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Gute Orte Judenfriedhöfe in Franken Helmut Jahn . Helmut Lederer . Lothar Mayer . Robert Reiter Eine Ausstellung im Kunstmuseum Erlangen vom 18. Januar bis 15. Februar 2015

Gute Orte - Erlangen · 2017. 3. 6. · Januar bis 15. Februar 2015. 2 Den letzten Anstoß zu dieser schon seit längerem ge- planten Ausstellung gab nach dem hochherzigen „Vor-

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  • Gute OrteJudenfr iedhöfe in Franken

    Helmut Jahn . Helmut Lederer . Lothar Mayer . Rober t Reiter

    Eine Ausstellung im Kunstmuseum Erlangenvom 18. Januar bis 15. Februar 2015

  • 2

    Den letzten Anstoß zu dieser schon seit längerem ge-

    planten Ausstellung gab nach dem hochherzigen „Vor -

    laß“ von 25 Gemälden und drei Radierungen-Mappen

    aus dem Œuvre von Robert Reiter die Schen kung zahl-

    r eicher Fotografien, Zeichnungen und Gemälde aus

    dem Nachlaß des Mitte 2011 gestorbenen Nürnberger/

    Fürther Kunsterziehers und Künstlers Helmut Jahn.

    Ihm und seinen wegen seiner persönlichen Sprödigkeit

    den meisten Kollegen und Sammlern unbekannten

    Werken galt es, wenigstens posthum einen kleinen

    Gedenkstein zu setzen. Daß das mit einer vierwöchigen

    Ausstellung und einer knappen Broschüre kaum getan

    ist, ist nicht dem Thema „Judenfriedhöfe in Franken“

    geschuldet, sondern dem Zeit- und Geldmangel der

    Ausstellungsmacher. (Doch zum Glück gibt es da noch

    die Nürnberger Firma A. Eberle.)

    Helmut Lederer gehört mit seiner beeindruckenden

    Spätwerk-Fotoserie „Graue Gärten“, einst als Geschenk

    des gesamten Opus für die Judaica-Sammlung vom

    Germanischen Nationalmuseum schnöde abgelehnt, zu

    den „Uranstößern“. Körperlich nicht mehr der Fitteste,

    zog es Lederer mit seinem Auto gleichwohl oft ins

    Fränkische, sowohl zu den „sterbenden“ alten Fach-

    werkhäusern wie zu den auf den letzten 200 bis 500

    Metern zumeist nur per Fuß erreichbaren jüdischen

    Friedhöfen. In seinem Markenzeichen, den großen

    schwarzen Holzrahmen, präsentiert, beeindruckten seine

    „Porträts“ von Ermreuth und Baiersdorf, Schnaittach

    und Fürth, Georgensgmünd und Hagenbach die zeit-

    genössischen Ausstellungsbesucher und nötigten –

    überliefert! – manch einen zu einer persönlichen

    Autopsie. Mich auch, und nicht nur des Kirschen-

    klauens wegen: Ermreuth, und später – in Schwabach

    als Lehrer am Adam-Kraft-Gymnasium – Georgens-

    gmünd. Und wieder etwas später, wegen des

    Ausstellung und Katalog sind Ilse Sponsel (1924 – 2010) gewidmet, der überaus verdienstvollen ehrenamtlichen

    Beauftragten der Stadt Erlangen für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger 1980 – 2010.

    „Silvaner“-Buches (im Echter Verlag 2009), Rödelsee

    und Hüttenheim, Heidingsfeld, Höchberg und Gerolz-

    hofen. Und zwischendurch, natürlich, Prag und Worms

    – und, befremdend entkrautet, der Cimi tière israélite

    bei Rosenwiller im Elsaß.

    Und schließlich das mir anvertraute Lektorat für die

    beiden Judenfriedhof-Bücher meines Freundes Lothar

    Mayer im Michael Imhof Verlag (2010 und 2012).

    Es brachte mir auf meinen „Streufahrten“, mit den

    Lageplänen gut ausgerüstet, vor allem die Jüdischen

    Friedhöfe im nördlichen Unterfranken (Kleinbardorf,

    Neustädtles, Sulzdorf an der Lederhecke [allein der

    Ortsname!] und Schweinshaupten) nahe. Daß es bei

    weiteren Fahrten in Sachen Kunst und „Riesling“-Buch

    dort noch/endlich weitere Neu-Entdeckungen zu

    machen gilt (u.a. Kleinheubach, Miltenberg, Hörstein,

    Reistenhausen), sei Lothars verdienstvollen Büchern

    gedankt!

    Die „Magie der Stille“ (so der Titel der Friedrich Gröne

    und Barbara Gröne-Trux-Ausstellung in unserem

    Loewenichschen Palais) auch in diesen mittlerweile

    gottseidank ungestörten „Guten Orten“ (ob „Juden-

    friedhöfe“ oder „Jüdische Friedhöfe“ heute die – poli-

    tisch/ideologisch – korrektere Bezeichnung ist, lasse

    ich dahingestellt) ist hoffentlich noch in den Exponaten

    so manifest, daß sie auch in unserer Ausstellung ihre

    Wirkung auf die Betrachter nicht verfehlt.

    Daß Kunst Grenzen überwindet in der Wahrnehmung

    und Empfindung des Alltags, war schon immer eine

    ihrer Hauptaufgaben – und heute im Zeitalter des welt-

    weiten kommerziellen Designs mehr denn je. Insofern

    macht der Jahresauftakt 2015 in unserem 25. Jubilä-

    umsjahr mit Bedacht eine (ge)wichtige Aussage!

