82
Hugin Freiherr von Greim Der Germanische Jahreslauf Institut für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung

H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Die germanischen Feste im Jahreslauf mit Erläuterungen über Bräuche....

Citation preview

Page 1: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Hugin Freiherr von Greim

Der Germanische Jahreslauf

Institut für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung

Page 2: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Hugin Freiherr von Greim

Der GermanischeJahreslauf

(c)Institut für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung 1.Auflage (03/2010)

Page 3: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Inhalt:· 1. Der Jahreskreis · 1.1. Entstehung und Hintergrund · 1.2. Sonnen- und Mondfeste · 1.3. Die heutige Bedeutung heidnischer Feste · 1.4. Was Jahresfeste mit Magie zu tun haben

· 1.5. Die acht Jahresfeste · 1.5.1. Samhain (Totenfest) · 1.5.2. Jul (Mittwinter) · 1.5.3. Imbolc (Lichterfest) · 1.5.4. Ostara (Frühlingsfest) · 1.5.5. Beltane (Feuerfest) · 1.5.6. Litha (Mittsommer) · 1.5.7. Lughnasad (Schnitterfest) · 1.5.8. Mabonad (Herbstfest)

· 1.6. Die Berechnung der Mondfeste · 1.7. Die Zeitpunkte der Sonnenfeste · 1.8. Astronomische Grundlagen

· 2. Heidnische Ursprünge anderer Festbräuche · 2.1. Die Adventszeit · 2.2. Der Nikolaus · 2.3. Die Rauhnächte · 2.4. Silvester · 2.5. Das Perchtenfest

· 3. Sabbat und Esbat

Page 4: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1. Der Jahreskreis 1.1. Entstehung und Hintergrund

Dem Jahreszeitenzyklus war jede Tätigkeit auf dem Bauernhof (bishin zum Geschichtenerzählen) untergeordnet. Daraus resultierte die Beschaffung von Nahrung, Wärme, Kleidung, Vorräten und allem, was man zum Überleben brauchte. Das Zusammentreffen der jungen Leute, Werbung, Hochzeit und Familiengründung war ebenfalls saisonbedingt. Die glanzvollen Versammlungen zu den Jahreszeitenfesten mit ihren religiösen, politischen, sportlichen und künstlerischen Veranstaltungen und den Gelegenheiten zu Handel und Vergnügen belebten das Zugehörigkeitsgefühl und erneuerten periodisch den Zusammenhalt eines ganzen Volkes.

Diese Feste, welche den Wechsel und den Höhepunkt der Jahreszeiten feierten, waren so tief im Glauben der Heiden verwurzelt, daß sogar die christliche Kirche nicht anders konnte, als sie sich zu eigen zu machen, obwohl das ursprüngliche Christentum überhaupt keine Feiertage hatte und diese auch nicht wollte. Aber die christianisierten Menschen wollten an ihren heidnischen Bräuchen und Festen festhalten, die ihnen so viel Freude bereiteten.

Also blieb der Kirche nichts anderes übrig, als sich diese heidnischen Dinge zu eigen zu machen und mit einem christlichen Deckmantel zu verbrämen. Deshalb ähneln viele christliche Feiertage den heidnischen Jahresfesten in Zeitpunkt und Bräuchen sehr auffällig. Aber es ist im Grunde alles nur geklaut, um den "missionierten" Menschen, welche ihre geliebten Traditionen nicht aufgeben wollten, bei ihren Feiern einen christlichen Hintergrund aufzuzwingen.

Durch den Vorwurf der Teufelsanbetung versuchte man die Menschen vergeblich von den magischen Riten und traditionellen Bräuchen abzubringen, die aber in Wahrheit natürlich nichts mit dem Teufel zu tun hatten und nicht nur wesentlich älter als das Christentum waren, sondern selbstverständlich auch keinerlei Bezüge zu irgendwelchen von Christen erfundenen Kunstfiguren wie Gott oder Teufel hatten.

Es sind auch keine Parodien auf christliche Feste, denn sie sind viel älter, und man muß sich vor Augen halten, daß die Kirche von den Heiden abgeschaut hat und nicht umgekehrt. Außerdem würde ein solches Ansinnen einer "Schwarzen Messe" gleichkommen, und so etwas ist nicht Sinn der heidnischen Jahresfeste, die mit der naturfeindlichen Religion des Christentums nichts zu tun haben und auch nichts zu tun haben wollen.

Page 5: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.2. Sonnen- und Mondfeste Das sich ewige Jahresrad dreht sich mit dem Lauf der Sonne. Im Winter (der "Jahresnacht") wird sie nach heidnischem Glauben zur Sonnenwende neu geboren, wächst im Frühling (dem "Jahremorgen") heran, erreicht im Sommer (dem "Jahresmittag") mit der Sonnenwende ihren Höhepunkt, um im Herbst (dem "Jahresabend") langsam zu vergehen, am Herbstende zu sterben und im Winter wiedergeborgen zu werden, ein ewiger Kreislauf. Die Drehung des Jahresrades ist zeitlos und endet nie.

Die anderen vier Feiertage sind die Hauptfeste, und als Mondfeste, die immer zu einem bestimmten Voll- oder Neumond im Jahr begangen werden, sind sie entsprechend der jeweiligen Mondphasen bewegliche Feiertage, die jedes Jahr auf ein anderes Datum fallen, ähnlich wie heute Ostern. Die Mondfeste sind zwischen den Sonnenfesten angeordnet und wechseln sich mit diesen ab.

Sie kennzeichnen die Mitte, beziehungsweise den Höhepunkt einer Jahreszeit und haben landwirtschaftliche und mythologische Bedeutung, zum Beispiel die spirituelle Vorbereitung auf die nächste Jahreszeit. Die Mondfeste sind keltischen Ursprungs und wurden anfangs nur von den Kelten gefeiert. Wo sich keltische und germanische Kultur vermischten, wurden sie aber auch von den Germanen übernommen und gehören hier, auch wenn ihre geläufigen Namen aus Irland kommen, zur einheimischen heidnischen Tradition.

Ob und wann sich die germanische und die keltische Tradition durch Einwanderungen verband, ist nicht mehr feststellbar. Der Zyklus der acht Jahresfeste ist eigentlich ein relativ modernes Kunstprodukt aus den vier keltischen Mondfesten und den vier germanischen Sonnenfesten und wird erst seit ca. 150 Jahren von Okkultisten in dieser Kombination gefeiert. Aber er ist sehr kraftvoll. Die Gegenüberstellung des Mondes, der mit Attributen wie weiblich, Spiritualität, Emotion, Gefühl, Intuition und Passivität in Zusammenhang gebracht wird, mit der Sonne, die als männlich gilt, und der Materialität, Rationalität, Logik, Verstand und Aktivität zugeschrieben werden, stellt eine Polarität dar, im Jahresrad ein ewiger Wechsel und doch gleichzeitig eine untrennbare Einheit.

Die acht großen Jahresfeste sind im einzelnen:

Festname: Bedeutung: Datum:Samhain Totenfest, Neumondfest um den 31. Oktober Jul Mittwinter, Wintersonnenwendfest 21. Dezember Imbolc Lichterfest, Vollmondfest um den 1. Februar Ostara Frühlingsfest, Vogelfest, Frühlings-Äquinoktium (Sonnenfest) 21. März Beltane Feuerfest, Vollmondfest um den 30. April Litha Eichenfest, Mittsommer, Sommersonnenwendfest 21. Juni Lughnasad Kornfest, Schnitterfest, Erntefest, Vollmondfest um den 31. Juli

Mabonad Herbstfest, Weinfest, Erntefest, Herbst-Äquinoktium (Sonnenfest) 23. September

Diese Feste werden im weiteren Verlauf noch detailliert beschrieben.

Zwischen jedem der einzelnen Feste liegt ein variabler Abstand von ungefähr sechseinhalb Wochen. Allgemein halten sich viele Kulturen daran, daß die Feiertage bei Sonnenuntergang

Page 6: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

anfangen und erst mit dem nächsten Sonnenuntergang enden. Daher beginnt zum Beispiel Jul am Abend des 21. Dezembers und läuft durch den Tag des 22. Dezembers bis zum Sonnenuntergang.

Die Ursprünge dessen sind bei den Germanen zu finden, denn bei ihnen begann jeder Zyklus mit Dunkelheit, und deshalb begann auch jeder neue Tag mit Einbruch der Nacht, also bei Sonnenuntergang, des vorherigen Tages und endete am Abend. So ist auch im Frankenland mitunter noch heute der Begriff "vürnächt" für "vorgestern" bekannt.

Ebenso begann der Mondmonat mit dem dunklen Neumond. Auch das Jahr begann nach demselben Prinzip mit der dunklen Hälfte, dem Winter, denn man glaubte, daß das Dunkel das Licht in die Welt setzt, der Tag aus der Nacht entsteht und, analog dazu, das Leben aus dem Tod. In keltischer Zeitrechnung begann das Jahr zu Samhain (um den 31. Oktober), in germanischer Tradition nach den Rauhnächten (3. Januar).

1.3. Die heutige Bedeutung heidnischer Feste Ein Grundgedanke der heidnischen Jahresfeste ist der Einklang mit den Kreisläufen der Natur, deren wichtigster Zyklus der Kreis der Jahreszeiten ist. Spätestens seit der Zeit der Megalithenkultur, deren Bauten nach exakten astronomischen Berechnungen errichtet wurden (zum Beispiel Stonehenge), ist das heidnische Jahr ein Sonnenjahr, das durch die Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen gegliedert ist. Die Anfänge (Sonnenfeste) und Höhepunkte (Mondfeste) der vier Jahreszeiten gliedern das Jahr in acht Teile. Sie sind die "acht Speichen am Rad des Jahres".

Doch welche Bedeutung haben die alten Jahreszeitenfeste mit ihren Natur- und Fruchtbarkeitsriten heute für einen modernen Menschen in einer technisierten Welt? Viele Menschen feiern heutzutage doch ganz andere Feste, zum Beispiel Weihnachten und Ostern, genießen den l. Mai als zusätzlichen Feiertag, und manche begehen außerdem kirchliche Feste wie Allerheiligen, Lichtmeß, Johannisnacht oder Erntedankfest. Was also hat man noch mit Sonnen- und Mondfesten zu tun, welche die Vegetationszyklen feiern?

All die eben aufgeführten Beispiele von Feiertagen sind in Wahrheit alte Jahreszeitenfeste germanischen und keltischen Ursprungs. Es waren tatsächlich heidnische Feiertage, welche von der Kirche zuerst bekämpft und verteufelt und dann, weil im Volk nicht ausrottbar, von dieser übernommen und mit einem christlichen Hintergrund versehen wurden. Aber viele der alten Bräuche haben die Zeiten überdauert.

Also schön, wenn man diese Feste ohnehin feiert, wenn vielleicht auch in anderer Form, dann ist ja alles in Ordnung - sollte man meinen. Außerdem erscheinen bäuerliche Fruchtbarkeitsriten als Relikte einer lang vergessenen Zeit und gehören nicht mehr in eine moderne Welt, in welcher alles jederzeit zur Verfügung steht, die Fruchtbarkeit der Erde durch Kunstdünger gelöst zu sein scheint und die Fruchtbarkeit des eigenen Körpers gar nicht immer erwünscht ist.

Es gibt aber Menschen, die sehen das ganz anders. Viele Anhänger des Heidentums, des Paganismus, des Asatru, des Wicca, des Hexentums und anderer heidnischen Strömungen betrachten die Jahresfeste als Ausdruck der Verbundenheit mit ihren Ahnen und deren keltisch-germanischer Tradition und mit der Natur und ihren Kräften und ihrem Kreislauf. Da sich nach dem magischen Grundsatz "wie oben, so unten" der Makrokosmos Natur im Mikrokosmos Mensch widerspiegelt, kann der bewußtere Umgang mit der Natur eben auch etwas im Menschen selbst bewegen und seine eigenen Kräfte mobilisieren. Die heidnischen Jahresfeste sind eine schöne Möglichkeit dazu.

Page 7: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Was das Ganze nun mit den von der Kirche so verteufelten Fruchtbarkeitsriten zu tun hat, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, was diese Riten den Menschen von damals oder den heute noch naturverbundenen Menschen bedeutet haben mögen. Die Theorie, daß die Riten und die Magie in einer Zeit oder Kulturstufe, in der die Menschen die wissenschaftlichen Zusammenhänge der Welt noch nicht durchschauen konnten, eine Form der vorwissenschaftlichen Weltbewältigung waren, kann man als längst überholt betrachten, auch wenn sie im 20. Jahrhundert in der populärwissenschaftlichen Literatur noch weit verbreitet war.

Einer wesentlich plausibleren, aber nicht endgültig zufriedenstellenden Theorie zufolge, versuchten die Menschen durch Sympathiemagie, die Fruchtbarkeit der Erde anzuregen und den Lauf der Gestirne in der Regel zu halten. Sympathiemagie findet dort statt, wo der Vollzug einer Handlung (Ritual) geschieht, um einen anderen ähnlich strukturierten Vorgang zu erzeugen oder zu verstärken, ohne kausal mit ihm verbunden zu sein. Ein Beispiel wäre, wenn Hexen auf Stecken oder Besen um ein Feld "reiten" und dabei versuchen, möglichst hoch zu springen, damit das Korn ebenso hoch wachsen soll.

Der bisher wohl tiefgehendste Erklärungsversuch ist von neueren Ethnologen (Völkerkundlern) gemacht worden und geht davon aus, daß im Fest, im Kult, im Ritual für die Vollziehenden die gängige Realitätsauffassung und -erklärung außer Kraft gesetzt wird, daß der Mensch darin (und nicht nur darin) seine andere, seine unzivilisierte, unkonditionierte Seite erfahren kann und nur aus dieser Erfahrung heraus sich wirklich als "zivilisiert", als ein in die Stammkultur integriertes Wesen erfahren kann.

Damit eng zusammen hängt auch die in Festen häufig auftretende Aufhebung aller oder doch vieler Tabus, wovon ein kümmerliches Relikt noch im heutigen Karneval zu finden ist. Das Tabu wird aber nicht zur persönlichen, ungehemmten Vergnügung der Einzelnen aufgehoben, wie oft unterstellt wird. Richtig zelebriert besteht der Einzelne nicht mehr im Zustand eines abgesondertes Bewußtsein, das sich "vergnügen" könnte, sondern ist aufgelöst in den mythischen Zustand des Außer-der-Zeit-Seins, integriert in ein Gruppenbewußtsein.

So wertvoll dieser Versuch des Verstehens auch sein mag, so würde sich ein Mensch der damaligen Zeit in diesen Theorien wohl kaum selbst wiedererkennen. Das soll nicht bedeuten, daß die Theorien falsch seien, doch der in den Riten lebende Mensch hat eine mythische Denk-, Fühl-, und Erfahrungsweise, die durch theoretische Hilfskonstruktionen eben nur teilweise nachvollziehbar ist.

Doch können diese Theorien zumindest zeigen, daß der moderne Mensch, wie überlegen er sich auch fühlen mag, auf diesem Gebiet der Erfahrung seiner eigenen Ganzheit noch ein Neuling ist. Er hat sehr lange Reifeprozesse nachzuholen, denn seine magische Persönlichkeit, das Unbewußte, muß den weit davongelaufenen, vereinsamten Intellekt wieder einholen, sich mit ihm wieder zur voll integrierten Person vereinigen.

Damit soll natürlich die Wichtigkeit und Großartigkeit der intellektuellen Entwicklung nicht in Frage gestellt, sondern lediglich auf ihre Einseitigkeit hingewiesen werden. Die Frage ist nur, wie eine solche Ganzheit zu bewerkstelligen ist. Man kann ja nicht einfach beschließen, ab sofort wieder mythisch zu denken, und die Menschheit kann und sollte auch nicht wieder dahin zurück, wo sie (möglicherweise) vor über tausend Jahren war.

Den neuen Mythos wird den Menschen niemand schenken, und man kann ihn auch nicht einfach nachlesen. Man muß ihn sich selbst erarbeiten, ihn erfahren und erleben. Diese Arbeit kann einem niemand abnehmen, und man wird sie sich schon selbst machen müssen - wenn man es will.

Page 8: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.4. Was Jahresfeste mit Magie zu tun haben Hinsichtlich Jahresfesten und damit verbundenen magischen Ritualen kommen sehr häufig zwei Irrtümer vor. Der erste ist die Behauptung, daß der moderne Mensch den Jahreskreis und das Erntejahr eigentlich gar nicht richtig nachvollziehen könne, schließlich arbeitet er ja nicht mehr unbedingt auf dem Feld und bezieht statt dessen seine Lebensmittel aus dem Supermarkt.

Sicherlich vergißt man dadurch häufig, wo das Essen wirklich herstammt, aber auch in früheren Zeiten gab es schon genügend Menschen, die keine Felder mehr bestellten, weil sie Handwerker, Soldaten, Priester oder an Adelshöfen tätig waren und somit ihre Nahrung nicht direkt durch ihre Arbeit erlangten. Diese haben die Feste jedoch auch schon mitgefeiert - allerdings muß man zugestehen, daß oftmals der Grund dafür der war, daß man außer Arbeit so gut wie keine Freizeit hatte, und man wenigstens zu den Festen andere Menschen treffen konnte, um Erfahrungen und Neuigkeiten auszutauschen oder jemanden kennenzulernen.

Der zweite Irrtum besteht in der Annahme, alle Menschen, die Jahresfeste feierten, hätten auch Rituale durchgeführt. Dies war aber - damals wie heute - eher den spirituell lebenden Menschen vorbehalten, nicht der breiten Masse. Schon immer übernahmen dies die Priester stellvertretend für die Allgemeinheit, oder die Magier verfolgten damit ihre eigenen Ziele. Auch diese Personen hatten meist mit dem eigentlichem Jahreslauf der bäuerlichen Ernte nur wenig zu tun.

Festrituale sind durchaus magische Rituale, aber sie unterscheiden sich von gewöhnlichen magischen Ritualen dadurch, daß sie nicht an einen übergeordnete Zweck gebunden sind. Ein magisches Ritual, bei dem ein Zauber gewirkt werden soll, dient immer dem Zweck der magischen Operation und ist daher auf diesen ausgerichtet. Bei einem Festritual ist dagegen das Ritual selbst der Zweck, und es werden auch magische Kräfte angerufen, aber es wird in der Regel kein konkreter Zauber im eigentlichen Sinne gewirkt.

Natürlich gibt es auch Ausnahmen, und man kann beides miteinander verbinden, aber normalerweise ist der Sinn eines Festes eben der, es zu feiern und der Zweck des Festrituals die Verbundenheit. Daher eignen sich Festrituale natürlich auch zum "Üben" von Ritualen für den Anfänger, der sich vielleicht nicht gleich an "richtige" magische Operationen heranwagen mag.

Das weitgehende Fehlen der Zweckgebundenheit an irgendwelche dahinter- oder darüberstehenden Ziele erschwert natürlich auch die Deutungsversuche überlieferter Traditionen, denn deuten kann man eben dann am besten, wenn irgendwelche über das Konkrete hinausgehende Zwecke unterstellt werden.

Wenn man die damaligen Menschen nach dem Grund ihrer Riten gefragt hätte, dann wären sicherlich manche Antworten gewesen, daß die Götter es so wollten oder daß auch die Vorväter jener Menschen das schon immer so gemacht haben etc. Dieser Haltung mag natürlich zum Teil auch mangelnde Reflexion zugrunde liegen, doch gibt sie ebenso wieder, daß solche Riten eben keinem Zweck mehr unterliegen, der über sie selbst hinausgeht.

Wie zum Beispiel ein Spiel keinen weiteren Zwecken unterworfen ist, so ist es auch das Festritual nicht. Und wer meint, ein Spiel wäre nur ein "Einüben der lebenswichtigen Verhaltensweisen der Erwachsenen", der hat eben noch nie richtig gespielt. Im Ritual kann man in den völligen Freiraum der Seele gelangen, sozusagen "zwischen die Welten", in einer eigentümlichen Wachheit eines veränderten Bewußtseins, welche die Magier als gnostische Trance bezeichnen.

Und in diesem Freiraum kann dann das Archetypische des Menschen erscheinen, kann eine tiefe innere Verbindung und Einbindung des Menschen in den universalen Rhythmus der Natur stattfinden, für manche auch zu den Göttern, die auch nur archetypische Charakterzüge des

Page 9: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Menschen selbst verkörpern.

Eben durch das Fehlen eines übergeordneten Zweckes befreit sich der Mensch von seinen persönlichen Ansprüchen und Zielen und macht sich offen und bereit für ein Mitschwingen im großen Reigen der Natur, in dem er einfach so sein darf, wie er wirklich ist. Und es ist großartig, dieses bewußte Erleben mit Gleichgesinnten teilen zu können und gemeinsam zu feiern und sich daran zu erfreuen.

In diesem Zustand, der von außen besehen ein anderer Zustand des Bewußtseins sein mag, von "innen" aber ein anderer Zustand der Welt ist, hat der Mensch die magische Einheit mit der Natur erreicht, und in dieser magischen Welt kann im gegenseitigen Mitschwingen auch der Natur ein anderer Impuls gegeben werden, so wie man eine riesige Glocke mit einem kleinen Stab zum Schwingen bringen kann, indem man sie im rechten Rhythmus immer wieder antippt. So ist das Eintauchen in den Rhythmus der Natur auch ein Eintauchen in den Rhythmus der eigenen Seele und umgekehrt. Und daher sind die Jahresfeste nur sinnvoll in ihrer Geschlossenheit zu feiern. Ob man das eine oder andere Fest mehr oder weniger betont, ob man einen Zyklus von 4, 6 oder 8 Festen hat, ist dafür irrelevant.

Wichtig ist, daß ein Zyklus besteht, in dem nach Möglichkeit auch durchgehende rituelle Motive in ihren jeweiligen Veränderungen erhalten bleiben. Ein buntes Potpourri aus verschiedenen Traditionen tut es da langfristig nicht, denn der Organismus, die Natur und die Seele sind Ganzheiten, aus denen man nicht einfach Teile fort- oder unberücksichtigt lassen kann.

Durch den Lauf der Jahre kann dann auch der zyklische Lauf allen Seins erfahren werden, wird das gegenseitige Sich-Bedingen von Tod und Leben deutlich. Wenn aus den scheinbar abgestorbenen, dürren Ästen im Frühling wieder das leuchtende, frische Leben sprießt und im Herbst in seiner voll erblühten Fülle wieder in den sterbenden Moder des Waldbodens zurücksinkt, so ist dies ein Gleichnis, das keiner weiteren Erläuterung bedarf. So erfüllt sich die menschliche Sehnsucht nach Ewigkeit nicht im Warten auf eine ferne, nicht endende Zeit, sondern im völligen Eintauchen in den mythischen, zeitlosen Augenblick.

Die meisten modernen Menschen sind allem Rituellen und Zeremoniellen weitgehend entfremdet (worden). Die Jahresfeste sind ihrer ursprünglichen Inhalte überwiegend entkleidet und nur in wenigen Gegenden noch wirklich intakt. Zur Neubelebung muß man zunächst einmal darauf achten, daß man nicht einfach irgendwelche (angeblich) alten Riten nachzuahmen versucht, nur weil sie so schön alt sind und - vielleicht - von Kelten oder Germanen stammen oder von noch älteren Kulturen. Außerdem ist auch viel Unsinn darüber im Umlauf.

Ein schlichtes, selbstgemachtes Ritual, das einen wirklich innerlich berührt, ist viel sinnvoller als ein großartiges Theater, für dessen Verständnis man erst jahrelang üben muß. Nicht, daß es nicht darauf ankäme, wie ein Ritual aufgebaut und durchgeführt wird, aber die eigene Ergriffenheit ist es, die einen über die inneren Grenzen hinausträgt, nicht die geheimnisvollen Worte anderer.

So sollen auch die hier angebotenen Informationen nur als Anregungen dienen, auf die jeder seine eigenen Festrituale aufbauen kann. Solche Riten stellen dann auch eine willkommene Gelegenheit dar, die eigene Kreativität wieder zu beleben, und es spricht auch nichts gegen ziemlich ungeplante Rituale, in denen man sich ganz auf die eigene Spontaneität und Eingebung verläßt, wenn man in solchen Handlungen schon etwas zu Hause ist. Es ist immer gut, mit Symbolen sparsam umzugehen, nichts zu überladen - was man nicht versteht, lenkt nur vom Wichtigen ab. Und wenn möglich, sollte man auch Symbole und Handlungen benutzen, mit denen man wirklich etwas verbindet.

Page 10: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5. Die acht Jahresfeste Die im Folgenden aufgeführten Deutungsversuche der acht Jahresfeste und ihrer Riten basieren auf Überlieferungen, historischen Quellen, Interpretation heutiger traditioneller Bräuche, deren Auslegung durch verschiedene heidnische Strömungen und meiner eigenen Einschätzung ihrer Plausibilität. Die Ausführungen erheben also keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder gar Wissenschaftlichkeit.

Es sei jedem selbst überlassen, eine völlig andere Auffassung von seinen eigenen Festen und Ritualen zu haben und zu behalten. Die hier angesprochenen Aspekte sind nur als Anregungen für Möglichkeiten der Interpretation und des Begehens dieser Feste gedacht. Fertige Zeremonien werden hier ebensowenig vorgegeben wie vorgekaute Rituale. Geliefert wird lediglich ein mögliches Gerüst, das es selbst mit Inhalten zu füllen gilt.

Nach heidnischem Glauben ist der Jahreskreis mit dem Sonnenlauf verbunden, wobei für manche Heiden die Sonne den gehörnten Gott (männlich) und die Erde durch die Göttin (weiblich) repräsentiert wird. Im Wicca heißen der Gott Cerunnos und die Göttin Cerydwen, bei den Germanen sind es Balder oder Odin und Frigg. Diese Götter sind für die meisten aber eben nur Symbole, und für die atheistischen Heiden eben einfach Sonne und Erde.

Im Symbolismus des Jahresrades wird die Sonne zu Jul (Wintersonnenwende am 21. Dezember) in der dunkelsten Nacht des Jahres wiedergeboren. Ihre Kraft ist gering, und der Sonnengott noch ein Baby, das langsam heranwächst und von der Erde (der Göttin) mit der in ihr verbliebenen Sonnenkraft es alten Jahres genährt wird. Die Erde befindet sich als Göttin noch symbolisch in der sogenannten schwarzen Phase, wo sie als alte Frau dargestellt wird, die noch um die verstorbene Sonne trauert.

Zu Imbolc (um den 1. Februar) ist die Sonne merklich größer geworden, der Gott zum Knaben herangewachsen. Die Erde tritt als Göttin symbolisch in die sogenannte weiße Phase ein, in der sie als junges Mädchen dargestellt wird.

Zu Ostara (Tagundnachtgleiche am 21. März) ist die Sonne schon genauso stark wie die Dunkelheit. Der Gott ist zum Krieger herangereift, bekommt seine Waffen, und sein Kampf gegen die Dunkelheit beginnt sich zu seinen Gunsten zu wenden, wie man am überall sprießenden Grün des beginnenden Frühlings sieht. Zum ersten Mal begegnen sich Gott und Göttin in einem harmlosen, scheuen Werben.

Zu Beltane (um den 30. April) ist die Sonne der Dunkelheit überlegen, und der Sonnengott zum Mann ausgewachsen. Auch die Erde tritt als Göttin symbolisch in die sogenannte rote Phase ein, in der sie in der Gestalt einer fruchtbaren Frau dargestellt wird. Beide heiraten zu Beltane, vereinigen sich und zeugen eine neue Sonne (der Sonnengott zeugt sich sozusagen selbst, beziehungsweise seine nächste Inkarnation), die im Leib der Erde heranwächst.

Zu Litha (Sommersonnenwende am 21. Juni) ist die Sonne auf dem Höhepunkt ihrer Kraft und der Gott ausgewachsen. An diesem längsten Tag des Jahres triumphiert der Sonnengott über die Dunkelheit, aber er weiß, daß seine Tage gezählt sind, und indem er der Erde sein Kraft für die Ernte und das Kind gibt, wird sein Leben fortan langsam schwinden.

Zu Lughnasad (um den 31. Juli) beginnt die Erntezeit, und die Sonne brennt in dieser heißesten Zeit des Jahres für eine gute Ernte auf das Land. Der Sonnengott opfert seine Kraft und sich selbst der Erde und der Ernte und damit für die Menschen, damit diese mit der Sonnenkraft in der Erde, die in die Ernte übergeht, die dunkle Zeit des Winters überstehen können. Aber auch das im Leib der Göttin heranwachsende Sonnenkind erhält diese Kraft.

Page 11: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Zu Mabonad (Tagundnachtgleiche am 23. September) beginnt die Kraft der Sonne nachzulassen, und ab jetzt zeichnet sich der Sieg der Dunkelheit ab, denn die Nächte werden wieder länger als die Tage. Der Sonnengott opfert seine letzten Kräfte und sich selbst der Erde und der Ernte und bereitet sich langsam bis zum Spätherbst auf das Sterben vor. Derweil reift in der Erde (im Leib der Göttin) seine nächste Inkarnation heran und nährt sich ebenfalls von der nachlassenden Sonnenkraft.

Zu Samhain (um den 31. Oktober) stirbt die Sonne (der Sonnengott), und die dunkle Jahreshälfte beginnt. Die Erde tritt als Göttin in die sogenannte schwarze Phase ein und wird als alte Frau dargestellt, die um ihren verlorenen Sohn trauert. Damit hat sich der Jahreskreis geschlossen, und der Zyklus beginnt von Neuem, während die Sonne auf ihre Wiedergeburt zu Jul wartet. Man kann sich darüber streiten, welches Fest das erste im Jahresrad sein soll. Allgemein geht die keltische Auffassung davon aus, daß zu Samhain das neue Jahr beginnt, daher ist es bei den Kelten auch das erste Fest. Bei den Germanen ist teilweise Jul der erste Festtag, da nun die Sonne wiedergeboren wird, teilweise aber auch erst Imbolc, da Jul noch zum alten Jahr gehört und das neue Jahr erst nach den Rauhnächten anfängt. Daß auf dieser Seite mit Samhain begonnen wird, ist nicht Ausdruck der Nähe zur keltischen Tradition, sondern liegt einfach daran, daß sich diese Zählweise einfach am häufigsten in Heidenkreisen wiederfindet. Das kann aber jeder so halten, wie er mag.

Page 12: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5.1. Samhain (Totenfest)

Namen: Samhain, Totenfest, Ahnenfest, Ahnen- und Asenblod, Mittherbst, Third Harvest Kategorie: Hauptfest, Mondfest zu Neumond, keltisch Datum: beweglicher Feiertag am 11. Jahresneumond (um den 31. Oktober) Astrologischer Zeitpunkt: Sonne ca. 15° (Mitte) im Skorpion Bedeutung im Jahresrad: Herbstmitte, Beginn der Jahresnacht, der dunklen Jahreshälfte Christliche Entsprechung: Allerheiligen, Allerseelen, Halloween Art des Feiertages: Totenfest, Fest der Toten, der Ahnen und der Anderswelt, 3. Erntefest Symbole: Kürbis, Rübe und Totenschädel

Bedeutung: Samhain ist ein Fest des Abschieds von der Sonne und ein Totenfest, bei dem der verstorbenen Freunde, Verwandten und Ahnen gedacht wird. Die Ahnen werden geehrt, denn sie waren die Vorbereiter des eigenen Lebens und sind der einzige Grund, warum man selbst auf der Welt ist. Gleichzeitig ist es das dritte und letzte Erntefest, welches den Vegetationszyklus des Jahres abschließt. Es ist ein ernsthaftes, nachdenkliches, düsteres und feierliches Opferfest, aber kein Fest der Trauer.

etymologisch: "Samhain" leitet sich vom keltischen beziehungsweise alt-irischen "sam-huin" her, von "sam" (Sommer) und "huin" (Ende), also "Sommers Ende". Dies weist darauf hin, daß mit diesem Feiertag die dunkle Jahreshälfte beginnt. Samhain wird in Irland "Sow-in", in Wales "Sow-een", in Schottland "Sav-en" und in den USA "Sam-hane" ausgesprochen.

Der Begriff "Blod" beziehungsweise "Blót" ist altnordisch und bedeutet Opfer. Ahnenblod (Ahnen-Opfer) oder Asenblod (Asen-Opfer) sind später entstandene Kunstworte, die im germanischen Glauben ausdrücken, daß mit diesem Fest den Ahnen oder auch Asen (Göttern) ein Opfer dargebracht wird. Der englische Begriff "Third Harvest" (dritte Ernte) weist darauf hin, daß Samhain das dritte, letzte und abschließende Erntefest (neben Lughnasad und Mabonad) im Jahreskreis ist. Es ist die "Fleischernte", denn zu diesem Zeitpunkt wurden alle Nutztiere geschlachtet, die man nicht über den Winter bringen wollte oder konnte. Als Fest am Ende der Ernte bezeichnet es auch das Ende des agrarischen Jahreszyklus.

Zeitpunkt: Samhain wird immer in einer Neumondnacht gefeiert, genau genommen in der 11. Neumondnacht des Mondjahres (künstlich nimmt man den Neumond um den 31. Oktober). Im Gegensatz dazu finden die drei anderen Mondfeste bei Vollmond statt. Die Zeit des zunehmenden Mondes steht für Wachstum und Entstehung, der Vollmond für den Punkt größter Kraft, der abnehmende Mond für den Rückzug der Natur und schließlich der Neumond für den Punkt geringster Kraft und den Tod. Dies erklärt, warum dreimal an Vollmonden, den Krafthöhepunkten des Mondzyklus, gefeiert wird und Samhain, im Gegensatz dazu, an einem Neumond begangen wird. Der Tod kann nur am Tiefpunkt der Kraft des Mondes gefeiert werden. Heute feiern viele Heiden Samhain der Einfachheit halber am 31. Oktober, doch das Fixdatum berücksichtigt nicht den korrekten Mondstand. Die Datumsgleichheit mit Halloween ist nicht zufällig, denn dieses Fest ist in Amerika aus Samhain entstanden.

Jahresrad: Dieses Fest teilt das Jahr in eine Winter- und eine Sommerhälfte, in eine "Jahresnacht" und einen "Jahrestag", daher ist Samhain neben seinem "Teilungspartner" Beltane einer der beiden höchsten keltischen Feiertage. Es ist das düsterste, ernsthafteste und auch feierlichste Fest des Jahresrades. Gleichzeitig markiert es den Höhepunkt des Herbstes. Mit diesem Tag öffnet und schließt sich für

Page 13: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

die Kelten das Rad des Jahreskreises, denn Samhain ist bei ihnen das Ende des alten Jahres und der Beginn des Neuen. Das alte Jahr endet mit dem Samhain-Abend, und das neue Jahr beginnt mit dem nächsten Sonnenaufgang. Die Samhain-Nacht gilt als eine Art zeitlose Zeit "zwischen den Welten".

Natur: Die Natur bereitet sich auf den Prozeß des Sterbens vor. Die Zeit um Samhain herum ist das Ende aller warmen Tage. Dies ist die Zeit, in der die Kälte tief in die Knochen zieht. Das Jahr geht zu Ende. Die Zeit der Ernte und Fülle ist vorbei. Man nimmt Abschied von der Vegetation und weiß um den Beginn der Zeit, in der man darauf angewiesen ist, von den Früchten des vergangenen Jahres zu überleben, die man beschafft hat, um die dunkle Zeit zu überstehen.

Samhain ist die Zeit, in der die Natur stirbt. Alles, was lebt, reduziert sich auf ein Minimum, zieht sich zurück in das Erdreich. Die Zugvögel sind ins Winterquartier im warmen Süden verschwunden, die Tiere beginnen den Winterschlaf, es wird still draußen. Die Natur bereitet sich darauf vor, bis Imbolc (um den 1. Februar) zu ruhen, und das Land ist kalt und grau. Die Nacht wird länger, und das Mondlicht und die Sterne bleiben länger am Himmel.

Heiden: Die Sonne (der gehörnte Sonnengott) hat sich geopfert und ihre Kraft für die Ernte in die Erde gegeben. Geschwächt stirbt die Sonne (das Licht) an diesem Tage, um zu Jul (Wintersonnenwende) wiedergeboren zu werden. Wie das Leben zieht sich auch die Sonnenkraft über den Winter in den Schoß der Erde zurück.

Die Erde (die Göttin) trauert um ihren verlorenen Sohn. Sie ist jetzt eine alte Frau und trägt schwarz. In diesem Bild geht man davon aus, daß die Erdmutter in einem Jahr die Lebensphasen einer Frau (Mädchen, Mutter, alte Frau) durchläuft. Dabei repräsentiert der dritte Aspekt die dunkle Seite, die Vergänglichkeit, das Alter, Herbst und Winter und den Tod. Die alte Frau, bei den Kelten Cailleach genannt, regiert den Winter hindurch, von Samhain bis Imbolc (ca. 1. Februar).

Germanen: Die gesamte Zeit von der Erschaffung der Welt bis zu ihrem Untergang findet sich in der Symbolik des Jahreskreises. Die Germanen dachten damals, daß die Natur stürbe. Deshalb wurde den Ahnen, Göttern und der Toten gedacht, indem man Opfer darbrachte. Die Germanen schmückten die Gräber mit Getreide, Nüssen und anderen Dingen. Es wurden aber, entgegen aller Behauptungen, keine Menschenopfer dargebracht.

In dieser Symbolik steht der Winter für die Zeit der Götterdämmerung (Ragnarök), den Untergang des Lebens. Die Eisriesen (Jöten und Thursen) stürmen Asgard. Odins in der Schlacht gefallenen Krieger (die Einherier) in Walhalla wurden gerufen, um in der bevorstehenden Götterdämmerung auf Seiten der Götter zu kämpfen. Die Götter fallen in diesem letzten Kampf, aber nicht ohne die Hoffnung auf ihre Wiederkehr zu hinterlassen.

Der Lichtgott Balder oder Baldur (die Sonne) vollendet seinen Abstieg ins Totenreich beim Julfest (21. Dezember) und mit dem neuen Impuls der Schöpfung beginnt der Kreislauf von neuem, wenn zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende sein Wiederaufstieg zu Asgards Höhen seinen Anfang nimmt. Samhain, das Fest der Winternacht, stimmt auf diese bedeutende Zeit des Wandels und der Läuterung ein. Es dauert eigentlich drei Tage. An diesem Fest wird der Ahnen der Sippe gedacht.

