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77 Jan Guncaga Grenzwertprozesse in der Schulmathematik Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Philosophiae Doctor (PhD.) im Fach Didaktik der Mathematik an der Fakultät der Naturwissenschaften der Konstantin Philosoph Universität Nitra (Slowakei) Betreuer: Opponenten: Prof RNDr. Jozej Fulier, CSc. Prof RNDr. Pavol Kostyrko, DrSc., Prof RNDr. Zoltan Zalabai, CSc. Doc. RNDr. Roman Fric, DrSc. Tag der Verteidigung: 11.11.2004 Die Dissertation beschäftigt sich mit der Didaktik der Mathematik von Grenzwertprozessen. Grenzwertprozesse behören zu den schwierigen Teilen der Schulmathematik am Gymnasium. Die Zeit für eine Behandlung im Unterricht ist meist knapp. Oft fehlt es an geeigneten Modellen und an vorbereitenden Übungen (Propädeutik von Grenzwertprozessen). Hilfreich sind in diesem Zusammenhang viele Beispiele aus der Geschichte der Mathematik oder aus anderen Themenbereichen der Schulmathematik, z.B. die Approximation des Flächeninhalts des Kreises durch die Flächeninhalte ein- und umbeschriebener regelmäßiger n-Ecke, die Darstellung von Dezimalzahlen durch periodische Dezimalbrüche, die Darstellung irrationaler Zahlen durch Kettenbrüche. Dazu werden Anregungen gegeben. Exakte Formulierungen von Definitionen einschlägiger Begriffe sind für Schüler schwierig zu verstehen. Definitionen des Grenzwerts einer Folge oder der Stetigkeit einer Funktion an der Stelle Xo benutzen in der Regel Quantoren. Reihenfolge und Art dieser Quantoren ("für alle", "es gibt"l"es existiert") sind für Schüler schwierig zu verstehen. Der unterrichtliche Umgang mit solchen Quantoren wird beschrieben und unterrichtlich erprobt. Beispielsweise wurden den Schülern auch Definitionen mit fehlerhaften Quantorenfolgen vorgelegt, deren Fehlerhaftigkeit aufgezeigt und korrigiert. In der Arbeit wird der didaktische Ort von Grenzwertprozessen im Curriculum der slowakischen Mittelschulen beschrieben und mit den Curricula von entsprechenden Schulen in Polen und Tschechien verglichen. Gemeinsam ist allen Curricula dieser Länder, dass der Unterricht nicht nur auf kalkülhaftes Beherrschen der Begriffe abzielt, sondern auch auf ein tieferes Verstehen. Ein Teil der Dissertation beschäftigt sich mit einem schulischen Unterrichtsversuch. Grundlage für diesen Versuch war ein Schulbuch, das von Handschriften des verstorbenen Professors Igor Kluvanek inspiriert ist. Er hielt 15 Jahre Analysisvorlesungen an der Flinders University in Adelaide (Australien). In den Handschriften von Kluvanek findet man interessante Methoden des Analysisunterrichts. Er beschäftigt sich mit den Begriffen Summe einer unendlichen geometrischen Reihe, Grenzwert einer Folge, Grenzwert einer Funktion, Stetigkeit, Ableitung. Im Unterrichtsversuch werden diese Begriffe benutzt. Eine auswertende empirische Evaluation des Unterrichtsversuchs erfolgte in quantitativer und in qualitativer Hinsicht. (JMD 27 (2006) H. 1, S. 77-78)

Grenzwertprozesse in der Schulmathematik

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Page 1: Grenzwertprozesse in der Schulmathematik

77

Jan Guncaga

Grenzwertprozesse in der Schulmathematik

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Philosophiae Doctor (PhD.) im Fach Didaktik der Mathematik an der Fakultät der Naturwissenschaften der Konstantin Philosoph Universität Nitra (Slowakei)

Betreuer: Opponenten:

Prof RNDr. Jozej Fulier, CSc. Prof RNDr. Pavol Kostyrko, DrSc., Prof RNDr. Zoltan Zalabai, CSc. Doc. RNDr. Roman Fric, DrSc.

