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48 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (11) PflegeKarriere Ausbildung DOI: 10.1007/s00058-013-1101-5 © Evangelisches Krankenhaus Oldenburg (2x) S ie sprüht, sie wartet, sie wischt, sie will ja alles richtig machen. „Sehr gut“, lobe ich. Sie sprüht wieder, wartet, wischt, dann setzt sie die Einweg- spritze an. „In Ordnung“, sage ich, und Schwester Nynke freut sich. Aber bei der Nachbesprechung bricht es aus der 19-Jährigen heraus: „Warum macht ihr Deutschen das so kompliziert?“, will sie wissen. „Warum muss ich über- haupt desinfizieren? Nach EBP (Evidence Based Practice) ist eine Desinfektion vor einer s.c.-Injektion gar nicht sinnvoll – dazu gibt es verschiedene wissenschaft- liche Untersuchungen. Warum machen wir das trotzdem?“ Ich weiß, dass Nynke prinzipiell Recht hat, und ich erzähle ihr etwas angestrengt Deutsch-niederländisches Projekt Grenzenlos ausbilden Das Evangelische Krankenhaus Oldenburg und die Hanze- hogeschool im niederländischen Groningen bilden seit 2004 gemeinsam Pflegekräfte aus – grenzüberschreitend, international und interkulturell. Ernst Neumeister ist ihr Praxisanleiter und koordiniert die Praktika für die nieder- ländischen Studenten.

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48 Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (11)

PflegeKarriere Ausbildung

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Sie sprüht, sie wartet, sie wischt, sie will ja alles richtig machen. „Sehr gut“, lobe ich. Sie sprüht wieder,

wartet, wischt, dann setzt sie die Einweg-spritze an. „In Ordnung“, sage ich, und Schwester Nynke freut sich.

Aber bei der Nachbesprechung bricht es aus der 19-Jährigen heraus: „Warum macht ihr Deutschen das so kompliziert?“, will sie wissen. „Warum muss ich über-haupt desinfizieren? Nach EBP (Evidence Based Practice) ist eine Desinfektion vor einer s.c.-Injektion gar nicht sinnvoll – dazu gibt es verschiedene wissenschaft-liche Untersuchungen. Warum machen wir das trotzdem?“

Ich weiß, dass Nynke prinzipiell Recht hat, und ich erzähle ihr etwas angestrengt

Deutsch-niederländisches Projekt

Grenzenlos ausbildenDas Evangelische Krankenhaus Oldenburg und die Hanze-hogeschool im niederländischen Groningen bilden seit 2004 gemeinsam Pflegekräfte aus – grenzüberschreitend, international und interkulturell. Ernst Neumeister ist ihr Praxisanleiter und koordiniert die Praktika für die nieder-ländischen Studenten.

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Die Niederländer mischen unseren Laden ganz schön auf! Holländische Pflegestudenten wollen selbstständig arbeiten.

von Hygieneplänen, vom Robert Koch-Institut, von den Qualitätsstandards in Deutschland. Nynke hört sehr aufmerk-sam zu, schließlich will sie ja alles richtig machen. Aber ihr „Warum?“ bleibt noch lange im Raum stehen.

Andere Denkstrukturen Warum – dieses Wort hören wir im Evan-gelischen Krankenhaus Oldenburg (EV), seit die ersten beiden Pflegestudentinnen aus Holland ihren Dienst auf Station an-traten, sehr oft. Mittlerweile gibt es pro Semester über 20 Pflegestudenten im EV, die 19-jährige Nynke aus Assen ist eine von ihnen. Sie ist an der Hanzehogeschool für die „Hoger Beroepsonderwijs Ver-pleegkunde“, für die höhere Krankenpfle-

geausbildung, eingeschrieben. Ein Jahr Theorie in Groningen hat sie hinter sich, jetzt folgen fünf Monate Praxis in Olden-burg.

