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Gute OrteJudenfr iedhöfe in Franken
Helmut Jahn . Helmut Lederer . Lothar Mayer . Rober t Reiter
Eine Ausstellung im Kunstmuseum Erlangenvom 18. Januar bis 15. Februar 2015
2
Den letzten Anstoß zu dieser schon seit längerem ge-
planten Ausstellung gab nach dem hochherzigen „Vor -
laß“ von 25 Gemälden und drei Radierungen-Mappen
aus dem Œuvre von Robert Reiter die Schen kung zahl-
r eicher Fotografien, Zeichnungen und Gemälde aus
dem Nachlaß des Mitte 2011 gestorbenen Nürnberger/
Fürther Kunsterziehers und Künstlers Helmut Jahn.
Ihm und seinen wegen seiner persönlichen Sprödigkeit
den meisten Kollegen und Sammlern unbekannten
Werken galt es, wenigstens posthum einen kleinen
Gedenkstein zu setzen. Daß das mit einer vierwöchigen
Ausstellung und einer knappen Broschüre kaum getan
ist, ist nicht dem Thema „Judenfriedhöfe in Franken“
geschuldet, sondern dem Zeit- und Geldmangel der
Ausstellungsmacher. (Doch zum Glück gibt es da noch
die Nürnberger Firma A. Eberle.)
Helmut Lederer gehört mit seiner beeindruckenden
Spätwerk-Fotoserie „Graue Gärten“, einst als Geschenk
des gesamten Opus für die Judaica-Sammlung vom
Germanischen Nationalmuseum schnöde abgelehnt, zu
den „Uranstößern“. Körperlich nicht mehr der Fitteste,
zog es Lederer mit seinem Auto gleichwohl oft ins
Fränkische, sowohl zu den „sterbenden“ alten Fach-
werkhäusern wie zu den auf den letzten 200 bis 500
Metern zumeist nur per Fuß erreichbaren jüdischen
Friedhöfen. In seinem Markenzeichen, den großen
schwarzen Holzrahmen, präsentiert, beeindruckten seine
„Porträts“ von Ermreuth und Baiersdorf, Schnaittach
und Fürth, Georgensgmünd und Hagenbach die zeit-
genössischen Ausstellungsbesucher und nötigten –
überliefert! – manch einen zu einer persönlichen
Autopsie. Mich auch, und nicht nur des Kirschen-
klauens wegen: Ermreuth, und später – in Schwabach
als Lehrer am Adam-Kraft-Gymnasium – Georgens-
gmünd. Und wieder etwas später, wegen des
Ausstellung und Katalog sind Ilse Sponsel (1924 – 2010) gewidmet, der überaus verdienstvollen ehrenamtlichen
Beauftragten der Stadt Erlangen für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger 1980 – 2010.
„Silvaner“-Buches (im Echter Verlag 2009), Rödelsee
und Hüttenheim, Heidingsfeld, Höchberg und Gerolz-
hofen. Und zwischendurch, natürlich, Prag und Worms
– und, befremdend entkrautet, der Cimi tière israélite
bei Rosenwiller im Elsaß.
Und schließlich das mir anvertraute Lektorat für die
beiden Judenfriedhof-Bücher meines Freundes Lothar
Mayer im Michael Imhof Verlag (2010 und 2012).
Es brachte mir auf meinen „Streufahrten“, mit den
Lageplänen gut ausgerüstet, vor allem die Jüdischen
Friedhöfe im nördlichen Unterfranken (Kleinbardorf,
Neustädtles, Sulzdorf an der Lederhecke [allein der
Ortsname!] und Schweinshaupten) nahe. Daß es bei
weiteren Fahrten in Sachen Kunst und „Riesling“-Buch
dort noch/endlich weitere Neu-Entdeckungen zu
machen gilt (u.a. Kleinheubach, Miltenberg, Hörstein,
Reistenhausen), sei Lothars verdienstvollen Büchern
gedankt!
Die „Magie der Stille“ (so der Titel der Friedrich Gröne
und Barbara Gröne-Trux-Ausstellung in unserem
Loewenichschen Palais) auch in diesen mittlerweile
gottseidank ungestörten „Guten Orten“ (ob „Juden-
friedhöfe“ oder „Jüdische Friedhöfe“ heute die – poli-
tisch/ideologisch – korrektere Bezeichnung ist, lasse
ich dahingestellt) ist hoffentlich noch in den Exponaten
so manifest, daß sie auch in unserer Ausstellung ihre
Wirkung auf die Betrachter nicht verfehlt.
Daß Kunst Grenzen überwindet in der Wahrnehmung
und Empfindung des Alltags, war schon immer eine
ihrer Hauptaufgaben – und heute im Zeitalter des welt-
weiten kommerziellen Designs mehr denn je. Insofern
macht der Jahresauftakt 2015 in unserem 25. Jubilä-
umsjahr mit Bedacht eine (ge)wichtige Aussage!
Jürgen Sandweg
Vorwort
3
Das Kunstmuseum Erlangen e. V. dankt der Adler-Apotheke
(Inh. Bernd Nürmberger) und der Nürnberger Firma A. Eberle
für die großzügige Unterstützung beim Druck dieses Kataloges.
