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Nervenarzt 2006 · 77:1469–1472
DOI 10.1007/s00115-006-2153-4
Online publiziert: 28. November 2006
© Springer Medizin Verlag 2006
P. Pöschl1 · Z. Kohl1 · U. Thoden2 · J. Winkler1 · W. Jakob1
1 Klinik für Neurologie der Universität Regensburg2 Neurologische Klinik des Klinikums Landshut
Guillain-Barré-Syndrom und Syndrom der inadäquaten Adiuretinsekretion
Kasuistiken
Kasuistik
Eine 46-jährige Lehrerin wurde wegen
schwerer generalisierter Myalgien statio-
när aufgenommen, dabei zeigten sich zu-
sätzlich zunehmende distale Hyp- und
Parästhesien, im weiteren Verlauf progre-
diente proximal betonte Paresen der Bei-
ne sowie distal betonte Paresen der Arme.
Zudem bestanden eine Dysphagie und
eine diskrete bilaterale Fazialisparese. Die
Muskeleigenreflexe (MER) waren zu Be-
ginn schwach, im Verlauf nicht mehr aus-
lösbar. Liquordiagnostisch fand sich ei-
ne zytoalbuminäre Dissoziation (Zell-
zahl 8/μl, Eiweiß 163 mg/dl), neurophysi-
ologisch wurden reduzierte Nervenleitge-
schwindigkeiten und Amplitudenvermin-
derungen festgestellt.
Unter der Verdachtsdiagnose eines
Guillain-Barré-Syndroms (GBS) wurde
eine intravenöse Immunglobulintherapie
über 5 Tage (Gesamtdosis 125 g) durchge-
führt. Im Verlauf waren GM1-Antikörper
im Serum positiv. Am 5. stationären Tag
fielen eine zunehmende Somnolenz und
Orientierungsstörungen auf. Es zeigte sich
eine Hyponatriämie von 118 mmol/l (bei
Aufnahme 133 mmol/l). Nach vorüberge-
hendem Anstieg (128 mmol/l) kam es am
14. Tag erneut zu einem Abfall der Na+-
Konzentration auf 116 mmol/l. Es erfolgte
eine Flüssigkeitsrestriktion auf 500 ml/
Tag und eine Therapie mit Prednisolon
80 mg/Tag. Aufgrund zunehmender psy-
chotischer Symptome und der Elektro-
lytentgleisung wurde die Verlegung auf
eine neurologische Intensivstation veran-
lasst.
Die Patientin war bei Aufnahme nicht
orientiert, logorrhöisch und optisch hal-
luzinierend, es zeigten sich distale Pare-
sen der Arme (Kraftgrad 4) sowie pro-
ximale Paresen der Beine (Kraftgrad 3)
bei ausgefallenen MER. Am 2. Tag nach
Übernahme lag der Na+-Wert bei 124
mmol/l, die Urinosmolalität betrug zwi-
schen 740 und 903 mosm/kg, die Harn-
säure war mit 1,34 mg/dl deutlich ernied-
rigt. Bei Normovolämie (ZVD 12 mm-
Hg) wurde die Diagnose eines Syndroms
der inadäquaten Adiuretinfreisetzung
(SIADH) gestellt. Nach Stabilisierung des
Na+ bei 122–124 mmol/l durch Infusion
von einmolarer NaCl-Lösung stabilisierte
sich die Patientin über die folgenden Ta-
ge. Am 5. Tag nach Übernahme bildeten
sich die psychotischen Symptome zurück,
während die Paresen weiterhin nachweis-
bar waren.
Pathophysiologie der Hyponatriämie
Hyponatriämien spielen aufgrund ihrer
Assoziation mit verschiedenen neurolo-
gischen Erkrankungen eine bedeutende
Rolle im klinisch-neurologischen Alltag
(. Tab. 1).
