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| Der Gynäkologe 12•2001 1182 Nur wenige medizinische Forschungs- gebiete erhielten in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit wie die soma- tische Gentherapie. Die bahnbrechen- den molekularbiologischen Entdeckun- gen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, die im Jahr 2001 in der Entschlüsselung weiter Teile des menschlichen Genoms ihren bisherigen Höhepunkt fanden [1, 2], schufen die Voraussetzungen dafür. Heute kann man mit zunehmend ausgefeilten Methoden Gene in Zellen einbringen und diese dadurch neu pro- grammieren. Dennoch wird es einige Jahre dauern, bis eine ausgereifte Gen- therapie für viele ansonsten nicht be- handelbare Krankheiten zur Verfügung stehen wird. Die im vergangenen Jahr z. B. bei Patienten mit Hämophilie B und schwerer Immunschwäche erzielten kli- nischen Erfolge [3, 4] werden die For- schung so beflügeln, dass die Genthera- pie in den nächsten Jahrzehnten zu ei- ner festen therapeutischen Größe in der Medizin heranwachsen kann. Geschichtlicher Abriss Die wesentlichen Entdeckungen in der Gentherapie liegen nur wenige Jahr- zehnte zurück: 1944 bewies Avery, dass Desoxyribonukleinsäure (DNS) die Speichersubstanz der Erbinformation ist. 1955 schlugen Watson und Crick die Doppelhelixstruktur der DNS vor, die Tripletstruktur des genetischen Codes wurde 1961 entschlüsselt. Die im glei- chen Jahr entdeckte Botenribonuklein- säure (mRNS) enthüllte einen prinzipi- ellen Mechanismus der Übersetzung von Genen in Proteine. Durch die Klo- nierung eukaryotischer Gene in bakte- rielle Plasmide (erstmals 1974) wurde die Vermehrung und Untersuchung von Genen revolutioniert. 1977 wurden Tech- niken zur Sequenzierung von DNS ent- wickelt, 1979 die ersten Krebsgene (On- kogene) entdeckt. Heute weiß man, dass Krebserkrankungen stets durch geneti- sche Veränderungen (Mutationen) ent- stehen. Im Jahre 2001 wurde eine erste Sequenz des menschlichen Genoms pu- bliziert. Überraschenderweise fanden sich bisher nur 30.000–40.000 Protein- kodierende Sequenzen [1, 2], von denen über ein Zehntel (mehr als 4000 Gene) an der Entstehung von monogenen Erb- krankheiten beteiligt ist. Amerikanische Wissenschaftler führten 1990 die erste Gentherapie an Patienten durch (Tabelle 1): Die damals vierjährige Ashanthi DeSilva, die mit Adenosindeaminase(ADA)-Mangel, ei- nem schweren, meist tödlich endenden Immundefekt, geboren worden war, er- hielt am National Institute of Health die erste Infusion autologer T-Lymphozy- ten, in die ein normales, funktionsfähi- ges ADA-Gen eingebracht worden war. Heute lebt Ashanthi DeSilva fast wie ein normales gleichaltriges Kind. Bisher sind weltweit über 3400 Pati- enten in mehr als 530 Gentherapiestudi- en behandelt worden. Die Gentherapie bleibt trotz einiger Rückschläge eines der dynamischsten Forschungsgebiete der Medizin (s. Tabelle 1). Im Jahr 2000 gelang der Nachweis, dass die Genthera- pie klinisch fassbare Erfolge zu erzielen vermag [3, 4]. Gynäkologie aktuell Gynäkologe 2001 · 34:1182–1188 © Springer-Verlag 2001 M. Hallek 1,2,3 · H. Buening 2 · M. Ried 2 · U. Hacker 1,2 · Ch. Kurzeder 3 · C.-M.Wendtner 1,3 1 Medizinische Klinik III, Klinikum der Universität München, Großhadern 2 Genzentrum der Universität München 3 GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit,Hämatologikum, Klinische Kooperationsgruppe für Gentherapie Grundlagen der Gentherapie Prinzipien und Stand der Entwicklung Prof. Dr. M. Hallek Medizinische Klinik III, Klinikum der Universität München, Großhadern, Marchioninistraße 15, 81377 München Redaktion H. Hepp, München Tabelle 1 Gentherapie: historischer Abriss 1989 Erste Genmarkierungsstudie (Rosenberg) 1990 Erste Gentherapiestudie an Patien- ten mit Adenosindesaminasedefi- zienz (Blaese, Culver, Anderson). 1994 Erste Gentherapiestudien in Deutschland. 2000 Erster Nachweis der klinischen Wirksamkeit der Gentherapie (Hämophilie B, Immundefizienz) 2001 Mehr als 500 Gentherapiestudien weltweit mit über 3400 Patienten. Erstveröffentlichung in Der Internist, Heft 10/2001