Dank gebührt auch Dr. Ulrich Pohlmann, dem Leiter des Fotomuseums München,
für die kollegiale Leihgabe der Photographien von Helmut Lederer.
Impressum
Ausstellung und Katalog: Dr. Jürgen Sandweg
Mitarbeit: Annette Blocher
Gertraud Lehmann
Lothar Mayer
Magdalena Meinhardt
Volkmar Rummel
Gestaltung: Peter Hörndl, Nashornstudio Erlangen
Druck und Bindung: Druckhaus Haspel Erlangen
Auflage: 100 Exemplare
Inhalt
4 Lothar Mayer „Jüdische Friedhöfe“
6 Photographien von Helmut Lederer
12 Fotografien von Lothar Mayer
18 Helmut Jahn: Tempera/Graphit-Arbeiten auf Papier
24 Robert Reiter: Radierungen mit Monotypie und Gemälde
30 Volkmar Rummel „Fragmentarische Erinnerungen
an jüdisches Leben in Franken“
Adler-Apotheke
4
Mit Allerheiligen ist in der christlichen Welt ein Ritual
verknüpft, das immer noch eine stabilisierende und
sinnstiftende Funktion hat: Durch den Gang zum Grab,
durch die Erinnerung an einen Toten, durch das sym-
bo lische Zurückholen des geliebten Menschen und
das Wiederweggeben des Betrauerten wird ein allmäh-
liches Loslassen möglich. Und weil in unserem Kultur-
kreis mit dem Grab eines Angehörigen sehr viele uns
wichtige Aspekte verknüpft sind, neigen wir dazu,
unsere tradierten Bedeutungsinhalte auch auf die
Gräber der Juden zu übertragen.
Das Missverständnis könnte aber kaum größer sein,
und es beginnt schon mit dem Grabstein. Der Stein auf
dem Grab eines Juden, der erst nach Ablauf des Trauer -
jahres gesetzt wird, ist kein integraler Bestandteil des
Grabes, sondern soll lediglich helfen, den Ort, an dem
ein bestimmter Mensch begraben liegt, aufzufinden.
Aus diesem Grund war natürlich auch die hebräische
Inschrift von Bedeutung, die neben dem Namen des
Verstorbenen weitere wichtige Details bereitstellte.
Der Stein vermittelt zudem vorübergehend die sym-
bolische Hoffnung des Fortlebens der Seele, nachdem
der Körper längst zu Staub geworden ist. Ein beson-
derer Aspekt der Seele bleibt nämlich nach jüdischem
Verständnis für immer und ewig an die Stelle des
Grabes gebunden. Der Stein ist traditionell der einzige
Grabschmuck und bleibt ganz dem Zugriff von Wind
und Wetter überlassen.
Der Besuch eines Grabes ist in der jüdischen Tradition
eben nicht Teil der Trauerbewältigung, wie etwa im
Christentum. Gräber dienen den Toten und nicht den
Hinterbliebenen als ausgelagerte Vorgärten. Viele
Juden pflegten und pflegen daher den Brauch, die
Gräber der Verstorbenen innerhalb des ersten Jahres,
also bis zur Grabsteinsetzung, gar nicht zu besuchen,
um die dort Begrabenen nicht mit der eigenen Trauer
zu belasten. In gewisser Weise lebt der Verstorbene
eben immer noch und wartet nur auf den Tag, an dem
der Messias in Jerusalem einzieht. Es ist jüdische
Glaubensgewissheit, dass alle Verstorbenen von den
Toten auferstehen und im messianischen Zeitalter nach
Israel zurückkehren werden.
Dieser Glaube wird in den vielfältigen Benennungen
für den Friedhof zum „Wort“: So, wenn etwa vom
„Haus des Lebens“, dem „Haus der Ewigkeit“ und
dem „Guten Ort“ die Rede ist.
Die sichere Erwartung der Wiedererweckung und
körperlichen Auferstehung war und ist für den gläu-
bigen Juden Gewissheit, und deshalb sollten bis zum
Zeitpunkt der Auferstehung die Gebeine der Toten in
Ruhe in ihrem Grab ausharren dürfen. Aus diesem
Grund hat ein Grab und ein Friedhof im jüdischen
Verständnis eine weit höhere kultische Bedeutung als
beispielsweise eine Synagoge, die man zu jeder Zeit
schließen oder profanen Zwecken über eignen kann.
Die Vorschrift, jeden Juden einzeln zu begraben und
jedem, auch dem Ärmsten, einen Grabstein zu setzen,
hatte aber sicher auch eine tröstliche Wirkung auf die
Lebenden. Denn wenigstens im Tod sind alle gleich.
Auch aus dieser Sicht wird die große Bedeutung des
Friedhofes für Menschen jüdischen Glaubens deutlich,
und tatsächlich ist der Friedhof im Judentum eine der
wichtigsten Kultstätten.