    Jürgen Sandweg

    Vorwort

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    Das Kunstmuseum Erlangen e. V. dankt der Adler-Apotheke

    (Inh. Bernd Nürmberger) und der Nürnberger Firma A. Eberle

    für die großzügige Unterstützung beim Druck dieses Kataloges.

    Dank gebührt auch Dr. Ulrich Pohlmann, dem Leiter des Fotomuseums München,

    für die kollegiale Leihgabe der Photographien von Helmut Lederer.

    Impressum

    Ausstellung und Katalog: Dr. Jürgen Sandweg

    Mitarbeit: Annette Blocher

    Gertraud Lehmann

    Lothar Mayer

    Magdalena Meinhardt

    Volkmar Rummel

    Gestaltung: Peter Hörndl, Nashornstudio Erlangen

    Druck und Bindung: Druckhaus Haspel Erlangen

    Auflage: 100 Exemplare

    Inhalt

    4 Lothar Mayer „Jüdische Friedhöfe“

    6 Photographien von Helmut Lederer

    12 Fotografien von Lothar Mayer

    18 Helmut Jahn: Tempera/Graphit-Arbeiten auf Papier

    24 Robert Reiter: Radierungen mit Monotypie und Gemälde

    30 Volkmar Rummel „Fragmentarische Erinnerungen

    an jüdisches Leben in Franken“

    Adler-Apotheke

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    Mit Allerheiligen ist in der christlichen Welt ein Ritual

    verknüpft, das immer noch eine stabilisierende und

    sinnstiftende Funktion hat: Durch den Gang zum Grab,

    durch die Erinnerung an einen Toten, durch das sym-

    bo lische Zurückholen des geliebten Menschen und

    das Wiederweggeben des Betrauerten wird ein allmäh-

    liches Loslassen möglich. Und weil in unserem Kultur-

    kreis mit dem Grab eines Angehörigen sehr viele uns

    wichtige Aspekte verknüpft sind, neigen wir dazu,

    unsere tradierten Bedeutungsinhalte auch auf die

    Gräber der Juden zu übertragen.

    Das Missverständnis könnte aber kaum größer sein,

    und es beginnt schon mit dem Grabstein. Der Stein auf

    dem Grab eines Juden, der erst nach Ablauf des Trauer -

    jahres gesetzt wird, ist kein integraler Bestandteil des

    Grabes, sondern soll lediglich helfen, den Ort, an dem

    ein bestimmter Mensch begraben liegt, aufzufinden.

    Aus diesem Grund war natürlich auch die hebräische

    Inschrift von Bedeutung, die neben dem Namen des

    Verstorbenen weitere wichtige Details bereitstellte.

    Der Stein vermittelt zudem vorübergehend die sym-

    bolische Hoffnung des Fortlebens der Seele, nachdem

    der Körper längst zu Staub geworden ist. Ein beson-

    derer Aspekt der Seele bleibt nämlich nach jüdischem

    Verständnis für immer und ewig an die Stelle des

    Grabes gebunden. Der Stein ist traditionell der einzige

    Grabschmuck und bleibt ganz dem Zugriff von Wind

    und Wetter überlassen.

    Der Besuch eines Grabes ist in der jüdischen Tradition

    eben nicht Teil der Trauerbewältigung, wie etwa im

    Christentum. Gräber dienen den Toten und nicht den

    Hinterbliebenen als ausgelagerte Vorgärten. Viele

    Juden pflegten und pflegen daher den Brauch, die

    Gräber der Verstorbenen innerhalb des ersten Jahres,

    also bis zur Grabsteinsetzung, gar nicht zu besuchen,

    um die dort Begrabenen nicht mit der eigenen Trauer

    zu belasten. In gewisser Weise lebt der Verstorbene

    eben immer noch und wartet nur auf den Tag, an dem

    der Messias in Jerusalem einzieht. Es ist jüdische

    Glaubensgewissheit, dass alle Verstorbenen von den

    Toten auferstehen und im messianischen Zeitalter nach

    Israel zurückkehren werden.

    Dieser Glaube wird in den vielfältigen Benennungen

    für den Friedhof zum „Wort“: So, wenn etwa vom

    „Haus des Lebens“, dem „Haus der Ewigkeit“ und

    dem „Guten Ort“ die Rede ist.

    Die sichere Erwartung der Wiedererweckung und

    körperlichen Auferstehung war und ist für den gläu-

    bigen Juden Gewissheit, und deshalb sollten bis zum

    Zeitpunkt der Auferstehung die Gebeine der Toten in

    Ruhe in ihrem Grab ausharren dürfen. Aus diesem

    Grund hat ein Grab und ein Friedhof im jüdischen

    Verständnis eine weit höhere kultische Bedeutung als

    beispielsweise eine Synagoge, die man zu jeder Zeit

    schließen oder profanen Zwecken über eignen kann.

    Die Vorschrift, jeden Juden einzeln zu begraben und

    jedem, auch dem Ärmsten, einen Grabstein zu setzen,

    hatte aber sicher auch eine tröstliche Wirkung auf die

    Lebenden. Denn wenigstens im Tod sind alle gleich.