„Es geht um die Integration anderer Denkstrukturen in den Pflegeprozess un-seres Krankenhauses“, sagt Pflegedirekto-rin Ursula Geller in Oldenburg. Sie lacht, dann sagt sie es deutlicher: „Die Nieder-länder mischen unseren Laden ganz schön auf!“ Holländische Pflegestudenten wollen selbstständig arbeiten, hat Geller

beobachtet, sie hinterfragen ständig. Deutsche Pflegeschüler sind es hingegen häufig gewöhnt, nach Anweisungen zu arbeiten. Ähnliches hat Alof Huizing be-obachtet, der zuständige Dozent der Han-zehogeschool. „In Deutschland ist die Ausbildung stark an Tätigkeiten ausge-richtet, in Holland geht es mehr um Zu-sammenhänge und Hintergründe.“ Das beides passt wunderbar zusammen, findet er, „wir lernen so viel voneinander“.

Aller Anfang ist schwerUm ehrlich zu sein: Es passte nicht auf Anhieb. Als die Zahl der Studenten stieg, machte sich bald eine Unzufriedenheit bemerkbar – sowohl in der Hochschule als auch im Krankenhaus. Huizing lud uns daraufhin zu einem Mentorentreffen ein, um die Grundlagen der universitären Pflegeausbildung vorzustellen. Wir sahen, dass sich die komplexen Inhalte nicht ohne Weiteres in den Arbeitsablauf einer deutschen Klinik integrieren lassen wür-den. Mit anderen Worten: Wir brauchten ein Konzept.

Die Klinikleitung beauftragte mich, ein solches Konzept zu erstellen. Schnell stell-te sich heraus, dass es wichtig sein würde, die Ausbildung für alle Beteiligten so transparent wie möglich zu gestalten, wenn sie für Niederländer und Deutsche profitabel sein sollte. Die Anleiter auf den Stationen, die Pflegedienstleitung, die Dozenten in Groningen und vor allem die Studenten, sie alle brauchten einen An-sprechpartner und Vermittler, der un-kompliziert Fragen beantworten und Probleme lösen könnte. Das Konzept als

solches war für mich nicht das Problem, da ich mit Anleitertätigkeiten gut vertraut war, aber die Ausbildungsinhalte der Uni-versität in Groningen „runter zu brechen“ auf die Arbeitsabläufe und Strukturen unseres Hauses, das war eine Herausfor-derung. Und: Wie sollte es möglich sein, den Studenten beides zu vermitteln (The-orie und Praxis) in einem für die Nieder-länder völlig neuen kulturellen Kontext?

2009 stellte mich die Klinik für diese Aufgabe von meinen Pflegetätigkeiten

frei. Endlich war ein „roter Faden“ sicht-bar in der Ausbildung, beide Seiten waren zufrieden. 2011 zeichnete die Hanzeho-geschool das Evangelische Krankenhaus mit der Ernennung zum „Regiostützpunkt Nord“ aus. Die Hochschule hat ab sofort acht solcher Stützpunkte: sechs in den Niederlanden und zwei in Deutschland, in Regensburg und Oldenburg. Der „Re-giostützpunkt“ am EV ist sicherlich das Resultat verschiedenster Faktoren. Hier sind an erster Stelle die Anleiter auf den Stationen zu nennen, die mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen die Studenten in die praktischen Tätigkeiten einweisen. Das gelingt aber nur durch das Zusam-menspiel der Bereichs- und Stationslei-tungen mit dem Koordinator und der Pflegedienstleitung. Dieses Zusammen-spiel schafft in unserer Klinik einen mo-tivierenden und zukunftsorientierten Background, der eine Vorbildfunktion für die fortschreitende Akademisierung in der Krankenpflege sein kann.

Pflege wird internationaler„Aus Sicht des Vorstands hat sich das Konzept bestens bewährt“, lobt Dr. Rü-diger Schönfeld, Medizinischer Vorstand des Evangelischen Krankenhauses: „Es setzt bei den Kernkompetenzen der Pfle-gestudierenden an, berücksichtigt aber auch den Alltag in unseren Kliniken.“ Neben einer Menge medizinischem Vor-wissen brächten die Studenten vor allem Erfahrungen aus einem anderen Gesund-heitssystem mit. „Von beidem können wir nur profitieren: von engagierten jungen Menschen, die sich freuen, bei uns erste

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Ernst Neumeister Evangelisches Krankenhaus Oldenburg Steinweg 13-17 26122 Oldenburg [email protected]

Einblicke in die Praxis zu erhalten, und vom Blick über die Landesgrenzen hi-naus.“ Aus Groninger Sicht sieht es Alof Huizing so: „Für die Hanzehogeschool spielt die Persönlichkeitsentwicklung un-serer Studenten durch den veränderten kulturellen Kontext die entscheidende Rolle.“ Dem Begleitplan des EV beschei-nigt er „Vorbildcharakter im Internatio-nalisierungsgedanken“.