Grundlagen der Gentherapie

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| Der Gynäkologe 12•20011182

Nur wenige medizinische Forschungs-gebiete erhielten in den letzten Jahrenso viel Aufmerksamkeit wie die soma-tische Gentherapie. Die bahnbrechen-den molekularbiologischen Entdeckun-gen in der zweiten Hälfte des letztenJahrhunderts, die im Jahr 2001 in derEntschlüsselung weiter Teile desmenschlichen Genoms ihren bisherigenHöhepunkt fanden [1, 2], schufen dieVoraussetzungen dafür.

Heute kann man mit zunehmendausgefeilten Methoden Gene in Zelleneinbringen und diese dadurch neu pro-grammieren. Dennoch wird es einigeJahre dauern, bis eine ausgereifte Gen-therapie für viele ansonsten nicht be-handelbare Krankheiten zur Verfügungstehen wird. Die im vergangenen Jahrz. B. bei Patienten mit Hämophilie B undschwerer Immunschwäche erzielten kli-nischen Erfolge [3, 4] werden die For-schung so beflügeln, dass die Genthera-pie in den nächsten Jahrzehnten zu ei-ner festen therapeutischen Größe in derMedizin heranwachsen kann.

Geschichtlicher Abriss

Die wesentlichen Entdeckungen in derGentherapie liegen nur wenige Jahr-zehnte zurück: 1944 bewies Avery, dassDesoxyribonukleinsäure (DNS) dieSpeichersubstanz der Erbinformationist. 1955 schlugen Watson und Crick dieDoppelhelixstruktur der DNS vor, dieTripletstruktur des genetischen Codeswurde 1961 entschlüsselt. Die im glei-chen Jahr entdeckte Botenribonuklein-säure (mRNS) enthüllte einen prinzipi-ellen Mechanismus der Übersetzungvon Genen in Proteine. Durch die Klo-nierung eukaryotischer Gene in bakte-rielle Plasmide (erstmals 1974) wurdedie Vermehrung und Untersuchung vonGenen revolutioniert. 1977 wurden Tech-niken zur Sequenzierung von DNS ent-wickelt, 1979 die ersten Krebsgene (On-kogene) entdeckt. Heute weiß man, dassKrebserkrankungen stets durch geneti-sche Veränderungen (Mutationen) ent-stehen. Im Jahre 2001 wurde eine ersteSequenz des menschlichen Genoms pu-bliziert. Überraschenderweise fandensich bisher nur 30.000–40.000 Protein-kodierende Sequenzen [1, 2], von denenüber ein Zehntel (mehr als 4000 Gene)an der Entstehung von monogenen Erb-krankheiten beteiligt ist.

Amerikanische Wissenschaftlerführten 1990 die erste Gentherapie anPatienten durch (Tabelle 1): Die damalsvierjährige Ashanthi DeSilva, die mitAdenosindeaminase(ADA)-Mangel, ei-nem schweren, meist tödlich endendenImmundefekt, geboren worden war, er-hielt am National Institute of Health die

erste Infusion autologer T-Lymphozy-ten, in die ein normales, funktionsfähi-ges ADA-Gen eingebracht worden war.Heute lebt Ashanthi DeSilva fast wie einnormales gleichaltriges Kind.

