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I20 Quellen und Entstehungsdatum yon Goethes Divan-Gedicht, u.s.w. Entstehung von s~imtlichen 1827 gedruckten Gedichten mit. Ausnahme yon nur ffinfen auf die Jahre I814 bis I82o festgelegt werden kann, dab also - im Gegensatz zu Beutlers Darstellung und auch sonst verbreiteter popul~rer Vorstellung - der Divan, wie er 1827 erschien und wit ihn jetzt lesen (fails niche die Paralipomena in die einzelnen B/icher einge- schaltet sind), 182o so gut wie abgeschlossen war. Von den ffinfen ist nun ,,M~irkte reizen dich zum Kauf" eines. Nach der yon Hans-J. Weitz 1951 erstmals festgelegten Datierung auf 1819 und unsrer hier vor- getragnen Begrfindung ist die Zahl derjenigen Gedichte, die' m6glicher- weise nach 1820 entstanden sein k6nnten, auf vier reduziert. Den Beweis daffir, dab der Wes>&tliche Divan fast vollstfindig I814 bis i82o ent- stand, m6ge der Leser in diesem Einzelartikel nicht yon mir verlangen. In der EinMtung eines in hoffentlich niche allzu ferner Zukunft er- scheinenden textgeschichtlichen Kommentars zum Divan glaube ich den Beweis ffr das hier nut Behauptete erbringen zu k6nnen. University of Connecticut. HA N S A L B E R T MA I E R. Anmerkungen. I. Wir geben den Text nach Goethes eigenMndiger Niederschrift (Ha~- Goethe- und Schiller-Archly, Kasten XI, Fasz. XV, Umschlag 3). Hinzugef(igt ist lediglich der dort fehlende Punkt am Gedichtsende. Gedruckt erschien das Gedicht (erstmals ,,Voll- st~ndige Ausgabe letzter Hand", Stuttgart und Tfibingen I827, 5. Bd., S. 73) mit ~mderungen, die teilweise in die fehlerhafte Schreiberabschrift (Druckvorlage) yon Goethe gesetzt worden waren, teilweise von Eckermanr~, der die letzte Revision vorge- nommen hatte, stammten. 2. Goethe- und Schiller-Archiv, Kasten XI, Fasz. XVI, Nr. 8I. Versehentlich schrieb Goethe ,,Bulistan" state ,,Bostan" (als Transkription des persischen Titels). Weimar- Ausgabe, erste Abteilung, 6. Bd. Paralip. 17, S. 476 f., Akademie-Ausgabe, 3. Bd., Paralip. I75, S. 174 f. 3. Goethe aIs Benutzer der Weimarer Bibliothek. Bearbeitet yon Elise von Keudell, hg. mit einem Vorwort yon Werner Deetjen. (Weimar 1931). Nr. 974, S. 154. 4. 8. Hans Ruppert, Goethes Bibliothek. (Weimar 1958). Nr. 2604, S. 384. 5. Goethe- und Schiller-Archly, Kasten iII, Fasz. II, Nr. 16. GRILLPARZERS MEDEA-TRILOGIE DAS GOLDENE VLIESS (~818-I82o) UND IHRE ANTIKEN VORBILDER Zu den vielen und verschiedenartigen Aspekten der vergleichenden Literaturwissenschaft geh6rt unzweifelhaft auch - und zwar als eine ihrer {iltesten und legitimsten Sprossen - die historische Betrachtung eines bestimmten Stoffes in verschiedenen Zeitr~iumen und Literaturen. Be- sonders reizvoll ist dieses Studium vor allem dann, wenn dieser Stoff an sich interessant ist und fiberdies in einem oder mehreren Kunst-

Grillparzers Medea-Trilogie DasGoldene Vliess (1818–1820) und ihre antiken Vorbilder

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I20 Quel len und E n t s t e h u n g s d a t u m yon Goethes D ivan -Ged ich t , u.s.w.