    Auch aus dieser Sicht wird die große Bedeutung des

    Friedhofes für Menschen jüdischen Glaubens deutlich,

    und tatsächlich ist der Friedhof im Judentum eine der

    wichtigsten Kultstätten.

    Ganz im Unterschied zu christlichen Begräbnisstätten

    wird ein jüdischer Friedhof niemals ein aufgelassener

    Friedhof sein können, weil dem Toten das Grab für alle

    Zeiten zugeschrieben ist. Wie Abraham in Hebron eine

    Grabhöhle für sich, seine Frau und für alle seine

    Nach kommen auf ewig erwarb, „erwirbt“ der Verstor-

    bene seinen Platz auf dem „Guten Ort“ für alle Zeiten.

    Deshalb sind jüdische Friedhöfe immer „jung“, egal wie

    alt sie sind. Und die Ehre der wehrlosen Toten gilt als

    religionsethisches Grundgesetz.

    Wie kam es zu diesem abweichenden, uns etwas

    fremden Verständnis im Judentum?

    Jüdische Friedhöfe

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    werden mit dem Kran steinerne Monstren angeschleppt

    und in tödlicher Korrektheit abgesetzt. Grundstück für

    Grundstück, mit den gleichen schwarzen Steinbarrieren

    abgeriegelt. Protzige Materialschlachtfelder. Und

    dazwischen saubere Abstandsflächen auf totem

    Industriekies. Damit sich ja kein Unkraut regt. Einsam-

    keit in Makellosigkeit. Auch im Tod noch Ellenbogen.“

    Es ist ein alter jüdischer Brauch, die Gräber der Ange-

    hörigen regelmäßig zu besuchen und als Zeichen des

    Gedenkens einen kleinen Stein auf den Grabstein zu

    legen. Für die allermeisten Verstorbenen auf den jüdi -

    schen Friedhöfen in unserer Region gibt es schon längst

    keine Angehörigen mehr. Es ist also an uns, die Gräber

    zu besuchen und uns der Friedhöfe anzunehmen.

    Es ist keine große Tat, die uns da abverlangt wird, und

    es wird uns auch keine Hand verdorren, wenn wir es

    für eine Weile vergessen. Aber ist dieser „Dienst“ nicht

    doch in den Rang einer ernsten Verpflichtung zu er-

    heben?

    Judenfriedhöfe sind – von Gesetzes wegen – dem

    Schutz der Allgemeinheit anempfohlen.

    Um wieviel besser wäre es, sie dem ehrenden Gedächt-

    nis der Allgemeinheit anzuempfehlen!

    Lothar Mayer

    Ein Erklärungsversuch: Die Israeliten hatten in der

    langen Gefangenschaft in Ägypten ihre Kultur verloren.

    Nach dem Auszug aus Ägypten mussten sie sich ein

    Gedächtnis schaffen. Wie sollte das aber aussehen?

    Es gab viele Möglichkeiten, und nur eine einzige Version

    war undenkbar: So wie dort, wo das Volk jahrhunderte-

    lang gequält, geknechtet und gedemütigt worden war,

    durfte es nicht werden. Das ist sicher ein Grund, wes-

    wegen wir im alten Israel eine antiägyptische Gegen-

    welt betreten. Hier ist das, was in Ägypten die Mitte

    der rituellen Erinnerung war, streng verpönt. Und der

    Totenkult ist auf ein Minimum reduziert. Der Tod in

    Ägypten, die Quelle der Heiligkeit und Transzendenz,

    das Tor zum Jenseits und zu den Göttern, gilt im Juden-

    tum als Quelle von Unreinheit und ist mit strengen

    Tabus besetzt. In Israel entwickelte sich eine völlig

    neue Erinnerungskultur, die ohne Parallele in der Welt

    ist. Und die Beerdigungsriten, das Totengedenken und

    die „Friedhofsordnung“ sind Teile dieser Erinnerungs-

    kultur.

    An dieser Stelle sei ein Vergleich mit der Situation in

    der christlichen Welt erlaubt.

    Man hält ein Grab für einen Toten für 25 oder 30 Jahre.

    Dann, so kalkuliert man, sind die nächsten Verwandten

    gestorben und die Fläche kann neu belegt werden.

    Wenn aber ein Vater oder eine Mutter stirbt und die

    Kinder gerade 10 oder 15 Jahre alt sind, gibt es schon

    bald keinen Platz mehr für die Trauer um den geliebten

    Menschen.

    Wir könnten übrigens einiges von dem jüdischen

    Grabverständnis lernen, denn auf unseren Friedhöfen

    entwickelt sich eine Kultur, die durch Banalität und

    Geschmacklosigkeit geprägt ist. Der Gang über einen

    christlichen Friedhof unserer Tage bestätigt den Befund,

    den der Publizist Dieter Wieland schon vor 30 Jahren

    so zusammenfasste:

    „Heute sind die Toten eingeparkt wie Luxuslimousinen.