Ganz im Unterschied zu christlichen Begräbnisstätten
wird ein jüdischer Friedhof niemals ein aufgelassener
Friedhof sein können, weil dem Toten das Grab für alle
Zeiten zugeschrieben ist. Wie Abraham in Hebron eine
Grabhöhle für sich, seine Frau und für alle seine
Nach kommen auf ewig erwarb, „erwirbt“ der Verstor-
bene seinen Platz auf dem „Guten Ort“ für alle Zeiten.
Deshalb sind jüdische Friedhöfe immer „jung“, egal wie
alt sie sind. Und die Ehre der wehrlosen Toten gilt als
religionsethisches Grundgesetz.
Wie kam es zu diesem abweichenden, uns etwas
fremden Verständnis im Judentum?
Jüdische Friedhöfe
5
werden mit dem Kran steinerne Monstren angeschleppt
und in tödlicher Korrektheit abgesetzt. Grundstück für
Grundstück, mit den gleichen schwarzen Steinbarrieren
abgeriegelt. Protzige Materialschlachtfelder. Und
dazwischen saubere Abstandsflächen auf totem
Industriekies. Damit sich ja kein Unkraut regt. Einsam-
keit in Makellosigkeit. Auch im Tod noch Ellenbogen.“
Es ist ein alter jüdischer Brauch, die Gräber der Ange-
hörigen regelmäßig zu besuchen und als Zeichen des
Gedenkens einen kleinen Stein auf den Grabstein zu
legen. Für die allermeisten Verstorbenen auf den jüdi -
schen Friedhöfen in unserer Region gibt es schon längst
keine Angehörigen mehr. Es ist also an uns, die Gräber
zu besuchen und uns der Friedhöfe anzunehmen.
Es ist keine große Tat, die uns da abverlangt wird, und
es wird uns auch keine Hand verdorren, wenn wir es
für eine Weile vergessen. Aber ist dieser „Dienst“ nicht
doch in den Rang einer ernsten Verpflichtung zu er-
heben?
Judenfriedhöfe sind – von Gesetzes wegen – dem
Schutz der Allgemeinheit anempfohlen.
Um wieviel besser wäre es, sie dem ehrenden Gedächt-
nis der Allgemeinheit anzuempfehlen!
Lothar Mayer
Ein Erklärungsversuch: Die Israeliten hatten in der
langen Gefangenschaft in Ägypten ihre Kultur verloren.
Nach dem Auszug aus Ägypten mussten sie sich ein
Gedächtnis schaffen. Wie sollte das aber aussehen?
Es gab viele Möglichkeiten, und nur eine einzige Version
war undenkbar: So wie dort, wo das Volk jahrhunderte-
lang gequält, geknechtet und gedemütigt worden war,
durfte es nicht werden. Das ist sicher ein Grund, wes-
wegen wir im alten Israel eine antiägyptische Gegen-
welt betreten. Hier ist das, was in Ägypten die Mitte
der rituellen Erinnerung war, streng verpönt. Und der
Totenkult ist auf ein Minimum reduziert. Der Tod in
Ägypten, die Quelle der Heiligkeit und Transzendenz,
das Tor zum Jenseits und zu den Göttern, gilt im Juden-
tum als Quelle von Unreinheit und ist mit strengen
Tabus besetzt. In Israel entwickelte sich eine völlig
neue Erinnerungskultur, die ohne Parallele in der Welt
ist. Und die Beerdigungsriten, das Totengedenken und
die „Friedhofsordnung“ sind Teile dieser Erinnerungs-
kultur.
An dieser Stelle sei ein Vergleich mit der Situation in
der christlichen Welt erlaubt.
Man hält ein Grab für einen Toten für 25 oder 30 Jahre.
Dann, so kalkuliert man, sind die nächsten Verwandten
gestorben und die Fläche kann neu belegt werden.
Wenn aber ein Vater oder eine Mutter stirbt und die
Kinder gerade 10 oder 15 Jahre alt sind, gibt es schon
bald keinen Platz mehr für die Trauer um den geliebten
Menschen.
Wir könnten übrigens einiges von dem jüdischen
Grabverständnis lernen, denn auf unseren Friedhöfen
entwickelt sich eine Kultur, die durch Banalität und
Geschmacklosigkeit geprägt ist. Der Gang über einen
christlichen Friedhof unserer Tage bestätigt den Befund,
den der Publizist Dieter Wieland schon vor 30 Jahren
so zusammenfasste:
„Heute sind die Toten eingeparkt wie Luxuslimousinen.
Schwarz und bombastisch, in makellosem Hochglanz
6
War es der Jüdische Friedhof von Erlangen, der Helmut
Lederer (1919 Eger – 1999 Erlangen) zu seinen Erkun-
dungsreisen auf alten Judenfriedhöfen in Mittel- und
Oberfranken inspiriert hat? Immerhin war er der erste,
den er als verantwortlicher Bildredakteur und Grafiker
des Stadtmagazins „das neue Erlangen“ für das
Dezemberheft 1971 aus Anlass der Gedenkstunde zum
80-jährigen Bestehen gezielt aufgesucht, fotografiert
und dann auch publiziert hat. Im Gegensatz zu Eger,
der Stadt seiner Kindheit und Jugend, wo die Nazis den
jüdischen Friedhof nach der Annexion des Sudeten-
landes und der Errichtung des Reichsprotektorates
Böhmen-Mähren 1938/39 alsbald einebnen ließen –
somit die für das Judentum unantastbare Totenruhe
schändeten –, war der von Erlangen, am nördlichen
Burgberghang gelegen, als Zeugnis früheren jüdischen
Lebens nicht zerstört worden.