Pflege wird in der Tat immer interna-tionaler – und akademischer. Immer mehr Pflegekräfte aus dem Nordwesten Deutschlands nutzen inzwischen die Möglichkeit, über das Hanse-Institut Ol-

denburg, einer gemeinsamen Bildungs-einrichtung der drei Oldenburger Kli-niken EV, Pius-Hospital und Klinikum Oldenburg, den berufsbegleitenden Stu-diengang „Bachelor of Nursing“ zu absol-vieren. Dabei werden sie abwechselnd in Oldenburg und an der Hanzehogeschool im 140 Kilometer entfernten Groningen geschult.

2012 hat zudem die European Medical School die ersten Studenten aufgenom-men in den gemeinsamen Medizinstudi-engang der Universität Oldenburg, der Universität Groningen sowie der drei Oldenburger Kliniken. „Da kommen uns unsere Erfahrungen in der gemeinsamen Pflegeausbildung zugute“, sagt Dr. Rüdiger Schönefeld, „denn auch hier haben wir es mit niederländischen Studierenden zu tun.“

Unsere Studentin Nynke kam neulich wieder auf mich zu; sie möchte mehr über Hygienepläne lernen, sagte sie. „Klar“, antwortete ich, „gern.“ Ich musste lächeln, denn ich weiß, sie wird mich weiter lö-chern mit ihrem „Warum“. Und sie hat recht. Denn es war für Pfleger und Pfle-gerinnen noch nie wichtiger als heute, Tätigkeiten und Einstellungen zu hinter-fragen.

▶ In der deutschen Krankenpflegeaus-bildung geht es noch häufig darum, dass pflegerische Tätigkeiten in einer ganz bestimmten Art und Weise bzw. standardisiert ausgeführt werden.

▶ Die Pflegestudenten aus Holland se-hen diese Standards und Protokolle eher als Hilfsmittel. Sie fragen: Wa-rum? – und danach entwickeln sie oft eine andere, häufig auch bessere Idee.

▶ Das Evangelische Krankenhaus Olden-burg profitiert von dem anderen Den-ken und die Studenten profitieren da-von, ihr theoretisches Wissen in der Praxis ausprobieren zu können.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

Die Europäische Union hat fünf Qualifikationsniveaus beschrieben, die der Einteilung der Pflegeausbildung dienen sollen.

Niveau Ausbildung (Opleiding) Dauer

1. Assistenz Helferausbildung 0,5 bis 1 Jahr

2. Basis Ausbildung zum unselbstständig den Beruf Ausübenden (Berufsan-fänger)

2 bis 3 Jahre

3. Fachausbildung Ausbildung zum selbstständig arbeitenden Fachangestellten

2 bis 4 Jahre

4. Mittlere Führungskraft

Specialist

Ausbildung zur mittleren Führungskraft

Ausbildung zum Spezialisten

3 bis 4 Jahre

1 bis 2 Jahre

5. Höhere Krankenpflege Fachhochschulstudium 4 Jahre

Diese Einteilungen wurden von den Niederlanden 1996 in einem Gesetz „Wet Educatie en Beroep-sonderwijs (WEB)“ übernommen, heute unterscheidet man vier Arten der Berufsqualifikation:1. Helfer/in (Assistent) auf Niveau 12. Fachmann/Fachfrau (Vakman/Vakvrouw) auf Niveau 2/3/43. Mittlere Führungskraft (Middenkader functionaris) auf Niveau 44. Hochschulausbildung zur Führungskraft (Hoger Beroepsonderwijs) auf Niveau 5

Das Evangelische Krankenhaus Oldenburg

Das Evangelische Krankenhaus Olden-burg entstand 1890. Heute werden pro Jahr rund 50.000 Patienten behandelt, ambulant und stationär. Rund 1.000 Mitarbeiter, 393 Betten sowie mehrere Kliniken, medizinische Zentren und Fachabteilungen zählen zum „Evange-lischen“. Es gehört zum Medizinischen Campus der Universität Oldenburg im Rahmen der European Medical School Oldenburg-Groningen (EMS).