    Schwarz und bombastisch, in makellosem Hochglanz

  • 6

    War es der Jüdische Friedhof von Erlangen, der Helmut

    Lederer (1919 Eger – 1999 Erlangen) zu seinen Erkun-

    dungsreisen auf alten Judenfriedhöfen in Mittel- und

    Oberfranken inspiriert hat? Immerhin war er der erste,

    den er als verantwortlicher Bildredakteur und Grafiker

    des Stadtmagazins „das neue Erlangen“ für das

    Dezemberheft 1971 aus Anlass der Gedenkstunde zum

    80-jährigen Bestehen gezielt aufgesucht, fotografiert

    und dann auch publiziert hat. Im Gegensatz zu Eger,

    der Stadt seiner Kindheit und Jugend, wo die Nazis den

    jüdischen Friedhof nach der Annexion des Sudeten-

    landes und der Errichtung des Reichsprotektorates

    Böhmen-Mähren 1938/39 alsbald einebnen ließen –

    somit die für das Judentum unantastbare Totenruhe

    schändeten –, war der von Erlangen, am nördlichen

    Burgberghang gelegen, als Zeugnis früheren jüdischen

    Lebens nicht zerstört worden.

    Lederer lebte seit 1947 als freiberuflicher Fotograf,

    Grafiker und Bildhauer in Erlangen.

    Als Pressebild passt das Erlanger Motiv allerdings nicht

    zu der von Lederer in drei Ausstellungen 1978, 1979

    und 1981 in Erlangen (zur ersten hier veranstalteten

    „Woche der Brüderlichkeit“), in Ingolstadt und in Fürth

    präsentierten Bildserie „Graue Gärten“. Diese umfasste

    damals 80 Fotografien, von denen leider nur noch ein

    kleiner Bestand existiert. Doch von den heute im Foto-

    museum München und im Kunstmuseum Erlangen

    aufbewahrten Aufnahmen zeigt die jetzige Ausstellung

    „Gute Orte“ immerhin 17 Bildmotive. Bis auf Pappen-

    heim, fotografiert im März 1979, sind alle von Lederer

    abgelichteten Friedhöfe vertreten: Ermreuth (Februar

    1974), Baiersdorf, Georgensgmünd, Hagenbach,

    Schnait tach und Ullstadt (Winter 1977/78) und Fürth

    (März 1981).

    Helmut Lederers Renommee als Fotograf rührt von

    seiner Zugehörigkeit zur Avantgarde der modernen

    Fotografie der Nachkriegszeit, die „von einer Suche

    nach Freiraum, nach persönlichen Bildern, nach einer

    überzeitlichen freien Gestaltung“ (Ute Eskildsen)

    geprägt war und die Fotografie als autonome Kunst

    gestärkt hat. Bei den im In- und Ausland erfolgreichen

    Ausstellungen „subjektive fotografie 1 – 3“ (1951,

    1954, 1958) war Lederer mit vielbeachteten Bildern

    vertreten. Als akademischer Bildhauer noch am Anfang

    seiner Karriere stehend, pflegte er sein zweites Talent

    ambitioniert bis zur Lebensmitte. Dabei löste er seine

    auf Reisen und vor Ort gefundenen Sujets, wie bei

    seinem zeichnerischen und plastischen Schaffen, zu-

    sehends von der naturgetreuen Wiedergabe. Ihn haben

    bevorzugt unkommentierte Bildreihen beschäftigt,

    was in sein Hauptwerk „Lichtnovellen“ (1969) – mit

    „Carnaval des Visages“, „Bilder einer Ausstellung:

    documenta III“ und „Zu Kafka“ – mündete.

    Anders als bei seinem mit „Formen, weiblich“ am

    stärksten verbundenen Bildhauer-Opus experimen-

    tierte Lederer danach nicht mehr mit der fotografischen

    Abstraktion, sondern konzentrierte sich wieder auf das

    reine Abbild. Doch auch so gelangen ihm eindringlich

    komponierte Bildserien in Schwarz, Weiß und Grau.

    Für das ihm zur (Wahl)Heimat gewordene Franken

    schuf er noch seine „Fränkischen Serien“: „Fachwerk.

    Tod in Franken“ (1972 – 81) zum schleichenden Ruin

  • 7

    zwar für die Kunst und mit ihr lebte, aber sämtliche

    Kunst, die ihn umgab, die eigene und die selber

    gesammelte, mit Bedacht der Patina der Zeit überließ,

    ohne sie vor dem Verfall zu bewahren? Weil es ihm

    nicht ums Überdauern ästhetischer Objekte/Wirkung

    ging, schon gar nicht, wenn er selber einmal nicht mehr

    (da) sein sollte?

    Gertraud Lehmann

    Schnaittach, Dezember 1977, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.168)

    Links: Helmut Lederer bei der Vernissage seiner Ausstellung „Graue Gärten – Jüdische Friedhöfe in Franken“ im Markgrafentheater Erlangen, 9.3.1978. Foto: Rudi Stümpel

    des alten Dorfbildes, „Kirschgärten“ (1975) über

    die Naturpracht der Kirschblüte und „Graue Gärten“

    (1974 – 1981) zu seiner Begegnung mit den Ruhe-

    stätten von einst hier beheimateten Juden.

    War die eigene Atmosphäre der „Guten Orte“, ihre

    Abgeschiedenheit, ihre anscheinende Vernachlässi-

    gung, ihre Archaik, ihr memento mori, ihr Ewigkeits-

    hauch, Helmut Lederer auch deshalb so nah, weil er

    Photographien von Helmut Lederer

  • 8

    Hagenbach, Januar 1978, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.165)

  • 9

    Baiersdorf, Dezember 1977, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.172)

  • 10

    Ermreuth, Februar 1974, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.170)

  • 11

    Georgensgmünd, Januar 1978, 40,2 x 50,6 cm (Fotomuseum München, Inv. Nr. 2003/143.167)

  • 12

    Der heute in Wendelstein ansässige Fotograf und Autor

    Lothar Mayer wurde 1950 in Wüstensachsen/Rhön

    geboren. Nach seinem Studium der Elektrotechnik

    machte er sich selbständig und ist heute geschäftsfüh-

    render Gesellschafter der Firma A. Eberle in Nürnberg.