Na+ stellt den wichtigsten Bestandteil
der osmotisch wirksamen Substanzen des
Extrazellulärraumes dar. Bei einer Hypo-
natriämie findet eine Translokation von
Wasser nach intrazellulär statt, um ein er-
neutes osmotisches Gleichgewicht zwi-
schen intra- und extrazellulär zu errei-
chen. Dies führt zur zellulären Schwel-
lung und damit verbunden zu neuronalen
Funktionsstörungen. Klinisch stehen qua-
litative und quantitative Bewusstseinsstö-
rungen, Kopfschmerzen und epileptische
Anfälle im Vordergrund. Die Schwere
der Symptomatik ist dabei von der Ge-
schwindigkeit des Na+-Abfalls im Serum
abhängig. Eine neuronale Kompensation
erfolgt innerhalb von Stunden bis Tagen
durch Exozytose von organischen Osmo-
lyten und Elektrolyten [9]. Hierin besteht
die Gefahr eines zu raschen Ausgleichs
einer länger bestehenden Hyponatriämie,
da dann das normoosmotische Serum im
Vergleich zu den adaptierten Neuronen
hyperosmolar ist. Dies kann durch zellu-
lären Wasserverlust zu einer zentral- bzw.
extrapontinen Myelinolyse führen [5].
Prinzipiell können isoosmolare, hy-
perosmolare und hypoosmolare For-
men der Hyponatriämie unterschieden
werden. Von klinischer Bedeutung sind
hauptsächlich hypoosmolare Formen, die
weiter in Bezug auf den Volumenstatus
des Patienten analysiert werden müssen.
Differenzialdiagnostisch empfiehlt sich
das Vorgehen anhand eines Algorithmus
(. Abb. 1).
Tab. 1 Neurologische Erkrankungen
mit Assozation zu Hyponatriämien
Schädel-Hirn-Trauma
Subarachnoidalblutung
Subduralhämatom
Guillain-Barré-Syndrom
Meningitis/Enzephalitis
1469Der Nervenarzt 12 · 2006 |
Hyponatriämie beim GBS
Beim GBS ist eine Erniedrigung des Se-
rumnatriums in bis zu 30% der Fälle be-
schrieben [2]. Mögliche Ursachen hierfür
sind einerseits eine Pseudohyponatriämie
im Rahmen einer IVIG-Therapie [8] und
andererseits ein SIADH [7].
Na+ wird in der Labordiagnostik aus-
schließlich in der flüssigen Phase des Plas-
mas gemessen, jedoch in Bezug zum Ge-
samtplasmavolumen gesetzt. Kommt es
durch massive Hyperlipidämie bzw. Hy-
perproteinämie, beispielsweise nach
IVIG-Infusion, zu einer Vergrößerung
des nicht wässrigen Kompartiments im
Plasma, wird eine zu niedrige Konzent-
ration angegeben, was als Pseudohypona-
triämie bezeichnet wird. Diese Situation
zeichnet sich durch eine normale Serum-
osmolalität bei vergrößerter osmotischer
Lücke aus und hat keine klinische Rele-
vanz [8].
Das Auftreten eines SIADH im Rah-
men des GBS wurde erstmals 1967 in ei-
ner Serie von 5 Patienten von Posner be-
schrieben [7]. Die genaue Ätiologie dieser
Störung im Rahmen des GBS ist unklar.
Diskutiert wird einerseits eine Neuropa-
thie der kardialen Volumenrezeptoren,
die zu einer vermehrter ADH-Sekreti-
on führt [7], andererseits wird eine ver-
mehrte Responsivität der Niere bezüg-
lich ADH vermutet [3]. Zusätzlich kann
auch eine Erniedrigung des Osmostats
eine wichtige Rolle bei der Entstehung
des SIADH bei GBS spielen [3, 6]. Hier-
bei kommt es zu einer Erniedrigung des
Sollwerts der Serumosmolalität. Bei An-
stieg der Osmolalität in den Normbereich
(290 mosm/l) wird mit einer ADH-Frei-
setzung reagiert.
Im vorliegenden Fall bestand bei
Übernahme eine Hypoosmolalität von
256 mosm/kg, womit eine Pseudohypo-
natriämie ausgeschlossen war. Neben der
erniedrigten Serumosmolalität zeigte sich
eine inadäquat hohe Urinosmolalität von
903 mosm/kg, die Harnsäurekonzentrati-
on im Serum lag bei 1,34 mg/dl. Bei Auf-
nahme in unserer Klink bestand ein eu-
volämer Zustand mit normaler Herzfre-
quenz und einem ZVD von 12 mmHg.