Samhain ist neben Imbolc auch das zweite Disenopfer (altnordisch: Dísablót) des Jahres. Die Frage, was Disen sind, läßt sich nicht eindeutig klären. Zum einen könnten die Disen eine Gruppen von weiblichen Gottheiten sein, die nicht näher in der Mythologie benannt werden. Damit stehen

Page 14: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

sie in der Nähe anderer bekannter Gottheiten wie zum Beispiel Frigg, Freyja oder Perchta (Berchta, Frau Holle, Hel) usw. oder sind mit ihnen identisch.

Zum anderen aber deutet einiges darauf hin, daß "Dis" einfach eine Bezeichnung für "Frau" war, denn viele germanische Frauennamen enden auf "dis" (zum Beispiel Freydis, Hjordis usw.). Freyja wird beispielsweise auch als Vana-Dis, also Vanenfrau (Freyja stammt aus dem Göttergeschlecht der Vanen, im Gegensatz zu den Asen) bezeichnet. Vielleicht war der Begriff aber auch für Frauen vorbehalten, denen man übernatürliche Fähigkeiten zusprach. So würde sich die Interpretation Frauenopfer anbieten, wobei damit natürlich ein Opfer für die Frauen gemeint ist und nicht etwa, daß die Frauen geopfert würden.

Begonnen wurde das Fest mit der Entzündung des Totenfeuers auf einem Hügel. Danach fand eine feierliche Anrufung Odins (Wotan) und Heimdalls statt. Die Wotansgans wurde geopfert, und aus dem Brustbeinknochen des Tieres der Verlauf des Winters gedeutet. Im Totenfeuer wurde eine Strohpuppe verbrannt.

Am Feuer wurde dann das gemeinsame Trinken (altnordisch: Drekka), die Wotansminne, begangen, bei dem sich Trinkwünsche zugerufen wurden. Bei den Germanen war "Minne" aber im Sinne von Gedenken zu verstehen, nicht als Liebeswerben wie im Mittelalter. Überliefert sind das Antrinken von Schönheit, Stärke, Segen für den Winter, Heirat und Kindersegen. Anschließend wurde in ein Horn geblasen, welches Heimdalls Horn (die Mondsichel) symbolisierte, um die Toten zu sammeln, so wie Odin die Einherier rief.

Danach wurde in einem Fackelumzug mit viel Lärm und Getöse, Peitschenknallen und Geklapper die Wilde Jagd nachgestellt. Die Leute trugen früher Laternen aus ausgehöhlten Futterrüben (für die Sonne und den Mond) mit sich. Die Umherziehenden waren mit Schellen behängt, gehörnt und rußbeschmiert. Man zog zu den Gräbern der Ahnen und opferte dort Getreide, Mehl, Butter, Eier und Wachs. Man überschüttete die Gräber mit Korn.

Nach der Rückkehr fand ein ausgedehntes Mahl statt, bei dem ein Gedeck und drei Messer mit aufgetragen wurden, die aber keiner der Gäste benutzte. Ein Teil der Speisen und Getränke wurden für die Ahnen an diesem leeren Platz aufgetragen und dort stehengelassen. Im Haushalt opferte man den Disen, indem man Brot und Fett während des Festes und der Nacht in der Stube stehenließ.

Kelten: Die Kelten glaubten an die Reinkarnation und daß der Tod eine Notwendigkeit für neues Leben darstellt. Samhain ist ein Fest des Todes und der Hoffnung auf neues Leben. Das Totenfest war bei den Kelten auch ein Neujahrsfest, das den alten Zyklus abschließt und zum neuen Zyklus überleitet. Die Kelten feierten Samhain mit Maskeraden, Feuern und Opfern als Fest des Saman, einem keltischen Todesgottes. Für die Kelten starb auch die Sonne als Sonnengott in dieser Nacht. Diese Nacht war voll von übernatürlicher Magie, und die Geister der Vorfahren konnten die Feiernden heimsuchen. Das Samhain-Fest war auch der Rabengöttin Morrigan geweiht.

Christen: Allerheiligen beziehungsweise Allerseelen ist der Tag, der von der römisch-katholischen Kirche zum Gedenken an die im Glauben Verstorbenen bestimmt worden ist. Es wird heutzutage wird von den Katholiken am 1. November gefeiert. Man gedenkt der Verstorbenen und besucht die Gräber, um den Verstorbenen die Ehre zu erweisen und stellt als Ersatz für die Gaben und leuchtenden Rüben aus früheren Zeiten Blumen und Grableuchten auf.

Zur Verbindung von Samhain mit Allerheiligen kam es, als die Römer die Kelten unterwarfen und

Page 15: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

diese dann "Christen" wurden. Die Kelten hielten aber weiterhin an vielen ihrer Bräuche fest, auch an dem um den 31. Oktober gefeierten Totenfest Samhain. Deshalb ordnete Papst Gregor IV. im Jahre 837 u.Z. im Einklang mit der Politik der Kirche, die Bräuche der Bekehrten zu "christianisieren", anstatt sie abzuschaffen, an, daß der 1. November von der ganzen katholischen Christenheit als Tag "aller Heiligen" gefeiert werde. So wurde durch einen diplomatischen Schachzug der Kirche ein durch und durch heidnisches Fest samt dem ganzen Drum und Dran mit der heidnischen Totenverehrung vereint. In christlicher Zeit nahm das Seelenfest allmählich spukhaften Charakter an und galt als günstiger Zeitpunkt für Geisterbeschwörer.

Von Samhain wurde noch ein weiterer christlicher Feiertag abgeleitet, aber auf ein anderes Datum gelegt. Der christliche St. Martinstag gründet sich zwar auf die biblische Anekdote vom barmherzigen Römer Martinus, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte, aber die Festbräuche ähneln den germanischen Samhain-Traditionen so stark, daß es keinen Zweifel an ihren Quellen gibt. Vom germanischen Totenfeuer kann man das heutige Martinsfeuer ableiten und die Wotansgans als Opfertier findet sich in der Martinsgans wieder. Laternen und Lampions sind unzweifelhaft Nachfolger der ausgehöhlten Rüben, die in dieser Nacht leuchteten.

historisch: Schon bei den alten Griechen gab es einen Tag der Totengeister. Die altgriechischen Anthesterien waren ein Seelenfest, in dessen Verlauf die Abgeschiedenen die Welt der Lebenden besuchten. Die Ahnenseelen wurden vor dem Wintereinbruch gewärmt und besänftigt, indem man nächtliche Feuer entzündete.

Der Monat November verschlingt beziehungsweise tötet nach alter Auffassung die Sonne. Vergegenwärtigt man sich die Symbole der Drachen, Lindwürmer und Schlangen, und bedenkt man, daß das Samhain-Sternzeichen Skorpion etwa bis zum Erscheinen der Jesuiten im 16. Jahrhundert noch eine Schlange war, wird die Verbindung zum Sonnentöter Schlange deutlich. Auch im jüdischen Stamm Dan wurde dieses Sternbild als gekrönte Schlange dargestellt, aber so weit braucht man gar nicht zu gehen, allein die Midgardschlange galt als Weltwinterzeichen.

Brauchtum: Man glaubte, daß in dieser Nacht die Wände und Schleier, welche die materielle Welt von der "Anderswelt" trennen sind, am dünnsten und durchlässigsten sind (besonders im Nebel). Die Bewohner der Anderswelt und des Totenreichs kommen, so glaubte man, manchmal herüber, um umherzustreifen und Menschen, die sie für würdig befanden, mit in ihre Welt zu nehmen.

Die Menschen hatten Angst, höhlten Futterrüben aus und schnitzten erschreckende Gesichter hinein (höchstes druidisches Symbol für Schutz). Dann wurde die Rübe mit einer Kerze darin zum Schutz des Hauses ans Fenster oder in den Garten gestellt, um die bösen Wesen abzuschrecken. Man stellte als Schutz für jedes Kind im Haushalt einen solchen Rübenkopf auf. Ursprünglich stand der Rübenkopf in Irland auch symbolisch für den "Edlen Kopf" von Bran dem Gesegneten. In Deutschland hat sich der Brauch der ausgehöhlten und beleuchteten Rüben in Form leuchtender Laternen und Lampions am St. Martinstag erhalten.

Die von Halloween bekannten ausgehöhlten Kürbislaternen, welche heute meist statt der Rüben Verwendung finden, sind ein neuzeitlicher Brauch. Alle 27 Arten der Gattung Kürbis sind nämlich neuweltliche Pflanzen, d.h. sie stammen alle aus Amerika und waren somit vor dem 16. Jahrhundert in Europa nicht bekannt.

Zwar werden in der Verordnung "Capitulare de villis" von 812, welche die in Gärten anzubauenden Pflanzen regelt, durch Karl den Großen bereits "cucurbitae" genannt, doch handelt es sich hierbei um den afrikanischen Flaschenkürbis Kalebasse (lat.: Lagenaria), der zwar spätestens seit der

Page 16: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Antike im Mittelmeerraum bekannt ist, jedoch botanisch nicht zu den Kürbisgewächsen zählt und aufgrund seiner großen Wärmebedürftigkeit als langjährige Kultur im nördlichen und mittleren Europa nicht angebaut werden kann. Zudem eignet er sich auch nicht gut zur Laterne.

Da Karls Gesetz auch weitere Pflanzen auflistet, die in Mitteleuropa (außer vielleicht in Weinbaugebieten) eindeutig keine Chance haben, dauerhaft über den Winter zu kommen, wie Lorbeerbaum, Pinie, Feige, Melone usw., wird angenommen, daß Karl die Pflanzenliste einfach von seinem Sohn Ludwig dem Frommen übernommen hat, der über Aquitanien (Südfrankreich) herrschte, was die zahlreichen sehr wärmebedürftigen Pflanzen in der Liste erklären könnte.

Die bekannten Kürbislaternen, die heute zu Halloween üblich geworden sind, sind wahrscheinlich erst von den irischen Einwanderern in Nordamerika "erfunden" worden, welche sie "Jack O'Lantern" nannten und als Ersatz für ihre von Irland her gewohnten Rübenlaternen verwendeten, da der Kürbis sowohl größer als auch einfacher zu schnitzen ist als die historisch korrekte Futterrübe.

Als Dank und zur Besänftigung der Naturgeister, Elfen, Gnome, Kobolde, Dämonen und auch der Ahnengeister und Toten stellte man in früheren Zeiten aber auch Essen und Getränke sowie Leckereien nach draußen, um diese Wesen zu nähren und wohl zu stimmen. Man wollte seinen Ahnen auf diese Weise Ehre und Gastfreundschaft erweisen. Selbst wenn die Speisen unberührt erschienen, sollte ihre Essenz auf die Geister der Ahnen übergehen.

Zu Ehren der Verschiedenen wurde das Haus blitzblank geputzt, das Feuer besonders sorgfältig gewartet und Quellwasser, Speisen und Tabak auf den Tisch oder vor den Kamin gestellt. Jedermann ließ die Haustür unverschlossen, verkrümelte sich aber früh ins warme Bett, denn die Toten schätzten es nicht, von den Lebenden beobachtet zu werden. Nach dem Volksglauben ist es nicht ratsam, sich in dieser Nacht nach Schritten umzuwenden, denn die Toten behalten einen sonst leicht bei sich.

Umgekehrt verkleidete sich aber traditionell das Jungvolk als solche Totengestalten, um die wandernden Geister in die Irre zu führen, erbettelte Gaben für eine Feier, stellte unter viel Lärm Unfug an oder erschreckte Spätheimkehrer, mit Vorliebe Angeheiterte. Daraus entstand Halloween, das mit irischen Auswanderern in die USA gelangte und dort in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die heute bekannte Ausprägung entwickelte. Die Kinder verkleiden sich als gruselige Gespenster und wandern von Tür zu Tür, um Süßigkeiten ("treats") zu sammeln. Wer nichts gibt, wird "von dem Schabernack der bösen Geister" ("trick") heimgesucht. Auch hier ist die Parallele zu den Gaben aus früheren Zeiten deutlich zu erkennen.

Früher glaubte man, daß tatsächlich Höllenwesen zu Samhain die Welt heimsuchten. Wo ihr stinkender Atem hintraf, starb die Vegetation ab. Jedes Kind wußte, daß man nach Samhain keine Brombeeren mehr vom Strauch essen durfte, denn sie waren nun giftig, da die Dämonen daraufgespuckt oder auch eine andere Körperflüssigkeit darüber gesprüht hatten.

Auch die Ernte aus Feld und Garten mußte von den Bauern bis zu diesem Datum eingebracht sein, die Wintersaat im Boden liegen und die Wildfrüchte aus Hecken und Wald gesammelt sein. Nach altem Volksglauben wurde die bis dahin nicht eingebrachte Ernte von den Nachtgeistern vernichtet. Die im Spätsommer geernteten Früchte wurden nun eingemacht.

Brennstoff für den ganzen Winter war säuberlich am Haus aufgeschichtet, die Pacht und sonstige Schulden waren bezahlt (wenigstens im Idealfall) und das Vieh war von der Sommerweide zurück. Schon des knappen Futters wegen, aber auch als Wintervorrat, wurden nicht unmittelbar notwendige, alte, kranke und schwache Tiere geschlachtet, bei denen man davon ausgehen mußte,

Page 17: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

daß sie es nicht schaffen würden. In einer Zeit, da die Tierhaltung über den Winter wegen begrenzter Futtervorräte schwierig war, wurden die Tierherden wohlüberlegt auf das Maß reduziert, vom dem man glaubte, es über den Winter bringen zu können.

Das Fleisch wurde teilweise ein einem letzten Fest verspeist. Durch Einlegen in Salz, Trocknen und Räuchern wurden außerdem die Vorratskammern der Familien für den bevorstehenden Winter gefüllt. Die Hausschlachtung fiel mit dem Opfer an die Götter zusammen, denen halb aus Dankbarkeit, halb aus Sorge um die Zukunft, zu diesem Zeitpunkt auch Feldfrüchte, Milch und mancherorts sogar Kinder dargebracht wurden. Deswegen wird der November von alters her auch als "blod monath" (Opfermonat) bezeichnet und darauf bezieht sich auch der Untertitel "Third Harvest" (engl.: dritte Ernte), womit die Fleischernte gemeint ist.

Die Menschen früherer Zeiten bereiteten sich auf den Winter vor und versuchten mit allerlei Ritualen und Gebeten, der Sonne bei der kommenden Rückkehr zu helfen. Noch einmal bogen sich die Tische unter all den Köstlichkeiten, die Küche und Keller zu bieten hatten, noch einmal Festtrank und -schmaus, bevor die karge Zeit des Winters nahte.

Im Winterhalbjahr mußte mit Dunkelheit, Kälte und vermehrt mit Krankheit, Mangel und Unfällen gerechnet werden. Das unbeschwerte Sommerleben in freier Natur, das kaum Nahrungssorgen kannte, war zu Ende. Das Leben spielte sich während der nächsten sechs Monate in engen, verrauchten Räumen rund ums Feuer ab. Dafür begann nun die Saison des Geschichtenerzählens. Auch Hochzeiten fanden zu Samhain oft statt, denn viele Heimkehrer (zum Beispiel Hirten) wollen nach der Zeit der Trennung ihre Bindung festigen. Es begann die Zeit der Pflege und Reparaturen der Gebrauchsgegenstände, um sie im Frühjahr wieder bereit zu haben.

Samhain ist die Nacht der zwei Gesichter, zum einen ist da die Fülle der eingebrachten Ernte und des Geschlachteten, und zum anderen die Sorge um den bevorstehenden Winter mit seinen unberechenbaren Unbillen. Freude und Nachdenklichkeit wechseln sich ab, das Fest beinhaltet nicht die Art von überschwenglicher Fröhlichkeit, wie es einem Außenstehenden auf den ersten Blick erscheinen mag.

Interessanterweise glaubte man selbst im katholischen Bayern noch Ende des 19. Jahrhunderts, daß die "armen Seelen" um diese Zeit für einen Tag das "Fegefeuer" verlassen durften, um auf Erden zu wandeln. Stellenweise stellte man nicht nur ein "Armeseelen-Essen" auf den Tisch, sondern achtete auch darauf, daß man keiner "armen Seele" etwas zuleide tat, beispielsweise durch unbedachtes Schließen einer Tür oder Hantieren mit Werkzeug. Man glaubte, daß ein Mädchen, welches in der Samhain-Nacht vor einem Spiegel einen Apfel schält, im Spiegelbild ihren späteren Gatten erkennen könne.

spirituell: Samhain markiert den Beginn des "dunklen Jahres", den introspektiven Teil des Jahresrades, in dem man auf und vor allem in sich selbst schaut. Die Zeit der Außenaktivitäten und Ausflüge ist vorbei. Alles wird ruhiger, bedächtiger. Die Zeit nach Samhain ist diejenige, in der die Leute vorwiegend im Haus bleiben. Es ist eine stille, tote Zeit. Man hat mehr Sinn auf Mußestunden im Kreise der Familie, auf warme Getränke und Gebäck bei einem guten Buch und Kerzenlicht. Es ist mehr die Zeit des Nachdenkens über das vergangene Jahr und den jetzigen Zustand. Man ist viel intensiver mit dem eigenen Inneren, dem Unterbewußtsein verbunden.

Die Lebenskraft der Natur zieht sich bei zunehmender Kälte ins Innerste zurück. Für den Menschen kann das auch ein Zeichen sein, sich vor Kälte und Dunkelheit in sein Innerstes zurückzuziehen, um dort Kräfte für künftige Neuentfaltung zu sammeln.

Page 18: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Wenn sich nun die Naturenergien zur Ruhe begeben und die Dunkelheit des Winters regiert, ist es deshalb Zeit, sich selbst zu beobachten, auszuruhen und sich auf das kommende Jahr vorzubereiten. Es ist Zeit für einen Rückblick auf das, was im gerade vergangenen Jahr getan wurde, was das Jahr und die eigenen Taten gebracht haben. Es ist eine Zeit, in der Abrechnung gehalten wird, eine Zeit, in der Einflüsse, Konzepte und Vorstellungen aus dem Leben gestrichen werden, die sich als nicht mehr nützlich erwiesen haben.

Es ist auch eine Zeit, in der es im Hinblick auf den kommenden Winter angebracht erscheint, sich mit den persönlichen Ahnen wieder neu zu verbinden. Man feiert die Leben seiner Ahnen, die durch ihre Taten und Ideen die Vergangenheit und die Wurzeln der eigenen Existenz geschaffen haben. Man holt sich in den langen Winternächten Rat und Hilfe bei den Ahnen, verabschiedet sich von den Menschen die in den letzten Monaten gestorben sind, und heißt die Neugeborenen in der Welt willkommen. Es ist eine Gelegenheit, sich selbst kennenzulernen. Man blickt auch in die Zukunft, auf das neue Jahr und was es bringen wird.

Die ständigen Assoziationen von Blut, Tod und Vergänglichkeit stammen aus der Natur. Die Natur scheint zu sterben, die Laubbäume verlieren ihre Blätter, die Felder liegen brach und die letzten Blumen erfrieren in den ersten Nachtfrösten. Dieses Beispiel der Natur vor Augen führt den Menschen zu Gedanken über seinen eigenen Tod und die Vergänglichkeit allen Seins, weswegen der November seit alters her so als "Totenmonat" geprägt ist.

magisch: Wer ernst, mutig und magiebegabt ist, der feiert Samhain zusammen mit den Toten in einem Ritual. Zu Samhain ist die Trennung zwischen den Welten sehr dünn, heißt es, Vergangenheit und Gegenwart verbinden sich, und die Geister der Ahnen werden wach, so glaubte man. Durch das rituelle Gedenken leben sie im Geist der Menschen weiter und können im Ritual so lebhaft in die Erinnerung gerufen werden, daß man wirklich glaubt, sie seien erschienen (als Psychogone, das sind Projektionen aus dem eigenen Unterbewußtsein).

Man wird sich bewußt, daß sie ein Teil von einem selbst sind, und daß der Tod ein Teil des Lebens und das "Totenreich" ein Teil der Welt ist, und daß es ohne den Tod auch kein Leben gibt im zyklischen Ablauf von Leben und Sterben in der Natur. Die Gesetze der Zeit scheinen für Momente auf den Kopf gestellt zu werden. Überall spürt man die Gegenwart des Todes.

Die hauchdünne "Weltendecke" gibt den Toten (beziehungsweise den tief im Unterbewußtsein verankerten Erinnerungen an sie) zu Samhain die Möglichkeit, unter den Lebenden zu wandern und mit ihren Verwandten zu feiern. Sie warnen vor Gefahren und geben Ratschläge für die kommende Zeit. Man sollte sie willkommen heißen, und sich der Menschen, die einem mit Rat und Tat zur Seite standen, in dieser Nacht erinnern. Man betrauert die Toten nicht, sondern feiert mit ihnen und denkt daran, was sie an Gutem hinterlassen haben.

Zu Samhain gehörte ein gutes Maß an Chaos, denn das Fest sitzt zwar an einer Nahtstelle im Jahreszyklus, schließt aber eine "Zeitenlücke" mit ein. Die helle Jahreshälfte und das Jahr selbst enden mit dem Abend dieses Festtages, vor der Neumondnacht, das keltische neue Jahr beginnt jedoch erst am nächsten Morgen. Die Nacht wird als dazwischenhängend empfunden - sie ist eine unmeßbare Zeit, also Ewigkeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfallen. Deshalb kann sich hier auch das subjektive Zeitempfinden völlig anders darstellen als sonst, besonders in Ritual (eine nicht nur von mir bestätigte Erfahrung).

Samhainrituale sind eine zweischneidige Sache, denn die "Anderswelt" entläßt offenbar nicht nur die Toten der Familie aus den Tiefen der eigenen Psyche, sondern zu Samhain quellen durch die dünne "Weltendecke" ebenso auch Geister, Dämonen und andere vom Unbewußten projizierte

Page 19: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Psychogone, die zu einem Problem für den Geist des Magiers werden können. Traditionell ist für Magier der letzte Vollmond vor Samhain der geeignetste Zeitpunkt für Rituale, die mit solchen von der Psyche erzeugten "Wesen" in Zusammenhang stehen. Man bereitet sich (evtl. schützend) auf ihr Erscheinen zu Samhain vor.

In Ritualen zu Samhain begegnet der Magier möglicherweise Projektionen aus seinem eigenen Unterbewußtsein, die für ihn Personifikationen seiner Ahnen oder Dämonen sind. Solche Kontakte zu erzeugen fällt in dieser Nacht psychologisch wesentlich leichter als im übrigen Jahr, und so kann man von ihnen Klärung für Fragen, anstehende Pläne und Situationen erbitten. Man erhält vielleicht Antworten über Entscheidungen, die das Unterbewußtsein schon getroffen hat, ohne daß das Wachbewußtsein dies mitbekommen hat.

Man muß sich nur zur Rückkehr vor Augen halten, daß all diese Begegnungen eben nur Projektionen des Unbewußten sind und nicht real. Allerdings können sich nach eigener Erfahrung in einem Gruppenbewutßsein auch die unterschiedlichen Erinnerungen der Gruppenmitglieder für die ganze Gruppe realistisch manifestieren, so daß man tatsächlich glaubt, auch die Ahnen der anderen seien wirklich anwesend.

Üblicherweise werden zu Samhain Initiationen (Magier, Schamanen, Druiden und Priester) vorgenommen. In dieser Nacht können Orakel befragt und Kontakt zu den Wesen der Anderswelt hergestellt werden (sofern man an solche glaubt), denn es ist Frieden zwischen allen Völkern während dieser heiligen Nacht. Es ist das Fest, an dem alle Wesen symbolisch mit der Natur sterben und später wiedergeboren werden.

Page 20: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5.2. Jul (Mittwinter)

Namen: Jul, Mittwinter, Wintersonnenwende, Alban Arthuan, Yule, Sonarblod Kategorie: Nebenfest, Sonnenfest zur Wintersonnenwende, germanisch Datum: 21. Dezember (kalendarische Schwankungen zwischen 20. und 22. sind möglich)Astrologischer Zeitpunkt: Sonne 0° (Anfang) im Steinbock Bedeutung im Jahresrad: Wintersonnenwende (Solstituum), längste Nacht des Jahres, Winteranfang, als Wendepunkt Beginn der Reinigungszeit Christliche Entsprechung: Weihnachten Art des Feiertages: Julfest, Mittwinter, Wintersonnenwende, Fest der Wiedergeburt der Sonne Symbole: Mistel, Tanne und Hirschgeweih

Bedeutung: Das Julfest ist ein Wendepunkt, eine Umkehr, ein Anfang, und an diesem Tag feiert man die Rückkehr von Licht und Leben. Jul ist der (Wieder-) Geburtstag der Sonne, der Tag des Triumphes des Lichts über die Dunkelheit. In der dunkelsten und längsten Nacht der Wintersonnenwende vollzieht sich eine Wendung, denn die Nächte werden von nun an immer kürzer, die Tage wieder länger. Es ist ein Freudenfest, bei dem die Rückkehr oder die symbolische Wiedergeburt der Sonne gefeiert wird.

Die Menschen früherer Zeiten maßten der Wintersonnenwende als Rückkehr des Lichts besondere Bedeutung bei, denn ihr Schicksal war eng mit den wärmenden Strahlen der Sonne verbunden. Ohne Sonne gibt es kein Wachstum, ohne Wachstum reift keine Frucht und ohne Frucht ist keine menschliche Existenz möglich.

Gleichzeitig ist diese Zeit in den nördlichen Breiten die Zeit der Kälte und der Winterstürme. Mit etwas Phantasie sieht man im nächtlichen Sturm die Götter, die in wilder Jagd durch die Lüfte rauschen, und oft mögen diese eisigen Stürme damals zum tödlichen Verhängnis geworden sein. Alle diese Umstände waren Grund genug, sich mit einem Fest über die neu geborene Natur zu freuen. Sicherlich war die Wintersonnenwende auch wichtig, um den Zeitpunkt der Saatausbringung zu bestimmen.

etymologisch: Der altgermanische Festname Jul bedeutet im Nordischen "Rad des Lebens" und ist als Jahresrad im Sonnenlauf zu verstehen. Er ist ein Pluralwort, denn er bezeichnet sowohl das eigentliche Mittwinterfest als auch die folgenden Tage, die mit ihm verbunden sind. Auch das englische Yule kommt vom angelsächsischen Wort Yula, was "Kreis des Jahres" bedeutet.

Die sprachliche Verwandtschaft zeigen auch das altnordische jòl oder jùl, das nordische hvel, das altenglische geòl, das angelsächsische hveol, das französische yule und das englische wheel. Der keltische Name Alban Arthuan bedeutet dagegen "das Licht des Arthur" und spielt auf die keltische Artussage an.

Der Name Weihnachten ist ebenfalls heidnischen Ursprungs. Er ist genau wie das ursprünglich mittelhochdeutsche "zeihen nechten" eigentlich ein Pluralwort, welches "Weihenächte" bedeutet. Die Pluralform zeigt, daß das Fest sich ehemals über eine längere Zeit erstreckte, und nicht die Tage werden genannt, sondern die weihevollen Nächte, da der Name noch aus einer Zeit stammt, in der die Germanen nach Nächten rechneten. Das germanische Wort Sonarblod bedeutet Sonnenopfer.

Page 21: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Zeitpunkt: Die Wintersonnenwende (Winter-Solstituum) am 21. Dezember, die den Winterbeginn markiert, ist die längste Nacht des Jahres. Die Sonne steht an ihrem niedrigsten Punkt, 23° unterhalb der Ekliptik. Sie hat den südlichen Wendekreis erreicht und kehrt nach dem Norden zurück.

Das "Mitt" in Mittwinter bedeutet hier nicht die tatsächliche Mitte des Winters, sondern einen der beiden Wendepunkte im Jahreslauf der Sonne, die an diesem Tag den Tiefpunkt ihrer Kraft und Einwirkung hat, im Gegensatz zum Höhepunkt Mittsommer.

Jahresrad: Die Wintersonnenwende ist die längste Nacht beziehungsweise der kürzeste Tag des Jahres. Als Wendepunkt ist nun die immer dunkler werdende Zeit überstanden, die Tage werden weder länger und das neugeborene Licht (die Sonne) kehrt allmählich zurück. Bei den Germanen endete das Jahr mit dem Julfest.

Das Julfest dauert eigentlich mehrere Tage, nämlich alle zwölf Nächte von der Wintersonnenwende bis zum Beginn des germanischen Jahres. Dieses zählt zwölf Mond-Monate (354 Tage), die durch die Zwölfnächte oder Rauhnächte, die Zeit zwischen den Jahren, mit dem Sonnenjahr harmonisiert werden.

Natur: Von Litha (Sommersonnenwende) bis Jul schwindet das Licht langsam und jeden Tag gewinnt die Dunkelheit an Macht. Die Natur wird immer kälter und steht scheinbar starr im kalten Wind und dem Schnee des Winters. Für die Menschen damals war der Winter eine sehr harte Zeit der Herrschaft der Eisriesen über die Welt, in der man mehr als sonst ums Überleben kämpfen mußte.

Noch ist die Natur im Winterschlaf und ringsherum augenscheinlich tot und regungslos. Die Bäume sind kahl und das Wasser zu Eis erstarrt. Der Schnee bedeckt alles wie ein Leichentuch. Alles erscheint tot und leblos. Doch das Leben hat sich nur zurückgezogen, denn obwohl nun die Tage wieder länger werden, und das Licht nun wieder zunimmt, steht die kälteste Zeit im Jahr noch bevor.

Heiden: In der dunkelsten Nacht des Jahres wird die neue Sonne (wieder-) geboren, um den Menschen dieser Welt das segenspendende Licht und die Hoffnung zurückzubringen. Die Erde (die Göttin) gebiert die Sonne (den gehörnten Gott), der sich zuvor bei Beltane (um den 30. April) selbst gezeugt hat, weil er seinen Tod zu Samhain (um den 31. Oktober) voraussah. Noch immer trägt die Göttin Schwarz, weil sie um ihren Sohn und Gatten trauert, und sie wird als alte Frau dargestellt.

Germanen: Als naturverwachsene Menschen haben die Germanen gewußt, daß es ohne die segnende und lebensspendende Kraft der Sonne kein Wachsen, Reifen und Ernten gibt. Sie sahen den "güldenen Wagen" am Himmel als Offenbarung des göttlichen Wirkens im All an, der den immerwährenden Kreislauf von Frühling, Sommer, Herbst und Winter hervorruft. Jenes ewige "Stirb und Werde", das nicht nur ihren persönlichen Lebensrhythmus bestimmt hat, sondern von dem alles Leben und Wachstum abhängig ist.

In diesem Geist ist auch das Fest der Neugeburt des Lichts gefeiert worden. Sinnbildlich hat man diese neuerstehende Sonne mit einem neugeborenen Kind verglichen, das von Tag zu Tag größer und stärker wird, und als Kennzeichen den Strahlenglanz des Lichtgestirns um sich trägt. Weil dieses Bild auch gut mit dem langsamen Erwachen und Wachsen der Natur zusammenpaßt, haben die bäuerlichen Germanen das Sonnwendmysterium in der längsten und dunkelsten Nacht des

Page 22: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Jahres gleichzeitig als Ende des alten Jahres gefeiert. Das neue Jahr begann dann nach den 12 Rauhnächten, die mit Jul verbunden waren. Für die Germanen war Jul das höchste Fest des Jahres.

Sie feierten die Wiedergeburt des Lichtes, und so wie die Sonne wiedergeboren wird, kehren auch die Götter in die Welt zurück. Zur Wintersonnenwende endet das zu Samhain (um den 31. Oktober) beginnende Ragnarök, die Götterdämmerung, in der die Götter sterben. Ragnarök ist ein Synonym für den Tod des Menschen, der alle Götter als Archetypen in sich vereinigt. Diese Zeit ist gekennzeichnet durch den Übergang der sterblichen Hülle in einen Zustand des ewigen Lichtes, der Seele und der Gedanken und Erinnerung, Attribute die dem Göttervater Odin durch seine beiden Raben Hugin (Gedanke) und Munin (Erinnerung) gegeben sind.

Im Kampf gegen die Riesen verloren im Ragnarök außer Vidar und Vali alle Götter ihr Leben. Diese rächten ihren Vater (Odin) und zeugten einen neuen Gott, der als Reinkarnation von Odin beziehungsweise Balder angesehen wird. Das Licht siegt über die Dunkelheit und neues Leben wird entstehen. Die Gewißheit des ewigen Kommens und Gehens symbolisiert zur Zeit der neuen Sonne der Lichtgott Balder mit seiner Geburt. Dadurch gibt er dem Lauf der Natur zwischen Entstehen und Vergehen neue Kraft und neue Hoffnung.

Der Mistelzweig, der Balder den Tod brachte (nur eine Mistel konnte ihn verwunden, weil man vergessen hatte, ihr zu erzählen, daß er unverwundbar ist) wird zum Heilssymbol. Mistelzweige, eine noch heute beliebte Weihnachtsdekoration, galten früher schon als Fruchtbarkeitssymbol zu Ehren der Göttin Freyja.

Der in Skandinavien übliche Julbock (zum Beispiel ein strohgeschmückter Eichen- oder Eschenholzklotz) ist ein Symbol der kommenden Fruchtbarkeit und des Schutzes durch Thor, dessen heiliges Tier er ist. Vor Jul wurde im Wald feierlich ein Baum gefällt, dessen Stamm drei oder noch öfter zwölf Nächte hindurch, also die ganze Festzeit, langsam verbrannt wurde, zu Ehren des heiligen Herdfeuers (Ingwi-Agni) des Gottes Freyr. In dieser Zeit durfte man das Feuer nicht erneuern, höchstens vom Nachbarn Glut holen, wenn es ausging. Mit dem Anzünden und Verbrennen des Blockes verbanden sich Lieder, in denen Glück und Fruchtbarkeit für das kommende Jahr verheißen wurden.

Auch mit dem glimmenden Julbock war die Vorstellung von der Erneuerung des Lebens verbunden. So durfte er in Schweden nicht gänzlich verbrannt werden, weil man glaubte, daß in ihm der Kuckuck verborgen sei, der die Fruchtbarkeit des Jahres gewährleiste, und daß bei vollständigem Verbrennen die Ernte geschädigt würde. Das letzte Stück wurde im Kornspeicher aufbewahrt. Mit ihm entzündete man zum nächsten Julfest den neuen Stamm. Der Sippenälteste hatte die Aufgabe den neuen Julblock zu entzünden und ihn zum Herd zu tragen. Mit dem Verschwinden des offenen Herdfeuers geriet der Julblock langsam in Vergessenheit. Der Julbock wurde manchmal auch im Julfeuer verbrannt.

Zur Zeit der Besiedlung Islands wurde noch der Juleber durch das Haus getrieben und symbolisch für Gullinborsti geopfert, Freyrs Reiteber mit den güldenen Borsten. Dieser Eber stellt die Fruchtbarkeit und das Sonnenlicht dar. Nach dem Eberopfer (heute evtl. ein einfaches Schweinefleischgericht) nennt man auch die Sonnenwende Sonarblod und der Juleber ist der Sonargöttr (Leiteber). Mit dessen Borsten wurde orakelt, ein Überbleibsel davon ist heute das Glücksschwein aus Marzipan, mit dem man sich alles Gute wünscht. In Schweden und Dänemark hat der Brauch dergestalt überlebt, daß aus dem Korn der letzten Ernte im Winter ein schweineförmiges Brot gebacken wird, das ebenfalls Juleber genannt wird, die ganze Julzeit über auf dem Tisch steht und dann im Frühling von dem Pflüger und seinem Vieh gegessen wird. Er soll die Kraft des Korns wieder auf die Aussaat übertragen, ebenfalls eine Form des Wiedergeburtsmythos.

Page 23: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Das Orakel spiegelt sich jedoch weiterhin in den heutigen Silvesterbräuchen (zum Beispiel Bleigießen). Auf den Juleber oder den Schwurring wurden nun Schwüre abgelegt, heute die guten Vorsätze für das neue Jahr. Danach wurde als Besiegelung der Bragibecher (Bragi ist der Sänger- und Dichtergott) mit Julbier oder Met getrunken. Damals wie heute schaffen erzählte Geschichten und gemeinsames Musizieren eine Atmosphäre der Geborgenheit und der Zusammengehörigkeit.

Weil Jul das Familienfest ist, bei dem auch die Ahnen dabei sind, derer man dabei gedenkt und die in der Überlieferung als Wilde Jagd mit Odin durch die Rauhnächte reiten, gehört Jul zu den wichtigsten germanischen Festen. Zu diesem Zeitpunkt mußte alle Arbeit für dieses Jahr getan sein. Anschließend wurde 12 Nächte durchgefeiert, wobei jede Nacht für einen Monat stand.

Es war ein Fest der Einheit von Sonne und Erde, der Einheit von Mensch und Natur, ein Fest der Versöhnung der Menschen untereinander. Den wilden Tieren in Feld und Wald wurde Futter gebracht. Streitereien und Kämpfe wurden ausgesetzt - eine Verhaltensweise, die Julfrieden genannt wurde.

Der Ablauf war von der Nordseeküsten bis in den Alpenraum hinein im wesentlichen gleich. Den Kern der Feierlichkeiten bildete das Abbrennen von Sonnwendfeuern durch die Sippen- und Dorfgemeinschaften, ein Brauch, der sich mancherorts noch bis in unsere Zeit erhalten hat. Allerdings ist vielen der heutigen Teilnehmer der eigentliche Sinn dieser Handlung verlorengegangen, welcher darin bestand, daß das Feuer für die Menschen in dem rauhen nördlichen Klima damals ein wesensgleicher Abkömmling der Sonne war. Es leuchtete und wärmte wie der goldene Himmelswagen.

Darum war den Germanen das Feuer mitsamt der Herdstatt, auf der es gehütet wurde, heilig. Am Herdfeuer, sozusagen in Gegenwart der göttlichen Urkraft, ruhte jeder Streit. Das Gemeinschaftsleben spielte sich in einem großen Haus ab, ohne Trennwände, somit also eine verschworene Sippe. Das Feuer zu hüten und dauernd zu unterhalten, war ein Vorrecht und eine kultische Pflicht der Sippenältesten.

Der Sippenälteste bewachte das ganze Jahr das Herdfeuer, da es niemals ausgehen durfte. Doch zu Jul wurde es gelöscht, die alte Asche wird auf die Felder gestreut und den Tieren unter das Futter gemischt, als Schutz vor Seuchen und Krankheit. Und zur Wende wurde das neue Licht geboren und der neue Julbock entzündet. Das Abbrennen des Sonnwendfeuers war mit gemeinschaftlichen Gesang und Tanz eng verbunden.