Entstehung von s~imtlichen 1827 gedruckten Gedichten mit. Ausnahme yon nur ffinfen auf die Jahre I814 bis I82o festgelegt werden kann, dab also - im Gegensatz zu Beutlers Darstellung und auch sonst verbreiteter popul~rer Vorstellung - der D i v a n , wie er 1827 erschien und wit ihn jetzt lesen (fails niche die Paralipomena in die einzelnen B/icher einge- schaltet sind), 182o so gut wie abgeschlossen war. Von den ffinfen ist nun ,,M~irkte reizen dich zum Kauf" eines. Nach der yon Hans-J. Weitz 1951 erstmals festgelegten Datierung auf 1819 und unsrer hier vor- getragnen Begrfindung ist die Zahl derjenigen Gedichte, die' m6glicher- weise nach 1820 entstanden sein k6nnten, auf vier reduziert. Den Beweis daffir, dab der W e s > & t l i c h e D i v a n fast vollstfindig I814 bis i82o ent- stand, m6ge der Leser in diesem Einzelartikel nicht yon mir verlangen. In der EinMtung eines in hoffentlich niche allzu ferner Zukunft er- scheinenden textgeschichtlichen Kommentars zum D i v a n glaube ich den Beweis f f r das hier nut Behauptete erbringen zu k6nnen.

Univers i t y o f Connect icu t . HA N S A L B E R T MA I E R.

Anmerkungen.

I. Wir geben den Text nach Goethes eigenMndiger Niederschrift (H a~ - Goethe- und Schiller-Archly, Kasten XI, Fasz. XV, Umschlag 3). Hinzugef(igt ist lediglich der dort fehlende Punkt am Gedichtsende. Gedruckt erschien das Gedicht (erstmals ,,Voll- st~ndige Ausgabe letzter Hand", Stuttgart und Tfibingen I827, 5. Bd., S. 73) mit ~mderungen, die teilweise in die fehlerhafte Schreiberabschrift (Druckvorlage) yon Goethe gesetzt worden waren, teilweise von Eckermanr~, der die letzte Revision vorge- nommen hatte, stammten.

2. Goethe- und Schiller-Archiv, Kasten XI, Fasz. XVI, Nr. 8 I. Versehentlich schrieb Goethe ,,Bulistan" state ,,Bostan" (als Transkription des persischen Titels). Weimar- Ausgabe, erste Abteilung, 6. Bd. Paralip. 17, S. 476 f., Akademie-Ausgabe, 3. Bd., Paralip. I75, S. 174 f.

3. Goethe aIs Benutzer der Weimarer Bibliothek. Bearbeitet yon Elise von Keudell, hg. mit einem Vorwort yon Werner Deetjen. (Weimar 1931). Nr. 974, S. 154.

4. 8. Hans Ruppert, Goethes Bibliothek. (Weimar 1958). Nr. 2604, S. 384. 5. Goethe- und Schiller-Archly, Kasten iII, Fasz. II, Nr. 16.

G R I L L P A R Z E R S M E D E A - T R I L O G I E

D A S G O L D E N E V L I E S S (~818-I82o) U N D I H R E

A N T I K E N V O R B I L D E R

Zu den vielen und verschiedenartigen Aspekten der vergleichenden Literaturwissenschaft geh6rt unzweifelhaft auch - und zwar als eine ihrer {iltesten und legitimsten Sprossen - die historische Betrachtung eines bestimmten Stoffes in verschiedenen Zeitr~iumen und Literaturen. Be- sonders reizvoll ist dieses Studium vor allem dann, wenn dieser Stoff an sich interessant ist und fiberdies in einem oder mehreren Kunst-

Th. C. Van S t o c k u m - Grillparzers Medea-Trilogie I2I

werken hohen Ranges Verk6rperung gefunden hat. DaB dies beim Medea-Stoff der Fall ist, wird kein auch nur oberflfichlicher Kenner der Weltliteratur ffir einen Augenblick bezweifeln. Namentlich dessen dramatische Versionen von Euripides (431 v. Chr.) bis Anouilh und Robinson ~[effers (1946, bzw. 1958 ) sind literarhistorisch und psycholo- gisch yon besonderer Bedeutung. Vor einigen Jahren habe ich das in dieser Zeitschrift (Neophil. XXXXIII, 2-Io, I959) ffir die Medeia des Eur ip ides , Senecas Medea (etwa zwischen 41 und4 9 n. Chr.) und Corne i l l e s M6d~e (1635) nachzuweisen versucht.