Nach Ausschluss einer Hypothyreose und
Zusammenfassung · Summary
Nervenarzt 2006 · 77:1469–1472
DOI 10.1007/s00115-006-2153-4
© Springer Medizin Verlag 2006
P. Pöschl · Z. Kohl · U. Thoden · J. Winkler ·
W. Jakob
Guillain-Barré-Syndrom und Syndrom der inadäquaten Adiuretinsekretion
Zusammenfassung
Hyponatriämien sind neben dem Guillain-
Barré-Syndrom (GBS) mit einer Reihe ande-
rer neurologischer Erkrankungen assoziiert.
Sowohl die Hyponatriämie selbst als auch ein
zu rascher Ausgleich einer Hyponatriämie ha-
ben schwerwiegende Auswirkungen auf den
Verlauf der Grunderkrankung. Wir berichten
über den Fall eines GBS, das durch die Ent-
wicklung einer Hyponatriämie beim Syndrom
der inadäquaten Adiuretin (ADH)-Sekretion
kompliziert wurde. Das differenzialdiagnosti-
sche Vorgehen, die Pathophysiologie und die
Therapie der Hyponatriämie bei GBS werden
besprochen.
Schlüsselwörter
Guillain-Barré-Syndrom · Syndrom der inadä-
quaten Adiuretinsekretion · Hyponatriämie ·
Na+-Substitution · Pathophysiologie
Guillain-Barrè syndrome and inadequate antidiuretic hormone secretion syndrome
Summary
Several neurologic disorders including Guil-
lain-Barré syndrome (GBS) are associated
with hyponatremia. Hyponatremia and its
overly fast correction have major implica-
tions to the course of the underlying neuro-
logic disease. We report a case of GBS compli-
cated by hyponatremia secondary to the de-
velopment of inadequate antidiuretic hor-
mone secretion syndrome. Differential diag-
nosis, pathophysiology, and therapeutic ap-
proach of hyponatremia in association with
GBS are discussed.
Keywords
Guillain-Barré syndrome · Inappropriate ADH
syndrome · Hyponatremia · Extracellular
sodium substitution · Pathophysiology
Na+ < 134 mmol/l
hypertoneHyponatriämie
hypotoneHyponatriämie
1. Serum- Osmolalität
2. Volumenstatus
>290 mosm/kg
Hyperglykämiehypertone Infusionen(Mannitol, Glycerin)
HerzinsuffizienzNephrotisches SyndromNiereninsuffizienzLeberzirrhose
SIADHHypothyreoseNierenversagenGlucocorticoidmangelPsychogene PolydypsieThiazid- Diuretika
renale Verluste (Diuretika,CSWS)extrarenale VerlusteVerluste in den ,,drittenRaum"Aldosteronmangel
Pseudohyponatriämie(bei Hyperlipidämie,Hyperproteinämie)isotone Infusionen
<280 mosm/kg 280-290 mosm/kg
Ödeme, ZVD↑, HS↑ HS ↓ bzw. ↔ Tachykardie, Hypertonie, HS↑
hypervoläm hypovolämisovaläm
isotoneHyponatriämie
Abb. 1 9 Differenzi-aldiagnose der Hypo-natriämie (mod. nach [10]). HS Harnsäure, ZVD zentralvenöser Druck
Infusat [Na+]1 - Serum [Na+] Na =
+ ________________________
Gesamtkörperwasser2 + 1
∇
Abb. 2 8 Berechnung der Änderung der Se-rumnatriumkonzentration durch Infusion von 1 l einer Natriumlösung bestimmter Konzentration. Umrechnungsfaktor Massenkonzentration (g/l) in Mengenkonzentration (mmol/l) = 17. Ge-samtkörperwasser = Körpergewicht × Wasser-anteil (Kinder 0,7; Männer 0,6; Frauen 0,5; ältere Menschen 0,45)
1470 | Der Nervenarzt 12 · 2006
einer Nebenniereninsuffizienz wurde so-
mit die Diagnose eines SIADH gestellt.