Kelten: Auch bei den Kelten war Jul in Form von Alban Arthuan ein Fest der Wiedergeburt, auch die der Sonne. Bei den Kelten gab es den Brauch, daß die Frauen zu Jul in riesige Gräber hineingingen und auf den ersten Sonnenstrahl warteten. Durch den Bau der Gräber konnte der Sonnenstrahl direkt ins Innere gelangen. Damit hatte symbolisch das Licht die Dunkelheit beseitigt und das Leben den Tod besiegt.

Während der Zeit der Wintersonnenwende (kelt.: Heulsaf Y Gaeaf) sammelten die Druiden am 6. Tag des Mondzyklus in den Wäldern die heilige Mistelpflanze. Die Kraft der Mistel wurde mit dem Vollmond in Verbindung gebracht, der nun nach den kurzen Wintertagen die langen kalten Nächte regiert. Bei den Kelten bestimmte der Gott Cernussos dieses Fest, zu dem Weißwein und Kuchen gereicht wurden und man sich unter dem Mistelzweig küßte. Von diesem Ritus ist heutzutage noch der Brauch übriggeblieben, sich zu Weihnachten unter einem Mistelzweig zu küssen.

Page 24: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Christen: Bereits im frühen Mittelalter wurde heidnische Julfest mit allen Einzelheiten in das heutige Weihnachtsfest integriert. Die Christen haben den Gedanken der Geburt des Sonnengottes zu Jul beibehalten und haben aus diesem Fest ihr Weihnachten gemacht, den Tag, an dem ihr "Sonnengott" Jesus Christus geboren wird.

Das ist um so beachtlicher, als die Kirche zunächst gar nicht daran dachte, die Geburt ihres Heilands zu feiern, sondern seine Taufe im Jordan, die Johannes vollzog, als seine eigentliche Geburt als Messias, als seine Berufung und Erscheinung hervorhob. Dieses Ereignis wurde schon Ende des 3. Jahrhunderts in Ägypten und Kleinasien festlich begangen, und zwar am 6. Januar. Auch in Rom feierte man die "Geburt" Christi bis zum Jahre 353 am 6. Januar in diesem geistig übertragenen Sinn.

Noch im dritten Jahrhundert war die "Feier der Geburt Christi" als heidnische Unsitte bekämpft worden, nachdem sie vorübergehend im März, April und November abgehalten wurde. Das Christentum besaß als späte Religionsform ursprünglich keine Feste, und bei einer ins Jenseits gerichteten Einstellung sah es auch keinen Grund, eine irdische Geburt zu feiern.

Allerdings waren bodenständige Volksanschauungen und heidnische Bräuche nicht auszurotten. Der mit dem Christentum konkurrierende Mithraskult hatte sich im Volk verbreitet, und seit dem dritten Jahrhundert feierte man in Rom nach dem alten julianischen Kalender den 25. Dezember, den der römische Kaiser Aurelianus mit seiner persönlicher Affinität zur Sonne als Geburtstag der Sonne festlegte, als "Sol invictus" (unbesiegter Sol), der als Gegner des stiertötenden Mithras galt. Wahrscheinlich ließ er sich dabei von dem griechischen Sonnenfest der Helia und den Ägyptern inspirieren, bei denen der 24. Dezember als Wiedergeburtstag des Gottes Osiris galt. Damals rangen das Christentum und der Mithraskult noch um die Vorherrschaft bei den Römern.

So sah sich das Christentum dann doch genötigt, sich Feste zu schaffen und sich an den Mithraskult anzugleichen, wobei ihnen gemeinsame Züge beider Religionen entgegenkamen, wie die Geburtslegende, die Verehrung durch die Hirten, die Lehre von der Auferstehung des Fleisches. Als geschickte Angleichung an den Mithraskult definierten die Christen im Jahre 354 n.Z. den Geburtstag Jesu Christi auf den 25. Dezember und rissen somit diesen Festtermin an sich, indem sie die Geburt ihres Erlösers völlig willkürlich auf diesen Termin verlegten. Wie historisch belegt, wäre Jesus Christus, sofern es ihn denn gegeben hat, jedoch nicht im Winter, sondern an einem Tag im Frühling geboren worden.

Dennoch war es schwer, sich vom Mithraskult abzugrenzen, und wenige Jahre später mußte der Kirchenvater Augustinus erklären: "Wir feiern den 25. Dezember nicht wegen der Geburt der Sonne, wie die Ungläubigen, sondern wegen der Geburt dessen, der die Sonne erschaffen hat."

Natürlich kam es den Christen noch später sehr gelegen, daß dieses Fest in die Zeit der heidnisch-germanischen Mittwinterfeste fiel, welche sie ebenfalls für sich assimilierten. Unter dem Druck der christlichen Eiferer, die sich im Gefolge Karls des Großen die Macht anmaßten, mußte jeder bei der Taufe den Glauben an die Weihenächte abschwören.

Nur drei Tage vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1993 gab Papst Johannes Paul II. zu, daß das Fest nicht biblisch begründet ist. Was den 25. Dezember betrifft, räumte der Papst ein: "In heidnischer Vorzeit wurde an jenem Tag, dem Tag Wintersonnenwende, der Geburtstag der 'unbesiegbaren Sonne' gefeiert. Den Christen erschien es logisch und naheliegend, dieses Fest durch die Feier zu Ehren der einzigen und wahren Sonne, Jesus Christus, zu ersetzen."

Die Kirche hat den germanischen Brauch des Herdfeuers in den Brauch des "ewigen Lichts"

Page 25: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

übernommen. Viele Lieder, die zur Sonnwende beziehungsweise Weihnachten gesungen werden, gehen auch heute noch auf uralte vorchristliche Sitten und Bräuche des Mittwinterfestes zurück. Trotz der jahrhundertelangen christlichen Durchmischung und Überprägung lassen sich somit auch noch heute sehr gut die eigentlichen Wurzeln des Brauchtums zur Wintersonnenwende erkennen. Ein neuer Tag begann bei den Germanen am Abend, und so wird auch heute noch das Weihnachtsfest mit dem "heiligen Abend" begonnen.

historisch: Das Julfest ist auf das skandinavische Wintersonnenwendfest zurückzuführen. Im Jahre 1643 verbot das englische Parlament Weihnachten wegen des heidnischen Hintergrundes, doch später wurde es wiedereingesetzt. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung ist der Weihnachtsbaum in Form der im Haus aufgestellten Tanne, der allgemein oft mit heidnischen Bräuchen zur Weihnachtszeit verknüpft wird, eine Erfindung des beginnenden Bürgertums im späten 18. Jahrhundert und breitete sich vom Elsaß her aus.

Brauchtum: Versetzt man sich in frühe Zeiten zurück, so kann man sich leicht vorstellen, daß Jul aufgrund der jahreszeitlich bedingten, lebensfeindlichen Wetterverhältnisse zuhause im engsten Kreis der Familie und der Bediensteten des Hofes gefeiert wurde. Gemeinsam rückte man nahe an das wärmende Feuer und ging nach Möglichkeit während der zwölf Rauhnächte nicht in die unwirtliche Umgebung hinaus. Die Bedeutung des Festessens dürfte in einer Zeit häufiger Hungersnöte höher als im heutigen Überfluß gewesen sein. Damals wie heute erquicken in dieser dunklen Jahreszeit Kerzen Geist und Seele.

Als Wendepunkt des Jahres ist es das Fest, an dem alles Licht endet und neu beginnt. Daher werden bei der Julfeier als Symbol der Wiedergeburt der Sonne alle Feuer und Lichter gelöscht und neu entzündet. Licht und Wärme, die nun kommen werden, feiert man durch ein Feuer oder durch viel Kerzenlicht. Das Feuer des Julfestes, ist als Ausdruck der Sonne, der zentrale Punkt und zeigt die kosmische Entstehung auf. Haus und Hof wurden mit Räucherwerk gereinigt und mit immergrünen Zweigen, Misteln, roten Beeren der Stechpalme und vielleicht mit einem Lichterbaum dekoriert.

In der alten Tradition wurden ein Strohrad angefertigt und kleine Schiffchen gebastelt, auf denen Kerzen befestigt wurden. In der Nacht der Wintersonnenwende versammelte sich das ganze Dorf an einem Feuer, zündete das Strohrad an und rollte es den Berg herunter, damit alle Welt sehen konnte, daß sie die Dunkelheit überstanden haben und das Licht gesiegt hat. Anschließend wurden die Kerzenschiffchen angezündet und im Bach ausgesetzt als Gruß an alle anderen Lebewesen, denen diese Schiffchen auf ihrem Weg begegneten.

Man glaubte, daß alle Pflanzen und auch die Bäume eine Seele haben, die nun in der dunklen Zeit besonders tief schlief. Um ihnen nun auch mitzuteilen, daß das Licht neu geboren wurde, ging man hinaus und klopfte ganz sanft an die Stämme der Bäume, befreite sie von Eis und Schnee und brachte ihnen Segenssprüche, um den Schutz gegen das rauhe Wetter zu verstärken. Dann wurden kleine Säckchen mit Gebäck, Salz und Brot an die Bäume gehängt, um die Baumgeister zu erfreuen, ihnen die Verbundenheit zu bekunden und gleichzeitig um eine gute Ernte im nächsten Jahr zu bitten. Ebenfalls wurde ein Julbaum mit Sternen, aus dem Stroh der letzten Ernte gefertigt, geschmückt, als Erinnerung an die Unsterblichkeit der Natur und als Bitte für eine gute Feldernte im nächsten Jahr. Dies geschah allerdings draußen, der Baum wurde nicht etwa gefällt und ins Haus geschleppt. Immergrüne Pflanzen wie die Nadelbäume, die Mistel oder der die Stechpalme wurden in der dunklen Jahreszeit zum Hoffnungsträger als Zeichen, daß nicht alles in der Natur stirbt, sondern daß es Pflanzen gab, die stark genug waren, ihre Farbenpracht auch über die dunkle Zeit hinaus zu tragen.

Page 26: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Lichterbäume, Efeu, Kiefernzweige und Stechpalmen versinnbildlichen mit ihrem Grün, das wiederkehrende Leben mit jedem neuen Zyklus. Das Grün in den Häusern erinnert an das Überleben der Natur unter der Schneedecke des Winters. Es symbolisiert den Keim des neuen Anfangs. Wenn man unter einem Mistelzweig stand, durfte man sich küssen. Es galt der Glaube, daß ein Mann, der eine Frau unter einem Mistelzweig küßt, diese Frau im nächsten Frühjahr zu seiner Braut machen würde.

Inmitten der kahlen Jahreszeit hoffte man mit all dem Grün, daß der Frühling bald wieder Einkehr hält. Nun wußte man, daß die kalte, nahrungsarme Zeit bald zu Ende gehen würde, und in Vorfreude auf die Fülle des Sommers holte man das Beste der gelagerten Vorräte aus dem Schrank. Rundtänze wurden aufgeführt, Lieder gesungen und Geschichten erzählt. Es war eine Zeit der Geschenke, der Feierlichkeiten und der Freude. Die Sonne war zurückgekehrt, das Leben konnte weitergehen.

Der Bezug zu den Ahnen macht Jul zum bedeutendsten Familienfest, das mit einem Festmahl gefeiert wird, bei dem auch die Ahnen symbolisch mit am Tisch sitzen. Dies verdeutlicht man am besten durch den nordischen Brauch des jóladrekka (Jultrinkgelage) mit Trinksprüchen auf die Ahnen. Traditionell gehört dazu das jólaöl (Julbier) ursprünglich Ale, im vom Lagerbier beherrschten Mitteleuropa meist Bockbier, oder Met.

Statt eines Julfeuers oder Julbocks wurden ab dem späten 18. Jahrhundert die Kerzen des Julbaumes entzündet, der dann tatsächlich im Haus aufgestellt wurde. Das Fällen und Schmücken des Weihnachtsbaumes leitet sich noch vom Julbock ab. Als moderner Heide kann man sich dieses Brauchtum aneignen und den Baum mit roten Kugeln oder Äpfeln als Sinnbild für das Leben und mit goldenen Kugeln als Sinnbild für das neugeborene Licht schmücken. Ein Stern in der Spitze des Baumes erinnert an die Sonne, die Kerzen an die Bedeutung des Lichtes für die Natur. Schöner ist es natürlich, kein Baumleben zu opfern und statt dessen, so wie ganz früher, einen lebenden Baum draußen zu schmücken.

Der Lichterbaum ist der immergrüne Weltbaum Yggdrassil, der nun erstrahlt. Er ist die harmonische Vereinigung von lebendigem Grün und Licht, die Verbindung des Grüns der Vegetation mit dem hellen Glanz des Sonnenlichts. Der Baum ragt zum Himmel, nach oben, zum Licht, zur Sonne. Seine Wurzeln sind im Erdreich, in der Tiefe, im Finstern verankert. Beides gehört wesentlich zum Baum dazu. Das sinnlich Wahrnehmbare des Baumes ist nur ein Teil, die Wurzeln müssen verborgen sein, soll der Baum nicht verdorren. Diese ökologischen Zusammenhänge schwingen in der Sitte des Julbaumes mit. Der Julbaum ist durch bronzezeitliche Felszeichnungen von Tannen oder Fichten bei Sonnenfesten belegt.

Der Weihnachtsbaum ist selbst heute in seiner geläufigen Gestalt nicht überall üblich. Im Mölltal (Kärnten) steht der Baum nicht in der Stube, aber zu beiden Seiten des Haustores steht ein Fichtenbaum, dessen bändergeschmückter Wipfel bis über den First reicht. Sehr oft stellt der Kärntner Bauer ein einfaches, ungeschmücktes Fichtenbäumchen in die Ecke des Gehöftes oder zwischen Wohnhaus und Stall, vielfach auch auf den Brunnen oder auf den Düngerhaufen, dem der Baum nach der Volksanschauung besondere Kraft verleiht.

An der gleichen Stelle stand der Baum einst auch im skandinavischen Norden, denn dort errichtete man zu Weihnachten die "Julrönn". Ein Ebereschenzweig wurde mit seinen gabeligen Enden zusammengebunden und in diesem Kreisrund geschmückt. Wie in Kärnten die "Weihnachtsachsen" zu beiden Seiten des Tores stehen, so bringt der schwedische Bauer links und rechts vom Gartentor auf einer hohen Stange Tannenwipfel an, auf die Garben für die Vögel gebunden werden. Die einstige schwedische Sitte, zwei Tannenbäume vor dem Hauseingang zu kreuzen, ist schon durch skandinavische Runenkalender bezeugt, die damit den Beginn der Weihnachtszeit anzeigen.

Page 27: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Aber auch die Kärntner Sitte, den Brunnen in den Rauhnächten mit einem Baum zu schmücken, kehrt in anderen Landschaften wieder. Im Elsaß richten die Mädchen am Neujahrstag am Brunnen eine Tanne auf und schmücken sie mit Eiern und Bändern. Am Abend wird der Schnee weggekehrt, und die Jugend tanzt unter Gesang um den Baum. Auch hier wird also das Sinnbild des neuen Lebens mit einem besonderen Tanze umkreist. Ebenso tanzt man im Mai und zur Sonnwende um den geschmückten Brunnen, der manches Mal auch mit Lichtern geziert wird.

Im Gegensatz zu den anderen Festen des Jahres, wo Festbaum und Blüten im Freien stehen, bringt man sie zu Weihnachten meistens in die Stube. In Schweden wurde früher einfach eine Eberesche ohne jeglichen Schmuck ins Haus gestellt. In Thüringen brachte man schon am 30. November Zweige dieses Baumes in die Stube, die dann am Weihnachtsabend geschmückt wurden. Von den Laubbäumen wurde die Eberesche wohl wegen der roten Früchte zum winterlichen Festbaum. Meist wählt man dafür immergrüne Bäume und Sträucher, so in Salzburg Eiben- und Wacholderzweige für die Perchtelboschen (Perchtenbüschel).

An die Stelle des immergrünen Zweiges, der häufig mit Früchten geschmückt wird, tritt oft der blühende Zweig. Zweige eines Obstbaumes werden gepflückt und bis Weihnachten in Wasser oder feuchten Sand gestellt. Am häufigsten wählt man Kirschen- und Weichselzweige, zuweilen aber auch Linde und Flieder, die dann geschmückt werden.

Bis ins neunzehnte Jahrhundert war es üblich, selbst einen großen Baum ins Zimmer zu pflanzen, damit er zu Weihnachten grüne und blühe. In die Zweige wurden überdies Kerzen gesteckt. Zu diesen vielfältigen Formen gesellen sich noch künstliche Bäume aus Zweigen, Stämmen und Früchten, aufgebaut wie das ostfriesische Weihnachtsgestell, die Weihnachtspyramide und der Klausenbaum.

spirituell: Man feiert Jul als freudiges, aber besinnliches Fest. Wie Weihnachten auch ist Jul unter anderem ein Fest der Versöhnung, des Friedens und der Freude. Jul ist ein guter Zeitpunkt, um planerisch in die Zukunft zu schauen. Manchmal versucht man auch vorauszusagen, was der Frühling bringen wird, und es werden Traditionen aufrechterhalten.

Es ist ratsam, sich der kommerziellen Hektik des Weihnachtsfestes zu entziehen und nach den Wurzeln der alten Bräuche zu suchen. Was einem davon gefällt, kann man in seine Variante des Festes einflechten. Man sollte sich über seine Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte für das neue Jahr klar werden. Es ist natürlich auch nichts gegen Geschenke einzuwenden - solange diese einen Sinn und Nutzen haben.

magisch: In Ritualen ehrt man die Erde beziehungsweise Natur als Mutter und heißt ihren neugeborenen Sohn, die Sonne, willkommen. Es ist eine gute Zeit, um das Haus durch ein reinigendes Räucherungsritual von allen negativen Einflüssen zu befreien. Traditionell werden alle Lichter gelöscht, damit man die Dunkelheit noch einmal richtig spürt, und dann feierlich neu entzündet.

Wer mag (und genügend geschickt ist), kann das Feuer auch kultisch entzünden, indem er einen Hartholzstab (Eiche) im Loch eines Weichholzscheites (Ulme) schnell dreht. Dazu kann man einen Bogen zu Hilfe nehmen. Der Stab steht dabei für das männlich-aktiv-phallische, die Öffnung für das weiblich-passiv-empfangende Prinzip, welches den Zeugungsakt versinnbildlicht, aus dem das Licht wiedergeboren wird. Die entstehende Glut wird mit Zunder und vorsichtigem Anblasen zum Entzünden gebracht. Hiermit wird das eigentliche Feuer, das sogenannte Notfeuer, in Brand gesetzt. Die Flammen werden mit Jubel begrüßt und damit ist die Kraft der Sonne auf die Erde geholt. Von diesem Feuer zündet man Kerzen, Fackeln etc. an, die man mit nach Hause nimmt und

Page 28: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

damit dort symbolisch das Herdfeuer anzündet.

Ein weiteres schönes Jul-Ritual besteht darin, sich am Morgen des 22. Dezembers zum Zeitpunkt des Aufgangs der neu geborenen Sonne Kraft für ein neues Projekt zu wünschen, das im Laufe des Jahres mit der zunehmenden Sonnenkraft wachsen soll.

1.5.3. Imbolc (Lichterfest)

Namen: Imbolc, Imbolg, Kerzenfest, Lichterfest, Lichtmeß, Disenopfer, Disenblod, Disablod, Fröblót Kategorie: Hauptfest, Mondfest zu Vollmond, keltisch Datum: beweglicher Feiertag am 2. Jahresvollmond (um den 1. Februar) Astrologischer Zeitpunkt: Sonne ca. 15° (Mitte) im Wassermann Bedeutung im Jahresrad: Wintermitte, Beginn der Wachstumszeit Christliche Entsprechung: Lichtmeß Art des Feiertages: Kerzenfest, Lichterfest, Fest der Reinigung und der Fruchtbarkeit Symbole: Kerze, Herdfeuer, Milch, Schneeglöckchen

Bedeutung: Imbolc ist der Tag zwischen der Wiedergeburt des Lichts und der Manifestation des Lebens an sich. Es wird mit Reinheit, Unschuld und den jungen, frischen Trieben im Winterfrost assoziiert. Was zur Wintersonnewende geboren wurde, beginnt sich zu festigen. Nur wer seine Nase zu früh herausstreckt, wird sich mit den bevorstehenden Frühjahrsstürmen und den letzten Frösten auseinandersetzen müssen.

Es ist also auch eine Zeit des Stillhaltens, des Wartens. In dieser Zeit sind die meisten Wintervorräte aufgebraucht. Es ist also wichtig, mit den verbleibenden Reserven sorgfältig und bedacht umzugehen, wohl wissend, daß es mit Riesenschritten auf die lichtvolle Jahreszeit zugeht.

Zu Imbolc ist das Licht soweit vorangeschritten, daß das Abendbrot bereits bei natürlichem Licht eingenommen werden kann. Endlich endet die Zeit, in der man morgens im Dunkeln das Haus verläßt und abends im Dunkeln heimkommt. Das Licht hat über die Dunkelheit gesiegt. Das erste Frühlingslicht wird mit Fackeln und Kerzen begrüßt und so verstärkt.

Imbolc feiert das dank der weiblichen Fähigkeiten zu gebären, zu ernähren und zu schützen wieder in Gang kommende Leben. Aber nicht nur das Leben auf der Erde, auch das Sonnenlicht kommt zurück. Anfang Februar werden die Tage merklich länger (verglichen mit der Wintersonnenwende um rund eine Stunde und zwanzig Minuten). Das Heranwachsen der Sonne und das damit verbundene Versprechen neuen Lebens wird ebenso gefeiert.

Das erste Frühlingslicht wird mit Fackeln und Kerzen begrüßt und verstärkt, um die Reise der langsam aufsteigenden Sonne zu beschleunigen. Die Menschen entzünden zur Unterstützung der wachsenden Sonne und des Lichts und ihr zu Ehren eine (meist weiße) Kerze in der Abenddämmerung im Haus oder in der Wohnung, um sie die Nacht hindurch bis zur Morgendämmerung brennen zu lassen.

etymologisch: Es gibt viele Schreibweisen für "Imbolc", aber diese hier ist die vorherrschend international anerkannte, weil sie angloamerikanisiert ist. Das Wort "Imbolc" entstammt wahrscheinlich dem keltischen "óimelc", "imolg" beziehungsweise "imbulc", welche sich von "oi" (kelt.: Schaf), und "melcg" (kelt.: Milch) herleitet. Das heißt, Imbolc definiert den Frühlingsanfang als den Zeitpunkt,

Page 29: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

ab dem die Mutterschafe für die ersten Lämmer Milch produzieren.

Einer anderen Interpretation zufolge bedeutet Imbolc übersetzt "im Balg" (im Bauch) und meint, daß kurz vor der Geburt stehende neue Leben in der Natur, im Schoß der Erde, aber auch das Ausbrüten (schwanger gehen) neuer Pläne und Ideen. Nur ist es noch zu früh, um diese Pläne zu zeigen und umzusetzen, sie sind noch nicht spruchreif.

Imbolc ist auch bekannt als "Lichtmeß" (engl.: Candlemes). Der Ursprung der Bezeichnung "Lichtmeß" ist nicht eindeutig überliefert. Die eine Möglichkeit ist die Abstammung vom mittelhochdeutschen "mezzen" (verkünden, ankündigen), also die Verkündung des beginnenden Lichtes. Die zweite Möglichkeit kommt vom Wortstamm "mezz" (trennen, abschneiden - heute noch zu finden in Begriffen wie Metzger, Steinmetz oder Gemetzel) und wird so interpretiert, daß man das (künstliche) Licht wieder "missen", also wieder ohne Kerzen leben kann.

Der nordische Name Disablod oder Disenblod bedeutet Disenopfer. Der altschwedische Name Fröblót bedeutet Opfer für Freyr und weist diesen Gott im Norden als Schutzherrn des Festes aus.

Zeitpunkt: Imbolc ist ein Vollmondfest und daher ein beweglicher Feiertag, der am 2. Vollmond des Mondjahres gefeiert wird. Annähernd ist dies der Vollmond um den 1. Februar. Manche feiern Imbolc aber auch am 14. Februar als heidnische Form des Valentinstages. Übrigens feiert man Imbolc auch in Australien und Neuseeland, aber durch die jahreszeitliche Verschiebung auf der Südhalbkugel erst um den 1. August.

Jahresrad: Im Jahresrad steht Imbolc für den Zeitpunkt, an dem das Licht schon wieder deutlich kräftiger und die Tage länger geworden sind. Man merkt jetzt, daß das Licht allmählich die Oberhand über die Dunkelheit zu gewinnen beginnt. Doch noch sind die Nächte länger als die Tage, aber das junge Licht gibt Hoffnung auf den bald endenden Winter. Dennoch ist die meteorologische Wintermitte die kälteste Zeit des Jahres, aber die Hoffnung auf das wachsende Licht wärmt innerlich.

Natur: Die Tage werden schon merklich länger, doch die Nacht ist immer noch länger als der Tag. Es ist die kälteste Zeit im Jahr und meteorologisch die Wintermitte. Zu dieser Zeit bedeckt meist Schnee und Eis die Natur. Imbolc ist der allmähliche Beginn des Frühlings, denn das neue Leben ruht noch im Schoß der Erde, beginnt sich aber schon zu zeigen.

Die Keime des letzten Jahres schlummern im Bauch der Erde, fangen aber bereits an zu wachsen. Man sieht sie noch nicht, aber sie sind da und beginnen mit ihrem Wachstum nach oben zum Licht. Die Saat der letzten Monate geht auf. Die Herrschaft des Winters wird jedoch schon durch wärmende Sonnenstrahlen geschwächt, welche die Schneeglöckchen und Krokusse aus der weißen Pracht hervorschauen lassen. In der ländlichen Gemeinschaft freut man sich über die Geburt der ersten Lämmer.

Imbolc ist ein Wendepunkt des Jahres, an dem die Wachstumszeit beginnt. Die ersten Schneeglöckchen leuchten weiß und versprechen den Frühlingsbeginn. Die Schneeschmelze hat begonnen, und mit wilder Kraft sprudeln die Bergbäche die Hänge hinab, vereinigen sich mit den Flüssen und erfüllen das ganze Land mit sehnsuchtsvoller Erwartung und Leben.

Page 30: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Heiden: Imbolc ist ein Synonym für die junge Sonne, kurz nach ihrer Wiedergeburt zu Jul (Wintersonnenwende, 21. Dezember). Der gehörnte Sonnengott ist noch ein Kind, das heranwächst. Dazu passend ist auch die Milch als Symbol dieses Festes, repräsentiert durch die frühe Milch der Schafe. Es ist Zeit, das Heranwachsen des Sonnengottes und das damit verbundene Versprechen neuen Lebens zu feiern. Auch die Erde tritt wieder in ihre Jugendphase ein und reift bis zum Ausbrechen des Grüns. Die Göttin wird als unschuldiges junges Mädchen in Weiß dargestellt, welches die Reife erst zu Beltane (um den 30. April) erreichen wird.

Germanen: Man feierte Imbolc zu Ehren jener Götter, deren Aspekte die Schmiedekunst, die Dichtkunst und die Heilung sind, besonders aber ist es ein Fest des Gottes Thor, der zu dieser Zeit die Eisriesen erschlagen hat, und der Göttin Iduna, die den Asen mit goldenen Lebensäpfeln die verjüngende Lebenskraft schenkt.

Es wurde auf einem Berg kultisch ein Feuer entzündet. Aber auch Freyr, dem Licht und Fruchtbarkeitsgott, war dieses Fest gewidmet. Dazu wurde eine Puppe aus Stroh oder Heu auf einem Berg angezündet, die den Winter symbolisierte, als Zeichen von dessen Niederlage. In lärmenden Umzügen wurde der Winter ausgetrieben und der kommende Frühling begrüßt. Das Vieh wurde mit Haselnuß- und Birkenzweigen berührt, damit es fruchtbarer werden sollte.

Das Mahl zum Disenopfer fand noch am hellen Abend statt und es wurde für die Disen ein Opfergedeck mit aufgetragen. Während dem Mahl galten die Trinksprüche vor allem Freyr, Iduna, der Erdgöttin Gerða, den Disen und den Ahnen.

Kelten: Imbolc war das Fest der keltischen Göttin Brid, die später im Zuge der Christianisierung zur heiligen Brigid oder Brigit umbenannt wurde. Brid ist eine dreifaltige Göttin der schönen Künste, der Inspiration, der Schmiedekunst und des Feuers, sowie Schutzpatronin der Ärzte und Hebammen. Imbolc wurde mit rituellen Reinigungen, Opfern und Pferdewettläufen zelebriert. Man entzündete nächtliche heilige Feuer, die Kraft und Hitze der Lebenskraft symbolisieren sollten aber auch den Werkstoff des Schmiedes und die Triebkraft der Inspiration. Die Kelten feierten an diesen Tagen die Rückkehr des Sonnenlichts nach dem langen Winter.

Brid besaß eine rein weibliche Priesterschaft, möglicherweise wurden Männer vom Kult ausgeschlossen. In der Hand hielt sie strahlendes Licht, daß sie aus sich herausgebracht hat, als Symbol für die Sonne. Dargestellt wurde sie zu Imbolc als junge Frau ganz in Weiß mit einem Lichter- beziehungsweise Kerzenkranz auf dem Kopf. Das englische Wort "Bride" (Braut) wird dem Ursprung nach auf Brid zurückgeführt. Das Schneeglöckchen wurde als Brids heilige Pflanze verehrt, da es den Sieg über den Winter verkündet und wie die Göttin Weiß trägt.

An ihrem Schrein, in der Irischen Stadt Kildare, unterhielt eine Gruppe von 19 Priesterinnen eine ewige Flamme, um Brid zu ehren. Sie wurde auch wegen der Kraft ihres Feuers verehrt. Die Flamme wurde auch mit der eigenen Sexualität gleichgestellt. Brid verkörperte für Frauen die unerschrockene, offene Sexualität und der sichere Ausdruck ihrer sexuellen Energien. Sie wurde auch wegen ihres Wissens um sexuelle Geheimnisse geachtet. Imbolc ist auch das Fest für die Belange der Frauen, der Familie und des Heimes.

Zu Imbolc waren die Kelten immer sehr beschäftigt. Es wurde Brot gebacken und Butter gemacht, denn für die Kelten waren Brot und Butter heilig. Auch die keltische Handarbeit fand zum Imbolc-Fest immer ihren Höhepunkt.

Page 31: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Alle Riten, die heute in Irland offen zelebriert werden, sind Mischformen aus altreligiösen und heidnischen Bestandteilen. Noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts war es in irischen Dörfern Sitte, daß sich zu Imbolc vor allem junge Frauen in antike Kleider hüllten, um das Bild der heidnischen Brid durch die Gassen zu tragen. Sie gingen dabei von Haus zu Haus und bettelten um Geld für die arme Brid, Brigid oder Biddy. Die Almosen kamen der Gemeinde zugute, zumal die Leute gern gaben, denn eine Spende für Brid brachte Glück. Auch das kommende Wetter wurde nach diesem Tag bestimmt. Schien die Sonne, kam der Winter noch einmal zurück, gab es Regen, hatte der Winter keine Chance mehr.

Ein anderer Brauch wurde im schottischen Hochland und in Cornwall praktiziert. In Nottinghamshire zum Beispiel wurde eine Kerze auf die Wiege neben dem Altar gestellt, und der Pfarrer schaukelte das letzte Kind, das getauft wurde (unverkennbar ein heidnisches Wiedergeburtsritual, das die Kirche übernommen hatte). Es erinnert an die Tradition von Brigids Bett, bei der die Herrin des Hauses und ihre Dienerinnen ein Getreidebündel nahmen, es als Frau verkleideten und in einen großen Weidenkorb legten, neben dem ein Knüppel lag. Dann riefen sie "Brigid komme! Sei willkommen, Brigid!" Dies geschah kurz bevor alle zu Bett gingen. Am nächsten Morgen suchten die Frauen nach Fußspuren in der Herdasche, um zu sehen, ob Brigid in der Nacht gekommen war.

Christen: Die Tradition des Imbolc findet sich im christlichen Mariä Lichtmeß wieder. An dem Tag werden alle Kirchen-Kerzen für das kommende Jahr gesegnet, die dann zu allen möglichen Gelegenheiten entzündet werden. Auf speziellen Kerzen befand sich früher sogar ein Pentagramm, welches dann gegen Hexen und Zauberei wirken sollte.

Die katholische Kirche versuchte, Imbolc und Brigid auszulöschen, indem sie einfach das christliche Lichtmeß darüberstülpte und es als Reinigungsfest erklärte. In der Bibel steht, daß eine Frau nach der Geburt eines Kindes unrein ist. Sie muß sich nach jüdischem Gesetz 40 Tage danach einem speziellen Reinigungsritus unterziehen, um wieder in die Gemeinde aufgenommen werden zu können.

Die christliche Auffassung ging sogar soweit, daß sich Frauen nach der Geburt eines Sohnes 40 Tage, aber nach der Geburt eines Mädchens 80 Tage reinigen mußten. Frauen wurden als doppelt so unrein angesehen wie die Männer.

Das kirchliche Fest Mariä Lichtmeß bezieht sich auf Maria, weil zu diesem Zeitpunkt seit der Geburt Jesu (theoretisch) 40 Tage vergangen sind. So paßte die Lage von Imbolc ungefähr ca. 40 Tage nach Jul beziehungsweise Weihnachten der Kirche ganz gut ins Konzept. Auch hier ist der Reinigungsaspekt dieses Festes nicht zu übersehen. Später wurde durch ein Konzil versucht, Mariä Lichtmeß abzuschaffen, da die "Jungfrau" Maria durch die Geburt Christi angeblich keine Befleckung erlitten hatte und deshalb auch nicht gereinigt werden müsse.

Die keltische Göttin Brigid wurde von der Kirche zur Heiligen erklärt (was für ein Abstieg für eine Göttin), nachdem sie nach wie vor vom Volk verehrt wurde. Der Papst wollte lieber eine christliche Heilige verehren lassen als eine heidnische Göttin. Aus Brigid wurde somit Bridgit oder Brigitta. Sie wurde als Nonne in den Geschichtsbücher verewigt, die ein Kloster in Kildare gegründet haben soll. Ironischerweise war genau dieses Kloster in Kildare wegen seiner Heilungswunder und Fruchtbarkeitsmagie bekannt. Die daraus entstandene irische "Heilige" Brigitta von Kildare, die am 1. Februar gefeiert wird, ist daher unhistorisch, hat nie existiert und ist nur ein Pseudonym für die Göttin Brigid. Die Nonnen in der Gefolgschaft der Heiligen Brigid sind natürlich die gleichen Frauen, die bereits vor Jahrhunderten die heilige Flamme bei Kildare hüteten.

Page 32: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

historisch: Mit Imbolc pflegte das Schottische Jahr zu beginnen. In Irland begann jetzt das Pflügen. Es ist auch der Zeitpunkt des Festes des armenischen Feuergottes Mihr. Von dem Brauch, den Winter mit Lärm und Mummenschanz endgültig zu vertreiben, rührt der heutige Karneval her, der ebenfalls in diese Zeit fällt. In altrömischer Zeit pflegten um Imbolc herum die Priester des Pan, die Luperci, nackt bis auf einen Lendenschurz aus Ziegenleder, durch die Gassen zu laufen und mit ihren Ziegenlederriemen jeden zu schlagen, der ihnen begegnete - vor allem verheiratete Frauen, die dadurch Fruchtbarkeit erlangen sollten.

Brauchtum: Als Sinnbild für das erste aufkeimende Leben in der Natur zündet man bei Abenddämmerung eine Kerze an, die bis zum frühen Morgen bei Sonnenaufgang des nächsten Tages brennen soll. In früheren Jahren wurden in der Winterzeit vor Imbolc die Kerzen der Familie gefertigt und zu Imbolc geweiht. Diesem Wachs wurde hohe Schutzkraft zugeschrieben. Auch heute ist es schön, eine selbstgemachte Kerze zu verwenden.

Diese Kerzen wurden in Notsituationen, bei Geburten, am Krankenbett oder in Sterbesituationen angezündet, um den Schutz und die Unterstützung der geistigen Welten zu erhalten. Eine zehnfach höhere Wirkung wurde diesen Kerzen zugesprochen, wenn Imbolc auf einen Sonntag fiel. In der Imbolc-Nacht wurden ebenfalls die Bienenstöcke gesegnet, in denen der Wachs für die Kerzen entstand. Vielerorts werden auch heute noch Lichterprozessionen von Kindern durchgeführt. Sie verkörpern die Unschuld des Neubeginns.

Am Marktplatz versammelten sich die Männer des Dorfes, um mit dem Knallen ihren Peitschen die bösen Geister des Winters zu vertreiben (Aperschnalzen). Oft unter Lärmen, mit Besen und magischen Räucherungen wurden die Geister des nahezu vergangenen Winters aus dem Haus getrieben. Ein Brauch der sich heute noch in den Umtrieben zur Faschingszeit wiederfindet.

Aus Westfalen sind Frauentänze überliefert, bei denen die sich nähernden jungen Männer eins mit der Holundergerte übergezogen bekamen. Die Zeit zum Freien (Beltane) ist noch nicht gekommen, denn Imbolc ist das Fest der Reinheit und Unschuld. Allerdings lauschten die jungen Mädchen schon in die Zukunft und fragten sich, was für einen Ehemann sie wohl erhalten würden. Ein alter Brauch war es, daß die jungen Mädchen in dieser Nacht vor das Dorf gingen und auf das Hundegebell warteten. Aus der Richtung, aus welcher der Hund bellte, sollte der spätere Freier auftauchen.

Im alten Europa wurde Imbolc mit einer Lichtprozession gefeiert um die Felder vor der Pflanzzeit zu reinigen und zu düngen und den Göttern und Geistern der Landwirtschaft zu danken. In früher Zeit fiel das Festmahl des Tages in der Regel karg aus. Man aß das, was von der Ernte im letzten Jahr übrig geblieben war, also getrocknete Früchte, Stockfisch, Getreide. Wer mag, kann nach alter Sitte einen Beutel oder ein Glas voller Samen segnen und über Nacht im Mondlicht stehen lassen. Die Samen werden dann bis Ostara (21. März) aufbewahrt und dann gepflanzt.