Aber speziell die deutsche Literatur hat eine lange Reihe yon Medea- Dramen aufzuweisen. Sie setzt im I8. Jahrhundert mit einem Vers- melodram G o t t e r s (Medea, I775), einer Verstrag6die Sodens (Medea, I785, gedr. 1814) und zwei bewerkenswerten Prosadramen Kl inge r s (Medea in Korinth, 1786, und Medea auf dem Kaukasos (beide gedr. 1791) ein und scheint mit Bernus ' Medea (I912) einen vorI~iufigen AbschluB- gefunden zu haben. Abet auch hier, wie in anderen Literaturen, gibt es nur ein Werk yon tibernationaler Geltung, eben F ranz G r i l l p a r z e r s Das goIdene VlieJ3.

Wenn wir uns nun dieser Dichtung zuwenden, mul3 ich, um mich nicht unn6tig zu wiederholen, auf die Analysen der beiden antiken Trag6dien in meinem obenerw/ihnten Aufsatz zurfickverweisen. Hatten wires dort mit relativ kurzen Dramen von analytisch-regressiver Struktur zu tun, so geh6rt Griilparzers Werk einer ganz andern dramatischen Gattung an, welche man die synthetisch-progressive zu nennen pflegt. Diese Dichtung bringt nfimlich nicht nur den Abschlul3 der Handlung, die Katastrophe, zur Darstellung, sondern das ganze Geschehen in seiner kausalen Entwicklung einschliel31ich desjenigen, was bei Euripides und Seneca nicht mehr als ,,Vorgeschichte" ist. Bei diesem zeitlich und r~ium- lich sehr ausgedehnten und auch sonst komplizierten Stoff bedeutet das eine ungeheure Erweiterung des Umfangs, die eine Durchbrechung der Einheit der Zeit und des Ortes notwendig machte, ja eine Aufspaltung in mehr als ein Drama ausdrficklich verlangte. So entstand denn eine Art Trilogie, welche die Dramen Der Gastfreund (ein Aufzug), Die Argonauten (4 Aufzfige) und Medea (5 Aufzfige) umfaf3te.

DaB die Ausarbeitung der Dichtung mehrere Jahre in Anspruch nahm, ist denn auch nicht verwunderlich, wenn Grillparzer auch die Dramen des Euripides und des Seneca, yon denen es auch schon damals deutsche Ubersetzungen gab (von Seneca von j. W. Rose, Anspach I777-I78I ; yon Euripides yon J.B.Alxinger, Wien I794), und wohl auch das 7.Buch von Ov ids Metamorphosen (vor 8 n. Chr.) schon yon frfiher her ge- gekannt haben wird. In Wien hat er fiberdies im Jahre 1817 den Auf- f~hrungen von Gotters Werk und yon C h e r u b i n i s Oper Medea bei- gewohnt. Uber Entstehung und Voilendung der Trilogie sind wir u.a. dutch Grillparzers Autobiographie (i 853) ziemlich gut unterrichtet: die Konzeption ffillt in den Juni z 818, die erste Arbeit (Der Gastfreund und

NeophiIologus, XL VII. 8

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etwa drei Aufzfige der Argonauten (dauert bis Mitte November I818; die durch die Umst~inde (Liebeswirren, Selbstmord der Mutter, Italien- reise, Konflikt mit dem kaiserlichen Hof) ungew6hnlich lange Unter- brechung der Arbeit w~ihrte bis zum Herbst I819. Danach wurden bis zum 27. Januar 182o Die Argonauten und Medea fertig und am 8. Novem- ber wurde das Ganze abgeschlossen. Die Uraufffihrung, die nur einen Achtungserfolg brachte, land am 26. und 27. M~irz I82I statt.