    Seit mehr als 35 Jahren gehört die Fotografie zu seinen

    Leidenschaften.

    Wie kam er nun dazu, Judenfriedhöfe zu fotografieren?

    1984 veröffentlichte er ein Buch über Tagfalter. Im

    Rahmen dieses Projektes befasste er sich auch mit

    dem Schmetterling als Symbol. Er besuchte daraufhin

    zahlreiche jüdische Friedhöfe und war verzaubert von

    deren Stimmung. Dann begann er sich genauer mit der

    Thematik auseinanderzusetzen. In der Literatur fand er

    Karten, die den Weg zu jüdischen Friedhöfen beschrei-

    ben, weil sie häufig sehr schwer aufzufinden sind.

    Dabei stellte er fest, dass viele der Karten veraltet

    waren, woraufhin er begann, selbst welche zu erstellen

    und diese mit Fotos zu versehen. Das war der Beginn

    seines Fotoprojektes „Jüdische Friedhöfe“, mit dem er

    sich insgesamt fast 20 Jahre lang befasste und dazu

    auch zwei fundierte Bildbände publizierte.

    Beide Bücher zeigen alle jüdischen Friedhöfe Frankens

    in alphabetischer Reihenfolge. Jeden davon hat Lothar

    Mayer oft besucht, um dessen Stim mung im Wechsel

    der Tages- und Jahreszeiten einzu fangen. Ergänzt mit

    historischen Fakten, bilden seine Veröffentlichungen

    informative, umfangreiche Überblickswerke der

    mittlerweile fast vergesse nen religiösen und kulturellen

    Denkmäler der jüdischen Bestattungskultur in Franken.

    In der Ausstellung „Gute Orte“ zeigt das Kunstmuseum

    Erlangen fünf eindrucksvolle Panorama-Farbfotos und

    18 Abzüge im Format 35 x 35 cm. Lothar Mayers Foto -

    grafien öffnen dem Betrachter die Tür zu den meist

    verschlossenen und schwer zu erreichenden jüdischen

    Friedhöfen in Franken. Neben der Atmosphäre des Ortes

    vermitteln die Bilder oftmals auch den Eindruck großer

    Abgeschiedenheit und Einsamkeit – ein beklemmendes

    Gefühl auf der einen, und eine friedliche Stimmung auf

    der anderen Seite.

    Die Fotos zeigen außerdem, wie unterschiedlich die

    „Guten Orte“ in ihrer Erscheinung sein können.

    Gewöhnlicherweise sind jüdische Gräber schmucklos

    und schlicht. Bis Ende des 19. Jh. findet man haupt-

    sächlich Stecksteine mit hebräischen Schriftzeichen,

    während später vermehrt Grabsteine auftreten, die

    mit symbolischen Darstellungen eher dem christlichem

    Brauch entsprechen. Teilweise stehen die Grabsteine

    bereits seit 500 Jahren, dennoch scheinen sie ständig

    in Bewegung zu sein: Unter ihrem Gewicht sind sie im

    Laufe der Zeit bis zu vier Fünfteln in die Erde gesunken.

    Mit seinen Fotos erinnert Lothar Mayer an die Shoah und

    bekämpft die sogenannte „Schlußstrich-Mentalität“.

    Die Mehrheit der Deutschen möchte nicht an die Ver-

    brechen der Nazizeit erinnert werden. Der Fotograf will

    Anstöße zur Auseinandersetzung mit der Geschichte

    geben und die geistige Distanz zwischen uns und dem

    Judentum verringern. Seine Fotografien sollen uns zu

    einer eingehenden persönlichen Beschäftigung mit

    der jüdischen Vergangenheit Frankens und somit auch

    unserer gemeinsamen Vergangenheit anregen.

    Magdalena Meinhardt

  • 13

    Fotografien von Lothar Mayer

    Schopfloch, 7.4.2011

  • 14

    Reistenhausen, 3.11.2009

  • 15

    Kleinsteinach, 21.12.2009

  • 16

    Bechhofen, 31.10.2010

  • 17

  • 18

    Helmut Jahn gehörte der allerersten Generation nach

    der großen Kluft an, mit welcher der Zweite Weltkrieg

    die „Szene“ in Vorher und Nachher (unter)schied.

    1946 geboren, war er Teil einer (verlorenen) Generation

    von Künstlern, die sich noch nicht dem Markt andienten,

    nicht wollten und nicht konnten.

    Er kam aus München, hatte dort an der Kunstakademie

    studiert (wie ich) und zog nach Nürnberg, zu Arbeit

    (als Kunsterzieher) und Liebe, dann, Ende der 90er

    Jahre, nach Fürth. Er beteiligte sich an Ausstellungen

    hierzulande, wurde auch 1989 mit einem Stipendium

    vom Kunsthaus Nürnberg nach Prag geschickt, zeigte

    Arbeiten in Krakau und anderswo. Trotz dieser – be-

    scheidenen – Erfolge galt er als absoluter Einzelgänger.