Lederer lebte seit 1947 als freiberuflicher Fotograf,
Grafiker und Bildhauer in Erlangen.
Als Pressebild passt das Erlanger Motiv allerdings nicht
zu der von Lederer in drei Ausstellungen 1978, 1979
und 1981 in Erlangen (zur ersten hier veranstalteten
„Woche der Brüderlichkeit“), in Ingolstadt und in Fürth
präsentierten Bildserie „Graue Gärten“. Diese umfasste
damals 80 Fotografien, von denen leider nur noch ein
kleiner Bestand existiert. Doch von den heute im Foto-
museum München und im Kunstmuseum Erlangen
aufbewahrten Aufnahmen zeigt die jetzige Ausstellung
„Gute Orte“ immerhin 17 Bildmotive. Bis auf Pappen-
heim, fotografiert im März 1979, sind alle von Lederer
abgelichteten Friedhöfe vertreten: Ermreuth (Februar
1974), Baiersdorf, Georgensgmünd, Hagenbach,
Schnait tach und Ullstadt (Winter 1977/78) und Fürth
(März 1981).
Helmut Lederers Renommee als Fotograf rührt von
seiner Zugehörigkeit zur Avantgarde der modernen
Fotografie der Nachkriegszeit, die „von einer Suche
nach Freiraum, nach persönlichen Bildern, nach einer
überzeitlichen freien Gestaltung“ (Ute Eskildsen)
geprägt war und die Fotografie als autonome Kunst
gestärkt hat. Bei den im In- und Ausland erfolgreichen
Ausstellungen „subjektive fotografie 1 – 3“ (1951,
1954, 1958) war Lederer mit vielbeachteten Bildern
vertreten. Als akademischer Bildhauer noch am Anfang
seiner Karriere stehend, pflegte er sein zweites Talent
ambitioniert bis zur Lebensmitte. Dabei löste er seine
auf Reisen und vor Ort gefundenen Sujets, wie bei
seinem zeichnerischen und plastischen Schaffen, zu-
sehends von der naturgetreuen Wiedergabe. Ihn haben
bevorzugt unkommentierte Bildreihen beschäftigt,
was in sein Hauptwerk „Lichtnovellen“ (1969) – mit
„Carnaval des Visages“, „Bilder einer Ausstellung:
documenta III“ und „Zu Kafka“ – mündete.
Anders als bei seinem mit „Formen, weiblich“ am
stärksten verbundenen Bildhauer-Opus experimen-
tierte Lederer danach nicht mehr mit der fotografischen
Abstraktion, sondern konzentrierte sich wieder auf das
reine Abbild. Doch auch so gelangen ihm eindringlich
komponierte Bildserien in Schwarz, Weiß und Grau.
Für das ihm zur (Wahl)Heimat gewordene Franken
schuf er noch seine „Fränkischen Serien“: „Fachwerk.
Tod in Franken“ (1972 – 81) zum schleichenden Ruin
7
zwar für die Kunst und mit ihr lebte, aber sämtliche
Kunst, die ihn umgab, die eigene und die selber
gesammelte, mit Bedacht der Patina der Zeit überließ,
ohne sie vor dem Verfall zu bewahren? Weil es ihm
nicht ums Überdauern ästhetischer Objekte/Wirkung
ging, schon gar nicht, wenn er selber einmal nicht mehr
(da) sein sollte?
Gertraud Lehmann
Schnaittach, Dezember 1977, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.168)
Links: Helmut Lederer bei der Vernissage seiner Ausstellung „Graue Gärten – Jüdische Friedhöfe in Franken“ im Markgrafentheater Erlangen, 9.3.1978. Foto: Rudi Stümpel
des alten Dorfbildes, „Kirschgärten“ (1975) über
die Naturpracht der Kirschblüte und „Graue Gärten“
(1974 – 1981) zu seiner Begegnung mit den Ruhe-
stätten von einst hier beheimateten Juden.
War die eigene Atmosphäre der „Guten Orte“, ihre
Abgeschiedenheit, ihre anscheinende Vernachlässi-
gung, ihre Archaik, ihr memento mori, ihr Ewigkeits-
hauch, Helmut Lederer auch deshalb so nah, weil er
Photographien von Helmut Lederer
8
Hagenbach, Januar 1978, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.165)
9
Baiersdorf, Dezember 1977, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.172)
10
Ermreuth, Februar 1974, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.170)
11
Georgensgmünd, Januar 1978, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.167)
12
Der heute in Wendelstein ansässige Fotograf und Autor
Lothar Mayer wurde 1950 in Wüstensachsen/Rhön
geboren. Nach seinem Studium der Elektrotechnik
machte er sich selbständig und ist heute geschäftsfüh-
render Gesellschafter der Firma A. Eberle in Nürnberg.