Die Quellenfrage ist damit freilich noch nicht ersch6pft. Unzweifelhaft hat Grillparzer auch Sodens Drama und Kl inge r s Medea in Korinth gelesen; von Corne i l l e s M~d~e steht das nicht fest. Er hat aber auch den ausffihrlichen Artikel ,,Medea" in H e d e r i c h s MythoIogischem Lexikon (I724, bzw. 2177o) studiert und f~r die Gestaltung seines zweiten und dritten Dramas zwei epische Versionen benutzt: die griechischen Argonautika des A p o l l o n i o s yon Rhodos (etwa 26o v. Chr.) und die lateinischen Argonautica des Valer ius F laccus (etwa 90 n. Chr.), die beide ffir die Charakteristik von Iason und Medea bei Grillparzer nicht ohne Bedeutung gewesen sind.

Natfirlich war es, auch in diesem ger~iumigeren Rahmen, nicht m6g- lich, die Vorgeschichte voUst/indig auf die Bretter zu bringen; schon rein bfihnentechnisch war das kaum ausf~hrbar. So schildert denn Der Gastfreund nur die Art und Weise, wie Aietes sich in den Besitz des goldenen VlieBes zu setzen weiB: der K6nig von Kolchis t6tet seinen ahnungslosen Gast Phryxus, wobei Medea einen wichtigen Teil der Schuld/ibernimmt. Das zweite Drama, Die Argonauten, zeigt uns, wie die Argofahrer als Rficher des Phryxus sich des VlieBes bemfichtigen, wobei Medea, die den jungen Griechen Iason liebgewonnen hat, ihm zweimal das Leben rettet und es ihm m6glich macht, das Ziel der Fahrt zu erreichen. Sie ist sich dabei klar bewul3t, dab sie damit Verrat an ihrem Vater und an ihrem Volk begeht. Ihr Bruder Absyrtus wird als Geisel gefangengenommen, weil3 aber - anders als in der Sage - zu ent- wischen, springt ins Meer und ertrinkt, w~ihrend der seelisch ganz ge- brochene Aietes sp~iter Selbstmord begeht. In Korinth erfolgt dann in dem abschliel3enden Drama Medea die Katastrophe. Die Liebe zwischen Iason und Medea erkaltet in dem neuen Milieu schnell: vor allem Medea f~hlt sich als eine Art Pafia und ihre Versuche, sich den griechischen Sitten anzupassen, f~hren bloB zu einem peinlichen Mil3erfolg, w~ihrend Iason sich immer mehr von der K6nigstochter Kreusa, die er schon von Jugend auf kennt, angezogen f~hlt. Ffir die weitere Entwicklung ent- scheidend ist es nun, dab der Herold des Amphiktyonenbundes - haupt- s~ichlich auf Grund der Ermordung des alten Pelias, an der Iason genau so schuldig, bzw. unschuldig ist wie Medea - den Bannfluch fiber ihn und die Seinen ausspricht; in den antiken Trag6dien ist von diesem Bann nirgends die Rede. Kreon ist bereit, ihn zu schfitzen, abet nur unter der Bedingung, dab er Kreusa heiratet und dab Medea Korinth verl/il3t - die Kinder dfirfen bleiben. Jetzt schl~igt die frustrierte Liebe

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der Medea in grimmigen HaB urn, der noch von ihrer barbarischen Amme Gora gesch/irt wird, w~hrend es Kreon vor allem um den Besitz des Vliel3es zu tun ist, das Medea irgendwo versteckt hat. Den Schlug hat Grillparzer, wie Corneille - wenn auch in ganz anderer Weise - weitgehend ge~indert.