Bisher sind weltweit über 3400 Pati-enten in mehr als 530 Gentherapiestudi-en behandelt worden. Die Gentherapiebleibt trotz einiger Rückschläge einesder dynamischsten Forschungsgebieteder Medizin (s. Tabelle 1). Im Jahr 2000gelang der Nachweis, dass die Genthera-pie klinisch fassbare Erfolge zu erzielenvermag [3, 4].

Gynäkologie aktuellGynäkologe2001 · 34:1182–1188 © Springer-Verlag 2001

M. Hallek1,2,3 · H. Buening2 · M. Ried2 · U. Hacker1,2 · Ch. Kurzeder3 · C.-M.Wendtner1,3

1 Medizinische Klinik III, Klinikum der Universität München, Großhadern2 Genzentrum der Universität München3 GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Hämatologikum,

Klinische Kooperationsgruppe für Gentherapie

Grundlagen der GentherapiePrinzipien und Stand der Entwicklung

Prof. Dr. M. HallekMedizinische Klinik III, Klinikum der Universität

München, Großhadern, Marchioninistraße 15,

81377 München

RedaktionH. Hepp, München

Tabelle 1Gentherapie: historischer Abriss

1989 Erste Genmarkierungsstudie (Rosenberg)

1990 Erste Gentherapiestudie an Patien-ten mit Adenosindesaminasedefi-zienz (Blaese, Culver, Anderson).

1994 Erste Gentherapiestudien inDeutschland.

2000 Erster Nachweis der klinischenWirksamkeit der Gentherapie(Hämophilie B, Immundefizienz)

2001 Mehr als 500 Gentherapiestudienweltweit mit über 3400 Patienten.

Erstveröffentlichung in

Der Internist, Heft 10/2001

Der Gynäkologe 12•2001 | 1183

Definition

Die Gentherapie ist definiert als dasEinbringen von Genen in Gewebe oderZellen mit dem Ziel, durch die Expressi-on und Funktion dieses Gens einentherapeutischen Nutzen zu erzielen(Abb. 1). Die Gentherapie verändert diesystemische Arzneimitteltherapie, beider das verabreichte Medikament in re-lativ hoher Konzentration den gesam-ten Körper durchströmt. Durch das ge-zielte Einbringen von Genen in be-stimmte Zellen kann die Produktion ei-nes Wirkstoffes (Proteins) an einem be-stimmten Ort des Körpers erreicht wer-den. Die regionale Applikation verrin-gert die bei systemischer Gabe induzier-ten Nebenwirkungen und bewirkt, dassdie erwünschten Effekte vorwiegend imZielorgan eintreten. Auch die Möglich-keit, die Genexpression an eine genaue,zeitlich begrenzbare Steuerung zu kop-peln (z. B. durch die Wahl steuerbarerPromotoren), erhöht die Attraktivitätder Gentherapie (Abb. 1). Diese stellt ei-ne intelligente, molekulare Form der

Abb. 1 � Ein menschliches Gen wird aus dem Genom einer Zelle isoliert und mit molekularbiologi-schen Methoden in einen Vektor eingebracht. In diesem Vektor ist das Gen hinter einen geeignetenPromotor gesetzt, der später die dauerhafte oder regulierte Synthese von Proteinen aus diesem Generlaubt. Der Vektor wird dazu benutzt, das Gen in eine beliebige andere Zelle oder in ein anderesOrgan zu übertragen (Gentransfer). Nach dem Gentransfer, dem zentralen Schritt der Gentherapie,werden in der Zielzelle über die normalen Schritte der Proteinbiosynthese Proteine hergestellt.Diese sind die eigentlichen Wirkstoffe dieses Therapieprinzips

Abb. 2 � Die verschiedenen Möglichkeiten der Gentherapie. Gene können außerhalb des Körpers (ex vivo) in Zellen eingebracht werden, indem sie in der Zellkulturschale mit einem Vektor behandeltwerden. Die veränderten Zellen werden anschließend gereinigt und z. B. durch Injektion wieder in den Körper eingebracht. Eine andere Methode ist das direkte Einbringen von Vektoren in den Patienten (in vivo)

Gynäkologie aktuell

| Der Gynäkologe 12•20011184

Arzneimitteltherapie dar, die versucht,Störungen am Ort ihrer Entstehung zukorrigieren.