    Seine Person mit all ihren Äußerungen und Gewohn-

    heiten bildete die Hauptbarriere zwischen seinem Werk

    und dem Kunstbetrieb. Allerdings blieb gerade dadurch

    seine künstlerische Substanz vollständig erhalten. Und

    sie verdient es – tragisch für seine Person – wenigstens

    posthum beachtet zu werden!

    Kein Zufall, dass Helmut Jahn, selbst nicht Jude, sich

    dem Thema „Jüdische Friedhöfe“ und „Judentum“

    verschrieb, sich mit der Seite der (gesellschaftlich)

    Ausgeschlossenen identifizierte, seine „Herkunfts-

    kultur“ ablehnte um dieser „Nicht-Dazugehörigen“

    willen, deren Ausschluss aus der Bevölkerung er

    seiner Elterngeneration zum Vorwurf machte.

    Also: Ein Judenfriedhof als „mitwissendes“, zudecken-

    des Gebiet des Gewesenen, eine Gegend, die stumm

    erlebte, was Menschen mit Menschen machten. Als

    Rand- und Schattenplätze, nicht ausgesucht, sondern

    zugewiesen, immer von der Macht der Mehrheit. So

    sah Helmut Jahn diese Grabstätten, die er systematisch

    im westlichen Franken aufsuchte, mit wissenschaft-

    licher Literatur versehen, fotografierte, je nach Gegend

    ordnete, dabei die Lage und Tageszeiten beobachtend.

    Mit seinem alten VW-Bus fuhr er, meist allein, nach

    Trautskirchen, wo er in den 80er Jahren ein Atelier im

    Schloss hatte. Aus dieser Zeit stammt eine kleine

    Auswahl von ca. 40 Temperabildern und Zeichnungen

    jüdischer Friedhöfe in seinem Nachlass.

    Vom Denken her war Helmut Jahn eher ein „Neo-

    Dadaist“, der aber expressiv und formbezogen malte.

    Er hat allen das Leben schwergemacht, sich selber

    aber am meisten. Er ist im Juli 2011 in Fürth gestorben.

    Annette Blocher

  • 19

    Helmut Jahn: Tempera/Graphit-Arbeiten auf Papier

    o. T., 1987 dat. & sign., 102 x 120 cm

  • 20

    o. T., undat., 99 x 118,5 cm

  • 21

    o. T., 1987 dat. & sign., 100 x 118 cm

  • 22

    o. T., 1986 dat. & sign., 100 x 118 cm

  • 23

    o. T., undat., 100 x 107 cm

  • 24

    Robert Reiter, 1932 in Preßburg geboren, war 18 Jahre

    lang am Coburger Gymnasium Alexandrinum und 18

    Jahre am Coburger Gymnasium Ernestinum als Kunst-

    erzieher bis 1995 tätig. Er war auch Initiator des

    Geräte museums des Coburger Landes in der Alten

    Schäferei Ahorn (1970 – 1990).

    Den Extrakt seiner vielen kulturhistorischen Reisen,

    z.B. nach Umbrien und Andalusien, hat er für die

    Menschen vor Ort in vielen Ausstellungen gezeigt,

    ebenso im Coburger Land, dessen Landschafts- und

    Ortsformen er in ihrem Wandel aufmerksam registriert

    und in seiner Malerei und Grafik gestaltet hat. Ins-

    besondere die Kaltnadelradierungen mit Monotypie

    sowie die Gemälde auf Sackleinwand sind zum Marken-

    zeichen von Robert Reiter geworden. Werke von ihm

    sind in zahlreichen öffentlichen Sammlungen vertreten.

    Die in unserer Ausstellung gezeigten Arbeiten sind nur

    ein kleiner Ausschnitt aus Reiters reichem, kulturge-

    schichtlich fundiertem Œuvre.

    Was nun die Affinität des Künstlers zu heimischen

    Judenfriedhöfen betrifft, so darf ich aus dem von mir

    mit ihm zusammen konzipierten Katalog „et in kargadia

    ego“ seiner Ausstellung im Coburger Kunstverein

    (19.1. bis 24.2.2013) zitieren: „Nicht das Grelle, Bunte,

    Idyllische erregt Reiters Aufmerksamkeit, sondern das

    Karge, Staubige, Verblassende, Verschwindende. […]