Die Pflanzen von Imbolc sind die Birke und das Schneeglöckchen. Das Schneeglöckchen stößt seine Blüte durch den Schnee. Die weiße Blüte und das Weiß des Schnees stehen für Reinheit, die Pflanze selbst für das erste Wachstum in der Pflanzenwelt. Die Birke mit ihrem weißen Stamm ist ebenfalls ein Symbol für Reinheit. Traditionell wurden an diesem Tag die neuen Dienstboten eingestellt, die im Frühjahr und Sommer benötigt wurden, ein Zeichen der leise beginnenden Betriebsamkeit.

Page 33: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

spirituell: Imbolc bezeichnet den Zeitpunkt für neu hereinströmende Lebenskraft und Lebensfreude, Abstand vom Alten und Verstaubtem. Die winterliche Zurückgezogenheit weicht dem Herausgehen. "Februum" (lat.: Reinigung oder Versöhnung) benennt diesen Monat ebenfalls als Monat der Säuberung. Imbolc ist eine Zeit der Läuterung, der Reinigung, der Heilung und der Mäßigung. Die Fenster werden geöffnet, alles wird gereinigt. Das Haus wird geputzt, Staub, Spinnweben und Dreck werden ausgefegt, man spürt förmlich, wie ein frischer Wind durch das Jahr streicht.

Nicht mehr Benötigtes wird verbrannt und mit dieser durch das Feuer transformierenden Reinigung trennt man sich von Belastendem, um so die frische Aufbruchskraft nicht unnötig zu schwächen. Man sollte die eigenen Gedanken endgültig vom nutzlosen Ballast des vergangenen Jahres reinigen und die vom Winter eventuell verdunkelte Seele durch einen meditativen Lichtstrahl ausleuchten, um die eingeschmuggelten inneren Dämonen zu vertreiben.

Selbst Hausschmuck, Gebinde und alles übriggebliebene Grünzeug von der Jul-Feier vom vergangenen Jahr werden verbrannt, da sich in ihnen Kräfte, Geister und Kobolde der Vergangenheit verbergen könnten (stellvertretend für psychische Altlasten). Man kann das Lichtbringen durch das endgültige Verbrennen unterstützen.

Loslassen, Aufbruch, Reinigung und Vorfreude auf den bevorstehenden Zyklus lassen die Herzen höher schlagen. Altes ist verarbeitet, sowohl mental als auch materiell und jeder wartet auf die bevorstehenden Erfahrungen. Neue Entschlüsse werden geplant, man nimmt Abschied von Ungewolltem und schmiedet Pläne für die Zukunft. Es ist ein guter Tag, um die eigenen Erwartungen und Wünsche an das kommende Jahr einer bäuerlichen Aussaat von Samen gleich in die Erde des Lebens zu säen.

Imbolc wird leise und besinnlich gefeiert, die abends entzündete Kerze spricht im Stillen vom zarten anfänglichen Licht. Imbolc ist ein Fest der Stille - in der Stille kann man das zarte Licht des Februars am Besten erfahren, das sanfte Licht einer Kerzenflamme spricht in der Stille zum Herzen. Es ist außerdem ein Vorbereitungsfest auf das große Ritual der zu Ostara folgenden Frühlings-Tag - und Nachtgleiche. Für manche ist es der Beginn einer rituellen Reinigungszeit, sowohl für das Haus als auch für den Körper. Manche beginnen eine sechswöchige Fastenzeit.

magisch: Imbolc ist ein besinnliches Fest des erwachenden Lichts und der erwachenden Kräfte. Zum Zeichen der Reinigung kann man den Ritualort vorher mit dem Besen kehren. Als Opfer bietet sich frische Milch an, mit der man auch den Ritualkelch füllen kann. Man kann der Natur, den Disen oder auch Göttern wie Freyja, Perchta oder Brigid Milch opfern, stellvertretend für die Mutterliebe, die man selbst empfangen hat.

Rituelle Speisen zu diesem Anlaß sind traditionell alle getrockneten, eingemachten oder anders auf natürliche Weise konservierten Nahrungsmittel, so wie man sie früher zu dieser Zeit hatte. Imbolc ist auch die Zeit, in der viele junge, neue Hexen ihre Weihe empfangen.

Page 34: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5.4. Ostara (Frühlingsfest)

Namen: Ostara, Ostern, Frühlingsfest, Vogelfest, Frühjahrsäquinoktium, Eostre, Alban Eiler, Summer Finding, Sígrblót Kategorie: Nebenfest, Sonnenfest zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche, germanisch Datum: 21. März (kalendarische Schwankungen zwischen 20. und 22. sind möglich) Astrologischer Zeitpunkt: Sonne 0° (Anfang) im Widder Bedeutung im Jahresrad: Frühjahrs-Äquinoktium, Frühlingsanfang Christliche Entsprechung: Ostern Art des Feiertages: Frühlings-Tagundnachtgleiche, Frühlings- und Vogelfest Symbole: Hasen, Schwalben, erblühte Weidenzweige und Eier

Bedeutung: Ostara, das zunehmende Äquinoktium, bezeichnet meteorologisch den Frühlingsanfang und ist traditionell die Mitte des Frühlings, der Tag der Ausgeglichenheit zwischen Licht und Dunkelheit, wenn der Frühling die Umwelt mit einem wiederbelebendem Wachstum erwachen läßt.

Zu diesem Fest steht der Kampf zwischen Winter und Sommer, zwischen Hell und Dunkel im Mittelpunkt, den die Sonne schließlich im weiteren Jahresverlauf gewinnt. Die Sonne ist herangewachsen, der dunkle Winter hat verloren und muß nun seine Macht abgeben. Mit nun jedem weiteren Tag nimmt die Kraft der Sonne zu, bis sie sich zu Beltane (um den 30. April) mit der Erde vereint, um neues Leben zu schaffen. Es ist die Zeit des Flirts, des Liebäugelns, Neues wächst zusammen. Es ist ein Fest des Anfangs, des Aufbruchs, des Beginnens, des Morgens.

etymologisch: Der Name des Festes stammt von Ostara (auch Eostrae), der germanischen Frühlingsgöttin. Das Wort Ostara entspringt der gleichen sprachlichen Quelle wie das lateinische "Aurora", das griechische "eos" und das indoeuropäische "aus" und bedeutet ursprünglich Schein oder Glanz. Es hängt mit dem althochdeutschen Monatsnamen "ostarun" zusammen.

Die Theorie, der Name könnte mit dem altnordischen "ausa" (Wasser) oder "austr" (begießen) und damit primär mit der Taufe zusammenhängen, kann aufgrund der Etymologie des Wortes zumindest als fragwürdig bezeichnet werden, da das altnordische "austr" vorrangig für "Osten" steht. Ostara bedeutet anzunehmenderweise "die Strahlende", stand für den Osten und den Sonnenaufgang (Morgendämmerung, vergleiche Aurora) und wird heute auch so gedeutet. Von ihr stammt auch der heutige Festname Ostern, obwohl die Kirche behauptet, daß die Benennung für Ostern nur daher kommt, daß die Sonne im Osten aufgeht, nicht aber von einer heidnischen Göttin.

Es gibt auch Theorien, welche den Ursprung der Göttin Ostara in der babylonischen Ishrar oder Astarte vermuten, oder auch in der ägyptischen Aset (die erst durch die Griechen ihren heute bekannteren Namen Isis erhielt).

Der keltische Name "Alban Eiler" (gesprochen: Alwan Ei-ier) bedeutet übersetzt "das Licht der Erde", weil das Leben wieder aus der Erde hervorgekommen ist. Im englischen ist es auch als "Summer Finding" (Sommer-Gründung) bekannt. Das germanische "Sígrblót" bedeutet Siegopfer und weist auf die nun wieder beginnenden Kämpfe hin, die in der Kälte des Winters nicht oder nur schlecht möglich waren.

Zeitpunkt: Ostara wird am 21. März gefeiert, zum Zeitpunkt der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche (Äquinoktium), die den Frühlingsbeginn darstellt. Da es ein Sonnenfest ist, bleibt es ein Fixdatum. Der fränkische Name "Ostarmanoth" für April weist darauf hin, daß das Fest dort früher in diesem

Page 35: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Monat stattfand. Im modernen Asatru fällt der Termin für Ostern entweder auf die Tag- und Nachtgleiche oder auf den Vollmond danach.

Jahresrad: Ostara ist die Frühlings-Tagundnachtgleiche, d.h. Tag und Nacht sind genau gleich lang. Aber von nun an wird der Tag stets länger sein als die Nacht. Das Licht hat gesiegt, und es ist die Zeit, um die Rückkehr der Sonne zu feiern, die Rückkehr des Lebens und das Sprießen der ersten Blumen. Als erstes Sonnenfest nach den Rauhnächten ist das Frühlingsäquinoktium dem jungen Licht und Leben geweiht. Man feiert die Wiedergeburt der Natur aus dem Todesschlaf des Winters, das Erwachen der lebensspendenden Kräfte und die neue Kraft und Fruchtbarkeit, welche die Natur der Welt jetzt schenkt.

Natur: Ostara ist die Zeit des Gleichgewichts zwischen Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht. An diesem Tag sind deren Kräfte ausgeglichen. Ostara symbolisiert die Rückkehr des Lebens. Das Eis und der Schnee sind geschmolzen, die Tiere erwachen von ihrem Winterschlaf. Neugeborene Tiere kommen heraus, um die Welt zu erkunden.

Der Wind ist nicht länger kalt, und die Pflanzen zeigen bald ihre Knospen. Nach dem langen, erholsamen Schlaf des Winters erwacht die Erde zu neuem Leben und kleidet sich in frisches Grün. Nun ist der Frühling deutlich sichtbar geworden. Überall sprießen Blumen und auch im Menschen selbst werden körperliche und sexuelle Kräfte und Energien wach.

Heiden: Der Winter ist nun endgültig besiegt, und der junge Lenz kann über das Land tanzen. Die Sonne als gehörnter Sonnengott ist nun der unbändige Jugendliche, der sich seiner Kraft mehr und mehr bewußt wird, sie aber noch nicht weise benutzt. Er ist schön, stark, leidenschaftlich und wild. Er wird langsam zum Krieger und erhält jetzt seine Waffen. Er weiß aber, daß er sich von der Dunkelheit des Winters völlig trennen und um jeden Preis auf seinen eigenen Füßen stehen muß. Wenn der Winter sich dessen widersetzt, und noch einmal zurückkehrt, dann kann dies verheerende Folgen haben.

Die Erde als Göttin trägt noch immer Weiß. Als Jugendliche hat sie nun ihre Fruchtbarkeit erlangt, ist aber noch unschuldig. Gott und Göttin begegnen sich zum ersten Mal, doch bleibt es noch beim Kennenlernen und scheuen werben bis Beltane (um den 30. April). Die Zeit der Hochzeit ist noch nicht gekommen, aber es wird eifrig geflirtet.

Germanen: Ostara gilt als die germanische Göttin des strahlenden Lichts und des wiederkehrenden Frühlings, der Erneuerung, des beginnenden Lebens, des Neuanfangs. Ihr heiliger Baum ist die Birke, ihre heiligen Tiere sind Hase und Marienkäfer. Geopfert wurden ihr unblutige Opfer wie Brot und Eier. Sie steigt im Osten aus dem Meer auf, in ein goldschimmerndes Gewand gehüllt, trägt gelbe Schuhe und zarte Blumen. Keime brechen unter ihren Schuhen hervor, wenn sie über die Erde geht.

Wenn sie über das Land fliegt, hinterläßt sie überall die Eier eines neuen Lebens und ihr Fruchtbarkeitstier, den Hasen, woher der Brauch der Eiersuche und der Glaube an den Osterhasen rührt. Das Ei als Symbol der Fruchtbarkeit wird mit den bunten Farben des Frühlings geschmückt.

In der Edda finden sich allerdings keine rechten Hinweise auf eine Göttin namens Ostara, weshalb ihre Existenz beziehungsweise kultische Verehrung immer wieder in Abrede gestellt wurde. Nur von den Angelsachsen berichtet Beda 735 in seiner Schrift "De ratione temporum" (lat.: Über die

Page 36: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Vernunft der Zeiten) von einer Göttin Eostrae, der zu Ehren im Ostermond Kultfeiern veranstaltet wurden. In der griechischen Mythologie findet sich dazu eine lautliche und begriffliche Entsprechung in der Göttin Astraea. In Skandinavien entspricht die Göttin Ostara wahrscheinlich der Iðunn (Iduna).

Die Frühjahrstagundnachtgleiche symbolisierte auch für die Germanen die Zeit des Übergangs vom Kind zum Jugendlichen und somit den Beginn der menschlichen Sexualität. Nach nordischer Mythologie vereinigt sich Nerthus, die Göttin der Fruchtbarkeit, mit Njörd und gebiert zu dieser Zeit den Fruchtbarkeitsgott Freyr. Neben Freyr bestimmen auch Freyja, die fruchtspendende Vanin, und der Ase Thor, der Sohn der Erde, dieses Fest.

Zu früheren Zeiten wurden die Eier rot angemalt, der Farbe des frischen Blutes der Göttin Ostara. Das frische, hellrote Blut galt ebenfalls als Zeichen besonderer Fruchtbarkeit. Junge Mädchen, die zu Ostara ihre erste Monatsblutung bekamen, wurden besonders verehrt. Ihr Blut galt als heilig. Es wurde aufgefangen und zum Segen der Ernte in einem Ritual der Erde übergeben, um die Fruchtbarkeit der Felder magisch zu verstärken. Später wurden die Eier in den Farben der Natur bemalt, wobei jede benutzte Farbe eine rituelle Bedeutung hatte.

Das spezielle Festfeuer sollte bevorzugt mit einem Stein geschlagen oder noch besser durch ein Brennglas entzündet werden, um die Kraft der Sonne auf die Erde zu holen. Frauen durften früher an diesem Ritual eigentlich nicht teilnehmen, weil die phallische Macht Freyrs und Thors auf die Teilnehmenden übergehen sollte.

Ostara war auch die Zeit der Umzüge zu Ehren der Vanen und Ingwy-Freyrs. Dabei wurden Statuen der Gottheiten mitgeführt, die jeder berühren sollte, um die Fruchtbarkeit auf sich zu übertragen. Bei diesen Umzügen wurden keine Waffen getragen, denn sie waren dem Leben und dem Frieden gewidmet. Ein Überbleibsel sind die heutigen Ostermärsche für den Frieden. In rituellen Spielen wurde der Kampf zwischen Sommer und Winter dargestellt, den der Winter verliert während sich der Sommer eine Braut wählt.

Ostara wurde in Skandinavien auch Sigrblót (Siegopfer) genannt, weil jetzt wieder die Zeit der im Winter wegen der Kälte ruhenden Kämpfe begann. Es war deshalb angebracht, an diesem Fest dem Siegvater Óðinn (Odin) und dem Bezwinger der Frostriesen þórr (Thor) zu opfern. Dazu konnten dann auch Schwerter und Speere rituell verwendet werden. Beim Várþing (Várthing) wurden traditionell die jungen Männer in den Kreis der Krieger aufgenommen.

Kelten: Für die Kelten war Alban Eiler, die Zeit um den Frühlingstag, an dem Tag und Nacht genau gleich lang sind, eine eigene, fünfte Jahreszeit, die sie auch "Die blühende Zeit" nannten. Alban Eiler ist beherrscht von der warmen Märzsonne, die neues Leben hervorbringt, und der heilige Vogel dieser Zeit war der Schwan, der als Braut des keltischen Sonnengottes Lugh galt.

In der keltischen Tradition ist dieses Fest das Fest der britischen Seegöttin Morgana, auch Morgan Le Fay genannt. Rituell ist dieser Feiertag der Königin von Avalon und dem Feenland geweiht. Es ist die Zeit der Elfen, Feen, Zwerge und der Verehrung ihrer Plätze. Die Dolmen, Menhire oder Findlinge, welche als die Wohnstätten des kleinen Volkes angesehen werden, symbolisieren die Verbindung zur Unterwelt, aus welcher zu dieser Zeit die Kraft der Erneuerung wieder aus der Erde steigt und sich mit der Kraft der Sonne verbindet.

Die Kelten schauten zwischen der Morgendämmerung und dem frühen Vormittag nach zurückgekehrten Zugvögeln aus, um diese als gutes Omen für das weitere Jahr zu deuten. Ostara war auch das Fest Taliesins, des Barden, aber auch das Fest des Frühlings und des Lebens, das in

Page 37: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

die Welt zurückgekehrt ist. Dieses Fest wurde rund drei Tage lang gefeiert. An diesen Festtagen wurden die Pflanzen und Bäume für das Jahr gesegnet und die neue Saat ausgesät.

Christen: Wenn verbreitete heidnische Bräuche nicht ausgemerzt werden konnten, ging die Kirche stets so vor, daß sie diesen einen christlichen Anstrich verlieh. Was Ostara betrifft, so war die Umwandlung besonders einfach. Es wurde von der christlichen Kirche als Ostern beibehalten, als sie ihr Passah-Fest auf den Frühlingsvollmond verlegte und Jesus Christus zu Ostern auferstehen ließ.

Dadurch wurde der Sinn des Festes von der Kirche radikal verändert, indem sie es zum Fest des Todes und der Trauer (Karfreitag) machte. Die Freude über die aufgehende Sonne und das Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf wurde in die Freude über die aufgehende Sonne der Gerechtigkeit bei der Auferstehung Christi aus dem Grab verwandelt.

Von allen christlichen Festen wird keinem eine so große Bedeutung beigemessen wie dem Osterfest. Der Historiker Sokrates Scholastikos schrieb im 5. Jahrhundert u.Z. in seinem Werk über Kirchengeschichte: "Mir scheint, das Osterfest hat über irgendwelche alte Sitten in die Kirche Eingang gefunden, so, wie sich zahlreiche andere Bräuche gehalten haben."

Bestimmte Elemente von Ostara, wie das Begegnen von Mädchen und Jungen im scheuen Flirt und das Ausschauhalten nach einem Partner finden sich außerdem im zeitlich nicht allzu weit entfernten Valentinstag wieder.

historisch: Geht man geschichtlich weit zurück, so stößt man in der schamanische-naturreligösen Götterverehrung auf Feiern, welche in dieser Nacht besonders den Fruchtbarkeitsaspekt der Göttinnen hervorheben. Auch die Inkas und Azteken kannten die besondere Bedeutung im Jahreskreislauf, welche sie genau aus ihren astronomischen Kalendern entnehmen konnten. In der Kultur der alten Ägypter war diese Nacht der Göttin Isis geweiht.

Das Färben der Eier ist nicht nur eine alte nordische, sondern bereits schon eine ägyptische, griechische, römische und persische Tradition. Man färbte die Eier mit Naturprodukten wie Zwiebelschalen, Blauholz, gefärbten Stoffetzen und Stechginster. Eier standen für die eingekapselte Welt, und die Vorstellung vom Weltenei läßt sich in vielen antiken Kulturen finden.

Die Abhängigkeit vom Mondkalender bei der Festlegung von Ostern ist noch heidnischer Abstammung, obwohl Ostern heute meist nicht mehr zum richtigen, dem alten, rituellen Zeitpunkt gefeiert wird, sondern am Sonntag nach dem der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche folgenden Vollmond. Trotzdem sind viele heidnische Bräuche integriert worden.

Brauchtum: Früh morgens am Vogelfest des Frühlings ging das Volk hinaus, um nach Zugvögeln Ausschau zu halten. Die heutigen Osterspaziergänge mögen noch ein Relikt dieser Tradition sein. Wenn heimkehrende Vögel gesichtet wurden, wurde anschließend geschmaust und gefeiert. Wenn die Hühner und die anderen Vögel nach der eierlosen Winterzeit wieder damit begannen, Eier zu legen, galt das als sicheres Zeichen für den Frühling und die neu beginnende Fruchtbarkeit.

Hierdurch ist auch der Brauch des Eiersuchens zu Ostern entstanden. Die früher nicht eingesperrten Hühner legten diese ersten Eier natürlich irgendwo in der Gegend ab, also blieb den Menschen nichts anderes übrig, als diese zu suchen. Die heutige Verbindung von Eiern und Küken zu dieser Zeit ist einer der vielen Überreste der alten Kultur. Viele alte Osterbräuche sind fast schon vergessen, so auch die kultischen Ballspiele und spiralförmigen "Reigentänze", welche einst den

Page 38: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Kampf und Sieg des Frühlings über den Winter darstellten.

Zu Ostara feiert man die Fruchtbarkeit und das endgültige Ende des Winters, den man nun langsam satt hat. Gleichzeitig wurden die Felder vorbereitet. Dies geschah in einem Segnungsritual, der Feldweihe. Traditionell wurden Osterfeuer auf allen Hügelkuppen im Land entzündet. Alle Äcker, von denen aus das Osterfeuer gesehen werden konnte, sollten dadurch von den Göttern beschützt und gesegnet werden. Die Asche des Osterfeuers wurde auf die Felder gestreut, um diese fruchtbarer zu machen.

Ein Sonnenrad aus Holz (Wagenrad), mit Stroh und grünen Zweigen umwickelt, wurde gebaut, am Osterfeuer entzündet und brennend von Hügelkuppen zu Tal gerollt. Es kündete den Sieg der Sonne über den Winter an und sollte symbolisch die Kraft und die Wärme der Sonne auf die Erde bringen. Heute ist es wahrscheinlich angebrachter, Fackeln an dem brennenden Sonnenrad zu entzünden und diese in einem Zug umherzutragen.

Die Feldweihe wird vielerorts auch heute noch durchgeführt. Dazu werden die Felder vom Bauern abgeschritten und an jeder Ecke des Feldes heilige Kräuter, meist Pfefferminze, Schlüsselblume und Äste des Weidenbaumes, zusammen mit einer Kerze in den Boden gesteckt. Während des Rituals bittet man um eine reichhaltige Ernte und um Schutz für die Felder.

Der Hase als Begleiter der Ostara ist eindeutig ein Symbol heidnischen Ursprungs. In der biblischen Ostergeschichte gibt es auf einen Hasen natürlich keinerlei Hinweis. Als christliches Auferstehungssymbol im Zusammenhang mit dem Osterfest findet sich der Hase frühestens seit dem 4. Jahrhundert. Die Germanen kannten es schon viel früher, und sie machten den "sich zur Sonne reckenden" männchen-machenden Hasen zum Frühlingssymbol.

Ferner ist der Hase weltweit als Emblem des Mondes (Meister Lampe) aufzufassen. Im Sanskrit bedeutet das Wort für Mond "Hasenträger". Die Inder und auch die Japaner glauben in den Schatten des Mondes einen Hasen beziehungsweise ein Kaninchen erkennen zu können. Demnach würde der "Osterhase" schlicht den Ostermond, den österlichen Vollmond bedeuten. Das "Osterei" stünde entsprechend für die Erde, das "Weltenei" zur Osterzeit, bunt gefärbt wird es zum Sinnbild der Lebenserneuerung, der aus dem weißen Winter neuerstehenden Natur.

Es gibt eine Theorie, nach der in druidischer Tradition ursprünglich Schlangeneier, zu Ehren des Sonnengottes rot gefärbt, Verwendung fanden, da die Schlange ein Fruchtbarkeitssymbol ist. Erst später wurden sie durch Hühnereier ersetzt. Ein historischer Beleg ist dafür jedoch nicht bekannt.

Der Glaube, der Hase bringe die Ostereier, ist erst relativ spät in Deutschland niedergeschrieben worden und scheint auch dort entstanden zu sein. In einem Grab in Worms wurde ein Ei gefunden, welches mit schwarzen und roten Streifen bemalt war und wahrscheinlich eine ähnliche Aufgabe erfüllen sollte, wie die Äpfel, die oft als Grabbeigaben gefunden wurden. In Deutschland wurden die Eier früher in Dornbüschen und Hecken versteckt, sodaß die suchenden Kinder entweder Tapferkeit oder Einfallsreichtum an den Tag legen mußten, um sie zu erlangen. Die Dornen symbolisieren hier den Dorn des Erwachens im Gegensatz zum dunklen Dorn des Schlafes. Das Suchen von Eiern ist in Deutschland, Amerika, Dänemark, Jugoslawien, der Schweiz und in Teilen von Frankreich üblich.

Eier werden auch ausgeblasen, bemalt und zum Schmuck der Häuser verwendet. Diese Eier wurden das ganze Jahr über aufbewahrt, um das Haus und den Besitz vor Unheil zu schützen. Das Hochwerfen und Auffangen eines rohen Eies, ohne das es beschädigt wird, bringt nach dem Volksglauben großes Glück für das kommende Jahr.

Page 39: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Zum Osterfest geschöpften Wassers (Osterwasser) sagt man eine reinigende, heilende und weihende Wirkung nach. Das Wasser steht ebenfalls als Sinnbild für das neue Leben. In Schottland werden noch heute die Quellen und Brunnen festlich geschmückt und rituell einer Weihe unterzogen. Von den heidnischen Gottheiten wurden früher die fruchtspendende Vanin Freyja und der Ase Thor als der Sohn der Erde besonders gefeiert.

spirituell: Ostara ist eine gute Zeit, sich an Personen oder Versprechen zu binden. Aber es ist auch eine gute Zeit, sich von Altem endgültig zu lösen und etwas Neues anzufangen. Gedanken, Träume und Wünsche in dieser Zeit sollen besondere Beachtung finden und in Erfüllung gehen. Die Schwere der dunklen Jahreszeit lichtet sich, und die Lebenslust nimmt wieder zu.

Unterstützt von den Kräften und Strömungen der Jahreszeit beginnen auch die Projekte der Menschen zu wachsen. Nun werden die Planungen der letzten Wochen in die Tat umgesetzt. Frisch erblühte Weidenzweige, Eier und Hase sind Festsymbole.

magisch: Das Äquinoktium ist eine Zeit des Gleichgewichts, da alle Elemente im Menschen zu neuer Harmonie finden müssen. Es bietet sich an, dieses Fest als erstes nachwinterliches Fest im Jahreskreis in der freien Natur zu feiern. Man kann mit frisch erblühten Weidenzweigen hinausziehen. Als Ritualwasser schöpft man nach Möglichkeit das Wasser einer Quelle.

Ein schönes Ritual ist es, sich am Ritualplatz mit der Erde zu verbinden und ihr zu opfern, indem man die Weidenzweige in den feuchten Boden steckt. Wenn die Zweige dort in der nächsten Zeit wurzeln und neues Leben hervorbringen, gilt dies als gutes Zeichen für das weitere Jahr. Das zeremonielle Mahl kann zum Beispiel aus leichtem Weißwein, hellem Brot, frischen Salaten und - natürlich - Eiern bestehen.

Page 40: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5.5. Beltane (Feuerfest)

Namen: Beltane, Feuerfest, Blumenfest, Beltaine, Walpurgis, Walpurgisnacht, Hohe Maien Kategorie: Hauptfest, Mondfest zu Vollmond, keltisch Datum: beweglicher Feiertag am 5. Jahresvollmond (um den 30. April, die Nacht zum 1. Mai) Astrologischer Zeitpunkt: Sonne ca. 15° (Mitte) im Stier Bedeutung im Jahresrad: Mitte des Frühlings, als Wendepunkt Beginn der Reifezeit Christliche Entsprechung: Maifeiertag Art des Feiertages: Fest des Feuers, der Blumen und der Liebe, auch Walpurgisnacht Symbole: Feuer, Blumen, Maibaum

Bedeutung: Beltane bildet als Hauptfest die Achse zu Samhain, welche das Jahr in eine helle beziehungsweise dunkle Seite, einen Jahrestag und eine Jahresnacht, ein Sommer- und ein Winterhalbjahr teilt. Ab Beltane steigt die Sonne weiter bis zur Sonnenwende, und die helle Jahreshälfte beginnt. Mensch und Vieh können endlich die beengende, düstere Behausung verlassen. Von jetzt ab spielt sich das Leben wieder im Freien ab.

Beltane (auch Walpurgisnacht genannt) gilt als der höchste Feiertag unter den Hexen. Diese trafen sich aus allen Teilen des Landes, um ein wildes und ekstatisches Fest zu feiern, wobei sie angeblich nackt um ein Feuer tanzten. Den Hexen wurde schon immer sehr viel magisches Wissen, ebenso wie Heilkraft und die Kunst des Orakelns zugesprochen.

Dadurch waren sie den Menschen unheimlich, und deshalb hat die Walpurginacht für den Durchschnittsmenschen auch so einen gruseligen Aspekt, obwohl sie nichts anderes als das eigentlich fröhliche Maifest ist, das Fest der Reinigung und der Fruchtbarkeit, der Zeit der Stärke und Reife, der Liebe und Lebensfreude. Beltane symbolisiert den Wunsch nach Kindern, nach fruchtbarer Erde und nach fruchtbarem Vieh.

etymologisch: "Beltane" bedeutet "Feuer des Bel" (vom gallischen Gott Belenos), wird heute in Heidenkreisen aber allgemein mit "leuchtendes Feuer" oder "glückbringendes Feuer" assoziiert, denn der Gott Bel ist "der Leuchtende". Belenos ist der keltische Lichtgott, der dem germanischen Balder (Baldur) entspricht. Manche sehen in Belenos auch eine Verbindung zum Gott Baal (hebr.: Herr) des Mittleren Ostens.

Beltane ist ein alter keltischer Name für dieses Fest und ist abgeleitet vom irisch-gälischen Wort "Bealtaine" oder dem schottisch-gälischen Wort "Bealtuinn", die beide dasselbe bedeuten. Im modernen Irischen bedeutet Beltane einfach Mai.

Walpurgisnacht ist eine Bezeichnung in Ahnlehnung an die heilige Walpurga beziehungsweise Walburga (siehe Christen).

Zeitpunkt: Beltane wird am 5. Jahresvollmond nach dem der Wintersonnenwende folgenden Neumond gefeiert. Als Annäherungsdatum wird der Vollmond um den 30. April angenommen. Viele Heiden und Hexen schließen sich aber auch dem Volksbrauch an und feiern einfach ohne Rücksicht auf die Mondphase am 30. April in den Mai.

Jahresrad: Beltane ist als Mitte des Frühlings auch der Übergang vom Frühling zum Sommer. Es ist auch als Cetsamhain (Gegen-Samhain) bekannt weil Beltane im Jahresrad Samhain genau gegenüber liegt

Page 41: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

und die helle Jahreshälfte einleitet, Samhain dagegen die dunkle. Samhain und Beltane enthalten eine Reihe paralleler Punkte, allerdings unter unterschiedlichen Vorzeichen.

Zu Samhain muß in Feld und Flur alles abgeräumt, zu Beltane, spätestens bis zum ersten Kuckucksruf, der Weizen im Boden sein. Zu Samhain kommt das Vieh von der Sommerweide zurück, zu Beltane treibt man es hinaus. Zu Samhain gehörte die Pacht bezahlt, Knechte und Mägde kamen nach Hause, zu Beltane wurde die Pacht speziell für Weide- und Grasland ausgemacht und wer immer eine Möglichkeit dazu hatte, verdingte sich auf den reicheren Höfen zur Sommerarbeit. Samhain war ein beliebter Hochzeitsmonat, zu Beltane wurde davon abgeraten, denn Babies, die im Juni zur Welt kamen, hatten eben bessere Chancen als Januarkinder. Das Feuer zu Samhain besitzt vorwiegend Schutzcharakter, das zu Beltane ist vorwiegend ein Freudenfeuer.

Natur: Im Mai lebt die Natur auf. Das zarte Grün des Frühjahrs wird ersetzt durch die kräftigen Farben und Blüten des jungen Sommers. Wenn das Wetter wärmer wird und alle Pflanzen blühen, herrscht ein ausgelassenes Gefühl. Die Tiere des Waldes sind nun besonders aktiv und laut. Alle freuen sich darüber, daß die Natur in voller Fruchtbarkeit und voller Blüte steht.

Die Birken leuchten schon seit Tagen in der Pracht ihres frischen, hellen Grüns und auf dem Waldboden blühen bald die Maiglöckchen. Aber noch ist die Wärme mild und die Erde duftet frisch, die Sonne schmunzelt eher, als daß sie lacht, und der Wind ist angenehm lau.

Für die damaligen Bauern brach die Natur auf, die Sonnenkraft nährte und stärkte alles. Die Leichtigkeit griff um sich, und die Zeit des Mangels und des Sparens war vorbei. Nun begann wieder die Zeit, in der man direkt von der Natur versorgt wurde und nicht mehr auf das Eingemachte zurückgreifen mußte. Die Heuernte ist das erste Geschenk der Natur an die Menschen, und es ist die Zeit des Viehaustriebs, bei dem das Vieh auf die frischen Weiden kommt.

Heiden: Der Maibaum, um den die Leute tanzen und der ihnen Fruchtbarkeit verspricht, ist zugleich phallischer Repräsentant des Weltbaums und Symbol für die maskuline Kraft der Sonne, die in den vaginal-symbolischen Blumenring an der Spitze eindringt, der für die weibliche Erde mit ihren nährenden Kräften steht. Manche sehen aber auch das Loch im Boden, durch den der Maibaum in die Erde eindringt, als femininen Aspekt an.

Es werden die untrennbaren Kräfte der Sonne und der Erde symbolisiert. Mutter Erde (die Göttin) wird von der Sonne (dem gehörnten Sonnengott) befruchtet. Die Sonne zeugt sich selbst, weil sie weiß, daß sie das Jahr nicht überleben wird, doch im Leib der Erde wächst ihr neues Ich heran und wird in der dunkelsten Nacht des Jahres, zum Julfest (21. Dezember), wiedergeboren. Somit ist die Sonne in der Erde unsterblich, denn wenn sie stirbt, ist die Erde bereit, ihr wieder neues Leben zu schenken.

Der Sonnengott ist zum Mann herangereift, die Göttin zur Frau. Sie tritt nun in ihre fruchtbare Reifephase ein und wird als gebärfähige Frau in Rot dargestellt. Die Bindung zwischen Beiden hat sich seit Ostara noch gefestigt, und beide geben nun ihrem Begehren nach, vermählen und vereinigen sich, um die nächste Inkarnation des bald sterbenden Sonnengottes zu zeugen.

Germanen: Einer Quelle zufolge ist diese Nacht der teutonischen Erdmutter Walburg gewidmet, anderen Informationen zufolge haben sich die nordischen Götter Odin und Frigg (oder Freyja) symbolisch, sexuell vereinigt und damit ein fruchtbares Jahr geschaffen.

Page 42: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Das Fest war der Göttin Frigg geweiht, der Herrin über Magie und Liebe, aber auch der Vanengöttin Freyja. Beide stehen hier für Fruchtbarkeit und Zeugungskraft. Der Überlieferung zufolge brennt in der Walpurgisnacht eine blaue Flamme über vergrabenen Schätzen. Das Feuer hat in dieser Nacht eine besondere magische Kraft. Es kann dazu verwendet werden, böses wyrd (altnordisch: Schicksal) abzuwenden oder Tiere durch seinen Rauch zu segnen.

Bei den Germanen fanden Jungfernversteigerungen statt, wo sich die jungen Männer ihre Braut ersteigern konnten. Natürlich mußten die Mädchen nicht teilnehmen, alles geschah auf freiwilliger Basis. Junge Paare wälzten sich nackt im Tau auf der Wiese, um die Fruchtbarkeit der Natur auf sich zu übertragen.

Bei den Waldhochzeiten verbrachten junge Männer und Frauen die ganze Nacht im Wald um den Sonnenaufgang am ersten Maimorgen zu begrüßen und sie kamen am nächsten Morgen mit Blumen und Blumengirlanden zurück ins Dorf um es zu schmücken. Die Kirche versuchte dieses Treiben zu unterbinden, und erst lange nach dieser Zeit ersetzte sie das alte heidnische Handfasting durch ihre Form der Heirat.

Kelten: Beltane war für die Kelten das Fest des Lichtgottes Belenos. Es wurde mit riesigen Lagerfeuern gefeiert, um das Wiedererstarken der Sonne nach dem Winter zu begrüßen. Diese großen Feuer sollten mit ihrer Wärme den unterirdisch schlafenden Erddrachen aufwecken, der mit seiner Kraft die Fruchtbarkeit der Äcker und des Viehs sichert.

Die alten Kelten zelebrierten ihr Feuer- oder Blumenfest auf verschiedene Art und Weise. Einige trieben Tierherden durch zwei große Feuer hindurch. Damit wurde die reinigende Kraft des Feuers symbolisch dargestellt, welche die Tierherden vor Krankheiten schützte. Im Beltane-Ritual feierten die Kelten außerdem die Vereinigung der Göttin Cerydwen mit dem gehörnten Gott Cerunnos. Ihre Vereinigung brachte neues Leben auf die Erde.

Aber nicht nur die Götter vereinigten sich in der Beltane-Nacht, sondern auch die Menschen taten es ihren Gottheiten in freier Natur gleich. Für die Kelten war dies alles natürlich - das Leben war heilig, der Körper war heilig und auch die Vereinigung zwischen Mann und Frau war heilig. Beim Maitanz tanzten die jungen Menschen die ganze Nacht um das große Feuer, sangen und jubelten und erfreuten sich des Lebens.

Christen: Der Kirche war das freizügige Beltanefest natürlich ein besonderer Dorn im Auge. Es wurde aus verständlichen Gründen vom Volk auch viel zu gern auf traditionelle Art gefeiert, als daß eine radikale Einverleibung möglich gewesen wäre. Also versuchte man es zu verdammen, in dem man die "sündigen" Frauen als Hexen und den oft auf dem Fest dargestellten gehörnten Gott als Teufel darstellte (dieser war aber der keltische Cerunnos oder der Hirtengott Pan und stand nur für die Männlichkeit, hatte aber mit dem Teufel nicht das geringste zu tun). Doch das fruchtete nicht so recht und hatte lediglich die Auswirkung, daß Beltane als Walpurgisnacht zum bekanntesten Hexensabbat wurde, seine Faszination beim Volk aber beibehielt.

Die Kirche erklärte daraufhin die Walpurgisnacht zum Feiertag der englischen Heiligen Walburga (oder auch Walpurga). Sie war eine angelsächsische Missionarin, die 710 der südenglischen Grafschaft Dorset im angelsächsischen Königreich Wessex geboren wurde. Sie war die Tochter des heiligen Richard von England und der heiligen Wunna (Schwester des heiligen Bonifatius). Sie hatte fünf Geschwister, u.a. den heiligen Willibald (später Bischof von Eichstätt), der wie sie selbst Missionar war, und Wunibald.

