4
Am Anfang stand eine Wette. So jeden- falls will es der Mythos über den Ursprung des Wintersports als einer Attraktion, die Jahr für Jahr unzählige Besucher aus aller Welt in die Schweizer Berge lockt. Bis ins fortgeschrittene 19. Jahrhundert hinein war das, was heute ein nicht mehr wegzudenken- des Urlaubsvergnügen ist, in den Vorstellungen der meis- ten Menschen schlicht nicht existent. Dann aber trat, im Jahr 1864, der St. Moritzer Hotelier Johannes Badrutt auf den Plan und unterbreitete einigen britischen Sommer- feriengästen folgenden Vorschlag: Sie sollten doch einmal im Winter in sein Hotel kommen und sich an dem Anblick der Berge erfreuen. Wenn es ihnen nicht gefalle – so Bad- rutts Wetteinsatz –, werde er ihre Reisekosten von London nach St. Moritz und wieder zurück übernehmen. Die Bri- ten schlugen ein, reisten an Weihnachten an – und sollen, so wird die Geschichte erzählt, bis Ostern geblieben sein. Sie gelten als die ersten Wintertouristen in den Alpen und als Pioniere des Wintersports. Mit ihrer Rückkehr nach London verbreitete sich die Kunde von der winterlichen Offenbarung wie ein Lauffeuer. Badrutt indes beliess es nicht allein bei der Wette, er trug auch in den kommenden Jahren Sor- ge dafür, dass St. Moritz zu einem Mekka des Winter- sports wurde, das illustre, häufig auch prominente Gäste GRÜSSE AN DIE DAHEIMGEBLIEBENEN — ODER WIE DER WINTERSPORT IN DER SCHWEIZ EINZUG HIELT UND DIE BILDPOSTKARTE DIE WINTERFREUDEN IN DIE WELT TRUG

GRÜSSE AN DIE DAHEIMGEBLIEBENEN — ODER WIE DER … · aller Welt in die Schweizer Berge lockt. Bis ins fortgeschrittene 19. Jahrhundert hinein war das, was heute ein nicht mehr

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • Am Anfang stand eine Wette. So jeden-falls will es der Mythos über den Ursprung des Wintersports als einer Attraktion, die Jahr für Jahr unzählige Besucher aus aller Welt in die Schweizer Berge lockt.

    Bis ins fortgeschrittene 19. Jahrhundert hinein war das, was heute ein nicht mehr wegzudenken-des Urlaubsvergnügen ist, in den Vorstellungen der meis-ten Menschen schlicht nicht existent. Dann aber trat, im Jahr 1864, der St. Moritzer Hotelier Johannes Badrutt auf den Plan und unterbreitete einigen britischen Sommer-feriengästen folgenden Vorschlag: Sie sollten doch einmal im Winter in sein Hotel kommen und sich an dem Anblick der Berge erfreuen. Wenn es ihnen nicht gefalle – so Bad-rutts Wetteinsatz –, werde er ihre Reisekosten von London nach St. Moritz und wieder zurück übernehmen. Die Bri-ten schlugen ein, reisten an Weihnachten an – und sollen, so wird die Geschichte erzählt, bis Ostern geblieben sein. Sie gelten als die ersten Wintertouristen in den Alpen und als Pioniere des Wintersports. Mit ihrer Rückkehr nach London verbreitete sich die Kunde von der winterlichen Offenbarung wie ein Lauffeuer.

    Badrutt indes beliess es nicht allein bei der Wette, er trug auch in den kommenden Jahren Sor-ge dafür, dass St. Moritz zu einem Mekka des Winter-sports wurde, das illustre, häufig auch prominente Gäste

    G R Ü S S E A N D I E D A H E I M G E B L I E B E N E N — O D E R W I E D E R W I N T E R S P O R T I N D E R S C H W E I Z E I N Z U G H I E L T U N D D I E B I L D P O S T K A R T E D I E W I N T E R F R E U D E N I N D I E W E L T T R U G

    schweizsportif_heftchen_20131031.indd 3 31.10.13 14:24

  • 4 G R Ü S S E A N D I E D A H E I M G E B L I E B E N E N

    anzog. Badrutt organisierte Schlittenfahrten über den ge frorenen Moritzsee, für die sich besonders die Damen begeisterten. Weil gerade in den ersten Jahren viele eng-lische Touristen nach St. Moritz kamen und ihre traditi-onellen Sportarten wie Curling, Bob oder Skeleton mit-brachten, liess Badrutt vor seinem Hotel eine Curlingbahn anlegen. Am 22. Dezember 1880 wurde zum ersten Mal in der Schweiz Curling gespielt. Vier Jahre später veranlasste Badrutt den Bau einer Skeletonbahn zwischen St. Moritz und Celerina: den Cresta Run.