Vektoren

Werkzeuge für den Gentransfer

Bei der Gentherapie wird genetischesMaterial in Zellen eingebracht. Für die-sen als Gentransfer bezeichneten Vor-gang (s. Abb. 1) benötigt man ein Vehi-kel, das das Gen trägt: den Vektor. DieWahl geeigneter Vektoren ist für die Ef-fizienz der Gentherapie entscheidend,wobei unterschiedliche Therapiezieleverschiedenartige Vektoren erfordernkönnen. Die Auswahl hängt z. B. davon

ab, ob der Gentransfer im Patienten (invivo) oder in der Zellkulturschale (in vi-tro) stattfindet, was unterschiedlicheAnforderungen an die Sicherheit undZielgenauigkeit des Vektors stellt(Abb. 2).

Ein idealer Vektor sollte verschiede-ne Eigenschaften haben (Tabelle 2), umden folgenden Anforderungen zu genü-gen:

◗ Hohe Effizienz (Einbringen desTherapiegens in genügend viele Ziel-zellen).

◗ Hohe Selektivität (Einbringen desTherapiegens ausschließlich in dieZielzellen, aber nicht in andereZellen; dies gilt v. a. für die Durch-führung des Gentransfers am Patien-ten).

◗ Möglichkeit des Gentransfers in sichnicht teilende Zellen (in fast allenmenschlichen Geweben ist dieTeilungsaktivität gering).

◗ Ausreichende hohe Aufnahmekapa-zität von Genen (v. a. bei gleich-zeitigem Transfer mehrerer Gene).

◗ Erzielen einer ausreichend langenGenexpression (besonders beiErbkrankheiten ist ein stabiler Gen-transfer zur dauerhaften Korrekturdes Erbdefekts erwünscht).

◗ Hohe Sicherheit (eine direkte patho-gene Wirkung des Vektors ist auszu-schließen, schädliche Langzeitwir-kungen sollen fehlen).

◗ Fehlende Immunogenität.

Viren als Vektoren zur Genübertragung

Es gibt virale und nichtvirale Vektoren.Virale Vektoren, (Tabelle 3), werden der-zeit in mehr als 70% aller klinischerGentherapiestudien eingesetzt. Mit derVerwendung von Viren als Vektorennützt man deren evolutionär erworbeneFähigkeit, Gene in infizierte Wirtszelleneinzubringen. Zur Vektorherstellungwerden die Gene, die zur Virusvermeh-rung notwendig sind, mit molekularbio-logischen Techniken aus dem Genreper-

Tabelle 2Eigenschaften eines idealenVektors

◗ Hohe Konzentration (>108 virale Partikel/ml)

◗ Einfache und reproduzierbare Herstellung

◗ Fähigkeit zur gezielten Integration in das menschliche Genom oder Fähigkeit zur stabilen episomalen Persistenz

◗ Regulierbare Genexpression (regelbarer Promoter)

◗ Fähigkeit zum Targeting der Zielzellen

◗ Keine Immunantwort gegen den Vektor

Tabelle 3Gentransfervektoren in Gentherapiestudien

Virale Vektoren

Adeno-assoziiertes Virus 10 (1,9%)Adenovirus 136 (25,6%)Herpes-simplex-Virus 3 (0,6%)Retrovirus 204 (38,3%)Vaccinia-Virus 34 (6,4%)

Nichtvirale Vektoren

Gene gun 5 (0,9%)Lipofektion 68 (12,8%)Nackte DNS (Plasmid) 45 (8,5%)RNA-Transfer 5 (0,9%)Andere 22 (4,1%)Transfektionsmethoden