Page 43: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Es wird angenommen, daß Walburga wie viele ihrer Verwandten sehr jung vermutlich in das Doppelkloster Wimborn, das Hauskloster der Königs von Wessex, gegeben wurde. So hat Walburga ihre Jugend in einem Kloster verbracht, das nicht nur durch die Härte seiner asketischen Disziplin glänzte, sondern auch offen war für das angelsächsische Geistesleben (griechische und römische Literatur).

Um 748 wurde sie von ihrem Onkel Bonifatius nach Deutschland berufen den sie auf seiner Mission dorthin begleitete. Dort weilte sie im Kloster Tauberbischofsheim, geleitet von ihrer Verwandten Lioba. Es gilt es als sicher, daß Walburga 761 als Äbtissin das 751 von ihrem Bruder Wunibald gegründete Benediktiner-Männerkloster in Heidenheim übernahm und es nach Gründung eines Frauenklosters zu einem Doppelkloster erweiterte.

Man weiß nicht genau, wann Walburga starb, die letzten sicheren Aufzeichnung ihres Wirkens stammen aus dem Jahr 777. Falls man der Eichstätter Klostertradition Glauben schenkt, nach der sie am 25. Februar, und zwar an einem Donnerstag, verschieden sein soll, kämen als Todesjahr 779 oder 780 in Betracht. Verschiedene Gründe geben dem Jahr 779 den Vorzug. Sie ist also etwa 70 Jahre alt geworden. Nach ihrem Tod fiel das Benediktiner-Doppelkloster an den Bischof von Eichstätt, nämlich ihren Bruder Willibald, zurück.

Der Gedenktag der heiligen Walburga ist danach ursprünglich der 25. Februar, ihr vermutlicher Todestag. Nach ihrem Tode fand ihre Person wenig Beachtung, was durch die Auflösung des Klosters zu erklären ist. Sie soll um 880 dem Bischof Otgar von Eichstätt erschienen sein und sich beklagt haben, daß sie von den "schmutzigen Füßen der Werksleute täglich getreten werde".

Nach dem Chronisten Wolfhard war es ein Zufall, der zur Entstehung des Walburga-Kultes beigetragen hat. Es war der Einsturz der nördlichen Kirchenmauer, der Bischof Otgar veranlaßte, Walburgas Gebeine zu erheben und sie feierlich an einem 21. September nach Eichstätt in die Kreuzkirche (die später Benediktinerinnen-Abtei wurde) zu überführen. Mit der Elevation und Translation der Gebeine wurde ihre Heiligsprechung vollzogen und damit der eigentliche Grund zur Verehrung gelegt.

Walburga ist mit ihrem Onkel Bonifatius eine der Schlüsselfiguren der christlichen Frühzeit des Frankenreiches und eine Persönlichkeit der sakralen Politik und Gesellschaft des abendländischen Mittelalters. Eine Ballung der Verehrungsorte findet man im nördlichen West- und Mitteleuropa. In Deutschland, Österreich, Südtirol, der Schweiz, der Niederlande, Belgien und im Norden Frankreichs häufen sich die Patroninnen und Reliquienstätten der Heiligen. Hier galt sie als Schutzheilige gegen die Normannengefahr des 9. und 10. Jahrhunderts.

Vor 1069 überführte Bischof Anno die Hirnschale und den Reisestab der Heiligen in das Kloster Walberberg (bei Bonn). Sie werden bis heute in der dortigen Pfarrkirche verehrt. Die Adelsgeschlechter machten Walburga zur Hausheiligen. Später galt sie auch als Schutzheilige gegen wikingische Piratenhaufen, die meist von Rheindelta aus Frankreich, Flandern und die Niederlande terrorisierten.

Im Spätmittelalter, als Seuchen und Unterernährung verbreitet waren, wurde die Heidenheimer Äbtissin zur Nothelfer- und Spitalheiligen, wozu das auch heute noch zu bestimmten Zeiten an ihrem Schrein sich bildende sog. "Walburga-Öl" beitrug. Wie das gesamte Wallfahrts- und Reliquienwesen am Ausgang des Mittelalters eine wuchernde Blüte zeigte, so stieg auch der Walburgakult, der bis zum heutigen Tage seine Bedeutung behalten hat.

Ihr Namenstag wird am 25. Februar oder auch am 1. Mai gefeiert, und sie wurde als Beschützerin vor Zauberei und Hexerei angerufen. Dem Volksglauben nach versammelten sich die Hexen

Page 44: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

während der Walpurgisnacht auf dem Brocken (Harz) oder dem Blocksberg und feierten ihre Zusammenkunft mit dem Teufel. Ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen der heiligen Walpurga und der Walpurgisnacht ist nicht bezeugt.

Die Tatsache, daß Walpurgis die Nacht der großen heidnischen Feiern war, versuchte man dann kirchlicherseits so zu erklären, daß die heilige Walpurga so fromm war und so um die Reinheit der Frauen bemüht war, daß der Teufel ihren heiligen Tag ganz besonders entweihen will. So wurde sogar die Ursache der Datierung ins Gegenteil verkehrt.

Wieder einmal wurde ein Versuch der Christen unternommen, einen hohen heidnischen Feiertag für sich zu vereinnahmen und das heidnische, sexuell geprägte Festtreiben zu verteufeln. Im Valentinstag finden sich ebenfalls Elemente, die an Beltane erinnern.

Die Prozession zu Pfingsten ist ein seit der griechischen Antike als Pentekoste bekanntes Datum, das nicht nur für 50 Tage nach Ostern steht, sondern sich mit Pan, dem schelmischen Gott der Lüste verbindet und durchaus für die geistige und körperliche Empfängnis steht. Mit dem Baumschmuck im Dorf, mit dem Blumenstreuen und den vielen mitgehenden Kindern ist die Bitte verbunden, den Kindersegen nicht versiegen zu lassen. Die im Marienmonat Mai abgehaltenen Marterlwege, Bitt- und Feldgottesdienste sowie Wallfahrten deuten darauf hin, daß hier ein Gegengewicht zum ausschweifenden Beltane gesetzt wurde.

Besonders Orte, die mit dem Ruf, Kindersegen hervorbringen zu können und auch unfruchtbaren Frauen zu helfen behaftet sind, werden im Mai bevorzugt aufgesucht. Marienwallfahrtsorte mit einer Quelle sind besonders beliebt. Nicht vergessen darf man, daß viele Kapellen an der Stelle alter, heidnischer Kultsteine errichtet wurden und in der Mehrzahl der Maria geweiht sind, auch nur eine Wandlung der ursprünglichen heidnischen Fruchtbarkeitsgöttinnen. Daher können es durchaus noch Orte mit besonderer Kraft sein.

historisch: Der Maibaum und besonders die um ihn stattfindenden Tänze waren bei christlichen Vertretern seit jeher unbeliebt, und er wurde während der puritanischen Herrschaft in England 1644 bis 1661 verboten. So hat also ein unübersehbares phallisches Symbol in all seiner Urtümlichkeit bis heute überlebt.

Selbst der Staat hat irgendwann dem Bedürfnis des Volkes, in den Mai zu tanzen und die Nacht zum Tag zu machen, nachgegeben und den 1. Mai zum Feiertag erklärt. Am sogenannten "Tag der Arbeit" kann man sich ausschlafen und von der anstrengenden Nacht erholen. Dieses Mal hat ein heidnisches Fest seine moderne Entsprechung im staatlichen Maifeiertag gefunden, nicht in einem kirchlichen Feiertag.

Brauchtum: Zu Beltane (auch Bealtaine) oder Walpurgis gingen die Leute (nicht nur die Hexen) auf eine Waldlichtung und entzündeten ein großes Feuer. Das Beltanefeuer wurde ursprünglich aufgeschichtet, weil die Frauen loszogen, um alte, trockene (unfruchtbare) Reisigbesen zu verbrennen, heißt es. Die Männer kamen später nach und vollbrachten auf dem Weg dorthin allerlei "männliche" Kämpfe (Balzrituale).

Der Gang zwischen zwei Beltane-Feuern reinigt und hält Seuchen fern, so der Volksglaube. Zu Beltane trieben die Druiden das Vieh zwischen zwei Feuern hindurch, um es vor Krankheiten im kommenden Jahr zu schützen. Wie zu Samhain, das am Jahresrad gegenüber liegt, steht zu Beltane die "Anderswelt" für Reisen offen. Daher ist die Walpurgisnacht ein magisches Datum und bekanntlich auch das größte Fest der Hexen.

Page 45: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Viele Beltane-Riten leben heute in bäuerlichen Maibräuchen fort. In verschiedenen skandinavischen Regionen wird diese Nacht damals wie heute ausgelassen und fröhlich gefeiert. Alle freuten sich, daß der Winter überstanden war. In langen Prozessionen wurden die Felder abgeschritten, Blumen gepflückt und die neue Fruchtbarkeit begrüßt. In Großbritannien endet zu diesem Zeitpunkt die Schonzeit für den Hasen, dem Mondtier der Fruchtbarkeit.

Auch bei diesem Fest erhält der Baum seine Beachtung, meist die Birke, manchmal auch die Weide. Ein Brauch, der von Süddeutschland bis nach Skandinavien bekannt und gepflegt ist, ist das Aufstellen des vom keltischen Baumkult übriggebliebenen Maibaums. Dieser wird gefällt, geschält, und es bleibt nur eine kleine Krone übrig. Diese wird dann unter lauten Gesängen und Tänzen von jungen Männern und Frauen mit bunten Bändern (vielleicht kommt daher der Begriff des "Anbandelns"?) und Eierschalen geschmückt, in der Ansiedlung umhergetragen ("den Mai bringen") und schließlich aufgestellt. In jedes bunte Band kann ein Wunsch eingebunden werden. Traditionell sind die Bänder grün, weiß und rot.

Die Leute tanzten lustvoll die ganze Nacht um das Feuer und den aufgerichteten Maibaum herum, sangen und tranken. Der Bändertanz war der Beginn des Fühlung Aufnehmens mit dem anderen Geschlecht. Nach heidnischer Tradition muß der Tanz um den Maibaum allerdings "widdershins", also gegen den Uhrzeigersinn (retrograd) durchgeführt werden, weil der Mond ebenfalls dieser Richtung folgt, was später von der Kirche verteufelt wurde (aus demselben Grund hatte der ebenfalls widdershins getanzte Wienerwalzer ein so verruchtes Flair).

Die Bemühung der Kirche, die Seite links zu verteufeln, findet sich noch in sprachlichen Begriffen wie "linkisch" oder "das war link", während die rechte Seite in Begriffen wie "Rechtschaffenheit", "Gerechtigkeit", "richtig" usw. vorkommt. Die rechte Hand gilt als "gute Hand". Im Spätmittelalter wurde das Tanzen gegen den Uhrzeigersinn als angebliche Entweihung heiliger kirchlicher Festtage unter Strafe gestellt.

Bei vielen Ritualen zu Beltane verteidigten die Frauen das feminine Loch im Boden zunächst gegen die Männer, die den phallischen Maibaum darin aufstellen wollten. Es war kein Kampf der Geschlechter, sondern ein mehr ein Necken und Fordern, ein erotisches Spiel, das die Sinne in Wallung bringen sollte. Auch kürte man eine Maikönigin und einen Maikönig, die Erde und Sonne und deren Hochzeit symbolisieren. Zu Beltane wurde die Vereinigung gefeiert, doch nicht nur die körperliche sondern auch die seelische.

Manchmal wurde der Maibaum auch noch eingeseift, und junge unverheiratete Männer mußten auf die Spitze klettern, um ihre Männlichkeit zu beweisen. Das Stehlen, Umkippen oder Fällen des Maibaums eines Nachbardorfes gehört zu den Traditionen, mit denen das Christentum über die heidnische Sitte siegen wollte - wie man sieht, ohne Erfolg.

Ein weiterer Brauch war der Maistrich, ein mit Farbe auf der Straße gezogener Strich zwischen den Haustüren von Verliebten oder von zwei jungen Menschen, welche die Dorfjugend gerne als Paar sehen würde. Oft verband der Maistrich aber auch aus Jux jene, von denen angenommen wurde, sie könnten sich nicht ausstehen. Die jungen Männer brachten ihrer Angebeteten auch eine geschmückte Birke als Liebesbeweis, während zickige und hochnäsige junge Frauen auch schon einmal einen Sack Sägemehl vor die Tür gestellt bekamen.

In dieser Zeit um Beltane suchten sich die jungen Frauen die stärksten und schönsten Männer, damit starke und gesunde Kinder entstehen konnten. Während im beginnenden Frühjahr die Liebespaare sanft und mit Distanz liebäugelten, war Beltane die Zeit, in der diese Liebesbeziehung nach außen bekundet wurde. Wer zu Beltane mit seiner Liebsten über das Feuer sprang, der galt als

Page 46: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

verlobt. Aber allem gemeinsam ist das ausgelassene Fest. Durch ekstatische Tänze und Gesänge wurde die Stimmung angeregt.

Und dem Höhepunkt des Festes, nach dem Sprung über das Feuer, verschwanden vor Sonnenaufgang dann nach und nach die einzelnen Pärchen und solche, die sich gefunden hatten, ganz unauffällig und mit einem Augenzwinkern im Wald und liebten sich. Rituelle Liebesakte auf den Feldern sollten die menschliche Fruchtbarkeit auf die Felder übertragen. Eine Zeit der überschäumenden Lebensfreude nahm ihren Anfang - nicht umsonst spricht man vom Wonnemonat Mai.

Man erzählt sich, daß der Morgen des ersten Mai ein magischer Moment allergrößter Kraft für das Wasserelement sei. Die Jungfrauen gingen aus, um ihre Gesichter im Morgentau zu waschen, und die Heiler sammeln "wildes Wasser" (Tau- Fluß- oder Meerwasser), das für das kommende Jahr als Basis für heilende Medikamente oder Tränke dient. Mairegen, Maitau und vor Sonnenaufgang geschöpftes Maiwasser wurden als heilend, segnend und schützend angesehen.

Sehr lange hielt sich in ländlichen Bereichen der Brauch, drei Kreuze und bestimmte Kräuterbüschel an die Stalltüren zu heften um das Vieh vor den Hexen zu schützen (dabei haben die Hexen in dieser Nacht doch ganz andere Dinge zu tun). Wie auch zu Samhain ist die "Weltendecke" zu Beltane ganz besonders dünn, und Wesen aus der Anderswelt können herüberkommen, so der Volksglaube. Alle Arten von Trollen, Riesen und Geistern seien in dieser Nacht unterwegs und es sind spezielle Segnungen für diese Nacht überliefert, die das Haus vor ihnen schützen sollen. Nach nordischem Glauben war es angebracht, Opfer für die umherziehenden Wesen nach draußen zu stellen (etwa Brot und Met).

Vielerorts ist von der Bedeutung des Maifestes leider nicht viel übriggeblieben, und häufig reduziert es sich auf ein Saufgelage. Aber vielfach wird auch heute noch "in den Mai getanzt" und die Maikönigin gewählt. In manchen Orten werden Linien auf die Straße gemalt, welche die Wohnungen von zwei Menschen verbindet, von der die Dorfjugend meint, daß diese gut zusammen passen würden. Und in der Nacht, in der die Erwachsenen mit dem Feiern beschäftigt sind, hat natürlich niemand ein Auge auf die Dorfjugend, welche diese Zeit hervorragend dafür nutzt, um allen möglichen Schabernack mit dem Hab und Gut der Nachbarn anzustellen.

Heute ist vielerorts die tiefergehende Symbolik der Maibräuche in Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Rund um den Vogelsberg in Oberhessen brannten noch um 1990 die Maifeuer zu Ehren des keltischen Gottes Belenos, für die tagelang Holz zusammengetragen und geschichtet wurde und wo man den Holzstoß rund um die Uhr bewachte, damit nicht die Jugend des Nachbarorts diesen frühzeitig abbrennen konnte.

Der Zweck dieser ursprünglich aus Eichen- und Eibenholz bestehenden Feuerstöße war Schutz vor bösen Einflüssen für Vieh und Mensch durch die reinigende Wirkung des Rauches und gleichzeitig ein Fruchtbarkeitszauber. Die Holzarbeit war in der Neuzeit brauchgemäß Sache der Burschen - doch entzünden mußten das Feuer ein Jüngling und ein Mädchen gemeinsam.

Im Verlauf der Nacht trieben die Jugendlichen als Hexen ihr Unwesen und stellten allerlei Schabernack an. Doch der Unfug ging viel zu oft, zum Teil durch Alkohol unterstützt, zu weit, so daß die Bewohner um ihr Eigentum fürchten und oft genug die Polizei bemühen mußten. Im Vorgarten abgekippte Mistwagen, zugeschraubte Scheunentore und ähnlichen Ausschweifungen überschreiten sicherlich auch den Sinn eines Feiertages.

Heute wird die mit dem Hexenflair behaftete Walpurgisnacht, neben ihrem Anlaß zu verschiedenen frauenrechtlichen Demonstrationen und Kundgebungen in Staat und Gesellschaft, von cleveren

Page 47: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Geschäftsleuten besonders in der Harz-Region als Touristen- und Freizeitspektakel vermarktet. Im ganzen Harz sind jährlich ca. 150.000 Schaulustige zum Brocken unterwegs. Ähnliche Feste finden im Berliner Umland, im Museumspark Rüdersdorf (Märkisch Oderland) und als Teil des Mittelalterfestes in Bernau (Barnim) statt.

Jede wirkliche Hexe ist dadurch zwischen lautem Lachen und Weinen hin und her gerissen. Zum einen ist es traurig, wenn Tausende makeupverschmierte und mit Plastiknasen behängte Pseudohexen die alte Kultur mit Füßen treten, zum anderen ist es doch auch ein Zeichen, daß der christlichen Kirche die Ausrottung und Einverleibung der vorchristlichen Traditionen bis heute nie ganz geglückt ist.

spirituell: Als Wendepunkt des Jahres beginnt nun die Reifezeit, in der die neuen Pläne allmählich immer mehr Gestalt annehmen und die neuen Aktivitäten des Lebens ihren Lauf nehmen.

magisch: Die Macht dieser speziellen Nacht eignet sich für Divinationen aller Art. Man kann auch rituell zum Zeichen der Fruchtbarkeit eine Rübe oder einen Kürbis pflanzen, den man dann zu Samhain benutzen kann. Auf jeden Fall gehört ein Ritualfeuer zu diesem Fest.

Viele Magier feiern zu Beltane in Fruchtbarkeitsriten die Hierosgamos (griech.: Heilige Hochzeit), die Hochzeit eines Gottes mit einer Göttin (zum Beispiel Sonne und Erde), entweder als symbolische Vereinigung durch Eintauchen von Stab oder Dolch in Kelch oder Schale oder seltener sogar als tatsächliche, stellvertretend von Menschen nachvollzogene, rituelle sexuelle Vereinigung. Die Ausgestaltung des Festes, insbesondere beim Liebesaspekt, ist aber jedem selbst überlassen.

Page 48: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5.6. Litha (Mittsommer)

Namen: Litha, Eichenfest, Mittsommer, Sommersonnenwende, Alban Heruin, Lilith Kategorie: Nebenfest, Sonnenfest zur Sommersonnenwende, germanisch Datum: 21. Juni (kalendarische Schwankungen zwischen 20. und 22. sind möglich) Astrologischer Zeitpunkt: Sonne 0° (Anfang) im Krebs Bedeutung im Jahresrad: Beginn des Sommers, Sommersonnenwende (Solstituum), kürzeste Nacht des Jahres Christliche Entsprechung: Johannistag (24. Juni) Art des Feiertages: Mittsommer, Sommersonnenwende, Fest der Eichen und der Magie Symbole: Eiche und Eichenlaub

Bedeutung: An diesem längsten Tag im Jahr gibt es Licht und Leben im Überfluß. Zum einen ist es ein Feiertag der die volle Kraft des Lebens darstellt, auf der anderen Seite ist es auch der Tag nach dem die Tage wieder kürzer werden. Man feiert im Bewußtsein, daß dem Höhepunkt im Kreislauf des Seins unweigerlich der Abstieg folgen muß, und daß auch der Mensch seinen Lebenszenit auch mal überschreiten wird. Man feiert die volle Kraft des Lebens, aber gedenkt auch der Sterblichkeit seiner Existenz.

etymologisch: Der Name Litha geht auf die gleichnamige keltische Mondgöttin zurück, die für Überfluß und Fruchtbarkeit, Macht und Ordnung steht. Das keltische "Alban Heruin" (gesprochen: Alwan Eruin) bedeutet übersetzt "Licht der Küste", denn bei den Kelten ging es bei diesem Fest um den Kreislauf des Wassers, das um die Küsten herumfließt, die Abgrenzung zwischen Wasser und Erde.

Zeitpunkt: Litha findet jedes Jahr am 21. Juni statt. Es ist die Sommersonnenwende, die astronomisch den Sommerbeginn markiert. Es ist der längste Tag, an dem die Sonne 23° oberhalb der Ekliptik im Wendekreis des Krebses im Norden den Höhepunkt ihrer Entfaltung erreicht. Das "Mitt" in Mittsommer bedeutet hier nicht die tatsächliche Mitte des Sommers, sondern einen der beiden Wendepunkte im Jahreslauf der Sonne, die an diesem Tag den Höhepunkt ihrer Kraft und Einwirkung hat, im Gegensatz zum Tiefpunkt Mittwinter.

Jahresrad: Zu Litha erreicht die Sonne mit dem längsten Tag ihre höchste Kraft und Macht, so daß der Mittsommer ein freudiges Fest ist. Von diesem Tage an schwindet sie und wird im Winter wiedergeboren werden.

Natur: Die Tage werden jetzt zwar wieder kürzer, dennoch stehen die heißesten Tage des Jahres noch bevor, denn der Hochsommer beginnt gerade erst, ebenso die Reife- und Erntezeit. Haselnuß und Walnuß wachsen im dichten Blätterdach, die Beeren der Eberesche beginnen sich rot zu färben, Kirschbäume laden zur Ernte ein. Es ist Mittsommer, und noch einmal wallt die Lebenskraft jubilierend auf.

Heiden: Zur Sommersonnenwende an Litha hat die Sonne mit dem längsten Tag und der kürzesten Nacht den Höhepunkt ihrer Bahn im Wendekreis des Krebses erreicht. Die Sonne ist als gehörnter Sonnengott auf dem Höhepunkt seiner Kraft. Aber er weiß auch, daß seine Kraft von nun an langsam schwinden wird. So überträgt er seine Kraft allmählich immer mehr der Erde, was man dadurch merkt, daß die heißesten Tage des Jahres erst noch kommen werden, in denen die Sonne

Page 49: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

mit aller Kraft auf die Erde brennt.

Die Erde nimmt als Göttin diese Kraft, die der Sonnengott ihr opfert, auf und nährt damit die Frucht, die sie im Leibe trägt, also einerseits die kommende Ernte, die auf den Feldern heranzureifen beginnt, wie auch das in ihr heranwachsende gemeinsame Kind, die nächste Inkarnation der sterbenden Sonne. Die Göttin ist immer noch die fruchtbare, jetzt schwangere Frau in Rot.

Der Sonnengott wird mit der Bitte angerufen, besonders große Fruchtbarkeit über das Land zu bringen. Zum Ausgleich zur sengenden Kraft der Sonne wird innerhalb des Mittsommer-Festes die Göttin in ihrem Aspekt des Wassers angerufen. Nur das richtige Verhältnis von Sonne (Licht und Wärme) und dem zum Wachstum nötigen Wasser läßt dem Schoß der Mutter Erde neue Fruchtbarkeit und Ernte entsprießen.

Germanen: Von der früh erkannten Bedeutung des Sonnenlaufes zeugt heute noch die Ausrichtung altgermanischer Heiligtümer auf die Sommersonnwendlinie. So findet sich bekanntlich auch das "Sazellum" am Externstein mit seinem Rundfenster in Richtung des Sonnenaufgangs zur Sommersonnwende ausgerichtet, so daß der einfallende Lichtstrahl die nördliche Halbsäule der Kammerrückwand beleuchtet.

Die Sonne (als Lichtgott Balder, der Sohn der Sonne) befindet sich auf ihrem Höhepunkt, um danach zu sterben. Der junge Balder stirbt wie die Sonne in der höchsten Blüte seines Lebens. Er wird von Loki, dem Gott der Lügen und des Feuers, mit einer Mistel umgebracht, indem er den blinden Höder dazu anstiftet, mit dem tödlichen Mistelzweig auf den strahlenden jungen Gott Balder zu zielen. Diesen konnte nichts umbringen, außer ein Pfeil aus Mistel, denn die Götter hatten allen Pflanzen erzählt, daß Balder unsterblich sei, nur die Mistel hatten sie dabei vergessen. So starb Balder an Höders nichtsahnenden Mistelpfeil. Balders Tod bedeutete das Fanal zum Untergang der Götter (Ragnarök).

Es wurden Teiche und Brunnen geschmückt, zu Ehren der Götter des Wassers und der Weisheit. Die Germanen feierten zu Litha auch die Muttergottheiten, so auch Balders Mutter Frigg. Dabei gilt, wie bei allen Festen, daß immer die Götter als Ganzheit verehrt werden, also stets alle Götter angerufen werden, auch wenn es bei jedem Fest Gottheiten gibt, mit denen es besonders verbunden ist. Bei den Germanen fand zu Litha das Thing (Parlament) statt und es wurde Gericht gehalten.

Kelten: Alban Heruin ist das keltische Eichenfest, das den Vorabend des längsten Tages markiert. Die Sommersonnenwende (kelt.: Heulsaf Yr Haf) markiert den höchsten Stand der Sonne im Jahreskreis und leitet so den Sommer ein. Auch die Eiche, als höchstes druidisches Symbol für die Sonnenbruderschaft, ist auf dem Gipfel ihrer Energie. Die Sonne zeigt ihre Kraft und die Jahreszeit ist die des Überflusses. Die zu Alban Heruin verehrten keltischen Götter sind Bel, der patriarchalische Sonnengott, sowie Danu, die keltische Mutter des Landes, die Reichtum und Überfluß verkörpert. Auch in der keltischen Tradition ist Mittsommer den Muttergottheiten geweiht.

Die Blumen sind voll erblüht, die Tage sind lang und die Nächte heiß und trocken. Die Ausgelassenheit zu Beltane hat sich zu Alban Heruin in atemlose Leidenschaft verwandelt. Hatte sich bei den Kelten ein Pärchen zu Beltane gefunden, wurde die Beziehung zu Alban Heruin gefestigt beziehungsweise wurde die Hochzeit gefeiert.

Bei den Kelten herrschte die Vorstellung, daß von der Winter- bis zur Sommersonnenwende der

Page 50: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Eichenkönig regiert, welcher zu Alban Heruin auf dem Höhepunkt seiner Macht ist und mit der Eichenkrone bekränzt wird. Gleichzeitig ist es auch der Tag seines Rücktritts, denn nunmehr tritt der Stechpalmenkönig seine Herrschaft an, dessen Stechpalmenkrone, natürlich auf Alban Arthuan deutet, die Zeit der Wintersonnenwende.

Christen: Ab dem 5. Jahrhundert wurden die von der Kirche mehr oder weniger erfolglos als heidnische Tollheiten bekämpften Sonnwendfeuer Johannes dem Täufer geweiht und somit zum offiziellen Bestandteil des Kirchenjahrs. Bei dieser Vereinnahmung kam den Christen eine Stelle des Lukas-Evangeliums (1, 26) entgegen, die es erlaubte, den "Geburtstag" des Heiligen genau ein halbes Jahr vor Christi Geburt auf den 24. Juni zu legen. Noch heute segnen in manchen Gegenden christliche Priester die derart entstandenen "Johannisfeuer" zur Sonnenwende.

In Bayern wird die Sonnwend-Feier traditionell am 24. Juni, an "Johanni", begangen. Der Juni war und ist im landwirtschaftlichen Bayern von der Feldarbeit geprägt sowie vom Auftrieb des Almviehs auf die sogenannten Hochleger, die Hochalmen. In der Johannisnacht wähnte man gute und böse Geister nah beieinander. Hexen und Geister galt es mit allerlei Abwehrmitteln zu verscheuchen, hier wiederholt sich das Thema der Walpurgisnacht.

historisch: Die Sonne als prominentester Himmelskörper wurde von den Menschen sehr wahrscheinlich sehr früh beobachtet, weswegen man in den Sonnenwenden die ältesten Feste der Menschheit vermutet. Die erste überlieferte menschliche Aufzeichnung überhaupt befaßt sich mit dem Sonnenzyklus. Es handelt sich um den "Smiling Fox bâton" (engl./franz.: Lächelnder Fuchs-Stock), ein geschnitztes Stück Hirschgeweih aus Le Placard bei Charente (Frankreich). Es ist ca. 20.000 Jahre alt und trägt Ritzmarkierungen, die mit dem Sonnenzyklus in Verbindung gebracht werden.

Die Sonnenverehrung im weiteren Sinne ist aus praktisch allen Kulturen bekannt. Eine spezielle Würdigung der Sommersonnenwende erkannten Forscher insbesondere bei den Ägyptern, altamerikanische Kulturen wie die Anasazi (400 bis 1300), die mexikanische Teotihuacan Kultur (200 bis 750), die Maya, die Azteken und die Inka. In diesen solar orientierten Hochkulturen war dieser Punkt des Jahreszyklus besonders heilig und gehörte damals zum größten Fest des ganzen Jahres. China verfügt über die ersten schriftlichen Aufzeichnungen über die Sommersonnenwende, die auf das Jahr 2254 v.u.Z. datiert werden. Europas bekannteste Stätte der Sommersonnenwende ist natürlich Stonehenge.

Noch im Mittelalter waren die Johannisfeuer überall im deutschsprachigen Raum anzutreffen. Alte Quellen belegen, daß 1401 der Herzog von Bayern mit Frau und Volk um die Flammen tanzte und 1496 der Erzherzog Philipp die Bürgerstochter Ursela von Neidhardt zum Reigentanz ans Feuer führte.

Selbst von Kaiser Friedrich III. ist überliefert, daß er während des Reichstages zu Regensburg 1473 auf dem Marktplatz "mit schönen Frauen" das Johannisfeuer feierte. In der Neuzeit erloschen die Feuer zuerst in den Städten - teils, weil der Sinn dafür verlorenging, teils auf Betreiben der Behörden.

Brauchtum: Traditionell feiert man den Höchststand der Sonne mit einem großen Feuer in dieser kürzesten aller Nächte. Das Feuer symbolisiert die Macht der Sonne. Man verbrennt alle schlechten Gedanken und Erfahrungen am Feuer und stärkt sich an ihm. Von nun an werden die Tage wieder kürzer werden. Man feiert fröhlich seine Lebenskraft und gedenkt zur selben Zeit seiner eigenen Sterblichkeit.

Page 51: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Das Hinabrollen brennender Sonnenräder über Hänge und das Schwingen von Fackeln im Kreis symbolisieren die ewige Drehung des Jahres-Rades und den Beginn der dunkleren Jahreshälfte. Im Norden waren die Feuer dem Gott Balder geweiht. So kennt man in Schweden noch heute den Ausdruck "Baldur's Balars" für "Scheiterhaufen" und glaubte, daß man mit Hilfe der Flammen die Macht der Trolle und anderer böser Geister zunichte machen konnte.

In Tirol und in der Steiermark legte man aus ähnlichem Grund großen Wert auf eine kräftige Rauchentwicklung der Feuer, denn das "Sonnwendra(u)chen" sollte traditionsgemäß die Luft von bösen Gewalten reinigen und gutes Wetter für eine reiche Ernte erwirken.

Entsprechend glaubte man auch, daß die Felder, über welche die Rauchschwaden hinwegstrichen, besonders ertragreich ausfielen. Ein Blick in die Flammen des Sonnwendfeuers sollte ebenso heilsam und segenbringend wirken wie Asche und Kohlenreste, die, wie man glaubte, Haus und Hof vor allerlei Schaden - etwa bei Gewittern - bewahren konnten.

Das Feuerspringen war zentraler Bestandteil der Feierlichkeiten, sollte verjüngende Wirkung besitzen, gute oder schlechte Ernte anzeigen und Liebesverbindungen festigen - förmlich "zusammenglühen" wollte sich das Paar, das wie Siegfried und Brunhild durch die Flammen sprang. Auch Gegenstände, die man ansonsten ungern alltäglichen Feuern übergab, zum Beispiel Totenbretter oder Fronleichnamskränze, warf man ins Sonnwendfeuer. Johann Wolfgang von Goethe schrieb: "Johannis-Feuer sei unverwehrt, die Freude nie verloren! Besen werden immer stumpf gekehrt, und Jungens immer geboren."

Die Menschen feierten die Fülle der Jahreszeit mit Rosen und sommerlichen Blumen, dankten ihren Göttern und entzündeten lodernde Sonnwendfeuer - ein Versprechen an die Sonnenkraft, ihre segenspendende Wirkung auch im Winter nicht zu vergessen und darauf zu vertrauen, daß sie wiederkehren wird. Zur Sonnenwende gehört einfach ein Feuer, und ähnlich dem Beltane-Feuer entfaltet es seine segensbringende und reinigende Wirkung beim Darüberspringen. Im Alpenraum werden noch heute auf breiter Basis auf den Bergen Sonnwendfeuer entzündet. Um diese Zeit wurden überall Jahrmärkte und Feste veranstaltet.

Litha war und ist der beste Tag zum Kräutersammeln und in verschiedenen Kulturen mit Kräutern stark verbunden. Die traditionellen Verbindungen der Frauen mit dem Pflanzenreich fließen hier mit ein. So werden allen Kräutern, besonders aber dem Johanniskraut (Hypericum perforatum) in der Zeit nach Litha (insbesondere ab der Johannisnacht am 24. Juni) intensivere Heilkräfte zugeschrieben.

Zum Bild dieses Festes gehören Kräuterkränze, mit denen Wegkreuze und Heiligenbilder geschmückt wurden. In der Steiermark wurden eigene Sonnwendbuschen aus verschiedenen Kräutern hergestellt. Die Frauen haben tradionell "Holunderküchlein" gebacken (die Blütendolde des Holunders in Pfannkuchenteig ausgebacken). Deshalb heißt der Johannistag auch oft "Holdertag".

Ebenso in der Steiermark gibt es das sog. Scheibentreiben, bei dem glühende Scheiben in die Luft geworfen werden. Die Verwendung glühender oder brennender Scheiben als Sonnensymbol in verschiedenen ritualartigen Spielen zur Sommersonnenwende ist auch aus England bekannt.

Die bayrische Ausgestaltung des Festes ähnelt Beltane. Gleichzeitig scheint einiges vom Brauchtum zur Sonnenwende auf Pfingsten übergegangen zu sein. Beispielsweise scheinen sich zu Pfingsten Feuerbräuche eingebürgert zu haben, die relativ neuen Ursprungs sind und ursprünglich wohl zur Sonnenwende gehört haben. Ein Grund dafür könnte sein, daß Pfingsten die nächstgelegenen Feiertage anbietet, während das Fest Johanni an Bedeutung verloren hat. Generell

Page 52: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

ist das Brauchtum zur Sommersonnenwende heute weniger deutlich ausgeprägt als im Winter.

spirituell: Während die Wintersonnenwende vorwiegend von Tod, Wiedergeburt und Hoffnung handelt, dreht es sich bei der Sommersonnenwende um Reichtum und Kraft. Litha markiert den Höhepunkt der Fruchtbarkeit der Natur und von Macht und Kraft der Sonne, mit einem traurigen Beigeschmack. Die Sonne steht im Zenit ihrer Kraft, doch wird das Licht ab diesem Zeitpunkt geringer und die Dunkelheit nimmt zu, bis die Fülle des Sommers durch den Herbst hindurch mit dem ersten Frost des Winters ihr Ende finden wird.

Litha ist zunächst ein Fest des Dankes für den Überfluß, hat aber auch mehrere Aspekte von Balance und Ausgewogenheit. Zum einen bildet es die Mitte zwischen der Zeit des zunehmenden Lichts und der Zeit des abnehmenden Lichts, im übertragenen Sinne zwischen den Kräften des Wachstums und des Abnehmens. Zum anderen wird die Kraft der Sonne (maskulines Prinzip) ebenso gefeiert wie die Fruchtbarkeit, die Erdenergie (feminines Prinzip).

magisch: Litha verkörpert in seiner Essenz den Mittelpunkt des Jahres, das Zentrum, an dem die Balance zwischen den Kräften des Wachsens und des Abnehmens für einen kurzen Moment gehalten wird. Es ist die ideale Zeit, um an Fragen von Integration und Gleichgewicht zu arbeiten.

Page 53: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5.7. Lughnasad (Schnitterfest)

Namen: Lughnasad, Erntefest, Schnitterfest, Kornfest, Lughnasadh, Lammas, Haustblót Kategorie: Hauptfest, Mondfest zu Vollmond, keltisch Datum: beweglicher Feiertag am 8. Jahresvollmond (um den 31. Juli) Astrologischer Zeitpunkt: Sonne ca. 15° (Mitte) im Löwen Bedeutung im Jahresrad: Mitte des Sommers, Christliche Entsprechung: Erntedankfest Art des Feiertages: 1. Erntefest, Fest der Fruchtbarkeit und Ernte Symbole: Sichel, Brot und Weizen

Bedeutung: Lughnasad ist das erste von insgesamt drei Erntefesten. Es ist mehr ein Fest zur Freude über die beginnende Erntezeit, weniger - aber auch - ein Erntedankfest. Im heutigen Zeitalter des Welthandels, der Supermärkte, Kühltruhen, Konserven und ganzjährig verfügbaren Lebensmitteln ist kaum nachzuvollziehen, was dieser erste Erntetag in früheren Jahrhunderten für die Menschen bedeutete. Das Bauernvolk lebte von Ernte zu Ernte. Hoffen und Sorgen um Erntesegen bestimmte einst Denken und Brauchtum des bäuerlichen Menschen, bis Anfang August (nordisch: Ernting) die Feldernte einsetzte und im September das "Herbsten" (das englische "Harvest" bedeutet Ernte) des Obstes begann.