Seit mehr als 35 Jahren gehört die Fotografie zu seinen
Leidenschaften.
Wie kam er nun dazu, Judenfriedhöfe zu fotografieren?
1984 veröffentlichte er ein Buch über Tagfalter. Im
Rahmen dieses Projektes befasste er sich auch mit
dem Schmetterling als Symbol. Er besuchte daraufhin
zahlreiche jüdische Friedhöfe und war verzaubert von
deren Stimmung. Dann begann er sich genauer mit der
Thematik auseinanderzusetzen. In der Literatur fand er
Karten, die den Weg zu jüdischen Friedhöfen beschrei-
ben, weil sie häufig sehr schwer aufzufinden sind.
Dabei stellte er fest, dass viele der Karten veraltet
waren, woraufhin er begann, selbst welche zu erstellen
und diese mit Fotos zu versehen. Das war der Beginn
seines Fotoprojektes „Jüdische Friedhöfe“, mit dem er
sich insgesamt fast 20 Jahre lang befasste und dazu
auch zwei fundierte Bildbände publizierte.
Beide Bücher zeigen alle jüdischen Friedhöfe Frankens
in alphabetischer Reihenfolge. Jeden davon hat Lothar
Mayer oft besucht, um dessen Stim mung im Wechsel
der Tages- und Jahreszeiten einzu fangen. Ergänzt mit
historischen Fakten, bilden seine Veröffentlichungen
informative, umfangreiche Überblickswerke der
mittlerweile fast vergesse nen religiösen und kulturellen
Denkmäler der jüdischen Bestattungskultur in Franken.
In der Ausstellung „Gute Orte“ zeigt das Kunstmuseum
Erlangen fünf eindrucksvolle Panorama-Farbfotos und
18 Abzüge im Format 35 x 35 cm. Lothar Mayers Foto -
grafien öffnen dem Betrachter die Tür zu den meist
verschlossenen und schwer zu erreichenden jüdischen
Friedhöfen in Franken. Neben der Atmosphäre des Ortes
vermitteln die Bilder oftmals auch den Eindruck großer
Abgeschiedenheit und Einsamkeit – ein beklemmendes
Gefühl auf der einen, und eine friedliche Stimmung auf
der anderen Seite.
Die Fotos zeigen außerdem, wie unterschiedlich die
„Guten Orte“ in ihrer Erscheinung sein können.
Gewöhnlicherweise sind jüdische Gräber schmucklos
und schlicht. Bis Ende des 19. Jh. findet man haupt-
sächlich Stecksteine mit hebräischen Schriftzeichen,
während später vermehrt Grabsteine auftreten, die
mit symbolischen Darstellungen eher dem christlichem
Brauch entsprechen. Teilweise stehen die Grabsteine
bereits seit 500 Jahren, dennoch scheinen sie ständig
in Bewegung zu sein: Unter ihrem Gewicht sind sie im
Laufe der Zeit bis zu vier Fünfteln in die Erde gesunken.
Mit seinen Fotos erinnert Lothar Mayer an die Shoah und
bekämpft die sogenannte „Schlußstrich-Mentalität“.
Die Mehrheit der Deutschen möchte nicht an die Ver-
brechen der Nazizeit erinnert werden. Der Fotograf will
Anstöße zur Auseinandersetzung mit der Geschichte
geben und die geistige Distanz zwischen uns und dem
Judentum verringern. Seine Fotografien sollen uns zu
einer eingehenden persönlichen Beschäftigung mit
der jüdischen Vergangenheit Frankens und somit auch
unserer gemeinsamen Vergangenheit anregen.
Magdalena Meinhardt
13
Fotografien von Lothar Mayer
Schopfloch, 7.4.2011
14
Reistenhausen, 3.11.2009
15
Kleinsteinach, 21.12.2009
16
Bechhofen, 31.10.2010
17
18
Helmut Jahn gehörte der allerersten Generation nach
der großen Kluft an, mit welcher der Zweite Weltkrieg
die „Szene“ in Vorher und Nachher (unter)schied.
1946 geboren, war er Teil einer (verlorenen) Generation
von Künstlern, die sich noch nicht dem Markt andienten,
nicht wollten und nicht konnten.
Er kam aus München, hatte dort an der Kunstakademie
studiert (wie ich) und zog nach Nürnberg, zu Arbeit
(als Kunsterzieher) und Liebe, dann, Ende der 90er
Jahre, nach Fürth. Er beteiligte sich an Ausstellungen
hierzulande, wurde auch 1989 mit einem Stipendium
vom Kunsthaus Nürnberg nach Prag geschickt, zeigte
Arbeiten in Krakau und anderswo. Trotz dieser – be-
scheidenen – Erfolge galt er als absoluter Einzelgänger.
Seine Person mit all ihren Äußerungen und Gewohn-
heiten bildete die Hauptbarriere zwischen seinem Werk
und dem Kunstbetrieb. Allerdings blieb gerade dadurch
seine künstlerische Substanz vollständig erhalten. Und
sie verdient es – tragisch für seine Person – wenigstens
posthum beachtet zu werden!