In einem langen und peinlichen Gespdich verlangt Medea von Iason nur, dab sie die beiden Kinder behalten d/irfen werde. Eins davon wird ihr zugestanden, aber die Wahl soil den Kindern selbst fiberlassen bleiben. Beide wenden sich vonde r verzweifelten Mutter, die ihnen in ihrer wilden Wut nur Furcht einfl613t, ab, und fltichten sich in die Arme der Kreusa ! Damit ist die Entscheidung gefallen. Medea sinnt nur noch auf Rache und l~il3t Gora der Kreusa das goldene VlieB und ein goldenes GeffiB bringen, welches das Zauberfeuer enthiilt, das f/Jr diese den Tod bedeutet. Und nach einem schmerzlichen Abschied von ihren Kindern t6tet sie diese - f/ir den Zuschauel nicht sichtbar, anders als bei Seneca, aber in Ubereinstimmung mit Euripides. Der um seine Tochter trauemde Kreon verbannt jetzt Iason, und dieser, yon aUen verlassen, hat noch eine letzte trostlos-herbe Unterhaltung mit Medea, die das verMngnis- voile Vlief3 nach Delphi bringen will und ihm klar macht - ein Motiv, das in den antiken Trag6dien durchaus fehh -, dab nicht der Tod das Schlimmste ist, sondern - d a s Leben in seiner unentrinnbaren Hoff- nungslosigkeit:

Nicht traur'ich, dab die Kinder nicht mehr sind, Ich traure, dab sie waren und dab wir sind.

Was ist der Erde G1/ick? - Ein Schatten[ Was ist der Erde Ruhm? - Ein Trauml

Der auff~lligste Unterschied zwischen diesem Drama und den antiken Dramatisierungen desselben Stoffes ist die Tatsache, dab hier die han- delnden Personen - mehr noch als bei Corneille - zu modernen und durchaus unantiken Menschen geworden sind, und dab infolgedessen wenigstens der Medea-Teil zu einem richtigen Eifersuchtsdrama - was die Dramen des Euripides und des Seneca prim/ir durchaus nicht sind -, oder vielleicht richtiger noch, zu einer mehr oder weniger modernen, bzw. romantischen EhetragSdie umgestaltet worden ist.

Aber es w~ire dennoch unrichtig, das ganze Werk ausschliel31ich yon diesem Standpunkt aus zu betrachten. Nicht ohne Grund heil3t es Das goIdene VlieJ3: das Ganze wird zusammengehalten durch dieses zentrale Symbol, in dem die weltanschauliche Bedeutung der Trilogie, um die es Gritlparzer in erster Linie zu tun war, beschtossen liegt. Und dieses Symbol hat eine mehrfache Bedeutung. Ffirs erste steht es fiir die Nemesis, die Vergeltung, die dafiir sorgt, dab der Mensch, der einmal vom richtigen Wege abgewichen ist, sich immer mehr in Schuld ver-

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strickt und sich selbst dadurch ins Verderben st~rzt. Aber dann doch auch f~r dasjenige, was S c h o p e n h a u e r den Willen zum Leben und N i e t z s c h e den WilIen zur Macht genannt hat, und f~r dessen Ver- lockung, die den dadurch Verlockten frtih oder spgt zugrunde richter. Diese beiden Gedankenkomplexe sind zwar nicht identisch, aber keines- wegs unvereinbar: die egoistische Begierde nach Leben und Glfick stCirzt ja gerade den Menschen in Schuld und Frevel und f/ihrt auf diesem, bisweilen langen Weg seinen Untergang herbei.

In unserer Trilogie zeigt sich dies deutlich im Schicksal fast aller Haupt - und einiger Nebenpersonen: bei Phryxus, der ffir seinen TempeDaub in Delphi mit dem Tod btiBt; bei Aietes, der fiir die Ermor- dung des Phryxus mit dem Verlust seines Sohnes, in etwas anderem Sinne auch seiner Tochter, schlieBlich mit dem eigenen Leben zahlt; bei Pelias, der infolge des Unrechts, das er seinem Bruder zugeffigt hat, den Tod findet; bei Kreon, dessen Habsucht den Tod seiner Tochter zur Folge hat, und namentlich bei dem Egoisten Iason, dessen hem- mungslose Ichsucht ihn alles und jedes Lebensgl/icks (Heimat, Gattin, Kinder) und jedes Lebensziels beraubt. In all diesen F~illen spielt der Besitz des goldenen VlieBes eine zentrale Rolle, daran entzfindet sich die gierige Habsucht und immer ist es die Ursache des Todes oder des innern Untergangs, der vielleicht schlimmer ist der Tod, - oder doch der AnlaB dazu. Insoweit bildet die ganze Trilogie eine folgerichtig durchgef~hrte innere Einheit, obwohl zugestandenermaBen das Symbol im Gastfreund und in den Argonauten nicht nur st~irker benachdruckt, sondern auch Mufiger ausdrficklich erwfihnt wird als in der Medea: etwa sechsunddreil3igmal gegen vierzehnmal. Und dieses Vliel3-Symbol zeigt eine sehr deutliche Verwandtschaft mit der Lehre Schopen- hauers , vonder wir wissen, dab Grillparzer sie relativ grfindlich ge- kannt hat, ohne dab bei ihm, wie z.B. beim ,,Nibelungenhort" in W a g n e r s Ring des Nibelungen (Text I853) von direkter und bewuI3ter Abh~ingigkeit die Rede sein kann.