Normalerweise fielen die Sommermonate, vor allem die letzten "bitteren sechs Wochen", mager aus. Die vorjährigen Kartoffeln (gab es erst im 16. Jahrhundert in Europa) waren aufgebraucht oder wertlos geworden, die neue Ernte war noch nicht reif. Teures Getreide muß zugekauft werden, für viele ein unerschwinglicher Luxus. Lughnasad wurde daher überall als Ende des unfreiwilligen Fastens herbeigesehnt und als Bitt-, Brot-, Korn- und Sportfest gefeiert. Es ist in seiner Essenz ein Fest der Lebensfreude, geprägt von dem Wissen, daß dunklere Zeiten (Winter) im Anzug sind.

etymologisch: Der Festname Lughnasad (sprich: Lu-na-sad) oder Lughnasadh bedeutet im Keltischen "Zusammenkunft im Namen des Lugh" und kommt einerseits von "nasad" (Zusammenkunft) und andererseits von Lugh, dem Gott druidischer Weisheit, der Odin entspricht. In Frankreich hieß er Lugos und in Wales Lleu. Er war ein schöner junger Kämpfer, zum Teil Formorii (Meeresdämon), da sein Großvater der Dämon Balor war, den Lugh schließlich tötete.

Lugh ist der Patron der Gelehrten, Handwerker, Krieger und Magier. Lugh ist auch bekannt als Lugh Samildánach (der viele Künste ausübt) und Lugh Lámhfada (Lugh mit dem langen Arm, gemeint sind die Sonnenstrahlen). Es wird diskutiert, ob er als Sonnengott zu sehen ist, oder eher als Prinzip einer männlichen Vater-Gottheit. Lugh scheint, wie seine griechischen und römischen Entsprechungen Hermes und Merkur, bevorzugt auf Hügeln, Kuppen, Bergen verehrt worden zu sein. Vielfach wurde statt seiner aber auch Loki als Feuergott verehrt.

Das deutsche Wort Herbst und das nordische "haust" (gesprochen: höist) bedeuten wie das englische "harvest" eigentlich "Ernte", so daß es in erster Linie ein Erntefest beziehungsweise ein Dankopfer für "gute Ernte und Frieden" ist. Das altnordische "Haustblót" bedeutet Ernteopfer.

Der nicht ungebräuchliche mittelalterlich-englische und schottische Name Lammas kommt vom altenglischen "hlafmesse", neuenglisch "loafmass" (Laibfest), weil dabei die ersten Brotlaibe aus dem neuen Getreide geopfert oder verzehrt wurden.

Page 54: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Zeitpunkt: Lughnasad ist als Vollmondfest ein beweglicher Feiertag. Es wird am 8. Jahresvollmond gefeiert, also acht Vollmonde nach dem der Wintersonnenwende folgenden Neumond. Annäherungsweise kann man den Vollmond um den 31. Juli annehmen, aber das stimmt nicht immer. Natürlich kann man den Festtermin auch von dem Vollmond abhängig machen, welcher dem tatsächlichen Erntebeginn am nächsten ist, da es hierbei regionale Unterschiede gibt.

Jahresrad: Lughnasad ist der Beginn der Ernte und gleichzeitig die erste Ernte im Jahr. Es ist neben Mabonad (23. September) und Samhain (um den 31. Oktober) auch das erste von den drei heidnischen Erntefesten. Der Erntebeginn markiert das Ende der Reifezeit. Von nun an fängt die Periode der Ernte an und die Tage werden wieder deutlich kürzer.

Natur: Im August, wenn die Sonne ihre stärkste Einstrahlungskraft hat, stehen die Felder kurz vor ihrer vollen Reife, und die Zeit der Ernte naht. Gleichzeitig verbrennt aber bereits die Sonne die Erde und leitet somit in eine Phase des Absterbens über. Die Luft liegt flimmernd über den Feldern. Es ist die wärmste Zeit im Jahr, doch ab nun wird es wieder kühler. Das Tageslicht hat schon merkbar nachgelassen. Es ist das Fest des Wachstums und der Reife.

Heiden: Zu Lughnasad brennt die Sonne am heißesten. Sie hat den Höhepunkt ihres Lebens längst überschritten und opfert sich und ihre Kraft der Erde. Aus der Verbindung von Erde (weibliches Prinzip) und Sonne (männliches Prinzip) gehen die ersten Früchte der Ernte hervor. Der gehörnte Sonnengott weiß, daß seine Tage gezählt sind, doch noch hat er die Oberhand über die Dunkelheit, denn die Tage sind noch immer länger als die Nächte.

Dennoch schwindet allmählich seine Kraft, und er überträgt sie der Erde, damit sie nicht verloren geht, sondern in die Ernte eingeht, durch die sie zu den Menschen kommt, damit diese die Kraft haben, die dunkle Zeit des Jahres zu überstehen. Außerdem stärkt er so seinen in der Göttin heranreifenden Sohn, in dem er zu Jul (21. Dezember) wiedergeboren werden wird. Die Göttin ist nun schon eine sichtbar schwangere Frau, denn auch hier zeigt sich die Reife, und wird weiterhin in Rot dargestellt.

Die Zeit des Erntebeginns steht für die Periode der Götter als Erwachsene. In diesem Lebensabschnitt beginnt auch der Mensch, die Früchte seines Lebens zu ernten. Rituell bitten viele Heiden um trockene, sonnige Tage, damit das Getreide eingefahren werden kann und der Wein die letzte Süße bekommt.

Germanen: An Lughnasad wurde bei den Germanen zu Ehren Thors die Leinernte gefeiert. Der entsprechende Festmythos Skálskarparmál beschreibt, wie der Feuergott Loki, der hier für die Sommerhitze steht, das Haar (stellvertretend für das Korn) von Thors Frau Sif (Göttin der Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit) abschneidet.

Beim Ägisdrekka (Ägirs Trinkgelage) beschimpft Loki in seiner berühmten Zankrede (Lokasenna) die Götter in Abwesenheit Thors und spottet über das Liebesverhältnis zwischen Himmel und Erde, das nun bald enden wird (Winter). Als Thor erscheint, und ihm droht, flüchtet Loki in Gestalt eines Lachses, wird aber gefangen und bis zum Ragnarök (Götterdämmerung, mythisch Samhain) in ein Netz gebunden.

Auch bei den Sachsen und Germanen wurde aus Anlaß des Brotfestes während einer rituellen

Page 55: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Mahlzeit die erste Kornernte verzehrt. Haustblót (Ernteopfer) war bei den Germanen in erster Linie ein Erntefest beziehungsweise ein Dankopfer für "gute Ernte und Frieden", die Segnungen der Vanengötter. Als Schutzgott der Bauern wurde dabei Thor besonders verehrt, und Freyja dankte man für die Fruchtbarkeit der Erde.

Die Menschen baten die Götter um eine gute Ernte und um den Schutz der Ernte vor Unwettern, damit die Ernte nicht vernichtet wird, und ehrten die ersten Früchte. In germanischen Opferriten wurde immer das Wertvollste geopfert, und das waren Pferde. Früher wurden an diesem Tag oft tatsächlich auch Menschenopfer dargebracht, meist wurden jedoch symbolisch Kornpuppen oder dem Land nach dem Abernten Blut geopfert.

In Island wurden zum jetzigen Zeitpunkt die Schafe von den Weiden getrieben und für die Zeit des Winters auf die Höfe verteilt. Ein durch Stein und Eisen geschlagenes Hagelfeuer wurde entzündet und es wurde zu Ehren von Thor, Sif aber auch von Loki gefeiert. Früher wurde für Thor ein Ziegenbock, ein Stier oder ein Widder geopfert. Heute wird anstelle der Tiere entsprechendes Bildgebäck verwendet (ein Brot in Form eines Widders). Sif werden Kornblumen und Getreide geopfert. Im Anschluß an das rituelle Trinken wurden die für den Winter benötigten Heilkräuter geweiht und zu Kräuterbündeln verschnürt.

Kelten: An diesem Fest ehrten die Kelten Lugh und seine zwei Frauen mit dem Erntedankfest, und zu dieser Zeit wird das Korn am Feld abgeschnitten, so wie Lugh mit seinem Schwert aus Licht die Dunkelheit zerteilt. Der Großteil der Ernte ist eingebracht, die Sonne opfert als Kornkönig sich, ihre Kraft und ihr Leben der Erde für die Ernte, damit die Erde fruchtbar bleibt und alle immer genug Nahrung haben. Die Sonne bereitet sich auf den Tod vor, beginnt zu sterben und stirbt dann auch tatsächlich zu Samhain. Der Herbst beginnt mit Lughnasad, dem ersten der (mit Mabonad und Samhain) drei keltischen Erntefeste. Lughnasad bot den Kelten Anlaß zu Märkten, Spielen, gerichtlichen und politischen Beschlüssen. Feierlichkeiten zu Lughnasad sind überliefert aus Irland, Isle of Man, Schottland, Wales und Cornwall.

Das Fest des Lugh wurde der Legende nach vom Gott selbst in Tailtiu ins Leben gerufen, zur Erinnerung an seine Ziehmutter die Göttin Tailtiu oder Taillte. Die "Grabes-Spiele" die bei diesem Fest abgehalten werden, dienen daher auch nicht der Ehrung Lughs, sondern dem Gedenken an den Tod seiner Pflegemutter Tailltiu. Deshalb heißen die Lughnasad-Feste in Irland auch oft "Tailltean-Spiele". Es gab an den Tagen weder Kampfspiele noch Todesrituale. Lugh beherrschte dieses Fest, an dem Brot, Wein und Fisch gereicht werden und heilige Spiele und Sportwettkämpfe ausgetragen werden und Eheversprechen für ein Jahr und einen Tag abgegeben werden können.

Die keltische Mythologie ist voll von Geschichten über die Symbolik des Getreides. Die Kelten stellten aus Korn Puppen her und stellten diese auf ihre Felder. Zu Lughnasad nannte man diese Puppen "Kornmutter". Ketten und Armbänder aus Getreide wurden hergestellt und als Amulette für Schutz und Fruchtbarkeit getragen. Lughnasad ist die Zeit der Gesundheit und der erotischen Energie. Zu dieser Zeit trafen sich die Leute und arrangierten Hochzeiten, bereinigten ihre Unstimmigkeiten und führten ihre Stärke und ihre Talente vor. Sportveranstaltungen, Pferderennen, Spiele, all das war zu Lughnasad an der Tagesordnung. Dies ist auch die Zeit, Öle und Essig aus frischen Blüten und Kräutern herzustellen.

Christen: Die Angst der Römer und später der Kirche vor den Druiden bewirkte, daß Lughnasad nicht christlich vereinnahmt, sondern zum Unglückstag erklärt wurde. Lugh wurde mit Luzifer identifiziert, Lughnasad zum Tag vom Luzifers Sturz in die Hölle gemacht. Die Bauern übertrugen daraufhin die Lughnasad-Bräuche auf andere Erntefeste. Manche halten aber auch den

Page 56: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Christopherustag am 25. Juli für einen von den Christen als Ersatz für Lughnasad eingeführten Feiertag. Teile des Lughnasad-Brauchtums finden sich auch im bayrischen Maria Himmelfahrt am 15. August wieder. An diesem Tag werden zahlreiche Prozessionen gehalten. Kräuterbüschel, beispielsweise mit 7 oder gar mit 77 verschiedenen Kräutern, wurden und werden feierlich auf den Prozessionen mitgetragen, aufgehoben und später in den Rauhnächten rituell verräuchert. Ein alter Name dieses Festes ist daher auch "Maria Kräuterweih". Die Parallelen zu Lughnasad sind unverkennbar.

Es muß davon ausgegangen werden, daß das ursprüngliche Brauchtum zu Lughnasad in Bayern vollständig in Maria Himmelfahrt aufgegangen ist. Damit hatte sich hier als einziger Fall im Jahreskreis der christliche Nachfahre eines heidnischen Festes nicht in unmittelbarer Datumsnähe erhalten können. Als Herbstbeginn in Bayern galt traditionell der Festtag des heiligen Bartholomäus am 24. August. Dies könnte aber auch mit den klimatischen Unterschieden zu den keltischen Ländern zusammenhängen, denn in Bayern kann es Anfang August noch sehr sommerlich und heiß sein, und der Gedanke an den Herbst liegt noch fern.

Am 1. August gab es einen christlichen Feiertag namens Petri Kettenfeier heißt. Dieser bezieht sich auf die in Apostelgeschichte 12 berichtete Befreiung des Petrus aus dem Kerker in Jerusalem. Die zurückgelassenen Ketten wurden nach der Legende von Eudoxia, der Tochter des Kaisers Theodosius und Frau des Kaisers Valentianus, als Reliquien einer Jerusalem-Wallfahrt nach Rom mitgebracht. Sie fügten sich zusammen mit denen, die Petrus als Gefangener Neros in Rom getragen hat und die von Balbina gefunden worden waren. Von Eudoxia veranlaßt, wandelte man den römischen Festtag des Kaisers Augustus am 1. August in Petri Kettenfeier um.

In der Kirche Sankt Pietro in Vincoli in Rom werden diese Ketten unter dem Hochaltar, in einem Renaissance-Tabernakel, aufbewahrt, die Kirche sei an einem 1. August geweiht worden. Nach orthodoxer Überlieferung wurden die Ketten aber nach Konstantinopel gebracht und dort in der Petrus-Kirche aufbewahrt. Die Ketten, mit denen Petrus gefesselt war, erhielten angeblich die Gnade jeden zu segnen, der sie verehrt, und jedem die Ketten von üblem Schicksal zu sprengen. Das Fest wurde 1960 aus dem römischen Kalender gestrichen. Dem christlichen Aberglauben nach war der 1. August aber auch ein großer Unglückstag, weil an diesem Tag der Teufel durch Gott in die Hölle gestürzt wurde. Noch heute ist dieser Tag für manche abergläubische Christen ein Unglückstag. Um dem entgegenzuwirken, hängte man einen Zweig der widerstandsfähigen Eberesche mit den jetzt reifen Ebereschenbeeren als Glücksbringer an Häuser und Stallungen. Der 1. August galt als sogenannter Schwendtag oder verworfener Tag. Solche Schwendtage galten früher während des ganzen Jahres als Besonderheit. Die Kirche konnte trotz großer Bemühungen den überlieferten Glauben, daß man an solchen Tagen nichts Neues anfangen solle, lange nicht ausrotten. Erst mit der modernen Zeit verlor sich dieser Glaube und nur noch wenige wissen überhaupt um diese Tage. Weitere Schwendtage im August sind der 17., 21., 22. und 29.

historisch: Dieser Tag ist auch der griechischen Mondgöttin Artemis geweiht. Lughnasad taucht in alt-angelsächsischen Chroniken bereits im Jahre 921 als das "Fest der ersten Früchte" auf.

Brauchtum: Zu Lughnasad wurden die ersten Brotlaibe, Breie und Brötchen geopfert und während einer rituellen Mahlzeit verzehrt, die mit im Tempel oder sogar in der Kirche geweihtem Korn aus der neuen Ernte gebacken wurden. Alle Arbeitsgänge dazu mußten zwischen Sonnenauf- und -untergang ausgeführt werden.

Page 57: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Das Familienoberhaupt zupfte morgens unter Segenssprüchen feierlich die erste Garbe mit der Hand. Das Korn mußte dann am Feuer gedarrt werden, unter Umständen wurde es sogar auf einer Steinplatte verbrannt, so daß die gehärteten Körner übrigbleiben, denn nur diese wurden von den steinernen Handmühlen vermahlen. Nach mehrmaligem Sieben ließen sich aus dem Mehl Brei und Brötchen herstellen, die köstlich schmeckten.

Durch diesen Brauch der Opferung der ersten Brote aus dem vorab gepflückten Getreide wurde die Ernte im Grunde rituell vorweggenommen und auf diese Weise magisch gesichert, denn Kartoffeln (ab dem 16. Jahrhundert) und Korn mußten noch einige Zeit ausreifen, bis sie geerntet werden konnten. Mann wollte sich mit dem Ritual versichern, daß die Ernte nicht doch noch zuletzt zum Beispiel durch einen Sommerhagel gefährdet wurde.

Ergänzt wurde der Speiseplan mit Früchten und Beeren aus der nichtkultivierten Natur. Mutter Erde hatte zu dieser Jahreszeit nämlich eine zweite Ernte für ihre Kinder bereit, die Heidelbeeren. So gesichert durfte sich Lebensfreude und Zuversicht für die Zukunft wieder einstellen, und es waren vor allem Gruppen junger Leute, die sich nach dem festlichen Mittagsmahl aufmachten, um Heidelbeeren zu suchen (ein Brauch, der erst in den letzten Jahrzehnten nachgelassen hat). Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei der sich Jungen und Mädchen ohne die übliche, strikte Aufsicht der älteren Generation bei Singen, Tanzen und Spiel vergnügen konnten. Es überrascht nicht, daß Lughnasad häufig der erste Schritt in Richtung Ehe bedeutete.

Meist fanden diese Versammlungen junger Leute auf Hügeln statt, die ein prächtiges Panorama erlaubten, und ebenso oft waren diese Hügel bekannte "Feenhügel", also Orte, die mit den Göttern verbunden waren. Hierbei handelte es sich ebenso um Bitt-, Opfer- und Dankgänge. In dieser Zeit machten die Menschen auch Ausflüge zu Quellen, Seen, Flüssen.

Die auf das Fest besinnende Zeit beginnt 15 Tage davor (um den 17. Juli, je nach Mondphase) und endet 15 Tage danach ( um den 15. August). Zur Zeit des Festes, der Hohen Zeit im Jahr, schloß man Ehen und auch kurzfristige Verträge ab und handelte mit Nutztieren aller Art.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Kühe und Pferde, um sie für das kommende Jahr vor Krankheit zu schützen, an Lughnasad durch tiefes Wasser getrieben. Bei letzteren lief dies gern auf ein regelrechtes Rennen unter Wasser hinaus, denn junge Burschen ritten die Tiere gegeneinander unter den anfeuernden Rufen einer aufgeregten Zuschauermenge.

Wo früher die heißeste Zeit des Jahres durch die anstehenden Ernten für die landwirtschaftliche Gesellschaft eine Zeit harter Arbeit mit wenig Gelegenheiten für ausgedehnte Feiern mit sich brachte, macht die moderne Menschheit Urlaub und aalt sich an Meeresstränden und Baggerseen, nur hin und wieder aufgescheucht von einem heftigen Sommergewitter. Die Arbeit wird allenfalls auf Sparflamme betrieben. Hier ist also eine beinahe vollständige Umkehr der Gepflogenheit eingetreten.

spirituell: An diesem Zeitpunkt der Ernte erntet man auch spirituell das, was man im Frühjahr gesät, sprich: sich vorgenommen und begonnen hat, und das hoffentlich nun Früchte trägt. Das Getreide wird geschnitten, ein Teil davon wird in Brot und Nahrung verwandelt, ein anderer Teil gelangt als Samen nächsten Frühling in die Erde und erzeugt das Leben neu. Insofern sind auch Gedanken über Opfer, Transformation, Tod und Wiedergeburt Bestandteil dieses Festes.

Lughnasad ist aber auch eine Zeit der Sammlung und Verinnerlichung, in der man die Keime für Dinge legen kann, die im Frühling wachsen sollen, auch im übertragenen Sinn. Die Kraft der sterbenden Sonne lebt im Korn weiter und schon bald wird auch sie selbst wiedergeboren.

Page 58: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Aber auch wer in der heißen Zeit Urlaub macht, kann spirituell angeregt werden, denn die Urlaubszeit ist auch eine Auszeit vom Alltag der normalen Welt. Oft in anderen Ländern mit anderen Bräuchen findet man Abstand zum täglichen Trott, kommt man mehr mit der Natur in Kontakt, und kann schlafen, träumen und über Dinge nachdenken, für die sich sonst keine Zeit findet.

magisch: Auch rituell kann ein Erntedank ausgedrückt werden, gegenüber der Natur, den Göttern oder auch einfach so, aus Freude am Leben und im Gedenken, daß man sich glücklich schätzen kann, genug zu essen zu haben. In diesem Zusammenhang kann auch ein Opfer dargebracht oder im Rahmen einer rituellen Mahlzeit verzehrt werden. Hierzu eignet sich natürlich besonders frisch gebackenes Brot, aber auch Getreideähren, die im Ritualfeuer verbrannt und so der Natur zurückgegeben werden.

Ein Ernteopfer mag heute anachronistisch erscheinen, und natürlich ist es nicht wirklich erforderlich, aber Getreide wächst eben immer noch auf dem Feld in der freien Natur, und zum Glück noch nicht im Labor.

Page 59: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.5.8. Mabonad (Herbstfest)

Namen: Mabonad, Mabonadh, Mabon, Herbstfest, Weinfest, Erntefest, Herbst-Tagundnachtgleiche, Alban Elued Kategorie: Nebenfest, Sonnenfest zum Herbstäquinoktium, germanisch Datum: 23. September (kalendarische Schwankungen zwischen 22. und 24. sind möglich) Astrologischer Zeitpunkt: Sonne 0° (Anfang) in der Waage Bedeutung im Jahresrad: Herbstanfang Christliche Entsprechung: Erntedankfest Art des Feiertages: 2. Erntefest, Herbstfest, Weinfest Symbole: Weinrebe, Traube, Füllhorn

Bedeutung: Dieses Fest ist das zweite, das mittlere Erntefest zwischen Lughnasad (um den 31. Juli) und Samhain (um den 31. Oktober). Auch hier wird wieder die Ernte gefeiert welche nun dem Ende zugeht. Diese Ernte ist nun aber die Ernte der Früchte, der Trauben und des Obstes. Es ist Zeit, Obstbrände, Fruchtweine, Met etc. anzusetzen. Es ist das Erntedankfest, an dem man glücklich und stolz auf das in diesem Jahr Erreichte zurückblicken kann.

etymologisch: Mabonad oder Mabonadh hat seinen Namen nach dem keltischen Sonnenkönig Mabon und von "nasad" (Zusammenkunft), also "Zusammenkunft im Namen des Mabon". Dessen Name ist walisisch und bedeutet "großer Sohn". Er war der Sohn der Madron oder Mordon (Erdmutter). Mabon tritt in der ersten Hälfte des Jahres hell und strahlend auf, und in der zweiten Hälfte des Jahres siecht er dahin, bis er zu Mabonad stirbt.

Mabon, der Sohn des Lichts, verschwand der Legende nach, als er nur drei Nächte alt war. Seine Mutter, die Erde, befand sich in bittersüßem Leiden. Obwohl niemand wußte, wohin Mabon verschwunden war, wurde er schließlich von den am Längsten auf der Erde lebenden Tieren, der Amsel, dem Hirsch, der Eule, dem Adler und dem Lachs, befreit.

Sie fanden Mabon in der Anderswelt, beziehungsweise der Bauchhöhle der Mutter Erde. Dies ist ein verzauberter Ort, aber auch ein Ort der Herausforderungen. Und nur an solch einem Ort konnte der Sohn der Erde wiedergeboren werden und zwar als der Sohn des Lichts. Das Licht des Mabon wurde so auf die Erde gebracht. Die germanische Entsprechung des Mabon ist der Gott Feyr.

Diese Legende Mabons ähnelt der vom griechischen Dionysos, der in die Unterwelt hinabsteigt und wiedergeboren wird. Auch die Mysterien des Dionysos, die Eleusinischen Mysterien der Antike wurden im Herbst gefeiert.

Das keltische Alban Elued (gesprochen: Alwan Elu-id) bedeutet "Licht des Wassers".

Zeitpunkt: Mabonad findet stets zur Herbsttagundnachtgleiche am 23. September statt. Weil es ein Sonnenfest ist, hat dieser Feiertag ein festes Datum. Die Sonne durchquert an diesem Tage auf 0° die Ekliptik, und deshalb herrschen auf beiden Erdhalbkugeln genau gleiche Lichtverhältnisse.

Jahresrad: Mit dem Herbstfest, nach dem Hauptteil der Ernte, beginnt die dunkle und stille Zeit des Jahres, in der die Nächte länger als die Tage sind. Es ist das abnehmende Äquinoktium, das den Herbstanfang bezeichnet, und der Tag der Ausgeglichenheit zwischen Licht und Dunkelheit. Wieder ist Tagundnachtgleiche, sind die Kräfte des Lichtes und der Dunkelheit im Gleichgewicht wie zu

Page 60: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Ostara, doch diesmal ist es die Dunkelheit, welche zunimmt und somit das Licht immer weiter verdrängt. Mabonad ist das Gegenstück zu Ostara, da beide zur Tagundnachtgleiche stattfinden. Das Äquinoktium stellt den Ausgleich zwischen Höchst- und Tiefststand der Sonne im Jahreskreislauf dar.

Natur: Während das Frühjahrsäquinoktium Ostara das Licht ankündigt, so kündigt das Herbstäquinoktium die dunkle Jahreszeit an. Noch halten sich Tag und Nacht heute die Waage, doch man spürt deutlich, wie nun graue Nebel über das Land zu kriechen beginnen, Dunst liegt über den Seen und breitet sich manchmal schon wie eine feine Decke über die Felder aus. Das Licht bereitet sich aufs Sterben vor, und die Natur hat damit begonnen, sich zurückzuziehen. Die Natur verliert langsam aber sicher ihre Fülle, doch sie verabschiedet sich mit einem wahren Kunstwerk an Farben, welches nun Tag für Tag besser sichtbar wird. Die Nächte werden von nun an wieder länger, und man nimmt Abschied von der Wärme des Sommers. Eine deutliche Kühle kündigt den Herbst an. Eine neue Orientierung der Natur beginnt, die Vögel ziehen nach Süden, die ersten Blätter fallen, die Luft wird stürmischer. Die letzten Früchte, Pilze und Nüsse werden geerntet.

Heiden: Zu Mabonad besteht gerade noch ein Gleichgewicht zwischen dem Licht und der Dunkelheit, aber ab jetzt werden die Nächte wieder länger als die Tage, und es zeichnet sich deutlich ab, daß die Sonne den Kampf verlieren wird. Der sterbende Sonnengott gibt seine letzte Kraft der Erde und bereitet sich darauf vor, in den Schoß der Erde zurückzukehren. Damit stärkt er die letzten Ernten und seinen in der Göttin heranwachsenden Sohn, in dem er nach seinem zu Samhain stattfindenden Tod und seiner Erneuerung zum Julfest wiedergeboren werden wird. Die Sonne wird schwächer, doch die Göttin spürt noch das Feuer, die Gegenwart des Gottes, auch wenn seine Kraft schwindet und er langsam verblaßt. Die deutlich sichtbar schwangere Göttin ist noch immer die fruchtbare Frau in Rot.

Das Fest steht am Ende der Erntezeit und verkündet auf seine Art das Eintreten der Ruhezeit des Winters. Es ist das zweite Mal, daß Tag und Nacht sich in einem Gleichgewicht befinden. An diesem Fest steht der Dank für die reichen Gaben der Erde im Mittelpunkt, denn sie ermöglicht, daß die Menschen den Winter und die Ruhe der Natur erleben dürfen und nicht zu darben brauchen.

Der Altar wird mit allem geschmückt, was die Natur in ihrer herbstlichen Pracht bietet, das erste bunte Laub, Zapfen von den Nadelbäumen des Waldes, Früchte und Gemüse aus zweiter Ernte, kleine Korngarben, Getreideähren usw., in hübschen kleinen Körben arrangiert oder einfach zwischen den Gerätschaften verteilt. Ein traditionelles Ritual an diesem Tag ist der Dank an die Götter mittels eines kleinen Feuer-Speisenopfers und die Segnung des Erntekorbes. Man begibt sich in Wald und Feld und sammelt Samen und Blüten zum Trocknen. Diese werden dann zur Dekoration oder für Rituale verwendet.

Germanen: Bei den alten Germanen wurde um diese Zeit das große Herbstthing abgehalten. Sie dankten in erster Linie dem Donnergott Thor für die glückliche Einbringung der Ernte. Ihm zu Ehren klopft man auch heute noch dreimal auf Holz, wenn man jemandem Glück wünscht. Holz und die Zahl drei entsprechen dem Donnergott, und bei den Germanen wurde dieses Fest drei Tage lang gefeiert.

Den Göttern wurde dabei für die Ernte gedankt. Der tödlich verwundete Lichtgott Balder sinkt in die Unterwelt Hel (die Tage werden kürzer). Als Opfer wurde der letzte Apfel am Baum hängen gelassen, die letzte Wolle zwischen den Ohren beim Schaf nicht geschoren. Außerdem wird ein

Page 61: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Eber geopfert und Wodelsbier gebraut. Odins Wölfen Geri (der Gierige) und Freki (der Gefräßige) wurden Milch und Brot geopfert.

Aus den letzten Korngarben auf dem Feld wurde ein Kranz geflochten oder man ließ vielerorts die letzte Garbe Korn auch stehen, ein für das weiße Pferd des Odin, Wotan oder "wilden Jägers", dargebrachtes Ernteopfer, damit die Wachstumskraft von Odin/Wotan (Sonne) und Frigg (Erde) nicht ausgebeutet wurde und im nächsten Jahr die Kraft im Frühling wiedererweckt werden konnte. Die Ernte war schließlich das Ergebnis der Zeugung der Götter. Sleipnir hat acht Beine und diese sind die acht Feste des Jahreslaufes die es durchreitet, gemeinsam mit den Menschen (moderne Interpretation!).

Der Herbstreigen war ein Symbol des Sippenzusammenhalts, des gegenseitigen Betreuens, gleichsam als Einschwörung auf die drohende schwere Winterszeit. Die Sonne steigt nun in die "Unterwelt" hinab, nach Utgard zu den Reifriesen und Drachen, deren Gewalt sie sich bis zur Wintersonnenwende nicht mehr entziehen kann. Als mahnendes Wintervorzeichen läßt sich auch der bekannte Brauch des herbstlichen Drachensteigens interpretieren und darf darum wahrscheinlich durchaus als eigenständiges Brauchtum gewertet werden, das also nicht etwa von ähnlichen chinesischen oder japanischen Bräuchen herrührt.

Sinnbildlich steht die Herbst-Tagundnachtgleiche in der germanischen Mythologie für den Übergang zwischen dem Erwachsensein und dem Alter. Zu dieser Zeit blickt der Mensch zurück auf sein Leben und dankt den Göttern für die Früchte seines Lebens, für die Gesundheit, für seine Kinder und vielleicht schon Enkelkinder, die Inkarnationen der eigenen Fruchtbarkeit sind, und für den Wohlstand, den er sich mit seiner Hände Arbeit geschaffen hat. Bei Frau und Mann macht sich nun die sogenannte "Midlifecrisis" bemerkbar in der die Sexualität nochmals aufblüht. Stellvertretend für diese späte Blüte stehen Thor und Freyja, die zu diesem Feste angerufen werden.

Kelten: Das Herbst-Äquinoktium ist für die Kelten nicht nur ein Moment kosmischer Balance, sondern auch ein Moment der Veränderung. Die Kelten schmückten zu Alban Elued ihre Türen und Fenster mit Kränzen aus Herbstblumen und Weintrauben.

Ein keltischer Brauch gebot, die letzte Garbe nicht zu schneiden, sondern die Halme oben zusammenzubinden und mit Feldblumen zu schmücken, etwa der Baldurblume und anderen Verwandten der Edelkamille, die für die Kelten ein Sinnbild für den weißen Lichtgottes Lugh waren. Man glaubte, daß sich die Kraft eines Feldes während des Abmähens in die noch stehenden Ähren zurückzieht. Mädchen und Schwangere wurden über die geschmückten Ähren gehoben, zur gegenseitigen Segnung von Erd- und Menschenfrucht. Oder man holte die letzte Garbe, feierlich mit Bändern und Blüten geschmückt, auf dem Erntewagen ein.

Diese Zeit war auch dem gehörnten Gott Cernunnos, dem Herrn des Waldes, geweiht und markierte den Übergang vom Herbst zum Winter. Aus diesem Grund war auch der Hirsch das heilige Tier von Alban Elued, denn er kann auch während der mageren Wintermonate im Wald überleben.

Christen: Aus Mabonad wurde später ein ausschließliches Erntedankfest, welches von der Kirche übernommen wurde und am 29. September oder am ersten Sonntag im Oktober stattfindet. Aus dem Herbstreigen wurde die etwas spießbürgerlich gefeierte Kirchweih oder Kirchmeß, aus der schließlich in Form der dörflichen Kirmes das alte Brauchtum weitgehend verschwunden ist.

Als weiteren Ersatz schuf die Kirche am 29. September das Fest für den Erzengel Michael, dessen

Page 62: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Fest auch der Michelsding genannt wird. Der Erzengel Michael wird mit Schild und Schwert dargestellt und da fällt sofort auf, daß der "Erzengel" eigentlich Odin beziehungsweise Wotan ist, ein Hinweis auf germanische Bräuche (s.o.). Es sei noch bemerkt, daß es auch den heiligen Oswald gibt, der in kirchlichen Bildern auf einem Königsstuhl sitzt, mit zwei Raben, die umherfliegen, und er selbst ein blindes Auge hat und einen Stab (Speer) in der Hand hält - ein Bild des Odin.

historisch: Die Eleusinischen Riten waren das berühmteste Göttinnenfest im antiken Europa. Nach den Mysterien stieg die Göttin in die Unterwelt hinab, die Welt der Dunkelheit, wo sie sich um die toten Seelen kümmerte. Dieses Hinabgehen in die Unterwelt, dem Tod zum Trotz, wurde durch die zahlreichen Rituale und Prozessionen der Eleusinischen Mysterien gefeiert. Von überall her kamen die Menschen, um daran teilzunehmen, denn man glaubte, dadurch Glück und Weisheit zu gewinnen und durch die Göttin geheiligt zu werden.

Von der Tagundnachtgleiche am 23. September bis zum Ende des Monats September wurde jeden Tag ein anderes Ritual begangen und etwas anderes zum Gegenstand gemacht. Das Fest begann mit Prozessionen von Athen nach Eleusis. Die Teilnehmer legten heiliges Gerät zu Füßen der Göttin Demeter ab und badeten anschließend im Meer, legten neues Leinzeug an und gossen Trankopfer auf die Erde. Die Frauen und einige Männer versammelten sich zum Fackelzug, wenn sich die Prozessionen aufs neue formierten und durch die Tempel und Stadt zogen, um Persephone, beziehungsweise Kore zu suchen.

Bei diesen Feiern trugen die älteren Frauen Körbe mit der Habe der Göttin: einem Kamm, Symbol der Aphrodite, einem Spiegel, einer Schlangengestalt oder einer lebendigen Schlange (für die Wiedergeburt), Weizen und Gerste. Die Frauen fuhren in Ochsenkarren und riefen einander Ungehörigkeiten zu.

Der 24. September, der zweite Tag, war der Tag der großen Reinigung, und man nahm ein rituelles Bad im Meer. Die Initiierten wuschen damit alle Unwissenheit fort und wurden rein.

Am 25. September baute man einen Altar um einen Baum, dort verbrannte man Weihrauch und goß Trankopfer auf die Erde (als Symbol der Ehrfurcht vor der Erde).

Am 26. September fand eine große Prozession zur Feier der Erdgöttin Demeter statt. Begeistert riefen die Menschen dem Standbild der Göttin, das auf einem Wagen mitgeführt wurde, zu: "Heil Demeter!" Alle waren festlich gekleidet und verbrachten den Tag in fröhlicher Ausgelassenheit.

Am 27. September veranstaltete man tagsüber und nachts große Fackelzüge. Das kennzeichnete den Beginn der eigentlichen Mysterien.

Am 28. September wurde die Heilige Nacht gefeiert. Bei diesem Ereignis reihte man sich hinter zwei verschleierten älteren Trauerfrauen auf, welche die Göttinnen darstellten. Auf der Brücke vor der Stadt traf man eine dritte Göttin, Baubo, die alte Närrin. Diese versuchte, die beiden anderen zum Lachen zu bringen und sie aus ihrer Traurigkeit zu reißen. Damals trank man dazu Kykeon, ein halluzinogenes Getränk, das die Frauen mitgebracht hatten. Baubo hob ihre Röcke und zeigte ihr Geschlecht, um Demeter zum Lachen zu bringen. Das hatte Erfolg, und nun ruhten die Göttinnen aus. Alle Festteilnehmer wurden zu einem erfrischenden Umtrunk eingeladen.

Es gab noch eine zweite Brücke über den salzigen Rheitoi, und hier mußten sich die Mystai (die Geläuterten) mit einer Parole identifizieren, um Zugang zum heiligen Ort Epoteia zu erlangen. Dann bewegte sich die Menschenmenge zu dem Platz, auf dem man ein großes Feuer aufgeschichtet hatte. Die Oberpriesterin rief Kore an, und ihre tatsächliche Gegenwart wurde

Page 63: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

spürbar. Mit dunklen Farben bemalt, saß sie als "Königin der Unterwelt" im Tempel auf dem Thron. Die Mystai verbeugten sich zu ihren Füßen. Ihr Abbild war die Vision der weiblichen Quelle allen Lebens.

Das Korn, die Eucharistie der Göttin, wurde stumm geerntet. Gerste und Weizen ähneln im Aussehen stark den weiblichen Genitalien, und ihre Zurschaustellung beschwor die Verehrung der Weiblichkeit herauf. Die Teilnehmer gewannen ein tieferes Verständnis der Natur. Sie wurden "regeneriert" und erhielten Demeters lebensspendende Kräfte, so wurden auch ihr Selbstgefühl und ihre Selbstachtung gestärkt, ebenso ihre Verantwortung für die Welt und alles, was damit zu tun hat, sowie die Verbundenheit mit der Göttlichkeit des Lebens.

Beim Anblick Kores stellte man sich der Tatsache des Todes. Das göttliche Mädchen hatte sich in eine alte Frau und wieder zurück in die junge Königin der Unterwelt verwandelt. Die Anwesenheit der Göttin gab den Menschen die Gelegenheit, ihren eigenen Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren und die Angst vor dem Leben danach aufzugeben.

Am siebten Tag der Mysterien (29. September) wurden Spiele, Wettrennen und andere sportliche Wettkämpfe veranstaltet. Die Sieger wurden mit Lorbeer gekrönt und erhielten Korngaben.

Am achten und letzten Tag (30. September) wurden wieder Initiationen vollzogen, diesmal in den tiefen Höhlen des heiligen Tempels. Ein dortiges Fresko zeigt eine Szene mit drei Frauen: Eine ist in dunkle Farben gekleidet, eine ist nackt, und die dritte bekommt gerade das Haar abgeschnitten. Das Schneiden der Haare galt oft als Symbol für spirituelle Wiedergeburt.

Früher wurden in Westfalen und Holland am 16. und 17. September schon die ersten von mehreren Laternenfesten im Hinblick auf die kommende, dunkle Jahreszeit gefeiert.