Kein Zufall, dass Helmut Jahn, selbst nicht Jude, sich
dem Thema „Jüdische Friedhöfe“ und „Judentum“
verschrieb, sich mit der Seite der (gesellschaftlich)
Ausgeschlossenen identifizierte, seine „Herkunfts-
kultur“ ablehnte um dieser „Nicht-Dazugehörigen“
willen, deren Ausschluss aus der Bevölkerung er
seiner Elterngeneration zum Vorwurf machte.
Also: Ein Judenfriedhof als „mitwissendes“, zudecken-
des Gebiet des Gewesenen, eine Gegend, die stumm
erlebte, was Menschen mit Menschen machten. Als
Rand- und Schattenplätze, nicht ausgesucht, sondern
zugewiesen, immer von der Macht der Mehrheit. So
sah Helmut Jahn diese Grabstätten, die er systematisch
im westlichen Franken aufsuchte, mit wissenschaft-
licher Literatur versehen, fotografierte, je nach Gegend
ordnete, dabei die Lage und Tageszeiten beobachtend.
Mit seinem alten VW-Bus fuhr er, meist allein, nach
Trautskirchen, wo er in den 80er Jahren ein Atelier im
Schloss hatte. Aus dieser Zeit stammt eine kleine
Auswahl von ca. 40 Temperabildern und Zeichnungen
jüdischer Friedhöfe in seinem Nachlass.
Vom Denken her war Helmut Jahn eher ein „Neo-
Dadaist“, der aber expressiv und formbezogen malte.
Er hat allen das Leben schwergemacht, sich selber
aber am meisten. Er ist im Juli 2011 in Fürth gestorben.
Annette Blocher
19
Helmut Jahn: Tempera/Graphit-Arbeiten auf Papier
o. T., 1987 dat. & sign., 102 x 120 cm
20
o. T., undat., 99 x 118,5 cm
21
o. T., 1987 dat. & sign., 100 x 118 cm
22
o. T., 1986 dat. & sign., 100 x 118 cm
23
o. T., undat., 100 x 107 cm
24
Robert Reiter, 1932 in Preßburg geboren, war 18 Jahre
lang am Coburger Gymnasium Alexandrinum und 18
Jahre am Coburger Gymnasium Ernestinum als Kunst-
erzieher bis 1995 tätig. Er war auch Initiator des
Geräte museums des Coburger Landes in der Alten
Schäferei Ahorn (1970 – 1990).
Den Extrakt seiner vielen kulturhistorischen Reisen,
z.B. nach Umbrien und Andalusien, hat er für die
Menschen vor Ort in vielen Ausstellungen gezeigt,
ebenso im Coburger Land, dessen Landschafts- und
Ortsformen er in ihrem Wandel aufmerksam registriert
und in seiner Malerei und Grafik gestaltet hat. Ins-
besondere die Kaltnadelradierungen mit Monotypie
sowie die Gemälde auf Sackleinwand sind zum Marken-
zeichen von Robert Reiter geworden. Werke von ihm
sind in zahlreichen öffentlichen Sammlungen vertreten.
Die in unserer Ausstellung gezeigten Arbeiten sind nur
ein kleiner Ausschnitt aus Reiters reichem, kulturge-
schichtlich fundiertem Œuvre.
Was nun die Affinität des Künstlers zu heimischen
Judenfriedhöfen betrifft, so darf ich aus dem von mir
mit ihm zusammen konzipierten Katalog „et in kargadia
ego“ seiner Ausstellung im Coburger Kunstverein
(19.1. bis 24.2.2013) zitieren: „Nicht das Grelle, Bunte,
Idyllische erregt Reiters Aufmerksamkeit, sondern das
Karge, Staubige, Verblassende, Verschwindende. […]
Nicht das Augenfällige, „Schöne“, Anmutige ist es,
was ihn anzieht, sondern das durch kulturhistorisches
Wissen und detaillierte Beobachtung vermittelte
Schauen auf die Elementarität, die Tiefengründe
menschlichen Arbeitens und Seins im Raum. Hier
mögen seine Bilder von fränkischen Judenfriedhöfen
ein probates Beispiel sein. Dem religiösen Geist des
„Guten Ortes“ (so eine Bezeichnung der Juden für
ihre Gottesäcker) erweist er ebenso seine aufgeklärte
Referenz wie dem atmosphärischen „sentiment“ der
Grabsteine und der kulturhistorischen Perspektive, zu
der leider bis in unsere Tage auch der Antisemitismus
seinen fatalen Geschmack beisteuert. Das Licht der
geglaubten Auferstehung beim Erscheinen des Messias
leuchtet aus ihnen – und zugleich die Trauer über die
Vergänglichkeit allen menschlichen Tuns & Bewahren-
wollens.“
Jürgen Sandweg
Foto: Dr. Joachim Rückert, Bad Staffelstein
25
Robert Reiter: Radierungen mit Monotypie und Gemälde
Laudenbach, 2007, Acryl/Lw. 60 x 50 cm
26
Laudenbach, 20.3.2007, 40,5 x 29 cm
27
Laudenbach, 20.3.2007, 40,5 x 29 cm
28
Kleinbardorf, 2007, Acryl/Lw. 55 x 115,5 cm
29
30
Gemalte und fotografierte „Judenfriedhöfe“ besitzen
einen ästhetischen Reiz, der für Nicht-Juden die Erinne-
rung an die Einzelschicksale der unter den Steinen
Ruhenden überlagern kann. Wenn Künstler den Blick
über weite Stelen-Felder schweifen lassen und ihr Blick
gerade auf hebräische Inschriften älterer Grabsteine
fällt, werden sich viele Menschen nur mit einer anony-
men Masse gestorbener Menschen konfrontiert sehen.
