreien Zwieback. «Und Forelle blau wirdsowieso überbewertet.»

«Können wir über etwas anderes reden?», bat meineMutter. «Der Baum hat schon fast keine Nadeln mehr»,freute sich mein Sohn. «Ich mag das Feiern mit euch», sag-te meine Schwägerin. «So dünn bin ich noch nie durch dieFesttage gekommen.»

Draußen war es schon wieder dunkel. War es überhauptirgendwann hell geworden? Werden wir jemals das Lichtsehen? Dürfen wir irgendwann nach Südafrika?

«Bei Leuten, die es wirklich ernst meinen mit alten Bräu-chen», flüsterte meine Tochter, «gibt es zu WeihnachtenKarpfen. Hast du das gewusst?»

[...]

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