Auch in der Tragik, der Medea zum Opfer fgEt, spielt dieses Motiv des Lebenswillens eine gewisse Rolle, aber gerade sie ist g~inzlich frei von jeder Begierde nach dem symbolischen goldenen VlieB: was sie f~r den Besitz desselben unternimmt, geschieht ausschlieBlich Iason zuliebe. Und es ist ein ganz anderes Motiv, das die tragische Entwicklung ihres Lebens beherrscht: der Gegensatz zwischen der ~isthetisch-harmonischen Kultur der Griechen, wie sie bier - anders als bei Euripides - namentlich in Kreusa verk6rpert erscheint, und dem ungehemmten, d~imonisch- primitiven Barbarentum des Volkes yon Kolchis, das vor allem yon Aietes und Gora vertreten wird. Dieses bei Euripides nur leise ange- deutete Motiv hat er wohl aus Ov ids Metamorphosen fibernommen, wo Medea selbst sagt: ,,nempe est mea barbara tellus" und den Ubergang von Koichis nach Griechenland mit den Worten schildert: ,,non magna relinquam ] magna sequar'"; die neue Heimat ist ftir sie ein ,,melior

Th. C. Van S t o c k u m - G r i I l p a r z e r s Medea-Tr i tog i e I25

locus", dessen Lebensart (cultus) und Kunstliebe (artes) sie reizen und anziehen. Und dieser Gegensatz wird frir sie verMngnisvoll, in dem Sinne, dab sie in ihrer, durch ihre Liebe zu Iason entstandenen Sehn- sucht nach einer kultivierteren, humaneren Existenzform dem eigenen tiefsten Selbst untreu wird und dennoch die erstrebte Harmonie nicht zu erreichen vermag. Insoweit ist man denn doch wieder berechtigt, von einem gewissen Bruch, einem gewissen Mangel an innerer Einheitlich- keit, in diesem Werk zu sprechen - auch Grillparzer selbst hat das wiederholt getan. Wird ja die Bedeutung des VlieB-Motivs nach den Argonauten merklich geringer, w~ihrend de-r Gegensatz Griechen- Barbaren das SchluBdrama nahezu ganz beherrscht. Aber, sowie das fatale Symbol auch in der Medea keineswegs jede Bedeutung verliert, ist auch der ethnische Gegensatz bereits in den ersten beiden Stricken deutlich genug vorhanden und in die Handtung integriert, um die inhere Einheit nicht allzusehr zu gef~ihrden. Und auch in der sprachlichen Ausdrucksweise und der Versifikation der ganzen Trilogie ist dieser Gegensatz konsequent festgehalten worden - offenbar hat Grillparzer das bewuBt so gewoUt.

Wenn man also auch kaum sagen kann, dab er die lapidare Gr613e von E u r i p i d e s ' Drama tibertroffen, oder auch nur erreicht habe, so kann doch seine durch die schwere weltanschauliche Belastung so cha- rakteristisch deutsche Trag6die sich neben der blutrrinstig-rhetorischen Version des Seneca und dem so stark verhSfischten, franzSsierten und romantisierten Drama des jungen Corne i l l e ruhig sehen lassen.

Groningen. TH. C. VAN STOCKUM.

L I T E R A T U R

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