    (Der Wintersport war nicht der einzige Bereich, in dem Badrutt seiner Zeit einen kleinen Schritt voraus war. Auf der Pariser Weltausstellung etwa kaufte er eine Belichtungsanlage und liess in der Nähe seines Hotels ein kleines Kraftwerk bauen, so dass an Weihnachten 1878 der Speisesaal des Klum-Hotels in St. Moritz von den ersten elektrischen Bogenlampen der Schweiz illuminiert wurde. Auch mit Innovationen wie dem Telefon, Wasserklosetts, Heizungen mit gewärmter Luft oder hydraulischen Liften bedachte Badrutt sein Hotel.)

    • Vermutlich hätte sich der Wintersport – in St. Moritz, aber auch in den Schweizer Bergen überhaupt – nicht allein durch die Bemühungen von Badrutt und ihm Gleichgesinnter so rasch zu einem Massenphänomen ent-

    schweizsportif_heftchen_20131031.indd 4 31.10.13 14:24

  • 5 P E T E R G R A F

    wickeln können. Hier half ein anderes Phänomen, das da-mals selbst noch in den Kinderschuhen steckte: die An-sichtskarte. Jene mit Motiven bedruckten und mit Urlaubs-grüssen versehenen Karten waren es, die das Bild des Win-tersports in die Welt trugen.

    Die klassische Urlaubsphotographie, wie wir sie heute kennen, gab es in dieser Zeit natürlich noch nicht, kaum jemand besass eine Kamera und die Aufnah-meverfahren waren viel zu aufwändig, als dass man neben-bei ein paar Eindrücke von den eigenen Ferientagen hätte festhalten können. So waren es vor allem die postalischen Kartengrüsse, die den Daheimgebliebenen von den Verlo-ckungen des Skifahrens, des Schlittelns, des Pferderennens oder des Curlings kündeten. Oder auch nur von der Attrak-tion einer Wanderung durch die verschneite Landschaft.

    Bis die Postkarte, wie wir sie heute ken-nen, verschickt werden konnte, galt es allerdings einige Hürden zu überwinden. Noch 1865, als der spätere Staats-sekretär des Reichspostamtes und Staatsminister Heinrich von Stephan auf der 5. Weltpostkonferenz für die Einfüh-rung eines offenen «Postblattes» plädierte, war sein Vor-schlag mit der Begründung abgelehnt worden, dass das of-fene Verschicken von Nachrichten unschicklich sei. Knapp vier Jahre später, zu Beginn des Jahres 1869, entfaltete der österreichische Nationalökonom Emanuel Herrmann in

    schweizsportif_heftchen_20131031.indd 5 31.10.13 14:24

  • 6 G R Ü S S E A N D I E D A H E I M G E B L I E B E N E N

    der « Neuen Freien Presse» seine Idee einer «Correspon-denzkarte», die eine 2-Kreuzer-Marke gleich aufgedruckt haben sollte und damit das damals übliche Briefporto von 5-Kreuzern deutlich unterbot. Herrmanns Anregung wurde aufgenommen. Im September desselben Jahres erschien die erste Correspondenzkarte und setzte sich rasch auch außer-halb von Österreich durch.

    Lag das Monopol der Kartenproduktion zunächst bei der Post, durften in der Schweiz – ähnlich wie in den Nachbarländern – seit 1872 auch private Post- oder Motivkarten verschickt werden. Erst durch den Berner Post-vereinsvertrag vom 1. Juli 1875 allerdings wurden sie auch für den internationalen Verkehr zugelassen, bis dahin war der Kartenverkehr nur innerhalb der jeweiligen Ländergren-zen zulässig gewesen. Zunächst beinhaltete dieser Vertrag 21 Länder. 1878 wurde der Geltungsbereich noch einmal er-weitert. 1879 löste in der Schweiz die in anderen Ländern mittlerweile übliche Bezeichnung «Postkarte» die Bezeich-nung «Correspondenzkarte» ab.

    • Erst mit dem Ausgang des 19. Jahrhun-derts aber konnte sich die Ansichtskarte tatsächlich als Massenphänomen durchsetzen. Zu verdanken war das der Einführung neuer Druckverfahren. Während bisher die Bildmotive fast immer einfarbig, zumeist in Sepia tönen ge-

    schweizsportif_heftchen_20131031.indd 6 31.10.13 14:24