Brauchtum: Auch wenn die Felder jetzt leer und tot erscheinen, so ist doch die Ernte eingebracht. Die Freigiebigkeit der Natur ist auf ihrem Höhepunkt angekommen, und sie hat die Menschen reich beschenkt. Der junge Wein gärt, und die Speicher sind voll. Man dankt an diesem Tag für die Ernte auf den Feldern und für alles Gute, was man in diesem Jahr erlebt hat. Deshalb ist dies ein Grund, zu feiern und zu tanzen. Nach Beendigung der Erntearbeiten entzündete man Erntefeuer, die unter Lärmen umtanzt und übersprungen worden.

Das Herbst-Äquinoktium ist als Erntedank auch ein Opferfest. Mit dem Erntedank verband sich früher auch die Ehrerbietung an die Ahnen und die Besänftigung der dämonischen Kräfte. Die besten Früchte der Ernte wurden den Göttern, den Ahnen oder der Natur geopfert. Damit verliehen sie der Bitte Ausdruck, daß das nächste Jahr ebenfalls wieder fruchtbar werden möge.

Es gibt auch noch den Brauch, sich nach der Ernte auf dem Stoppelfeld zu wälzen, um die Wachstums-Energie des "Korndämons" loszuwerden, da man sonst Kreuzschmerzen bekommen würde. Wälzen galt als ein altes Mittel gegen Kreuzschmerzen, aber das Loswerden von Energien durch Erdkontakt ähnelt doch sehr dem "Erden" des Magiers.

Das Fest wurde mit Herbstfrüchten, Herbstblumen und Getreide gefeiert. Man dankte den Göttern, daß sie den Menschen genug Nahrung für den Winter gegeben hatten, verabschiedete den Sommer und bereitete sich auf die unfruchtbare, dunklere Zeit vor.

Ein wichtiges, auf der ganzen Welt verbreitetes Symbol der nahrungsspendenden Gottheit (Erde) ist die Kornmutter. In Indien ist es die Reismutter, in Amerika die Maismutter, die Roggenmuhme im alten Mitteleuropa und das Weizenbüschel in den eleusinischen Demetermysterien. Oft wird sie als

Page 64: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Puppe aus den letzten Garben hergestellt, aufbewahrt und verehrt.

So wurde die letzte Garbe oft stehengelassen oder zu einer menschlichen Figur zusammengebunden. Sie galt als Ernteopfer für die Tiere und ihre Fruchtbarkeit sollte auf die Saat des nächsten Jahres übergehen. In ihr konzentrierte sich der Geist des Kornes, wenn alles andere schon gemäht war, daher galt die letzte Garbe als heilig, ihre Vernichtung (profanes Aufessen) als gefährlich.

Die Persönlichkeiten der Korngeister waren mal freundlich (Kornmutter), mal boshaft (Korndämonen), von Landschaft zu Landschaft verschieden. Vermutlich wurden sie als ambivalent angesehen, je nachdem wie günstig die Ernte ausfiel.

In Schweden und Dänemark wird aus dem Korn der letzten Garbe wird im Winter der Juleber gebacken. Das ist ein Brot in Schweinsform, das die ganze Julzeit über auf dem Tisch steht und dann im Frühling von dem Pflüger und seinem Vieh gegessen wird. Nirgendwo wird der Zusammenhang des Korngeistes und der höchsten Gottheiten so deutlich wie hier. Der Eber war zu germanischer Zeit sowohl Frey (der goldene Eber Gullinborsti) als auch der Freyja (der Eber Hildiswin) heilig. So wachten diese beiden Fruchtbarkeitsgötter, deren Namen einfach "Herr" und "Herrin" bedeuten, über den ewigen Kreislauf von Saat, Wachstum und Ernte, Frey als goldener Sonnengott, Freyja als Mutter und Schutzgöttin der Ernte.

Es gibt auch noch zahlreiche andere überlieferte Bräuche, zum Beispiel das Befestigen eines Hufeisens am Erntekranz anstelle des Pferdeopfers. Das Hufeisen wurde nicht, wie fälschlich von der Kirche festgelegt, wie ein Eimer mit der Öffnung nach oben aufgehängt, um das Glück, im materialistischen Sinne, zu fangen, sondern wie die Rune Uruz mit der Öffnung nach unten gehängt, wo es für Wohlstand und Vieh steht und so das alte Glückssymbol ist.

Die Schnitter schlugen mit den Sensen gegen den Schleifstein und riefen neunmal "Waut" (Wotan) oder nach altem Brauch dreimal "Tyr", auch "Tiu" oder "Ziu", wovon sich auch das heute noch gebräuchliche "Toi, Toi, Toi" ableitet.

Als Erntefest wird Mabonad je nach Gebiet und Anbauart unterschiedlich benannt, zum Beispiel Haferfest in Schlesien, Winzerfest im Rheinland und Hopfenfest in Bayern. Daher gibt es oft auch verschiedene Traditionen, doch tragen sie alle gemeinsam den Gedanken des Erntedankes.

spirituell: Während die Frühlingstagundnachtgleiche sich mit der bevorstehenden irdischen Fruchtbarkeit beschäftigt, weist die Herbsttagundnachtgleiche auf die bevorstehende, geistige Fruchtbarkeit hin. In der hellen und warmen Jahreszeit wurden Felder und Gärten gepflegt, aber nach dem Einbringen der Ernte hielt man sich oft im Haus auf, beschäftigte sich mit Handwerk und hatte dabei genügend Zeit, das bis dahin Erlebte zu überdenken und Revue passieren zu lassen. Gelegentlich stellten sich auf diese Art, im Gespräch mit anderen, neue Erkenntnisse ein. Die oft körperliche Schwerstarbeit des Sommers fand im Spätherbst und Winter ihren Ausgleich in körperlicher Ruhe.

Als Wendepunkt des Jahres beginnt nun die Ruhezeit. Es ist Zeit, einmal durchzuatmen und sich eine kleine Pause zu gönnen, bevor die letzten Arbeiten dieses Jahres anstehen und zu einem hoffentlich guten Ende geführt werden.

Die Sonne beginnt nun langsam zu sterben, und die Tage werden kürzer. Auch viele Menschen werden sterben. Doch der Gedanke an den Tod ist nicht mit Schrecken behaftet, denn der Tod gehört genauso zum Leben wie die Geburt.

Page 65: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

magisch: Nun beginnt eine ruhigere Phase, man hat Gelegenheit, sich wieder zu sammeln und neue Kräfte aufzutanken - bald beginnt ein neuer Zyklus des Wachsens, Reifens und Vergehens in dem man die aufgespeicherte Energie gut gebrauchen kann. Es ist auch die Zeit, zeremoniell-magische Utensilien und Werkzeuge zu reinigen und mit neuer Kraft aufzuladen.

Weil die meisten Menschen heute keine Bauern mehr sind und nicht aktiv an der Getreideernte teilnehmen, wird in den Opferritualen die Getreideernte symbolisch nachvollzogen. Für das rituelle Mahl oder das Opfer eignen sich frisch gebackenes Brot, Getreide, Fisch, Geflügel, Wild, Pilze, Wurzelgemüse, Kartoffeln, Maisbrot, Äpfel, Brombeeren, Johannisbeeren, Weißwein, Apfelwein und Traubensaft besonders gut.

1.6. Die Berechnung der Mondfeste Der Mondkalender, der für die Berechnung der Mondfeste relevant ist, stellt sich durch seine Unüblichkeit und andersartigen Gesetzmäßigkeiten für viele Menschen als äußerst kompliziert dar. Vielfach hat sich für die Mondfeste einfach eine Datumsfixierung eingebürgert, die Samhain auf den 31. Oktober, Imbolc auf den 1. Februar, Beltane auf den 30. April und Lughnasad auf den 31. Juli festlegt.

Diese Bequemlichkeit ist jedoch mit der Gefahr verbunden, ehemalige Vollmondfeste nahe oder direkt an Neumondtagen zu feiern oder Samhain nahe oder am Vollmond und somit dem eigentlichen Sinn eines Mondfestes nicht mehr gerecht zu werden. Ausgeführte Rituale erhalten dann nicht ihre angestrebte lunare Kraft.

Vereinfacht kann man natürlich bei den Mondfesten denjenigen Voll- oder Neumond wählen, welcher dem Soll-Datum am nächsten gelegen ist. Dies wird von sehr vielen Heiden (und manchmal auch mir) so praktiziert und sorgt dafür, daß die Abstände zwischen den Sonnen- und Mondfesten einigermaßen gleichmäßig bleiben.

Allerdings feiert man dann häufig am falschen Datum, denn traditionell werden die Mondfeste nur an bestimmten Voll- beziehungsweise Neumonden eines Jahres gefeiert. Andererseits sind die Mondphasen und die lunaren Kräfte auch bei einem anderen Vollmond oder Neumond eigentlich genauso stimmig, so daß diese Abweichung von der Tradition von den meisten Heiden hingenommen wird. Die meisten wissen es sogar nicht einmal.

Imbolc wird am 2. Vollmond gefeiert, nach der Faustregel um den 1. Februar. Beltane findet am 5. Vollmond statt, so um den 30. April. Lughnasad ist am 8. Vollmond, demnach um den 31. Juli. Samhain ist am 11. Neumond, also am Neumond vor dem 11. Vollmond, so um den 31. Oktober.

Man kann aber nun zur Berechnung der richtigen Mondfeste nicht einfach einen heute üblichen gregorianischen Jahreskalender nehmen und die Vollmonde abzählen. Das heidnische Mondjahr beginnt nämlich nicht am 1. Januar und auch leider nicht an einem festen Datum, und somit kann auch noch ein Vollmond aus dem alten Mondjahr in den frühen Januar fallen - muß aber nicht. Zur Ermittlung des ersten Neumondes des Mondjahres setzt man die Wintersonnenwende (Jul) am 21. Dezember als gedanklichen Fixpunkt fest. Weil ein Mondmonat immer mit dem Neumond beginnt, wird der Neumond am oder nach dem 21. Dezember als der erste Neumond gezählt und der darauf folgende Vollmond als der erste Vollmond (auch wenn es zwischen Jul und dem ersten Neumond schon einen Vollmond gab - dieser gehört dann noch zum vergangenen Mondmonat beziehungsweise -jahr). Deshalb ist es durchaus wahrscheinlich, daß der erste Neumond noch im Dezember liegt, er kann

Page 66: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

aber auch schon in den Januar fallen. Der erste Vollmond dagegen muß ca. zwei Wochen später zwangsläufig immer im Januar liegen (mit dem Tag danach beginnt erst das eigentliche Mondjahr, welches dadurch zu den bei Neumond beginnenden Mondmonaten um zwei Wochen nach vorn verschoben ist, aber dies nur am Rande).

Nun kann man die Neu- und Vollmonde durchzählen. Der letzte Neumond ist immer derjenige vor der Wintersonnenwende, und der letzte Vollmond ist immer der dem letzten Neumond folgende, und der kann unter Umständen auch erst Anfang Januar sein. Das Sonnenjahr hat allerdings eine unterschiedliche Anzahl von Neumonden (12 oder 13) und damit auch eine unterschiedliche Anzahl an Mondmonaten. Als ungefähre Faustregel kann man sagen, daß ungefähr nach zwei Jahren mit 12 Mondmonaten eines mit 13 Mondmonaten folgt.

Man sieht jetzt auch, warum in manchen Jahren ein normaler Jahreskalender bezüglich der Vollmonde irreführend wäre. Wenn nämlich der letzte Neumond des alten Jahres kurz vor der Sonnenwende liegt, im ungünstigsten Fall am 20. Dezember, so wäre der darauffolgende Vollmond erst am 3. oder 4. Januar, und gehört trotzdem noch zum alten Jahr. Sicherer ist es also, die Neumonde nach Jul als Grundlage zu nehmen, sonst "verrutscht" man evtl. gewaltig im Datum und feiert in der falschen Jahreszeit.

Aber je nach Lage des ersten Neumondes kann dieses Datum auch erheblich variieren, und alle folgenden Mondphasen mit ihr. Angenommen, der erste Neumond fiele auf den frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich Jul selbst, also auf den 21. Dezember (in einigen Jahren ist die Wintersonnenwende auch erst am 22. Dezember), dann würden alle Feste schon früh stattfinden. Wäre der letzte Neumond dagegen auf dem Tag vor Jul, so fiele der erste auf den spätestmöglichen Zeitpunkt, den 18. Januar (19. Januar bei einer Wintersonnenwende am 22. Dezember). Dies hätte eine enorme Verspätung der Mondfeste zur Folge. Die folgende Tabelle soll diese Diskrepanzen aufzeigen.

Mond Solldatum: frühestmöglich: durchschnittlich: spätestmöglich:1. Neumond - 21.12. 04.01. 19.01.Imbolc (2. Vollmond) 01.02. 03.02. 17.02. 04.03.Beltane (5. Vollmond) 30.04. 02.05. 16.05. 31.05.Lughnasad (8. Vollmond) 31.07. 30.07. 13.08. 28.08.Samhain (11. Neumond) 31.10. 12.10. 25.10. 10.11.

Der spätestmögliche Zeitpunkt berücksichtigt dabei, daß die Wintersonnenwende auch auf einen 22. Dezember fallen kann. Nicht berücksichtigt wird jedoch ein etwaiges Schaltjahr, in welchem noch eine weitere Verschiebung um einen Tag möglich ist, so hat zum Beispiel die Kombination von Wintersonnenwende am 22. Dezember und ein darauffolgendes Schaltjahr Auswirkungen auf 2008 und 2012.

Anhand dieser Daten fällt auf, daß die Abweichungen vom "Solldatum", also dem traditionell angenommenen Datum genau zwischen den Sonnenfesten, erheblich sind. So liegen zum Beispiel Imbolc und Beltane teilweise weit hinter dem Solldatum, selbst zum frühestmöglichen ersten Neumond finden diese Feste später statt. Ähnlich ergeht es Lughnasad, das auch meist weit hinter dem Solldatum liegt und nur bei sehr frühem ersten Neumond "pünktlich" stattfindet. Samhain liegt dagegen fast schon ein wenig zu früh, kann aber einigermaßen eingehalten werden.

Stimmt diese Art der Berechnung laut Überlieferung also nicht? Doch, sie stimmt - was dagegen

Page 67: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

nicht stimmt sind die Solldaten. Diese sind bloß Näherungswerte, welche man später mit Einführung des gregorianischen Kalenders eingerichtet hat. Der Mensch früherer Jahrhunderte hatte noch keinen solchen Kalender, geschweige denn überhaupt einen eigenen Kalender. Er richtete sich nach dem Mond und der Sonne und folgte den beschriebenen Regeln. So fanden die Mondfeste tatsächlich an diesen "abweichenden" Zeitpunkten statt, die eigentlich gar nicht abweichend sind, denn abweichend sind im Grunde genommen ja die erst viel später eingerichteten Fixdaten.

Als Beispiel seien die traditionell korrekten Daten der Mondfeste zwischen den Jahren 2002 und 2020 aufgeführt. Hierbei wird jeweils das Datum genannt, in dessen folgender Nacht der entsprechende Mondstand erreicht wird; findet dieser Mondstand also noch vor 12 Uhr eines Tages statt, so wird der Vortag als Festabend genannt. Es liegt nämlich näher, ein Mondfest am Abend derselben Nacht des Mondstandes zu feiern, also zeitlich näher am lunaren Ereignis. Wird der Mondstand erst ab 12 Uhr erreicht, so ist das Festdatum auch der Abend dieses Tages. Auf der Mondseite ist jeweils der tatsächliche Zeitpunkt des Mondstandes zu sehen.

Mond 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 20101.Neumond 13.01.02 03.01.03 23.12.03 10.01.05 30.12.05 18.01.07 08.01.08 27.12.08 15.01.10Imbolc (2.Vollmond)

27.02.02 16.02.03 05.02.04 23.02.05 13.02.06 03.03.07 20.02.08 09.02.09 28.02.10

Beltane (5.Vollmond)

26.05.02 15.05.03 04.05.04 23.05.05 12.05.06 31.05.07 19.05.08 08.05.09 27.05.10

Lughnasad (8.Vollmond)

23.08.02 12.08.03 31.07.04 19.08.05 09.08.06 28.08.07 16.08.08 05.08.09 24.08.10

Samhain (11.Neumond)

04.11.02 25.10.03 13.10.04 01.11.05 22.10.06 09.11.07 28.10.08 17.10.09 05.11.10

Mond 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 20201.Neumond 04.01.11 24.12.11 11.01.13 01.01.14 22.12.14 10.01.16 29.12.16 17.01.18 06.01.19 26.12.19Imbolc (2.Vollmond)

17.02.11 07.02.12 25.02.13 14.02.14 03.02.15 22.02.16 10.02.17 01.03.18 19.02.19 08.02.20

Beltane (5.Vollmond)

17.05.11 05.05.12 24.05.13 14.05.14 03.05.15 21.05.16 10.05.17 29.05.18 18.05.19 06.05.20

Lughnasad (8.Vollmond)

13.08.11 01.08.12 20.08.13 10.08.14 30.07.15 17.08.16 07.08.17 26.08.18 15.08.19 03.08.20

Samhain (11.Neumond)

26.10.11 15.10.12 03.11.13 23.10.14 12.10.15 30.10.16 19.10.17 07.11.18 27.10.19 16.10.20

Auch hier sind die Abweichungen von den Fixterminen zum Teil erheblich. Deshalb wird hier für

Page 68: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

jene, die lieber in der Nähe des Fixdatums feiern möchten, noch eine Übersicht aufgeführt, bei welcher die zu weit entlegenen Termine (um mehr als 15 Tage abweichend) durch genäherte Termine gleicher Mondphasen ersetzt wurden (hier unterstrichen).

Mond 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010Imbolc (2.Vollmond)

28.01.02 16.02.03 05.02.04 25.01.05 13.02.06 02.02.07 22.01.08 09.02.09 30.01.10

Beltane (5.Vollmond)

27.04.02 15.05.03 04.05.04 23.04.05 12.05.06 02.05.07 20.04.08 08.05.09 28.04.10

Lughnasad (8.Vollmond)

24.07.02 12.08.03 31.07.04 21.07.05 09.08.06 29.07.07 16.08.08 05.08.09 26.07.10

Samhain (11.Neumond)

04.11.02 25.10.03 12.11.04 01.11.05 22.10.06 09.11.07 28.10.08 17.10.09 05.11.10

Mond 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020Imbolc (2.Vollmond)

18.01.11 07.02.12 26.01.13 14.02.14 03.02.15 24.01.16 10.02.17 31.01.18 20.01.19 08.02.20

Beltane (5.Vollmond)

17.04.11 06.04.12 24.04.13 14.05.14 03.05.15 22.04.16 10.05.17 30.04.18 19.04.19 06.05.20

Lughnasad (8.Vollmond)

13.08.11 01.08.12 21.07.13 10.08.14 30.07.15 19.07.16 07.08.17 27.07.18 16.07.19 03.08.20

Samhain (11.Neumond)

26.10.11 13.11.12 03.11.13 23.10.14 11.11.15 31.10.16 20.10.17 07.11.18 27.10.19 16.10.20

Die durch Überlieferung festgelegten Termine der Mondfeste variieren allerdings etwas, hinzu kommt noch, daß sich bei der Umstellung des Julianischen auf den Gregorianischen Kalender ein Fehler von ca. vierzehn Tagen eingeschlichen hat, der eine heutige genaue Festlegung des Termins nahezu unmöglich macht.

Das ist aber nicht tragisch, denn die Termine orientieren sich nicht nur am Mondlauf, sondern natürlich auch an den klimatischen und regionalen Gegebenheiten, denn schließlich sind sie Feste des Vegetationszyklus. Durch sie wurden Saat, Viehaustrieb, Erntebeginn und -ende und Viehabtrieb geregelt.

Deshalb wäre es sinnlos, diese Feste an einem festen Termin zu feiern, bei dem die jahreszeitliche Witterung solche lebenswichtigen landwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht zuläßt oder unnötig macht. Daher müssen diese Feste ohnehin regional leichte Unterschiede aufweisen. Wenn man solche Feste in irgendeiner Form feiern oder beachten möchte, richtet man sich am besten nach dem eigenen Gefühl für den richtigen Zeitpunkt des Voll- oder Neumondes. Eine von zahlreichen Belegstellen für die vier keltischen Mond- beziehungsweise Feuerfeste

Page 69: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Imbolc, Beltane, Lughnasad und Samhain ist die frühmittelalterliche irische Sage "Tochmarc Emire" (The Wooing of Emer), welche im Ulster Zyklus enthalten ist. Sie wurde in der erhaltenen Form im 10. bis 11. Jahrhundert verfaßt, es ist aber davon auszugehen, daß diese Sage wie so viele andere einen älteren Kern enthält.

Die Geschichte erzählt, wie der Held Cú Chulainn um Emer wirbt. Eine der Prüfungen, die sie ihm aufgibt, ist, daß er für ein Jahr schlaflos bleiben soll, und in der Formulierung ihrer Herausforderung benennt Emer die vier Hauptpunkte im keltisch-irischen Jahreskreis, wie sie auch in anderen irischen Quellen aufscheinen. Sie benennt nicht die vier Sonnenfeste, auch keine christlichen Feste, sondern wählt die Höhepunkte der Jahreszeiten, eben die Mondfeste.

1.7. Die Zeitpunkte der Sonnenfeste Die vier Sonnenfeste finden jeweils an den beiden Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen statt. Diese Zeitpunkte im Jahr sind relativ konstant, sie schwanken von Jahr zu Jahr in einem Rahmen von etwa drei Tagen. Diese Schwankung liegt in unserem Kalendersystem begründet. Durch die Schalttage alle vier Jahre (außer zu vollen Jahrhunderten) kann die tatsächliche Jahreslänge von 365,2425 Tagen nur annähernd wiedergegeben werden. Ohne die Gregorianische Kalenderreform würde sich das Datum der Sonnenfeste pro Jahrtausend sogar um 7 bis 8 Tage verschieben. Weil diese Schwankung in unserem Kalender aber mal hin und mal her geht, fällt sie nicht weiter ins Gewicht. Der genaue Zeitpunkt eines Sonnenfestes ist für das subjektive bloße Auge ohnehin nicht wahrnehmbar, im Gegensatz zu den deutlich sichtbaren Mondphasen, welche die Zeitpunkte der Mondfeste auch optisch bestimmbar machen. Die Sonnenwende (lat.: Solstitium) stellt den Zeitpunkt dar, bei dem die Sonne die größte nördliche oder südliche Deklination (Höher ihrer Bahn) im Laufe eines Sonnenjahres erreicht. Es ist die Umkehr der Deklinationsbewegung der Sonne (aufsteigend beziehungsweise absteigend). Die Sonne steht dann senkrecht über den Wendekreisen, und zu diesem Zeitpunkt hat die Sonne den größten Winkelabstand vom Himmelsäquator - etwa 23° 26' 20". Diese maximale Deklination erreicht sie jedes Jahr zweimal, und je nach Erdhalbkugel spricht man dabei jeweils von der Sommer- oder Wintersonnenwende. Die Sommersonnenwende (Litha) findet zwischen dem 20. und 22. Juni statt. Die Sonne steht am höchsten Punkt des nördlichen Wendekreis (Krebspunkt) und wechselt von aufsteigender zu absteigender Richtung. Dieser Tag ist der Beginn des astronomischen Sommers. Die Wintersonnenwende findet zwischen dem 20. und 22. Dezember statt. Die Sonne steht am tiefsten Punkt des südlichen Wendekreis (Steinbockpunkt) und wechselt von absteigender zu aufsteigender Richtung. Dieser Tag ist der Beginn des astronomischen Winters. Auf der Südhalbkugel der Erde ist dies übrigens genau umgekehrt, die Sommersonnenwende im Dezember und die Wintersonnenwende im Juni, weil hier die Jahreszeiten ebenfalls umgekehrt sind. Gleichzeitig gibt es nahe den Polarkreisen zur Wintersonnenwende einen Tag ohne Sonnenaufgang sowie zur Sommersonnenwende einen Tag ohne Sonnenuntergang (Mitternachtssonne). Weiter polwärts herrscht dann wochen- bis monatelang der Polartag, beziehungsweise am anderen Pol die Polarnacht. Unter dem Äquinoktium oder Tagundnachtgleiche versteht man den Zeitpunkt, zu dem die Sonne während ihrer scheinbaren jährlichen Bewegung im Schnittpunkt von Ekliptik und Himmelsäquator steht, den sogenannten Äquinoktialpunkten. Zu diesem Zeitpunkt sind für alle Punkte auf der Erde Tag und Nacht gleich lang. Das Frühlingsäquinoktium (Ostara) fällt zwischen den 19. und 21. März. Die Sonne durchschreitet den Frühlingspunkt (Widderpunkt) in aufsteigender Richtung. Dieser Tag ist der Beginn des astronomischen Frühlings.

Page 70: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Das Herbstäquinoktium (Mabonad) fällt zwischen den 22. und 24. September. Die Sonne durchschreitet den Herbstpunkt (Waagepunkt) in absteigender Richtung. Dieser Tag ist der Beginn des astronomischen Herbstes.

Diese Betrachtungen gelten astronomisch für das Durchschreiten des Sonnenmittelpunkts durch die Äquinoktialpunkten. Da man aber allgemein den Sonnenaufgang so definiert, daß der erste Sonnenstrahl vom oberen Ende der Sonne zählt, ist dieser bereits drei Tage früher im Frühlingspunkt zu sehen. Analog verschwindet beim Sonnenuntergang der letzte Strahl der Sonne von ihrem oberen Ende erst drei Tage später genau im Herbstpunkt. Auch die Lichtbrechung, die eine scheinbare Anhebung der Sonnenscheibe um etwa 0,5° am Horizont bewirkt, verursacht eine kleine Verlängerung des lichten Tages.

Wer Wert auf die genauen Zeitpunkte der Sonnenfeste legt, findet die astronomisch korrekten Daten der Solstitien und Äquinoktien der nächsten Jahre in der nachfolgenden Tabelle.

Jahr: Frühjahrsäquinoktium:(Ostara)

Sommersonnenwende:(Litha)

Herbstäquinoktium:(Mabonad)

Wintersonnenwende:(Jul)

2005 20. März 21. Juni 22. September 21. Dezember2006 20. März 21. Juni 22. September 22. Dezember2007 20. März 21. Juni 23. September 22. Dezember2008 20. März 20. Juni 22. September 21. Dezember2009 20. März 21. Juni 22. September 21. Dezember2010 20. März 21. Juni 22. September 21. Dezember2011 20. März 21. Juni 23. September 22. Dezember2012 20. März 20. Juni 22. September 21. Dezember2013 20. März 21. Juni 22. September 21. Dezember2014 20. März 21. Juni 22. September 21. Dezember2015 20. März 21. Juni 23. September 21. Dezember2016 19. März 20. Juni 22. September 21. Dezember2017 20. März 20. Juni 22. September 21. Dezember2018 20. März 21. Juni 22. September 21. Dezember2019 20. März 21. Juni 23. September 21. Dezember2020 19. März 20. Juni 22. September 21. Dezember

Page 71: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

1.8. Astronomische Grundlagen Scheinbar sind die Jahreszeiten mit bestimmten, dann auftretenden astronomischen Phänomenen verbunden. In Wahrheit ist es aber natürlich genau umgekehrt, d.h. bestimmte astronomische Konstellationen sorgen überhaupt erst für das Entstehen der Jahreszeiten.

Die Ebene der Bahn der Erde um die Sonne wird Ekliptik genannt. Früher glaubte man umgekehrt, es handele sich dabei um die Bahn der Sonne um die Erde. Die Ekliptik ist in 12 gleiche Teile, den Tierkreis, geteilt. Die Erdachse steht jedoch nicht senkrecht zur Ekliptik, sondern bildet einen Winkel von etwa 23° zur Senkrechten, wodurch Jahreszeiten und ungleiche Tageslängen entstehen, weil die Sonne so im Laufe eines halben Jahres immer in einem anderen Winkel auf die Erde scheint.

Je höher die Sonne über der Ekliptik steht, desto kleiner ist der von der Senkrechten abweichende Einfallswinkel ihrer Strahlen, desto kürzer ist auch ein geworfener Schatten, desto kürzer ist der Weg der Sonnenstrahlen durch die Atmosphäre und je mehr Sonnenlicht trifft auf den Boden auf. Dies ist im Sommer der Fall, und deshalb ist dies auch die wärmste Jahreszeit, obwohl die Erde auf ihrer elliptischen Bahn im Sommer eigentlich am weitesten von der Sonne entfernt ist. Außerdem sind die Tage hier am längsten.

Im Winter dagegen steht die Sonne tief unter der Ekliptik, und, obwohl die Erde der Sonne in dieser Jahreszeit am nächsten ist, ist es auf der Erde kalt, denn der Einfallswinkel ist flacher, die Schatten länger, der Weg des Lichtes durch die Atmosphäre länger und die Tage kürzer. Deshalb trifft weniger Sonnenlicht auf dem Boden auf, um die Erde zu wärmen.

Um den 21. Juni ist Sommersonnenwende (Solstituum) auf der Nordhalbkugel und damit der längste Tag. Auf der Südhalbkugel ist dann Wintersonnenwende mit dem kürzesten Tag. Die Sonne steht über 23° Nord am Wendekreis des Krebses. Die Wintersonnenwende (Solstituum) fällt um den 21. Dezember und markiert den kürzesten Tag und die längste Nacht des Jahres auf der nördlichen Halbkugel. Auf der Südhalbkugel ist dann umgekehrt Sommersonnenwende. Die Sonne steht dann unter 23° Süd am Wendekreis des Steinbocks.

Etwa am 21. März und 23. September überquert die Sonne den Äquator, liegt damit auf der Ekliptik, und es ist Tag- und Nachtgleiche (Äquinoktium). Die Äquinoktien waren für Astronomen immer sehr wichtig. Nur an diesen Tagen herrschen auf der ganzen Erde gleiche Verhältnisse. Tag und Nacht sind gleich lang, die Sonne geht genau im Osten auf und genau im Westen unter. Während der Äquinoktien liegen beide Erdpole genau über der Ekliptik, daher werden Nord- und Südhälfte der Erde gleich beleuchtet. Im Lauf des Jahres werden Nord- und Südhalbkugel ungleich angestrahlt. Jenseits der Polarkreise haben Tag- und Nachtseite jeder Halbkugel ein halbes Jahr ständig Licht (Polartag).

Das Frühjahrsäquinoktium wird seit frühester Zeit bis heute als Bezugspunkt für Sternpositionen benutzt. Dieser ist überall relativ leicht zu bestimmen, da der Ort des Sonnenaufganges am Osthorizont und der Sonnenuntergangspunkt am Westhorizont nur während der Äquinoktien eine gerade Linie bilden. Prähistorische Sternwarten (zum Beispiel Stonehenge) sind auf den Frühlingspunkt (Osten) ausgerichtet. Abhängig vom Weltbild wurde der Frühlingspunkt als Ort am Horizont, als Punkt der Sonnenbahn oder als Punkt auf der Erdbahn um die Sonne betrachtet. Dementsprechend unterscheidet man drei Koordinatensysteme.

Als Bezugspunkt vom Standort unabhängig ist der Himmelspol, um den sich scheinbar alle Sterne drehen (wegen der Erdrotation). Wegen einer Kreiselbewegung der Erdachse wiederum dreht sich der Himmelspol in 25.850 Jahren um den Pol der Ekliptik. Bezugspunkte für

Page 72: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Äquatorialkoordinaten sind der senkrecht zum Himmelspol stehende Himmelsäquator und der Frühlingspunkt. Positionen ergeben sich als Abstand vom Äquator und Winkel zum Frühlingspunkt. Weil der Frühlingspunkt auf dem Himmelsäquator bestimmt wird, wandert er mit der Drehung des Himmelspols in 25.850 Jahren rückwärts um die Ekliptik.

Die Erde bewegt sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne und legt bei einer Umrundung etwa 936 Millionen Kilometer zurück. Dazu benötigt sie 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 46,98 Sekunden (insgesamt 31.556.926,98 Sekunden), das sogenannte tropische Jahr. Daraus folgt, daß die Erde mit etwa 29,67 km/s (106.778,46 km/h) durch das All rast.

Früher hatte man keine andere Möglichkeit, als die Länge eines Jahres durch den Zeitabstand zweier Durchgänge der Sonne durch denselben Punkt der scheinbaren Sonnenbahn auf der Ekliptik (den Frühlingspunkt) zu bestimmen. Die wirkliche Bewegung der Erde um die Sonne spiegelt sich in der scheinbaren Bewegung der Sonne an der Himmelskugel wider. Dieses siderische Jahr (Sternjahr) umfaßt ein Zeitintervall von 365 Tagen, 6 Stunden, 9 Minuten und 9,54 Sekunden (insgesamt 31.558.149,54 Sekunden).

Durch die von der Drehung des Himmelspols verursachte rückläufige Bewegung des Frühlingspunktes in der Ekliptik ist das tropische Jahr etwas kürzer als das siderische Jahr und wird über ein Schaltjahr an den Kalender angepaßt. Das bürgerliche Jahr ist im Kalenderwesen und in der Chronologie der Zeitabschnitt, der in ganzen Tagen etwa dem Umlauf der Erde um die Sonne entspricht.

Bei den Schaltjahren gilt die Regel, daß jedes 4. Jahr (durch 4 teilbare Jahreszahl) ein Schaltjahr ist, wobei ein solches durch einen zusätzlichen Tag (den 29. Februar) auf 366 Tage verlängert wird. Weil das aber nicht hinkommt, um den Unterschied auszugleichen, wurde die Zusatzregel eingeführt, daß volle Jahrhunderte keine Schaltjahre sind, volle Jahrtausende aber sehr wohl. So war das Jahr 1900 kein Schaltjahr, das Jahr 2000 aber schon.

Somit hat ein Jahr, welches kein Schaltjahr ist, 365 Tage, das sind 31.536.000 Sekunden. Ein Schaltjahr hat dagegen 366 Tage und somit 31.622.400 Sekunden (1 Tag = 86.400 Sekunden Unterschied). Ein Zeitraum von 1.000 Kalenderjahren enthält gemäß der Regelung 1.000 ÷ 4 - 10 + 1 = 241 Schaltjahre und 1.000 - 241 = 759 normale Jahre.

Danach läßt sich die Anzahl der Sekunden für diesen Zeitraum mit 241 × 31.622.400 Sekunden + 759 × 31.536.000 Sekunden exakt auf 31.556.822.400 Sekunden bestimmen. Zurückgerechnet sind dies durchschnittlich 31.556.822,4 Sekunden pro Kalenderjahr, was einem Zeitraum von 365 Tagen, 5 Stunden, 47 Minuten und 2,4 Sekunden entspricht. Dies kommt dem tropischen Jahr des tatsächlichen Umlaufs der Erde um die Sonne sehr nahe (nur 1 Minute und 44,58 Sekunden kürzer).

Diese 104,58 Sekunden, um die das Kalenderjahr zu kurz ist, fallen aber astronomisch kaum ins Gewicht. Sie entsprechen zwar 3.101,84 km auf der Umlaufbahn, aber nur 0,0003314 % des Jahres, so daß es 301.749 Jahre dauern würde, bis sich durch diesen Fehler das Jahr einmal um ein komplettes Jahr verschieben würde, beziehungsweise 75.437 Jahre, bis sich eine ganze Jahreszeit komplett verschiebt, beziehungsweise 826,71 Jahre, bis die Abweichung einen ganzen Tag beträgt. Dies ist wohl gut und gerne zu vernachlässigen.

Das Sonnenjahr stimmt allerdings nicht mit den Zyklen des Mondes überein. Nur alle 19 Jahre fallen die Mondphasen auf das gleiche Datum. Man entwickelte daher, um in Einklang mit Sonne und Mond leben zu können, mehrere komplizierte Zeitrechnungssysteme, die durch Schalttage oder ganze Schaltmonate Sonnen- und Mondjahr harmonisierten.

Page 73: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Verbreitet waren ein keltisch-englischer Kalender mit 13 Monaten plus dem Tag der Wintersonnenwende als "Tag zwischen den Jahren". Daher bestand ein ganzes Jahr aus "Jahr und Tag" (ein Begriff, der auch im mittelalterlichen Recht, zum Beispiel beim Lehnswesen, noch häufig zu finden ist). Der von den meisten Germanen benutzte Kalender bestand aus zwölf Monaten plus der Zeit zwischen den Jahren, die als die zwölf Rauhnächte bekannt ist.

2.Heidnische Ursprünge anderer Festbräuche 2.1. Die Adventszeit Die Adventszeit ist die Zeit, in der man Tag für Tag dem kürzesten Tag und der längsten Nacht des Jahres näherkommt. Die Abende sind länger, oft hat man das Gefühl, die helle Zeit des Tages gar nicht richtig wahrgenommen zu haben. Draußen ist es kalt, stürmisch und oft schon verschneit. Der Aufenthalt im Freien kostet mehr Kraft als in der restlichen Zeit des Jahres. Der Körper und auch die Psyche nähren sich von den Reserven, die man während der Zeit der Fülle angehäuft hat.

Gleichzeitig aber zählt man die Tage bis zum Julfest, der Wiedergeburt des Lichtes. In der heutigen Zeit hat die christliche Kultur dazu das Ritual des Adventskalenders geschaffen, mit dem man die Tage bis Weihnachten zählt. In früheren Zeiten zündeten die Menschen schon vor dem Julfest nach jeder Woche eine Kerze mehr an, um sich die kalte und dunkle Zeit zu versüßen, ein kleines Stück Licht schon vorher genießen zu können und um die verbleibende Zeit bis zum Fest zu messen. Aus diesem Brauch ist später der christliche Adventskranz entstanden.

2.2. Der Nikolaus Der christliche Nikolaus war ein gleichnamiger Bischof aus Myra im Lande Lykien, an der Südküste von Kleinasien, mit dem 6. Dezember als Todes- und Namenstag. Um ihn spann die Kirche wieder ihr altes Konzept, auf dem ihre ganze unnatürliche Weltanschauung beruht, nämlich die "Gehorsam-Guten" zu belohnen (hier mit materialistischen Geschenken) und die "bösen Sünder" zu bestrafen (hier mit der Rute durch Knecht Ruprecht).

Ruprecht ist aber ein verballhornter Name des ursprünglichen Hruodhpercht, Hruodprecht oder Hruod Percht (altnordisch: Ruhmglänzender, ruhmreicher Percht), und das ist niemand geringerer als Odin beziehungsweise Wotan selbst. Er galt als der Lenker der Schlachten, des Schicksals, der Fruchtbarkeit und der Winde.