Damit die Erinnerung „Gesichter“ bekommt, habe ich
hier so einen „Guten Ort“ für einige bekannte und
vergessene jüdische Mitbürger in Franken zusammen-
gestellt. Es handelt sich um eine subjektive Auswahl
von Persönlichkeiten, die vom Mittelalter bis ins 20. Jh.
in der Region zumindest zeitweilig lebten und wirkten.
Das Gros der armen Leute und der wenig gebildeten
Menschen bleibt leider außen vor. Wenigstens lässt
sich anhand der Gewürdigten erkennen, zu welchen
Leistungen sie unter anderen Umständen fähig ge-
wesen wären. Probleme mit einer latent oder massiv
antisemitisch eingestellten Umgebung bekamen alle
zu spüren – jüdische Frauen hatten es freilich noch
schwerer, sich gegen eine männlich dominierte Umwelt
durchzusetzen.
Immerhin schaffte es Emmy Noether (1882 Erlangen –
1935 Bryn Mawr), sich mit grundlegenden Beiträgen
zur abstrakten Algebra und theoretischen Physik einen
Namen zu machen. Weniger Innovationen schaffend
als vermittelnd, gab es jüdische Mediziner in Franken:
Adalbert Friedrich Marcus (1753 Arolsen – 1816 Bam-
berg) wirkte als Arzt in Bamberg. Er kümmerte sich um
mittellose Patienten, die Verbesserung des Kranken-
hauses und die Einrichtung einer Kreisirrenanstalt.
Sein Grab unterhalb der von ihm sanierten Bamberger
Altenburg zerstörten die Nationalsozialisten – wie
auch das erste Standbild eines Juden in Bayern. Dieses
verdiente sich ein anderer Arzt, der im Todesjahr von
Dr. Marcus geboren wurde: Jakob Herz (1816 Bayreuth
– 1871 Erlangen). Auch sein Denkmal wurde 1933
zerstört. „Ersatz“ schuf das schlechte Gewissen der
Öffentlichkeit nach 1945 an beiden Orten.
Der Rabbiner-Sohn und Jurist Franz Ludwig von Horn-
thal (1760 Hamburg – 1833 Bamberg) wurde Bürger-
meister von Bamberg und Mitglied der Abgeordneten-
kammer des Bayerischen Landtags. Voraussetzung war
allerdings der Übertritt zum Katholizismus gewesen.
Sein Nachnamen setzt sich aus den Namen seiner
prominenten Taufpaten zusammen: dem Domkapitular
J. K. J. Horneck von Weinheim und dem gerade erst zum
Bischof gewählten Franz Ludwig von Erthal. Mit seinen
politischen Schriften machte Hornthal sich unbeliebt
und wurde 1831 aus dem Landtag ausgeschlossen. Auf
dem Gaibacher Verfassungsfest hielt er ein Jahr später
jedoch eine vielbeachtete Rede.
Zu den „assimilierten“ Juden kann man wohl auch Dr. jur.
David Morgenstern (1814 Büchenbach bei Erlangen –
1882 Fürth) zählen, der sich als aktiver Politiker – Mit-
glied des Bayerischen Landtags (1848 – 1855) – sehr
für die Gleichberechtigung der Juden eingesetzt hat.
Später war er Zinnfolienfabrikat in Forchheim.
Sein Enkel Karl Süssheim (1878 Nürnberg – 1947 Istan -
bul) besann sich auf die kulturellen Wurzeln seiner
Familie. Er wurde Orientalist und Historiker und lehrte
als Professor die Geschichte der islamischen Völker
sowie das Türkische, Arabische und das persische
Farsi. Die Auseinandersetzung mit Sprachen war und
ist für Juden in der Diaspora nichts Ungewöhnliches,
da über sie die lebenswichtige Kommunikation in der
Fremde funktionieren musste/muss.
Süßkind von Trimberg betätigte sich Ende des 13. Jh. als
Spruchdichter. Eine Buchmalerei in der Manessi schen
Liederhandschrift zeigt ihn in der damaligen „Tracht“
für Juden. Da es keine biographischen Zeugnisse als
die Verse fiktiven Inhalts gibt, können Aufenthalte am
Hof des Würzburger Bischofs nur vermutet werden.