Stand Februar 2001 [13]

Tabelle 4Eigenschaften der wichtigsten Vektoren für den Gentransfer

Vektor Effizienz Selektivität Kapazität Genexpression Integration Applikationins Genom

Viral

Retroviren Teilweise hoch, zum Gering ca. 10 kb Stabil Zufällig Ex vivoTeil abhängig von Zellteilung (nicht bei Lentiviren)

Adenoviren Hoch, proliferations- Gering 7,5 kb Vorübergehend Keine Ex vivo und in vivounabhängig und mehr

AAV Hoch, auch bei Gering =5 kb Stabil In Anwesenheit des Ex vivo und in vivoteilungsinaktiven Zellen viralen rep-Gens spezifisch

Nichtviral

Liposomen Relativ gering Gering Ohne Limit Vorübergehend Keine In vivo und ex vivo

Direkte DNA-Applikation Gering Gering Ohne Limit Vorübergehend Keine In vivo und ex vivo(Pistole, Injektion)

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Gynäkologie aktuell

| Der Gynäkologe 12•20011186

toire des Virus entfernt oder zerstört.Dadurch werden die Viren vermeh-rungsunfähig. Durch Einsetzen des The-rapiegens in die frei gewordenen Berei-che entsteht ein rekombinantes Virus,das man zum Gentransfer verwendet.Die wesentlichen Unterschiede der inder Gentherapie eingesetzten Virusvek-toren, die häufig schon in der zweitenoder dritten Entwicklungsgenerationsind und einen zunehmend effizientenGentransfer erlauben, sind in Tabelle 4dargestellt.

Fast alle Vektoren haben eine rela-tiv niedrige Selektivität für bestimmteZielgewebe oder -organe und wären da-her bei einer Anwendung in vivo, z. B.mittels intravenöser Infektion, nicht ef-fizient genug, um Gene in das ge-wünschte Zielorgan einzubringen (Ta-belle 5). Dies ist eines der Hauptproble-me der Gentherapie bzw. der Vektor-technologie, sodass sich viele For-schungsgruppen, einschließlich unserereigenen, mit dem gezielten Retargetingviraler Vektoren beschäftigen. Durch ge-zielte Modifikation der Virushülle willman solche Liganden einsetzen, die spe-zifisch an bestimmte Zellen oder Orga-ne binden und die Gene dort ablegen(Abb. 3). Ein solches Retargeting viralerVektoren gelang bei Rhabdoviren, Re-troviren, Adenoviren und Adeno-asso-ziierten Virusvektoren [5–12].

Therapiemöglichkeiten

Die vier größten Erkrankungsgruppen,die in den bisherigen klinischen Genthe-rapiestudien behandelt wurden, sindmaligne Erkrankungen, monogene Erb-krankheiten, Infektionen (insbesonderemit HIV) und kardiovaskuläre Krank-heiten [13, 14]. Neoplasien stellen mit

über 60% den bei weitem größten An-teil dar.Bisher wurden mehr als 2300 Pa-tienten mit verschiedenen Neoplasien inGentherapiestudien eingebunden [13].

Immungentherapie

Die derzeit in der Krebstherapie am häu-figsten verwendete Strategie ist die Im-mungentherapie: Mit Hilfe von immun-stimulierenden Genen werden Krebszel-len so verändert, dass sie das Immunsy-stem gegen die neoplastischen Zellen sti-mulieren und eine dauerhafte Beseiti-gung von residualen Tumorzellen er-möglichen.Dieser Ansatz ist v.a.deshalbso verbreitet, weil der derzeitige Standder Vektortechnologie andere Ansätzenoch nicht erlaubt: Der Gentransfer mitdem Ziel des Gentargeting (Genkorrek-tur) der für die jeweiligen Krebserkran-kungen verantwortlichen Onkogene,aber auch der Gentransfer von potentiellzytotoxischen Genen in den Tumor er-fordert eine sehr hohe Zielgenauigkeitder Vektoren und im Falle des Gentarge-ting zusätzlich eine sehr hohe Stabilitätdes Gentransfers. Da derartige Vektorenderzeit nicht verfügbar sind, beschränktman sich in vielen Fällen auf den Im-mungentransfer (s. o.), der deutlich ge-ringere Anforderungen an die Vektor-

