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GUNTER DAMISCH - fileGUNTER DAMISCH Das „entschiedene Sowohl-Als auch“1 oder Die wundersamen „mikroskopischen oder kosmischen Gärten“2 des Gunter Damisch Andrea

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GUNTER DAMISCH

Das „entschiedene Sowohl-Als auch“1 oder

Die wundersamen „mikroskopischen oder kosmischen Gärten“2 des Gunter

Damisch

Andrea Schuster, 2008

Was auf den ersten Blick wie eine Contradictio in Adjecto erscheint, reflektiert bei genauerem

Betrachten die staunenswerte Versatilität des Malers, Bildhauers, Zeichners und Druckgrafikers

Gunter Damisch. Unsere Ausstellung versucht in der realisierten medialen Breite (Ölbilder

behaupten sich adäquat neben Keramiken, Bronzen und Aluminiumgüssen) und der angestrebten

chronologischen Vielfalt diese von Damisch praktizierte universelle Wandlungsfähigkeit

bildnerisch eindrucksvoll zu untermauern.

Gunter Damischs sehr persönlicher Bilderkosmos wird durch eine leitmotivisch ausgeprägte

Interferenz zwischen dem Großen und Kleinen, dem Makro- und dem Mikrokosmischen, der

latenten Nähe zu organischen Naturformen, amöbenartigen, einzelligen Lebewesen mit

tentakelartig sich ausbreitenden Fühlern, zu kristallinen Wachstumsformen ebenso wie zu

galaktischen, energetischen Ballungen, dem gestirnten Himmel mit seinen schwarzen Löchern

und seinen vibrierenden Sternennebeln charakterisiert. Innerhalb dieser individuellen

Bildweltordnung operiert Damisch offen und modulartig mit einem zunehmend konkretisierten

Formenrepertoire, für das terminologische Begriffe wie „Welt“, „Feld“, „Weg“, Steher“ oder

„Flämmler“ von essentieller Bedeutung sind.

Mitte der achtziger Jahre favorisiert Damisch einen dickverkrusteten, schlierenartigen, die Farbe

fast unmittelbar als Masse erfahrbaren, pastosen und schichtweise gesetzten Farbauftrag, der

einen archaisch anmutenden, haptischen Bildkörper generiert. Immer öfter entstehen fast

monochrome Bildgestaltungen = „Felder“, in die sich ab 1986/87 kleine, andersfarbige Inseln =

„Welten“ eingeschrieben finden. Auf diesen „Welten“ tummeln sich Figuren – später von

Damisch als „Steher“ tituliert –, zuerst noch aufrecht wie auf realen Inseln, doch schon bald

zirkulieren sie in alle Richtungen. Die „Wege“, Reminiszenzen der früher so typischen

kurvilinearen Farbkaskaden, reduziert Damisch zu Linien, die von „Stehern“ bewandert werden.

1 Gunter Damisch deklariert sich in einem Gespräch vom 19. September 2008 als „entschiedener

Vertreter des Sowohl-Als auch“. 2 1995 resümiert Damisch: „Insofern ist mein Werk so etwas wie ein mikroskopischer oder kosmischer

Garten.“ (Zitiert nach: Wolfgang Drechsler, Kontinuität und Wandel. Zur Malerei von Gunter Damisch, in: Ausstellungskatalog „Gunter Damisch. Aus dem Weltengarten“, Landesgalerie Oberösterreich, Linz 1998 und Kunsthalle, Emden 1999, S. 7-20, hier: S. 18)

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Diese menschenähnlichen Wesen werden von Damisch in weiterer Folge als „Flämmler“

ausgebildet, als „anthropomorphisierte Pinselhiebe des Malers“ (Peter Assmann), als

„Farbstreifen, die im Wind zu wehen scheinen, zugehörig Fackelträgern, die in Heerscharen in

das Bild einfallen und zu pointillistischen Teppichen verwoben werden“ (Peter Weiermair). 1995

ereilt die Figuren in Form der „Köpfe“ eine weitere Reduktion.