Therapie des SIADH
Die Therapie der Wahl, bestehend aus ei-
ner strikten Flüssigkeitsrestriktion und
oraler NaCl-Substitution, wurde um die
parenterale Substitution mit einmolarer
NaCl-Lösung erweitert. Zur Berech-
nung der Infusionsgeschwindigkeit wur-
de die Formel von Adrogué herangezogen
(. Abb. 2) [1]. Es wurde ein Infusionsvo-
lumen von 384 ml zur Anhebung des Na+-
Spiegels um 10 mmol errechnet. Zur si-
cheren Vermeidung einer Überkorrektur
wurde die Infusionsmenge auf 240 ml/
24 h festgesetzt (. Abb. 3). Dies führte
lediglich zur Stabilisierung des Na+-Wer-
tes auf 124 mmol/l, eine teils nicht konse-
quent durchgeführte Flüssigkeitsrestrik-
tion kann als Erklärung für diesen Effekt
dienen.
Ein häufiger Fehler in der Behandlung
des SIADH ist die Verabreichung von nied-
rig osmolaren Na+-Lösungen. Prima vista
erscheint eine 0,9%-NaCl-Lösung mit ei-
ner Na+-Konzentration von 154 mmol/l
zum Ausgleich einer niedrigen Serum
Na+-Konzentration gut geeignet. Bei Zu-
ständen mit hypovolämer Hyponatriämie
ist dieser Ansatz auch die Therapie der
Wahl. Durch die Volumenzufuhr sinkt die
in diesem Fall adäquate ADH-Sekretion
ab. Darauf kommt es zu einem Abfall der
Urinosmolalität und einem konsekutiven
Anstieg des Serum-Na+. Im Fall eines SI-
ADH besteht ein euvolämer Zustand mit
inadäquater Freisetzung von ADH, die
sich auch nach Volumenangebot nicht ver-
ringert. Dadurch bleibt die Urinosmolali-
tät konstant hoch. Werden beispielsweise
mit einer 0,9%-NaCl-Lösung 308 mosm
in einem Liter infundiert, so benötigt die
Niere bei fixierter Urinosmolalität von 900
mosm/kg nur ein Volumen von etwa 333
ml, um diese „osmotische Last“ auszu-
scheiden. Dies würde zu einer Nettozu-
nahme des Körperwassers von ca. 667 ml
führen und einen weiteren Abfall des Se-
rum-Na+ bewirken (. Abb. 3) [1]. Wir
entschieden uns aus diesem Grund für ei-
ne einmolare NaCl-Lösung.
Schleifendiuretika (z. B. Furosemid)
können in dieser Situation ebenfalls ver-
wendet werden, da sie zu einer Verringe-
rung der Urinosmolalität führen. Thiazid-
diuretika hingegen sollten vermieden wer-
den. Als Ultima Ratio können Substanzen
zum Einsatz gebracht werden, die zu einer
verminderten Responsivität der Niere auf
ADH im Sinne eines nephrogenen Diabe-
tes insipidus führen. Hier kommt insbe-
sondere das Tetracyklinderivat Demeclo-
cyclin in Frage [4].
Fazit
Die Hyponatriämie im Sinne eines
SIADH ist eine relevante Komplikati-
on bei einem GBS. Die parenterale Na+-
Substitution muss beim SIADH durch In-
fusion hochmolarer NaCl-Lösungen er-
folgen, 0,9%iges NaCl sollte vermieden
werden. Bei entsprechender Berechnung
und engmaschigen Serum-Na+-Kon-
trollen kann dies ohne die Gefahr einer
Überkorrektur erreicht werden.
Korrespondierender AutorDr. P. PöschlKlinik für Neurologie der Universität RegensburgUniversitätsstraße 84, 93053 [email protected]
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-
flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-
ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-
kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-
halte produktneutral.
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10. Ferri F (1998) Practical guide to the care of the me-
dical patient. 4th ed. Mosby, St. Louis
⇒ Gabe von maximal 307 ml einer 1-molaren NaCl-Lösung über 24h
1000 mmol/l - 124 mmol/l Na
+ = = 26 mmol/l
65 kg x 0.5 + 1
∇
Ziel - Na+
= 8 mmol/l (pro 24h) ⇒ 10 / 26 = × / 1000ml
× = 307 ml
∇
bei Gabe von 1 Liter 1-molare NaCl-Lösung wird eine Erhöhung des Serum-Na
+ um 26 mmol/l erreicht
⇒
Abb. 3 9 Beispielrech-nung für die Patientin
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