Tag der Verteidigung: 11.11.2004

Die Dissertation beschäftigt sich mit der Didaktik der Mathematik von Grenzwertprozessen. Grenzwertprozesse behören zu den schwierigen Teilen der Schulmathematik am Gymnasium. Die Zeit für eine Behandlung im Unterricht ist meist knapp. Oft fehlt es an geeigneten Modellen und an vorbereitenden Übungen (Propädeutik von Grenzwertprozessen). Hilfreich sind in diesem Zusammenhang viele Beispiele aus der Geschichte der Mathematik oder aus anderen Themenbereichen der Schulmathematik, z.B. die Approximation des Flächeninhalts des Kreises durch die Flächeninhalte ein- und umbeschriebener regelmäßiger n-Ecke, die Darstellung von Dezimalzahlen durch periodische Dezimalbrüche, die Darstellung irrationaler Zahlen durch Kettenbrüche. Dazu werden Anregungen gegeben. Exakte Formulierungen von Definitionen einschlägiger Begriffe sind für Schüler schwierig zu verstehen. Definitionen des Grenzwerts einer Folge oder der Stetigkeit einer Funktion an der Stelle Xo benutzen in der Regel Quantoren. Reihenfolge und Art dieser Quantoren ("für alle", "es gibt"l"es existiert") sind für Schüler schwierig zu verstehen. Der unterrichtliche Umgang mit solchen Quantoren wird beschrieben und unterrichtlich erprobt. Beispielsweise wurden den Schülern auch Definitionen mit fehlerhaften Quantorenfolgen vorgelegt, deren Fehlerhaftigkeit aufgezeigt und korrigiert. In der Arbeit wird der didaktische Ort von Grenzwertprozessen im Curriculum der slowakischen Mittelschulen beschrieben und mit den Curricula von entsprechenden Schulen in Polen und Tschechien verglichen. Gemeinsam ist allen Curricula dieser Länder, dass der Unterricht nicht nur auf kalkülhaftes Beherrschen der Begriffe abzielt, sondern auch auf ein tieferes Verstehen. Ein Teil der Dissertation beschäftigt sich mit einem schulischen Unterrichtsversuch. Grundlage für diesen Versuch war ein Schulbuch, das von Handschriften des verstorbenen Professors Igor Kluvanek inspiriert ist. Er hielt 15 Jahre Analysisvorlesungen an der Flinders University in Adelaide (Australien). In den Handschriften von Kluvanek findet man interessante Methoden des Analysisunterrichts. Er beschäftigt sich mit den Begriffen Summe einer unendlichen geometrischen Reihe, Grenzwert einer Folge, Grenzwert einer Funktion, Stetigkeit, Ableitung. Im Unterrichtsversuch werden diese Begriffe benutzt. Eine auswertende empirische Evaluation des Unterrichtsversuchs erfolgte in quantitativer und in qualitativer Hinsicht.

(JMD 27 (2006) H. 1, S. 77-78)

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78 Dissertationen/Habilitationen

Quantitative Hinsicht: Als Eingangsvariable rur den Unterrichtsversuch wurden die Variable Logik, Algebraische Terme, Zahlenterme und Ungleichungen festgelegt und in einem Eingangstest bei den Schülern gemessen. Nach Durchfiihrung des Unterrichtsversuchs schrieben die Schüler einen Ausgangstest mit kalkülorientierten und verstehensorientierten Aufgaben (Wirkungsvariable ). Die Beziehungen zwischen Eingangs- und Wirkvariablen wurden mit einer implikativen Clusteranalyse untersucht. Qualitative Hinsicht: Es wurden schriftliche und mündliche Befragungen durchgeruhrt, deren Ergebnisse so zusammengefasst werden können: 1. Bei dem Begriff "Summe einer unendlichen geometrischen Reihe" haben die Schüler Probleme mit dem aktual Unendlichen und dem potentiell Unendlichen. Schwierigkeiten bestehen bereits bei dem Begriff der Unendlichkeit einer Menge. Manche Schüler meinen z.B., dass die Menge {1,2,3 ... } unendlich, die Menge {1l,12,13 ... } dagegen endlich ist. Viele Schüler meinen z.B. dass 0,9 < I ist. Bei diesem Problem können Paradoxien von Zenon (Achilles und die Schildkröte) hilfreich sein. Bei der Definition der Summe einer unendlichen Reihe und der Defmition der Stetigkeit einer Funktion an einer Stelle machen Schüler viele Fehler bei der Verwendung der Quantoren. Im Unterricht helfen hier Gegenbeispiele, in denen die Quantoren in vertauschter Reihenfolge vorkommen. 2. Viele Schüler verwechseln die Begriffe "Grenzwert einer Funktion an einer Stelle" und "Stetigkeit einer Funktion an einer Stelle". Hier ist es wichtig, im Unterricht Beispiele von Funktionen zu verwenden und aufzuzeigen, die an der betreffenden Stelle - einen Grenzwert haben und stetig sind, - einen Grenzwert haben und nicht stetig sind, - keinen Grenzwert haben. 3. Bei der Behandlung der Ableitung einer Funktion an einer Stelle ist es wichtig, mit Beispielen zu arbeiten, in denen keine Ableitung existiert. Bei der Behandlung des bestimmten Integrals war es rur die Schüler überraschend, dass bei der Lösung einer Aufgabe das Riemann-Integral und das Newton-Integral zum gleichen Ergebnis ruhrte. Ein weiteres Ergebnis der Arbeit ist, dass es bezüglich der Themen "Grenzwert einer Funktion" und "Ableitung" bereits Defizite bezüglich der Eingangsvariablen gibt, d.h. dass den Schülern oft Kenntnisse aus anderen Bereichen der Schulmathematik, die eigentlich vorhanden sein müssten, fehlen (Defizite in den Lernvoraussetzungen). Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass durch den Unterrichtsversuch elementare Fähigkeiten und Fertigkeiten verbessert werden konnten (z.B. der Umgang mit Zahlentermen und algebraischen Termen). Die Arbeit wurde als elektronische Publikation unter http://fedu.ku.sk/~guncaga/publikacie/ DizWeb.pdf veröffentlicht. .

PaedDr. Jan Guncaga, PhD. Lehrstuhl fiir Mathematik und Physik Pädagogische Fakultät der Katholischen Universität in Ruzomberok Namestie Andreja Hlinku 56 0340 I Ruzomberok Slowakei e-mail:[email protected]