Mitte der neunziger Jahre beginnt Gunter Damisch, das geballte, aufgehäufte, in unzähligen

Schichten sich artikulierende, teppichartige Farbkonglomerat seiner Bilder der achtziger Jahre zu

entzerren und die Farbe zu verflüssigen. Abschabungen, Verwischungen, der kalkulierte Einsatz

der rinnenden, tropfenden Farbe („dripping“) werden durch die zusätzliche, wohldosierte

Verwendung von Fingern, Fetzen und Spachteln potentiell vorbereitet. Flächen- und

mäandrierende Linienelemente breiten sich meist in einer numerisch relevanten Größe und

ausgeklügelten ornamentalen Ordnung relativ gleichmäßig über das Bild aus, werden isoliert oder

zu komplexeren Figurenkonstellationen zusammengeschlossen, deckend über einen in sich

differenzierten Grund verteilt. Der Übergang von der Bildlichkeit zur Schriftlichkeit kündigt sich

an: Die kraftvollen, zupackenden, offenen, archaisch konnotierten Bildkörper der achtziger Jahre

werden abgelöst von Bildwerken skripturalen Charakters.

Komplementär zur Malerei entstehen in den achtziger Jahren in einem Zeitraum von nicht mehr

als fünf Jahren zunächst farbig glasierte Keramiken, die, wie die Plastik generell, Damisch eine

„dreidimensionale, begreifbarere Umsetzung seiner Motive“3 garantieren. Spielerisch-intuitiv,

direkt formuliert, noch in unmittelbarer Analogie zu den bildnerischen Manifestationen der

„Neuen Wilden“, denen Damischs Frühwerk gemeinhin subsumiert wird, präsentieren sich diese

keramischen Arbeiten: „WASCHBAR BEMALBAR. STAUBFÄNGER. FINGER IN DIE

LUFT. BLASEN ZÄHNE FORTSÄTZE. HÄNDE DIE GREIFEN, GRIFF DER FORMT,

FORM DIE HÄRTET. HÄRTE DIE GLÄNZT. [...] DRUCK HANDSCHLAG

DAUMENWÖLBUNG FINGERKUPPENTANZ. STICHATTACKE MESSERTANZ

SCHLAGREIGEN BOHRBEGIERDE STREICHELTROTZ, AN DER NASE ZIEHEN,

MASSIEREN, ZUSPITZEN, BRÜCKENBAUEN.“4

Die Keramiken des Gunter Damisch leiten in der Genealogie seiner plastischen Bildwerke

nahtlos über zu den von Otto Breicha als „stachelige Modelle fürs Weltganze“ apostrophierten

Bronzen. Diese wirken rauh, aufgerissen, zackig, löchrig, oft vom Inneren her konzipiert, unter

bewußter Einbeziehung von Hohlräumen, die unter anderem auf Damischs prononciertes

Interesse für Mineralogie und Geologie verweisen. Die „Innenorte“ werden ebenso wie manche

3 Vgl. Interview vom 8. Mai 2008

4 Ausstellungskatalog „Gunter Damisch. Keramik“, Galerie Kicken-Pauseback, Köln 1989, o.S.

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Ränder der Bronzen von zu zeichenhafter Winzigkeit geschrumpften Lebewesen bevölkert.

Einzelne formale Details akzentuiert der Künstler anders in der Keramik nicht durch den Einsatz

von Farbe, sondern durch eine von Säuren evozierte Patina.

Die in unserer Ausstellung gezeigten drei Doppelkopf-Bronzen aus 2008 unterstreichen

eindrucksvoll das Moment der Prozeßhaftigkeit, das Gunter Damischs künstlerischen Arbeiten

stets innewohnt. 1990/91 bezieht Damisch ein Haus im 4. Wiener Gemeindebezirk, auf dessen

Dach er Gemüse- und Blumenbeete mit alten Brettern aus dem vorderen Biedermeierhaus, das

der Bruder von Franz Schubert gebaut hat, gestaltet. Nachdem diese in Profilform gebrachten

Hölzer jedoch frühzeitig die ihnen zugedachte Funktionalität verweigern, transferiert sie Gunter

Damisch nach Italien. Es werden Negativformen entwickelt, in Bronze gegossen, und diese

archaischen, totemartigen Bronzestelen werden mit Zapfen, Blüten von Sonnenblumen und

anderen vegetabilen Versatzstücken kombiniert.

2002 beginnt Gunter Damisch schließlich, statt Bronzen vermehrt Aluminiumgüsse für seine

Skulpturen zu propagieren. Obwohl diese in einer anderen kulturhistorischen Tradition stehen,

handhaben sie die taktile und instrumentale Komponente doch gleichermaßen virtuos.