    Nicht das Augenfällige, „Schöne“, Anmutige ist es,

    was ihn anzieht, sondern das durch kulturhistorisches

    Wissen und detaillierte Beobachtung vermittelte

    Schauen auf die Elementarität, die Tiefengründe

    menschlichen Arbeitens und Seins im Raum. Hier

    mögen seine Bilder von fränkischen Judenfriedhöfen

    ein probates Beispiel sein. Dem religiösen Geist des

    „Guten Ortes“ (so eine Bezeichnung der Juden für

    ihre Gottesäcker) erweist er ebenso seine aufgeklärte

    Referenz wie dem atmosphärischen „sentiment“ der

    Grabsteine und der kulturhistorischen Perspektive, zu

    der leider bis in unsere Tage auch der Antisemitismus

    seinen fatalen Geschmack beisteuert. Das Licht der

    geglaubten Auferstehung beim Erscheinen des Messias

    leuchtet aus ihnen – und zugleich die Trauer über die

    Vergänglichkeit allen menschlichen Tuns & Bewahren-

    wollens.“

    Jürgen Sandweg

    Foto: Dr. Joachim Rückert, Bad Staffelstein

  • 25

    Robert Reiter: Radierungen mit Monotypie und Gemälde

    Laudenbach, 2007, Acryl/Lw. 60 x 50 cm

  • 26

    Laudenbach, 20.3.2007, 40,5 x 29 cm

  • 27

    Laudenbach, 20.3.2007, 40,5 x 29 cm

  • 28

    Kleinbardorf, 2007, Acryl/Lw. 55 x 115,5 cm

  • 29

  • 30

    Gemalte und fotografierte „Judenfriedhöfe“ besitzen

    einen ästhetischen Reiz, der für Nicht-Juden die Erinne-

    rung an die Einzelschicksale der unter den Steinen

    Ruhenden überlagern kann. Wenn Künstler den Blick

    über weite Stelen-Felder schweifen lassen und ihr Blick

    gerade auf hebräische Inschriften älterer Grabsteine

    fällt, werden sich viele Menschen nur mit einer anony-

    men Masse gestorbener Menschen konfrontiert sehen.

    Damit die Erinnerung „Gesichter“ bekommt, habe ich

    hier so einen „Guten Ort“ für einige bekannte und

    vergessene jüdische Mitbürger in Franken zusammen-

    gestellt. Es handelt sich um eine subjektive Auswahl

    von Persönlichkeiten, die vom Mittelalter bis ins 20. Jh.

    in der Region zumindest zeitweilig lebten und wirkten.

    Das Gros der armen Leute und der wenig gebildeten

    Menschen bleibt leider außen vor. Wenigstens lässt

    sich anhand der Gewürdigten erkennen, zu welchen

    Leistungen sie unter anderen Umständen fähig ge-

    wesen wären. Probleme mit einer latent oder massiv

    antisemitisch eingestellten Umgebung bekamen alle

    zu spüren – jüdische Frauen hatten es freilich noch

    schwerer, sich gegen eine männlich dominierte Umwelt

    durchzusetzen.

    Immerhin schaffte es Emmy Noether (1882 Erlangen –

    1935 Bryn Mawr), sich mit grundlegenden Beiträgen

    zur abstrakten Algebra und theoretischen Physik einen

    Namen zu machen. Weniger Innovationen schaffend

    als vermittelnd, gab es jüdische Mediziner in Franken:

    Adalbert Friedrich Marcus (1753 Arolsen – 1816 Bam-

    berg) wirkte als Arzt in Bamberg. Er kümmerte sich um

    mittellose Patienten, die Verbesserung des Kranken-

    hauses und die Einrichtung einer Kreisirrenanstalt.

    Sein Grab unterhalb der von ihm sanierten Bamberger

    Altenburg zerstörten die Nationalsozialisten – wie

    auch das erste Standbild eines Juden in Bayern. Dieses

    verdiente sich ein anderer Arzt, der im Todesjahr von

    Dr. Marcus geboren wurde: Jakob Herz (1816 Bayreuth

    – 1871 Erlangen). Auch sein Denkmal wurde 1933

    zerstört. „Ersatz“ schuf das schlechte Gewissen der

    Öffentlichkeit nach 1945 an beiden Orten.

    Der Rabbiner-Sohn und Jurist Franz Ludwig von Horn-

    thal (1760 Hamburg – 1833 Bamberg) wurde Bürger-

    meister von Bamberg und Mitglied der Abgeordneten-

    kammer des Bayerischen Landtags. Voraussetzung war

    allerdings der Übertritt zum Katholizismus gewesen.

    Sein Nachnamen setzt sich aus den Namen seiner

    prominenten Taufpaten zusammen: dem Domkapitular

    J. K. J. Horneck von Weinheim und dem gerade erst zum

    Bischof gewählten Franz Ludwig von Erthal. Mit seinen

    politischen Schriften machte Hornthal sich unbeliebt

    und wurde 1831 aus dem Landtag ausgeschlossen. Auf

    dem Gaibacher Verfassungsfest hielt er ein Jahr später

    jedoch eine vielbeachtete Rede.

    Zu den „assimilierten“ Juden kann man wohl auch Dr. jur.

    David Morgenstern (1814 Büchenbach bei Erlangen –

    1882 Fürth) zählen, der sich als aktiver Politiker – Mit-

    glied des Bayerischen Landtags (1848 – 1855) – sehr

    für die Gleichberechtigung der Juden eingesetzt hat.

    Später war er Zinnfolienfabrikat in Forchheim.

    Sein Enkel Karl Süssheim (1878 Nürnberg – 1947 Istan -

    bul) besann sich auf die kulturellen Wurzeln seiner

    Familie. Er wurde Orientalist und Historiker und lehrte

    als Professor die Geschichte der islamischen Völker

    sowie das Türkische, Arabische und das persische

    Farsi. Die Auseinandersetzung mit Sprachen war und

    ist für Juden in der Diaspora nichts Ungewöhnliches,

    da über sie die lebenswichtige Kommunikation in der

    Fremde funktionieren musste/muss.

    Süßkind von Trimberg betätigte sich Ende des 13. Jh. als

    Spruchdichter. Eine Buchmalerei in der Manessi schen

    Liederhandschrift zeigt ihn in der damaligen „Tracht“

    für Juden. Da es keine biographischen Zeugnisse als

    die Verse fiktiven Inhalts gibt, können Aufenthalte am

    Hof des Würzburger Bischofs nur vermutet werden.