technologie stellt. Der Gentransfer in ei-nige wenige, zur Stimulation der Im-munantwort verwendete Zellen, genügt.Das Immunsystem sorgt durch die Er-kennung von und die Antwort auf be-stimmte Tumorantigene für die erforder-liche Spezifität der Therapie und die Ver-stärkung der Antitumorantwort.

Gentargeting

Monogene Erbkrankheiten sind der„klassische“ Anwendungsbereich derGentherapie. Ziel ist der Ersatz eines de-fekten oder fehlenden Gens durch eingesundes (Gentargeting oder homologeRekombination). Dieser Austausch vonGenen funktioniert unter klinischen Be-dingungen noch nicht effizient: Bisherist es nur möglich, zusätzlich zu den de-fekten Genen eine gesunde Kopie in dieZelle einzuschleusen (z. B. bei Mukovis-zidose). Mit diesem Verfahren könnenrezessive Erbkrankheiten – zumindesttheoretisch – gebessert werden. Für dieBehandlung von dominanten Erbkrank-heiten, bei denen bereits ein defektes Al-lel genügt, um die Erkrankung auszulö-sen, muss man auf weitere technischeFortschritte im Gentargeting warten.Erst Erfolge zeichnen sich bereits ab: BeiErkrankungen des hämatopoetischen

Tabelle 5Rationale für Vektortargeting

◗ Menschlicher Körper besteht aus ca. 5×1013 Zellen

◗ 10 ml einer Vektorlösung enthalten 1010 aktive Vektorpartikel

◗ Damit würde nur 1 von 5.000 Zellen transduziert

◗ ⇒ Es werden Vektoren benötigt, die ihre Zielzellen finden (Targeting) und mit hohem Titer hergestellt werden können

Abb. 3 � Retargeting von viralen Vektoren am Beispiel des AAV. Der Tropismus vieler Viren wird durch die

Bindung an bestimmte Zelloberflächenrezeptoren bestimmt. Nach Bindung an seinen Rezeptor tritt das Virus in

die Zelle ein. Es kommt zur Infektion, in deren Verlauf virale Gene in der Zelle deponiert und exprimiert werden.

Beim Retargeting von Viren oder Virusvektoren werden Eiweißsequenzen in die Virushülle eingeführt, die die

Bindung an nichtvirale Rezeptoren vermitteln. Dadurch wird der Tropismus des Virus verändert. Das Virus bindet

nun an neue, erwünschte Zielzellen. Im idealen Fall erfolgt dies so gezielt, dass nur noch die Zielzellen infiziert

werden.Werden diese Eigenschaften auf einen Vektor übertragen, so wird ein Retargeting des Gentransfers

möglich. Dadurch kann der Gentransfer auf ganz bestimmte Zielzellen begrenzt werden. Dieses Verfahren er-

höht die Zielgenauigkeit, Effizienz und Sicherheit von Vektoren

Der Gynäkologe 12•2001 | 1187

Systems rückt die Genkorrektur in Ver-bindung mit verbesserter Prozessierunghämatopoetischer Stammzellen in greif-bare Nähe [15, 16].

Keimbahntherapie

Die in Deutschland verbotene Keim-bahntherapie stellt eine Unterform derGentherapie dar. Man versteht darunterdas Einbringen von therapeutischemErbgut in eine einzige oder wenigeKeimzelle(n) mit dem Ziel, Erbdefektevor ihrer Entstehung im Individuum zubeheben. Methoden zur Veränderungder Keimbahn existieren bisher nur imTiermodell.Aufgrund der in den letztenJahren zunehmenden Erfolge in derHerstellung genetisch veränderter Säu-getiere scheint derzeit allerdings aucheine genetische Veränderung menschli-cher Keimzellen technisch möglich. Aufdie Bedenken, die sowohl der Entwick-lung als auch der Anwendung dieserTechnologie entgegen stehen, wird imnächsten Abschnitt eingegangen.