Fragmentarische Erinnerungen an jüdisches Leben in Franken
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Ein angehender Maler, Richard Lindner (1901 Hamburg
– 1978 New York), verließ Deutschland rechtzeitig. Er
lebte in den 1920er Jahren in Nürnberg und wurde von
der Kultur der Weimarer Republik geprägt. In den USA
gelang ihm der Durchbruch mit seiner Kunst, die schrille
Farbigkeit amerikanischer Werbekunst mit Karikatur
und grotesken Elementen der Neuen Sachlichkeit
kombinierte. Mit überzeichneten Mensch-Maschinen-
Wesen reflektiert er die Entfremdung des Individuums
in seiner großstädtischen Umwelt vor dem Hintergrund
des rasanten technischen Fortschritts.
Es ist Zeit innezuhalten und den „Erinnerungen“ an
Menschen und ihren zuweilen widrigen Lebensum-
ständen positive Perspektiven abzugewinnen.
Der seit 1964 in Erlangen mit seiner Lebensgefährtin
Frida Poeschke lebende Verleger und Rabbiner Shlomo
Lewin (*1911 Jerusalem) hat als geschäftsführender
Vorsitzender der 1950 gegründeten „Gesellschaft für
christlich-jüdische Zusammenarbeit in Nürnberg-
Fürth“ (1976 um „Erlangen-Bamberg“ erweitert, heute
kurz „ … in Franken“) den christlich-jüdischen Dialog in
der Region forciert. Dank ihm und Ilse Sponsel, seiner
Nachfolgerin, ist die alljährliche „Woche der Brüderlich-
keit“ seit 1978 auch in Erlangen gute Tra di tion. Lewin
und Poeschke aber fielen 1980 einem brutalen Mord
zum Opfer. Hinter ihm vermutete man die seit Anfang
des Jahres verbotene rechtsextreme „Wehr sportgruppe
Hoffmann“ aus Ermreuth – ebenso wie hinter dem drei
Monate zuvor verübten Attentat auf das Münchner
Oktoberfest. Letztlich konnte man beide Mordanschläge
nur angeblichen „Einzeltätern“ aus dieser militanten
Neonazi-Gruppierung anlasten, nicht aber deren Kopf
und Drahtzieher Karl-Heinz Hoffmann.
Die Neugründung einer „Israelitischen Kultusgemeinde
Erlangen“, damals schon Lewins Ziel, gelang im April
2000 dann durch den Zuzug der sog. jüdischen Kontin-
gent-Flüchtlinge aus den GUS-Staaten.
Volkmar Rummel
700 Jahre später liegen klare Verhältnisse vor. Der
populäre Dichter Jakob Wassermann (1873 Fürth – 1934
Altaussee) reflektierte in Essays und Autobiographien
auch die Problematik des deutschen Judentums, z.B.
in seinen Werken „Mein Weg als Deutscher und Jude“
(1921) und „Selbstbetrachtungen“ (1931). Seine vom
Humanitäts- und Gerechtigkeitsdenken beseelte
Literatur wurde 1933 verbrannt und verboten. Er starb,
60-jährig, verarmt und verbittert.
Ein anderer Fürther hatte das Glück, noch rechtzeitig zu
entkommen. Jakob Schönberg (1900 Fürth – 1956 New
York), ein entfernter Verwandter von Arnold Schönberg,
war ebenfalls ein Komponist und Musikwissenschaftler.
1925 schloss er an der Universität Erlangen seine Pro-
motion über den traditionellen Synagogengesang in
Deutschland ab. Seinen Lebensunterhalt bestritt er
dann u.a. als Musikkritiker, Pianist, Dirigent, Konzert-
und Filmkomponist. Nach der „Machtergreifung“ verlor
Jakob Schönberg seine Stellungen und setzte sich fortan
mit der jüdischen Folklore in Palästina auseinander, was
in Publikationen und Kompositionen seinen Niederschlag
fand. Er emigrierte über England in die USA, wo er nur
noch als Musikdozent lehrte.
Erwin Schulhoff (1894 Prag – 1942 bei Weißenburg)
war ein deutsch-böhmischer Pianist und Komponist,
der sich für die Integration der Jazz-Musik stark-
machte. 1932 vertonte er als Kantate das Manifest der
Kommunistischen Partei, schrieb Kampflieder für die
Linken und wandte sich dem „Sozialistischen Realis-
mus“ in seiner Musik zu. Nach der „Machtergreifung“
der Nationalsozialisten wurde seine als „entartet“
geltende Musik im „Dritten Reich“ verboten. 1941
wurde er sowjetischer Staatsbürger, fiel aber noch vor
seiner Einreise in die UdSSR der Wehrmacht in die
Hände. Man verschleppte ihn nach Prag und internierte
ihn im Lager für Bürger anderer Staaten auf der Wülz-
burg bei Weißenburg. Dort starb er an den gesundheit-
lichen Folgen der Strapazen und Mangelernährung.
Das Kunstmuseum Erlangen wird dankenswerterweise unterstützt von
Adler-Apotheke
Helmut Lederer, Hagenbach, Januar 1978, 39 x 49 cm (Kunstmuseum Erlangen)
Abbildung auf der Titelseite: Helmut Jahn, Nocturne, 1987, Tempera/Graphit, 101 x 120 cm (Ausschnitt)