    Fragmentarische Erinnerungen an jüdisches Leben in Franken

  • 31

    Ein angehender Maler, Richard Lindner (1901 Hamburg

    – 1978 New York), verließ Deutschland rechtzeitig. Er

    lebte in den 1920er Jahren in Nürnberg und wurde von

    der Kultur der Weimarer Republik geprägt. In den USA

    gelang ihm der Durchbruch mit seiner Kunst, die schrille

    Farbigkeit amerikanischer Werbekunst mit Karikatur

    und grotesken Elementen der Neuen Sachlichkeit

    kombinierte. Mit überzeichneten Mensch-Maschinen-

    Wesen reflektiert er die Entfremdung des Individuums

    in seiner großstädtischen Umwelt vor dem Hintergrund

    des rasanten technischen Fortschritts.

    Es ist Zeit innezuhalten und den „Erinnerungen“ an

    Menschen und ihren zuweilen widrigen Lebensum-

    ständen positive Perspektiven abzugewinnen.

    Der seit 1964 in Erlangen mit seiner Lebensgefährtin

    Frida Poeschke lebende Verleger und Rabbiner Shlomo

    Lewin (*1911 Jerusalem) hat als geschäftsführender

    Vorsitzender der 1950 gegründeten „Gesellschaft für

    christlich-jüdische Zusammenarbeit in Nürnberg-

    Fürth“ (1976 um „Erlangen-Bamberg“ erweitert, heute

    kurz „ … in Franken“) den christlich-jüdischen Dialog in

    der Region forciert. Dank ihm und Ilse Sponsel, seiner

    Nachfolgerin, ist die alljährliche „Woche der Brüderlich-

    keit“ seit 1978 auch in Erlangen gute Tra di tion. Lewin

    und Poeschke aber fielen 1980 einem brutalen Mord

    zum Opfer. Hinter ihm vermutete man die seit Anfang

    des Jahres verbotene rechtsextreme „Wehr sportgruppe

    Hoffmann“ aus Ermreuth – ebenso wie hinter dem drei

    Monate zuvor verübten Attentat auf das Münchner

    Oktoberfest. Letztlich konnte man beide Mordanschläge

    nur angeblichen „Einzeltätern“ aus dieser militanten

    Neonazi-Gruppierung anlasten, nicht aber deren Kopf

    und Drahtzieher Karl-Heinz Hoffmann.

    Die Neugründung einer „Israelitischen Kultusgemeinde

    Erlangen“, damals schon Lewins Ziel, gelang im April

    2000 dann durch den Zuzug der sog. jüdischen Kontin-

    gent-Flüchtlinge aus den GUS-Staaten.

    Volkmar Rummel

    700 Jahre später liegen klare Verhältnisse vor. Der

    populäre Dichter Jakob Wassermann (1873 Fürth – 1934

    Altaussee) reflektierte in Essays und Autobiographien

    auch die Problematik des deutschen Judentums, z.B.

    in seinen Werken „Mein Weg als Deutscher und Jude“

    (1921) und „Selbstbetrachtungen“ (1931). Seine vom

    Humanitäts- und Gerechtigkeitsdenken beseelte

    Literatur wurde 1933 verbrannt und verboten. Er starb,

    60-jährig, verarmt und verbittert.

    Ein anderer Fürther hatte das Glück, noch rechtzeitig zu

    entkommen. Jakob Schönberg (1900 Fürth – 1956 New

    York), ein entfernter Verwandter von Arnold Schönberg,

    war ebenfalls ein Komponist und Musikwissenschaftler.

    1925 schloss er an der Universität Erlangen seine Pro-

    motion über den traditionellen Synagogengesang in

    Deutschland ab. Seinen Lebensunterhalt bestritt er

    dann u.a. als Musikkritiker, Pianist, Dirigent, Konzert-

    und Filmkomponist. Nach der „Machtergreifung“ verlor

    Jakob Schönberg seine Stellungen und setzte sich fortan

    mit der jüdischen Folklore in Palästina auseinander, was

    in Publikationen und Kompositionen seinen Niederschlag

    fand. Er emigrierte über England in die USA, wo er nur

    noch als Musikdozent lehrte.

    Erwin Schulhoff (1894 Prag – 1942 bei Weißenburg)

    war ein deutsch-böhmischer Pianist und Komponist,

    der sich für die Integration der Jazz-Musik stark-

    machte. 1932 vertonte er als Kantate das Manifest der

    Kommunistischen Partei, schrieb Kampflieder für die

    Linken und wandte sich dem „Sozialistischen Realis-

    mus“ in seiner Musik zu. Nach der „Machtergreifung“

    der Nationalsozialisten wurde seine als „entartet“

    geltende Musik im „Dritten Reich“ verboten. 1941

    wurde er sowjetischer Staatsbürger, fiel aber noch vor

    seiner Einreise in die UdSSR der Wehrmacht in die

    Hände. Man verschleppte ihn nach Prag und internierte

    ihn im Lager für Bürger anderer Staaten auf der Wülz-

    burg bei Weißenburg. Dort starb er an den gesundheit-

    lichen Folgen der Strapazen und Mangelernährung.

  • Das Kunstmuseum Erlangen wird dankenswerterweise unterstützt von

    Adler-Apotheke

    Helmut Lederer, Hagenbach, Januar 1978, 39 x 49 cm (Kunstmuseum Erlangen)

    Abbildung auf der Titelseite: Helmut Jahn, Nocturne, 1987, Tempera/Graphit, 101 x 120 cm (Ausschnitt)