Ethische Erwägungen

Eine intelligente Technologie wie dieGentherapie erfordert einen ebenso in-telligenten und verantwortungsvollenUmgang. Es werden ethisch-moralischeFragen aufgeworfen, die im gesellschaft-lichen Konsens geklärt werden müssen[17] und einer offenen, konstrukiven öf-fentlichen Diskussion bedürfen. Folgen-de Problemkreise lassen sich definieren:

Risikoabwägung. Welche Erkrankungendürfen mittels Gentherapie behandeltwerden; welche Risiken sind dafür inKauf zu nehmen? Konsens besteht darin,dass gentherapeutische Verfahren nurbei Erkrankungen eingesetzt werdensollten, die derzeit durch andere Be-handlungsverfahren nicht heilbar sind.

Sicherheit. Wie erreicht man die zuver-lässige Expression eines Therapiegens imZielorgan,ohne es in andere Organe odergar in andere Patienten zu verbreiten? Si-cherheitsüberlegungen führten in denUSA zur Gründung des „RecombinantDNA Advisory Committee“ (RAC),einesöffentlichen Gremiums,das Gentherapie-studien am Menschen hinsichtlich ihrerethischen und wissenschaftlichen Be-rechtigung prüfen soll. Die Arbeit desRAC war sehr erfolgreich und stellte bis-

her einen hohen Sicherheitsstandard derentsprechenden Studien sicher.

Art der Gentherapie. Welche Gewebe bzw.Zellen dürfen genetisch umprogram-miert werden: nur somatische Zellen (so-matische Gentherapie, Begrenzung desTherapieeffekts auf ein Individuum) oderauch Keimbahnzellen (Keimbahnthera-pie, Übertragung des Gens auf die Folge-generationen)? Das deutsche Embryo-nenschutzgesetz [18] verbietet die Keim-bahntherapie aus folgenden Gründen:

In Deutschland stehen dem Embryodie gleichen Schutzrechte zu wie jedemmenschlichen Wesen. Insofern erscheintes unzulässig, menschliche Embryonenausschließlich als Mittel zur Entwick-lung einer Keimbahntherapie einzuset-zen. Diese „Instrumentalisierung“ ent-spräche nicht der weitgehend konsens-fähigen Auffassung der Menschenwürdedes Embryos. Da diese ethische Ein-schätzung dem Embryonenschutzgesetzzugrunde liegt, ist die Entwicklung derKeimbahntherapie in Deutschland bis-her untersagt [18].

Weiterhin ist es schwierig, negativeAuswirkungen des Gentransfers inKeimzellen auf die nachfolgenden Gene-rationen sicher auszuschließen. Das Ab-schätzen der Folgen ist nicht zuverlässiggenug, um die Gentransfertechnologienbedenkenlos zur Keimbahntherapie zu-zulassen. Das Ergebnis des aktuellen po-litischen Diskurses zur therapeutischenVerwendung von Stammzellen darf mitSpannung erwartet werden.

Gentherapie – ein Ausblick

Die somatische Gentherapie gibt es seit1990 beim Menschen. Seit dem Jahr2000 ist klar, dass diese neue Therapie-modalität auch klinischen Nutzenbringt, obwohl das bisher nur für weni-ge Erkrankungen gilt. Die ersten Unter-suchungsergebnisse sind ermutigend,da bisher nur wenige unerwartete Ne-benwirkungen auftraten. Auch die nacheiner Gentherapie mit Adenovirusvek-toren auftretenden tödlichen Nebenwir-kungen bei dem 18-jährigen J. Gelsinger1999 in Philadelphia, USA, zeugen ehervon Unzulänglichkeiten in der Indikati-onsstellung und Aufklärung als von derGefährlichkeit oder Unwirksamkeit derGentherapie im Allgemeinen.