Odin schritt als Wanderer über die Erde zur Julzeit (Weihnachtszeit) und brauste mit seinem Gefolge durch den Himmel. Er kam mit seinem achtbeinigen Schimmel Sleipnir zu den Menschen, und nach alter Sitte stellte man ihm Stiefel mit Hafer für sein Pferd vor die Tür. Er belohnte die Menschen dann mit Nüssen und verjüngenden Äpfeln von Iduna (Göttin des Lebens, des Frühlings und der Fruchtbarkeit) als Zeichen für Leben und Fruchtbarkeit.

Hruodhpercht hatte auch immer den Lebenszweig (Haselnußrute) mit Runen bei sich, und schlug damit leicht auf die Menschen und Vieh, um ihnen Fruchtbarkeit und neugeborenes Leben zu schenken. Der Lebens-Zweig Odins wurde zur Rute Knecht Ruprechts ("Knecht" ist schon ein Witz für sich; der Göttervater Odin in einer einem christlichen Bischof untergeordneten Stellung?) und wurde zum Werkzeug zur Bestrafung der Sündigen umfunktioniert und somit durch die Christen vollkommen seinem Sinn entfremdet.

Page 74: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Die Christen redeten den durch Feuer und Schwert, Zwang und Mord abwehrarm gemachten Völkern ein, Odin wäre ein böser Geist, der heimatlos durch die Berge und Wälder schweife. Sie versuchten, an Odins Stelle den Reiter Sankt Martin zu setzen, und als dies nicht fruchtete, begannen sie ihn durch den Nikolaus zu ersetzen.

Je mehr im Volk die Erinnerung an den Himmelsalten, an Odin, verblaßte, um so sichtbarer trat der "gute Nikolaus" als Kinderfreund in Erscheinung. Zur Erinnerung an die bösen Geister aus der "wilden Jagd" wird der christliche Nikolaus oft von "Knecht Ruprecht" oder "Krampus" begleitet. Mit dem guten Klaus, der einst in der Schweiz den Weihnachtsbaum brachte, zieht der böse Klaus oder Schmutzli, geschwärzt und lärmend. Wie in Kärnten der christliche Nikolaus von der Habergeiß begleitet wird, zog in Pommern mit dem Ruprecht der Klapperbock und in Schweden mit den Sternknaben der Julbock.

Im Brauchtum der Ahnen war Odin jedoch nie der "schwarze Mann" (und erst recht kein Knecht), sondern ein Helfer der Eltern, welcher den Kindern Geschenke und mit dem symbolischen Schlag mit der Lebensrute Heil für das kommende Jahr brachte. Odin wurde in diesem Zusammenhang auch Jolmir genannt, im Bezug auf Jul. Desweiteren ist überliefert, daß er in seinem Sack die toten Seelen sammelte und zu Hel in die Unterwelt brachte.

2.3. Die Rauhnächte Die 12 Rauhnächte oder Zwölfnächte am Ende des Jahres und die mit ihnen verknüpften Mysterien gehen bis in die Antike zurück. Sie haben sowohl römische als auch germanische und sogar indische, japanische und chinesische Wurzeln, und auch heute noch finden sie vielerorts im Brauchtum Beachtung. Nach uralten Überlieferungen suchen zu dieser Zeit die Seelen der Toten die Lebenden auf. Die Rauhnächte sind eine Zeit der Wiederkehr der Seelen und des Erscheinens von Geistern.

In der mithräisch-phrygischen Religion der Antike (u.a. in Rom) gab es nachweislich eine Festzeit von zwölf Tagen oder Nächten, die auch den Iranern heilig waren. Es wird auch berichtet, daß Mithras mit den Seelen seiner Glaubenskrieger in dieser Zeit in wildem Zuge über die Erde jage, womit einmal mehr eine Parallele zur altgermanischen Tradition festgestellt wäre.

Zustandegekommen sind die Rauhnächte aufgrund der Diskrepanz zwischen dem Sonnenjahr und dem Mondjahr. Ein Mondmonat, also die Mondphasen von Neumond zu Neumond dauert ca. 29,5 Tage. 12 Mondmonate ergeben somit genau 354 Tage für das Mondjahr. Das Sonnenjahr von Wintersonnenwende zu Wintersonnenwende dauert aber bekanntermaßen ca. 365,25 Tage. Es verbleibt eine Differenz von 11 Tagen und damit 12 Nächten.

Es überrascht kaum, daß mehrere indogermanische Völker das lunare Jahr dem solaren vorzogen, denn schließlich hatte der Mond ursprünglich zur Zwölfteilung des Jahres Anlaß gegeben. Weil sich Germanen, Kelten und Inder eben am Mondkalender orientierten, war diese "Ausgleichszeit" zwischen Sonnen- und Mondjahr eine irgendwie "zeitlose Zeit". Sie kam im Anschluß an die Wintersonnenwende und lag somit "zwischen den Jahren", ein Ausdruck, der auch heute noch geläufig ist.

Die Rauhnächte gelten als eine magische, bedrohliche und besonders wilde Zeit. Auch hier ist die "Weltendecke" wieder dünn, und allerlei Dämonen und Geister treiben sich herum. Odin und sein Gefolge rauschen als "wilde Jagd" durch die Lüfte. Dem Geschehen in diesen Nächten kommt größere Bedeutung zu, und vielerorts gilt es als Orakel für das kommende Jahr, denn jede Nacht

Page 75: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

steht symbolisch für einen Monat des Folgejahres. Erst nach den Rauhnächten begann für viele Germanen das neue Jahr, welches in der Nacht der Wintersonnenwende endete, wahrlich eine "zeitlose Zeit".

Es gibt unterschiedliche Auffassungen über Beginn und Ende der Rauhnächte. Welcher man folgt, ist wohl Geschmackssache, allerdings könnten dann die Monatsorakel ein wenig verschoben sein. Die altgermanische Auffassung geht davon aus, daß die Rauhnächte mit der Nacht nach dem Julfest (Wintersonnenwende) beginnen. Jul ist die Nacht vom 21. auf den 22. Dezember, demnach wäre die erste Rauhnacht vom 22. auf den 23. Dezember und die zwölfte in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar.

Die christliche Auffassung läßt die Rauhnächte weitgehend natürlich erst nach dem heiligen Abend beginnen. Dieser ist bekanntlich die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, danach wäre die erste Rauhnacht die Nacht vom 25. auf den 26. Dezember und die zwölfte vom 5. auf den 6. Januar, den Dreikönigstag.

Eine neugermanische Auffassung verlängert, vermutlich an das Christentum angelehnt, einfach das Julfest auf vier Nächte vom 21. auf den 25. Dezember und zieht somit, was die Daten der Rauhnächte angeht, mit dem Christentum gleich.

Diese neugermanische Auffassung ist heute zwar sehr häufig anzutreffen und findet sich in vielen Bräuchen datumsmäßig wieder, entspricht in dieser christianisierten Form aber wohl nicht mehr dem ursprünglichen Sinngehalt. Sie stimmt auch nicht mehr mit dem Mondkalender überein, denn der 21. Dezember (Jul) ist der 355. Tag im gregorianischen Kalender, im germanischen fängt das neue Jahr aber nach den Rauhnächten am 3. Januar an, also wäre es hier der 353. Tag, beziehungsweise 354. Tag in einem Schaltjahr, was genau dem Mondkalender entspräche. Bei der neugermanischen Auffassung kommt dies nicht hin, dort wäre Jul am 350. beziehungsweise 351 Tag nach Jahresbeginn.

Schon diese Berechnung widerlegt die Behauptung, daß die Festzeit der Rauhnächte aus dem Abstand zwischen Weihnachten und Dreikönig hervorgegangen sei. Dazu kommt, daß die gleiche altgermanische Festfrist bei anderen indogermanischen Völkern, bei Indern, Iranern, Griechen und Römern, mit ähnlichem Gehalt aus vorchristlicher Zeit bezeugt ist.

Rauhnächte: Fest: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

altgerman.: Jul 21./22. 22./23.

23./24.

24./25.

25./26.

26./27.

27./28.

28./29.

29./30.

30./31.

31./01.

01./02.

02./03.

christlich:. Weihnachten 24./25.

25./26.

26./27.

27./28.

28./29.

29./30.

30./31.

31./01.

01./02.

02./03.

03./04.

04./05.

05./06.

neugerman.: Jul 21. - 25. 25./26.

26./27.

27./28.

28./29.

29./30.

30./31.

31./01.

01./02.

02./03.

03./04.

04./05.

05./06.

Die namentliche Bedeutung der Rauhnächte soll einer Theorie zufolge von "rauh" kommen und auf das althochdeutsche "ruh" (rauh, grob, haarig, ungezähmt) zurückgehen, welches mit den verbreiteten wilden, pelzverhüllten Masken der Perchten zusammenhänge. Für wahrscheinlicher als dies und auch als den Bezug auf Rauhreif halten Etymologen allerdings, daß sich das Wort von "Rauch" (althochdeutsch: Rauh) ableitet. Das läßt sich dadurch belegen, daß es in diesen "Rauchnächten" eben Brauch war, Haus und Ställe zu beräuchern, um diese zu reinigen und Geister

Page 76: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

und Dämonen fernzuhalten.

Nach anderer Auslegung, insbesondere in der Alpenregion, hat der christliche Volksglaube die Rauhnächte auf vier reduziert, nämlich am 21. Dezember (Thomasnacht), 24. Dezember (Heiligabend), 31. Dezember (Silvester) und 5. Januar (Perchtennacht). Dabei gelten diese abwechselnd als magere und fette Rauhnächte. Ein altes regionales Sprichwort besagte: "Rauhnacht san vier, zwoa foast und zwoa dürr." Die Thomasnacht und die Silvesternacht galten als die mageren Rauhnächte (dürr) mit bösen Geistern und die Weihnachts- und Dreikönigsnacht als die fetten (foasten) mit guten Geistern.

Um die Rauhnächte hat sich im Volk allerlei Aberglauben angesammelt. Man glaubte, Tiere könnten reden. Wäsche durfte nicht über Nacht hängen bleiben. Dem Geschehen in diesen Nächten kam größte Bedeutung zu, denn ihnen wurde eine geheimnisvolle Bedeutung für die Zukunft zugewiesen. In Los- und Orakelbräuchen dachte man, in die Zukunft zu blicken, so sollte jede der 12 Nächte etwas über den entsprechenden Monat des nächsten Jahres verraten können, besonders die Träume in diesen Nächten. Der Glaube, daß das Wetter dieser 12 Nächte ein Abbild der folgenden 12 Monate sei, findet meteorologisch allerdings keine Stütze.

In den zwölf Nächten wurde kein Garn gesponnen, weil man glaubte, daß sonst Hel (Frau Holle) käme und das Garn verunreinige oder weil man Zank und Ungeziefer in das Haus zu spinnen meinte. Aus alter Zeit wird berichtet, daß die Mädchen bedacht waren, bis dahin allen Flachs vom Rocken abzuspinnen und die Stuben in Ordnung zu bringen. War ein Rocken nicht abgesponnen, so verwirrte die Perchta allen Flachs. Traf sie aber gar um diese Zeit die Spinnerinnen bei der Arbeit an, so gab es eine harte Strafe.

Man sollte in den Rauhnächten nicht dreschen, sonst verdürbe das Getreide, so weit man den Schall hörte. Man sollte außerdem nicht aus einem unverdeckten Brunnen trinken. Auch fürchtete man, daß die Hühner das ganze Jahr über keine Eier legen würden.

An diesem letzten Abend im Jahre sollte selbst Putzen und Fegen unterbleiben wie auch das Backen, damit alles Unheil von Haus und Hof, sowie allen Bewohnern fernblieb. In manchen Gegenden hütete man sich davor, Hülsenfrüchte zu essen, weil man sonst Geschwüre zu bekommen glaubte. Mancherorts war es Sitte, in den zwölf Nächten in den Garten zu gehen, an allen Obstbäumen zu rütteln und ihnen zuzurufen: "Bäumchen, schlaf nicht, Frau Hel (oder Holle) kommt!"

Persönliche Orakel wurden befragt, ein Brauch, der sich im Bleigießen zu Silvester erhalten hat. Spenden an Heischende (zum Beispiel Sternsinger und Müllabfuhr) sollten das Glück bewahren. Durch Räuchern und durch geweihte "Maulgaben" für das Vieh sollte Unheil von Haus und Hof abgewehrt werden. Die erscheinenden wiederkehrenden Seelen und Geister (Überbleibsel der "wilden Jagd") wurden bewirtet oder durch Räuchern, Lärmen oder Kreuzeszeichen abgewehrt.

An diesen Abenden durchräucherte ein Priester oder der Hausherr oder die Hausfrau nach dem Abendläuten alle Räume des Hauses und die Ställe mit geweihten Kräutern oder Weihrauch und besprengte sie mit Weihwasser. Durch diese Segnung glaubte man, Geister und Dämonen abzuwehren.

Dieses Räuchern war früher in weiten Teilen Süddeutschlands und Tirols üblich, ist heute jedoch nur noch einzeln bekannt. In eine Pfanne oder einem anderen Behälter wird Glut aus dem Herd gegeben. Auf die Glut legt man Weihrauch, Teile des am Palmsonntag geweihten Palmbesens oder andere geweihte Kräuter. Unter Gebet zog man mit der Pfanne durch das Haus. Hinter dem Vorbeter mit der Rauchpfanne segnet eine zweite Person mit Weihwasser jedes Zimmer. Es

Page 77: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

bedeutet Unglück oder den Tod, wenn ein Familienmitglied beim Räuchern fehlt. Die Glutreste werden üblicherweise ins Feuer geworfen.

In manchen Gegenden von Süd- und Osttirol wird über den Rauch eine Kopfbedeckung (Hut, Mütze Kopftuch) gehalten und dann aufgesetzt. Man glaubt, daß man dadurch unterm Jahr vor Kopfschmerzen sicher sei.

In den Rauhnächten bleibt für die Heiden das Jahresrad stehen. Auch für die Germanen stand die Sonne in der Zeit nach der Wintersonnenwende zwölf Tage lang still. Altes ist noch nicht ganz gegangen, das Neue ist noch nicht stark genug. Die Kräfte, die das Rad des Jahres antreiben, manifestieren sich in dieser Zeit. Alles wird durcheinander gewirbelt. Jetzt sind die Nächte am längsten, hoch im Norden herrscht gar die Polarnacht mit völliger Dunkelheit. Dies ist die Wolfszeit der Edda, in der die Sonne schwarz wird. Daher der Volksglaube, man dürfe in den "Zwölften" den "Wolf" nicht beim Namen nennen.

Die Nächte galten als Los- und Orakelnächte, über denen ein geheimnisvoller Zauber liegt, eine Zeit der runenlauschenden und orakelforschenden Nächte, in der zugleich ein heftiger Kampf zwischen den todbringenden Mächten der Finsternis und den belebenden Kräften des Lichtes tobt. Auch die Menschen sind in dieser Zeit besonders empfindsam, genau wie das kleine Lichtfünklein, das sich gerade erst entfaltet hat und noch besonderen Schutz benötigt.

Es sind die Nächte Odins, der obersten Gottheit, die erfüllt waren vom Brausen des Sturmwindes, vom Bellen der Hunde, Wiehern der Rösser und Wehklagen der Walküren, eine Zeit, in der jede Tätigkeit ruhen mußte. Es durfte kein Recht gesprochen, kein Wasser aus dem Brunnen geholt und keine Kuh gemolken werden. Mit dem Verabreichen des Gildebrotes (Gilde von altgermanisch "gield" oder "gildi", was opferbereite Brüderschaft bedeutet) versuchte man, die himmlischen Mächte zu versöhnen und die Angst zu überwinden, weiterhin der Kälte und Finsternis ausgeliefert zu sein.

Man glaubte, daß Odin in dieser Zeit allen Totenseelen, bösen Geistern und Dämonen Ausgang gewährte. Mit Weihrauch mußten diese wieder aus den Häusern vertrieben werden. Vielerorts wurden und werden in dieser Jahreszeit lärmende Umzüge mit fratzenhaften Masken veranstaltet, womit man den Dämonen das Fürchten lernen will. Ein Überbleibsel davon sind die Perchtennacht (siehe Perchtenfest) und der Karneval.

Die Wilde Jagd oder das Wilde Heer entspringt dem germanischen Glauben, daß der einäugige Odin beziehungsweise Wotan mit seinem geisterhaften Gefolge zwischen den Jahren durch die Lüfte reitet. Er wird manchmal von seiner Gattin Frigg beleitet. Frigg wurde auch Frick, im Harz Frau Harke, in Thüringen Frau Holle und in Süddeutschland Frau Berchta genannt, obwohl die letzten beiden mit Hel und nicht mit Frigg identifiziert werden.

Die Wilde Jagd wird auch von zahlreichen Tieren begleitet, unter anderem auch Odins Wölfe und Raben, aber auch die anderen Geister besitzen allerlei Tierfüße. Als angeblicher Beweis dient die sogenannte "Kuhtrittmuschel". Diese bis zu 20 Zentimeter große Muschel aus dem späten Erdaltertum, welche u.a. auf dem Dachstein-Plateau in Österreich häufig gefunden wird, hat einen herzförmigen Querschnitt und erinnert an die Trittspuren von Rindern.

Als eine weitere Form des Fußabdruckes von Alben, Druden, Kobolden und anderen Geistern galt der fünfzackige Drudenfuß. Dieser ist auf versteinerte Stachelhäuter (Seeigel, Seesterne usw.) zurückzuführen. Das Skelett dieser Tiere ist fünfstrahlig symmetrisch, und das ist so ungewöhnlich, daß ihnen magische Bedeutung zugemessen wurde. Deshalb hat man fossile Seeigel schon in der Bronzezeit als magische Grabbeigaben verwendet.

Page 78: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Eine seltene muschelähnliche Tiergruppe, die Brachiopoden, erinnern in ihrer Form an Vögel. Man nannte sie früher auch "Heilig-Geist-Steine". Die Ammoniten waren mit den heutigen Tintenfischen verwandt. Sie trugen schneckenähnliche Schalen und sind vor ca. 65 Millionen Jahren gleichzeitig mit den Sauriern ausgestorben. Man hielt sie lange Zeit für versteinerte Schlangen. Da manche fossile Überreste ungewöhnlich groß waren, wucherten in der Folge allerlei Drachengeschichten. So wurden Ammoniten, versteinerte Korallen sowie Knochen des Höhlenbären mit Drachen in Verbindung gebracht. Fossile Haizähne galten als Drachenzähne oder Drachenzungen.

Die Seelen der Verstorbenen, ferner Schweine, Hasen und andere Tiere sollen in diesen zwölf Tagen das Gefolge der wilden Horde bilden. Dem Heer von 432.000 Geistern eilen 24 schwarze Hunde bellend voraus. Das Geisterheer braust nachts mit Jagdrufen und Hundegebell durch die Luft.

Als Anführer des Totenheeres rast Odin als wilder Jäger (hier auch Woutan, Wode, Heiljäger, Hackelbernt, Herne etc. genannt) mit bedrohlicher Wildheit und Aggressivität auf seinem Schimmel Sleipnir durch die Lüfte. Meistens zeigt er sich bei dieser Gelegenheit zu Pferde in Hut und Mantel. Nur wer sich auf die Erde wirft und sich festklammert, wird von der Gewalt des wütenden Heeres nicht mitgerissen. Vermutlich haben deshalb die alten Germanen die Gräber ihrer Toten mit schweren Steinen bedeckt, damit die Seelen der Verstorbenen ihre Ruhe finden und von der wilden Hatz des Totenheeres nicht mitgerissen werden können. Sobald der Sturm vorüber ist, zieht sich der Sage nach das Wütende Heer zum Gelage in die Berge zurück.

Frau Holle, die mit Freyja, Frigga oder am wahrscheinlichsten mit Perchta oder Hel identifiziert werden kann, ist Schutzpatronin dieser Tage. Sie mag es normalerweise nicht, wenn jemand faul oder unnütz in den Tag hinein lebt, sie ist sehr streng und achtet darauf, daß jeder seiner Bestimmung gemäß lebt und sich entwickelt. Nur in diesen zwölf Tagen erlaubt Frau Holle, daß man sich ausruht und ganz auf sein Inneres und Wesentliches besinnt. Sie schätzt es auch durchaus, wenn man ihr kleine Geschenke oder Aufmerksamkeiten macht. Vielleicht erweist sie sich dann im kommenden Jahr gnädig und erfüllt so manchen tief ersehnten Wunsch.

Um diese Zeit sollten die Menschen ja nicht den Unwillen der Geister erregen. Die Arbeit hatte jetzt zu ruhen, und die Menschen sollten Rückschau halten auf das vergangene Jahr und sich auf das neue vorbereiten, um es würdig zu empfangen.

Das Räuchern in den Rauhnächten ist ein uralter Brauch, der sich bis heute in vielen Gebieten erhalten hat. In eine Pfanne oder einem anderen Behälter wird Glut aus dem Herd gegeben. Auf die Glut legt man Weihrauch und geweihte Kräuter. In manchen Gegenden (Süd- und Osttirol) wird über den Rauch eine Kopfbedeckung (Hut, Mütze) gehalten und dann aufgesetzt. Man glaubt, daß man dadurch im kommenden Jahr vor Kopfschmerzen sicher sei. Unter Gebet zieht man mit der Pfanne durch das Haus. Hinter dem Vorbeter mit der Rauchpfanne segnet eine zweite Person mit Weihwasser jedes Zimmer. Es bedeutet Unglück oder den Tod, wenn ein Familienmitglied beim Räuchern fehlt. Die Glutreste werden üblicherweise ins Feuer geworfen.

In den Rauhnächten entscheidet sich nach germanischem Mythos das Geschick allen Lebens auf Erden, darum boten die Menschen alles auf, um dem werdenden Licht zu Hilfe zu kommen. Mit auserlesenen Räucherkräutern, Fichtenharz und Weihrauch sollte alles Böse vertrieben werden. Der alte Volksglaube hielt überhaupt daran fest, daß es in den 12 Nächten "umgeht", daß böse Geister und ganz allgemein die "Mächte der Finsternis" in dieser lichtarmen und darum gefährlichen Zeit ihr Unwesen treiben. Zu Jul beziehungsweise Weihnachten läßt man alles hinter sich, was nicht mehr zu einem gehört. In

Page 79: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

den Rauhnächten beziehungsweise zu Silvester werden gute Vorsätze für das nächste Jahr gemacht. Symbolisch nehmen die "Geister" der Rauhnächte alles mit, was die Menschen "über Bord" geworfen haben.

2.4. Silvester Silvester ist der 31. Dezember. Es ist der christliche Festtag und Todestag des heiliggesprochenen, gleichnamigen Papstes Silvester I. (314 bis 335), der in Süd- und Ost-Tirol als Viehheiliger gilt (deshalb auch lokale Wall- und Schlittenfahrten). Der Name "Silvester" bedeutet "der Waldbewohner", vom lateinischen Adjektiv "silvestris" (bewaldet), abgelöeitet von "silva" (Wald).

Silvester bildet durch die Silvester- oder Neujahrsnacht mit Neujahr weitgehend eine Einheit und wird nach dem gregorianischen Kalender durch die "Zeitenwende" vom alten zum neuen Jahr bestimmt.

Dieser Abend spielt als eine der Rauhnächte (auch nach der Auffassung von nur vier Rauhnächten) für Orakel- und zukunftsweisende Bräuche als Lostag eine wichtige Rolle. Mitternächtliches Bleigießen sowie Glück- und Segenswünsche verweisen auf das kommende Jahr. Der Brauch des Bleigießens ist ein Überbleibsel der vielfältigen Rauhnachtorakel, herabgewürdigt zu einem belustigenden Zeitfüller für die Silvesternacht.

Von den Alemannen im 8. Jahrhundert und von den Westgermanen sogar noch im 11. Jahrhundert heißt es, daß sie in der Neujahrsnacht, umgürtet mit einem Schwert, auf die Dächer stiegen, um zu erkunden, was das kommende Jahr bringen werde.

Mit jedem Tag, an dem die Sonne wieder ihr Licht und ihre schützende Wärme verbreitet, beginnt auch der Mensch, sich auf das Neue vorzubereiten. Aus diesem Gefühl heraus sind auch die Silvesterbräuche entstanden, bei denen man sich so viel Neues für die nächste Zeit vornimmt und gute Vorsätze formuliert. Es ist ein Neubeginn, denn ein neuer Lichtzyklus beginnt.

Ein gutes "Neues Jahr" verheißen zudem die kleinen, oft eßbaren Glücksbringer, die man sich schenkt, sowie bestimmte Speisen aus Schweinefleisch. Silvester besitzt eine ausgeprägte Festtradition. Das Feuerwerk ist ursprünglich der geistervertreibende Brauch des Perchtenfestes, wurde aber irgendwann auf den letzten Tag im gregorianischen Kalender vorverlegt.

Kirchlicherseits ist ein Erlaß überliefert, demzufolge die Priester angewiesen wurden, bei der Beichte die Frage zu stellen, ob in der Neujahrsnacht etwa nach heidnischer Sitte der Holda oder Holle ein Opfertisch angerichtet worden sei, oder ob man die Weiber geheißen habe, aus einem Feuer die Zukunft zu ergründen.

Übrigens ist die Schreibweise "Sylvester" für den 31. Dezember falsch - egal ob nach alter oder neuer Rechtschreibreform. Mit "Y" werden nur Personennamen geschrieben (beispielsweise Sylvester Stallone oder Sylvester und Tweety).

2.5. Das Perchtenfest Die Perchten, von "peraht" (althochdeutsch: hell, glänzend), sind im Brauchtum weibliche Masken- und Sagengestalten, die am Ende der Rauhnächte in verschiedenen Regionen in Erscheinung treten. Die Percht gilt als Schicksalsfrau und als Seelenbegleiterin, sie übt Kontrolle aus, achtet auf Ordnung und straft. In dieser Funktion erscheint sie zum Jahreswechsel bereits in der Antike. Die Perchta oder Berchta ist eigentlich Frau Holle und damit die germanische Göttin Hel, trägt aber

Page 80: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

auch Züge der germanischen Göttinnen Freyja und Frigg. Neben Frau Holle kennt man sie außerdem noch als Frau Harke, Frau Stampa, Frau Gode oder Frau Wode.

Ebenso ist sie die aus der Ostmark und anderen Gebieten bekannte Gaben bringende "Budelmutter" oder "Lutzelfrau", die allein, oft aber auch in Begleitung gegensätzlicher Gestalten, die Menschen aufsucht. In Franken kennt man die Eisenberta. Auch die heilige Barbara bringt an ihrem Kalendertag den Kindern Geschenke. Sie ist an die Stelle einer der drei Perchten getreten, wie die Luzia, auf die der Name "Lutzelfrau" hinweist.

Das Mittelalter sieht in der "domina berchta" (lat.: Herrin Berchta) eine Allegorie der Sünde (Prunksucht). Das Perchtenlaufen und -springen wurde zum folkloristischen Schaubrauch. Dabei werden geschnitzte groteske Masken getragen, die zum Vertreiben dämonischer Mächte erforderlich sind. Dies soll dazu dienen, um die Erde zum Leben zu erwecken, damit sie fruchtbar und ertragreich sei.

Das Perchtenfest findet am Abend des 2. Januar statt. Man feiert das Ende der Rauhnächte und die Vertreibung des Winters. Bei den Germanen war es der Beginn des neuen Jahres (Neujahr war der 3. Januar, doch ein Tag begann bei ihnen immer mit dem Vorabend). Festsymbole sind Fackeln, Rasseln, Trommeln und Masken. Die christliche Entsprechung ist neben Silvester hauptsächlich Heilige Drei Könige beziehungsweise die Nacht vom 5. auf den 6. Januar, wohin dieser Festtermin durch die christliche Verschiebung der Rauhnächte verlegt worden ist.

Dieses Fest gehört nicht direkt zu den heidnischen Festen des Jahresrades, ist aber dennoch ein Feiertag. Es ist das Ende der Mittwinterfeste und damit auch die letzte und das Ende der Rauhnächte. Die als Hexen maskierten Perchten laufen durch die Nacht und machen Lärm, um die letzten Reste des Winters zu vertreiben. Man begrüßt das neue Jahr und den hereinbrechenden Frühling.

Der letzte Julschmuck wird abgeräumt, die Zeit des Feierns ist vorbei, und die Arbeit wird wieder aufgenommen. Das junge Mädchen beziehungsweise der Knabe erhalten nach altem keltischen Brauch im Alter zwischen 12 und 14 Jahren ihren Erwachsenenstatus. Auch die junge Sonne (als Sonnengott) erhält nun ihren magischen Namen, ihre Waffen, sowie ihren Auftrag in der Welt.

In der Perchtennacht wird die Macht der Rauhnächte, der wilden Jagd und des Winters gebrochen. Es ist die Nacht, in denen man das Böse und die Unholde endgültig ausräuchert und schließlich mit geweihter Kerze bannt. Darum geht der Bauer mit der Bäuerin in der Perchtennacht (heute in der Nacht vor den Heiligen drei Königen) in Süddeutschland und Österreich nochmals räuchernd und geweihte Kerzen brennend durch das Haus.

Der Perchtenabend wird in manchen Gegenden mit Maskenumzügen begangen, den bekannten oberbayerischen Perchtenläufen, die aus heidnischer Tradition stammen und eine volkstümliche Darstellung der "wilden Jagd" sind. Dieses auch heute bedeutendste Rauhnachtsbrauchtum findet meist in der letzten Rauhnacht, am "Öberschten", statt. "Öberscht" (der Oberste) bezeichnet dabei in der verchristlichten Rauhnachtszeit die Nacht vom 5. auf den 6. Januar, während bei den Germanen natürlich der Abend des 2. Januar als Perchtenfest galt.

Dabei ziehen 12 häßliche (das alte Jahr) und 12 schöne (das neue Jahr) Perchten mit. Am Vorabend zum "Öberschten" nun ziehen die "schiachen" (häßlichen) Perchten durch Dorf und Flur. Ursprünglich handelte es sich dabei um zwölf Burschen, die in dunkle Felle und Vermummungen gekleidet waren und altüberlieferte, kunstvoll geschnitzte Holzmasken trugen. Eine Anzahl vermummter Gestalten folgte ihnen im geisterhaft flackernden Licht von Fackeln und Windlichtern, während Trommeln und Kuhglocken dröhnten und Peitschen knallten.

Page 81: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Offensichtlich versinnbildlichte das Perchtenlaufen das ewige Naturgeschehen der Ablösung des alten Jahres durch das neue, zumal anderntags die "schönen" Perchten, im Gefolge häufig die gefesselten "schiachen" Perchten der vergangenen Nacht, durch die Dörfer zogen. Die vielen und mannigfaltigen Volksgebräuche, besonders die Maskentänze, die verschiedenen Vermummungen, die Austreibungen von Tier- und Teufelsgestalten bedeuteten ursprünglich nichts anderes als den Sieg der Lichtkräfte, denen das Dämonenheer weichen muß.

Durch Lärmen und Rufen suchte man dies zu erreichen. Noch heute erinnern in manchen ländlichen Gegenden Umzüge mit Peitschenknallen und Böllerschießen oder das sogenannte Schreckläuten der Kirchenglocken an diesen alten Glauben vom Nutzen des "Heidenlärms". Auch der Brauch des Silvesterfeuerwerks rührt hier her.

Die christliche Tradition ersetzte das Perchtenlaufen durch Beweihräucherung oder Weihwasserbesprengung, um die Erde zum Leben zu erwecken und sie fruchtbar und ertragreich werden zu lassen. Den lärmenden Perchtenläufen setzte das Christentum im Mittelalter auch die Dreikönigsaufzüge entgegen und in neuerer Zeit kam das Dreikönigssingen hinzu. Allerdings sind die Heiligen Dreikönige in Europa auch heidnischen Ursprungs, denn damit waren früher die drei Schöpfungsgötter Odin, Hönir und Loki gemeint, welche von der Kirche mit den drei Weisen aus dem Morgenland übertüncht wurden.

Das süddeutsche "Christkindl", das durch ein erwachsenes Mädchen dargestellt wird und in weiblicher Gewandung umherzieht, wirkt auf den ersten Blick befremdend. Diese nach dem christlichen Dogma völlig unerklärliche Gestalt versteht man sofort als christlich verbrämtes Gegenstück der Frau Perchta.

Wie im Elsaß das weibliche Christkind, so bringt in Schweden Luzia am 13. Dezember mit einem Kranz brennender Kerzen im Haar allerlei Gaben, was sehr an die Brigid des Imbolc-Festes erinnert. Dies hat seinen Ursprung in der germanischen Auffassung von der Frau als Lichtträgerin, als Gebärerin des neuen Lebens. Der Begleiter des Lichtkindes ist in Schweden Hans Trapp, in ein Fell gekleidet und mit Rute und klirrender Kette ausgerüstet. Luzia selbst trat in Deutschböhmen als Ziege auf ("Eisenberta") und in Mittelfranken als Kuh.

Am 4. Dezember verteilt die eilige Barbara Geschenke an die Kinder. Auch sie ist eine Verchristlichung der Berchta. Katharina, Barbara und Luzia sind als "die drei heiligen Frauen" in der Volksmeinung an die Stelle der drei Perchten getreten, und man hat sogar nach dem alten germanischen, ja indogermanischen Mondkalender, welcher der Sonnenrechnung vorausging, ihre Tage festgelegt. Der Tag der heiligen Katharina ist der 25. November. Neun Tage später folgte der Tag der heiligen Barbara, und nach abermals neun Tagen der der Luzia.

Auch das am Weihnachtstage erscheinende "Christkind" ist eine der schwedischen Luzia ähnelnde Erscheinung. Es steckt die Lichter am Weihnachtsbaum an und bringt die Geschenke. Diese weibliche Gestalt kann nicht mit Jesus Christus in Einklang gebracht werden. Es ist darin vielmehr die weibliche Göttergestalt aus germanischer Zeit zu sehen, die man Berchta (Berta), d.h. "die Leuchtende" nannte. Der Name Luzia ist aber nichts anderes als die lateinische Übersetzung für "die Leuchtende". Das zeitlich verschiedene Auftreten der beiden Gestalten ist lediglich in der Verschiedenheit der Zeitrechnung begründet. Im Mittelalter war in Schweden der 13. Dezember der Wintersonnenwendtag, der Brauch ist also ein Sonnwendbrauch.

Während in Bayern einst drei Perchten auf ihrer nächtlichen Wanderung in jedem Hofe Gaben empfingen, gesellt sich in Kärnten zu den drei schönen Perchten eine vierte, "schiache" (häßliche). Der Mondkalender umfasst drei Wochen von je neun Nächten und danach die drei dunklen Nächte der Neumondzeit, daher ist den drei Wochen je eine schöne Perchta, der dunklen Zeit des

Page 82: H. Frhr. von Greim - Der Germanische Jahreslauf (2010, 82 S.)

Mondlaufs aber eine vierte, häßliche und böse Perchta zugeordnet. Eine von den drei Schönen kehrt in jedem Hause den Boden. Man findet sie in einem schlesischen Weihnachtsspiel als dort unverstandenes "Kehrweibel" in Gesellschaft eines abermals weiblichen "Christkindes" wieder.

An Stelle des Schimmelreiters (ursprünglich Odin mit Sleipnir), der oftmals die Gaben bringt, und für dessen Roß die Kinder Hafer auslegen, wird hier und da nur der weiße Schimmel als Spender der Geschenke erwartet, in Nordböhmen das goldene Rößlein, manches Mal auch der goldene Wagen.

3. Sabbat und Esbat In Hexenkreisen bedeutet ein Sabbat eine Zusammenkunft. Auch die acht Jahresfeste werden von Hexen gefeiert und heißen bei ihnen ebenfalls Sabbate, häufig werden sie auch "große Sabbate" genannt (manchmal werden auch nur die Mondfeste so bezeichnet).

Das Wort Sabbat entstand aus dem babylonoischen Namen "Sabattu", abgeleitet von "sha-bat" (babylonisch: Herzensruhe), für den Tag an dem die Göttin Ischtar (auch Innana genannt) durch den Vollmond ihre Menstruation bekam und daher unpäßlich war. Um Ischtar nicht zu verärgern oder zu reizen, wurde an diesem Tag nicht gearbeitet. Die Hebräer übernahmen das Wort "Sabattu" und machten daraus den Tag, an dem ihr Gott von seiner Weltenschöpfung ausruhte. Der Ausdruck wurde dadurch ins Hebräische und später ins Englische übernommen.

Dieser Begriff wurde von den mittelalterlichen Hexenjägern vom Sabbat der Juden hergeleitet, welche noch vor den Hexen die Stereotypen für die Feinde Christi waren. Tatsächlich war die früheste überlieferte Bezeichnung für eine Hexenversammlung "Synagoga". Erst im 20. Jahrhundert hat sich der wiederbelebte Hexenkult diesen Begriff seiner Feinde zu eigen gemacht.

Von Hexen und vielen Heiden wird jedoch jede Vollmondnacht als ein kleinerer Feiertag angesehen und Esbat genannt. Manchmal werden diese Nächte für Rituale, Feiern in der Gemeinschaft, Meditation o.ä. genutzt. Häufig werden zusätzlich auch die Neumondnächte als Esbat angesehen. Ein Esbat ist auch eine zu diesem Termin stattfindende Versammlung eines Hexenzirkels oder Covens. Das Wort Esbat ist vom französischen "s'ebattre" (sich amüsieren, sich vergnügen, feiern) abgeleitet.

Im Mittelalter sollen wilde Hexensabbate gefeiert worden sein, so jedenfalls steht es in kirchlich geprägten Quellen zu lesen. In diesem Mythos spiegelt sich der ängstlicher Volksglaube und christliche Verketzerung von wahrscheinlichen einfachen Jahresfesten wieder, die von Menschen gefeiert wurden, die lediglich an ihrer alten Religion festgehalten haben.

Die Zahl 13 spielt heute wie früher dabei eine Rolle. Sie steht ursprünglich für die bis zu 13 Mondmonate eines Jahres, wurde aber später auch für die maximale Mitgliederzahl eines Hexenzirkels oder Covens angenommen. Mit der Übernahme des Sonnenjahres und des gregorianischen Kalenders wurde die 13 von der Kirche als Unglückszahl verteufelt, so wie auch sonst alles, was mit dem Mond zu tun hatte.