Fazit für die Praxis

Die klinische Anwendung von Laborergeb-nissen erfordert gerade in der Gentherapienoch viel Zeit und Geduld. Die Verfahrensind komplex, die Variations- und Kombi-nationsmöglichkeiten der verschiedenenKomponenten (Vektor,Transgen, Promo-tor) sehr groß. Zunächst bestanden auchseitens der beteiligten Wissenschaftlerunrealistische Erwartungen, doch deranfängliche Enthusiasmus im Zusammen-hang mit der Gentherapie ebbte in derZwischenzeit wieder ab. Die jetzige Situa-tion birgt die große Chance, sich ohne zugroßen öffentlichen Erwartungsdruck inRuhe und gewissenhaft mit den methodi-schen Problemen zu befassen. Effizienzund Sicherheit des Gentransfers müssenweiter verbessert werden. Da die Lei-stungsfähigkeit der Vektoren nur seltenden klinischen Ansprüchen entspricht,kommt der Grundlagenforschung großeBedeutung zu.Wenn aus vergangenenRückschlägen die richtigen Lehren gezo-gen werden, wird die Gentherapie als neueBehandlungsmethode sicher bald einenwichtigen Platz in der Medizin einnehmen.Man darf hoffen, dass auch in Deutschlandgenügend Mittel und eine geeignete Infra-struktur für eine gute, kliniknahe Grundla-genforschung bereitgestellt werden, ohnedie eine Weiterentwicklung auf diesemwichtigen Gebiet nicht möglich ist.

Danksagung. Die für diese Arbeit relevanteneigenen Forschungsarbeiten wurden unter-stützt durch die Deutsche Forschungsge-meinschaft (Sonderforschungsbereich 455),die Wilhelm Sander-Stiftung, die BayerischeForschungsstiftung, die Felix-Burda-Stiftungund die Deutsche Krebshilfe.

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zur ethischen Bewertung. Herbert Utz,

München

Erratum

Fetale Wachstumsrestriktion im TiermodellDer Gynäkologe 2001 • 34:820-832

Bedauerlicherweise wurden in dem Beitrag „Fetale Wachstumsrestriktion im Tiermodell“ in

Der Gynäkologe 09/2001, Band 34, S. 820-832 die Abbildungen 5 und 6 fehlerhaft abgedruckt.

Im Folgenden finden Sie die korrigierten Abbildungen.Wir bitten, dieses Versehen zu

entschuldigen.

Physiologie und Therapie der Hyperemesis gravidarumDer Gynäkologe 2001 • 34:833–840

Aufgrund eines technischen Versehens wurde bei oben genanntem Beitrag die URL zum

Abrufen der Literaturstellen im Internet falsch angegeben.

Die korrekte Internetadresse zum Abrufen des Gesamtverzeichnisses der Literaturstellen lautet:

http://link.springer.de/link/service/journals/00129/refs/1034012/r10340838.pdfWir bitten Sie, diesen Fehler zu entschuldigen.

Abb. 6 � Die uterine Perfusion in den 3 unterschiedlich re-stringierten Experimentalgruppen. Bei nahezu gleichenAusgangswerten um den 113. Gestationstag wurde dieGruppe der stark reduzierten Tiere (RS) für den Rest des Be-obachtungszeitraums um 750 ml/min und die Gruppe mitmäßiger Restriktion (RM) um 950 ml/min eingestellt, wäh-rend bei den unbeeinträchtigten Kontrolltieren die Durch-blutung signifikant auf bis zu 1400 ml/min anstieg

Abb. 5 � Okkluderfunktion beim instrumentierten Schaf.Neben dem linksseitigen (LUBF) und rechtsseitigen uterinen Blutfluss (RUBF) sind hier maternale Herzfrequenz(HR) sowie systemischer (SABP) und mittlerer arteriellerBlutdruck (MABP) aufgezeichnet